Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, soziale Unterstützung und ehrenamtliches Enga-gement von und für ältere Menschen
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DZA-Fact Sheet Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, soziale Unterstützung und ehrenamtliches Enga- gement von und für ältere Menschen Oliver Huxhold, Heribert Engstler & Daniela Klaus 08. April 2020 Problemaufriss Die Corona-Pandemie macht eine Kon- fentlichen Debatte werden neben Vor- taktsperre notwendig. Körperlichen Ab- erkrankten vornehmlich ältere Men- stand halten, mindestens anderthalb schen als Risikogruppe erachtet. Schon Meter, besser noch mehr. Abstand jetzt wird von alten Menschen eine beim Spazierengehen, Abstand beim noch stärkere Reduzierung ihrer sozia- Einkaufen, Abstand beim Gang in die len Kontakte erwartet als von Jüngeren. Arztpraxis. Soziale Kontakte sollten Ältere Menschen, so die allgemeine Er- möglichst nur zu einer kleinen Gruppe wartung, sollen ihre Wohnung mög- von Menschen gepflegt werden, damit lichst gar nicht mehr verlassen, nicht es keine „Ketten-Infektionen“ gibt, die mehr einkaufen gehen, Arztbesuche sich von Gruppe zu Gruppe übertragen. nur in dringenden Fällen unternehmen, Menschen sollten sich möglichst in ihrer möglichst wenig Spazierengehen und Wohnung aufhalten. Damit sind der so- ein längeres Sitzen auf der Parkbank ziale Kontakt und die soziale Unterstüt- unterlassen. Zudem tauchten unlängst zung vor allem auf jene Menschen be- in der öffentlichen Debatte Überlegun- schränkt, mit denen wir in einem Haus- gen auf, die Kontaktsperren für Ältere halt leben. deutlich länger aufrecht zu erhalten als für Jüngere. Die negativen sozialen und vor allem wirtschaftlichen Folgen dieser Strategie Doch wissenschaftliche Erkenntnisse sind jedoch auf Dauer erheblich. Aus aus der Altersforschung legen nahe, diesem Grund wird in der letzten Zeit dass dieser Bevölkerungsgruppe deutli- wiederholt argumentiert, dass Maßnah- che gesundheitliche Einbußen drohen, men, die auf eine soziale Isolation ab- wenn Maßnahmen zur sozialen Distan- zielen, zukünftig auf Risikogruppen zierung undifferenziert und unreflektiert konzentriert werden sollten. In der öf- über eine lange Zeit auf die Älteren an- gewendet werden. Und nicht nur die
2 Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung Konsequenzen für die älteren Mitbürge- Corona-Virus sozial isoliert werden, rinnen und Mitbürger können erheblich müssen deren bislang erbrachte Leis- sein, auch das gesellschaftliche Gefüge tungen von der übrigen Gesellschaft insgesamt könnte Schaden nehmen. kompensiert werden. Sollten ältere Menschen über einen län- geren Zeitraum als Strategie gegen das Befunde Der Kontakt zu anderen Personen ist tiv auf das Wohlbefinden älterer Men- nicht nur wesentlich, um das subjektive schen auswirken, wenn es die Autono- Wohlbefinden aufrechtzuerhalten. Ein mie älterer Menschen untergräbt (Merz Mangel an menschlichen Interaktionen & Huxhold, 2010). Im Gegensatz dazu kann auch erhebliche negative Folgen führt das freiwillige Engagement für An- für die Gesundheit nach sich ziehen. dere bei Menschen im Ruhestandsalter Eine Studie des Deutschen Zentrums dazu, dass sich die Wahrnehmung der für Altersfragen zeigte, dass sich bei eigenen Autonomie erhöht und sich das Menschen im Alter von 65 Jahren und Wohlbefinden verbessert (Müller, älter, die ihre gemeinsamen Aktivitäten Ziegelmann, Simonson, Tesch-Römer, mit anderen verringern, sowohl Einbu- & Huxhold, 2014). Natürlich kommen ßen in ihrer Lebenszufriedenheit und die Unterstützungsleistungen nicht nur dem Erleben von Glück als auch Ver- den Gebenden selbst zugute. Die älte- luste in ihrer subjektiven und funktiona- ren Mitbürgerinnen und Mitbürger im Al- len Gesundheit ergeben (Huxhold, ter von 65 Jahren und mehr leisten Fiori, & Windsor, 