WOLF-RÜDIGER GROSSE Dramatische Bestandsrückgänge bei Amphibien und Reptilien auf der Insel Sylt
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WOLF-RÜDIGER GROSSE Dramatische Bestandsrückgänge bei Amphibien und Reptilien auf der Insel Sylt April/Mai ein meeresbiologisches Prakti- kum an der Wattenmeerstation List/Sylt Einleitung Die Küstenlandschaft der Insel Sylt beein- durchgeführt. Ein Teilthema war dabei die druckt seit jeher durch ihre hohe Dynamik. gezielte Untersuchung der Amphibien- und Durch die Kraft von Sturmfluten des Mittel- Reptilienvorkommen der Küstenlandschaft alters sind aus ehemaligen Marsch- und (GROSSE et al. 2006). Die Beobachtungen flos- Geestlandschaften die heutigen Nordfriesi- sen in die Protokolle der Studierenden ein, schen Inseln entstanden. Sie haben bis heute die hier teilweise mit ausgewertet wurden. ihre herbe Schönheit bewahrt (NAUDIET Des Weiteren wurden die meisten herpeto- 1989). logischen Beobachtungen gesammelt und In der Gegenwart prägen neben riesigen nach einer Überprüfung in das Arten- und Wattflächen vor allem die kilometerlangen Fundpunktkataster für Amphibien und Sanddünen im Norden und Süden den Cha- Reptilien (AFK) Schleswig-Holstein über- rakter der Insel Sylt. Dem Marschland Schles- führt (umfasst aktuell etwa 38 000 Daten- wig-Holsteins vorgelagert konnte sich hier sätze, KLINGE 2011). Für die vorliegende eine ganz typische Tier- und Pflanzenwelt eta- Auswertung fanden sich 416 Einträge in blieren. Historisch belegt sind die Vorkom- dem AFK aus den Jahren 1965–2011 für die men der Kreuzkröte, des Moorfrosches und Insel Sylt, die durch 19 historische Angaben der Waldeidechse (BOIE 1840/1841, PHILIPP- aus der Zeit vor 1965 ergänzt wurden. Die SEN 1919, MOHR 1926, WARNECKE 1954, DELFF Datensätze verteilen sich auf 328 Fundorte 1975). Die Kreuzkrötenvorkommen besit- ≤ 10 x 10 m (Methodik s. KLINGE & WINKLER zen schleswig-holstein- und deutschland- weite Bedeutung (GÜNTHER & MEYER 1996, KLINGE 2005b). Anliegen des Beitrages soll es sein, die gegenwärtige Verbreitung der Amphibien- und Reptilienarten auf der Insel Sylt auf der Grundlage von Kartierungen in den letzten zwei Jahrzehnten darzustellen. Weiterhin soll auf einige Besonderheiten der Entwick- lung der Herpetofauna in Hinblick auf den „Inselstatus“ eingegangen werden. Immer- hin gelten mehr als die Hälfte der Amphi- bien- und Reptilienarten Schleswig-Hol- steins als akut bedroht (KLINGE 2003). Deshalb sollen die Beobachtungen in ihrer Gesamtheit wesentliche Hinweise zur Er- haltung der Vielfalt der Amphibien und Reptilien auf der Insel liefern. Unter Einbe- ziehung historischer Quellen lassen sich langfristige Bestandstrends erkennen. Abb 1: Übersicht über die Hauptuntersuchungsge- Methoden und Untersuchungsgebiet biete: 1 Ellenbogen, 2 NSG Sylt Nord, 3 Vogel- koje Kampen, 4 Kampener- und Braderuper Im Rahmen des Fachstudiums Biologie an Heide, 5 Tinnumermarsch, 6 Morsumer Marsch der Martin-Luther-Universität Halle-Wit- inkl. Kliff, 7 Dünentäler Rantum Ost und 8 Hör- tenberg wurde in den Jahren 1991–2011 im num und Südspitze. 39
Art Meldungen MtBlQ AFK/LLUR bis 1989 1990–2004 2005–2011 bis 2004 2005–2011 Kreuzkröte 133 25 84 24 8 6 Moorfrosch 58 13 27 18 9 8 Erdkröte 44 1 17 26 6 6 Grasfrosch 27 4 12 11 7 5 Teichmolch 1 1 - - - - Tab. 1: Nachweise und besetzte TK 25-Quadranten von Amphibien auf der Insel Sylt (Datei AFK Schleswig– Holstein 2011). 2005). Alle Fundorte konnten 10 TK 25-Qua- Schleswig-Holstein kommen insgesamt 15 dranten zugeordnet werden (decken damit Arten vor (KLINGE & WINKLER 2005). Im Na- ca. 98 % der Landfläche der Insel ab). Die turraum Marsch in Schleswig-Holstein fin- Rasterfrequenz ist der prozentuale Anteil den sich wenige Amphibienarten (KLINGE der von der Art besetzten TK 25-Quadran- 2005). Lediglich für Arten mit einer breiten ten in Bezug auf die Landesfläche (s. KLINGE ökologischen Amplitude (euryöke Formen) & WINKLER 2005). wie die Erdkröte und den Grasfrosch, aber Die Nordseeinsel Sylt weist im Gegensatz auch für den Moorfrosch, sind geeignete Le- zu den Ostfriesischen Inseln einen durch bensbedingungen vorhanden. Dabei bieten Sturmfluten vom Festland abgetrennten diesen Arten üblicherweise weit verzweigte Geestkern mit durch Gezeitenströmungen Grabennetze in den ansonsten meist inten- und Wind angelagerten Sandaufspülungen siv genutzten Ackerbau- und Grünlandflä- auf (NAUDIET 1989). HELLE & WINKLER (2005) chen der Marschen die einzigen geeigneten ordnen die Inseln dem Landschaftsraum Lebensorte. Marsch zu. Die innerhalb der Marsch gele- genen Geestkerne zeichnen sich durch san- Kreuzkröte (Bufo calamita) dige und lehmig-sandige Podsolböden In Schleswig-Holstein ist die Art zerstreut (speziell hier Rosterden) mit flächigen Ab- im Bereich der Geest und des Hügellands lagerungen von Ton und Schluff aus. Das vertreten. Sie hat aktuell landesweit eine Klima ist ozeanisch geprägt. Das langjährige Rasterfrequenz von 12,7 % (KLINGE 2011). Sie Mittel der Niederschlagshöhe beträgt fehlt weitgehend in der Marsch (KLINGE & 745 mm, die mittlere Julitemperatur 16° C. WINKLER 2005). Lediglich der Dünen- und Die mittlere Januartemperatur liegt zwi- Vorlandbereich von St. Peter-Ording und schen 1–2° C und jährlich scheint die Sonne die Nordfriesischen Inseln Amrum, Föhr im Mittel 1750 Stunden (HEYDEMANN 1997, und Sylt weisen bedeutende Vorkommen HELLE & WINKLER 2005). der Kreuzkröte auf. Der Schwerpunkt der langjährigen feldbio- Mit 133 Meldungen ist die Kreuzkröte die logischen Untersuchungen lag von West am häufigsten beobachtete Amphibienart nach Ost auf folgenden Gebieten: 1 Ellen- auf Sylt. Die Fundpunktkartei weist für die bogen, 2 NSG Sylt Nord, 3 Vogelkoje Kam- Art 96 Fundpunkte in den Jahren 1965 bis pen, 4 Kampener- und Braderuper Heide, 5 2011 aus (Tab. 2). Auch historisch gesehen Tinnumermarsch, 6 Morsumer Marsch inkl. war sie auf Sylt stets häufig (PHILIPPSEN Kliff, 7 Dünentäler Rantum Ost und 8 Hör- 1919, LUNAU 1933, DIERKING 1994). num und Südspitze (Abb. 1). Bestandssituation 1995–2005: Die Haupt- vorkommen der Kreuzkröte befanden sich im NSG Nord-Sylt zwischen Kampen und dem Lister Ellenbogen (Abb. 4). Hier konn- ten im Jahr 1995 und 1996 an insgesamt 36 Ergebnisse Die Amphibien der Insel Sylt Fundpunkten rufende Kreuzkrötenmänn- chen nachgewiesen werden. Aber auch die Die Herpetofauna der Insel Sylt umfasst Dünentäler zwischen Rantum und Hörnum fünf Arten von Amphibien (Tab. 1). In im Süden wiesen bedeutende Vorkommen 40
Krötenzaun der dortigen Station wanderten nach 1992 wenige Einzeltiere an (1979: 1019 Tiere, 1984: 362 und 1989: 216 Tiere) (BRET- SCHNEIDER 1999). In einem kleinen Tümpel an der Straße wurden 2011 bei einem ge- schätzten Bestand von zehn rufenden Männ- chen einige 100 Kaulquappen gefunden (Abb. 2 und 3). Noch stärker rückläufig ist der Bestand der Kreuzkröten im NSG Nord- Sylt seit 2008. Die Großvorkommen im Jens- long- und Ellenbogental und im Lister Koog sind erloschen. Die Dünentäler sind ausge- trocknet. Die Laichschnüre und Kaulquap- pen des Jahrganges 2008 (mit 754 mm Niederschlag ein niederschlagreiches Jahr) sind (ausgenommen einige wenige Kaul- quappen in zwei künstlichen Austiefungen im Ellenbogental) vertrocknet. Im Jahr 2011 konnten noch drei kleine Vorkommen ge- funden werden, die einen Gesamtbestand von etwa 50–70 Tieren repräsentieren. An den Feuchtstellen des Lister Koogs konnten Abb. 4: Verbreitung der Kreuzkröte auf der Insel keine Chöre gehört werden. Eine kleine Sylt bis 2010 (blaue Kreise) und 2011 (schwarze Viehtränke auf dem Ellenbogen mit weni- Kreise mit Punkt). gen Kaulquappen besetzt wurde am 7. Mai 2011 von den Schafen leer getrunken, was auf. In der Geestlandschaft waren nur einige auch das Aus für die Reproduktion des wenige Nachweise (Munkmarsch, Arch- nördlichsten Vorkommens im Jahr 2011 be- sum) vorhanden. In den Dünentälern des deutete. Das Ausbleiben einer ausreichen- NSG Nord-Sylt befanden sich möglicher- den Reproduktion ab dem Jahr 2008 weise die größten deutschen Kreuzkröten- aufgrund des Austrocknens der Gewässer Vorkommen überhaupt (GÜNTHER & MEYER (fehlendes Grundwasser im Frühjahr, wenig 1996, KLINGE & WINKLER 2005, GROSSE et al. Regenfälle im Mai) wird zum Erlöschen der 2006) (Abb. 12). Der nördlichste Fundpunkt einst riesigen Bestände der Kreuzkröte auf findet sich auf dem Lister Ellenbogen. Sylt führen. Das Extinktionsrisiko für Bestandsentwicklung ab 2006: Bis 2005 hatte Kreuzkrötenpopulationen lässt sich mittels die Kreuzkröte auf der Insel Sylt eine Ras- Modellsimulationen, in die auch die Daten terfrequenz von 90 %, die sich 2009–2011 auf von Sylt einbezogen wurden, zuverlässig 30 % reduzierte. Auffällige Rückgänge der abschätzen (STEPHAN et al. 2001, GROSSE et Individuenzahlen zeigten seit 2007 bereits al. 2002/2003). die Bestände im Südteil der Insel. Die Dü- nentäler südlich Rantum wiesen keine Vor- Moorfrosch (Rana arvalis) kommen mehr auf. In Hörnum selbst am Die Art ist flächendeckend auf dem Fest- Art FP LANU FP Univ. Halle Kartierung 1965–2011 1996–1998 2005–2007 2010–2011 Kreuzkröte (Bufo calamita) 96 16 23 4 Moorfrosch (Rana arvalis) 54 2 17 6 Erdkröte (Bufo bufo) 41 - 15 2 Grasfrosch (Rana temporaria) 24 - 4 3 Tab. 2: Amphibiennachweise (FP Fundpunkte) auf Sylt, kartiert im Rahmen des Meeresbiologischen Prak- tikums der Universität Halle. 42
