Spital-Versäumnis kostet St. Gallen eine Milliarde

 
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Spital-Versäumnis kostet St. Gallen eine Milliarde
31. März 2013    (Spitäler)

Seit 15 Jahren saniert St. Gallen keine Spitäler. Nun muss der Kanton in Spar-
zeiten massiv investieren.

Spital-Versäumnis kostet St. Gallen eine Milliarde
DANIEL KLINGENBERG ST.GALLEN.

Der Kanton St.Gallen steht vor einer Milliardeninvestition in seinem Spitalwesen. Weil er seit
15 Jahren keine Krankenhäuser mehr saniert, muss er bei fünf der neun Spitäler die Infra-
struktur erneuern. Zusammen mit dem Beitrag für den Neubau des Ostschweizer Kinderspi-
tals kostet dies den Kanton eine knappe Milliarde Franken. Die Regierung will im November
2014 darüber abstimmen lassen. Die Altlast ist Folge einer missglückten Spitalpolitik, die
2004 zur Abwahl des damaligen Gesundheitschefs führte. Erst danach hat der Kanton die
Sanierungsprojekte ausgearbeitet.
Die Regierung sieht keine Alternative zuden Spitalsanierungen. Der Grund: Wenn die St.Gal-
ler Spitäler nicht konkurrenzfähig bleiben mit ihren Spitalleistungen, wandern die Patienten
in die Spitäler anderer Kantone ab. Da der Kanton aber sowieso über 50 Prozent an jede me-
dizinische Leistung zahlt, spart er damit nicht. Einen Spareffekt könnte die Abgabe der Spital-
bauten aus der Verantwortung des Kantons an die Spitalverbunde zur Folge haben. Darüber
soll der Kantonsrat in diesem Jahr befinden. Nach Ansicht eines Gesundheitsökonomen sind
weitere Einsparungen notwendig. Das bisherige Spitalangebot könne St.Gallen nicht auf-
rechterhalten.

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Der Kanton St. Gallen will eine Milliarde Franken in Spitalsanierungen investieren. Werden Spitäler
geschlossen? Oder werden sie aus dem Kantonsbudget ausgelagert?

Spitalsanierungen bescheren den St. Gallern hitzige
Debatten in Zeiten des Sparzwangs
DANIEL KLINGENBERG

Die Kantonsfinanzen liegen im Argen: Im April will die Regierung über das 150-Millionen- Sparpaket
informieren – das dritte in Folge. Harte Diskussionen darüber, wo gespart wird, sind programmiert. In
dieser Zeit der Sparpolitik-Debatten plant die Regierung eine Bauvorlage mit der Gesamtsumme von
einer knappen Milliarde Franken. So viel kostet die Sanierung der Spital-Infrastruktur, welche die
Politik seit 15 Jahren auf die lange Bank schiebt. Mit dem Resultat, dass nun fünf vonneun Spitälern
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Spital-Versäumnis kostet St. Gallen eine Milliarde
Nachholbedarf haben. Voraussichtlich im November 2014 entscheidet das Volk über die Erneuerung
von deren Infrastruktur. Hinzu kommt auch der Beitrag das Kantons an den Neubau des Ostschweizer
Kinderspitals. Über eine solch hohe Summe hat das Volk im Kanton St.Gallen kaum je entschieden.

Gesundheitschef im Schleudersitz

Dass viele Spitalbauten auf die Sanierung warten, liegt an dem 1998 beschlossenen Moratorium. Un-
ter dem Motto «Zuerst abklären, was wir brauchen – dann bauen» hat die Regierung eine Strategie
samt Spitalschliessungen entwickelt. Es gab Proteste, Unterschriftensammlungen, harte Worte und
Kommunikationsfehler. Der ganze Wirbel kostete Gesundheitschef Anton Grüninger den Job: Die
St.Galler wählten ihn im Jahr 2004 ab, die St.Galler Spitalpolitik war ein Scherbenhaufen. 15 Jahre
nach dem Moratoriumsbeschluss konfrontiert die Regierung die Öffentlichkeit nun mit dieser Altlast.
Dabei gibt es drei Möglichkeiten für den Umgang mit der überalterten Spital-Infrastruktur. An erster
Stelle steht die Sanierung nach den Plänen der Regierung. Wie dies in Zeiten der knappen Finanzen
über die Bühne gehen soll, dürfte im Kantonsrat heftige Diskussionen auslösen. Denn in den letzten
Jahren hat sich die Politik daran gewöhnt, kaum Geld für die Spital-Infrastruktur auszugeben.