2013). Es sind gerade wichtige Beiträge für die Gesellschaft soziale Aktivitäten, die Menschen das als Ganzes, indem sie zum Beispiel En- Gefühl geben, ihr Leben selbst unter kelkinder betreuen, substanzielle instru- Kontrolle zu haben (Curtis, Huxhold, & mentelle Hilfen leisten oder sich in Eh- Windsor, 2016). Auch sind alltägliche renämtern engagieren. Gerade in Zei- Kontakte zu Menschen, die keine na- ten der Corona-Krise könnte es schwer- hen Angehörige oder enge Freunde fallen, diese Leistungen zu kompensie- sind, enorm wichtig, um eine depres- ren. sive Symptomatik im Alter zu vermei- In den folgenden Abschnitten legen wir den (Huxhold, Fiori, Webster, & die besondere soziale Situation älterer Antonucci, 2020). Menschen dar. Dazu beschäftigen wir Neben den alltäglichen Kontakten und uns mit der Haushaltssituation, den so- sozialen Aktivitäten sind es vor allem zialen Aktivitäten, den Unterstützungs- die Unterstützungsleistungen, die Men- leistungen und dem ehrenamtlichen En- schen füreinander wechselseitig auf- gagement von Menschen im Alter von bringen, die ihnen helfen, ihr subjekti- 65 Jahren und älter. Datengrundlage ves Wohlergehen und ihre Gesundheit hierfür ist vor allem der Deutsche Al- aufrechtzuerhalten (Huxhold u.a., terssurvey (DEAS). Der Deutsche Al- 2013). Hervorzuheben ist, dass dabei terssurvey ist eine bundesweit reprä- nicht nur der Erhalt von Unterstützung sentative Langzeituntersuchung von eine wichtige Rolle spielt, sondern Personen, die sich in der zweiten Le- auch, dass sich das Leisten von Unter- benshälfte befinden (d. h. 40 Jahre und stützung positiv auf das Wohlbefinden älter sind). Die teilnehmenden Perso- der Gebenden auswirkt (Krause, nen werden regelmäßig umfassend zu Herzog, & Baker, 1992). Der Erhalt in- ihrer Lebenssituation befragt, unter an- strumenteller Unterstützung durch Fa- derem zu ihrer Erwerbstätigkeit oder ih- milienmitglieder kann sich sogar nega- rem Leben im Ruhestand, zu gesell- schaftlicher Teilhabe und Ehrenamt, zu
Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung 3 Einkommen und Vermögen, zu sozialer Integration und Einsamkeit sowie zu Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Haushaltssituation älterer Menschen Auch wenn die Auswirkungen der Re- über virtuelle Medien erfolgen. Zudem gelungen zur sozialen Distanzierung ist die Wohnsituation für ältere Men- alle Menschen betreffen, sind sie für äl- schen heutzutage häufig anders gela- tere Menschen doch in besonderer gert als bei Menschen im jüngeren und Weise bedeutsam. Bei älteren Men- mittleren Erwachsenenalter. In Abbil- schen fehlen die Kontakte, die Jüngere dung 1 sind die Haushaltsgrößen für im Berufsleben alltäglich haben. Dies Menschen im Alter von 65 und mehr gilt auch dann, wenn berufsbedingte Jahren dargestellt, die in Privathaushal- soziale Interaktionen in Zeiten der ten und nicht in Pflegeheimen wohnen. Corona-Krise häufiger telefonisch oder Abbildung 1: Haushaltsgröße der in Privathaushalten lebenden Bevölkerung, 2018 100 80 60 Prozent unter 65 Jahren 65-74 Jahre 40 75-90 Jahre 66,4 53,6 55,9 20 41,6 25,7 27,0 17,1 7,9 4,7 0 1 2 3 und mehr Haushaltsgröße Quelle: GeroStat – Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin. DOI 10.5156/GEROSTAT. Basisdaten: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden – Mikrozensus. Eigene Berechnungen. . Ältere Menschen leben überwiegend in dern. Ihre Beziehungen zu anderen Fa- Ein- und Zweipersonenhaushalten. Von milienmitgliedern sind nahezu aus- den ab 75-Jährigen wohnen mehr als schließlich haushaltsübergreifende Be- 40 Prozent allein. Ältere Menschen ha- ziehungen. Möglichkeiten zum physi- ben daher viel weniger als jüngere schen Kontakt mit den Angehörigen er- Menschen die Gelegenheit zum direk- geben sich nur durch wechselseitiges ten persönlichen Kontakt und Aus- Besuchen oder Treffen außerhalb des tausch mit anderen Haushaltsmitglie- Haushalts. Bedeutung sozialer Aktivitäten für ältere Menschen Vermutlich sind diese speziellen Wohn- Zentrums für Altersfragen zeigen, dass situationen der Älteren eine Ursache eine Verringerung von gemeinschaftli- dafür, warum soziale Aktivitäten für äl- chen Aktivitäten gerade bei älteren tere Menschen eine so hohe Wichtig- Menschen zu erhöhter Einsamkeit führt, keit haben. Analysen des Deutschen
