Seenotrettung von schutzsuchenden Menschen im zentralen Mittelmeer - See- und menschenrechtliche Verpflichtungen durchsetzen und verteidigen
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Seenotrettung von schutzsuchenden Menschen im zentralen Mittelmeer See- und menschenrechtliche Ve r p f l i c h tu n g e n d u r c h s e tz e n und verteidigen
Unterstützt durch Herausgeberin: SOS MEDITERRANEE Deutschland e.V. Postfach 44 03 52 12003 Berlin Tel.: 030.2205.6810 contact@sosmediterranee.org www.sosmediterranee.de Redaktion: Jana Ciernioch V.i.s.d.P. Gestaltung: Camila Lombana Díaz Fotos (chronologisch): Kenny Karpov, Anthony Jean, Susanne Friedel, Guglielmo Mangiapane, Patrick Bar, Maud Veith, Laurin Schmid. Die Veröffentlichungen stellen keine Meinungsäußerung von AWO International oder Aktion Deutschland Hilft (ADH) dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor/die Autorin die Verantwortung. © SOS MEDITERRANEE Deutschland e.V. 2019 Alle Rechte vorbehalten
SO S MED IT ERRANEE SOS MEDITERRANEE ist eine europäische, maritime und humanitäre Organisation zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Sie wurde von Bürgerinnen und Bürgern im Mai 2015 gegründet – in Reaktion auf das Sterben im Mittelmeer und der Untätigkeit der Europäischen Union diesem ein Ende zu setzen. SOS MEDITERRANEE arbeitet im europäischen Verbund mit Teams in Deutschland, Italien, Frankreich und der Schweiz zusammen. Gemeinsam mit dem medizinischen Partner Ärzte ohne Grenzen (MSF) haben sie 29.523 Menschen vor dem Ertrinken gerettet.
S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 1 Hintergr und Auf der Flucht über den Seeweg zwischen Libyen und Seenotrettung vor der libyschen Küste und damit an der Italien sind in den letzten Jahren zehntausende Men- europäischen Außengrenze auf dem Mittelmeer offiziell schen ums Leben gekommen. In Reaktion an die libysche Küstenwache ausgelagert. Dies führt zur auf die Untätigkeit der Europäische Union Erosion von geltendem internationalen Seerecht. (EU) und ihrer Mitgliedstaaten, dem etwas entgegenzusetzen, hat 2014/15 eine Reihe von zivilen Die europäischen Mitgliedstaaten müssen ihrer Seenotrettungsorganisationen, sogenannten SAR- see- und menschenrechtlichen Verpflichtungen NGOs, im Mittelmeer Rettungseinsätze aufgenommen nachkommen und diese konsequent durchsetzen, und dadurch Tausende von schutzsuchenden Menschen allen voran die Pflicht zur Seenotrettung. Dazu vor dem Ertrinken bewahrt. gehört auch die Ausschiffung geretteter Menschen an einen sicheren Ort, wo ihre Grundbedürfnisse Seitdem hat sich die Situation auf dem Mittelmeer gewahrt und sie vor Verfolgung sicher sind. Dies zwischen Europa und Libyen weiter verschärft. Zum einen kann nur durch die Einführung eines rechtsbasierten wird die Arbeit der zivilen Seenotrettungsorganisationen europäischen Seenotrettungsprogramms erfolgen, im und somit die humanitäre Hilfe für Schutzsuchende das derzeit nicht in Sicht ist. Solange es ein solches auf dem Mittelmer zunehmend behindert. Zum anderen Seenotrettungsprogramm nicht gibt, muss die zivile haben die EU-Staaten die Verantwortung für die Seenotrettung in ausreichendem Umfang möglich sein.
