EIN BUNDESWEITER MIETEN DECKEL IST ÜBERFÄLLIG 2 / 2022

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STANDPUNKTE 2 / 2022

                          ANDREJ HOLM UND BENJAMIN RA ABE

                          EIN BUNDESWEITER MIETEN­
                          DECKEL IST ÜBERFÄLLIG
                          DER MIETENANSTIEG KÖNNTE SOFORT GESTOPPT WERDEN:
                          VERFASSUNGSFEST UND HAUSHALTSNEUTRAL

                          Was tun, wenn das Wasser überläuft? Hahn aus und Wasser ablassen. Was tun, wenn‘s brennt? Mögliche Brandbe-
                          schleuniger entfernen und das Feuer löschen. Was tun gegen zu hohes Tempo in der Kurve? Runter vom Gas und brem-
                          sen. In vielen Alltagssituationen ist klar, dass Notsituationen zunächst mit einer Unterbrechung bzw. Beendigung der un-
                          erwünschten Entwicklungen begegnet wird: Wasser aus, Feuer aus und runter vom Gas. Auch bei zu hohen Mieten ist es
                          naheliegend, weitere Steigerungen auszuschließen und überhöhte Mieten abzusenken. In unserem Vorschlag für einen
                          bundesweiten Mietendeckel haben wir bestehende Regelungen des Mietrechts neu konfiguriert und um zusätzliche Ins-
                          trumente erweitert. Mit der Festlegung der Durchschnittsmiete als Referenzmiete, mit der konsequenten Beschränkung
                          von Mieterhöhungen auf laufende Verträge und Wiedervermietungen sowie mit der Absenkung von überhöhten Mieten
                          bietet der bundesweite Mietendeckel einen rechtssicheren und effektiven Schutz vor überhöhten Wohnkosten und star-
                          ken Mietsteigerungen.

                          MIETENDECKEL ALS OPTION FÜR EINEN WIRK­                          wirksamen Sicherung von leistbaren Mieten führen. Vonsei­
                          SAMEN SCHUTZ VOR MIETSTEIGERUNGEN                                ten der Wohnungswirtschaft und ihrer Lobby werden Miet­
                          In den fachpolitischen Debatten zur Wohnungspolitik wer­         preiskontrollen aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt,
                          den drei grundsätzliche Strategien zur Sicherung einer sozia­    weil sie die Gewinne durch die Wohnungsbewirtschaftung
                          len Wohnversorgung diskutiert: der Ausbau des Angebots           einschränken.
                          preisgünstiger Wohnungen durch öffentlichen und geförder-           Aus der Perspektive von Mieter*innen ist es eine eigentlich
                          ten Wohnungsneubau, mehr Wohngeld, um Mieter*innen               einfache Rechnung: Wenn Wohnungen zu teuer sind und
ROSA LUXEMBURG STIFTUNG

                          mit geringeren Einkommen die Zahlung von marktüblichen           die Mietbelastung zu hoch ausfällt, dann hilft vor allem ein
                          Mieten zur ermöglichen, sowie die gesetzliche Begrenzung         Stopp von Mietsteigerungen und eine Absenkung der Mie­
                          von Miethöhen und Mietsteigerungen.                              te, um die Situation zu verbessern. Das aktuelle Regierungs­
                            Dabei ist der öffentliche Wohnungsbau mit dauerhaften          programm der Bundesampel hingegen setzt da auf die lang­
                          Mietpreis- und Belegungsbindungen das wohl effektivste           fristige Wirkung von Markteffekten und geht offensichtlich
                          und nachhaltigste Instrument, weil es die Verwertungslo­         davon aus, dass eine deutliche Ausweitung des Angebots zu
                          gik auch strukturell durchbricht. Je größer der Bestand von      mehr bezahlbaren Mieten führt.1 Dem liegen ökonomische
                          öffentlichen oder gemeinnützigen Wohnungen, desto grö­           Modellvorstellungen zugrunde, die davon ausgehen, dass
                          ßer das Potenzial für eine soziale Wohnversorgung. Nachteil      sich der Preis durch das Verhältnis von Angebot und Nach­