4 Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung während Jüngere mit weniger Aktivitä- Im Deutschen Alterssurvey wurden so- ten besser zurechtkommen (Böger & ziale Aktivitäten über eine Auswahl ver- Huxhold, 2018). Gemeinschaftlichen schiedener Aktivitäten innerhalb der Unternehmungen mit Freunden schei- letzten zwölf Monate erfasst (spazieren nen in diesem Zusammenhang eine be- gehen, Sport treiben, künstlerisch tätig sondere Bedeutung zuzukommen. Da- sein, kulturelle Veranstaltungen besu- bei hat die Wichtigkeit von Freundinnen chen, Sportveranstaltungen besuchen, und Freunden, Bekannten sowie Nach- Gesellschaftsspiele spielen, Kurse und barinnen und Nachbarn für die soziale Vorträge besuchen). Für jede Aktivität Integration älterer Menschen in den gaben die Befragten an, ob sie diese letzten Jahrzehnten zugenommen und mit Freundinnen und Freunden, im Ver- wird aller Voraussicht nach weiter an ein oder mit Anderen ausgeführt haben. Bedeutung gewinnen (Huxhold, 2019, In Abbildung 2 wird der Anteil an Perso- Fiori, Windsor, & Huxhold, 2020). Sozi- nen dargestellt, die zumindest eine ale Aktivitäten mit Freundinnen und Freizeitaktivität mit befreundeten Perso- Freunden helfen insbesondere den Äl- nen (Aktivität mit Freundinnen und teren und nicht so sehr jüngeren Perso- Freunden oder im Verein) ausgeführt nen, negative Gefühle wie Angst oder haben. Trauer zu vermeiden und ihre Lebens- zufriedenheit langfristig aufrechtzuer- halten (Huxhold, Miche, & Schüz, 2014). Abbildung 2: Anteile der Personen zwischen 65 und 90 Jahren, die regelmäßig Aktivitäten mit Freundinnen und Freunden unternehmen, 2017 (in Prozent) 100 80 60 Prozent 40 62,4 47,1 20 0 65-74 Jahre 75-90 Jahre Quelle: Deutscher Alterssurvey; n=3.760, gewichtete Ergebnisse. Etwa 62,4 Prozent der Menschen im Al- 47,1 Prozent. Die Beschneidung der ter von 65 bis 74 Jahren sind in ihrer Möglichkeiten, Freundinnen oder Freizeit regelmäßig mit Freundinnen o- Freunde persönlich und gemeinsam mit der Freunden aktiv. Bei den 75- bis 90- ihnen aktiv zu sein, betrifft also einen Jährigen liegt der Anteil der Menschen, großen Anteil der Menschen im Alter die soziale Aktivitäten mit befreundeten von 65 Jahren und älter. Personen durchführen, immer noch bei
Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung 5 Soziale Unterstützungsleistungen von und für ältere Menschen Im privaten Bereich werden zahlreiche wie deren Möglichkeit, selbst Andere zu und wichtige informelle Unterstützungs- unterstützen (Krause u.a., 1992; Müller leistungen füreinander erbracht. Dabei u.a., 2014). Angesichts der erheblichen sind gerade Menschen über 65 Jahre Breite der Unterstützungsleistungen, keineswegs nur einseitige Empfängerin berichten wir über praktische Unterstüt- oder Empfänger, sondern oft auch zungsleistungen, informelle Betreuung selbst aktiv an diesem Austauschge- und Pflege, Kinder- und Enkelbetreu- schehen beteiligt. Aus der Forschung ung sowie ehrenamtliches Engage- ist bekannt, dass der Erhalt benötigter ment. Hilfen ebenso zum allgemeinen Wohl- befinden der älteren Menschen beiträgt Unterstützungsleistungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern Auch wenn enge Familienmitglieder wie kleineren Reparaturarbeiten und Ein- erwachsene Kinder, Eltern, Enkelkinder käufen (Abbildung 3). und Geschwister oft nicht nah beieinan- Umgekehrt helfen aber auch 13 Pro- der wohnen, sind sie in der