Was kostet Telefonieren mit dem Handy? - Mathematik als wertvolles Werkzeug

 
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Was kostet Telefonieren mit dem Handy? - Mathematik als wertvolles Werkzeug
Horst Hischer und Anselm Lambert, Saarbrücken

         Was kostet Telefonieren mit dem Handy?
                      Mathematik als wertvolles Werkzeug
                   zur Strukturierung von Daten aus dem Internet

Es wird über einen praxisbezogenen Unter-                              sehbar – von der Zukunft zu gewinnen, Ein-
richtsgang berichtet, bei dem in einer Real-                           sicht in die Mitverantwortlichkeit aller ange-
schulklasse (8. Schuljahr) im Mathematikunter-                         sichts solcher Probleme und Bereitschaft, an
richt in Kooperation mit dem Deutschunterricht                         ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkürzend
                                                                       kann man von der Konzentration auf epochal-
auf der Basis von Informationen aus dem Inter-                         typische Schlüsselprobleme unserer Gegen-
net die Kosten berechnet wurden, die beim Te-                          wart und der vermutlichen Zukunft sprechen.
lefonieren in variierten Situationen bei unter-
                                                                   Für solche epochaltypischen Probleme führt
schiedlichen Tarifen verschiedener Anbieter
                                                                   Klafki mehrere Beispiele an, u. a. die
entstehen können.
                                                                   x Gefahren und Möglichkeiten der neuen In-
Ein Schlüsselproblem: Gefahren und                                    formations- und Kommunikationstechniken. 5
Möglichkeiten der Informations- und                                In der überarbeiteten 5. Auflage seiner „Neuen
Kommunikationstechniken                                            Studien“ von 1996 schreibt Klafki hierzu u. a.: 6
                                                                       Wir brauchen in einem zukunftsorientierten
Vor zwanzig Jahren leitete Wolfgang Klafki, ein                        Bildungssystem auf allen Schulstufen und in
bedeutender Vertreter der geisteswissenschaft-                         allen Schulformen eine gestufte, kritische in-
lichen Pädagogik, mit seinen „Neuen Studien                            formations- und kommunikationstechnologi-
zur Bildungstheorie und Didaktik“ bekanntlich 1                        sche Grundbildung als Moment einer neuen
                                                                       Allgemeinbildung; „kritisch“, das heißt so, daß
    eine entscheidende Wende in der Allgemein-                         die Einführung in die Nutzung und in ein ele-
    didaktik ein, die zur „Heimholung des Bil-                         mentarisiertes Verständnis der modernen,
    dungsbegriffs“ geführt hat [...].                                  elektronisch arbeitenden Kommunikations-,
Klafki beschreibt dort ein zeitgemäßes Ver-                            Informations- und Steuerungsmedien immer
ständnis von Allgemeinbildung durch die Trias 2                        mit der Reflexion über ihre Wirkungen auf die
                                                                       sie benutzenden Menschen, über die mögli-
Allgemeinbildung als                                                   chen sozialen Folgen des Einsatzes solcher
x Bildung für alle,                                                    Medien und über den möglichen Mißbrauch
x Bildung im Medium des Allgemeinen,                                   verbunden werden.
x Bildung in allen Grunddimensionen mensch-                        Der im vorliegenden Beitrag vorzustellende Un-
   licher Interessen und Fähigkeiten.                              terrichtsgang folgt diesem Anliegen, indem die
Bei dem zweiten Aspekt ist anzumerken, dass                        Schülerinnen und Schüler am Beispiel der im
Klafki „des Allgemeinen“ auch im Sinne von                         Internet abrufbaren Handy-Tarife behutsam,
„des allen Gemeinen“ verstanden wissen will.                       exemplarisch und über einen methodisch gro-
Genauer geht es ihm dabei um einen                                 ßen Anteil an Eigentätigkeit – entdeckend und
                                                                   reflektierend – mit den Möglichkeiten und Prob-
    verbindlichen Kern dessen, das alle gemein-
                                                                   lemen der „Neuen Medien“ konfrontiert werden.
    sam angeht. 3
                                                                   Diese Neuen Medien begegnen ihnen hier zu-
Er greift hier also das Kanonproblem der Didak-                    mindest auf drei Ebenen:
tik auf, für das er den Begriff der epochaltypi-                    durch das Kommunikations-Medium „Handy“
schen Schlüsselprobleme prägt. So schreibt er                         als primär zu untersuchendem Gegenstand,
hierzu u. a.: 4
                                                                    durch das hier wesentliche Informations-
    Meine Kernthese lautet: Allgemeinbildung be-
                                                                      Medium „Internet“ und
    deutet in dieser Hinsicht, ein geschichtlich
    vermitteltes Bewußtsein von zentralen Pro-                      durch das Instrumental-Medium „Taschen-
    blemen der Gegenwart und – soweit voraus-                         computer“ als Werkzeug zur Analyse und In-
                                                                      terpretation.
1   Aus [Hischer 2002, 84].
                                                                   Bewusst wurde als Schulform die Realschule
2                                                                  gewählt.
    a. a. O.
3   Aus [Hischer 2002, 85] nach [Klafki 1996, 52 ff.].
4                                                                  5   [Hischer 2002, 85], verkürzt nach [Klafki 1996, 59 f.].
    [Klafki 1996, 56], wiedergegeben auch in [Hischer 2002, 85];
    Hervorhebung nicht im Original.                                6   [Klafki 1996, 60], wiedergegeben in [Hischer 2002, 86].
Was kostet Telefonieren mit dem Handy?

