Ein einfacher Weg zur systematischen Bestimmung der Ausschreibungsmengen im EEG - EEX
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ENERGIEMARKT – ERNEUERBARE ENERGIEN Ein einfacher Weg zur systematischen Bestimmung der Ausschreibungsmengen im EEG Peter Reitz und Robert Gersdorf In Deutschland gibt es Streit über die zukünftige Entwicklung des Stromverbrauchs und damit auch über die Ausbau- mengen für erneuerbare Energien, die notwendig sind, um das gesetzte Ziel eines 65 %-Erneuerbaren-Anteils in 2030 zu erreichen. Doch der Streit muss nicht sein. Statt unsichere Prognosen über die Situation im Jahr 2030 anzustellen, wird in diesem Artikel ein Mechanismus – eine Formel – vorgeschlagen, mit dem sich die Ausschreibungsmengen kontinuierlich an die Realität anpassen. So lassen sich die tatsächliche Entwicklung des Stromverbrauchs, aber auch der Erneuerbaren- Zubau ohne Förderung berücksichtigen und die gesetzten Ziele sicher erreichen. Im Dezember 2020 haben Bundestag und verbrauch in Deutschland von 65 % zu errei- 1.924 Stunden (252.000 GWh / 131 GW = Bundesrat die jüngste Novelle des Erneuer- chen [1]. In 2020 betrug der Bruttostrom- 1.924 h). Unterstellt man einmal vereinfacht bare-Energien-Gesetzes (EEG) beschlossen. verbrauch in Deutschland 545 TWh und der und konservativ einen konstanten durch- Eine der wesentlichen Neuerungen ist die Anteil der erneuerbaren Energien lag bei schnittlichen Wirkungsgrad aller erneuerba- Festschreibung der jährlichen Fördermen- 46,2 %, d.h. sie stellten eine Strommenge rer Anlagen in der Größenordnung wie 2020, gen bis zum Jahr 2030, um den Akteuren im von 252 TWh bereit [2]. so würde für die Produktion von 354 TWh im Energiemarkt Planungssicherheit zu geben Jahr 2030 eine Kapazität von 184 GW benö- und das vorgegebene Ziel von (derzeit) 65 % Nehmen wir für einen Moment an, dass sich tigt (354.000 GWh / 1.924 h = 184 GW). Anteil der erneuerbaren Energien am Strom- der Stromverbrauch über die nächsten zehn verbrauch im Jahr 2030 zu erreichen. Dem Jahre nicht verändert und auch im Jahr 2030 Ausgehend von der bereits vorhandenen Beschluss ging eine teils hitzig geführte bei 545 TWh liegt. Um auf einen Anteil von Kapazität von 131 GW wird in diesem Sze- Debatte voraus. 65 % zu kommen, müssten im Jahr 2030 die nario also ein Netto-Zubau von 53 GW über erneuerbaren Energien also 354 TWh Strom die nächsten zehn Jahre notwendig sein. Hauptstreitpunkt war die Festlegung der erzeugen (65 % von 545 TWh). Sinnvollerweise verteilt man diesen Zubau Ausschreibungsmengen für die nächsten gleichmäßig über den zur Verfügung stehen- zehn Jahre und dabei insbesondere die Die Ausschreibungsmengen werden in Ka- den Zeitraum. Um das gesetzte Ziel zu er- zugrundeliegende Annahme über den im pazität (installierter Leistung), also in GW reichen, würde also die jährliche Ausschrei- Jahr 2030 zu erwartenden Stromverbrauch. festgelegt. Es bedarf aber noch einer „Über- bungsmenge für die nächsten zehn Jahre bei Während das Bundeswirtschaftsministerium setzung“ des Ziels von 354 TWh erneuer- 5,3 GW pro Jahr liegen (Tab. 1). in seiner Gesetzesvorlage von einem Strom- barer Strommengen in die dafür notwendige verbrauch in Deutschland von 580 TWh im erneuerbare Erzeugungskapazität. Im Jahr Die Ausgangslage Jahr 2030 ausging, lagen die meisten Exper- 2020 betrug die Kapazität der erneuerbaren tenschätzungen höher; einige Prognosen Energien in Deutschland 131 GW [3]. Aus In den letzten zehn Jahren gab es beim enthielten sogar Szenarien mit Annahmen der verfügbaren Kapazität und den produ- Strombrauch in Deutschland sowohl Phasen in der Größenordnung von 750 TWh für zierten Strommengen lässt sich ein durch- mit leicht sinkendem als auch Phasen mit 2030. Wegen der erheblichen Meinungsun- schnittlicher Wirkungsgrad in Form von gleichbleibendem sowie leicht steigendem terschiede selbst innerhalb der Regierungs- Volllaststunden errechnen. 