Alltagsge- zent der 65- bis 74-Jährigen und 5 Pro- staltung wichtig und in Notfallsituatio- zent der 75- bis 90-Jährigen ihrerseits nen häufig füreinander da (Klaus & in den Haushalten ihrer erwachsenen Mahne, 2019). Dabei sind sie sich vor Kinder bei solchen praktischen Erledi- allem emotionale Stütze und Ratgeber. gungen und Aufgaben. Da Eltern und Zudem unterstützen gerade die älteren erwachsene Kinder nur selten im sel- Familienmitglieder ihre erwachsenen ben Haushalt wohnen, finden derlei Un- Kinder und Enkel häufig durch materi- terstützungsleistungen oft haushalts- elle Zuwendungen (Klaus & Mahne, übergreifend statt, was angesichts 2017; Steinbach, Mahne, Klaus, & Corona-bedingter Kontaktsperren er- Hank, 2020). schwert oder gar unmöglich ist. Das Daneben fließen auch verschiedene lässt auf beiden Seiten nicht nur Defi- praktische Hilfeleistungen. Beispiels- zite in der Alltagsversorgung erwarten, weise erhalten 8 Prozent der 65- bis sondern könnte auch emotionale Fol- 74- Jährigen und 14 Prozent der 75- bis gen haben, da erwachsene Kinder und 90-Jährigen von ihren außerhalb des ihre Eltern in der Regel über ein enges Haushaltes lebenden Kindern regelmä- Verhältnis verfügen. ßig Unterstützung bei der Hausarbeit,
6 Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung Abbildung 3: Anteile der Personen zwischen 65 und 90 Jahren, die von ihren Kindern instrumentelle Hilfe erhalten und an sie geben1, 2017 (in Prozent) 20 15 Prozent Hilfe erhalten 10 Hilfe geben 14,2 13,0 5 8,0 5,0 0 65-74 Jahre 75-90 Jahre Quelle: Deutscher Alterssurvey; n=3.146, gewichtete Ergebnisse. 1 Hilfe im Haushalt, bei kleineren Reparaturen und beim Einkaufen von/an Kinder, die älter als 18 Jahre sind und nicht im elterlichen Haushalt leben. Informelle Betreuung und Pflege bei gesundheitlicher Einschränkung Da sich mit zunehmendem Alter die die im eigenen Haushalt leben. Diese Gesundheit und damit auch die Eigen- informell organisierten Leistungen wer- ständigkeit in der Alltagsführung im den häufig von den (Ehe-)Partnerinnen Durchschnitt verschlechtert (für Diffe- und (Ehe-)Partnern erbracht, aber auch renzierungen hierzu siehe das Fact von anderen Familienmitgliedern und Sheet „Alte Menschen sind unter- Personen, die nicht im selben Haushalt schiedlich, auch in der Corona-Krise“ leben. Diese Hilfeleistungen sind für die auf der Website des DZA, kranken und pflegebedürftigen Älteren www.dza.de), steigen auch die Anteile unverzichtbar und müssen entspre- derer, die auf regelmäßige Betreuung chend auch in und nach der Zeit der bis hin zu Pflege angewiesen sind. akuten Corona-Krise gewährleistet wer- den. Wie Abbildung 4 zeigt, trifft das auf 4 Prozent der 65- bis 74-Jährigen und 13Prozent der 75- bis 90-Jährigen zu,
Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung 7 Abbildung 4: Anteile der Personen zwischen 65 und 90 Jahren, die gesundheitsbedingt von Anderen betreut oder gepflegt werden und Andere betreuen oder pflegen, 2017 (in Prozent) 20 15 Prozent Erhalt von Betreuung/Pflege 10 Betreuung/Pflege Anderer 14,0 13,1 12,1 5 4,2 0 65-74 Jahre 75-90 Jahre Quelle: Deutscher Alterssurvey; n=3.630/ 3.633, gewichtete Ergebnisse. Mindestens ebenso wichtig wie die Si- Schwiegereltern (14 Prozent), aber cherstellung benötigter Unterstützung auch hier zu 23 Prozent die (Ehe-)Part- ist es, eine Überlastung zu Hause pfle- nerinnen und (Ehe-)Partner. gender (Ehe-)Partnerinnen und (Ehe-) Und es wird deutlich, dass diese Leis- Partner zu vermeiden. Denn auch hier tungen nicht auf die eigene Familie be- zeigt sich, dass ältere Menschen eben schränkt bleiben. Etwa ein Drittel be- nicht nur Empfangende sind, sondern treuen und pflegen Personen, die nicht selbst auch zeitintensive und körperlich zur eigenen Familie zählen – wie etwa aufwändige Aufgaben für Andere über- Nachbarinnen und Nachbarn, Freundin- nehmen. So