    Abb. 1: Ein einfaches Tarifangebot? (nach: http://www.t-mobile.de/alletarife/1,7190,9369-_,00.html (Download vom 7.3.05)).
     Die hier vorliegende Darstellung ist gegenüber dem im Unterricht verwendeten Arbeitsblatt noch um einleitende Werbung
          zu diesen Tarifen und das zu den Fußnotenzeichen gehörende umfangreiche Kleingedruckte reduziert worden.

Mein Handy                                                          paid-Karte (oft einfach „Kartenhandy“ genannt),
                                                                    wodurch das nicht unerhebliche Verschul-
(Fast) alle Schülerinnen und Schüler haben ihr                      dungsrisiko reduziert wird:
eigenes Handy. Es ist für sie ein nützlicher Ge-
                                                                        Ich habe ein Kartentelefon, was den Grund
brauchsgegenstand 7:                                                    hat, dass ich mich sonst bis ans Ende meines
     Wenn man irgendwo ist, hat man immer ein                           Lebens verschulden würde. (Anika)
     Gerät, das einem zur Verständigung zu ande-
     ren Orten hilft. (Yvonne)                                      Wobei man sich dafür andere Probleme ein-
     Die Vorteile vom Handy sind, dass man über-                    handelt:
     all erreichbar ist und bei einem Notfall telefo-                   Leider kann ich aber deshalb nicht immer te-
     nieren kann. (Jasmin)                                              lefonieren oder eine SMS schreiben. (Nicole)
     Die Vorteile an meinem Handy sind, dass ich                        Die Karte ist ziemlich schnell verbraucht, und
     Fotos machen kann und ich tolle Spiele habe.                       im Jahr kann es ziemlich teuer werden.
     (Sabrina)                                                          (Dominique)
Und es ist zugleich ein wichtiges Statussymbol:                     Die Schülerinnen und Schüler bezahlen die ih-
     Ich habe dieses Handy geholt, weil es nicht                    nen durchs Telefonieren entstehenden Kosten
     so teuer, aber auch nicht so billig ist. (Dennis)
                                                                    i. d. R. von ihrem Taschengeld. Das will einge-
     [Das] Handy habe ich zu Weihnachten be-                        teilt sein, und da ist es gut, wenn man im Vor-
     kommen. Wahrscheinlich hat es das Christ-
                                                                    aus planen kann, damit man mit seinem Pre-
     kind dort vergessen. [...] Ich bin froh, dass ich
     ein Handy habe, denn besser eins, das nicht                    paid-Handy nicht immer nur die erste Hälfte
     so modern ist, als keins. (Alexander)                          seines Taschengeldbezugszeitraumes telefo-
In den letzten Jahren geht der Trend erfreuli-                      nieren kann oder damit man bei der nächsten
cherweise vermehrt zu Handys mit einer Pre-                         Handyanschaffung im Spannungsfeld von ver-
                                                                    meintlichem Bedarf und finanziellen Möglichkei-
7    In den Zitaten aus den Aufsätzen der Schülerinnen und
                                                                    ten das günstigste Angebot finden kann.
     Schüler wurde die Rechtschreibung ggf. verbessert.

