Was kostet Telefonieren mit dem Handy? - Mathematik als wertvolles Werkzeug
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Horst Hischer und Anselm Lambert, Saarbrücken Was kostet Telefonieren mit dem Handy? Mathematik als wertvolles Werkzeug zur Strukturierung von Daten aus dem Internet Es wird über einen praxisbezogenen Unter- sehbar – von der Zukunft zu gewinnen, Ein- richtsgang berichtet, bei dem in einer Real- sicht in die Mitverantwortlichkeit aller ange- schulklasse (8. Schuljahr) im Mathematikunter- sichts solcher Probleme und Bereitschaft, an richt in Kooperation mit dem Deutschunterricht ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkürzend kann man von der Konzentration auf epochal- auf der Basis von Informationen aus dem Inter- typische Schlüsselprobleme unserer Gegen- net die Kosten berechnet wurden, die beim Te- wart und der vermutlichen Zukunft sprechen. lefonieren in variierten Situationen bei unter- Für solche epochaltypischen Probleme führt schiedlichen Tarifen verschiedener Anbieter Klafki mehrere Beispiele an, u. a. die entstehen können. x Gefahren und Möglichkeiten der neuen In- Ein Schlüsselproblem: Gefahren und formations- und Kommunikationstechniken. 5 Möglichkeiten der Informations- und In der überarbeiteten 5. Auflage seiner „Neuen Kommunikationstechniken Studien“ von 1996 schreibt Klafki hierzu u. a.: 6 Wir brauchen in einem zukunftsorientierten Vor zwanzig Jahren leitete Wolfgang Klafki, ein Bildungssystem auf allen Schulstufen und in bedeutender Vertreter der geisteswissenschaft- allen Schulformen eine gestufte, kritische in- lichen Pädagogik, mit seinen „Neuen Studien formations- und kommunikationstechnologi- zur Bildungstheorie und Didaktik“ bekanntlich 1 sche Grundbildung als Moment einer neuen Allgemeinbildung; „kritisch“, das heißt so, daß eine entscheidende Wende in der Allgemein- die Einführung in die Nutzung und in ein ele- didaktik ein, die zur „Heimholung des Bil- mentarisiertes Verständnis der modernen, dungsbegriffs“ geführt hat [...]. elektronisch arbeitenden Kommunikations-, Klafki beschreibt dort ein zeitgemäßes Ver- Informations- und Steuerungsmedien immer ständnis von Allgemeinbildung durch die Trias 2 mit der Reflexion über ihre Wirkungen auf die sie benutzenden Menschen, über die mögli- Allgemeinbildung als chen sozialen Folgen des Einsatzes solcher x Bildung für alle, Medien und über den möglichen Mißbrauch x Bildung im Medium des Allgemeinen, verbunden werden. x Bildung in allen Grunddimensionen mensch- Der im vorliegenden Beitrag vorzustellende Un- licher Interessen und Fähigkeiten. terrichtsgang folgt diesem Anliegen, indem die Bei dem zweiten Aspekt ist anzumerken, dass Schülerinnen und Schüler am Beispiel der im Klafki „des Allgemeinen“ auch im Sinne von Internet abrufbaren Handy-Tarife behutsam, „des allen Gemeinen“ verstanden wissen will. exemplarisch und über einen methodisch gro- Genauer geht es ihm dabei um einen ßen Anteil an Eigentätigkeit – entdeckend und reflektierend – mit den Möglichkeiten und Prob- verbindlichen Kern dessen, das alle gemein- lemen der „Neuen Medien“ konfrontiert werden. sam angeht. 3 Diese Neuen Medien begegnen ihnen hier zu- Er greift hier also das Kanonproblem der Didak- mindest auf drei Ebenen: tik auf, für das er den Begriff der epochaltypi- durch das Kommunikations-Medium „Handy“ schen Schlüsselprobleme prägt. So schreibt er als primär zu untersuchendem Gegenstand, hierzu u. a.: 4 durch das hier wesentliche Informations- Meine Kernthese lautet: Allgemeinbildung be- Medium „Internet“ und deutet in dieser Hinsicht, ein geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Pro- durch das Instrumental-Medium „Taschen- blemen der Gegenwart und – soweit voraus- computer“ als Werkzeug zur Analyse und In- terpretation. 1 Aus [Hischer 2002, 84]. Bewusst wurde als Schulform die Realschule 2 gewählt. a. a. O. 3 Aus [Hischer 2002, 85] nach [Klafki 1996, 52 ff.]. 4 5 [Hischer 2002, 85], verkürzt nach [Klafki 1996, 59 f.]. [Klafki 1996, 56], wiedergegeben auch in [Hischer 2002, 85]; Hervorhebung nicht im Original. 6 [Klafki 1996, 60], wiedergegeben in [Hischer 2002, 86].
