Ebay-süchtig: Über den virtuellen Markt und das Sammeln

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Ebay-süchtig: Über den virtuellen Markt und das Sammeln
Ebay-süchtig:
Über den virtuellen Markt und das Sammeln

Im Jahr 1999 wurden die guten alten Flohmärkte neu erfunden. Im Zuge
der Verbreitung des Internets in Deutschland startete ein Unternehmen,
das seit 1995 in den USA bereits große Erfolge mit seinem Konzept erzielt
hatte und das sich Ebay nennt. Ebay setzt sich zusammen aus den beiden
Wörtern »electronic« und »bay«, meint also die Möglichkeit, elektronisch
einzukaufen.
    Die Idee des Ebay-Konzepts war einfach, denn der übliche Flohmarkt
sollte einfach nur »online« abgewickelt werden. Eine Internet-Plattform
ersetzt nun den Platz und die Stände und eine spezielle Suchfunktion
nach dem gewünschten Artikel erspart das Ablaufen der Stände zum
Vergleich. Da aber im Internet das Herunterhandeln des Preises aufgrund
der erschwerten Kommunikation kaum möglich ist, kehrte man genialer
Weise die Preisfindung um.
    Der Preis wird nicht gedrückt, sondern nach dem Auktionsprinzip
durch Abgabe von Geboten angehoben.
    Inzwischen gibt es Ebay in 32 internationalen Märkten auf vier
Kontinenten. Weltweit handeln ca. 276 Millionen Mitglieder in über
50.000 Kategorien mit Waren und Dienstleistungen, die im Jahr 2007
dem Konzern 348 Millionen US-Dollar Gewinn erbracht haben (Stand
Juli 2008).
    Ebay als internationale Tauschbörse ist bei Sammlern neben den
gelegentlichen, realen Tauschbörsen einfach wichtig und nahezu unum-
gänglich. Wie sonst könnte man sich so schnell einen derart umfassenden
Überblick über das gewünschte Objekt weltweit verschaffen? Mir jeden-
falls, der interessierten Beobachterin, ist schnell klar geworden, wie
wichtig dieser Markt für Brüchert ist und wie viel Zeit er verbringt, um
diesen Markt zum Erwerb und Verkauf seiner Pins zu überblicken.

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Ebay-süchtig: Über den virtuellen Markt und das Sammeln
Ein aktiver »Ebayer» ist im Bilde darüber, wer in seinem bevorzugten
Gebiet was sammelt. Durch den Kauf und Verkauf kommen Kontakte
zu Stande, die dem Sammler das Gefühl geben, sich trotz der räumlichen
Ferne in einer ihm bekannten und überschaubaren Gemeinschaft zu
befinden. Bei intensivem, oft mehrjährigem Stöbern innerhalb einer ganz
bestimmten Kategorie ist man schnell darüber im Bilde, wie umfangreich
die Sammlung des anderen ist, was für diesen von besonderem Interesse
ist und wie viel der Andere bereit ist, dafür zu zahlen. Das sind durchaus
wichtige Informationen für den Anbieter.
    Es ist typisch und kennzeichnend für Käufer und Verkäufer bei Ebay,
sich zu duzen und als Mitglied einer Community zu fühlen. Tatsächlich
gibt es auf der Homepage von Ebay neben den Kategorien »Kaufen«,
»Verkaufen«, »Mein Ebay« auch die der »Community«, in der sich unter
anderem Diskussions- und Hilfsforen finden.
    Es erscheint mir an dieser Stelle angebracht, auf dieses Vertraulichkeit
schaffende Phänomen einer virtuellen Gemeinschaft hinzuweisen, denn
das »Wir-Gefühl« der Ebayer hat durchaus und viel Mr. Pin zu tun.
    Ebayer verbindet der Wunsch, durch Kauf oder Verkauf von neuen
oder gebrauchten Objekten möglichst ein »Schnäppchen« zu machen,
aber auch unkompliziert und behaglich von zu Hause aus, Dinge zu
verkaufen oder zu erwerben. Der Marktplatz als uralter Platz der
Begegnungen und des Tausches ist aber zugleich der Platz von Gemein-
schaften. Im Brockhaus wird der Begriff der Gemeinschaft etwas um-
ständlich folgendermaßen beschrieben:
    »Vielschichtiger Begriff, bezeichnet das gegenseitige Verhältnis von Menschen,
die auf einer historisch gewachsenen, religiös-weltanschaulicher, politisch-
ideologisch, ideellen oder einen eng begrenzten Sachzweck verfolgenden Grundlage
verbunden sind: Volk, Nation, Staat, Kirche, Gemeinde, Ehe und anderes. Im
Gegensatz zu einer aus vielen, oft gegensätzlich orientierten Gruppen bestehenden
Gesellschaft ist die Gemeinschaft von einer mehr oder weniger stark entwickelten
Homogenität und Zielsetzungen bestimmt.«
                                     (Der Brockhaus, Leipzig-Mannheim, 1997)