2
Horst Hischer und Anselm Lambert

Wer hat denn da den Überblick?                                      dass vielfältige, für den zu entwickelnden Funk-
                                                                    tionsbegriff reichhaltige Darstellungen leicht er-
Ein wichtiges Ziel des Mathematikunterrichts ist                    zeugt werden können. Insbesondere kann da-
(neben anderen) die Fähigkeit zur Strukturie-                       durch im Unterricht der Funktionsbegriff nicht
rung und Darstellung von Daten mittels Mathe-                       nur am sonst häufig dominierenden Beispiel der
matik, worauf hier der Schwerpunkt liegt: Es                        linearen Funktionen und den durch zugehörigen
werden Arbeitsblätter mit wirklichkeitstreuen In-                   Geraden erarbeitet werden, sondern es spielen
formationen vorbereitet, wodurch auf die Be-                        darüber hinaus u. a. auch Hyperbeln (die durch
nutzung des im Alltag nicht immer verfügbaren                       Dreisatzrechnung im vorhergehenden Schuljahr
Computerraums verzichtet werden kann. Zu-                           bereits angelegt sind), Parabeln (die das Lösen
gleich kann eine für den geplanten Unterricht                       quadratischer Gleichungen vorbereiten) und
geeignete Vorauswahl aus dem schier unüber-                         stückweise definierte Funktionen – eben die be-
schaubaren Angebot getroffen werden. Die re-                        trachteten Handytarife eine Rolle.
levanten Internetadressen werden auf den Ar-
                                                                    Handytarife werden also – eingebettet in weite-
beitsblättern dokumentiert, so dass die Schüle-
                                                                    re Beispiele für Funktionen – zur Grundlegung
rinnen und Schüler leicht die Echtheit der Daten
                                                                    des Funktionsbegriffes unterrichtet und im Un-
nachvollziehen und zu Hause eigene weitere
                                                                    terrichtsgang neben diesen immer wieder auf-
Recherchen durchführen können.
                                                                    gegriffen. Dabei soll die „Vernetzung“ auch
Einen Unterrichtsgang (zum Wertverlust von                          nicht vor Medien Halt machen, und es soll „Mo-
PKWs) mit einem Fokus auch auf die durch die                        nokultur“ vermieden werden: So ist das Internet
Lernenden selbst vorgenommene, zielgerichte-                        in die Verwendung sowohl weiterer Neuer Me-
te Datengewinnung aus dem Internet stellt                           dien (Computeralgebrasystem, Funktionenplot-
[Lambert 2002] vor. Da sich das Informations-                       ter, Textverarbeitungsprogramm) als auch klas-
angebot im Internet jedoch rasant verändert,                        sischer Medien (Papier und Bleistift bzw. Tafel
war die dort angegebene Datenquelle bereits                         und Kreide) einzubetten, und es sollten auch
bei Drucklegung veraltet. Aber über eine                            die (trotz PowerPoint!) heute in der Praxis im-
Suchmaschine ist Ersatz möglich. – So erleben                       mer noch unverzichtbaren Overheadfolien ge-
wir mit dem Einzug des Computers einen Um-                          nutzt werden. 10
bau von Wissen (der in der Schule auch fä-
cherübergreifend thematisiert werden sollte),
wie ihn [Degele 2000, 255] beschreibt:                              Handytarife —
    Einer wachsenden Menge zu verarbeitender
                                                                    Bericht über einen Unterrichtsgang