2020 betrugen Verbrauch. Insgesamt war der Gesamtstrom- koalition und der gleichzeitig stattfindenden die durchschnittlichen Volllaststunden des verbrauch in Deutschland in der vergange- Debatte über eine Erhöhung der europä- gesamten erneuerbaren Erzeugungsparks nen Dekade relativ konstant (Abb. 1). Hier ischen Klimaziele für 2030 wurde eine Entscheidung über die Anpassung der Aus- Tab. 1: EE-Ausbaumengen bei konstantem Stromverbrauch schreibungsmengen auf 2021 vertagt. Strommengen in TWh Installierte Leistung in GW Das Verfahren Stromverbrauch 2020 545 TWh Wachstumsrate gegenüber Vorjahr 0% Würde man den Stromverbrauch von 2030 Erneuerbare Energien in 2020 252 TWh (46,2 %) 131 GW heute sicher kennen, ist es relativ einfach, Stromverbrauch 2030 545 TWh die auszuschreibenden Mengen für die (Annahme 0 % Wachstum p.a.) nächsten zehn Jahre festzulegen. Maßgebend Erneuerbare Energien in 2030 354 TWh (Zielwert 65 %) 184 GW hierfür ist das festgelegte Ziel, einen Anteil Erforderlicher EE-Zubau 53 GW der erneuerbaren Energien am Bruttostrom- Jährlicher EE-Zubau 2021-2030 5,3 GW 60 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 6
ENERGIEMARKT – ERNEUERBARE ENERGIEN Grundlage für die aktuelle Prognose der Bun- desregierung ist das 2019 beschlossene Klima- schutzprogramm 2030 (KSP). Demnach geht die Bundesregierung von einem im Wesent- lichen konstant bleibenden Bruttostromver- brauch innerhalb dieser Dekade und einem Wert von 580 TWh im Jahr 2030 aus [5]. Einen moderaten Anstieg der Stromnachfrage bis 2030 auf 643 TWh prognostizieren Ago- ra Energiewende und die Stiftung Klimaneu- tralität; insbesondere getrieben durch den konstant steigenden Einsatz strombasierter Anwendungen im Mobilitäts- und Wärmebe- reich sowie bei der Elektrolyse zum Markt- Abb. 1 Bruttostromverbrauch in Deutschland 2010-2020 (in TWh) hochlauf von grünem Wasserstoff [6]. Quelle: eigene Darstellung basierend auf BDEW Einen deutlichen Anstieg der Stromnachfrage wirkten verschiedene Kräfte in entgegenge- waren die wesentlichen Einflussfaktoren prognostizieren hingegen BEE [7], dena [8] setzte Richtungen. Auf der einen Seite stieg Wirtschaftswachstum und Energieeffizienz. und EWI [9]. Sie gehen von einem Verbrauchs- der Stromverbrauch mit wachsender Wirt- Zukünftig werden die verstärkte Nutzung anstieg bis auf ein Niveau von rund 750 TWh schaftsleistung an. Steigende Industriepro- von Strom im Wärmemarkt über Wärme- aus. Die deutliche Differenz gegenüber der duktion oder auch eine Zunahme bei Dienst- pumpen und im Sektor Mobilität durch die Prognose der Bundesregierung, aber auch leistungen führten direkt zu einer Erhöhung Zunahme von batteriebetriebenen Elektro- Agora und der Stiftung Klimaneutralität, der Stromnachfrage. Dem steht eine zuneh- fahrzeugen hinzukommen. Darüber hinaus liegt in weitaus höheren Erwartungen für mende Energieeffizienz gegenüber. Ein neuer gibt es Annahmen, dass die langfristigen den Stromverbrauch vor allem durch sog. Kühlschrank oder eine neue