2 S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 3 DIE RETTUNGSPFLICHT AUF SEE GILT UNTERSCHIEDSLOS GEGENÜBER JEDER PERSON. Abb. 1: Wer rettet im Mittelmeer (2016-2018)? NGOs Ital. Küstenwache Ital. Marine Frontex EUNAVFOR/MED Militärschiffe (Int.) Handelsschiffe 50000 45000 40000 35000 30000 25000 D ie P f lic ht z ur Seenotret t ung 20000 gilt f ür alle Sc hif fe auf See 15000 10000 Die Pflicht zur Seenotrettung ist explizit im internationa- Ein Seenotfall liegt vor, wenn ein Schiff oder die darauf len Seerecht verankert.1 Als Völkergewohnheitsrecht gilt befindlichen Personen ernsthaft in Gefahr sind und ohne sie überall auf See und für alle Schiffe gleichermaßen, Hilfe von außen nicht in Sicherheit gelangen können 5000 sofern sie dadurch ihre Besatzung nicht in Gefahr (Manövrierunfähigkeit, gefährliche Überbelegung oder bringen. Mangel an Bordrettungsmitteln wie Rettungswesten)4. 0 2016 2017 2018 Ausnahmslos alle Seefahrer_innen sind an die Prinzipien Die Boote, die mit schutzsuchenden Menschen an Bord der Seenotrettung gebunden.2 Die Rettungspflicht auf von der libyschen Küste in Richtung Europa ablegen, sind See gilt unterschiedslos gegenüber jeder Person. Die in der Regel gefährlich überbelegt, nicht hochseetauglich Umstände spielen dabei keine Rolle. Denn die Pflicht zur und verfügen nicht über Rettungswesten. Deshalb sind Quelle: Ital. Küstenwache Seenotrettung knüpft allein an das Schutzbedürfnis der diese ab dem Zeitpunkt, an dem sie die Küste verlassen, in Seenot geratenen Menschen an.3 als Seenotfall zu betrachten. 1 Vgl. IMO (1974): International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS), IMO (1979): International Convention on Search and Rescue (SAR), UN (1982): EN/TXT/HTML/?uri=CELEX:32014R0656&from=EN; Siehe auch Deutscher United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), IMO (2004a): Bundestag (2013): Wissenschaftliche Dienste. Völkerrechtliche Schutzpflichten Resolution MSC.167(78): Guideline On Treatment Of Persons Rescued At Sea); gegenüber Migranten in Seenot, S. 5. Siehe United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR)/ International Maritime Organisation (2006): Rescue at Sea, A guide to principles and practice 4 Vgl. Kapitel I, Ziff. 1.3.13, SAR. Diese Definition entspricht der as applied to migrants and refugees. völkergewohnheitsrechtlichen Bedeutung von Seenot. Vgl. auch Art. 9 Ziff. 2.f, EU Regulation 656/2014; Deutscher Bundestag (2016): Wissenschaftliche 2 Vgl. Art. 98, UNCLOS. Dienste, Rechtliche Konsequenzen einer Behinderung von Seenotrettern, WD 2 3 Vgl. Art. 9 EU Regulation 656/2014, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ – 3000 – 138/16, S. 7.
4 S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 5 DAS SEERECHT VERPFLICHTET DIE KÜSTENSTAATEN NICHT NUR SUCH- UND RETTUNGSEINSÄTZE DURCHZUFÜHREN, SONDERN AUCH DIE DAFÜR NÖTIGEN KAPAZITÄTEN BEREITZUSTELLEN. Staa te n mü sse n d a f ü r so rg e n , d a s s j e d e r Perso n in Se e n ot g e h o l fe n w i rd Küstenstaaten müssen grundsätzlich dafür Die Koordination einer Rettung muss sorgen, dass jeder in Seenot geratenen grundsätzlich von dem Staat übernommen Person geholfen wird. Sie sind verpflichtet, werden, der für das Gebiet, in dem der Notfall sich dabei zu koordinieren. Das Seerecht stattfindet, verantwortlich ist. Deshalb verpflichtet die Küstenstaaten nicht nur sieht das Seevölkerrecht vor, dass Staaten Such- und Rettungseinsätze durchzuführen, konkrete Meereszonen, sogenannte Such- sondern auch die dafür nötigen Kapazitäten und Rettungszonen (SAR-Zonen), bestimmen, bereitzustellen. Sie müssen also nicht nur auf in denen sie die seenotrettungsrechtliche Notfälle reagieren, sondern auch vorbeugend Verantwortung übernehmen7. Libyen hat im Maßnahmen ergreifen, wie z.B. eine 24-Stunden Sommer 2018 erstmals eine eigene SAR-Zone mit Englisch sprechendem Personal besetzte vor der libyschen Küste benannt. Seenotfälle Seenotrettungsleitstelle einrichten.5 Diese in dieser Region wurden bis dahin durch Italien ist dazu verpflichtet, das nächste Schiff in koordiniert. Seitdem stehen auch die Einsätze unmittelbarer Nähe zu einem Seenotfall mit der zivilen Rettungsschiffe im Mittelmeer unter der Rettung zu beauftragen. Zugleich ist die der Koordination der libyschen Behörden8. Seenotleistelle dafür zuständig, die Zuweisung eines sicheren Hafens für die zeitnahe Ausschiffung der Überlebenden an einen sicheren at sea, Resolution MSC. 167(78), Ziffer 3.1.9, http://www.imo.org/ Ort zu unterstützen.6 en/KnowledgeCentre/IndexofIMOResolutions/Maritime-Safety- Committee-(MSC)/Documents/MSC.167(78).pdf. 5 Vgl. Art. 98 Abs. 1 UNCLOS; Art. 33 Ziff. 2 SOLAS : http://www. 7 Vgl. Anlage, Kapitel I, Ziffer 1.3.2. SAR. refworld.org/docid/46920bf32.html; Kapitel III SAR: http://www. refworld.org/docid/469224c82.html. 8 Vgl. IMO: Global SAR Plan, https://gisis.imo.org/Public/COMSAR/ 6 Vgl. IMO (2004): Guidelines on the treatment of persons rescued RCC.aspx?CID=LBY&Action=View&ID=2032.