    Informationen stehen steigende Anforderun-
                                                                    Lernende dort abholen, wo sie stehen – das ist
    gen der Bewältigung gegenüber, und genau
    diese Anforderungen werden so bedeutsam,
                                                                    eine klassische lehr-lern-theoretische Forde-
    daß sie die klassischen Inhalte zurückdrän-                     rung. Bevor wir also mit konkreten Berechnun-
    gen.                                                            gen zu konkreten Tarifen beginnen können, er-
                                                                    kunden wir, was unsere Lernenden vom Handy
Mit dem mathematischen Begriff der Funktion
                                                                    wissen – einerseits meist mehr als wir selbst,
steht ein wertvolles Werkzeug zur Bewältigung
                                                                    etwa wenn es um die Vielzahl der auf dem
von großen Datenmengen zur Verfügung. Bei-
                                                                    Markt erhältlichen Handys geht, andererseits
spielsweise findet sich im saarländischen Lehr-
                                                                    aber leidlich wenig, dann, wenn es um die Kal-
plan für das 8. Schuljahr einer Realschulklasse
                                                                    kulation der ihnen entstehenden Kosten geht.
die „Unterrichtseinheit Zuordnungen“, bei der es
um das inhaltliche Erfassen des Funktionsbe-                        Zu Beginn des Unterrichtsgangs schreiben die
griffs und die Beschreibung von Funktionen mit-                     Schülerinnen und Schüler zu Hause einen Auf-
tels mathematischer Sprache geht, wozu vielfäl-                     satz– denn Aufsätze sind auch im Mathematik-
tige Darstellungen über Wertetabellen, über                         unterricht ein wertvoller Ort der Reflexion für die
Funktionsgraphen bzw. über Funktionsterme                           Lernenden selbst, sie dienen ferner sowohl der
und der Wechsel zwischen diesen gehören                             Entwicklung von Mathematik als auch der Ent-
(und schon immer gehörten, vgl. [Lietzmann                          wicklung eines persönlichen Bezugs zur Ma-
1925] und [Hischer 2002, 319-372] 8).                               thematik. 11 Darüber hinaus bilden sie eine
                                                                    wichtige Quelle für die Lehrperson, um mehr
Im Unterricht der hier beschriebenen Klasse
                                                                    über die Vorstellungen ihrer Lernenden zu er-
stehen graphik- und computeralgebrafähige
                                                                    fahren, als dies allein über die üblichen Aufga-
Taschencomputer 9 ständig zur Verfügung, so
                                                                    benbearbeitungen möglich ist.
8   Auch (modifiziert) als Preprint herunterladbar:
    http://hischer.de/uds/forsch/preprints/hischer/Preprint54.pdf   10 Vorschläge zur Beschreibung von Handytarifen im Unterricht
9   Vgl. http://mathematikunterricht.info/VirtKurs/softprakt.htm        mittels mehrstelliger Funktionen oder zur Nutzung von Ta-
    (mit einem von Horst Hischer, Anselm Lambert, Pia Selzer            bellenkalkulationssystemen für die Darstellung von Handyta-
    und Stefan Strobel entwickelten Kurs zur Einführung in den          rifen bieten [Maaß 2001] bzw. [Stadler 2003].
    Umgang mit Taschencomputern).                                   11 Vgl. dazu auch [Vollrath 2001, 151].