begleiten, betreuen oder nen und Freunde oder Personen, die im pflegen 14 Prozent der 65- bis 74-Jähri- Rahmen eines Ehrenamtes unterstützt gen und 12 Prozent der 75- bis 90-Jäh- werden (28 Prozent der 65- bis 74-Jäh- rigen andere Menschen, die gesund- rigen und 33 Prozent der 75- bis 90- heitlich eingeschränkt sind. Und gerade Jährigen). Insgesamt beläuft sich die in der ältesten Gruppe der 75- bis 90- Zeit, die hierfür aufgewendet wird, im Jährigen sind die Hauptempfängerin- Durchschnitt auf 13 (65- bis74-Jährige) nen und Hauptempfänger mehrheitlich beziehungsweise 14 Wochenstunden die eigenen (Ehe-)Partnerinnen und (75- bis 90-Jährige), was den beträchtli- (Ehe-)Partner (55 Prozent). Die 65- bis chen Beitrag der älteren Menschen un- 74-Jährigen pflegen überwiegend die terstreicht. eigenen Eltern (20 Prozent), die (Enkel-)Kinderbetreuung Auch bei der Betreuung von Kindern source da. Gerade in den letzten Jah- der Nachbarinnen und Nachbarn, ren ist die Enkelbetreuungsquote wie- Freundinnen und Freunde sowie haupt- der angestiegen, was mutmaßlich da- sächlich der eigenen Enkelkinder stel- ran liegt, dass der Ausbau institutionel- len ältere Menschen eine wichtige Res- ler Betreuungseinrichtungen dem An- stieg der mütterlichen Erwerbstätigkeit
8 Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung hinterherhinkt und entsprechend Eltern bis 90-Jährigen Kinder im privaten Um- wieder verstärkt darauf angewiesen feld, die nicht die eigenen Kinder sind. sind, dass Großeltern einspringen Hierfür wenden sie im Durchschnitt 10 (Mahne & Klaus, 2017). Dabei ver- (65- bis 74-Jährige) beziehungsweise 8 schiebt sich die von den älteren Men- (75- bis 90-Jährige) Wochenstunden schen übernommene Enkel- und Kin- auf. Die Anteile derer, die ausschließ- derbetreuung immer mehr in deren hö- lich Enkelkinder betreuen sind etwas heres Alter (Klaus & Vogel, 2019). Ak- geringer (Abbildung 5). tuell betreuen 30,9 Prozent der 65- bis 74-Jährigen und 12,0 Prozent der 75- Abbildung 5: Anteile der Personen zwischen 65 und 90 Jahren, die (Enkel-)Kinder betreuen, 2017 (in Prozent) 40 30 Prozent Betreuung von Kindern, 20 die nicht die eigenen sind Betreuung von Enkelkindern 30,9 27,2 10 12,0 9,0 0 65-74 Jahre 75-90 Jahre Quelle: Deutscher Alterssurvey; n=3.558, gewichtete Ergebnisse. Fallen nun während der Zeit der akuten das mentale Wohlbefinden der Großel- Corona-Krise diese Betreuungsleistun- tern könnte leiden, wenn der Kontakt zu gen der Älteren weg, da sie selten mit ihren Enkelkindern langfristig einge- den zu betreuenden (Enkel-)Kindern in schränkt oder gar verhindert ist. Denn einem gemeinsamen Haushalt leben, aus der Forschung ist bekannt, dass so dürfte das einen Teil der Eltern vor die Beziehung zu den Enkelkindern für das Problem unzureichender Kinderbe- viele Großeltern von großer Wichtigkeit treuung stellen. Diese Herausforderung ist und sich durch eine hohe Verbun- wird verstärkt, je länger Kinderbetreu- denheit auszeichnet, was für deren Ge- ungseinrichtungen geschlossen bleiben fühlsleben zuträglich ist (Mahne & oder nur eine Notbetreuung anbieten Huxhold, 2015). und wenn Eltern in Berufen und Bran- chen arbeiten, die derzeit von hoher ge- sellschaftlicher Relevanz sind. Auch
Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung 9 Ehrenamtliches Engagement älterer Menschen Wie bereits weiter oben ausgeführt, un- ältere Menschen durch ihr breites eh- terstützt die Ausübung einer ehrenamt- renamtliches Engagement erhebliche lichen Tätigkeit ältere Menschen nicht Beiträge zum gesellschaftlichen Zu- nur bei der Beibehaltung eines hohen sammenhalt. In Abbildung 6 sind die Maßes an gefühlter Selbstwirksamkeit, Anteile ehrenamtlich Engagierter unter sondern ermöglicht ihnen auch, ihr den 65- bis 90-Jährigen dargestellt. Wohlbefinden länger aufrechtzuerhal- ten (Müller u.a., 2014). Zugleich leisten