land Schleswig-Holsteins vertreten. Sie hat in vielen Habitaten heimischen (eurytopen) aktuell landesweit eine Rasterfrequenz von Art: Feuchtwiese Lister Koog (Abb. 7) und 52 % (KLINGE 2011). am Klärwerk. Weitere Einzelbeobachtungen Bestandssituation 1995–2004: Auch auf Sylt gelangen an der Tinnum-Burg, im Gehölz- hatte der Moorfrosch eine Rasterfrequenz streifen Klärwerk Rantum und vor Hörnum von 90 %. Er besiedelte die Marsch, die am Tümpel Ortseingang-Südseite. Das ehe- Geest und war in allen tieferen Dünentälern malige Moorgebiet gegenüber dem Tümpel mit anmoorigem Charakter zu finden. auf der Nordseite ist schon seit 2008 trocken Adulte Tiere sind selbst an den Brackwas- und ohne Moorfrösche. Die Rasterfrequenz serstellen des Lister Koogs (Abb. 6) und des für die gesamte Insel Sylt betrug 2009–2011 Rantum-Beckens nachgewiesen worden. 40 %. Laichhabitate und Landlebensräume Mit 58 Meldungen (Tab. 1) und 54 Fund- des Moorfrosches sind in besonderem Maße punkten war er die zweithäufigste Amphi- vom Wasserstand abhängig (Abb. 5 und 6). bienart auf Sylt (Abb. 5). Am häufigsten war War der Bestandstrend für die Art in Schles- er mit der Kreuzkröte vergesellschaftet wig-Holstein vielerorts zunächst rückläufig (RAHMEL & EIKHORST 1988, GROSSE et al. (KLINGE 2003), so dürfte sich die Situation in 2006). der jüngeren Vergangenheit insbesondere Seit 2008 ist die Art aufgrund des frühzeiti- durch die Vielzahl durchgeführter Maßnah- gen Trockenfallens von Laichgewässern of- men (Gewässeranlagen, Beweidungssys- fenbar gravierend zurückgegangen. In den teme zur Offenhaltung) durch die Stiftung großen Dünentälern östlich Rantums konn- Naturschutz Schleswig-Holstein zumindest ten seit dem Jahr 2008 keine Moorfrösche lokal bis regional vermutlich deutlich ver- mehr gefunden werden. Einzeltiere fanden bessert haben (DREWS & BRIGGS 2010). sich im Uferbereich des Rantumbeckens. Im In Schleswig-Holstein bestand vielerorts für NSG Sylt-Nord konnten im trockenen Früh- die Art ein rückläufiger Bestandstrend jahr 2011 in den Dünentalsenken keine (KLINGE 2003). Moorfrösche mehr nachgewiesen werden. Es gelangen nur vier Beobachtungen dieser Erdkröte (Bufo bufo) In Schleswig-Holstein ist die Art flächende- ckend vertreten. Sie hat landesweit eine ak- tuelle Rasterfrequenz von 65,2 % (KLINGE 2011). Die Nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr und Amrum sind von der Art besiedelt, wobei sie wahrscheinlich auf Amrum ein- geschleppt wurde (ROSSDEUTSCHER 2004, HERDEN 2005a, KLINGE & WINKLER 2005, GROSSE et al. 2006). Auf Sylt ist sie flächendeckend vertreten (44 Nachweise). Sie hat auf der Insel über den Zeitraum von 1995–2011 eine konstante Ras- terfrequenz von 60 %. Sie wurde in Gewäs- sern der Marschen im Osten der Insel bei Morsum, Archsum, Keitum und Tinnum, im Norden um List und im Süden um Ran- tum und Hörnum gefunden. Totfunde wur- den auch auf Straßen in Westerland und Wennigstedt getätigt. Die bedeutendsten Ruf- und Laichgewässer waren Druckwas- serstellen und Gräben im Lister Koog (wahrscheinlich hier 2005 die größte Popu- lation mit >500 Tieren), permanente Gewäs- Abb. 5: Verbreitung des Moorfrosches auf der ser (Alt-Priele) am Rand der Tinnumer Insel Sylt bis 2010 (blaue Kreise) und 2011 Marsch (2005 etwa 150 Rufer) und Tüm- (schwarze Kreise mit Punkt). pel/Straßengräben bei Morsum und Arch- 43
Abb. 6: Uferbereich des Lister Koogs 1995, Laichplatz des Moor- und Grasfrosches. Foto: Grosse Abb. 7 Flutungswiese an der Südseite des Lister Koogs 2011, Aufenthaltsort des Moorfrosches. Foto: Grosse 44
sum mit bis zu 50 Tieren. Eine große Rufge- der Marsch und von den Nordfriesischen sellschaft fand sich auch in einem nicht zu- Inseln nur wenige Vorkommen bekannt. gänglichen Feuerlöschteich in Morsum. Während von Amrum und Föhr ältere und Etwa 100 Rufer waren 2005 im Angelteich neuere Meldungen (DELFF 1975, ROSS- Morsum. Wandernde Erdkröten konnten DEUTSCHER 2004) vorliegen, scheint die Art unterhalb am Morsumer Kliff an der Wat- aktuell auf Sylt zu fehlen (DREWS 2005, tenmeerkante in den Jahren 2005, 2007 und GROSSE et al. 2006). Der Teichmolch soll nach 2009 beobachtet werden. Kleinere Popula- DELFF (1975) vereinzelt auf Sylt vorgekom- tionen besiedeln den Teich an der Kirche in men sein. Eine intensive Suche nach dem List und im Park in Wenningstedt. Teichmolch auch unter Einbeziehung der re- gionalen Presse ergab in den Jahren Grasfrosch (Rana temporaria) 2008–2011 keinen Nachweis (GROSSE 2008). Er gehört zu den