Waschmaschine Klimaschutzziele für 2050 ein rasches Power-to-X Anwendungen (insb. Wasserstoff, verbrauchen heute wesentlich weniger Ener- Einleiten einer Dekarbonisierung im In- aber auch Power-to-Liquid für synthetische gie als noch vor zehn Jahren. Gleiches gilt für dustriesektor erfordert [4]. Damit geht die Kraftstoffe) im Rahmen der Sektorenkopp- die Energieeffizienz von Industrieprozessen, Erwartung einher, dass Industrieprozesse lung begründet. die auch auf Grund der hohen Energiekosten vor allem durch den stärkeren Einsatz er- in den letzten Jahren zugenommen hat und neuerbaren Stroms – entweder direkt oder Diese exemplarisch ausgewählten Szenarien verbrauchssenkend wirkt. indirekt über die Herstellung grünen Was- führen zu sehr unterschiedlichen Zubau- und serstoffs – dekarbonisiert werden können. damit Ausschreibungsmengen. Die Bundesre- Die Szenarien Je nachdem, welche Annahmen man für je- gierung unterstellt für ihr Szenario eine ins- den dieser einzelnen Faktoren trifft, kommt tallierte Erneuerbaren-Kapazität von 205 GW, Wie oben beschrieben wird die Entwick- man zu sehr unterschiedlichen Szenarien um die für einen 65 %-Anteil notwendigen lung des Stromverbrauchs von verschie- für den Bruttostromverbrauch im Jahre 377 TWh Strom zu erzeugen. Ausgehend von denen Einflussfaktoren bestimmt. Bisher 2030 (Abb. 2). der heutigen Kapazität von 131 GW ergibt sich ein (Netto-)Mehrbedarf von 74 GW und somit eine jährliche Ausschreibungsmenge von 7,4 GW [10]. Der BEE dagegen geht in seinem Szenario davon aus, das für einen 65 %-Erneuerbaren-Anteil eine Erneuerba- ren-Strommenge von 481 TWh im Jahr 2030 nötig sein wird, wozu bei gegebenem Wir- kungsgrad eine installierte Erneuerbaren- Kapazität von 250 GW nötig wäre. Das führt zu einem (Netto-)Mehrbedarf von 119 GW und somit einer jährlichen Ausschreibungs- menge von 11,9 GW. Der Ansatz Abb. 2 Ausgewählte Prognosen für den Bruttostromverbrauch in 2030 (in TWh) „Prognosen sind schwierig, insbesondere Quelle: eigene Darstellung basierend auf Bundesregierung, Agora Energiewende, BEE, dena, EWI wenn sie die Zukunft betreffen“ sagte schon ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 6 61
ENERGIEMARKT – ERNEUERBARE ENERGIEN Mark Twain. Über die Frage, welches der Einen vergleichbaren Ansatz hat man auch der nun vorliegenden Verbrauchsprognose oben beschriebenen (oder eines der vie- bei der Festlegung der EEG-Umlage gewählt. zunächst die Lücke zwischen dem erreich- len anderen möglichen) Szenarien eintritt, Dort wurde bei der Einführung der Umlage ten Erneuerbaren-Anteil in 2021 bis zur lässt sich trefflich streiten. Dieser Streit ist auch nicht versucht, deren Höhe für meh- Erreichung des 65 %-Ziels und verteilt die aber unnötig! Die Realität zeigt uns, dass es rere Jahre im Voraus zu prognostizieren. Ausschreibungsmenge auf die verbleibende keine signifikanten Sprünge der Verände- Stattdessen passen die Übertragungsnetz- Restlaufzeit von nun noch neun Jahren. rungen im Stromverbrauch von einem Jahr betreiber die Umlage jährlich nach einem zum nächsten gibt. Selbst Ausnahmesitua- festgelegten Mechanismus an die eingetre- Verändert sich der Verbrauch von 2020 auf tionen wie während der Covid-19-Pandemie tene Realität an [12]. 