Abbildung 6: Anteil ehrenamtlich Engagierter unter den 65- bis 90-Jährigen, 2017 (in Prozent) 30 25 20 Prozent 15 26,8 10 17,5 5 0 65-74 Jahre 75-90 Jahre Quelle: Deutscher Alterssurvey; n=3.751, gewichtete Ergebnisse. Nach den Ergebnissen des Deutschen Ältere Menschen sind also nicht nur Alterssurveys übt mehr als ein Fünftel Nutznießer, sondern auch Hersteller der ab 65-Jährigen eine ehrenamtliche dieser gesellschaftlichen Wohlfahrts- Funktion in einem Verein, einer Gruppe produktion. Zugleich verbinden sich mit oder Organisation aus oder sind ander- ihrem Engagement soziale Kontakte weitig ehrenamtlich engagiert. Von den und Möglichkeiten zum sozialen Mitei- 65- bis 74-Jährigen ist mehr als ein nander. Insofern ist das ehrenamtliche Viertel ehrenamtlich tätig, aber auch Engagement Älterer eine wichtige Kom- von den 75- bis 90-Jährigen engagieren ponente ihrer gesellschaftlichen Teil- sich noch 17 Prozent. Dies verdeutlicht, habe. Es ist zu erwarten, dass die aktu- dass ältere Menschen eine wesentliche ellen Kontakt- und Ausgangsbeschrän- Stütze des Ehrenamtssektors sind und kungen sich negativ auf das ehrenamtli- viele Ältere sich in dieser Form aktiv in che Engagement Älterer auswirken. das gesellschaftliche Leben einbringen.
Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung 10 Implikationen Aufgrund der hohen Bedeutung der so- Menschen für die Gesellschaft als Gan- zialen Kontakte für Wohlbefinden, die zes erbringen (siehe zum Thema Al- körperliche und psychische Gesundheit tersdiskriminierung das Fact Sheet „Al- und die Aufrechterhaltung einer selbst- tersdiskriminierung und Altersbilder in ständigen Lebensführung im Alter er- der Corona-Krise“ auf der Website des scheint eine strikte häusliche Isolierung DZA, www.dza.de). älterer Menschen über mehrere Monate Bei allmählicher Lockerung der allge- zu pauschal und nicht zielführend. Sozi- meinen Kontakteinschränkung sollten ale Kontakte und Aktivitäten insbeson- Regelungen zu Ausmaß, Dauer und dere mit Freundinnen und Freunden so- Bereiche der Kontaktbeschränkungen wie Bekannten sind für ältere Men- unter differenzierter Abwägung der schen sogar noch notwendiger als für Chancen und Risiken auf unterschiedli- jüngere Menschen, um ihr Wohlbefin- che Lebenslagen getroffen werden. den aufrechtzuerhalten. Diese sollten nicht pauschal am Krite- Zudem würden nur an einer unteren Al- rium Lebensalter ausgerichtet sein. Es tersgrenze ausgerichtete Kontaktver- ist nicht davon auszugehen, dass ältere bote den unterschiedlichen Lebens- Menschen in der gegenwärtigen Situa- und Risikolagen älterer Menschen nicht tion weniger verantwortungsbewusst gerecht. Weder die besonderen Wohn- handeln als jüngere, zumal ihnen be- situationen älterer Menschen und ihre wusst ist, dass eine Infektion mit dem speziellen Bedarfe nach praktischer Corona-Virus für sie im Durchschnitt ein Unterstützung dürfen unberücksichtigt erhöhtes Krankheitsrisiko birgt. Es kann bleiben, noch dürfen die Älteren, die daher erwartet werden, dass ältere Angehörige zu Hause pflegen und da- Menschen auch ohne altersbezogene bei Unterstützung brauchen, vergessen Verbote freiwillig in hohem Maße darauf werden. Letztlich leistet eine pauschali- achten, ihre sozialen Kontakte einzu- sierte auf ältere Mitbürgerinnen und schränken und so zu gestalten, dass Mitbürger gemünzte soziale Distanzie- sie von einer Infektion möglichst ver- rungsstrategie der Altersdiskriminierung schont bleiben. Vorschub und berücksichtigt nicht aus- reichend die Leistungen, die ältere Empfehlungen Mit Blick auf die Bedeutung, die soziale schränkungen noch über einen län- Beziehungen und Unterstützung für äl- geren Zeitraum beizubehalten, tere Menschen haben, und zugleich un- müssten zugleich Regelungen ge- ter Berücksichtigung der Relevanz von funden werden, die es älteren Men- Leistungen älterer