häufigsten Amphibienar- Dabei wurden soweit wie möglich auch ten und besiedelt in Schleswig-Holstein alle Parkteiche, private Gartenteiche und Vieh- drei Hauptnaturräume (VOSS 2005, aktuelle tränken mit untersucht. landesweite Rasterfrequenz 60,7 %, KLINGE 2011). Auch auf Sylt ist er mit 24 Datensät- zen und einer Rasterfrequenz von 50 % Die Reptilien der Insel Sylt 2005–2011) die vierthäufigste Amphibienart. Er findet sich in Dauergewässern in der Es liegen Nachweise von drei Reptilienar- Marsch und Geest und fehlt in den Dünen- ten vor, wobei der Status der Blindschleiche tälern. Sicher in der Vergangenheit überse- unklar ist. Die festgestellten Individuen von hen sind Nachweise in List (Kirch-Teich, Würfelnatter und Kreuzotter sind nach- Parkteich, Lister Koog), Munkmarsch weislich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit (Sandgrube) und Tinnum (Burgtümpel, eingetragen worden (allochthon = nicht ur- Graben). Es sind nur wenige syntope Vor- sprünglich) (vgl. Tab. 3). Beide Arten wer- kommen mit dem Moorfrosch bekannt. den im Folgenden nicht näher behandelt. RAHMEL & EIKHORST (1988) erwähnen in der Die Reptilienfunde verteilen sich über die Vergangenheit größere Grasfroschvorkom- gesamte Insel Sylt. Der Schwerpunkt der men in der Sylter Marsch östlich von Wes- Verbreitung sind die Naturschutzgebiete im terland. Auch heute finden sich noch Norden und Süden der Insel. Auch in den Vorkommen am Nordrand des Rantumbe- Siedlungen, ausgenommen das Zentrum ckens, in Braderup und südöstlich von Mor- von Westerland, finden sich Reptilien sum (Abb. 9). Im Unterschied zum ebenfalls (KLINGE & WINKLER 2005, GROSSE et al. 2006). eurytopen Moorfrosch bewohnt die Art auf Sylt auch intensiv genutzte Agrarbereiche Waldeidechse (Zootoca vivipara) und den Siedlungsraum, wo auch die Erd- Die Waldeidechse ist die häufigste Repti- kröte vorkommt. lienart in Schleswig-Holstein (KLINGE 2005d). Sie kommt in allen Hauptnaturräu- Teichmolch (Lissotriton vulgaris) men vor (WOLLESEN 2005) und ist lediglich Vom Teichmolch werden alle Naturräume in der Marsch seltener (aktuelle landesweite Schleswig-Holsteins besiedelt (DREWS 2005). Rasterfrequenz 51,4 %, KLINGE 2011). Die Rasterfrequenz beträgt landesweit ak- Auf Sylt ist die Waldeidechse flächende- tuell 51,6% (KLINGE 2011). Dabei sind aus ckend vertreten. Sie ist mit 118 Meldungen Art Meldungen MtBlQ gesamt bis 1989 1990–2004 2005–2011 bis 2004 2005–2011 Waldeidechse 118 6 83 29 10 10 Zauneidechse 21 17 4 - 5 - Blindschleiche 7 1 6 - 2 - Tab. 3 : Nachweise und besetzte TK 25-Quadranten von Reptilien auf der Insel Sylt (Datei AFK Schleswig– Holstein 2011). 45
Art AFK/LLUR FP Univ. Halle Kartierung 1965–2011 1996–1998 2005–2007 2010–2011 Waldeidechse 112 3 43 4 Zauneidechse 19 - - - Tab. 4: Reptiliennachweise (FP Fundpunkte) auf Sylt, kartiert im Rahmen des Meeresbiologischen Prak- tikums der Universität Halle. aus 112 Fundpunkten und einer Rasterfre- kam (Abb. 9). Die geringe Zahl von Nach- quenz von 100 % die häufigste Reptilienart. weisen 2010/2011 ist dem kühlen Wetter zur Sie bewohnt vorzugsweise Randstandorte Exkursionszeit geschuldet (s. a. Zaunei- von anmoorigen Dünentälern ebenso wie dechse) und nicht repräsentativ. faschinenbewehrte Uferränder von Gräben und Altprielen in der Marsch. Am Rande Zauneidechse (Lacerta agilis) der Siedlungen tritt sie in großer Dichte um Die Zauneidechse ist ein typischer Vertreter Hörnum, Rantum und Keitum auf. Etwas der Geest und des südlichen Hügellandes seltener ist sie zwischen Westerland und Schleswig-Holsteins (WOLLESEN & WRANGEL Wenningstedt, wird dagegen weiter nörd- 2002, HARBST 2005a). Aus der Marsch liegen lich um Kampen und in Sylt-Nord wieder keine aktuellen Fundortmeldungen vor außerordentlich häufig. (HARBST 2005, KLINGE 2011). Die Küstenlagen Eine flächendeckende Kartierung der Wald- von St. Peter-Ording (Halbinsel Eiderstedt) eidechse erfolgte in den Jahren 2005–2007 und von Hörnum (Sylt) sind überregional durch die Biologiestudenten der Martin- gesehen die Ausnahme. Die aktuelle Ras- Luther-Universität Halle-Wittenberg in den terfrequenz für Schleswig-Holstein beträgt Randbereichen der Siedlungen, wodurch 13,3 % (KLINGE 2011). die hohe Zahl an Beobachtungen zustande Für die Insel Sylt liegen 21 Meldungen von 19 Abb. 8: Wassergefüllte Senke im Grasland bei Morsum, gemeinsames Vorkommen des Moor- und Gras- frosches 2008. Foto: Grosse 46