                          hierbei ist eindeutig der lange Zeitraum, der zwischen politi­   frage bildet. Selbst wenn das abstrakt zutreffen sollte, hilft
                          schen Beschlüssen und den angestrebten Effekten liegt. Die       es Mieter*innen mit zu hohen Mieten nicht direkt. Zum ei­
                          Zahlung von Wohngeld wird vor allem von Vertreter*innen li­      nen wirken sich die erwarteten Mietpreiseffekte des Markt­
                          beraler Positionen und den Immobilienverbänden bevorzugt.        modells zunächst nur auf die Wohnungsangebote aus. Um
                          Nicht nur weil sie zeitnah wirkt, sondern weil es sich hierbei   weniger Miete zu zahlen, müssten die Haushalte also umzie­
                          letztendlich über den Umweg der Mietzahlungen um eine            hen. Zum anderen reagieren auf einen Angebotsüberhang
                          hochwillkommene Subventionszahlung an die private Woh­           zuerst die teuersten Preislagen. Werden viele Wohnungen
                          nungswirtschaft handelt. Mietpreisbegrenzungen wirken            gebaut, sinken also zuerst die überhöhten Mieten in den
                          ebenfalls unmittelbar und können flächendeckend zu einer         oberen Preisklassen – eine Absenkung von Mieten im unte­
ren Preissegment ist nur dann zu erwarten, wenn so viele        Der Anstieg der Angebotsmieten betrug im selben Zeitraum
Wohnungen gebaut werden, dass es zu einem hohen Leer­           sogar 36 Prozent. Zum Vergleich: Die allgemeine Inflations­
stand kommt und Vermieter*innen froh sind, überhaupt ei­        rate in diesen Jahren lag bei gerade einmal sieben Prozent.
nen Mietvertrag abzuschließen. Solche Mietenmärkte sind         Wohnungsmieten sind also im Vergleich zur allgemeinen
in der Vergangenheit von allem in den stark schrumpfenden       Preisentwicklung deutlich schneller gestiegen.4
Städten in Ostdeutschland entstanden und wurden aus der            Gerade in den Ballungszentren fällt es selbst Menschen
Perspektive von Stadtentwicklung und Infrastruktur völlig zu    mit einem mittleren Einkommen zunehmend schwer, die
Recht als Probleme angesehen. Da eine solche Überproduk­        monatliche Miete aufzubringen. Noch schwieriger ist es, ei­
tion von Wohnungen weder wünschenswert noch klimapo­            ne neue Wohnung zu finden. In Großstädten mit mehr als
litisch sinnvoll wäre, sind also andere Ansätze gefragt, mit    100.000 Einwohner*innen gibt fast die Hälfte (48,5 Prozent)
denen Mietpreise im Bestand auf einem erschwinglichen Ni­       aller Haushalte in Mietwohnungen mehr als 30 Prozent ihres
veau gehalten werden können. Eine gesetzliche Mietpreis­        Einkommens für die Miete aus. Gut ein Viertel der Mieter­
begrenzung ist der schnellste und effektivste Weg, um Miet­     haushalte (25,6 Prozent) muss mehr als 40 Prozent des Ein­
preissteigerungen zu stoppen und das Angebot leistbarer         kommens dafür aufwenden. Bei fast 12 Prozent der Haus­
Wohnungen zu vergrößern.                                        halte lagen die Mietkosten sogar bei mehr als der Hälfte des
                                                                Einkommens.5 In sozialpolitischen Diskussionen wird eine
WARUM BRAUCHT ES EINEN BUNDESWEITEN                             Mietkostenbelastung von maximal 30 Prozent als Grenze an­
MIETENDECKEL?                                                   gesehen. Um noch genügend Geld für andere Ausgaben zur
Da nur wenige Wohnungsunternehmen und private Ver­              Verfügung zu haben, sollte kein Haushalt mehr als 30 Pro­
mieter*innen freiwillig auf Einnahmen verzichten, müssten       zent für die Wohnkosten ausgeben. Für fast die Hälfte der
die Einschränkung von Mietsteigerungen und die Festset­         Großstadthaushalte sind die Mieten, misst man sie an ihren
zung von Höchstmieten bei neuen Mietverträgen gesetz­           Einkommen, also zu hoch.