Menschen im Kon- schen ermöglichen, ein Mindestmaß text familiärer Sorgearbeit und freiwilli- an sozialen Kontakten, außerhäusli- gem Engagement formulieren wir drei chen Aktivitäten und gesellschaftli- Empfehlungen zum Umgang mit der cher Teilhabe aufrechtzuerhalten. zurzeit notwendigen Kontaktsperre. Zwar können sich nahezu alle Älte- ren telefonisch mit anderen Men- − Ermöglichung sozialer Kontakte schen unterhalten, die Möglichkei- auch unter Bedingungen der Kon- ten zur Videokommunikation mit taktsperre: Sollte es aus gesund- dem Vorteil des Einbezugs des mi- heitspolitischer Sicht notwendig mischen Ausdrucks in die Kommu- sein, die massiven Kontaktein- nikation stehen allerdings nicht allen
Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung 11 älteren Menschen zur Verfügung o- Zeitkorridore festgelegt werden, in der es fehlt die Vertrautheit im Um- denen bevorzugt ältere Menschen gang damit. Gleiches gilt für den zum Einkaufen, zum Arzt und in die Austausch mittels moderner digita- Apotheke gehen können. Auch ler Messenger-Dienste (siehe zum sollte es ihnen bevorzugt ermöglicht Thema das entsprechende Fact werden, im Freien vorhandene Sheet „Ältere Menschen und ihre Bänke als Sitzgelegenheit mit Ein- Nutzung des Internets. Folgerungen haltung des Mindestabstands zu für die Corona-Krise“ auf der Webs- nutzen. ite des DZA, www.dza.de). Insbe- − Umgang mit nachgewiesener Co- sondere Hochbetagten fehlen diese vid-19 Immunität: Wenn im weiteren Kommunikationsformen oftmals. Verlauf der Corona-Epidemie Test- Um zukünftig diese neuen Kommu- verfahren zur Ermittlung einer be- nikationsformen möglichst vielen äl- reits erworbenen Immunität entwi- teren Menschen zu eröffnen, wären ckelt und zunehmend eingesetzt Maßnahmen hilfreich, die gezielt di- werden können, sollte bei den Zu- gital unterversorgten alten Men- gangskriterien für solche Tests nicht schen Zugänge einrichten und sie in nur die berufliche Einsatzbedeutung deren Nutzung schulen und anlei- von Personen, sondern auch ihre ten. Bedeutung für soziale und ehren- − Ermöglichung außerhäuslicher Akti- amtliche Unterstützungsleistungen vitäten: Unabhängig von der Kom- herangezogen werden. So sollten pensation direkter physischer sozia- Personen, die Sorge- und Unterstüt- ler Kontakte durch Telefongesprä- zungsverantwortung für alte Men- che und neue digitale Kommunikati- schen haben, diese aus Schutz- onsmedien muss es in der gegen- gründen bislang jedoch nicht oder wärtigen Krise älteren Menschen er- nur sehr eingeschränkt wahrneh- möglicht werden, außerhäusliche men können, dann bevorzugt immu- Alltagserledigungen zu bestreiten nitätsgetestet werden, damit sie und sich zeitweise im Freien zu be- sich bei festgestellter Immunität die- tätigen und zu erholen. Damit soll ser Aufgabe wieder uneinge- auch vermieden werden, dass die schränkt widmen können. Im Falle Älteren den Glauben an ihre Auto- selbst zu bezahlender Immunitäts- nomie verlieren und dass die Risi- tests sollten Personen mit Sorge- ken der Entwicklung von Depressio- und Unterstützungspflichten für äl- nen steigen. Um dabei Anste- tere Angehörige staatliche Zu- ckungsrisiken mit dem Coronavirus schüsse erhalten. möglichst gering zu halten, könnten
12 Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung Literatur Böger, A., & Huxhold, O. (2018). Do the antecedents and consequences of loneliness change from middle adulthood into old age? Developmental Psychology, 54(1), 181- 197. doi: 10.1037/dev0000453 Curtis, R. G., Huxhold, O., & Windsor, T. D. (2016). Perceived control and social activity in midlife and older age: A reciprocal association? Findings from the German Ageing Survey. The Journals of Gerontology: Series B, 73(5), 807-815. doi: 10.1093/geronb/gbw070 Fiori, K. L., Windsor, T. D., & Huxhold, O. (2020). The increasing importance of friendship in late