im Jahr 2005 zwischen Anfang April und Ende September an zehn Terminen poten- zielle Habitate auf der Insel gezielt, aber er- folglos nach Zauneidechsen abgesucht (pers. Mitt. 2005). Es ist nicht völlig auszuschließen, dass die Art ehemals eingeschleppt worden ist (vgl. WARNECKE 1954, DELFF 1975). Sonstige Reptilienarten Die Geest und das Östliche Hügelland Schleswig-Holsteins sind von der Blind- schleiche (Anguis fragilis) flächendeckend besiedelt. Die Art fehlt in der Marsch (HER- DEN 2005b). Die aktuelle Rasterfrequenz in Schleswig-Holstein beträgt 29,0 %. Die Blindschleiche ist auf Sylt aus dem Leucht- turm-Wäldchen in Hörnum und aus Park- anlagen in Westerland und Wenningstedt seit dem Jahr 2002 bekannt (6 Meldungen). Davor datiert nur noch ein Fund aus dem Jahr 1971 aus Westerland. Denkbar ist eine Verschleppung auf die Insel mit Bau- oder Abb. 9: Verbreitung der Waldeidechse auf der Pflanzenmaterial. Neuere Meldungen lie- Insel Sylt bis 2011 (blaue Kreise). gen derzeit nicht vor. Die Kreuzotter (Vipera berus) bewohnt in FP vor (Tab. 3 und 4), die den Zeitraum von Schleswig-Holstein die Geest und das östli- 1840 bis 2003 umfassen. Die Beobachtungen che Hügelland (HARBST 2005b). Der aktuelle von Herrn W. VÖLKL (pers. Mitt.) aus dem landesweite Verbreitungsstatus beträgt Jahr 1984 sind sehr detailgenau. Er konnte im 19,4 % (KLINGE & WINKLER 2005). Die Kreuz- Rahmen eines Praktikums als angehender otterfunde auf Sylt (List, Westerland, Mor- Biologe an verschiedenen Stellen der Insel sum) sind nicht ausreichend beschrieben. Sylt Zaun- und Waldeidechsen zu etwa glei- Denkbar ist eine Einschleppung mit Liefe- chen Anteilen beobachten: Hörnum (Steintal, rungen von Torf oder Faschinenmaterial in Ortsrand West, Weiße Düne, Krötenzaun), den Jahren 1969–1975. DELFF (1975) er- Rantum Süd (Schulungsheim), Kampen (Bra- wähnte keine Schlangen auf der Insel Sylt. deruper Heideweg), Morsum Kliff und List VÖLKL (s. Zauneidechse) fand 1984 keine (Jugendherbergstal, Ellenbogen). Auf unserer Blindschleichen oder Schlangen auf der Meeresbiologischen Exkursion im Jahr 2003 Insel. WARNECKE (1954) führte alle Schlan- fand Frau S. HOFMANN am 2. Mai auf der genfunde auf den Nordfriesischen Inseln Weißen Düne bei Hörnum ein prächtiges auf Verschleppung mit Materiallieferungen Männchen der Zauneidechse, wahrschein- zurück. Im Jahre 2005 wurde in einer Reet- lich die letzte frei lebend beobachtete Zau- Lieferung aus Ungarn eine junge Würfel- neidechse auf der Insel. In den Jahren 2005 natter (Natrix tesselata) gefunden, die so auf bis 2011 wurden durch die Studenten der dem Schienenweg die Insel Sylt erreichte. Halleschen Exkursionen jährlich alle be- Sie wurde in eine Privathaltung überführt. kannten Fundstellen und deren weitere Um- gebung leider ohne einen Nachweis der Zaun- eidechse abgesucht (Abb. 9). Dadurch ist als Nebeneffekt die große Zahl von Waldei- Gefährdung und Schutz der Amphibien dechsenfunden in den letzten Jahren be- und Reptilien auf Sylt gründet. Auch anhand der historischen An- Während in weiten Teilen Schleswig-Hol- gaben von BOIE (1840/1841) und DELFF (1975) steins durch umfangreiche Schutzmaßnah- lässt sich ein starker Bestandsrückgang der men der Stiftung Naturschutz und anderer Zauneidechsen ableiten. Herr C. WINKLER hat Träger die Bestandssituation vieler Amphi- 47
bien- und Reptilienarten deutlich verbessert Gesamt Jan.–Mai werden konnte (vgl. KLINGE 2011), hat sich (mm) (mm) deren Situation (in den Primärhabitaten) auf der Insel Sylt in den letzten Jahren drama- 1989 484 180 tisch verschlechtert. Derzeit muss die Hälfte 1999 896 214 der Arten als bestandsgefährdet einge- 2009 680 167 schätzt werden (KLINGE 2003, KLINGE & 2010 744 139 WINKLER 2005). Ehemals häufige Arten sind 2011 553 122 heute nur noch selten zu finden. Sylt trifft es umso schwerer, dass folgende drei Arten Tab. 5: Niederschlag auf der Insel Sylt (nach Wet- gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie terstation List/Sylt, www.dwd.de) der Europäischen Union von gemeinschaft- lichem Interesse sind und im Anhang IV ge- auf der Insel vor, während sich festlandsei- listet sind: Kreuzkröte, Moorfrosch und tig der Küstenstreifen der Nordfriesischen Zauneidechse. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 11 Marsch als äußerst lebensfeindlich für diese BNatSchG handelt es sich nach nationalem Arten erweist (KLINGE & WINKLER 2005). Im Recht zugleich um streng geschützte Arten. Folgenden soll die Gefährdungssituation Aufgrund ihrer Einstufung in der FFH- für ausgewählte Arten näher dargestellt Richtlinie unterliegen diese Arten einer auf werden. Monitoring basierenden kontinuierlichen Berichtspflicht. Die Rote Liste führt die Kreuzkröte Kreuzkröte in der Kategorie 3 (gefährdet), Auch aus zoogeografischer Sicht ist Moorfrosch V (Vorwarnliste) und Zaunei- Deutschland für die Kreuzkröte „in hohem dechse 2 (stark gefährdet) (KLINGE 2003). Maße verantwortlich“, weil es etwa im Darüber hinaus sind die Vorkommen dieser Arealzentrum liegt und so einen großen Teil Arten auf der Insel Sylt auch aus Landes- der Gesamtpopulation beherbergt (STEINI- sicht etwas Besonderes, denn sie kommen CKE et al. 2003, HENLE et al. 2004). In der Ver- Abb. 10: Habitat der Zauneidechse, letzter Nachweis 2003, Dünental Hörnum Spitze 2008. Foto: Grosse 48
