Dynamiken im Bundesligaspiel beeinflussen - Bund ...
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10 BUND DEUTSCHER FUSSBALL-LEHRER QR-Code mit dem Smartphone scannen und Video ansehen Julian Nagelsmann | Trainer RB Leipzig Dynamiken im Bundesligaspiel beeinflussen Julian Nagelsmann, seit dieser Saison Cheftrainer bei RB Leipzig, gibt einen direkten Ein- blick in seine Gedanken sowie in die Arbeit als Trainer eines Bundesligisten und Champions- League-Teilnehmers. Dynamiken beeinflussen jeden Trainers ist es, die Spieler dazu zu bringen, dynamisch- Ein Trainer kann die in einem Spiel einwirkenden Dynamiken körperliche Aktionen auf dem Feld zu absolvieren, um Woche beeinflussen. Mit „Dynamiken“ sind keine körperlich-dynami- für Woche das erstrebte Ergebnis zu erzielen. schen Aktionen und Zweikampfaktionen der Spieler gemeint, sondern Geschehnisse und Wirkungsweisen im Spielverlauf. Faktoren der Entscheidung Das können unter anderem Schiedsrichterentscheidungen, Es gibt viele Faktoren, die die Entscheidungen eines Trainers Tore oder Platzverweise sein. Allgemein formuliert sind Dy- beeinflussen, nachfolgend eine Übersicht. namiken alle Eventualitäten, die man als Trainer in seine Ent- scheidungen mit einbeziehen muss. Grundlegende Athletik Zu den Einflussgrößen zählen auch die Zuschauer und Fans im Ein Entscheidungsfaktor ist unter anderem die athletische Stadion, weil auch sie eine große Bedeutung haben, wie sich Ausbildung der Spieler. Die Spieler, die bereits in der Mann- eine Dynamik innerhalb eines Spiels verändern kann. Es gibt schaft sind oder aber im Laufe des Transferfensters in den Club Dynamiken, die bereits im Vorfeld beeinflussbar sind. Ein Trai- kommen, sollen einen Grundstock an athletischer Ausbildung ner kann sich vor allem Gedanken darüber machen, was inner- haben, um die Ideen, Spielphilosophie und Anpassungen des halb der 90 Minuten oder in einer eventuellen Verlängerung Trainers innerhalb eines Spiels zu Dynamikveränderungen möglich ist. In der Vorbereitung eines Spiels sollte die Konzen- umsetzen zu können. tration aber auch darauf liegen, mögliche Dynamiken vorher- zusehen sowie sie bestenfalls schon im Vorfeld vorzubereiten Arbeit mit systemunabhängigen Spielprinzipien und zu beeinflussen, so dass man im Spiel nicht mehr allzu Daneben beeinflussen grundlegende Handlungs-Prinzipien spontan oder schlimmstenfalls überrascht reagieren muss. die Entscheidungen des Trainers. Prinzipien sind system- und Während des laufenden Spiels steht ein Trainer an der Seiten- positionsunabhängige „Regeln“ für Spieler, die immer gelten, linie und nimmt eine spezielle Spielwirkung oder eine wichti- unabhängig vom Ergebnis, vom Gegner oder der jeweiligen ge Veränderung wahr. Verläuft die Dynamik so, wie man sie Situation. Es sind Regeln, die keinen Bezug zu Grundordnung, sich vorgestellt hat, greift die im Vorfeld erarbeitete Strate- Angriffshöhe oder sonstigen taktischen Vorgaben haben. gie. Verläuft sie anders als geplant, versucht man sie ad hoc Beispiele für Prinzipien sind: „Offensiv das Zentrum suchen“ im Sinne der eigenen Mannschaft zu verändern. Das Ziel eines und „in der Defensive den tiefen Passweg blocken“. Dies sind
INTERNATIONALER TRAINER-KONGRESS 2019 11 Handlungsmuster, an die sich die Spieler immer halten sollen, Offensivspieler gepaart mit den defensivstärksten Spielern in ohne dass sie in der jeweiligen Situation die eigene Grundord- der aktuellen Form. So wird auch der Kader dahinter zusam- nung und die der Gegner kennen müssen. Grundordnungen mengestellt. Man beginnt gegen ein schwächeres Team mit sind in ihrer Interpretation bezüglich der darin praktizierten sieben oder acht offensiv denkenden Spielern. Das gilt für Ab- Spielweise extrem schwimmend. Deswegen basiert die Ar- wehrspieler genauso wie für offensive Mittelfeldspieler. Man beit auf