6 S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 7 Abb 2: Ausschiffung von im Mittelmeer geretteten Menschen (vor & nach der Schließung italienischer Häfen im Juni 2018) Ausschiffung von im Mittelmeer geretteten Menschen (vor & nach der Schließung italienischer Häfen im Juni 2018) Di e Zur ü c kwe isu n g Sc h u tz s u c h e n d e r M e n sc h en Januar - Juni 2018 n ach Libye n ist re c h tsw i d ri g Malta Spanien 1% 3% Das Seerecht schreibt vor, dass aus Zahlreiche Berichte belegen des Hohen Flüchtlingskommissars Seenot gerettete Menschen an einen eindeutig die unmenschlichen der Vereinten Nationen (UNHCR) sicheren Ort („place of safety“) Bedingungen, die in den aktuell nicht die Bedingungen eines gebracht werden müssen. Dort darf libyschen Internierungslagern für „place of safety“.11 Das Land hat we- Libyen Italien 46% keine Gefahr mehr für Leib und Leben Migrant_innen und Asylsuchende der die Genfer Flüchtlingskonvention 50% bestehen und die Grundbedürfnisse herrschen.9 Selbst die deutsche unterzeichnet, noch verfügt der Geretteten (Nahrung und eine Bundesregierung spricht von es über ein funktionierendes medizinische Grundversorgung) „allerschwersten, systematischen Einwanderungs- und Asylsystem. müssen gedeckt sein. Mit Verweis Menschenrechtsverletzungen in Es gibt demnach keine Möglichkeit auf die Genfer Flüchtlingskonvention Libyen“.10 Libyen erfüllt auch laut der Flüchtlingsstatusbestimmung (GFK) als auch die Europäische nach internationalen Standards.12 Menschenrechtskonvention (EMRK) 9 Vgl. Gemeinsamer Bericht der United Nations Wer Schutzsuchende nach Libyen dürfen Schiffe der EU und ihrer Support Mission in Libya (UNSMIL) sowie des zurückbringt oder sie an die Mitgliedsstaaten niemanden in einen Hohen Kommissars der Vereinten Nationen libysche Küstenwache übergibt, Juli - Dezember 2018 Verfolgerstaat, beziehungsweise für Menschenrechte (OCHCR), Detained and verstößt demnach auch gegen die an einen Ort mit prekärer Dehumanised. Report on Human Rights Abuses Pflicht zur Seenotrettung. Denn die Menschenrechtslage zurückbringen against Migrants in Libya, 13. Dezember 2016, Bedingungen eines „place of safety“ Spanien („Refoulement-Verbot“). Aber auch https://www.ohchr.org/Documents/Countries/ sind in Libyen nicht erfüllt. Malta 4% Italien 8% private Schiffe, wie z.B. Handels- LY/DetainedAndDehumanised_en.pdf; Siehe auch 3% oder zivile Rettungsschiffe sind Human Rights Watch (2019): “No Escape From January – December 2018, S. 5, https://data2. völkergewohnheitsrechtlich da- Hell. EU Policies Contribute to Abuse of Migrants unhcr.org/en/documents/download/67 712#_ ran gebunden. Die geretteten in Libya”, https://www.hrw.org/report/2019/01/21/ ga=2.262981701.87056328.1550153793- Menschen müssen stattdessen in no-escape-hell/eu-policies-contribute-abuse- 159048022.1548334772. einen sicheren Ort ausgeschifft migrants-libya. werden, da nur dort ihr Anspruch auf 11 Vgl. UNHCR (2018): UNHCR Position on Returns 10 Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/4164 internationalen Schutz rechtmäßig to Libya www.refworld.org/pdfid/5b8d02314.pdf. vom 05.09.2018; Siehe auch UNHCR (2019): geprüft werden kann. Desperate Journeys. Refugees and migrants 12 Vgl. Deutscher Bundestag (2018), Drucksache arriving in Europe and at Europe's borders, 19/569, 09. März 2018, S. 9. Libyen 85% Quelle: UNHCR Quelle : UNHCR