Abb. 11: Ausgetrocknetes Dünental zwischen Rantum und Hörnum 2008. Foto: Grosse Abb. 12: Großflächige Flutungsstellen im Dünental Ellenbogental im NSG Sylt Nord im Jahr 1995. Foto: Grosse 49
teilung der Fundorte der Kreuzkröte in war das zuletzt in den Jahren 1997, 1998 und Schleswig-Holstein nehmen die Küstendü- 2002, 2003 der Fall (GROSSE et al. 2006). Sie nen einen vorderen Platz ein (KLINGE & tragen kaum zur Reproduktion bei. Sie sind WINKLER 2005). Sie stellen Primärhabitate meist mit Fischen besetzt. Die großen Spen- für die Art dar. Für das rasante Verschwin- derpopulationen (SINSCH 1998) waren stets den der Vorkommen und Individuen der die Dünentalpopulationen. Der komplizier- Kreuzkröte ist sicherlich eine ganze Reihe ten Dynamik des Wassers folgt im Ellenbo- von Faktoren verantwortlich, deren Wir- gental und im Lister Koog ständig der kung im Einzelnen derzeit nur mangelhaft Druck der Sukzession durch sich ausbrei- bekannt ist. Der mittlere Grundwasserspie- tendes Schilf. Dadurch verringert sich die gel liegt gegenwärtig etwa in Höhe der freie besonnte Flachwasserfläche ständig Sohle der Dünentäler (Abb. 11 und 12). (BRETSCHNEIDER 1998). Akuter Handlungsbe- Durch langjährige Niederschlagsdefizite darf besteht. Es könnten derzeit nur durch steht im April/Mai fast kein Frei-Wasser Austiefung einiger Senken im Dünental sol- mehr an. Die Wasserdefizite gehen eindeu- che Flutungsstellen erzielt werden. Dazu tig zulasten der Verteilung der jährlichen müsste der Boden verdichtet werden, sodass Niederschläge in den Monaten Januar bis Sickerwasser/Grundwasser seitlich zulau- Mai (Tab. 5). Das besonders trockene Jahr fen kann. Neben der Anlage von „Flutungs- 1989 hatte im Frühjahr immerhin 180 mm stellen“ (unter Erhaltung schützenswerter Niederschlag. Das feuchteste Jahr der letz- Vegetationsbestände) sollten diese Gewässer ten 20 Jahre war 1999 mit 896 mm (bei möglichst in extensiv beweidetete Flächen einem langjährigen Mittel für Sylt von 745 integriert werden. Durch extensive Rinder- mm) und 214 mm im Frühjahr. Das Jahr beweidung (mit Robustrindern) können sol- 2011 hatte demgegenüber nur 533 mm und che (potenziellen) Laichhabitate längerfristig vom Januar bis Mai 122 mm Niederschlag. offen gehalten werden. Der Rückgang seit 2009 ist beängstigend. Auch die vermehrte Grundwasserentnahme Moorfrosch (Siedlungen, Hotelanlagen, Golfplätze) Unter den Ruf- und Laichgewässern des trägt lokal zur Absenkung des Grundwas- Moorfrosches dominieren die Tümpel und serspiegels bei. Druckwasserstellen (GROSSE et al. 2006), die In der Folge tritt Gewässermangel ein, die vorwiegend im Dünen- oder Wiesenbereich Reproduktion bleibt aus. Die Kreuzkröte ist liegen. Gleich der Kreuzkröte konnten im Jahr aufgrund ihrer Biologie auf eine breit gefä- 2011 nur vier Vorkommen durch Nachweise cherte Vermehrung angewiesen (SINSCH adulter und juveniler Tiere bestätigt werden. 1998, SCHMIDT 2011). Dabei spielen be- Allerdings waren auch im trockenen Frühjahr sonders flache großflächige Gewässer bei 2011 die Beobachtungsmöglichkeiten extrem der Entwicklung der Larven und der Zahl erschwert. Die Dünentalhabitate waren man- der Juvenes eine entscheidende Rolle gels Druckwasser ausgetrocknet. In den (GOLAY 1996). Andere Primärhabitate der Grabensystemen, Wiesensenken und Alt- Art liegen im Einflussbereich des Watten- prielen des Marschlandes wurden 2011 kei- meeres und führen in trockenen Jahren ne Moorfrösche gefunden. Nachteilig für die durchweg brackiges Wasser (Lister Koog, Art kommt dazu, dass in Kleinstpopulatio- Bermen der Salzwiesen am Westellenbogen, nen die typischen Paarungs- (Revier?)-Rufe Dünenfuß-Senken der Westküste). Es gab ausbleiben, zumindest ist die Partnerfin- 2010 und 2011 an den vorher genannten dung schwierig (SCHNEIDER 2005, GLANDT Standorten keine durch Süßwasser beein- 2006, SCHNEIDER & GLANDT 2008). Derzeit gibt flussten Abschnitte mehr, wo eine Repro- es keine verlässlichen Angaben zu Mini- duktion möglich wäre. Die Messungen malgrößen der Überlebensfähigkeit in ergaben eine Leitfähigkeit >3000 µS (ent- Kleinstpopulationen. Eine Bestandszunah- spricht etwa Brackwasser). Die Sekundär- me kann durch Anlage von Flutungsflächen habitate (Dorfteiche, Gräben, Vogelkojen, erzielt werden (BRANDT & GEBHARD 2008). Kiesgruben, Gartenteiche) wurden auf Sylt Eine Stabilisierung der Moorflächen in den nur in Jahren mit hohen Individuenzahlen Dünentälern könnte Abhilfe bringen (GLANDT besiedelt. Unseren Beobachtungen zufolge 2008). 50