Was kostet Telefonieren mit dem Handy? Abb. 1: Ein einfaches Tarifangebot? (nach: http://www.t-mobile.de/alletarife/1,7190,9369-_,00.html (Download vom 7.3.05)). Die hier vorliegende Darstellung ist gegenüber dem im Unterricht verwendeten Arbeitsblatt noch um einleitende Werbung zu diesen Tarifen und das zu den Fußnotenzeichen gehörende umfangreiche Kleingedruckte reduziert worden. Mein Handy paid-Karte (oft einfach „Kartenhandy“ genannt), wodurch das nicht unerhebliche Verschul- (Fast) alle Schülerinnen und Schüler haben ihr dungsrisiko reduziert wird: eigenes Handy. Es ist für sie ein nützlicher Ge- Ich habe ein Kartentelefon, was den Grund brauchsgegenstand 7: hat, dass ich mich sonst bis ans Ende meines Wenn man irgendwo ist, hat man immer ein Lebens verschulden würde. (Anika) Gerät, das einem zur Verständigung zu ande- ren Orten hilft. (Yvonne) Wobei man sich dafür andere Probleme ein- Die Vorteile vom Handy sind, dass man über- handelt: all erreichbar ist und bei einem Notfall telefo- Leider kann ich aber deshalb nicht immer te- nieren kann. (Jasmin) lefonieren oder eine SMS schreiben. (Nicole) Die Vorteile an meinem Handy sind, dass ich Die Karte ist ziemlich schnell verbraucht, und Fotos machen kann und ich tolle Spiele habe. im Jahr kann es ziemlich teuer werden. (Sabrina) (Dominique) Und es ist zugleich ein wichtiges Statussymbol: Die Schülerinnen und Schüler bezahlen die ih- Ich habe dieses Handy geholt, weil es nicht nen durchs Telefonieren entstehenden Kosten so teuer, aber auch nicht so billig ist. (Dennis) i. d. R. von ihrem Taschengeld. Das will einge- [Das] Handy habe ich zu Weihnachten be- teilt sein, und da ist es gut, wenn man im Vor- kommen. Wahrscheinlich hat es das Christ- aus planen kann, damit man mit seinem Pre- kind dort vergessen. [...] Ich bin froh, dass ich ein Handy habe, denn besser eins, das nicht paid-Handy nicht immer nur die erste Hälfte so modern ist, als keins. (Alexander) seines Taschengeldbezugszeitraumes telefo- In den letzten Jahren geht der Trend erfreuli- nieren kann oder damit man bei der nächsten cherweise vermehrt zu Handys mit einer Pre- Handyanschaffung im Spannungsfeld von ver- meintlichem Bedarf und finanziellen Möglichkei- 7 In den Zitaten aus den Aufsätzen der Schülerinnen und ten das günstigste Angebot finden kann. Schüler wurde die Rechtschreibung ggf. verbessert. 2
Horst Hischer und Anselm Lambert Wer hat denn da den Überblick? dass vielfältige, für den zu entwickelnden Funk- tionsbegriff reichhaltige Darstellungen leicht er- Ein wichtiges Ziel des Mathematikunterrichts ist zeugt werden können. Insbesondere kann da- (neben anderen) die Fähigkeit zur Strukturie- durch im Unterricht der Funktionsbegriff nicht rung und Darstellung von Daten mittels Mathe- nur am sonst häufig dominierenden Beispiel der matik, worauf hier der Schwerpunkt liegt: Es linearen Funktionen und den durch zugehörigen werden Arbeitsblätter mit wirklichkeitstreuen In- Geraden erarbeitet werden, sondern es spielen formationen vorbereitet, wodurch auf die Be- darüber hinaus u. a. auch Hyperbeln (die durch nutzung des im Alltag nicht immer verfügbaren Dreisatzrechnung im vorhergehenden Schuljahr Computerraums verzichtet werden kann. Zu- bereits angelegt sind), Parabeln (die das Lösen gleich kann eine für den geplanten Unterricht quadratischer Gleichungen vorbereiten) und geeignete Vorauswahl aus dem schier unüber- stückweise definierte Funktionen – eben die be- schaubaren Angebot getroffen werden. Die