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Ebay-süchtig: Über den virtuellen Markt und das Sammeln
Etwas einfacher formuliert Wikipedia:
Unter Gemeinschaft (herrührend von dem Wort »gemein«, vgl. »gemeinsam«)
versteht man die zu einer Einheit zusammengefassten Individuen (Gruppe),
wenn die Gruppe emotionale Bindekräfte aufweist und ein Zusammengehörig-
keitsgefühl (Wir-Gefühl) vorhanden ist (Beziehung).
http://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinschaft

   Um es zusammenzufassen: Das Konzept von Gemeinschaft ist so alt
wie die Menschheit selbst. Aber während es früher (lange vor Erfindung
des Internets) um nichts Geringeres als um die Sicherung des Überlebens
durch die und mit der Gemeinschaft ging, da man alleine kaum eine
reale Überlebenschance hatte, so ist heute das Bedürfnis nach Zugehö-
rigkeit, Geborgenheit und Rückhalt der Grund für den Herdentrieb.
Eine virtuelle Gemeinschaft wie Ebay als Ort zwischenmenschlicher
Verbundenheit mit individueller Entfaltung ist hierfür geradezu ideal.
Das Internet ermöglicht viele Formen der Kommunikation und Interaktion
ohne lästige Anwesenheitspflicht, dörfliche Enge oder Uniformitätszwang
realer Gemeinschaften. Nur ein einfacher, bequemer Mausklick bringt
den Suchenden zu jeder gewünschten Zeit in die virtuelle Gemeinschaft
hinein und genauso schnell wieder hinaus.
    Der virtuelle Markt ermöglicht nicht nur einen Blick auf ein riesiges,
sich immer wieder erneuerndes und nicht erschöpfendes Warenangebot,
sondern man kann hier auch Meinungen, wie z.B. die Bewertungen,
austauschen. Menschen, die sich einer virtuellen Gemeinschaft an-
schließen, fühlen sich durch die gemeinsamen Interessen ja verbunden.
Obgleich zu Hause alleine vor einem Bildschirm sitzend empfinden sie
die computergestütze Kontaktaufnahme zu den »Anderen« als lebensecht
und real – ein trügerisches Gefühl, denn auch bei allem Unterhaltungswert
handelt es sich niemals um wirkliche, »echte« Beziehungen.

Aber zurück zum virtuellen Layout von Mr. Pin, alias Erhard Brüchert,
alias Ebbe46:

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Ebay-süchtig: Über den virtuellen Markt und das Sammeln
Erhard Brüchert ist innerhalb der Ebay-Kategorie »Sammeln und Seltenes«
eine kaum zu übersehende Persönlichkeit für die Pin-Sammler und
darum widme ich ihm an dieser Stelle ein so ausführliches Kapitel im
Zusammenhang mit Ebay. Bei Ebay lautet sein Nickname »ebbe46«.
Unter einem »Nickname« versteht man »… im heutigen deutschen Sprach-
gebrauch einen (meist kurzen) Namen, den ein Computernutzer in der Regel
über längere Zeit im Internet oder auf LAN-Partys benutzt«
http://de.wikipedia.org/wiki/Nickname