Der Milliarden-Schocker ist aber auch bei einer geplanten Abschreibungsdauer von 25 Jahren nur mit
der Zurückstellung anderer Projekte zu stemmen. Zweitens könnte der Kanton weiterhin nur die nö-
tigsten Investitionen tätigen. Aber das ist keine Lösung: Der Handlungsdruck ist mittlerweile zu hoch,
wie rundherum bestätigt wird. Dritte Möglichkeit ist die Suche nach Sparmöglichkeiten. Hier stehen
zwei Varianten im Vordergrund. Einerseits die Überführung der Spitalbauten aus der Verantwortung
des Kantons in die Spitalverbunde. Dann sind diese zuständig für Sanierung und Unterhalt. Anderseits
der weitergehende Abbau paralleler Strukturen: Teure und spezielle medizinische Leistungen würde
der Kanton in diesem Fall nur noch an einem Ort anbieten.

Jetzige Strategie aus dem Jahr 2005

Das heisse Eisen Spitalschliessungen aber packt die Politik kaum mehr an. In der nach dem Desaster
entwickelten und im Jahr 2005 verabschiedeten Spitalstrategie ist auch festgeschrieben, dass der
Kantonsrat über Schliessungen bestimmt. Ein Spitalverbund kann das nicht mehr von sich aus ent-
scheiden. Darin steht weiter, dass der Kanton St.Gallen vier Spitalverbunde mit einem neunköpfigen
Verwaltungsrat hat, den Regierungsrätin und Gesundheitsvorsteherin Heidi Hanselmann präsidiert.
Die Verbunde haben die Rechtsform öffentlich-rechtlicher Anstalten.

Willkommen im Stadt-Land-Graben

Für Regierungsrat und Bauchef Willi Haag ist die Vorlage über eine knappe Milliarde nichts anderes
als die Konsequenz der geltenden Spitalstrategie. «DieAbstimmung soll zeigen, ob das Volk diese
Strategie in finanzieller Hinsicht mitträgt.» Pikant ist dabei, dass die Stimmbürger nicht zum Gesamt-

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paket Ja oder Nein sagen, sondern zu den einzelnen Projekten. So ist es voraussichtlich möglich, dem
Ausbau des Kantonsspitals St.Gallen zuzustimmen, aber etwa die Sanierung der Regionalspitäler
Wattwil oder Altstätten abzulehnen. Oder umgekehrt. Lehnt das Volk aber die Erneuerung der Infra-
struktur eines Landspitals ab, steht auch seine Zukunft auf dem Spiel. Das Stimmvolk entscheidet da-
her faktisch auch über Schliessungen von Spitälern. Damit steht die Solidarität im Kanton St.Gallen
mit seinem ausgeprägten Stadt-Land-Graben auf dem Prüfstand. Die Regierung gibt die Verantwor-
tung für den Entscheid einer Spitalschliessung so an das Volk weiter.

Spitäler anderer Kantone finanzieren?

Ein weiterer Sachverhalt dürfte zu reden geben. Seit der Verabschiedung der St.Galler Spitalstrategie
vor acht Jahren hat sich mit der Einführung von Fallpauschale und Baserate im Jahr 2012 bei der Spi-
talfinanzierung ein Erdbeben ereignet. Ist der Kanton St.Gallen für die Spitalzukunft gerüstet? «Wir
sind bei der Baserate schweizweit im unteren Drittel klassiert, also sehr effizient», sagt Grüninger-
Nachfolgerin Heidi Hanselmann. Die Baserate ist der mit den Versicherungen ausgehandelte Betrag,
den ein Spital für eine bestimmte Leistung erhält. «Diese Effizienz haben wir mit der Fusion der Spi-
talstandorte zu vier Spitalunternehmungen erreicht.»

Die Unternehmungen seien verzahnt, parallele Leistungen würden möglichst abgebaut. Zudem gibt
es Netzwerke beispielsweise für die Onkologie und die Behandlung von Schlaganfällen für alle Spital-
unternehmungen. Für Hanselmann relativiert sich zudem die auf den ersten Blick hohe Investition
von einer Milliarde Franken. Mit der Abschreibungsdauer von 25 Jahren ergebe das rund 30 bis 40
Millionen jährlich. Gerade aufgrund der neuen Spitalfinanzierung ist für die Gesundheitschefin die
Sanierung der Spitäler von hoher Bedeutung.