re- trachteten Handytarife eine Rolle. levanten Internetadressen werden auf den Ar- Handytarife werden also – eingebettet in weite- beitsblättern dokumentiert, so dass die Schüle- re Beispiele für Funktionen – zur Grundlegung rinnen und Schüler leicht die Echtheit der Daten des Funktionsbegriffes unterrichtet und im Un- nachvollziehen und zu Hause eigene weitere terrichtsgang neben diesen immer wieder auf- Recherchen durchführen können. gegriffen. Dabei soll die „Vernetzung“ auch Einen Unterrichtsgang (zum Wertverlust von nicht vor Medien Halt machen, und es soll „Mo- PKWs) mit einem Fokus auch auf die durch die nokultur“ vermieden werden: So ist das Internet Lernenden selbst vorgenommene, zielgerichte- in die Verwendung sowohl weiterer Neuer Me- te Datengewinnung aus dem Internet stellt dien (Computeralgebrasystem, Funktionenplot- [Lambert 2002] vor. Da sich das Informations- ter, Textverarbeitungsprogramm) als auch klas- angebot im Internet jedoch rasant verändert, sischer Medien (Papier und Bleistift bzw. Tafel war die dort angegebene Datenquelle bereits und Kreide) einzubetten, und es sollten auch bei Drucklegung veraltet. Aber über eine die (trotz PowerPoint!) heute in der Praxis im- Suchmaschine ist Ersatz möglich. – So erleben mer noch unverzichtbaren Overheadfolien ge- wir mit dem Einzug des Computers einen Um- nutzt werden. 10 bau von Wissen (der in der Schule auch fä- cherübergreifend thematisiert werden sollte), wie ihn [Degele 2000, 255] beschreibt: Handytarife — Einer wachsenden Menge zu verarbeitender Bericht über einen Unterrichtsgang Informationen stehen steigende Anforderun- Lernende dort abholen, wo sie stehen – das ist gen der Bewältigung gegenüber, und genau diese Anforderungen werden so bedeutsam, eine klassische lehr-lern-theoretische Forde- daß sie die klassischen Inhalte zurückdrän- rung. Bevor wir also mit konkreten Berechnun- gen. gen zu konkreten Tarifen beginnen können, er- kunden wir, was unsere Lernenden vom Handy Mit dem mathematischen Begriff der Funktion wissen – einerseits meist mehr als wir selbst, steht ein wertvolles Werkzeug zur Bewältigung etwa wenn es um die Vielzahl der auf dem von großen Datenmengen zur Verfügung. Bei- Markt erhältlichen Handys geht, andererseits spielsweise findet sich im saarländischen Lehr- aber leidlich wenig, dann, wenn es um die Kal- plan für das 8. Schuljahr einer Realschulklasse kulation der ihnen entstehenden Kosten geht. die „Unterrichtseinheit Zuordnungen“, bei der es um das inhaltliche Erfassen des Funktionsbe- Zu Beginn des Unterrichtsgangs schreiben die griffs und die Beschreibung von Funktionen mit- Schülerinnen und Schüler zu Hause einen Auf- tels mathematischer Sprache geht, wozu vielfäl- satz– denn Aufsätze sind auch im Mathematik- tige Darstellungen über Wertetabellen, über unterricht ein wertvoller Ort der Reflexion für die Funktionsgraphen bzw. über Funktionsterme Lernenden selbst, sie dienen ferner sowohl der und der Wechsel zwischen diesen gehören Entwicklung von Mathematik als auch der Ent- (und schon immer gehörten, vgl. [Lietzmann wicklung eines persönlichen Bezugs zur Ma- 1925] und [Hischer 2002, 319-372] 8). thematik. 