lich geregelt werden. Das aktuelle Mietrecht und die aktuelle      Neben den steigenden Mieten und der Wohnkostenbelas­
Rechtsprechung sehen jedoch weder einen Ausschluss von          tung ist die wachsende Lücke zwischen Bestands- und Ange­
Mietsteigerungen noch eine Festsetzung von Höchstmieten         botsmieten ein weiteres Problem der aktuellen Wohnungs­
bei der Wiedervermietung vor. Mieterorganisationen und Ini­     marktentwicklungen. Im Durchschnitt aller Großstädte hat
tiativen fordern deshalb seit vielen Jahren eine Veränderung    sich der Abstand zwischen den Mittelwerten der Bestands­
des Mietrechts ein, um die soziale Versorgung mit Wohnun­       mieten und der Angebotsmieten von 1,10 Euro/m² (2013)
gen sicherzustellen. Mit dem Schlagwort «Mietendeckel»          auf 2,84 Euro/m² (2020) vergrößert. Insbesondere Haushal­
fassen wir die notwendigen Reformen des Mietrechts zu­          te, die umziehen wollen, neu in eine Stadt ziehen oder zum
sammen, die einem weiteren Anstieg von Mietpreisen Ein­         ersten Mal eine eigene Wohnung suchen, müssen so deut­
halt bieten sollen.                                             lich tiefer in die Tasche greifen als Bestandsmieter*innen.
   Berlin, die Stadt in Deutschland mit den höchsten Steige­    Mit dieser Lücke erschweren sich nicht nur die Bedingungen
rungen bei den Angebots- und Bestandsmieten in den letz­        der Wohnungssuche, sondern es wächst auch der Verdrän­
ten Jahren, hat 2020 mit dem Beschluss für einen Berliner       gungsdruck. Denn eine Neuvermietung zu einem höheren
Mietendeckel einen ersten Versuch unternommen, eine             Preis ist für Vermieter*innen der schnellste Weg zu höheren
mietpreisrechtliche Regulierung im Rahmen eines Landes­         Mieteinnahmen.
gesetzes durchzusetzen.2 Dieses Gesetz verbot Mieterhö­            Um eine soziale Wohnversorgung sicherzustellen, müss­
hungen für eine Dauer von fünf Jahren und sah eine Sen­         te ein effektives Mietgesetz eine wirksame Begrenzung von
kung überhöhter Mieten vor. Es scheiterte jedoch am             Mieterhöhungen, eine Beschränkung der Neuvermietungs­
Bundesverfassungsgericht: Berlin fehle für einen solchen        mieten sowie eine Absenkung überhöhter Mietpreise er­
Schritt die Gesetzgebungskompetenz.3 Für eine kurze Zeit        möglichen.
hatte der Berliner Mietendeckel für eine Art Verschnaufpau­
se bei den Preisanstiegen gesorgt. In dem guten Jahr seiner     WELCHE ANFORDERUNGEN STELLEN SICH
Geltung sorgte er dafür, dass es zumindest hier und da in der   AN EIN MIETENDECKELGESETZ?
Stadt wieder bezahlbare Wohnungen gab.                          Eine reformierte Mietgesetzgebung muss darüber hinaus,
   Spätestens seit dem Ende des Berliner Modells mehren         um eine verfassungsrechtliche Überprüfung zu überstehen,
sich die Stimmen für die Einführung eines bundesweiten          die Kriterien Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemes­
Mietendeckels. Da die Wohnungsmarktsituation regional           senheit erfüllen. Als geeignet und zweckmäßig gelten Ge­
stark variiert, gibt es sowohl Vorschläge für eine Öffnungs­    setze, wenn mit ihrer Anwendung die von ihnen intendier­
klausel, die Bundesländern weiter gehende Möglichkeiten         ten Ziele zu erreichen sind. Wenn überhöhte Mieten und zu
der Mietpreiskontrolle einräumen soll, als auch für ein Bun­    starke Mietsteigerungen als Problem für die soziale Stadt­
desgesetz, das die Unterschiede zwischen Städten und Re­        entwicklung und die Wohnversorgung angesehen werden,
gionen berücksichtigt. Ein Mietendeckelgesetz müsste aller­     sind Begrenzungen von Mieterhöhungen, Absenkungen
dings nicht nur wirksam, sondern auch rechtssicher sein, um     von Wiedervermietungsmieten und auch die Absenkung
die zu erwartenden Klagen der Immobilienwirtschaft und ih­      von überhöhten Mietpreisen grundsätzlich geeignet, diesen
rer Lobbyverbände zu überstehen.                                Missstand zu beheben.