Abb. 13: Ellenbogental im Jahr 2005 mit beginnender Sukzession. Foto: Grosse Abb. 14: Ausgetrocknetes Ellenbogental im Mai 2011. Foto: Grosse 51
Ein wirksamer Schutz für die Herpetofauna Rückgang der sommerlichen Sonnenschein- besteht in der Erhaltung der Dynamik der dauer im vergangenen Jahrzehnt könnte Primärhabitate der Küstenlandschaft auf auch zum Rückgang beigetragen haben. Das Sylt. Die Folgen der Winderosion zeigten Genannte wirkt sich nachteilig auf den sich am deutlichsten an der Westseite der Schlupferfolg aus (BLANKE 2010) und könn- Wanderdünen im NSG Sylt-Nord. Die Sen- te das Aussterben der Art auf Sylt erklären ken am Dünenfuß trugen noch vor zehn Jah- (Abb. 10). Andere Beobachtungen legen eine ren eine braungraue Schicht aus Ablagerun- Verfestigung des Oberbodens im Siedlungs- gen von Tümpelsedimenten, die die Flach- genauso wie im Dünen(Krähenbeeren)be- gewässer abdichteten. Randständig wuchs reich nahe. Offene Sandbereiche mit lückiger ein dichter Saum aus Wollgras und Sonnen- Vegetation wurden immer seltener (WINKLER tau. Gegenwärtig hat der Wind das Sediment 2011, pers. Mitt.). Dazu kommt noch die zu- vollständig abgetragen. Die dünne Pflan- nehmende Isolation der Vorkommen, was bei zendecke ist größtenteils verschwunden. Es kleinen Populationen schneller zum Aus- bleibt spekulativ anzunehmen, dass eine wei- sterben führt. Eine wichtige Schutzmaßnah- tere Austiefung der Senken durch den Wind me wäre, Teile der Küstenheiden nach na- neue Wasserstellen schafft (Abb. 13). turschutzfachlicher Abstimmung extensiv beweiden zu lassen. Damit würden in ehe- Zauneidechse maligen Zauneidechsen-Habitaten hetero- Das großräumige Verschwinden der eierle- gene Vegetationsstrukturen und Sandanris- genden Zauneidechse auf der Insel kann eine se wieder entstehen. Im Binnenland Schles- Folge der sich ständig verändernden Nieder- wig-Holsteins hat sich dies bereits bewährt schlags- und Grundwasserverhältnisse der (WINKLER 2011, pers. Mitt.). letzten 30 Jahre sein. Flach deponiert trock- Weiterreichende Gefährdungen betreffen nen die Gelege im Sand aus. Werden sie tie- insgesamt den Lebensraum der Amphibien fer abgelegt, sind die Temperaturen für die auf der Insel, der durch die Siedlungstätig- Entwicklung der Gelege suboptimal. Der keit ständig kleiner wird. Ernst zu nehmen Abb. 15: Ausgetrocknete Moorsenke mit Restbeständen von Sonnentau am Fuß der Westseite der Wander- düne im NSG Sylt-Nord 2011. Foto: Grosse 52
Abb.16: Der Moorfrosch (oben links) und die Kreuzkröte (oben rechts) sind auf Sylt akut bedroht, dagegen sind Erdkröte (unten links) und Waldeidechse (unten rechts) sehr häufig. ist auch der globale Klimawandel. Hier dem für die Auswertung insgesamt 416 Da- könnten die Gründe für die beschriebenen tensätze aus den Jahren 1965–2011 für die langfristigen Veränderungen der Nieder- Insel Sylt zur Verfügung standen. schläge und deren Verringerung in der ers- Die Herpetofauna der Insel Sylt umfasst ten Jahreshälfte liegen. fünf Amphibienarten. Mit 133 Meldungen war die Kreuzkröte die am häufigsten be- obachtete Art. Gegenwärtig wird ein rasan- tes Verschwinden der Vorkommen der Kreuzkröte beobachtet. Die Hauptursachen liegen im Austrocknen der Dünentäler, der Zusammenfassung Riesige Wattflächen im Osten und kilome- fortschreitenden Gewässersukzession und terlange Sanddünen im Norden und Süden der Winderosion. Fehlende Frühjahrsnie- bestimmen den Charakter der Insel Sylt. derschläge und der Klimawandel könnten Dem Marschland Schleswig-Holsteins vor- ursächlich ebenso wie die stetig steigende gelagert, konnte sich hier eine ganz spezifi- Grundwasserentnahme die Veränderungen sche Amphibien- und Reptilienfauna hervorgerufen haben. Mit 58 Meldungen etablieren. war der Moorfrosch die zweithäufigste Am- Im Rahmen der vorliegenden Untersuchun- phibienart. Am häufigsten war er mit der gen wurden die Daten der meeresbiologi- Kreuzkröte vergesellschaftet. Gegenwärtig schen Exkursionen der Studenten der zeigt diese Art parallel zur Kreuzkröte einen Martin-Luther-Universität Halle-Witten- beängstigenden Rückgang. Auf der Insel ist berg in den Jahren 1991–2011 ausgewertet. weiterhin die Erdkröte (44 Nachweise) flä- Diese flossen in das Arten- und Fund- chendeckend und der Grasfrosch (24 Nach- punktkataster Schleswig-Holsteins ein, in weise) lückig verbreitet. Der Teichmolch 53
