Ein Dorf in der Stadt - SPRUNG.WIEN
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ARCHITEKTURJUWEL WERKBUNDSIEDLUNG tung dienen sollten. Während Wiens große trutzburghafte Gemeindebauten für die bis zu Ein Dorf in der Beginn der 1. Republik in Substandard-Woh- nungen hausende ArbeiterInnenklasse konzi- piert waren, richtete sich die Werkbundsied- Stadt lung an die Mittelschicht. Sie bot auf engstem, effizient geplantem Grundriss günstige Mieten und ein gesundes Wohnumfeld mit Dorfcha- rakter. Das Leben in der Wiener Werkbundsiedlung – Mit ihrer herausragenden modernistischen ein Gespräch mit der Bewohnerin und Bauweise, die ähnlich wie die deutsche Bau- haus-Bewegung eine revolutionäre Vision des Schauspielerin Margot Hruby, »Neuen Wohnens« auf hohem ästhetischem aufgezeichnet von Eva Brenner. Niveau umsetzte, ist die Siedlung bis heute bewohnt, Studienobjekt internationaler Archi- tekturstudentInnen, HistorikerInnen und D ie Wiener Werkbundsiedlung am Rand der Stadt ist ein Architekturjuwel der Moderne, das aus Muster-Wohnhäusern ein beliebt bei TouristInnen. Das kann manchmal auch mühsam sein, erzählt Margot Hruby, die seit gut 40 Jahren in einem Adolf Loos Muster- einzigartiges Beispiel sozialen städtischen haus zur Miete wohnt. So habe sie auch schon Wohnens darstellt. Erbaut nach dem Vor- mit der Kamera »zurückgeschossen«, wenn sie bild der Stuttgarter Weißenhofsiedlung aus und ihr Haus »wieder einmal wie im Zoo foto- 1927, wurde der Siedlung 2020 das Siegel grafiert werden«. Obwohl das einen Eingriff in Europäisches Kulturerbe verliehen. In der die Privatsphäre darstellt, ist es eine vernach- Liste der 31 international prominenten lässigbare Größe im Vergleich zu den Folgen Architekten des neuen Bauens befinden der missglückten Sanierung 2012–2019 auf das sich neben dem künstlerischen Leiter Josef Alltagsleben der SiedlungsbewohnerInnen. Frank auch Adolf Loos, Josef Hoffmann, Von dieser wie anderen »Katastrophen« – Pri- Richard Neutra oder Geriet Rietveld, und vatisierung der Verwaltung, Mieterhöhungen, als einzige Frau Margarete Schütte- Feuchtigkeit wegen schlechter Sanierung von Lihotzky, von der zwei heute noch Fenstern und Türen – sowie ihren jahrelangen bewohnte Häuser stammen. fruchtlosen Bittgängen zur Stadt Wien als Trä- Die Siedlung – damals die »größte Baustel- gerin berichtet die streitbare Künstlerin im le Europas« – wurde 1932 zur Weltausstel- Gespräch mit der Volksstimme. lung eröffnet und von mehr als 100.000 Men- schen besucht. Einstmals bestand die Sied- Was hat dich bewogen, dieses wunderbare lung aus 70 voll eingerichteten Einfamilien- Adolf Loos-Haus zu deinem Zu-Hause zu häusern mit kleinen Gärten, von denen 64 er- machen? SCHWERPUNKT WIEN MIT LINKS halten und vermietet sind; ein Teil ist in Pri- M A R G O T H R U B Y : Meine Mutter hat es vatbesitz. Da die für den Verkauf gedachten 1966/67 angemietet, und ich habe es vor über Hauser mitten in der Weltwirtschaftskrise 40 Jahren übernommen. Meine Kinder sind nicht gut verkauft werden konnten, über- hier mit mir aufgewachsen, mein Sohn ist nahm die Stadt Wien die Siedlung vom Bau- sogar im Haus geboren worden. Wir haben träger Gesiba (städtische Wohnbaugesell- hier zur Blütezeit zu fünft gelebt, mit meiner schaft). Bis heute in städtischem Besitz, wur- Großmutter, meinem Partner, meinen zwei de im Zuge der zweiten Sanierung Mitte der Kindern. 