                                                                                                                                 3
Was kostet Telefonieren mit dem Handy?

Alle Schülerinnen und Schüler der hier be-         dort bearbeitet werden, ohne die wesentlichen
schriebenen Klasse sind es gewohnt, sich auch      Informationen zu verfälschen – auch die Pro-
im Mathematikunterricht in Aufsatzform zu äu-      duktnamen werden nicht verändert, damit im
ßern, viele nutzen dieses Kommunikationsmittel     Unterricht keine Zeit mit deren Erraten vertan
gerne. Die bisher zitierten Äußerungen der         wird. 12
Schülerinnen und Schüler stammen aus diesem        Tarifangebote liegen im Internet in einer kaum
ersten Aufsatz, der sich folgenden Fragen wid-     überschaubaren Fülle und Komplexität vor,
met:                                               wenn auch eher „überredend und werbend“
1. Welches Handy habe ich?                         statt „überzeugend und argumentierend“. Be-
2. Welche Vorteile und welche Nachteile hat        sonders merkwürdig ist die Auskunft „ohne Ba-
   mein Handy?                                     sispreis“, denn was kostet es mich monatlich,
                                                   wenn ich gar nicht telefoniere? – Den vollen
3. Warum habe ich mich für dieses Handy            „Paketpreis“!
   entschieden?
                                                   Die im Mathematikunterricht vorgestellte Han-
4. Welchen Tarif habe ich?                         dywerbung wird auch parallel im Deutschunter-
5. Welche Vorteile und welche Nachteile hat        richt besprochen, wobei klar wird, dass sie
   mein Tarif?                                     kaum sachdienliche Information enthält: 13
6. Warum habe ich mich für diesen Tarif                Preisinfos zu den Vodafone-MinutenPaketen
   entschieden?                                        Genießen Sie die Vorteile von Vodafone D2.
Nach Vorliegen der Aufsätze wird im Unterricht         Wir zeigen Ihnen, wie das Telefonieren mit
an der Tafel gesammelt:                                dem Handy rund um die Uhr Spaß macht.
                                                       Vergessen Sie Haupt-, Neben- und Wochen-
x Welche Handyhersteller gibt es?                      endzeiten. Mit den neuen Minutentarifen von
  ¾ Nokia, Siemens, Samsung, Sony Erics-               Vodafone, kombinierbar mit den supergünsti-
    son, Sharp, Motorola, Trium, Sagem,                gen HappyWochenend- und HappyAbend-
    Sendo, Alcatel, LG, Phillips, Mitsubishi,          Optionen, haben Sie die Kosten im Griff. Und
    TCM.                                               das ganz ohne Basispreis – nur mit einem
                                                       günstigen monatlichen Paketpreis.
x Wie entscheidet man sich für ein Handy?
                                                   Die Texte der Angebote allein können also kei-
  ¾ Beratung (Verkäufer, Freunde, Internet),
                                                   ne Entscheidung für oder gegen einen Tarif
    Design, Ausprobieren, Ausstattung, Preis.
                                                   wirklich begründen. Man kommt also nicht um-
x Welche Netzanbieter gibt es?                     hin, neben den Texten auch die teilweise sehr
  ¾ Telekom (T-Mobile D1), Vodafone D2, O2,        komplexen Tabellen (und nicht zu vergessen:
    (Debitel), E plus, Alphatel (?).               die umfangreichen klein gedruckten Fußnoten
x Welche Tarifangebote gibt es?                    dazu) zu lesen. Mathematik dient uns dabei als
  ¾ Prepaid, Vertraghandys, Minutenpakete.         Werkzeug zur Schaffung von Klarheit, um uns
                                                   in die Lage zu versetzen, Daten zu interpretie-
x Wie entscheidet man sich?                        ren und in unsere begründeten Entscheidungen
  ¾ Tarifvergleich! (Klasse 8a).                   einzubeziehen. Dieser Aspekt von Mathematik
Dabei haben nun auch diejenigen Schülerinnen       kann von Schülerinnen und Schülern im Unter-
und Schüler im Mathematikunterricht Erfolgser-     richt an lebenswahren Beispielen erfahren wer-
lebnisse, die sonst von sich glauben, nur wenig    den.
oder sogar gar nichts beitragen zu können: Es      Tabellen mit Tarifinformationen sind komplex,
ist bei der Diskussion von Handytarifen zu beo-    die muss man erst einmal lesen lernen. Dazu
bachten, dass Schülerinnen und Schüler, die        werden zunächst einige Fallbeispiele nachein-
sich sonst im Unterricht eher zurückhalten, von    ander vorgegeben und diskutiert. Begonnen
sich aus aktiv wurden.                             wird mit:
Es gilt also, konkrete Tarifangebote zu verglei-   ¾ Thorben telefoniert pro Monat 70 min mit
chen. Dazu werden zwei DIN-A4-Arbeitsblätter         seinem Handy im eigenen Netz und ins
ausgeteilt, auf denen jeweils ein Angebot zu         Festnetz. Welchen Tarif würdest Du ihm
„Minutenpaketen“ zu finden war. (Die Untersu-        empfehlen? Begründe Deine Antwort!
chungen können, falls gewünscht, im Unterricht
auch auf Prepaid-Tarife ausgedehnt werden.)        Die Schülerinnen und Schüler kennen Thorben
„Alltagskompetenz Internet“ bedeutet für die       (und seine gleich noch auftretenden Verwand-
Lehrperson, gerade die einfach zu realisieren-     ten) als Hauptdarsteller aller Anwendungen von
den neuen Möglichkeiten einzusetzen: Die Ar-
beitsblätter werden erstellt, indem aus den In-    12 Vgl. Abbildung 1.
ternetseiten zweier Anbieter einfach die inte-     13 http://www.vodafone.de/tarife_vertraege/minutenpakete/55297.html
ressierenden Teile per „drag & drop“ in ein
                                                       (7.3.05)
Textverarbeitungsprogramm übernommen und