                                                                  Als erforderlich gelten Gesetze, wenn kein milderes Mittel
WAS MUSS IN EINEM MIETENDECKELGESETZ                            mit einer vergleichbaren oder besseren Wirkung zur Verfü­
GEREGELT WERDEN?                                                gung steht. Dabei muss auch die Belastung für die Betrof­
Die Entwicklung der Mietdaten sprechen eine eindeutige          fenen und die Allgemeinheit berücksichtigt werden. Erfor­
Sprache: Im Durchschnitt der Großstädte sind die Bestands­      derlich ist eine Neuregelung der Mietgesetzgebung, weil
mieten zwischen 2013 und 2020 um 22 Prozent gestiegen.          die bisherigen mietrechtlichen Auflagen, inklusive der Miet­   2
preisbremse, erwiesenermaßen unzureichend sind, um über­          Mietspiegeln angewandte Instrument der Referenzmiete
    höhte Mieten zu verhindern bzw. Mietsteigerungen wirksam          (ortsübliche Vergleichsmiete) ist Bezugspunkt für die Wie­
    einzudämmen. Alternative Ansätze wie der Ausbau von miet­         dervermietungsmiete (plus 10 Prozent) und für die Mietpreis­
    preis- und belegungsgebundenen Wohnungen oder auch die            überhöhung (plus 20 Prozent). Derzeit wird die Referenzmie­
    Ausweitung von Wohngeldzahlungen sind entweder nicht              te aus den Mieten gebildet, die in den letzten sechs Jahren
    zeitnah umzusetzen oder schlichtweg zu teuer. Selbst wenn         vereinbart oder verändert wurden. Die Mieten, die sich länger
    es der Ampelkoalition gelänge, ihre Wohnungsbauziele zu er­       nicht verändert haben und damit preisdämpfend wären, fin­
    reichen (100.000 geförderte Wohnungen pro Jahr), würde es         den dagegen keinen Eingang bei der Ermittlung der ortsübli­
    über 40 Jahre benötigen, um auf diesem Wege allen Haushal­        chen Vergleichsmiete. Dies führt zu einer Mietendynamisie­
    ten, die zurzeit unter überhöhten Mieten leiden, eine für sie     rung. Hier muss gegengesteuert werden. Die Referenzmiete
    erschwingliche Wohnung anbieten zu können. Und das wä­            muss aus allen aktuellen Mieten, egal ob neu vereinbart, lan­
    re auch nur dann der Fall, wenn der «Schwund» von 60.000          ge gültig oder gerade angehoben, errechnet werden. Sie
    bis 80.000 Sozialwohnungen pro Jahr durch auslaufende Bin­        muss die Mieten abbilden, die aktuell im Durchschnitt gezahlt
    dungen gestoppt werden würde. Ein vollständiger Ausgleich         werden. Allein dies würde das Mietenniveau bereits dämp­
    der zu hohen Wohnkostenbelastung durch eine Subjektför­           fen. Dieser Systemwechsel muss für alle Wohnungsmärkte
    derung (sprich: Wohngeld, Übernahme der Kosten der Un­            gelten. Eine solche Durchschnittsmiete ist Grundlage für alle
    terkunft etc.) würde allein die 44 größten Städte pro Jahr über   nachfolgend dargestellten Regelungskomplexe.
    15 Milliarden Euro kosten. Die Wohngeldzahlungen von Län­           b) Begrenzung der Mieterhöhungen im Bestand: Aktuell
    dern und Bund beliefen sich im Jahr 2020 auf eine Summe           können die Mieten bis zur Referenzmiete angehoben wer­
    von 1,3 Milliarden Euro6 und müssten mehr als verzehnfacht        den, allerdings nur um maximal 20 Prozent in drei Jahren, bei
    werden, um auf diesem Wege eine sozial verträgliche Wohn­         angespannten Wohnungsmärkten sind es maximal 15 Pro­
    versorgung für alle Haushalte sicherzustellen.                    zent in drei Jahren. Grundsätzlich wollen wir an diesem Sys­
      Als angemessen gelten Gesetze, wenn nach einer Ab­              tem festhalten, allerdings liegen die erlaubten prozentualen
    wägung aller Vor- und Nachteile die mit den Maßnahmen             Steigerungen weit jenseits der Inflationsrate und führen da­
    verbundenen Einschränkungen im Vergleich zu den er­               mit zu einer weiteren Erhöhung der Mietbelastungsquote.
