Ein spätmittelalter-liches Bauernhaus von 1544/45 (d)

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chen Gebäuden kaum, lediglich der bauliche
Ein spätmittelalter-                          Zustand läßt das langgestreckte Haus älter
                                              erscheinen.
liches Bauernhaus                             Vom Haustyp her könnte man – dem Volks-
                                              mund zufolge – von einem sogenannten „Bo-
von 1544/45 (d)                               denseehaus” sprechen, doch dieser Begriff
                                              sollte in der Hausgeschichtsforschung ver-
                                              mieden werden, weil eine solche Bezeichnung
                                              sich auf eine Region bezieht und nicht auf sei-
                                              ne Nutzung. Da man das sogenannte Boden-
                                              seehaus auch über den Bodenseeraum hin-
                                              aus antrifft, erscheint der Begriff eher unpas-
Thomas Schaad, 78315 Radolfzell               send. Im Hinblick auf die Raumaufteilung –

Das ländliche Anwesen liegt in Welschingen,   Wohn- wie auch Ökonomieteil – ist der Begriff
einem Stadtteil von Engen – nicht weit vom    „quergeteiltes Einhaus” zutreffender, das sich
Bodensee – heute an der Dorfstraße und        bis ins 19. Jahrhundert im Hegau wie auch im
trägt die Hausnummer 42.                      Bodenseekreis weitgehend zu dieser Form
Ursprünglich gehörte es zur Kleinsiedlung     entwickelt hat. Betrachtet man den Baukörper
Oberdorf, welche im Zuge der Ortsentwick-     genauer, so erkennt man der Länge nach zwei
lung mit dem Mittel- und Unterdorf zum heu-   Nahtstellen. Das bedeutet, daß das Anwesen
tigen Ort Welschingen zusammenwuchs.          mindestens zweimal in Ost-West-Richtung
Rein äußerlich unterscheidet sich das Anwe-   verlängert wurde. Insofern sind die Verände-
sen von den umliegenden landwirtschaftli-     rungen auf sich wandelnde Bedürfnisse

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zurückzuführen, die letztlich die Erschei-           Betritt man den Wohnteil des heutigen Hau-
nungsform ganz entscheidend geprägt ha-              ses Dorfstraße 42, so trifft man den Grundriß
ben. Damit stellt sich das Haus bedauerlicher-       eines quergeteilten Einhauses an. Der Weg
weise nicht mehr in seiner ursprünglichen            führt nach dem Eintritt geradeaus durch den
Form dar, doch verdeutlichen solche Verände-         Flur in die Küche. Links vom Flur befindet
rungen, wie die Menschen über Jahrhunderte           sich die Stube, durch die man weiter in eine
hinweg gelebt und gearbeitet haben. Im allge-        Schlafkammer gelangt. Im Obergeschoß be-
meinen waren die Menschen jener Zeit, die zur        findet sich die gleiche Raumaufteilung. Das
arbeitenden Schicht gehörten, Leibeigene der         Dach ist nicht bewohnt es dient ausschließ-
Ortsherrschaft und der Grundbesitzer. Was            lich als Stauraum. Im Untergeschoß ist das
sich bis heute nicht verändert hat, ist die Tat-     Wohnhaus im Bereich Stube und Flur mit ei-
sache, daß der Arbeitsalltag vorwiegend von          nem flachgedeckten Raum unterkellert wel-
der Landwirtschaft bestimmt wird.                    cher als weiterer Stauraum für Lebensmittel,

linke Seite: Ostgiebel und nördliche Längseite
Bauphasen von links nach rechts: Erhöhter Bau-
körper 1871/72 (d), als Wohnteil errichtet. Der in
der Mitte befindliche Fachwerkbau mit willkürli-
cher Anordnung der Türen und Fenster von
1544/45 (d) „Erstbau mit ehem. Wohnteil”.
Scheune mit Tor und vorgezogenem
Dachvorsprung von 1714/15 (d)
Foto: Thomas Schaad

                                                                                      Rekonstruktions-
                                                                                 versuch des urpsrüng-
                                                                           lichen Baus von 1544/45 (d)
                                                                          als isometrische Darstellung.
                                                                   Trotz verschiedener Veränderungen
                                                         sind ausreichend Befunde erhaltengeblieben.

                                                                                                    45
die kühl gelagert werden mußten genutzt           In Anbetracht der Tatsache, daß es sich um
wurde (Kartoffeln, Kohl etc.). Des weiteren       mindestens drei Bauphasen handeln muß, ist
führt ein kleiner Durchbruch in einen Keller-     es mit einer Bestandsaufnahme jedoch nicht
raum unter dem Ökonomieteil der etwa einen        getan. So gilt unser Augenmerk den Befun-
halben Meter tiefer liegt als der erste Keller,   den, die uns bei genauerer Betrachtung in
was auf bauliche Veränderungen zurückzu-          fast unerschöpflicher Fülle erhalten geblie-
führen ist.                                       ben sind. Zu den wesentlichen Befunden
Betrachten wir nun den Ökonomieteil, der im       gehört die Bearbeitung des Bauholzes. So
Hinblick auf die Nahtstellen einer anderen        konnte im Obergeschoß, welches zuletzt als
Bauphase zuzuordnen ist. Wenden wir uns           Heuboden benutzt wurde eine Bohlenstube
doch zuerst der Nutzung zu, welche im Erd-        sowie eine Rauchküche mit offener Feuer-
geschoß weitgehend der Tierhaltung vorbe-         stelle nachgewiesen werden.
halten war. So gibt es einen Lagerraum sowie      Nuten in den Ständern und Reste von Bohlen

Grundriß im Erdgeschoß, rekonstruierter Zustand   Grundriß im Erdgeschoß, Zustand dritte Bau-
von 1544/45 (d). Genaue Anordnung der Treppe      phase, von 1871/72 (d)
nicht rekonstruierbar.