4
Horst Hischer und Anselm Lambert

Mathematik in Alltagssituationen, in denen sie               nuten im eigenen Netz und ins Festnetz te-
sich oft selber befinden könnten.                            lefoniert?
In der Klasse wird diskutiert: Was bedeutet hier        Zur Beantwortung dieser Frage erstellen die
„70 min pro Monat“? Man telefoniert doch nicht          Schülerinnen und Schüler händisch Wertetabel-
jeden Monat ganz genau gleich viel! Und wenn            len und übertragen diese dann zur Veranschau-
wir nun annehmen, dass er 70 min im Monat te-           lichung in Koordinatensysteme (x-Achse: Minu-
lefoniert, wie viel sind das am Tag? Etwa zwei          ten pro Monat, y-Achse: Kosten in Euro, ein
bis drei! Was kostet es, wenn er zwei Minuten           Schaubild pro Anbieter).
täglich telefoniert, und was, wenn drei? Wie un-        Anhand dieser Darstellungen kann nun ein für
genau wird unsere Vorhersage hier bei einer             Thorben jeweils günstiges Angebot gefunden
Ungenauigkeit von nur einer Minute in den               werden: Innerhalb der Angebote eines Anbie-
Ausgangsdaten? Und schauen wir uns die                  ters und dann auch die Anbieter vergleichend.
Rechnung zur Ausgangsfrage zum Relax-50-                Einige Schülerinnen und Schüler bevorzugen
Tarif einmal genauer an:                                dabei die Wertetabelle, andere das Schaubild.
    15 € + (70 – 50) · 0,40 € = 23 €    vs.   25 €      Funktionsterme werden i. d. R. nur implizit ge-
Das heißt doch: Für nur zwei Euro mehr erhält           nutzt, d. h. mit bereits eingesetzten konkreten
er ganze 30 min mehr, das muss doch bei der             Werten, fast nie sind sie in den Bearbeitungen
Entscheidung berücksichtigt werden! Und was             durch Variablen dargestellt zu finden. Dies wird
ist, wenn seine Freunde andere Netze nutzen?            im Unterricht dann auch thematisiert: Verschie-
                                                        dene Darstellungsmöglichkeiten können den
Die vermeintlich geschlossene Fragestellung             Zweck erfüllen, dass jede und jeder die für sich
lässt sich offensichtlich offen bearbeiten, denn        selbst jeweils günstigste kennt und verwendet,
Offenheit entsteht nicht schon allein durch ei-         denn es gibt Menschen, die denken Mathematik
nen Aufgabentext, sondern immer erst durch              in Bildern, andere in Formeln (vgl. dazu [Lam-
den Umgang mit diesem. Und die von der                  bert 2002]): „Funktionen haben viele Gesichter.“
Lehrperson zuvor ausgewählten Daten ermögli-
chen noch viele eigene Fragen und Entschei-             Um die gestellten Aufgaben von Hand zu lösen,
dungen der Lernenden und machen diese so-               war der Funktionsterm gewiss nicht nötig, aller-
gar nötig. Nicht zuletzt kann auch gerade die           dings können wir ihn in unserem Unterricht gut
geschickte Wahl der numerischen Werte Fra-              gebrauchen, um mit einem Funktionenplotter
gen provozieren. Auch ist es nicht unwichtig,           schnell ein Schaubild zu erzeugen. 14
die Lernenden gelegentlich in solchen Anwen-            Darüber hinaus erschien an dieser Aufgabe die
dungssituationen ihr eigenes Verhalten model-           Idee des Steigungsdreiecks, die ursprünglich
lieren und reflektieren zu lassen – das hätte           erst etwas später im Schuljahr entwickelt wer-
hier aber den Schwerpunkt des Unterrichts ver-          den sollte – ein erfreulicher unerwarteter Mehr-
schoben. Man kann nicht immer alles auf ein-            wert. Eine Schülerin erkennt beim Erstellen ih-
mal haben, und darum verzichten wir hier dar-           rer Wertetabelle schnell, dass, wenn man im
auf. Auch SMS-Kosten blenden wir aus.                   Tarif „Relax 50“ monatlich mehr als 50 min tele-
Die weiteren Aufgaben (zu weiteren Erkundun-            foniert, man für je weitere 30 min jeweils den
gen und zum Üben des Gelernten):                        gleichen Betrag mehr zu zahlen hat, füllt auf
                                                        diesem Weg ihre Tabellen und ruft: „Das ist ja
¾ Thorbens Schwester telefoniert pro Monat 85           wie bei der Proportionalität!“. An der Tafel wird
  min mit ihrem Handy, davon 15 min in ande-            diese Eigenschaft dann (von anderen) auch am
  re Mobilnetze. Welchen Tarif würdest Du ihr           Schaubild wiedergefunden und bildlich darge-
  empfehlen? Begründe Deine Antwort!                    stellt, indem eine Treppe eingezeichnet wird. In
¾ Thorbens Vater telefoniert pro Monat 123              solch einer freudigen Situation muss die Lehr-
  min mit seinem Handy, davon 44 min in an-             person nur noch die Bezeichnung „Steigungs-
  dere Mobilnetze. Welchen Tarif würdest Du             dreieck“ für die Stufen dieser Treppen einführen
  ihm empfehlen? Begründe Deine Antwort!                und kann in Zukunft auch auf den in der Klasse
¾ Thorbens Tante telefoniert pro Monat 372              selbst gefundenen Prototypen verweisen.
  min mit ihrem Handy, davon 48 min in ande-            Im weiteren Unterrichtsverlauf werden immer
  re Mobilnetze. Welchen Tarif würdest Du ihr           wieder Variationen der hier beschriebenen Auf-
  empfehlen? Begründe Deine Antwort!                    gaben gestellt. In dieser Klasse haben sich
Nach diesen Aufgaben, die auf verständiges              Handytarife nicht nur als fruchtbares Beispiel
Lesen-Können der Tariftabellen aus dem Inter-           zur Bereicherung des Funktionsbegriffs, son-
net zielen, wird eine Initialaufgabe zur systema-       dern auch als Vorbereitung des Themas „Gera-
tischen Untersuchung gestellt:                          den und ihre Gleichungen“ bewährt.
¾     Was würde es für Thorben pro Monat kos-
      ten, wenn er täglich 0, 1, 2, 3, 4, ..., 20 Mi-
                                                        14 Vgl. Abbildung 2.