8 S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 9 G eret tete M e n sc h e n m ü s se n a n e i nen s ic h e re n Ort ge b ra ch t werden Seit Sommer 2018 verweigern Italien Seevölkerrecht, noch die GFK und und andere europäische Länder die die EMRK eine allgemeine Pflicht, Aufnahme von schutzsuchenden geretteten Menschen Zugang zum Menschen, indem sie rettenden eigenen Staatsgebiet zur Prüfung Schiffen die Einfahrt in ihre Häfen eines Antrags auf internationalen verbieten. Im Juni 2018 hat Italien Schutz zu gewährleisten. Die EU- die Koordination von Seenotfällen Staaten dürfen Schutzsuchenden vor der libyschen Küste offiziell an den Zutritt zu ihrem Hoheitsgebiet Libyen übergeben. Seitdem wird über aber nicht gewaltsam verweigern. die Anlandung von Rettungsschiffen Tun sie es doch verletzt dies das von Fall zu Fall entschieden und das von der EMRK garantierte Recht, meist erst dann, wenn europäische einen Antrag auf Schutz vor Staaten sich zur Aufnahme der Zurückschiebung und Abschiebung Geflüchteten bereit erklärt haben. zu stellen und gegen eine eventuelle Bis eine ad-hoc Regelung zwischen negative Entscheidung Rechtsmittel aufnahmebereiten Regierungen einzulegen.15 Menschenrechtsschutz gefunden wurde, mussten Hunderte beginnt folglich nicht erst an der Schutzsuchende tage- und Grenze oder auf dem Territorium manchmal wochenlang auf den der EU. Staaten haben zwar das Rettungsschiffen ausharren. Diese Recht und die Pflicht, ihre Grenzen derzeit geltende Praxis ist mit dem zu verwalten. Diese unterliegen Seerecht unvereinbar. Denn die jedoch ihren Verpflichtungen aus Seenotrettung umfasst die Pflicht, dem nationalen, europäischen und die geretteten Menschen an einen internationalen Recht zum Schutz sicheren Ort zu bringen.13 von Asylbewerber_innen und Flüchtlinge. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte https://www.refworld.org/cases,ECHR,4f4507942. 2012 das Recht von Flüchtenden html. auf einen sicheren Ausschiffungsort 15 Vgl. Weinzierl, Ruth/ Lisson, Urszula betont.14 Zwar enthalten weder das (2007): Grenzschutz und Menschenrechte. Eine europarechtliche und seerechtliche Studie. 13 Vgl. UNHCR (2019), Desperate Journeys, S. 15. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte, 14 Vgl. Hirsi Jamaa and Others v. Italy, Application S.14, https://www.institut-fuer-menschenrechte. no. 27765/09, Council of Europe: European Court de/fileadmin/_migrated/tx_commerce/studie_ of Human Rights, 23 February 2012, available at: grenzschutz_und_menschenrechte.pdf.