                        Der beliebte Mr. Pin-Pin

Der interessierte Auktionist kann sich ein Bild
von dem Pin-Sammler machen, denn Brüchert
hat sich hier mit der Fotografie, die ihn als
»Mr.Pin« im offiziellen Expo-Bildband 2005
(Aichi), Seite 56, bezeichnet, eingestellt. Das abgebildete Foto ist prak-
tischer Weise auch auf dem »Mr. Pin-Pin« abgebildet, von dem Brüchert
etliche zum Verschenken und zum Tausch besitzt. Diese lustigen Pins
hat ihm der Chef der Firma Promex zum Geschenk gemacht und als
Besonderheit ist diese limitierte Aufgabe auf der Rückseite mit einer
Unterschrift von Erhard Brüchert versehen. Und so sieht das Bild, bzw.
der Pin aus und nun wissen Sie auch, was es mit dem Titelbild, das wir
für unser Buch ausgesucht haben, auf sich hat!
Der potentielle Kunde von »ebbe46« wird auch auf ein violettes Sternchen
aufmerksam gemacht, hinter dem eine Zahl ins Auge fällt. Das sieht
dann so aus: Meine Ebay-Welt: ebbe46 ( 500).
    Nun kann man wirklich nicht erwarten, dass jeder Leser dieses Buch-
es genaue Kenntnisse von der Farbe und Funktion der Ebay-Sternchen,

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Sterne und Sternschnuppen hat, weswegen ihm hier kurz geholfen sei:
Die Farbe der Sterne gibt Auskunft über »positive Bewertungspunkte«,
also darüber, ob die Kunden mit ihrem jeweiligen Verkäufer und dem
Kaufvorgang zufrieden waren. Positiv bewertet werden in der Regel:
schnelle Abwicklung des Verkaufs, des Versands oder die Auskunftswillig-
keit des Verkäufers bei eventuellen Fragen, oder ähnliches.. Häufig zu
lesen sind hier (übliche) Kurzkommentare wie: »Alles bestens abgelaufen,
gerne wieder, vielen Dank« oder »A great Ebayer, thank you« oder
»schnelle Zahlung, prima Abwicklung, netter Ebayer – so macht’s Spaß,
vielen Dank!«
Brüchert hat über die virtuellen Dankbekundungen hinaus aber auch
eine Menge »Fan-Post«, in der zufriedene Käufer wohlwollend ihren
persönlichen Dank aussprechen. In hunderten (!) von E-Mails, Postkarten
und Briefen aus der ganzen Welt findet sich der immer wieder kehrende
Satz »THANK YOU, Mr. PIN!« der uns nach nur kurzem Überdenken
dazu veranlasst hat, ihn zum Titel dieses Buches zu machen.

Die Bedeutung der farbigen Sterne erklärt dem Insider folgendes:
    Ein kleiner, gelber Stern erscheint hinter dem Namen des Verkäufers
für zehn bis 49 positive Bewertungspunkte. Dann geht es weiter mit
einem blauen Stern, der für 50 bis 99 positive Punkte steht. Ein türkis-
farbener Stern entspricht einer Bandbreite von 100 bis 499 positiven
Bewertungen. Brüchert bekam am 13. Mai 2008 von Ebay eine Urkunde
übersendet, in der ihm für 500 positive Bewertungen gratuliert wird!
Am 30. Oktober 2008 waren es schon 807 positive Bewertungen und
damit ist das rote Sternchen nicht mehr fern. Ab der 1000sten positiven
Bewertung gibt es dann statt einem Sternchen eine Sternschnuppe,
freilich auch diese je nach Menge in verschiedenen Farben geordnet …
Brüchert sammelt nicht irgendwelche Pins, das würde sein Haus, das
ohnehin schon mit Pins prall gefüllt ist, sprengen; er hat sich spezialisiert:
Sein Interesse und seine Leidenschaft gilt Pins mit dem Thema Weltaus-
stellungen (besonders seit 2000), außerdem so genannte Freundschaftspins

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(das sind Doppelflaggen-Pins von denen er über 200 Länderpins besitzt,
die die deutsche Fahne auf der linken Seite haben) und Sport, besonders
das Thema Olympiade und Fußball mit einer vollständigen Sammlung
an Pins von der Weltmeisterschaft im Jahr 2006. Ich denke mal behaupten
zu können, dass er zu diesen Themen eine der weltweit größten Samm-
lungen besitzt.
    Aus der überreichlichen Fülle aller denkbaren Pins besitzt er auch
eine Sammlung von »Hardrock-Café-Pins«, die unter die Kategorie der
»schönen Pins« fallen. Hard Rock Café (kurz HRC) ist eine Restaurantkette
der Firma Hard Rock Café International, die an die einhundertundvierzig
offizielle Hard Rock Cafés in 42 Ländern der Welt betreibt. Geschätzt,
bekannt und beliebt sind diese Cafés wegen ihrer besonderen, von
Kennern stets hervorgehobenen Atmosphäre. Echte Fans »sammeln«
die Besuche möglichst aller Restaurants mit Kultstatus ebenso, wie
        andere zum Beispiel Pins.