übergeordneten, verlässlichen Prinzipien. Die Spieler stellt einen Spieleröffner in die Startelf und muss dann im Ka- sollen in jeder Situation im Spiel die geforderte Anpassung der dementsprechend reagieren. Gegen einen schwächeren machen können, nur, indem sie die Prinzipien ohne grundord- Gegner ist im Kader ein Defensivspieler, der relativ spät einge- nungsspezifische Themen umsetzen. wechselt werden soll, um das Ergebnis zu sichern. Man spielt also mit vielen Offensivspielern, versucht schnell in Führung Handlungsmuster für verschiedene Spielphasen zu gehen und wechselt relativ spät einen Defensivspieler ein, Der dritte wichtige Baustein sind Handlungsmuster in den je- um das Ergebnis zu sichern. weiligen Spielphasen. Die Spielphasen sind eigener Ballbesitz, Gegen starke Gegner sind dahingegen viele Defensivspieler gegnerischer Ballbesitz, die beiden Umschaltsituationen und auf dem Feld gepaart mit den Offensiven in bester Form. Auf Standardsituationen. Es gibt klar vorgefertigte Handlungs- der Bank sind dann einer oder mehr offensiv denkende Spie- muster für die Spieler, auf die sie zurückgreifen können. Diese ler, um frühzeitig reagieren zu können, falls die Dynamik in sind ebenfalls unabhängig von der Grundordnung. die eigene Richtung läuft und man den starken Gegner auf Die Spieler müssen die Prinzipien und Handlungsmuster ver- Basis einer guten Defensive bearbeitet. Dann kann der Trainer stehen und umsetzen können und die richtige athletische viel und früh Offensivspieler einwechseln. Der eigene takti- Ausbildung haben. Nur dann sind Spieler auch in der Lage, die sche Plan und die Stärken des Gegners beeinflussen damit also Entscheidungen des Trainers am Spielfeldrand so umzusetzen, immer auch die Kader- und Startelfentscheidung. dass die Dynamik zu Gunsten der eigenen Mannschaft beein- flusst werden kann. Prinzipien und Handlungsmuster werden Möglichkeiten der Beeinflussung den Spielern sowohl in der Vorbereitung als auch im laufen- Dynamiken während des Spiels zu beeinflussen ist wahr- den Ligabetrieb im Training vermittelt. All diese Themen be- scheinlich das Schwierigste, was ein Trainer innerhalb eines einflussen die zukünftigen Entscheidungen, die ein Trainer Spiels leisten muss. Zum einen muss er die Situationen erken- während eines Spiels oder während zukünftiger Spiele trifft. nen und im Beisein der Emotionen, die man als Trainer am Spielfeldrand (er)lebt und denen man sich nicht entziehen Der taktische Plan kann, versuchen, daran orientiert die richtige Entscheidung Ebenfalls wichtig ist es, für jedes einzelne Spiel einen takti- zu treffen sowie den Spielern zu vermitteln. schen Plan zu entwickeln, um Entscheidungen innerhalb des Ein Trainer kann Wechsel und taktische Veränderungen vor- Spiels zu erleichtern, da der taktische Plan gewisse Entschei- nehmen. Taktische Veränderungen können Anpassungen dungen abnimmt oder Wege für die richtige Entscheidung oder Änderungen der Grundordnung sein. Die Spieleranzahl aufzeigt. Man muss sich fragen, in welcher Art man erfolg- soll dadurch in bestimmten Räumen erhöht werden, um mehr reich gegen den jeweiligen Gegner sein möchte. Das machen Druck auf den Gegner zu bekommen. Zudem kann man die Trainer auf unterschiedliche Weise. Manche versuchen, ihren Pressingart oder Pressinghöhe verändern. In einem Spiel, in taktischen Plan durchzuspielen. Andere versuchen, viel anzu- dem man sehr hoch verteidigen möchte, besteht die Möglich- passen. Es gibt kein Patentrezept, jeder Trainer kann und muss keit die Grundordnung nach 20 Minuten anzupassen, wenn das für sich selber entscheiden. man nicht hoch genug in Balleroberungssituationen kommt, weil der Gegner anders eröffnet oder nur lange Bälle spielt. Kader- und Startelfzusammenstellung Eine weitere Variante besteht in der Anpassung der Pressing Es ist ratsam, sich an den