life: Understanding the role of sociohistorical context in social development. Gerontology. doi: 10.1159/000505547 Huxhold, O. (2019). Gauging effects of historical differences on aging trajectories: The increasing importance of friendships. Psychology and Aging, 34(8), 1170. Huxhold, O., Fiori, K. L., Webster, N. J., & Antonucci, T. C. (2020). The Strength of weaker ties: An underexplored resource for maintaining emotional well-being in later life. The Journals of Gerontology: Series B. doi: 10.1093/geronb/gbaa019 Huxhold, O., Fiori, K. L., & Windsor, T. D. (2013). The dynamic interplay of social network characteristics, subjective well-being and health: The costs and benefits of socio-emotional selectivity. Psychology and Aging, 28(1), 3-16. doi: 10.1037/a0030170 Huxhold, O., Miche, M., & Schüz, B. (2014). Benefits of having friends in older ages: Differential effects of informal social activities on well-being in middle-aged and older adults. Journals of Gerontology - Series B Psychological Sciences and Social Sciences, 69(3), 366-375. doi: 10.1093/geronb/gbt029 Klaus, D., & Mahne, K. (2017). Zeit gegen Geld? Der Austausch von Unterstützung zwischen den Generationen. In K. Mahne, J. K. Wolff, J. Simonson & C. Tesch- Römer (Hrsg.), Altern im Wandel: Zwei Jahrzehnte Deutscher Alterssurvey (S. 185- 120). Wiesbaden: Springer VS. doi:10.1007/978-3-658-12502-8_16 Klaus, D., & Mahne, K. (2019). Partnerschaft und Familie im Alter. In K. Hank, F. Schulz-Nieswandt, M. Wagner & S. Zank (Hrsg.), Alternsforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis (S. 357-390). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. Klaus, D., & Vogel, C. (2019). Unbezahlte Sorgetätigkeiten von Frauen und Männern im Verlauf der zweiten Lebenshälfte. In C. Vogel, M. Wettstein & C. Tesch-Römer (Hrsg.), Frauen und Männer in der zweiten Lebenshälfte. Älterwerden im sozialen Wandel. Wiesbaden: Springer. doi: 10.1007/978-3-658-25079-9_6 Krause, N., Herzog, A. R., & Baker, E. (1992). Providing Support to Others and Well- Being in Later Life. Journal of Gerontology, 47(5), P300-P311. doi: 10.1093/geronj/47.5.P300 Mahne, K., & Huxhold, O. (2015). Grandparenthood and subjective well-being: moderating effects of educational level. J Gerontol B Psychol Sci Soc Sci, 70(5), 782-792. Mahne, K., & Klaus, D. (2017). Zwischen Enkelglück und (Groß-)Elternpflicht – die Bedeutung und Ausgestaltung von Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern. In K. Mahne, J. K. Wolff, J. Simonson & C. Tesch-Römer (Hrsg.), Altern im Wandel: Zwei Jahrzehnte Deutscher Alterssurvey (S. 231-245 ). Wiesbaden: Springer VS. doi: 10.1007/978-3-658-12502-8_15 Merz, E. M., & Huxhold, O. (2010). Wellbeing depends on social relationship characteristics: comparing different types and providers of support to older adults. Ageing & Society, 30, 843-857. doi: 10.1017/s0144686x10000061 Müller, D., Ziegelmann, J. P., Simonson, J., Tesch-Römer, C., & Huxhold, O. (2014). Volunteering and subjective well-being in later adulthood: Is self-efficacy the key? International Journal of Developmental Sciences, 8(3-4), 125-135. doi: 10.3233/dev- 14140 Steinbach, A., Mahne, K., Klaus, D., & Hank, K. (2020). Stability and change in intergenerational family relations across two decades: Findings from the German ageing survey, 1996–2014. The Journals of Gerontology: Series B, 75(4), 899-906.
Impressum Oliver Huxhold, Heribert Engstler & Daniela Klaus: Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, Aktivitäten und Unterstützung von und für ältere Menschen Erschienen im April 2020. Das DZA-Fact Sheet ist ein Produkt der Wis- senschaftlichen Informationssysteme im Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA), Berlin. Das DZA wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. www.dza.de
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