10 S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 11 D ie libysc he Küstenwac he dar f hum ani täre Helfer _innen nic ht am Ret ten hi ndern IM SEEVÖLKERRECHT IST KLAR GEREGELT, DASS DIE VERANTWORTLICHKEIT FÜR EIN BESTIMMTES SEEGEBIET, ALSO BENENNUNG EINER SOGENANNTEN SAR-ZONE, KEINE EXKLUSIVEN ZUGANGSRECHTE ZU DIESEM GEBIET UND AUCH KEINE EXKLUSIVE RETTUNGSKOMPETENZ BEDEUTET. Abb. 2: SAR-Zonen im zentralen Mittelmeer Sowohl Italien, als auch die rechtlichen Verpflichtungen aus- rettungsoperation im Hoheitsgebiet Europäische Kommission setzen geübt werden.18 Diese wurden von trotz fehlender Zustimmung in ihrem Versuch, Migration über Seiten der libyschen Küstenwache des Küstenstaat nicht gegen Ital. SAR-Zone das Mittelmeer zu verhindern, auf nachweislich mehrfach gebrochen.19 Völkerrecht. 21 eine systematische und langfristige Unterstützung der libyschen Das Seerecht sieht zwar vor, dass Was das Zugriffsrecht auf in Seenot Küstenwache. Seit Libyen die ausländische Schiffe möglichst eine geratene Personen anbelangt, so Verantwortung für die Koordination Genehmigung einholen, wenn eine gilt: Wer zuerst am Einsatzort ein- aller Seenotfälle in der eigenen, 74 Seenotrettung im Hoheitsgebiet trifft, kann und muss die in Seenot Seemeilen breiten Rettungszone eines anderen Staates erfolgt. geratenen Menschen an Bord neh- übernommen hat, kommt es zu Liegt allerdings Gefahr im Verzug men.22 Das gilt auch für Rettungen einer Häufung von Eingriffen in vor, weil etwa die Behörden des in der libyschen SAR-Zone. Private laufende Rettungseinsätze seitens Küstenstaates nicht reagieren oder Seenotrettungsorganisationen dür- der libyschen Küstenwache.16 In die Rettung der Schiffbrüchigen fen dort humanitär tätig sein und Folge dessen sind in mindestens durch die nationale Küstenwache sind sogar rechtlich zur Rettung ver- Maltesische SAR-Zone einem Fall Schutzsuchende zu Tode möglicherweise zu spät kommen pflichtet. gekommen.17 Und das obwohl im würde, so wie es in der Vergangenheit Seevölkerrecht klar geregelt ist, mit den libyschen Behörden häufig dass die Verantwortlichkeit für ein der Fall war 20- verstößt eine Seenot- bestimmtes Seegebiet, also die Libysche SAR-Zone Benennung einer sogenannten 18 Vgl. Art. 2 und 3 UNCLOS, http://www.un.org/ Such- und Rettungszone, keine depts/los/convention_agreements/texts/unclos/ exklusiven Zugangsrechte zu diesem unclos_e.pdf. squilla-a-vuoto-ecco-cosa-succede-se-si-prova-a- Gebiet und auch keine exklusive chiamare/325041/325658. 19 Vgl. Amnesty International (2017), „Libya’s Dark Rettungskompetenz bedeutet. Denn Web of Collusion. Abuses Against Europe-bound 21 Vgl. Deutscher Bundestag, WD 2 – 3000 – selbst in libyschen Küstengewässern Refugees and Migrants“, https://www.amnesty.org/ 075/17, S. 6 f. muss die Hoheitsgewalt des Staates en/documents/mde19/7561/2017/en/. in Übereinstimmung mit seevölker- 22 Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte 20 Vgl. Deutscher Bundestag, WD 2 - 3000 (2018): Seenotrettung und Flüchtlingsschutz. - 075/17, 25. August 2017, S. 8; Siehe auch La Menschenrechtliche und seerechtliche Pflichten 16 Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache WD 2 - Repubblica: “Migranti, quel telefono dei soccorsi solidarisch erfüllen S. 9 f., https://www.institut- 39°57’06.69” N,027°39’09.32” E 3000 - 103/18, 13. Juli 2018, S. 5. libici che squilla a vuoto: ecco cosa succede se fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/ 17 Vgl. Forensic Oceonography, Mare Clausum. The si prova a chiamare”, 21. Januar 2019, https:// Publikationen/Stellungnahmen/Positionspapier_ Sea Watch versus Libyan Coast Guard Case, https:// video.repubblica.it/dossier/immigrati-2015/ DIMR_Seenotrettung_Fluechtlingsschutz_Zweite_ Quelle: IMO Global SAR Plan www.forensic-architecture.org/case/sea-watch/. migranti-quel-telefono-dei-soccorsi-libici-che- Auflage_30_August_2018.pdf.