    wartbaren Vorteilen nicht unverhältnismäßig sind. Von be­         Je geringer das Wohnungsangebot, desto stärker steigen
    sonderer Bedeutung bei dieser Abwägung sind die ver­              die Preise. In Regionen, in denen sich schon jetzt Menschen
    fassungsrechtlich festgelegten Grundrechte. Im Fall von           mit mittleren Einkommen die Mieten nicht mehr leisten kön­
    Mietbegrenzungen betrifft dies vor allem die in Artikel 14        nen, bedarf es eines Stopps, damit die Einkommen wie­
    des Grundgesetzes definierten Eigentumsrechte, die nur            der «nachziehen» können. Je nach Region bedarf es daher
    so weit eingeschränkt werden dürfen, wie dies zum Schutz          unterschiedlicher Regelungen. Wir schlagen hier deshalb
    der Bevölkerung erforderlich ist. In der Konsequenz muss          eine von der Wohnversorgungslage abhängige Festlegung
    ein Mietendeckelgesetz demnach auch die Interessen von            der maximalen Steigerungsraten vor. Während in Gebieten
    Vermieter*innen berücksichtigen.                                  mit ausgeglichenen Wohnungsmärkten unverändert das Li­
      Wir schlagen daher einen regional differenzierten Ansatz        mit von 20 Prozent in drei Jahren gelten soll, können für Ge­
    vor, bei dem die Einschränkungen dort stärker ausfallen           biete mit angespannten Wohnungsmärkten Grenzwerte zwi­
    sollen, wo das Schutzbedürfnis der Mieter*innen aufgrund          schen 15 Prozent und der Inflationsrate festgelegt werden.
    überhöhter oder überdurchschnittlich steigender Mietpreise        Für Städte in akuter Wohnungsnotlage schlagen wir jeweils
    besonders groß ist. Auch die auf bis zu zehn Jahre verlänger­     zeitlich befristet einen vollständigen Ausschluss von Mieter­
    te Kündigungssperrfrist nach Umwandlung in Wohnungsei­            höhungen vor.
    gentum, die Begrenzung der Mieterhöhungen in laufenden              c) Begrenzung der Wiedervermietungsmiete: Seit gut
    Verträgen auf maximal 15 Prozent in drei Jahren (statt der        sechs Jahren gilt in angespannten Wohnungsmärkten die
    üblichen 20 Prozent) sowie die 2015 beschlossene Miet­            Mietpreisbremse, sofern die Länder diese eingeführt haben.
    preisbremse zur Begrenzung der Wiedervermietungsmieten            Bei Wiedervermietung darf keine Miete vereinbart werden,
    sollen nur in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten            die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als zehn Pro­
    Anwendung finden. Damit folgen wir dem Grundgedanken              zent übersteigt. Die aktuelle Mietpreisbremse ist aber zu
    eines regional ausdifferenzierten Mietrechts.                     kompliziert und hat sich als praxisuntauglich erweisen. Die
                                                                      von ihr gewährten Ausnahmen und vielen Einschränkungen
    WIE SOLL DER BUNDESWEITE MIETENDECKEL                             müssen weg. Die Mietpreisbremse muss zum Beispiel auch
    AUSGESTALTET WERDEN?                                              gelten, wenn die Wohnung vor Anmietung umfassend mo­
    Der Vorschlag für einen bundesweiten Mietendeckel greift          dernisiert worden ist. Vormiete und Miete dürfen keine Rolle
    bereits bestehende Regelungsmechanismen des Mietrechts            mehr spielen. Die Pflicht, den Verstoß vorher zu rügen, ge­
    auf, konfiguriert sie neu und führt mit der einkommensab­         hört ebenso abgeschafft wie die formalen Hürden bei der
    hängig «leistbaren Miete» in Gebieten mit Wohnungsnot ein         Einführung. Unser Vorschlag für einen bundesweiten Mie­
    ganz neues Instrument ein. Damit kann ein effektiver Schutz       tendeckel sieht eine Kappung der Wiedervermietungsmie­
    vor überhöhten Mietpreisen und starken Mietsteigerungen           te ohne jede Ausnahme vor. In Regionen mit angespannten
    durchgesetzt werden. Die Elemente der vorgeschlagenen             Wohnungsmärkten darf die Miete bei einem Neuvertrag die
    Reform des Mietrechts umfassen: a) die Festlegung der Re­         Durchschnittsmiete maximal um zehn Prozent überschrei­
    ferenzmiete, b) die Regelung von Mieterhöhungen in laufen­        ten. In Städten mit Wohnungsnotlagen, so schlagen wir vor,
    den Verträgen, c) die Begrenzung von Wiedervermietungs­           darf die Wiedervermietungsmiete die Durchschnittsmiete
    miete sowie d) die Absenkung von überhöhten Mieten.               nicht übersteigen.