Stärken des Gegners zu orientieren art, die von Angriffspressing auf Abwehrpressing variiert wer- und zu versuchen ihn in eine Kategorie einzuteilen. Im ersten den kann. Auch die Verschiebung der Pressinghöhe von Linie Schritt sollte eine Bewertung stattfinden, ob der Gegner als 1 auf Linie 2 oder Linie 3 zu verändern, ist ein Ansatz, um die besser, schlechter oder ebenbürtig eingeordnet wird. Das ist Dynamik innerhalb eines Spiels wieder in die eigene Richtung nicht immer ganz einfach, weil man viele Faktoren mit ein- zu lenken. beziehen muss. Dazu gehören Neuzugänge, der Verlauf der Zudem kann ein Trainer Wechsel vornehmen. Wechsel sind Vorbereitung, die Stimmung in der Stadt und im Club. Es kann aber immer erst die zweitbeste Lösung. Idealerweise ist die zusammen mit dem Trainerteam ein Raster durchgegangen Zusammenstellung des Kaders und der Startelf so gut, dass werden, um den kommenden Gegner realistisch einzuordnen. man die taktischen Veränderungen im Laufe des Spiels vor- Das wird gemacht, weil es einen extremen Einfluss auf den nehmen kann, ohne zu wechseln. Kader und die Startelf hat. Es sollen immer die Spieler auf dem Spieler lassen sich unterscheiden in diejenigen, die Mentalität Platz sein, die den taktischen Plan am besten umsetzen kön- und diejenigen, die Qualität verkörpern. Diese Unterschei- nen. Wenn man auf Konter spielen will, ist es ratsam, schnelle dung muss nicht immer eindeutig sein, denn idealerweise gibt Stürmer aufzustellen. Außerdem braucht man Abwehrspieler, es Spieler, die beides vereinen. Bei einem taktischen Wechsel die im Strafraum eine gute Mann-gegen-Mann-Verteidigung sollte immer ein Spieler auf das Spielfeld kommen, der Quali- spielen, wenn der Gegner viel flankt und man nach einer Ball tät mitbringt. Dabei ist es egal, ob der taktische Plan mit der eroberung aus einer tiefen Position kontern will. Auswechslung verändert oder fortgeführt wird. Wenn man im Spielt man gegen einen stärkeren Gegner, kann man davon Spiel merkt, dass die auf dem Spielfeld befindlichen Spieler ausgehen, dass man innerhalb des Spiels weniger Ballbesitz- gerade wenig taktische Lösungen haben und die Mannschaft phasen und mehr Pressingmomente haben wird. Bei einem trotz versuchter Anpassungen völlig aus der Dynamik ist, dann schwachen Gegner hat man mehr Ballbesitzphasen und mehr kann man als Trainer auch über einen Mentalitätswechsel Gegenpressingaktionen. Wenn man mehr Ballbesitz hat, ver- nachdenken. liert man den Ball gelegentlich und muss stark im Gegenpres- In Hoffenheim gab es einen Spieler, der ein Paradebeispiel für sing sein. Wenn man gegen einen sehr guten Gegner spielt, einen Mentalitätswechsel war, weil er polarisiert und die an- sollte man die stärksten defensiv denkenden Spieler aufstel- dere Mannschaft, den Schiedsrichter sowie die Zuschauer auf len zusätzlich zu den drei oder vier offensiv stärksten Spielern sich gezogen hat. Er hat durch seine Art und Weise zu spielen in der aktuellen Form. auch die eigene Mannschaft emotional gestärkt. Wenn das ei- Wenn man gegen einen gleichwertigen oder schwächeren gene Team dann wieder emotional stark und das Stadion auf Gegner spielt, bringt man eher die sieben oder acht stärksten Seiten der eigenen Mannschaft ist, kann der Trainer über tak-
12 BUND DEUTSCHER FUSSBALL-LEHRER tische Veränderungen nachdenken. Nur dann haben die Spie- Dynamiken sind fortlaufend ler die Stabilität im Kopf, taktisch zu reagieren. Wenn man Eine Dynamik im Teamsport ist im Spielverlauf immer fortlau- einen taktischen Spielerwechsel vollzieht, sollte man immer fend. Man muss sie im Prinzip alle ein bis zwei Minuten neu versuchen, die Dynamik inhaltlich basiert zu verändern. Es bewerten. In einem normalen Stadion sind 40.000 Zuschauer. kann auch mal sein, dass man taktisch wechselt, um die schon Jeder davon bildet sich relativ schnell