2021 nicht und gibt es auch keinen substan- mit temporären gesellschaftlichen und wirt- ziellen Zubau außerhalb der EEG-Förderung, schaftlichen Einschränkungen führen im Die Lösung so ändert sich auch die auszuschreibende Vergleich zur langfristigen Perspektive nur Menge nicht und es werden für 2022 wieder zu vergleichsweise geringen Verbrauchs- Wendet man den beschriebenen Ansatz 5,3 GW ausgeschrieben. rückgängen. auf die Ausschreibungsmengen der Jahre 2021 bis 2030 an, ergibt sich folgendes Vor- Unterstellt man nun beispielsweise das Der Verbrauch des vergangenen Jahres gehen: Startpunkt ist der Stromverbrauch Szenario des BEE mit einem Verbrauch inklusive der Veränderung dieses Ver- im Jahre 2020 von 545 TWh sowie die für 2030 von 740 TWh, müsste der Strom- brauchs zu dem im Vorjahr ist also ein Wachstumsrate dieses Stromverbrauchs. verbrauch ausgehend vom Niveau 2020 guter Schätzwert für den Verbrauch des Legt man für die Entwicklung des Strom- jährlich durchschnittlich um 3,1% wachsen aktuellen Jahres. Das Jahr 2020 nimmt auf- verbrauchs z.B. die Veränderung über die [(740 TWh/545 TWh) hoch 1/10 – 1 = grund der Corona-Pandemie sicherlich eine letzten drei Jahre zugrunde, ergibt sich eine 0,0310 * 100 = 3,1 %]. Stellt man dann am gewisse Sonderstellung ein. Die teilweisen negative Wachstumsrate von -2,6 %. Diese Ende des Jahres 2021 fest, dass der Strom- Einschränkungen des gesellschaftlichen liefert den Schätzwert für den Verbrauch verbrauch in diesem Jahr tatsächlich um Lebens und damit auch in Teilen der Wirt- von 2021 bis 2030. Bei einem Zielwert für 3,1% gegenüber dem Vorjahr 2020 gestie- schaft („Shutdown“) haben zeitweise – z.B. den Anteil erneuerbarer Energien von 65 % gen ist und der Anteil der erneuerbaren im März und April 2020 – zu einem Rück- ergibt sich für das Jahr 2021 entsprechend Energien z.B. bei 47 % liegt, so wird die gang der Stromnachfrage um mehr als 10 % dem anfangs hergeleiteten Verfahren eine Ausschreibungsmenge für 2022 nach dem gegenüber dem Vorjahr geführt. In Summe Ausschreibungsmenge von 1 GW. Verzich- gleichen Verfahren ermittelt. fiel der Stromverbrauch 2020 in etwa 4 % tet man auf die Anwendung eines negativen geringer aus als in 2019 [11]. Wachstums und ersetzt diesen Wert durch Der Gesamtstromverbrauch im Jahr 2030 ein Null-Wachstum ergibt sich wie oben liegt bei einem fortgesetzten Wachstum von Um den längerfristigen „Trend“ zu berück- eine Ausschreibungsmenge von 5,3 GW. 3,1 % bei 740 TWh. Die im Jahr 2030 zu pro- sichtigen und temporäre Ausnahmesituati- duzierende Menge erneuerbaren Stroms be- onen zu nivellieren, könnte man statt der Ende 2021 kennt man den tatsächlich ein- trägt dann 65 % von 740 TWh, also 481 TWh. gleichen Wachstumsrate wie im Vorjahr getretenen Stromverbrauch dieses Jahres, Ausgehend von im Jahr 2021 produzierten auch die durchschnittliche Änderungs- seine Veränderung zum Vorjahr sowie den 256 TWh (47 % von 562 TWh), ergibt sich rate über einen längeren Zeitraum, z.B. der tatsächlich vorhandenen Anteil der erneuer- eine zu schließende Lücke von 225 TWh (481 letzten drei Jahre, heranziehen. Zusätzlich baren Energien. Die tatsächlich realisierte TWh – 256 TWh). Bei gegebenem konstan- kann in Erwägung gezogen werden, im Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien tem Wirkungsgrad von 1.924 Volllaststun- Falle eines negativen Wachstums dieses enthält dabei nicht nur Strommengen den entspricht das einer fehlenden Kapazität nicht zu berücksichtigen und stattdessen aus geförderten Anlagen, sondern zuneh- von rund 117 GW. Diese wird nun auf die ein Null-Wachstum anzunehmen, um ein mend auch aus neu errichteten, förder- verbleibende Restlaufzeit