11 Darüber hinaus bilden sie eine wichtige Quelle für die Lehrperson, um mehr Im Unterricht der hier beschriebenen Klasse über die Vorstellungen ihrer Lernenden zu er- stehen graphik- und computeralgebrafähige fahren, als dies allein über die üblichen Aufga- Taschencomputer 9 ständig zur Verfügung, so benbearbeitungen möglich ist. 8 Auch (modifiziert) als Preprint herunterladbar: http://hischer.de/uds/forsch/preprints/hischer/Preprint54.pdf 10 Vorschläge zur Beschreibung von Handytarifen im Unterricht 9 Vgl. http://mathematikunterricht.info/VirtKurs/softprakt.htm mittels mehrstelliger Funktionen oder zur Nutzung von Ta- (mit einem von Horst Hischer, Anselm Lambert, Pia Selzer bellenkalkulationssystemen für die Darstellung von Handyta- und Stefan Strobel entwickelten Kurs zur Einführung in den rifen bieten [Maaß 2001] bzw. [Stadler 2003]. Umgang mit Taschencomputern). 11 Vgl. dazu auch [Vollrath 2001, 151]. 3
Was kostet Telefonieren mit dem Handy? Alle Schülerinnen und Schüler der hier be- dort bearbeitet werden, ohne die wesentlichen schriebenen Klasse sind es gewohnt, sich auch Informationen zu verfälschen – auch die Pro- im Mathematikunterricht in Aufsatzform zu äu- duktnamen werden nicht verändert, damit im ßern, viele nutzen dieses Kommunikationsmittel Unterricht keine Zeit mit deren Erraten vertan gerne. Die bisher zitierten Äußerungen der wird. 12 Schülerinnen und Schüler stammen aus diesem Tarifangebote liegen im Internet in einer kaum ersten Aufsatz, der sich folgenden Fragen wid- überschaubaren Fülle und Komplexität vor, met: wenn auch eher „überredend und werbend“ 1. Welches Handy habe ich? statt „überzeugend und argumentierend“. Be- 2. Welche Vorteile und welche Nachteile hat sonders merkwürdig ist die Auskunft „ohne Ba- mein Handy? sispreis“, denn was kostet es mich monatlich, wenn ich gar nicht telefoniere? – Den vollen 3. Warum habe ich mich für dieses Handy „Paketpreis“! entschieden? Die im Mathematikunterricht vorgestellte Han- 4. Welchen Tarif habe ich? dywerbung wird auch parallel im Deutschunter- 5. Welche Vorteile und welche Nachteile hat richt besprochen, wobei klar wird, dass sie mein Tarif? kaum sachdienliche Information enthält: 13 6. Warum habe ich mich für diesen Tarif Preisinfos zu den Vodafone-MinutenPaketen entschieden? Genießen Sie die Vorteile von Vodafone D2. Nach Vorliegen der Aufsätze wird im Unterricht Wir zeigen Ihnen, wie das Telefonieren mit an der Tafel gesammelt: dem Handy rund um die Uhr Spaß macht. Vergessen Sie Haupt-, Neben- und Wochen- x Welche Handyhersteller gibt es? endzeiten. Mit den neuen Minutentarifen von ¾ Nokia, Siemens, Samsung, Sony Erics- Vodafone, kombinierbar mit den supergünsti- son, Sharp, Motorola, Trium, Sagem, gen HappyWochenend- und HappyAbend- Sendo, Alcatel, LG, Phillips, Mitsubishi, Optionen, haben Sie die Kosten im Griff. Und TCM. das ganz ohne Basispreis – nur mit einem günstigen monatlichen Paketpreis. x Wie entscheidet man sich für ein Handy? Die Texte der Angebote allein können also kei- ¾ Beratung (Verkäufer, Freunde, Internet), ne Entscheidung für oder gegen einen Tarif Design, Ausprobieren, Ausstattung, Preis. wirklich begründen. Man kommt also nicht um- x Welche Netzanbieter gibt es? hin, neben den Texten auch die teilweise sehr ¾ Telekom (T-Mobile D1), Vodafone D2, O2, komplexen Tabellen (und nicht zu vergessen: (Debitel), E plus, Alphatel (?). die umfangreichen klein gedruckten Fußnoten x Welche Tarifangebote gibt es? dazu) zu lesen. Mathematik dient uns dabei als ¾ Prepaid, Vertraghandys, Minutenpakete. Werkzeug zur Schaffung von Klarheit, um uns in die Lage zu versetzen, Daten zu interpretie- x Wie entscheidet man sich? ren und in unsere begründeten Entscheidungen ¾ Tarifvergleich! (Klasse 8a). einzubeziehen. Dieser Aspekt von Mathematik Dabei haben