1980er Jahre die Verwaltung 2012 privat aus- gelagert, wodurch u. a. die Mietpreise emp- Was macht die besondere Qualität des Woh- findlich gestiegen sind. nens in der Werkbundsiedlung aus? Die Anlage folgt der Idee der Gartenstadt- M A R G O T H R U B Y : Gesunde Luft, soziales bewegung des späten 19. Jahrhunderts, der Wohnen, ein Kleingarten und eine integrierte zufolge Gärten nicht bloß der Erbauung, Community abseits des Zentrums. Für das Auf- sondern der eigenen Nutzung durch Anbau wachsen von Kindern ist das ein idealer Platz. von Obst und Gemüse sowie Kleintierhal- Aber es wurde ein empfindlicher Keil in die 36
gewachsene Gemeinschaft und ihr Selbst- wig, heute Bürgermeister von Wien, kurz vor Man müsste FOTOS VON EVA BRENNER verständnis als Trägerin der Siedlungsidee der Sanierung an die Firma Wiseg abgegeben getrieben, die beschädigt wurde. sich zusam- (ein mehrheitlich im Eigentum der Stadt Wien stehendes Immobilienunternehmen). Der mentun, den Was hat sie verändert? Grund verblieb in Gemeindebesitz. M A R G O T H R U B Y : Das frühere Commu- Ist-Zustand nity-Feeling, das der Siedlungsidee ent- Wie hat sich das ausgewirkt? erheben, die sprach, dass auch die unteren Schichten M A R G O T H R U B Y : Es gibt viele offensichtliche Anspruch auf gesundes, leistbares und Mängel auf- Mängel, die wir alle beklagten: Drainage ohne schönes Wohnen in der Stadt haben, ist Abfluss, schlecht renovierte Fenster und listen, der verschwunden. Als ich aufwuchs, kannten Türen; die Fenster wurden von Hilfsarbeitern, sich alle, wir hatten gemeinsame Straßen- Diffamierung die man hier beschäftigte und vermutlich feste, verbannten Autos, machten Ausflüge keine ausgebildeten Tischler waren, verwech- entgegen- zusammen, halfen uns bei allerlei Alltags- selt und falsch wieder eingebaut. Eine Lach- problemen aus – Kindererziehung, Lernen, treten, selbst- nummer, kunsthistorisch äußerst bedenklich Garteln. Dieses Leben hat sich radikal ver- in einer denkmalgeschützten Siedlung, die bewusst auf- ändert, während der Sanierung gab’s viele zum Kulturerbe erhoben wurde. Ich musste Unsicherheiten und viel Stress. Die Tage treten, sich vor Jahren meine eigene Zentralheizung ein- waren geprägt von Lärm, Dreck, Angst vor richten und ich habe seit der Sanierung in kal- vernetzen. höheren Mieten und Energiekosten. Stress ten Wintern trotz Zentralheizung im Oberge- entzweit die Menschen. schoß nur mehr 15 Grad und überlege dann auszuziehen, aber in der warmen Jahreszeit Was ist passiert? überwiegen eben doch wieder die Vorteile. M A R G O T H R U B Y : Die Stadt Wien hat die Verwaltung unter dem sozialdemokrati- Gab es keinen allgemeinen Protest in der schen Wohnbaustadtrat Dr. Michael Lud- Siedlung? Volksstimme • Oktober 2020 37
M A R G O T H R U B Y : Nein, die Leute haben 735 Euro. Man hat die Wohnfläche der Häuser Ein Dorf in der Stadt Angst, wir wurden in der Presse als dumme neu vermessen, statt 57 habe ich nun 89 Qua- »Gartenzwerge« diffamiert. Viele haben dratmeter, weil man mein Stiegenhaus und mir ganz still und heimlich ihre Klagen mit- die Galerie mitrechnet. Bemerkenswert ist geteilt, um danach öffentlich zu schweigen. auch, dass seit der letzten Sanierung der Ich protestiere seit Jahren, versuche, Soli- Energieverbrauch gestiegen ist. darität in der Siedlung gegen die undurch- sichtigen Konstruktionen der neuen Trä- Was verbindet dich noch heute mit der gerfirma und die unsachgemäße, überteu- Werkbundsiedlung? erte Sanierung zu organisieren. Man