von 9 Jahren ver- Mindestmaß an konstantem Erneuerbaren- freien Anlagen. Diese Entwicklung ist vor teilt. Somit ergibt sich für das Jahr 2022 eine Ausbau zu gewährleisten und die Projekt- allem bei bereits bzw. zunehmend wettbe- Ausschreibungsmenge von 13 GW (Tab. 2). pipelines nicht abreißen zu lassen. werbsfähigen Technologien wie PV-Frei- fläche und Wind-auf-See (vgl. Null-Cent- Dieser Ansatz zur Bestimmung der jährli- Die Unterschiedlichkeit der Szenarien ergibt Gebote) und großen Wind-an-Land-Pro- chen Ausschreibungsmengen, der die sich sich durch die Annahmen über den Trend jekten zu erwarten [13]. In der Folge redu- ändernden Rahmenbedingungen berück- eines sehr langen Zeitraums von zehn Jahren. zieren sich die notwendigen Ausschrei- sichtigt und gleichzeitig die Zielerreichung Statt zehn Jahre im Voraus sehr unsichere bungsmengen im Rahmen des EEG, um die sicherstellt, lässt sich als mathematische Trends wie die Geschwindigkeit der Zunahme „Lücke“ zur Erreichung des Erneuerbaren- Formel darstellen. von Elektrofahrzeugen zu prognostizieren, Anteils von 65 % zu schließen. könnte man das Wissen über die eingetrete- Wenn t das aktuelle Jahr, t+1 das nächste Jahr ne Realität nutzen und die Ausschreibungs- Um die Ausschreibungsmenge für 2022 und tz das Zieljahr (z.B. 2030) bedeuten, dann menge jährlich nach einer vorher festgelegten zu bestimmen, geht man genauso vor, wie lässt sich der beschriebene Ansatz wie folgt Formel bestimmen bzw. adjustieren. oben beschrieben: Man ermittelt auf Basis als Formel herleiten: 62 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 6
ENERGIEMARKT – ERNEUERBARE ENERGIEN schreibungsmenge ergeben können, ließen sich dagegen auf andere, zeitlich flexibel handhabbare Technologien verteilen, etwa Solarenergie. Auch muss das in der Realität auftretende Szenario von nicht ausreichenden Geboten bei einzelnen technologiespezifischen Aus- schreibungen abgedeckt werden. Dies kann z.B. dadurch geschehen, indem alle unter- Setzt man nun die Werte aus Tab. 2 in die In der Realität wird nicht eine Gesamt- jährig nicht vergebenen Ausschreibungs- Formel ein, ergibt sich für die für 2022 zu menge erneuerbarer Energien ausgeschrie- mengen am Jahresende in einer techno- ermittelnde Ausschreibungsmenge folgende ben, sondern es gibt verschiedene technolo- logieoffenen Ausschreibung noch einmal Berechnung: giespezifische Ausschreibungen für Photo- ausgeschrieben werden. voltaik, Wind an Land, Wind auf See und Bio- gas. Zur besseren Planungssicherheit aller Das Ergebnis Beteiligten könnte man z. B. festlegen, die Ausschreibungsmengen für gewisse Techno- Je nach der tatsächlichen Entwicklung des logien mit langen Projektvorlaufzeiten und Bruttostromverbrauchs über die einzelnen hohen Investitionsvolumen, etwa Offshore- Jahre bis 2030 und je nach Zubau von weite- Für die Jahre 2023, 2024 bis 2030 wird Windenergie, fix festzulegen. Differenzen, ren Kapazitäten von erneuerbaren Energien analog verfahren. die sich aus einer verändernden Gesamtaus- außerhalb der Förderausschreibungen erge- ben sich dann unterschiedliche Ausschrei- Tab. 2: Ausschreibungsmengen 2022 nach BEE-Szenario bungsmengen. Hierzu haben wir für zwei einfache Szenarien mit Hilfe der entwickelten Strommengen in TWh Installierte Leistung in GW Formel die nötigen Ausschreibungsmengen Stromverbrauch 2021 562 TWh bis 2030 ermittelt (Tab. 3). Beide Szenarien Wachstumsrate gegenüber Vorjahr 3,1 % starten als Ausgangspunkt