      a) Reform der Referenzmiete: Das bereits jetzt schon im           d) Absenkung überhöhter Mieten: Viele mietrechtliche Ins­
3   Miet- und Wohnungsrecht oder etwa bei den kommunalen              trumente belohnen die vorherige Ausschöpfung von Mieter­
höhungsmöglichkeiten. Das heißt, selbst in Konstellationen,      messenen Bedingungen besonders gefährdet ist, weil die
in denen Mieten eingefroren werden sollen, würde der Sta­        Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätig­
tus quo fortgeschrieben werden. Eine Begrenzung der Miet­        keit der erforderliche Wohnraum geschaffen wird. Weitere
erhöhungen und eine Verschärfung der Mietpreisbremse             Merkmale sind ein geringer Leerstand bei großer Nachfrage
reichen nicht aus, um an dieser Situation etwas zu ändern –      und überdurchschnittlich stark gestiegene Angebots- oder
zu stark sind die Mieten in den letzten Jahren gestiegen. Es     Bestandsmieten in den zurückliegenden Jahren. In diesen
bedarf eines Schutzes vor Mietpreisüberhöhung und der            Gebieten soll es den Kommunen ermöglicht werden, in Ab­
Möglichkeit staatlichen Eingreifens. Wir schlagen daher vor,     hängigkeit von den wohnungspolitischen Erfordernissen die
§ 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zu reaktivieren, der Miet­      maximalen Werte für Mieterhöhungen in laufenden Verträ­
preise verbietet, die um mehr als 20 Prozent über der Refe­      gen selbst festzulegen. Die Kappungsgrenze der Mieterhö­
renzmiete liegen. Bei Verstößen sollte der Staat selbst aktiv    hungen sollte dabei deutlich unter den bisher rechtlich zu­
werden und den Mieter*innen die Last nehmen, ihre Rechte         lässigen Mieterhöhungen (zurzeit 15 Prozent in drei Jahren)
individuell einklagen zu müssen. Die Mietpreisüberhöhung         liegen. Bei Neuvermietungen darf in Anlehnung an die bishe­
knüpft im vorgeschlagenen Modell eines bundesweiten Mie­         rige Mietpreisbremse die Miete maximal zehn Prozent über
tendeckels an die Referenz- oder Durchschnittsmiete an. In       der jeweiligen Vergleichsmiete liegen. Im Gegensatz zur gel­
Wohnungsnotgebieten, die sich dadurch auszeichnen, dass          tenden Mietpreisbremse soll es hier aber keinerlei Ausnah­
die Mieten von Menschen mit mittleren Einkommen nicht            meregelungen geben. Wie für Gebiete mit ausgeglichenen
mehr gezahlt werden können, soll es den Kommunen dar­            Wohnungsmärkten gilt eine höchstzulässige Miete nach
über hinaus möglich sein, die höchstzulässige Miete nicht        Wirtschaftsstrafrecht. Danach sind Mietpreise verboten, die
an der Durchschnittsmiete, sondern an der «lokalen Leistbar­     die jeweilige Durchschnittsmiete um mehr als 20 Prozent
keitsgrenze» auszurichten. Diese orientiert sich bei mittlerer   überschreiten.
Wohnungsgröße an einer Mietkostenbelastung von maxi­                Wohnungsnotlagengebiete: Als Orte mit Wohnungsnot­
mal 30 Prozent des Medianeinkommens der ortsansässigen           lagen gelten Städte und Regionen, in denen Bestands- und
Bevölkerung. Wird diese Leistbarkeitsgrenze um mehr als          Angebotsmieten in den letzten Jahren überdurchschnittlich
20 Prozent überschritten, muss die überhöhte Miete abge­         stark gestiegen sind, in denen Bestands- und Angebotsmie­
senkt werden, andernfalls droht ein Bußgeld.                     ten überdurchschnittlich weit auseinanderliegen bzw. wo
                                                                 mehr als 50 Prozent der Haushalte eine Mietkostenbelastung
WO SOLL DER BUNDESWEITE MIETENDECKEL                             von über 30 Prozent ihres Einkommens haben. Zugrunde ge­
ANWENDUNG FINDEN?                                                legt wird bei der Berechnung der Mietkostenbelastung die
Grundsätzlich gilt ein bundesweiter Mietendeckel im gesam­       Bruttowarmmiete, die von den Haushalten zu zahlen ist. Für
ten Bundesgebiet. Vorgeschlagen wird aber die Einteilung         solche Wohnungsnotlagengebiete sind stärkere Eingriffe
in drei Gebietstypen, in denen jeweils verschiedene Rege­        durch den bundesweiten Mietendeckel vorgesehen. Mieter­
lungsstufen gelten sollen. Die Länder werden dabei gesetz­       höhungen sollen komplett ausgeschlossen werden, um den