                  links der Peking-Pin, rechts oben der Nagoya-Pin

                         Regelmäßig und in limitierten Auflagen werden
                       von den Betreibern neue, meist sehr aufwendig
                       und phantasiereich gestaltete Pins veräußert. Echte
                    und ausschließliche Fans dieser Pins können sich auf
            einer eigenen Pin-Seite im Internet darüber informieren,
wie viel Pins »ihr« Hard Rock Café herausgegeben hat. Das HRC in
Berlin hat z.B. 129 verschiedene Pins, das in Dallas 195 und das in Madrid
96. Man kann an diesen Zahlen erraten, wie aufwendig das Sammeln
aller Pins allein für diese Kategorie ist!
    Was den Gegenstand betrifft, der bei Ebay eingestellt wird, so lässt
sich folgendes sagen: Man kann sich natürlich, auch wenn es sich um
einen virtuellen Markt handelt, ein Bild von dem Gegenstand machen,
denn im Allgemeinen sind alle verkäuflichen Dinge fotografiert, also

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visuell abrufbar. Zudem kann man
sich anhand der Produktbe-
schreibung, die wie ein Medika-
mentenzettel den Zustand desArtikels
beschreibt, darüber informieren, ob es sich bei der Sache um ein neues,
original verpacktes oder ein gebrauchtes Objekt handelt. Im zweiten
Fall erhält man zum Beispiel Informationen darüber, ob das Objekt noch
wie neu aussieht, Gebrauchsspuren, Schäden oder dergleichen mehr
hat. Ebenfalls kann man nachlesen, wie viel für die Versandkosten
verlangt wird.

Die Auktionisten bei Ebay sind genauso spannend zu beschreiben wie
alle diese vielen Angebote, die Tag für Tag zum Verkauf angeboten sind.
Manche Interessenten tasten sich vorsichtig, zögerlich an das begehrte
Objekt heran. Andere, erfahrene, verhalten sich vollkommen still, lauern
wie ein gefährliches Raubtier auf ihre Beute und steigen erst dann ins
Geschäft ein, wenn man sie gar nicht mehr erwartet. Dann aber schlagen
sie hart und kalkuliert zu und erweisen sich in den letzten Sekunden,
die einem noch zum Überbieten verbleiben, oft als ausgebuffte Profis.
    Die einen bieten so lange mit, wie der Preis noch attraktiv ist und
sich der mögliche Kauf als Schnäppchen erweist. Andere sind bereit, bis
fast an den handelsüblichen Preis einer Neuware mitzuhalten und geben
sich zufrieden, wenn sie auf diese Weise mitsamt den Versandkosten
mindestens ein paar Euro gespart haben. Ganz begeisterte Ebayer
übersehen zuweilen im Eifer des Gefechts, dass der Preis, den sie bereit
sind zu zahlen, schon längst den normalen Handelspreis überstiegen
hat und vergessen beim Bieten und Überbieten nahezu, was sie eigentlich
kaufen wollten.
    Wenn man sich als Sammler eines ganz bestimmten Gegenstandes
viel in der Betrachtung der entsprechenden Ebay Angebote tummelt,
dann kennt man in der Regel seine Pappenheimer, sprich welche Konkur-
renten man hat. Manchmal nimmt das auch kuriose Züge an.