konnte aktuell nicht (mehr?) nachgewiesen BRETSCHNEIDER, P. (1999): Ökologische und bio- werden. akustische Untersuchungen an der Kreuzkröte Auf der Insel Sylt gibt es drei Reptilienarten. (Bufo calamita LAURENTI, 1768) im Gebiet von Halle/Sa. und auf der Insel Sylt. – Dipl. Arb. Univ. Die Waldeidechse (118 Nachweise) ist flä- Halle. chendeckend vertreten. Die Art ist von Ha- DELFF, C. F. (1975): Die Tierwelt. – S. 645–665. In: bitatverlusten durch fortschreitende urbane L. PETERS (Hrsg.): Nordfriesland. Heimatbuch für Nutzung der Landschaft bedroht. Für die die Kreise Husum und Südtondern. – (Verlag C.F. Zauneidechse liegen 21 Nachweise vor. Sie Delff) Husum. umfassen den Zeitraum von 1840 bis 2003. DIERKING, U. (1994): Verbreitung und Status der Trotz jährlicher gezielter Suche an den Alt- Kreuzkröte in Schleswig Holstein. – Ber. Landes- standorten der Art konnten ab dem Jahr 2004 amt Umweltsch. Sachsen-Anhalt. 14: 4–5. keine Zauneidechsen mehr gefunden werden. DREWS, A. (2005): Teichmolch Triturus vulgaris (LINNAEUS, 1758). – In: KLINGE, A. & C. WINKLER Die Ursachen des Verschwindens der Art (Bearb.) (2005): Atlas der Amphibien und Repti- können mit den langfristigen Veränderungen lien Schleswig-Holsteins. – (LANU & FöAG) Flint- der Niederschlagsverhältnisse in Zu- bek: 32–37. sammenhang gebracht werden. Die Blind- DREWS, H. & L. BRIGGS (2010): Die erfolgreiche Am- schleiche wurde seit dem Jahr 2002 sechsmal phibieninitiative der Stiftung Naturschutz Schles- gemeldet, wobei sie möglicherweise mit wig-Holstein. RANA 11: 71–74. Baumateriallieferungen eingeschleppt wur- GOLAY, N. (1996): Die Kreuzkröte (Bufo calamita de. Als wichtige Schutzmaßnahmen für Am- LAUR.) als Pionierart. – Diss. Univ. Basel. GROSSE, W.-R (2008): Wasserdrachen verzweifelt phibien sind die Anlage bzw. Wiederher- gesucht… – Sylter Rundschau vom 18.04.2008, stellung von geeigneten Laichgewässern in S. 1. den Dünentälern sowie die Einrichtung von GROSSE, W.-R., ULBRICH, K., MEYER, F., WISSEL, CH. extensiven Rinderweiden in Teilen der Küs- & TH. STEPHAN (2002/2003): Untersuchungen zur tenheiden anzusehen. Bestandssituation und Abschätzung des Extink- tionsrisikos der Kreuzkrötenpopulationen (Bufo calamita) im Saaletal nördlich von Halle. – Jahres- schrift für Feldherpetologie und Ichthyofaunistik Sachsen 7: 91–101. Danksagung GROSSE, W.-R., HOFMANN, S. & A. DREWS (2006): Ich danke allen Exkursionsteilnehmern der Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt: Histori- Sylt-Exkursionen 1991–2011 der Martin-Lu- sche Entwicklung, Verbreitung und Ökologie. – ther-Universität Halle-Wittenberg und dem Zeitschrift für Feldherpetologie, Supplement 10: Alfred-Wegener-Institut für Polar- und 203–216. Meeresforschung, Wattenmeerstation List. GÜNTHER, R. & F. MEYER (1996): Kreuzkröte – Bufo Ebenso danke ich dem Landesamt für Land- calamita LAURENTI, 1768. – In: R. GÜNTHER (Hrsg.): wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Die Amphibien und Reptilien Deutschlands. – (Fi- Schleswig-Holstein, Herrn A. Drews, für die scher Verlag) Jena. HARBST, D. (2005a): Zauneidechse Lacerta agilis Bereitstellung der Daten. PD Dr. W. Völkl LINNAEUS, 1758. – In: KLINGE, A. & C. WINKLER stellte freundlicherweise Daten aus seinen (Bearb.) ( 2005): Atlas der Amphibien und Repti- herpetologischen Aufzeichnungen zur Ver- lien Schleswig-Holsteins. – (LANU & FöAG) Flint- fügung. Dr. J. Müller half bei der Beschaf- bek: 138–143. fung von Wetterdaten. Den Herren Ch. HARBST, D. (2005b): Kreuzotter Viper berus (LIN- Winkler, A. Klinge und Dr. J. Eigner danke NAEUS, 1758). – In: KLINGE, A. & C. WINKLER ich für die konstruktive Manuskriptdurch- (Bearb.) ( 2005): Atlas der Amphibien und Repti- sicht und für viele Hinweise. lien Schleswig-Holsteins. – (LANU & FöAG) Flint- bek: 166–171. HELLE, D. & C. WINKLER (2005): Naturräumliche Gliederung Schleswig-Holsteins. – S. 9–23. In: Literatur KLINGE, A. & C. WINKLER (Bearb.)( 2005): Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins. – BLANKE, I. (2010): Die Zauneidechse. – Zeitschrift (LANU & FöAG) Flintbek. für Feldherpetologie, Beiheft 7 (Laurenti-Verlag) HENLE, K., STEINICKE, H. & GRUTTKE, H. (2004): Ver- Bielefeld. antwortlichkeit Deutschlands für die Erhaltung BOIE, F. (1840/1841): Zur Geschichte inländischer von Amphibien- und Reptilienarten: Methoden- Amphibien. – Naturhist. Tidsskrift 3: 207–213. diskussion und 1. Überarbeitung. – In: GRUTTKE, 54
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