                                                                                                             5
Was kostet Telefonieren mit dem Handy?

                                                               Wenn Du den falschen Tarif nimmst, musst
                                                               du 2 Jahre damit auskommen. (Luis)
                                                               Ich finde es gut, dass wir das gelernt haben,
                                                               denn das wird wohl für das ganze Leben nütz-
                                                               lich sein, wenn man sich selber so einen Han-
                                                               dytarif zulegt. (Mathias)

                                                            Resümee
                                                            Im vorgestellten Unterrichtsgang diente das In-
                                                            ternet als effiziente Quelle von authentischer In-
                                                            formation. Es war dabei ein Medium unter wei-
                                                            teren, das seine spezifischen Stärken ausspie-
                                                            len konnte, ohne in den Vordergrund zu treten.
                                                            Ohne Internet wäre der Unterrichtsgang kaum
                                                            zu realisieren gewesen, da im Schulalltag ohne
                                                            Datenautobahn und elektronische Textverarbei-
                                                            tung die Zeit zur Vorbereitung aktueller Daten
                                                            kaum ausreicht. Durch die über das Internet
                                                            gewonnen Daten konnten die Lernenden hier
                                                            einerseits die Macht des Werkzeugs Mathema-
                                                            tik erleben und andererseits wichtige Vorstel-
                                                            lungen zum Funktionsbegriff erwerben.