Die Hauptfrage für den Kanton St.Gallen sei: «Wollen wir am Gesundheitsmarkt teilnehmen und un-
ser gutes Angebot bei tiefer Baserate behalten – oder lassen wir die Steuergelder abfliessen und zah-
len damit an die Bauten von Spitälern anderer Kantone?» Denn sind die Spitäler im Kanton nicht
mehr konkurrenzfähig, wandern die Patienten in ausserkantonale Spitäler und Privatkliniken ab. Das
bedeutet einen Image- und volkswirtschaftlichen Verlust für die Region – aber keine Kosteneinspa-
rung. Derzeit bezahlt der Kanton 52 Prozent der Kosten für jede medizinische Leistung, egal wo in der
Schweiz sie in Anspruch genommen wird. Ab 2017 sind es gar 55 Prozent.

Kein rasches Sparen mit Auslagerung

Zuerst zur Debatte stehen dürfte aber die Auslagerung der Spital-Infrastruktur. Der Kanton wäre da-
mit sowohl die Verantwortung für den Unterhalt wie die Sanierung los. Allerdings müsste er nach
Meinung von Hanselmann vorher die Altlast des Baumoratoriums abtragen, was für die Spitäler ein
«hartes Erbe» aus der Zeit vor 2004 sei. «Die Regierung arbeitet derzeit einen Bericht zur Möglichkeit
der Übertragung der Spitalbauten an die Verbunde aus», sagt sie. Dieser kommt in diesem Jahr in

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den Kantonsrat, sie könne daher nichts zum Inhalt sagen. Sie gibt aber zu bedenken, dass der Kanton
derzeit von den Spitälern eine Nutzungsentschädigung von rund 25 Millionen Franken jährlich erhält.
«Die Spitäler sind keine Gratismieter wie andere Institutionen.» Werden sie saniert, wird die Entschä-
digung höher und damit auch die Einnahme für den Kanton. Aber sind die Spitäler ausgelagert, fallen
nicht nur die Investitionen weg, sondern auch die Mieteinnahmen, über welche der Kanton die Inves-
titionen refinanziert. Das bedeutet: Auch wenn die Spitäler aus dem Kantonsbesitz entlassen würden,
spart St.Gallen damit nicht unmittelbar. Erst beim nächsten Sanierungszyklus nach rund 25 Jahren
griffe die Massnahme.

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Für den Gesundheitsökonomen Heinz Locher stammt die St. Galler Spital-Stra-
tegie aus einem vergangenen Zeitalter.

«Klar kann man Spitäler unsaniert auslagern»
DANIEL KLINGENBERG

Die St.Galler Regierung will für eine Milliarde Franken die Spital-Infrastruktur des Kantons sanie-
ren. Ein guter Plan?
Heinz Locher: Nein. Mit dem Jahr 2012 hat in der Spitalfinanzierung mit der Einführung der Fallpau-
schalen ein neues Zeitalter begonnen. Das muss in die Planung einfliessen.

Was ist 2012 passiert?
Locher: Das finanzielle Risiko wurde von den Versicherungen zu den Spitälern verschoben. Seit der
Einführung der Fallpauschale gibt es einen viel intensiveren Wettbewerb unter den Spitälern. Geld
gibt es nur noch für Leistungen, früher konnten die Spitäler ihren Aufwand abrechnen. Jetzt gibt es
einen fair ausgehandelten Betrag für eine bestimmte Leistung.

Was hat das für Folgen?
Locher: Die Frage ist: Was kann man noch finanzieren? Es wird eine Bereinigung und Straffung im
Angebot geben.

Die St.Galler Spital-Strategie stammt aus dem Jahr 2005.
Locher: Das Angebot in den Landspitälern ist im Bereich aller Leistungen, die nicht zeitkritisch sind
und für die man ein paar Kilometer reisen kann, noch zu breit. Der Kanton wird dieses Angebot nicht
aufrechterhalten können, er muss nochmals über die Bücher.