bei den bekann- Erneuerbare Energien in 2021 (47 %) 256 TWh 133 GW ten Parametern für 2020, also Bruttostrom- Prognose für Stromverbrauch 2030 740 TWh verbrauch 545 TWh und einer installierten (mit 3,1 % Wachstum p.a.) Erneuerbare Energien in 2030 (65 %) 481 TWh 250 GW Erneuerbaren-Leistung von 131 GW; auch Erforderlicher Zubau erneuerbarer der Wirkungsgrad wird für beide Szenarien 117 GW Energien insgesamt als konstant angenommen (1.924 Volllast- Jährlich Zubau 2022-2030 13 GW stunden). Beim Stromverbrauch wird auf (Zeithorizont neun Jahre) einen mehrjährigen Durchschnitt verzichtet und ein jährliches – in beiden Fällen posi- tives – Wachstum unterstellt. Im Folgenden Tab. 3: Beispiele für unterschiedliche Szenarien der Stromverbrauchsent- wicklung zeigen die Ausschreibungsmengen aufgrund der unterschiedlichen Entwicklungen beim Ausgangsposition 2020: Bruttostromverbrauch 545 TWh, installierte EE-Leistung 131 GW Bruttostromverbrauch eine deutliche Sprei- Szenario 1 Szenario 2 zung zwischen den Szenarien. Bruttostrom- Jährliche Bruttostrom- Jährliche Jahr verbrauch Ausschreibungs- verbrauch Ausschreibungs- Menge in GW Menge in GW Fazit 2021 548 6,3 565 13,3 2022 552 6,7 580 10,8 Der dargestellte Ansatz beschreibt ein 2023 556 6,7 595 10,7 einfaches Verfahren, um zu den jährlich 2024 560 6,7 610 10,5 notwendigen Ausschreibungsmengen zu gelangen, die tatsächlich nötig sind, um 2025 564 6,7 630 12,3 das Ziel von 65 % Anteil erneuerbarer 2026 568 6,7 650 12 Energien am Bruttostromverbrauch im 2027 572 6,7 670 11,8 Jahr 2030 zu erreichen. Die Ausschrei- 2028 576 6,6 690 11,6 bungsmengen müssen nicht statisch für 2029 580 6,6 715 13,2 die nächsten Jahre im Voraus festgelegt 2030 584 6,6 740 12,8 werden, sondern werden nach einer fest- 131 + 66,3 = gelegten Formel jährlich ermittelt und 65 % = 379,6 TWh 65 % = 481 TWh 131 + 119 = 250 GW 197,3 GW somit an die Realität angepasst. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 6 63
ENERGIEMARKT – ERNEUERBARE ENERGIEN Ein solches transparentes Verfahren schafft [2] BDEW: Stromerzeugung und -verbrauch in [7] BEE: Das „BEE-Szenario 2030“, URL: https://www. nicht nur Planungssicherheit, sondern stellt Deutschland, URL: https://www.bdew.de/ bee-ev.de/fileadmin/Publikationen/Positionspapiere_ insbesondere die Zielerreichung von (der- media/documents/20210322_D_Stromerzeu- Stellungnahmen/BEE/202004_BEE-Szenario_2030_ zeit) 65 % sicher. Sie vermeidet damit die gung1991-2020.pdf sowie Agora Energiewende: Die Aktualisierung.pdf Notwendigkeit der permanenten Nachregu- Energiewende im Corona-Jahr: Stand der Dinge 2020. [8] dena: dena-Leitstudie Integrierte Energiewende, URL: lierung auf Gesetzesebene. Das beschriebene Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie https://www.dena.de/fileadmin/dena/Dokumente/ Verfahren führt außerdem zur kosteneffizien- Ausblick auf 2021, URL: https://static.agora-ener- Pdf/9261_dena-Leitstudie_Integrierte_Energiewen- testen Erreichung des Ziels, da bei der Ermitt- giewende.de/fileadmin2/Projekte/2021/2020_01_ de_lang.pdf lung der Fördermengen ebenfalls die tatsächli- Jahresauswertung_2020/200_A-EW_Jahresauswer- [9] EWI: Die Auswirkungen des Klimaschutzprogramms chen zusätzlichen Anlagen und Strommengen tung_2020_WEB.pdf 2030 auf den Anteil erneuerbarer Energien an der außerhalb der Förderung mitberücksichtigt [3] Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien Statistik: Monats- Stromnachfrage, URL: https://www.ewi.uni-koeln. werden und somit eine Überförderung ver- bericht zur Entwicklung der erneuerbaren Stromer- de/cms/wp-content/uploads/2020/01/EWI-Analyse- mieden wird. zeugung und Leistung in Deutschland, URL: https:// Anteil-Erneuerbare-in-2030_final.pdf www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/ [10] Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG Vorteil dieses Verfahrens ist auch, dass erneuerbare-energien/erneuerbare-energien-in-zahlen/ 2021), hier § 4 Ausbaupfad und § 4a Strommen- es bei einer Anpassung des 65 %-Ziels für monats-quartalsberichte-der-agee-stat#Monatsbericht genpfad, URL: https://www.gesetze-im-internet.de/ 2030, z.B. als Reaktion auf erhöhte euro- [4] Future Camp, Dechema: Roadmap Chemie 2050. eeg_2014/EEG_2021.pdf päische Ziele, keiner weiteren detaillierten Studie für den VCI, URL: https://www.vci.de/vci/ [11] BDEW: Konjunktur und Energieverbrauch, Ausgabe Gesetzesanpassung des Ausbaupfads und downloads-vci/publikation/2019-10-09-studie-road- 11/2020, URL: https://www.bdew.de/media/do- der Strommengen bedarf. Stattdessen ist für map-chemie-2050-treibhausgasneutralitaet.pdf cuments/Fakten_und_Argumente_Konjunkturbe- alle Akteure im Energiemarkt transparent, [5] Bundesregierung: Klimaschutzprogramm richt_2020_11_Ausgabe.pdf wie sich dieses höhere Ziel auf die Aus- 2030, UR L: https://www.bundesregie - [12] Die EEG-Umlage in ihrer heutigen Form wurde erst- schreibungsmengen auswirkt. Die neue Ziel- r u n g . d e/ r e s o u r c e/ b l o b/9752 26/167 9 914/ mals 2009 für das Jahr 2010 ermittelt. Grundlage war größe wird lediglich in die Formel eingesetzt e01d6bd855f09bf05cf7498e06d0a3ff/2019-10-09-kli- die Ausgleichsmechanismusverordnung (AusglMechV) und die neuen Ausschreibungsmengen erge- ma-massnahmen-data.pdf?download=1 sowie Prognos: von 2009, später geändert in Erneuerbare Energien ben sich automatisch als direkte Folge der Energiewirtschaftliche Projektionen und Folgeabschät- Verordnung (EEV), siehe zu Grundlagen der Berech- Zielanpassung. Damit wird eine Unsicherheit zungen 2030/2050. Studie im Auftrag des Bundesminis- nung der EEG-Umlage durch die Übertragungsnetzbe- über zukünftige Szenarien und die damit ein- teriums für Wirtschaft und Energie, URL: https://www. treiber, URL: https://www.netztransparenz.de/EEG/ hergehende Zurückhaltung bei Investitions- bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/ EEG-Umlagen-Uebersicht entscheidungen seitens der Produzenten von klimagutachten.pdf?__blob=publicationFile&v=8 [13] BDEW: Finanzierung und Marktintegration von Erneu- erneuerbaren Energien vermieden. [6] Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut: Klimaneu- erbare-Energien-Anlagen, URL: https://www.bdew.de/ trales Deutschland. Studie im Auftrag von Agora media/documents/5016_PPA.pdf Quellen Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität, URL: https://static.agora-ener- P. Reitz, Chief Executive Officer, R. Gersdorf, [1] Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG giewende.de/fileadmin2/Projekte/2020/2020_10_ Market Policy Expert, European Energy 2021), hier § 1 Abs. 2, URL: https://www.gesetze-im- KNDE/A-EW_195_KNDE_WEB_V111.pdf Exchange AG, Leipzig internet.de/eeg_2014/EEG_2021.pdf robert.gersdorf@eex.com VIRTUELLE ENERGIE-EVENTS > Webinare > Online-Messen > Showrooms Hier informieren! 64 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 6
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