lich verpflichtet, die Wohnungsmärkte in den Gemeinden zu        Mieter*innen nach den überdurchschnittlichen Mietsteige­
beobachten und bei Vorliegen der nachgenannten Kriterien         rungen der vergangenen Jahre eine Atempause zu verschaf­
die entsprechenden Gebietstypen auszuweisen und die Ein­         fen. Wiedervermietungsmieten dürfen die jeweilige Refe­
ordnung regelmäßig zu überprüfen.                                renzmiete für vergleichbare Wohnungen nicht überschreiten
   Ausgeglichene Wohnungsmärkte: Als Orte mit ausgegli­          und die höchstzulässige Miete liegt per Definition 20 Prozent
chenen Wohnungsmärkten gelten Städte und Regionen,               über der «lokalen Leistbarkeitsgrenze». Als «lokale Leistbar­
in denen es weder überdurchschnittlich hohe Mieten noch          keitsgrenze» gilt der Mietpreis, bei dem mit einem mittleren
Mietsteigerungen gibt und in denen es durch eine Leer­           Haushaltseinkommen und einer durchschnittlichen Woh­
standsquote von mindestens drei Prozent ein ausreichendes        nungsgröße eine Mietbelastung von 30 Prozent des Haus­
Potenzial für einen Wohnungswechsel gibt. In diesen Gebie­       haltseinkommens nicht überschritten wird.
ten gelten weiterhin die bisherigen Regelungen des Miet­
rechts. Bei laufenden Verträgen dürfen Mietsteigerungen          WELCHE WIRKUNGEN SIND VON EINEM
bis zur ortüblichen Vergleichsmiete erfolgen, diese dürfen       BUNDESMIETENDECKEL ZU ERWARTEN?
jedoch in einem Zeitraum von drei Jahren 20 Prozent nicht        Um die Wirksamkeit der von uns vorgeschlagenen Rege­
überschreiten. Die Wiedervermietungsmiete in diesen Ge­          lungen einschätzen zu können, haben wir eine Simulations­
bieten darf wie bisher frei vereinbart werden. Veränderun­       rechnung durchgeführt. Wir sind dabei von 44 Großstädten
gen zu bisherigen Regelungen betreffen die Berechnung der        in Deutschland mit knapp sieben Millionen Haushalten, die
Referenzmieten und die Reaktivierung des Wirtschaftsstraf­       dort zur Miete wohnen, ausgegangen. Dabei konnte gezeigt
rechts für das Verbot von überhöhten Mieten. Die ortsübli­       werden, dass ein Bundesmietendeckel die soziale Wohnver­
che Vergleichsmiete soll künftig nicht mehr aus den Mietver­     sorgungslage deutlich verbessern würde.7 Von ihm würden
tragsabschlüssen und Mietpreisveränderungen der letzten          fast alle Haushalte profitieren. Vor allem für die 3,5 Millio­
sechs Jahre abgeleitet werden, sondern als echte Durch­          nen Haushalte, die derzeit überhöhte Mieten zahlen, würde
schnittsmiete aller Wohnungen berechnet werden. Als neu­         sich die finanzielle Belastung verringern. Für rund eine Mil­
es Regelungselement soll auch eine höchstzulässige Miete         lion Haushalte, die heute mit ihren Wohnkosten überlastet
zur Anwendung kommen, die künftig Mietpreise, die 20 Pro­        sind, könnte mit der vorgeschlagenen Umstellung der Re­
zent über der jeweiligen Referenzmiete liegen, ausschließen      ferenzmiete, der Einführung von Kappungsgrenzen und
soll.                                                            Absenkungen auf die höchstzulässige Miete eine für sie er­
   Angespannte Wohnungsmärkte: Als Orte mit angespann­           schwingliche Wohnung im Bestand gesichert werden. Zu­
ten Wohnungsmärkten gelten Städte und Regionen, in de­           dem würden die vorgeschlagenen Mietobergrenzen bei der
nen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung zu ange­         Wiedervermietung es über 580.000 Haushalten mehr als bis­        4
her ermöglichen, neue Mietverträge abzuschließen, die die          Benjamin Raabe ist Rechtsanwalt in Berlin und seit 1994 vorwie­
Leistbarkeitsgrenzen nicht überschreiten. Wollte man dies          gend im Wohnraummietrecht tätig, seit 2006 auch als Fachan­
mit Subjektförderprogrammen erreichen, würde das den               walt für Mietrecht. Er vertritt ausschließlich Mieter*innen. Er ist
Staat pro Jahr über fünf Milliarden Euro kosten.                   aktiv im erweiterten Vorstand des Republikanischen Anwältinnen
  Der Vorschlag für einen bundesweiten Mietendeckel bietet         und Anwältevereins (RAV) und dort auch Teil des Arbeitskreises
nicht nur ein rechtssicheres Instrument zur effektiven Miet­       Mietrecht sowie im Vorstand des Netzwerks Mieten und Wohnen.