Grundriß im Obergeschoß, rekonstruierter Zu-      Grundriß im Obergeschoß, Zustand dritte Bau-
stand von 1544/45 (d). Bohlenstube und Rauch-     phase, von 1871/72 (d)
küche nachgewiesen.

einen Stall für Kleinvieh (Hühner, Ziegen         belegen uns eine solche Stube. Starke Ruß-
usw.). Darüberhinaus einen Kuhstall der           bildung an einer Brandwand sowie an sämtli-
durch einen Durchgang und durch Futterlu-         chen Holzteilen der Primärkonstruktion ge-
ken mit der Scheune verbunden ist.                ben zum anderen Aufschluß über eine ehe-
Im Lagerraum, wie auch in der Scheune wurden      malige Rauchküche. Der Rauch der
zum einen Gerätschaften für den Ackerbau auf-     Feuerstelle zog über eine mit Lehm verstri-
bewahrt (Egge, Pflug, Leiterwagen etc.), zum       chene Haube durch den Dachraum aus dem
anderen diente der Lagerraum auch als Werk-       sogenannten Rauchloch im Dach nach
stätte in der diese Gebrauchsgegenstände und      außen. Das erklärt auch die schwarze Rauch-
andere des täglichen Lebens repariert wurden.     färbung der primären Holzkonstruktion, was
Das Ober- und Dachgeschoß (Heuboden) bot          letztlich nicht selten zu verheerenden Haus-
als Stauraum für Heu ausreichend Platz und        bränden führte. Der Kamin wie wir ihn heute
hielt dieses letztlich von der Erdfeuchte fern.   kennen verbreitete sich in den ländlichen Ge-

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bieten erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts.     Lagerraum genutzt werden konnte. Dies läßt
Die Feuerstelle selbst, der sogenannte Hin-        sich heute jedoch nicht mehr eindeutig nach-
terladerofen diente in der Küche selbstver-        vollziehen. Die Tatsache, daß sich die Wohn-
ständlich zum Kochen. Des weiteren konnte          räume ausschließlich im Obergeschoß be-
der in der Stube befindliche Kachelofen von         fanden, läßt die Vermutung zu, daß es sich
der Küche aus beheizt werden, somit war die        um ein älteres Gebäude handelt, da bereits
Stube rauchfrei. Aus diesem Grund gab es           bekannte Gebäude mit dieser Art der
zwischen Stube und Küche anfänglich keine          Raumaufteilung bis ins hohe Mittelalter
direkte Verbindung, lediglich der Flur – auch      zurück bekannt sind.
Ern genannt – stellte die (einzige Verbindung      Auch die zimmermannsmäßige Verarbeitung
zwischen diesen beiden Räumen dar, welche          des Holzes deutet auf das ausgehende Mit-
auch die einzigen beheizten Zimmer im              telalter hin. So sind im Inneren alle Verstre-
ganzen Haus waren.                                 bungen des Primärgefüges verblattet. Um

Ostgiebel des Erstbaus, 1544/45 (d) mit Halbwalm   Nordansicht des Erstbaus, auffällig die geschoß-
und Rauchloch – befindet sich heute im Haus-        übergreifenden Ständer und Streben.
inneren.                                           Gestrichelte Linien sind rekonstruiert, übrige
                                                   Linien sind Bestand.

Die Wohnstube war früher aus diesem Grund          das Jahr 1600 löste die Verzapfung der Holz-
weit mehr als heute der Mittelpunkt des Hau-       teile mit wenigen Ausnahmen von Hilfskon-
ses. Hier nahm man gemeinsam das Mahl zu           struktionen die Technik der Verblattung gänz-
sich man verrichtete – meist im Winter –           lich ab. Um ein genaueres Baudatum zu
häusliche und handwerkliche Arbeiten. Zu-          bekommen, behalf man sich mit der den-
dem ruhte man sich aus und schlief auch viel-      drochronologischen Altersbestimmung des
fach darin – letztlich wurden solche Räume         Bauholzes. Diese ergab, daß sämtliche Holz-
auch mit einem Verschlag, welcher nicht            teile der Primärkonstruktion im Winter
ganz zimmerhoch war versehen, um einen             1544/45 (d) gefällt wurden. Die Altersgleich-
beheizbaren separaten Raum für Kranke und          heit der einzelnen Hölzer wie auch die Tatsa-
Alte zu schaffen. Zum untergeordneten Flur         che, daß Bauholz immer saftfrisch verarbeitet
gab es noch mindestens eine unbeheizte             wurde, bestätigt das Alter von 1544/45 (d).
Kammer die als Schlafraum (Knecht) oder als        Faßt man nun sämtliche Erkenntnisse zu-