nun auch diejenigen Schülerinnen kann von Schülerinnen und Schülern im Unter- und Schüler im Mathematikunterricht Erfolgser- richt an lebenswahren Beispielen erfahren wer- lebnisse, die sonst von sich glauben, nur wenig den. oder sogar gar nichts beitragen zu können: Es Tabellen mit Tarifinformationen sind komplex, ist bei der Diskussion von Handytarifen zu beo- die muss man erst einmal lesen lernen. Dazu bachten, dass Schülerinnen und Schüler, die werden zunächst einige Fallbeispiele nachein- sich sonst im Unterricht eher zurückhalten, von ander vorgegeben und diskutiert. Begonnen sich aus aktiv wurden. wird mit: Es gilt also, konkrete Tarifangebote zu verglei- ¾ Thorben telefoniert pro Monat 70 min mit chen. Dazu werden zwei DIN-A4-Arbeitsblätter seinem Handy im eigenen Netz und ins ausgeteilt, auf denen jeweils ein Angebot zu Festnetz. Welchen Tarif würdest Du ihm „Minutenpaketen“ zu finden war. (Die Untersu- empfehlen? Begründe Deine Antwort! chungen können, falls gewünscht, im Unterricht auch auf Prepaid-Tarife ausgedehnt werden.) Die Schülerinnen und Schüler kennen Thorben „Alltagskompetenz Internet“ bedeutet für die (und seine gleich noch auftretenden Verwand- Lehrperson, gerade die einfach zu realisieren- ten) als Hauptdarsteller aller Anwendungen von den neuen Möglichkeiten einzusetzen: Die Ar- beitsblätter werden erstellt, indem aus den In- 12 Vgl. Abbildung 1. ternetseiten zweier Anbieter einfach die inte- 13 http://www.vodafone.de/tarife_vertraege/minutenpakete/55297.html ressierenden Teile per „drag & drop“ in ein (7.3.05) Textverarbeitungsprogramm übernommen und 4
Horst Hischer und Anselm Lambert Mathematik in Alltagssituationen, in denen sie nuten im eigenen Netz und ins Festnetz te- sich oft selber befinden könnten. lefoniert? In der Klasse wird diskutiert: Was bedeutet hier Zur Beantwortung dieser Frage erstellen die „70 min pro Monat“? Man telefoniert doch nicht Schülerinnen und Schüler händisch Wertetabel- jeden Monat ganz genau gleich viel! Und wenn len und übertragen diese dann zur Veranschau- wir nun annehmen, dass er 70 min im Monat te- lichung in Koordinatensysteme (x-Achse: Minu- lefoniert, wie viel sind das am Tag? Etwa zwei ten pro Monat, y-Achse: Kosten in Euro, ein bis drei! Was kostet es, wenn er zwei Minuten Schaubild pro Anbieter). täglich telefoniert, und was, wenn drei? Wie un- Anhand dieser Darstellungen kann nun ein für genau wird unsere Vorhersage hier bei einer Thorben jeweils günstiges Angebot gefunden Ungenauigkeit von nur einer Minute in den werden: Innerhalb der Angebote eines Anbie- Ausgangsdaten? Und schauen wir uns die ters und dann auch die Anbieter vergleichend. Rechnung zur Ausgangsfrage zum Relax-50- Einige Schülerinnen und Schüler bevorzugen Tarif einmal genauer an: dabei die Wertetabelle, andere das Schaubild. 15 € + (70 – 50) · 0,40 € = 23 € vs. 25 € Funktionsterme werden i. d. R. nur implizit ge- Das heißt doch: Für nur zwei Euro mehr erhält nutzt, d. h. mit bereits eingesetzten konkreten er ganze 30 min mehr, das muss doch bei der Werten, fast nie sind sie in den Bearbeitungen Entscheidung berücksichtigt werden! Und was durch Variablen dargestellt zu finden. Dies wird ist, wenn seine Freunde andere Netze nutzen? im Unterricht dann auch thematisiert: Verschie- dene Darstellungsmöglichkeiten können den Die vermeintlich geschlossene Fragestellung Zweck erfüllen, dass jede und jeder die für sich lässt sich offensichtlich offen bearbeiten, denn selbst jeweils günstigste kennt und verwendet, Offenheit entsteht nicht schon allein durch ei- denn es gibt Menschen, die denken Mathematik nen Aufgabentext, sondern immer erst durch in Bildern, andere in Formeln (vgl. dazu [Lam- den Umgang mit diesem. Und die von der bert 2002]): „Funktionen haben viele Gesichter.