 Abb. 2: Vergleich der unterschiedlichen Relax-Tarife mit
dem Taschencomputer (unter der Annahme, dass nicht zu
                                                            Literatur
  anderen deutschen Mobilfunknetzen telefoniert wird).
                                                            Degele, Nina [2000]: Informiertes Wissen. Eine Wis-
                                                                  senssoziologie der computerisierten Gesell-
Was haben wir über                                                schaft. Frankfurt: Campus Verlag.
Handytarife gelernt?                                        Hischer, Horst [2002]: Mathematikunterricht und
                                                                  Neue Medien — Hintergründe und Begründun-
An dieser Stelle des Unterrichtsgangs ist nun                     gen in fachdidaktischer und fachübergreifender
von den Lernenden als Hausaufgabe wieder ein                      Sicht. Hildesheim: Franzbecker.
Aufsatz zu schreiben, diesmal zum Thema:                    Klafki, Wolfgang [1996]: Neue Studien zur Bildungs-
                                                                  theorie und Didaktik Weinheim / Basel: Beltz, 5.
„Was habe ich über Handytarife gelernt?“                          Auflage erhebliche Erweiterung der Erstauflage
Einige Schülerinnen und Schüler beschreiben                       von 1985).
in ihrem Aufsatz den von ihnen gelernten Inhalt             Lambert, Anselm [2002]: Wissenskonstruktion im si-
des Unterrichts, andere ihren persönlichen Be-                    tuierten Lernen am Beispiel einer Unterrichts-
                                                                  einheit zum Wertverlust von PKWs. In: Herget,
zug zu diesem. Lassen wir sie zu Wort kom-
                                                                  Wilfried u. a. (Hrsg.): Medien verbreiten Ma-
men:                                                              thematik. Hildesheim: Franzbecker, 128–136
    Ich habe gelernt, verschiedene Tarife zu ver-           Lambert, Anselm [2003]: Begriffsbildung im Mathe-
    gleichen, um herauszufinden, welcher am ge-                   matikunterricht. In: Bender, Peter u. a. (Hrsg.):
    eignetesten ist. Ich habe auch noch gelernt,                  Lehr- und Lernprogramme für den Mathe-
    Wertetabellen und Koordinatensysteme zu                       matikunterricht. Hildesheim: Franzbecker, 91–
    zeichnen, da diese Tarife darstellen. (Nicole)                104
    Als wir von Ihnen erfuhren, dass wir die                Lietzmann, Walther [1925]: Funktion und graphische
    nächste Zeit des Mathematikunterrichts mit                    Darstellung. Breslau: Ferdinand Hirt.
    Handytarifen verbringen würden, dachte ich              Maaß, Katja [2002]: Handytarife — Funktionen mit
    nie daran, dass Handys so viel mit Mathema-                   mehreren Veränderlichen. In: mathematik leh-
    tik zu tun haben. Ich hätte auch nie daran ge-                ren, Heft 113, 53–57
    dacht, dass man durch Wertetabellen aus-                Stadler, Uwe K. [2003]: SMS und Handytarife: zu
    rechnen kann, welcher Tarif der günstigere                    teuer für ’s Taschengeld? In: Computer und
    ist. (Christina)                                              Unterricht 13(2003)3, 14–15.
    Durch die Vielzahl der Handyanbieter muss               Vollrath, Hans-Joachim [ 2001]: Grundlagen des Ma-
    man genau beachten, für welchen Handytarif                    thematikunterrichts in der Sekundarstufe. Hei-
    man sich letztendlich entscheidet. Oft dachte                 delberg / Berlin: Spektrum Akademischer Ver-
    man bei der Aufgabestellung, wie günstig die-                 lag.
    ses Angebot sei. Doch an Hand von vielen
    Tabellenkalkulationen mit entsprechenden
    Grundtarifen und Freiminuten hat man genau
    errechnen und erkennen können, welcher
    Anbieter am günstigsten ist. (Lisa)

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