hat M A R G O T H R U B Y : Wenn ich so zurückdenke, hier mit € 3.000/m2 saniert, dafür hätte früher gab es hier auch einfache Menschen man neue Häuser bauen können. Aber ich aus der Unterschicht, viele schräge Gestalten, blieb ohne Erfolg, habe mich nur unbeliebt eine wilde Mischung, die beinahe ganz ver- gemacht, bin zum Hassobjekt geworden. schwunden ist. Wir waren eine eingeschwo- rene Gemeinschaft, viele Häuser wurden von Hat dich niemand unterstützt? Generation zu Genration weitergegeben. Ich M A R G O T H R U B Y : Oh ja, die Frauen woll- liebe die Siedlung, ihr grandioses Erbe, die ten aufstehen, aber ihre Männern haben sie persönlichen Erinnerungen. Einer der Archi- zurückgehalten. Am Ende stehst du alleine tekten der Siedlung war übrigens der Pariser da – aber so kommst du nicht weiter. Kommunist André Lurçat. Er hat nach dem Weder in der Stadt Wien, wo die rechte gescheiterten Arbeiteraufstand 1934 aus Wien Hand von Dr. Ludwig einer der Leiter der fliehen müssen und lebte danach bis 1937 in Firma Wiseg war, noch in der Mieterschutz- der UdSSR, wo er u. a. einen Krankenhaus- vereinigung, die meinte, das Areal sei aus- komplex baute. In Villejuif, einem Vorort von gelagert und nicht mehr Angelegenheit der Paris, der zu dieser Zeit einen kommunisti- Stadt, noch innerhalb der Siedlungsge- schen Bürgermeister und Förderer hatte, ent- meinschaft. Du kannst heute, wenn du warf er einen Schulkomplex, womit er seinen willst, ein Haus in der Siedlung von der Durchbruch als Architekt begründete. Sein Wiseg kaufen, die im Grundbuch steht – Bau steht in der Werkbundsiedlung links von oder dich teuer einmieten. den Häusern von Josef Hoffmann. Es lebe die Diversität. Was hat sich in der Siedlung geändert? Hat eine Gentrifizierung stattgefunden? Was wird bleiben von der großen Vergan- M A R G O T H R U B Y : Die Machenschaften genheit? und Eigentumsverhältnisse sind für mich M A R G O T H R U B Y : Die Siedlung ist und bleibt sehr undurchsichtig geblieben. Man ver- ein lebendiges Zeugnis des revolutionären sucht heute eine neue, jüngere, zahlungs- »neuen Wohnens«, der Idee des sozialen kräftige Klientel – AkademikerInnen, Wohnbaus und der gelebten Gemeinschaft SCHWERPUNKT WIEN MIT LINKS ArchitektInnen, KünstlerInnen, Menschen verpflichtet. Ich meine jedoch, diese Idee ist mit Bildung anzuziehen. Viele davon sind unterwegs verreckt, die Siedlung droht zu jung, haben Kinder und sind sehr begeis- einem Museum zu werden, im besten Fall zu tert, hier im Grünen in Stadtnähe wohnen einem Refugium für neue Eliten. zu können, obwohl sie manchmal das Dop- pelte an Miete zahlen als wir älteren Miete- Wie würde eine erfolgreiche Solidaritäts- rInnen. Ich habe Glück, ich komme mit den aktion für die Rettung der Siedlungsidee neuen Nachbarn sehr gut aus – aber das aussehen, wenn wir darauf Einfluss hät- alte Community-Bewusstsein ist perdu. ten? M A R G O T H R U B Y : Man müsste sich zusam- Warum bist du geblieben? Wie steht es mentun, den Ist-Zustand erheben, die Mängel mit deiner Miete? auflisten, der Diffamierung entgegentreten, M A R G O T H R U B Y : Früher habe ich an selbstbewusst auftreten, sich vernetzen. Wir Monatsmiete 320 Euro bezahlt, das war sind nicht allein im Kampf gegen die Privati- sehr günstig für eine hohe Wohnqualität. sierung von sozialem Eigentum. We are the Jetzt, nach der Sanierung, sind das stolze 99 %! y 38
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