Im November 2014 soll das Volk über die Sanierung der Spitäler abstimmen.
Locher: Eine Abstimmung ohne Korrektur der Spital-Strategie ergibt keinen Sinn. Es wäre eine Fest-

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schreibung eines Zustandes mit nicht überlebensfähigen Gebilden.

Schliessungen von Spitälern sind ein hoch emotionales Thema.
Locher: Ich rede nicht von Schliessungen, sondern von Leistungskonzentration. Die Landspitäler brau-
chen eine sehr gute Rettungsorganisation und einen sehr guten Notfalldienst. Dazu kommen Fachab-
teilungen wie Innere Medizin. Darauf hat die Bevölkerung Anrecht. Aber es braucht dort keine ausge-
baute Chirurgie, Urologie oder Orthopädie. Die Fixkosten dafür sind viel zu hoch, diese Angebote
kann man nicht parallel fahren.

Das heisst: Alle spezialisierten Leistungen werden an einem Ort, wohl im Kantonsspital St.Gallen,
angeboten.
Locher: Das kann auch an mehreren Standorten in einem Spitalverbund sein. Aber man wird das nicht
in mehreren Verbunden parallel machen können.

Nach welchen Kriterien läuft die Angebotsstraffung ab?
Locher: Erstens geht es um die Qualität der Angebote, denn die Spitäler stehen untereinander in Kon-
kurrenz. Zweites um die Attraktivität des Arbeitsplatzes, sonst wird man kaum mehr qualifizierte Spe-
zialkräfte finden. Drittes Kriterium ist die Wirtschaftlichkeit.

Wie steigern die Spitäler ihre Leistungen?
Locher: Durch die Spezialisierung. Hundertmal statt viermal pro Jahr eine komplizierte Operation zu
machen, erhöht das Know-how. Insofern hat Qualität mit Quantität zu tun.

Zur Debatte steht auch, ob der Kanton die Bauten den Spitalverbunden übergeben soll.
Locher: Ich empfehle dringend, das zu machen. Nur dadurch haben die Spitäler die Flexibilität, ihre
Infrastruktur rasch und zweckmässig einzurichten.

Ist es möglich, die Spitäler unsaniert auszulagern?
Locher: Das ist kein Problem. Es ist einfach im Preis bei der Auslagerung zu berücksichtigen.

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Thurgau und beide Appenzell: Spital-Hausaufgaben gemacht

DANIEL KLINGENBERG

Im Gegensatz zu St.Gallen haben die Kantone Appenzell Ausserrhoden und Thurgau keinen Nachhol-
bedarf bei der Sanierung ihrer Spitalinfrastruktur. Appenzell Ausserrhoden (AR) habe in «den letzten
15 Jahren kontinuierlich» in seine Spitäler investiert, sagt Regierungsrat Matthias Weishaupt. Die In-
frastruktur mit rund 150 Betten ist per Anfang 2012 bereits im Baurecht an den Spitalverbund AR
übergegangen. «Bei der Auslagerung war Sparen kein Argument », sagt Weishaupt. Es sei darum

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gegangen, den Spitalverbund auf die Wettbewerbsbedingungen durch die neu in Kraft getretene
Spitalfinanzierung vorzubereiten.

Im Kanton Thurgau hingegen ist die Infrastruktur der öffentlichen Spitäler noch im Besitz des Kan-
tons. Wie in St.Gallen arbeitet die Regierung aber eine Botschaft aus, die als Entscheidungsgrundlage
für eine Auslagerung dient. Der Spitalverbund Thurgau ist eine Aktiengesellschaft und bezahlt dem
Staat eine Nutzungsentschädigung für die Infrastruktur. Bei den Sanierungen gibt es keinen grossen
Nachholbedarf. «Alle Spitäler sind in einem kontinuierlichen Erneuerungsprozess», sagt Susanna
Schuppisser vom Gesundheitsamt Thurgau. Aktuelle Projekte sind ein 70-Millionen-Bau im Spital
Münsterlingen sowie die Planung eines Bettenhochhauses für Frauenfeld. Der Thurgau hat elf Spitä-
ler mit rund 2000 Betten, über ein Viertel davon sind in den Kantonsspitälern Münsterlingen und
Frauenfeld.

Das Spital Appenzell mit seinen 30 Betten hingegen habe einen «gewissen Nachholbedarf », heisst es
aus Appenzell Innerrhoden. Man habe dafür aber Mittel bereitgestellt.

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