                                                                                                 47
sammen, so handelt es sich um einen spät-         datiert wurde, gebaut, um der veränderlichen
mittelalterlichen Ständerbau mit einer Wohn-      Bewirtschaftung gerecht werden zu können.
situation im Obergeschoß und Wirtschafts-         In diesem Zug entstand auch der Kuhstall,
räumen im Erdgeschoß.                             der bis in die jüngere Vergangenheit als sol-
Ergänzend ist zu erwähnen, daß es zu dieser       cher genutzt wurde.
Zeit noch keine Stalltierhaltung gab, somit       Darüberhinaus ist der Erstbau im Schwellen-
wurde kein Milchvieh im Stall gehalten. Le-       bereich erneuert worden. Dies könnte bedeu-
diglich Kleinvieh wurde dort untergebracht.       ten, daß der Keller (welcher nicht datiert wer-
Darüberhinaus diente der Wirtschaftsraum          den konnte) erst zu dieser Zeit als weiterer
als Werkstätte und Lager.                         Lagerraum im Zuge der neuen Felderwirt-
Der sogenannte Ständerbau hatte eine fast         schaft gebaut wurde, in dem z. B. Kartoffeln
quadratische Grundfläche von ca. 9,70 m x          als neue Nutzpflanzen gelagert werden konn-
9,50 m. Das Dach, welches zu dieser Zeit ein      ten. Denkbar wäre aber auch, daß die
                                                  Schwellen, welche seinerzeit schadhaft ge-
                                                  wesen sein konnten, eine Auswechslung er-
                                                  fuhren. So ist auch nicht auszuschließen, daß
                                                  der Keller dem spätmittelalterlichen Bau zu-
                                                  zuordnen ist und als Weinlager gedient haben
                                                  könnte. Denn der Weinbau ist in Welschingen
                                                  um 1400 herum urkundlich zum erstenmal er-
                                                  wähnt. Somit liegt die Vermutung nahe, daß
                                                  es sich auch um ein Weinbauernhaus – wenn
                                                  auch nur als Nebenerwerb – gehandelt haben
                                                  kann, das später erst, als der Weinbau redu-
                                                  ziert wurde, zum Bauernhaus umgenutzt
                                                  wurde.
                                                  Die dritte und letzte Bauphase von 1871/72
                                                  (d), welche den Wohnteil, wie wir ihn heute
                                                  antreffen, entstehen ließ, gab dem Haus sei-
                                                  ne endgültige Form. Es war die Zeit der Indu-
                                                  strialisierung, in der die strenge Gliederung
                                                  der Gesellschaft nach Ständen zerfiel. Statt
                                                  dessen setzten sich bürgerliche Werte durch
                                                  und veränderten den ländlichen Wohnstil. In
Vergleichbarer Ständerbau aus dem 16. Jh. mit     diesem Sinne wurde das ursprüngliche
Halbwalmdach und Rauchloch in Ludwigshafen        Wohnhaus von 1544/45 (d) abgelöst und
am Bodensee. – Kamin aus jüngster Zeit – Gebäu-
de 1994 abgebrochen.      Foto: Thomas Schaad     gänzlich dem Ökonomieteil zugerechnet, um
                                                  sich an bürgerlich-städtische Vorbilder im
                                                  Hinblick auf die Wohnqualität anzulehnen.
Halbwalm mit Rauchloch war, läßt sich nur         Spätere Veränderungen, die den heutigen
ansatzweise nachvollziehen und kann somit         Bedürfnissen Rechnung tragen, sind keine
nicht mehr eindeutig rekonstruiert werden.        mehr durchgeführt worden. Doch sollte eine
Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts hat          Sanierung die historische Bedeutung des
sich die landwirtschaftliche Produktionswei-      Gebäudes berücksichtigen. Auch wenn es
se stark verändert. So sollte nun das Vieh        sich um ein weniger aufsehenerregendes
ganzjährig im Stall gehalten werden, um auch      Zeugnis der Alltagsgeschichte handelt, ist es
die Brache – „die dritte Zelge” – der Dreifel-    trotzdem ein Kulturträger, der nicht gänzlich
derwirtschaft, auf der bisher das Vieh gehal-     aus dem Mittelpunkt des öffentlichen Interes-
ten wurde, als Anbaufläche zu nutzen. Die          ses verschwinden sollte. Bei einem Abriß wä-
Veränderung lag im starken Anwachsen der          re ein Zeugnis der ländlichen Haus- und
Bevölkerung und im steigenden Kapitalbe-          Bautradition unwiederbringlich zerstört.
darf der absolutistischen Landesherren be-        Denn: Wer die Vergangenheit nicht kennt und
gründet. In diesem Zusammenhang wurde             lernt, sie einzubeziehen, kann die Zukunft
die Scheune, welche auf das Jahr 1714/15 (d)      nicht gestalten.

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