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Brüchert erzählte mir einmal in diesem Zusammenhang, dass er einen
Großteil der Nacht vom 21. Mai zum 22. Mai 2007 damit verbracht hat,
den Bietvorgang auf einen ganz bestimmten Pin zu beobachten. Der
Interessent war, wie er bald wusste, ein Spanier aus Sevilla mit dem
Ebay-Namen »Nelson45«. Dieser Pinsammler, so wusste Brüchert, hat
eine Schmerzgrenze von 100 EUR, die für ihn stets das oberste Limit
waren. Im Eifer des Gefechts und dem brennenden Wunsch beider
Anbieter auf einen Pin zum Thema Expo 2005 lieferten sich die beiden
ein derartiges Nachtduell, dass Brüchert am Ende seinen Kontrahenten
mit 5,20 EUR überbot und den stolzen Preis von 103,24 EUR für diesen
Pin zu zahlen bereit war. Ein wenig kleinlaut bekannte er mir, dass mit
diesem Preis die »Grenze des Sinnvollen« wohl doch überschritten
wurde. Gleichzeitig freute er sich aber, denn das gegenseitige Belauern
und die Gewissheit, dass der Konkurrent jenseits der 100 EUR schachmatt
zu legen ist, erschien ihm spannender als ein Fernsehkrimi. Zudem
konnte er hier einmal ganz deutlich zeigen, wer am Ende die Oberhand
beim Feilschen behält.

Das Bieten auf Dinge, die andere auch wollen ist natürlich reizvoll. Siegt
man am Ende und hat alle anderen Interessenten übertrumpft, sei es,
weil man am meisten zahlt oder aber weil man der schnellste und letzte
innerhalb der letzten Ebay-Minuten war, dann ist das ein triumphales
Gefühl. Die Werbung im Fernsehen hat uns hinsichtlich der Ebay-
Gewinner bildreiche Impressionen vom Glücksrausch ihrer abgeschlos-
senen Auktion gezeigt. »1–2–3 … meins« – wer kennt diesen Slogan
nicht? Dieses Glückgefühl, das eine Mischung aus Erfolg und dem
angenehmen Wissen, andere überboten und damit ausgestochen zu
haben, lässt sich immer dann wiederholen, wenn man wieder der
Gewinner einer Auktion ist. Das kann süchtig machen! Wer anfällig für
spontane Internetkäufe ist, ist hier durchaus gefährdet. Es gibt eine
ganze (nicht allzu ernstzunehmende) Liste im Internet, die Anhaltspunkte
für ein Suchtverhalten bei Ebayern liefert. Einige passende Sentenzen

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habe ich ausgewählt, vor allem jene, die sich gut mit Brüchert und seinem
Verhältnis zu Ebay vereinbaren lassen:

Du merkst, dass Du                    -süchtig bist, wenn…

•   ...du den Postboten zur Familienfeier einlädst.

•   ...du auf der Fernbedienung doppelklickst.

•   ...du diese Liste schon fünf Mal durchgelesen hast, um einen Punkt
       zu finden, der nicht auf dich zutrifft.

•   ...du lieber einen neuen Stern neben deinem Namen als den
       Sternenhimmel siehst.

•   ...du alle Uhren mit der Ebay-Zeit synchronisierst.

•   ...du Geschenke an Verwandte und Freunde ohne Grußkarte
       abschickst.

•   ...du den Wochenblattzusteller abfängst, um wieder genügend
       Paketfüllmaterial zu haben.

• ...du dir für Ebay eine Armbanduhr mit Wecker zugelegt hast.
• ...du ohne nachzudenken weißt, was FLD bedeutet.
• ...du deine Waage öfter für Pakete als für dich selbst benutzt.
• ...du jede Standardantwort Ebays auswendig kennst.
• ...du beim Stadtbummel für die Sachen, die dir gefallen, im Geiste
     schon eine Beschreibung verfasst.

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•    ...du deinen Fernseher erst ein paar Sekunden vor Ende des
        gewünschten Films einschaltest.

•    ...du blind weißt, wie weit man runterscrollen muss, um zu bieten.

•    ...du vor lauter Augenschmerzen nicht den PC ausmachst, sondern
        nach Eingabe- und Lesehilfen für Blinde bei Ebay suchst.

•    ...du auf einmal einen komischen, verbrannten Geruch wahrnimmst,
        in die Küche gehst und feststellst, dass das Nudelwasser komplett
        verdampft und der Topf sauheiß ist, weil du mal schnell nach deinen
        Auktionen gucken wolltest.

•    ...du dir seine Bewertungen anschaust,
        bevor du mit jemand ausgehst.

•    ...neben deinem Ebay-Nick statt eines Sterns eine Supernova steht.

•    ...du die Portogebühren der Deutschen Post besser kennst als der
        Angestellte hinter dem Postschalter.

•    ...du nicht zur Party von der besten Freundin gehen kannst, weil
        Auktionen auslaufen.