“ Lehrperson zuvor ausgewählten Daten ermögli- chen noch viele eigene Fragen und Entschei- Um die gestellten Aufgaben von Hand zu lösen, dungen der Lernenden und machen diese so- war der Funktionsterm gewiss nicht nötig, aller- gar nötig. Nicht zuletzt kann auch gerade die dings können wir ihn in unserem Unterricht gut geschickte Wahl der numerischen Werte Fra- gebrauchen, um mit einem Funktionenplotter gen provozieren. Auch ist es nicht unwichtig, schnell ein Schaubild zu erzeugen. 14 die Lernenden gelegentlich in solchen Anwen- Darüber hinaus erschien an dieser Aufgabe die dungssituationen ihr eigenes Verhalten model- Idee des Steigungsdreiecks, die ursprünglich lieren und reflektieren zu lassen – das hätte erst etwas später im Schuljahr entwickelt wer- hier aber den Schwerpunkt des Unterrichts ver- den sollte – ein erfreulicher unerwarteter Mehr- schoben. Man kann nicht immer alles auf ein- wert. Eine Schülerin erkennt beim Erstellen ih- mal haben, und darum verzichten wir hier dar- rer Wertetabelle schnell, dass, wenn man im auf. Auch SMS-Kosten blenden wir aus. Tarif „Relax 50“ monatlich mehr als 50 min tele- Die weiteren Aufgaben (zu weiteren Erkundun- foniert, man für je weitere 30 min jeweils den gen und zum Üben des Gelernten): gleichen Betrag mehr zu zahlen hat, füllt auf diesem Weg ihre Tabellen und ruft: „Das ist ja ¾ Thorbens Schwester telefoniert pro Monat 85 wie bei der Proportionalität!“. An der Tafel wird min mit ihrem Handy, davon 15 min in ande- diese Eigenschaft dann (von anderen) auch am re Mobilnetze. Welchen Tarif würdest Du ihr Schaubild wiedergefunden und bildlich darge- empfehlen? Begründe Deine Antwort! stellt, indem eine Treppe eingezeichnet wird. In ¾ Thorbens Vater telefoniert pro Monat 123 solch einer freudigen Situation muss die Lehr- min mit seinem Handy, davon 44 min in an- person nur noch die Bezeichnung „Steigungs- dere Mobilnetze. Welchen Tarif würdest Du dreieck“ für die Stufen dieser Treppen einführen ihm empfehlen? Begründe Deine Antwort! und kann in Zukunft auch auf den in der Klasse ¾ Thorbens Tante telefoniert pro Monat 372 selbst gefundenen Prototypen verweisen. min mit ihrem Handy, davon 48 min in ande- Im weiteren Unterrichtsverlauf werden immer re Mobilnetze. Welchen Tarif würdest Du ihr wieder Variationen der hier beschriebenen Auf- empfehlen? Begründe Deine Antwort! gaben gestellt. In dieser Klasse haben sich Nach diesen Aufgaben, die auf verständiges Handytarife nicht nur als fruchtbares Beispiel Lesen-Können der Tariftabellen aus dem Inter- zur Bereicherung des Funktionsbegriffs, son- net zielen, wird eine Initialaufgabe zur systema- dern auch als Vorbereitung des Themas „Gera- tischen Untersuchung gestellt: den und ihre Gleichungen“ bewährt. ¾ Was würde es für Thorben pro Monat kos- ten, wenn er täglich 0, 1, 2, 3, 4, ..., 20 Mi- 14 Vgl. Abbildung 2. 5