preisbegrenzung und zur Sicherung von leistbaren Wohn­
kosten, sondern ist auch ohne zeitlichen Verzug umsetzbar.
                                                                   1 Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitions­
Ein Mietendeckel würde außerdem lediglich die Gewinne              vertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜND­
in der privaten Wohnungswirtschaft reduzieren und belas­           NIS 90/DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), 24.11.2021, S. 90 f., unter: www.
                                                                   spd.de/koalitionsvertrag2021/. Vgl. auch Lay, Caren/Kuhn, Armin: Für die Mieter*innen
tet die öffentlichen Kassen nicht. Im Gegenteil: Aufgrund          hat niemand gekämpft. Die Neubaufixierte Wohnungspolitik der Ampel löst die Mieten­
von sinkenden Mietzuschüssen in Form von Wohngeld und              frage nicht, Standpunkte 12/2021, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2021,
                                                                   unter: www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_12-2021.
«Kosten der Unterkunft» für Transferleistungsbezieher*innen        pdf. 2 Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin 2020, in: Senatsver­
                                                                   waltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (Hrsg.): Gesetz- und Ver­
(im Jahr 2019 waren das 17,2 Milliarden Euro8) würden Mit­         ordnungsblatt für Berlin, 76. Jahrgang, Nr. 6, 22.2.2020, Berlin. 3 Bundesverfassungsge­
tel frei werden, die in den sozialen und gemeinnützigen Woh­       richt: Leitsätze zum Beschluss des Zweiten Senats vom 25. März 2021 (2 BvF 1/20, 2 BvL
                                                                   5/20, 2 BvL 4/20), unter: www.bundesverfassungsgericht.de/e/fs20210325a_2bvf000120.
nungsbau investiert werden können. Viele gute Gründe also,         html. 4 F+B: Marktdaten-Zusammenstellung für die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag,
das Feuer der Mietpreissteigerungen auch auf diesem Wege           Berlin 2021; Statistisches Bundesamt: Mikrozensus der Erhebung von 2018, Wiesbaden
                                                                   2020. 5 Holm, Andrej u.a.: Die Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme, Wor­
zu löschen.                                                        king Paper 217, Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2021, unter: www.boeckler.de/de/faust-
                                                                   detail.htm?sync_id=HBS-008039. 6 Statistisches Bundesamt: 22,6 % mehr Haushalte
                                                                   bezogen im Jahr 2020 Wohngeld, Pressemitteilung Nr. 517 vom 12.11.2021, Wiesbaden
Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler an der Humboldt-Universi­    2021. 7 Holm, Andrej/Raabe, Benjamin: Bundesweiter Mietendeckel. Regelungsmöglich­
tät zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gentrification    keiten und Beitrag für eine soziale Wohnraumversorgung, Studie im Auftrag der Fraktion
                                                                   DIE LINKE. im Bundestag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2021, unter: www.ro­
und Wohnungspolitik. Er engagiert sich darüber hinaus in Berlin    salux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Studie_bundesweiter_Mietende­
                                                                   ckelerfassung.pdf. 8 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Vierter Bericht
für das Recht auf Wohnen und ist in zahlreichen stadtpolitischen
                                                                   der Bundesregierung über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland und
Initiativen aktiv.                                                 Wohngeld- und Mietenbericht 2020, Berlin 2021, S. 162.

                                                                   IMPRESSUM
                                                                   STANDPUNKTE 2/2022 erscheint online
                                                                   und wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung
                                                                   V. i. S. d. P.: Henning Heine
                                                                   Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin · www.rosalux.de
                                                                   ISSN 1867-3171
                                                                   Redaktionsschluss: Januar 2022
                                                                   Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin
                                                                   Layout/Satz: MediaService GmbH Druck und Kommunikation

                                                                   Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit
                                                                   der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie wird kostenlos abgegeben
                                                                   und darf nicht zu Wahlkampfzwecken verwendet werden.
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