•    ...an Deinem Briefkasten mindestens drei verschiedene Namen
        stehen.

•    ...du am Wochenende nix zu essen zu Hause hast, weil alle Lebens-
        mittelauktionen erst nächsten Mittwoch auslaufen.

•    ...du eine Krise kriegst, weil du mal einen Tag kein Internet hast.

•    ...dir auf dem Klo die besten Ideen kommen, wie du deine »mich
       Seite« noch umgestalten könntest...

•    ...dein Haushalt immer mehr einem Schlachtfeld ähnelt, weil man
        ja kaum noch Zeit zum aufräumen hat.

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•   ...du dir die Zeitung abonnierst, nur um Stopfmaterial zu haben.

•   ...du morgens rotumrandete Augen hast, weil Du am Abend zuvor nur
       mal »ganz kurz« nach Deinen Auktionen sehen wolltest.

Diese Liste lässt sich noch um einige erstaunliche Punkte mehr erweitern.
Ich habe mit Brüchert darüber geredet und er hat – bis auf die Länge –
problemlos den Charakterisierungen zustimmen können.
    Der Sammeltrieb Brücherts für Pins wurde zweifelsohne wie darge-
stellt in Hannover geboren. Hier lernte er Pins zu lieben und hier begann
er für sie zu leben. Nun klingt das Letztere sicherlich sehr eigenartig,
denn wie kann man für einen Pin leben wollen? Ich will versuchen dieses
Phänomen mit den Worten »Kommunikation« und dem Begriff
»Sammeln« zu erklären:
    Vorrangig der Kauf und daneben das Tauschen und gelegentlich
Schenken von Pins sind Handlungen, die auch von ethnologischer Seite
durchaus interessant sind. Mit dem Kauf, Tausch, oder Schenken von
Gegenständen eng verbunden ist das Sammeln und dieses spielt sich,
wie beschrieben, heutzutage sehr oft im Internet ab.
    Das Internet, so sind sich Ethnologen einig, ist eine Plattform, die
mehr und mehr zu einem eigenen, neuen Kulturbereich wird. Es ist
nebenbei bemerkt eine interessante Vorstellung, dass der Ethnologe der
Zukunft sicherlich viel damit zu tun bekommen wird, virtuelle und
künstliche Kulturen zu erforschen. Das Internet kennt keine Grenzen
von Raum und Zeit; man kann sich, wann immer man Zeit oder Lust
oder beides empfindet, darin tummeln. Kommunikation ist rund um
die Uhr möglich, denn die wichtigsten Internetanwendungen sind nicht
an eine Uhrzeit gebunden. Praktischerweise ist es auch nicht einmal
zwingend notwendig, dass die Kommunikationspartner gleichzeitig
handeln, denn man kann vieles durch spezielle, elektronische »Bietagen-
ten« erledigen lassen. Das Hindernis verschiedener Zeitzonen schrumpft

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ebenso zusammen wie räumliche Distanzen. Das Internet ist somit eine
wichtige, nonverbale Kommunikationsmöglichkeit die Kontakte da
zulässt, wo man es selber wünscht. Der Sammler kann heute bequem
am Bildschirm sitzend aus einem nicht versickernden Füllhorn an
Objekten auswählen und aus dem immer neuen Angebot lustvoll zu-
sammentragen, was er begehrt. Er muss nur noch entscheiden, ob er die
Vollständigkeit seiner Sammlung anstrebt oder ob er sie um das eine
oder andere Teil ergänzt. Das Sammeln an sich ist eine Beschäftigung,
die Menschen seit jeher faszinierte. Vom wildbeuterischen Sammeln und
Horten beschreibt es die Faszination und das Begehren nach einem
bestimmten Ding. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen werden Dinge
entdeckt, bewundert, bestaunt, um dann gehortet, geordnet, und prä-
sentiert zu werden. Was begehrt wird unterliegt einem ständigen Wandel
und den ganz persönlichen Vorlieben des Sammlers.
   Der Begriff »sammeln« meint die systematische Suche, Beschaffung
und Aufbewahrung einer abgegrenzten Art oder Kategorie von Dingen
oder Informationen. Sammeln ist zudem eine Tätigkeit, die dem Menschen
und dem Tier zu eigen ist (man denke beispielsweise an das Eichhörnchen
mit seinem Vorratstrieb). Sammeln hat dabei ganz grundsätzlich auch
eine soziale Komponente. Besonders im Kindes- und Jugendalter ist das
Sammeln eng verbunden mit »miteinander in Beziehung sein«. Das
Tauschen, diskutieren, feilschen und fachsimpeln ist in diesem Zusam-
menhang auch eine Beziehungsübung die einem erklärt, wie viel man
geben muss, um etwas zu bekommen.
   Das Spektrum der Sammelobjekte hat sich in den vergangenen
Jahrzehnten vervielfacht, wurde aber auch immer mehr individualisiert.
Es gibt sie immer noch, die klassischen Briefmarkensammler oder jene,
die Porzellanpuppen oder Steiftiere sammeln. Aber darüber hinaus gibt
es eine neue Kategorie unter den Sammlern von heute, die Dinge
zusammentragen, von denen man vor wenigen Jahren gar nicht gemeint
hätte, dass man diese sammeln könnte. Bierdeckel und Kugelschreiber
sind die harmloseren Beispiele, Spuckbeutel aus Flugzeugen, Froschplas-