Was kostet Telefonieren mit dem Handy? Wenn Du den falschen Tarif nimmst, musst du 2 Jahre damit auskommen. (Luis) Ich finde es gut, dass wir das gelernt haben, denn das wird wohl für das ganze Leben nütz- lich sein, wenn man sich selber so einen Han- dytarif zulegt. (Mathias) Resümee Im vorgestellten Unterrichtsgang diente das In- ternet als effiziente Quelle von authentischer In- formation. Es war dabei ein Medium unter wei- teren, das seine spezifischen Stärken ausspie- len konnte, ohne in den Vordergrund zu treten. Ohne Internet wäre der Unterrichtsgang kaum zu realisieren gewesen, da im Schulalltag ohne Datenautobahn und elektronische Textverarbei- tung die Zeit zur Vorbereitung aktueller Daten kaum ausreicht. Durch die über das Internet gewonnen Daten konnten die Lernenden hier einerseits die Macht des Werkzeugs Mathema- tik erleben und andererseits wichtige Vorstel- lungen zum Funktionsbegriff erwerben. Abb. 2: Vergleich der unterschiedlichen Relax-Tarife mit dem Taschencomputer (unter der Annahme, dass nicht zu Literatur anderen deutschen Mobilfunknetzen telefoniert wird). Degele, Nina [2000]: Informiertes Wissen. Eine Wis- senssoziologie der computerisierten Gesell- Was haben wir über schaft. Frankfurt: Campus Verlag. Handytarife gelernt? Hischer, Horst [2002]: Mathematikunterricht und Neue Medien — Hintergründe und Begründun- An dieser Stelle des Unterrichtsgangs ist nun gen in fachdidaktischer und fachübergreifender von den Lernenden als Hausaufgabe wieder ein Sicht. Hildesheim: Franzbecker. Aufsatz zu schreiben, diesmal zum Thema: Klafki, Wolfgang [1996]: Neue Studien zur Bildungs- theorie und Didaktik Weinheim / Basel: Beltz, 5. „Was habe ich über Handytarife gelernt?“ Auflage erhebliche Erweiterung der Erstauflage Einige Schülerinnen und Schüler beschreiben von 1985). in ihrem Aufsatz den von ihnen gelernten Inhalt Lambert, Anselm [2002]: Wissenskonstruktion im si- des Unterrichts, andere ihren persönlichen Be- tuierten Lernen am Beispiel einer Unterrichts- einheit zum Wertverlust von PKWs. In: Herget, zug zu diesem. Lassen wir sie zu Wort kom- Wilfried u. a. (Hrsg.): Medien verbreiten Ma- men: thematik. Hildesheim: Franzbecker, 128–136 Ich habe gelernt, verschiedene Tarife zu ver- Lambert, Anselm [2003]: Begriffsbildung im Mathe- gleichen, um herauszufinden, welcher am ge- matikunterricht. In: Bender, Peter u. a. (Hrsg.): eignetesten ist. Ich habe auch noch gelernt, Lehr- und Lernprogramme für den Mathe- Wertetabellen und Koordinatensysteme zu matikunterricht. Hildesheim: Franzbecker, 91– zeichnen, da diese Tarife darstellen. (Nicole) 104 Als wir von Ihnen erfuhren, dass wir die Lietzmann, Walther [1925]: Funktion und graphische nächste Zeit des Mathematikunterrichts mit Darstellung. Breslau: Ferdinand Hirt. Handytarifen verbringen würden, dachte ich Maaß, Katja [2002]: Handytarife — Funktionen mit nie daran, dass Handys so viel mit Mathema- mehreren Veränderlichen. In: mathematik leh- tik zu tun haben. Ich hätte auch nie daran ge- ren, Heft 113, 53–57 dacht, dass man durch Wertetabellen aus- Stadler, Uwe K. [2003]: SMS und Handytarife: zu rechnen kann, welcher Tarif der günstigere teuer für ’s Taschengeld? In: Computer und ist. (Christina) Unterricht 13(2003)3, 14–15. Durch die Vielzahl der Handyanbieter muss Vollrath, Hans-Joachim [ 2001]: Grundlagen des Ma- man genau beachten, für welchen Handytarif thematikunterrichts in der Sekundarstufe. Hei- man sich letztendlich entscheidet. Oft dachte delberg / Berlin: Spektrum Akademischer Ver- man bei der Aufgabestellung, wie günstig die- lag. ses Angebot sei. Doch an Hand von vielen Tabellenkalkulationen mit entsprechenden Grundtarifen und Freiminuten hat man genau errechnen und erkennen können, welcher Anbieter am günstigsten ist. (Lisa) 6
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