eine Meinung. Genauso gute Dynamik beizubehalten. ist das bei den Spielern. Sie haben ständig Entscheidungen auf dem Feld zu treffen und all diese Entscheidungen verändern Der Faktor Mut die Dynamik. Für die Punkte, die man vor und während eines Spiels beden- Man muss als Trainer auch versuchen, fortlaufend innerhalb ken muss, gibt es Leitlinien. Es geht darum, was ein Trainer eines Spiels eine Entscheidung zu treffen. Das beginnt zwei machen kann, um Dynamiken nahezu immer positiv zu beein- Tage vorher bei der Gegnervorbereitung und zieht sich durch flussen und um Spieler innerhalb eines Spiels zu unterstützen. das ganze Spiel. Ein Trainer muss ständig entscheiden, dann Manchmal ist der taktische Einfluss begrenzt, aber dann kann reflektieren, dann wieder entscheiden und wieder reflektie- ein Trainer andere Handlungen unternehmen, um die Spieler ren. Nur auf diese Weise ist es möglich, die Dynamik über die wieder in den „Flow“ zu bekommen. komplette Spielzeit so zu beeinflussen, dass man am Ende ge- Ein Trainer sollte mutig und selbstbewusst sein. Es bringt we- winnen kann. Das ist natürlich kein Rezept dafür, dass man nig, ständig von Mut zu sprechen, wenn alle Entscheidungen alle Spiele gewinnt, aber es ist eine hilfreiche Grundidee. Es eigentlich von Angst geprägt sind. Der Trainer sollte den Spie- reicht nicht als Trainer auf Spitzenniveau vor dem Spiel Ent- lern auch durch mutige Entscheidungen vorleben, was es be- scheidungen hinsichtlich des taktischen Plans, der Startelf und deutet Risiken einzugehen. des Kaders zu treffen und den Spielern dann damit viel Erfolg zu wünschen. Der Faktor Fans Fans und Zuschauer haben einen extremen Einfluss auf die Dy- Der Faktor Spieler namik im Fußball. Deshalb sollte ein Trainer immer versuchen, Zu guter Letzt muss ein Trainer die Spieler durch Entscheidun- Entscheidungen zu treffen, die offensiv und attraktiv sind, um gen unterstützen und beschützen. Wenn ein Spieler sich an die Zuschauer für die eigene Dynamik zu nutzen und zu ge- das hält, was man ihm sagt, ist er immer geschützt vor der winnen. Das muss nicht immer bei einem Heimspiel sein. Es ist Presse und den Fans. auch auswärts schön, wenn das Stadion relativ schnell ruhig Wenn die Spieler sich nicht daran halten, müssen sie ständig wird, weil man offensiv und attraktiv spielt. So bekommt man selbst Entscheidungen treffen und versuchen, die Dynamik zu eine Dynamik in die eigene Richtung. beeinflussen. Sie haben aber einen enormen Druck und müs- sen am Ende des Tages etwas mit dem Ball anfangen und kön- Der Faktor Spielerwechsel nen nicht immer überlegen, wie sie die Dynamik lenken. Das Spielerwechsel sollten zu einem frühen Zeitpunkt stattfinden. ist die Aufgabe des Trainers und die größte Unterstützung, Es wird allgemein immer spät gewechselt, überwiegend, um die man den Spielern geben kann. Man kann versuchen, den Zeit von der Uhr zu nehmen. Ein Wechsel ist als Einwechslung Spielern die übergeordneten Themen abzunehmen. Dann ha- und nicht als Auswechslung zu sehen. Man sollte sich einen ben sie die Kapazität im Kopf, Unterschiedsspieler zu sein. Das Spielerwechsel zu Nutzen machen, da es nicht darum geht zu ist dann der ausschlaggebende Faktor, der unterscheidet, ob sehen, welchen Spieler man rausholen muss, sondern darum, man ein herausragender Spieler oder ein guter Bundesliga welche Chance die Spieler auf der Bank bieten. Es gibt zwar spieler ist. Deshalb sollte ein Trainer immer wieder versuchen immer auch Situationen, in denen ein Trainer die Dynamik gut durch Entscheidungen, die er ständig reflektiert, die Spieler verändern kann, wenn er einen Spieler vom Feld holt. Trotz- zu beschützen, ihnen Druck zu nehmen und sie innerhalb ei- dem sollte er Einwechslung vor Auswechslung sehen. nes Spiels zu unterstützen. ‹
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