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tiken, Kondome oder ausgequetschte Zahnpastatuben stechen schon
mehr hervor. Das Guinness Buch der Rekorde listet hier die sonderbarsten
Sammelrekorde auf, die von Jahr zu Jahr kurioser werden. Paradoxerweise
erscheint das eine ausgefallene Ding neben noch merkwürdigeren
anderen Dingen beinahe schon wieder normal. Je sonderbarer das zu
sammelnde Objekt ist, desto mehr hebt es seinen Sammler aus der grauen
Menge der Alltäglichkeiten hervor, aber desto einsamer macht es ihn
auch, denn die möglichen Tauschpartner fallen ebenso weg, wie das
Gefühl des Triumphes, in einem bestimmten Sammlerkreis der »Größte«
zu sein.Was Pins betrifft, so ist man als Sammler dieses Gegenstandes
nicht einsam, sondern gut aufgehoben in einem großen, weltweit existie-
renden und miteinander kommunizierenden Sammlerkreis.

An das Sammeln, sprich den Erwerb, schließt sich das oft ebenfalls
lustvoll empfundene Erwägen, wie das gesammelte Objekt dargestellt
und repräsentiert werden soll, wie man es aufbewahren oder ordnen
kann. Sammeln als Tätigkeit beinhaltet nicht nur eine differenzierte
Wahrnehmung, sondern auch einen handelnden Umgang mit den
ausgewählten Objekten. Eine Sammlung zusammenzustellen oder immer
wieder neu zu komponieren beinhaltet durchaus ein künstlerisches bzw.
ästhetisches Verhalten. Bei Brüchert ist das so ein Problem: er hat zwar
fleißig gesammelt, aber ein lustvolles Ordnen seiner Sammelobjekte will
sich bei ihm so gar nicht einstellen.

Bei der Masse an Pins, die Brüchert schon besitzt und die tagtäglich
anschwillt, ist beispielsweise zu überlegen, nach welchen Kriterien sie
geordnet werden könnten. Brüchert bedient sich hier beispielsweise
diverser Schaukästen, Vitrinen, Bilderrahmen, Schachteln, Kisten, Kist-
chen, Schubladen oder auch ganzer Flächen, wie Sofas, Tisch und Bänke.
Gelegentlich kommt ein geduldiger Freund, Georg, der in stundenlanger
mühevoller Sortierarbeit Rahmen anlegt, die z.B. nach Ländern oder
Themen geordnet sind. Dem glücklichen Besitzer eines begehrten Objektes

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fällt eine Wertschätzung anderer zu, die diese auch gerne hätten, und
diese Wertschätzung ist ein Gut an sich.
    Somit sind Brücherts Pins viel mehr als eine riesige Sammlung: Indem
sie Stück für Stück einander ergänzen und die seltensten Exemplare, die
es weltweit nur in kleinsten Stückzahlen gibt, umfassen, hat diese
Sammlung aus einem Herrn Brüchert einen echten »Mr. Pin« gemacht.
Das Sammeln, Erweitern und der Erhalt dieser Position ist damit, um
auf den weiter oben angesprochenen Aspekt zurückzukommen, zu ei-
ner Aufgabe geworden, der man sein Leben widmen kann.

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