12 S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 13 D ie Be h i n d e r u n g z i v i l e r Ret t u n g s sc h i f fe h a t f a ta l e Fo l g e n Abb. 3: Folgen der Flucht über das Mittelmeer (Jan 2016 – Feb 2019) Die Mehrheit der zivilen Rettungs- transportierte Fracht nicht rechtzeitig Ankünfte in Europa Abgefangen & nach Libyen zurück gebracht Tod oder gelten als Vermisst schiffe ist aktuell festgesetzt oder ausgeliefert wird. Die Fälle mehren sich, 30000 beschlagnahmt und kann deshalb in denen Überlebende von Schiffen keine humanitäre Hilfe mehr für berichteten, die vorbeifuhren, ohne Schutzsuchende leisten.23 2018, das zu helfen. Inzwischen gibt es mehrere Jahr in dem die Behinderung ziviler Fälle, in denen Handelsschiffe die 25000 Seenotrettung ihren bisherigen von ihnen geretteten Menschen nach Höhepunkt fand, starben im Mittelmeer Libyen zurückbrachten.25 Die aktuelle pro Tag durchschnittlich sechs Kinder, Politik der EU – die Behinderung ziviler Frauen oder Männer auf der Flucht aus Rettungsschiffe und die Unklarheit 20000 Libyen. Die Todesrate stieg von einem über die Aufnahme schutzsuchender Toten pro 38 Ankünften im Jahr 2017 Menschen - führt dazu, dass die auf einen pro 14 Ankünften in 2018.24 gesetzliche Pflicht zur Seenotrettung 15000 und zur Ausschiffung der Überlebenden Während kaum noch zivile in einen sicheren Hafen immer Rettungsschiffe im Einsatz sein können, häufiger gebrochen wird. Es droht müssen immer mehr Handelsschiffe die systematische unterlassene 10000 einspringen und Schiffbrüchige retten. Hilfeleistung auf dem Mittelmeer! Die Doch auch für sie wird die zunehmende Uneinigkeit der EU bei der Aufnahme Unsicherheit, wo und wann Gerettete von schutzsuchenden Menschen führt an einen sicheren Ort gebracht werden letztlich nicht nur zur Erosion gelten- 5000 können, zum Risiko. Denn können sie der see- und flüchtlingsrechtlicher die von ihnen geretteten Menschen Verpflichtungen, sondern auch dazu, nicht in kürzester Zeit von Bord gehen dass die Wahrscheinlichkeit, auf der lassen, laufen sie Gefahr, dass ihre Flucht aus Libyen zu sterben, steigt 0 Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai. Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai. Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai. Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. und Menschen gegen ihren Willen 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 19 19 zurück nach Libyen gebracht werden. 23 Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/3721, 07. August 2018, S. 5. Quelle: ISPI/IOM/UNHCR 25 Vgl. Thelen, Raphael: „Tödliche Befehle“, In: Der 24 Vgl. UNHCR (2019): Desperate Journeys, S. 5. Spiegel, Nr. 47 / 17/11/2018, S. 96 – 97.
14 S een otrettu n g von sc h u tzsu c h en den Men sc h en im zentra len Mittelmeer // 15 D ie EU muss ihrer humanitären und mensc henrec htlic hen Verantwort ung auf dem Mit telmeer gerec ht werden Obwohl bekannt ist, dass sie Gemäß Art. 16 der von der Auch wenn die EU-Staaten selbst Menschen in willkürliche Inhaftier- UN-Generalversammlung zur keine Schutzsuchenden nach Libyen ung in Libyen und zu grausamer, Kenntnis genommenen Artikel zurückbringen - die Unterstützung unmenschlicher und erniedrigen- zur Staatenverantwortlichkeit ist der libyschen Küstenwache durch der Behandlung zurückführt, ‚[e]in Staat, der einem anderen die EU erfolgt in Kenntnis dieser halten die EU-Mitgliedstaaten Staat bei der Begehung eines M e n s c h e n r e c h t s v e r l et z u n g e n . an ihrer Unterstützung für die völkerrechtswidrigen Handelns Dies kann als Beihilfe zu oder libysche Küstenwache fest.26 Die des letzteren Staates hilft oder ihn Unterstützung von schweren systematische und langfristi- unterstützt, […] völkerrechtlich Menschenrechtsverletzungen ge- ge Förderung der libyschen dafür verantwortlich, dass er dies wertet werden.31 Die EU-Staaten Küstenwache durch die EU führte tut, wenn müssen folglich sicherstellen, 2018 dazu, dass circa 85% aller dass schutzsuchende Menschen Menschen, die im Mittelmeer a) dieser Staat dies in Kenntnis der nicht nach Libyen zurückgebracht auf hoher See gerettet oder Umstände des völkerrechtswidrigen werden und ihre Unterstützung für abgefangen27 wurden, von der Handelns tut; und die libysche Küstenwache an klare libyschen Küstenwache zurück in b) das Handeln völkerrechtswidrig Bedingungen knüpfen. Werden diese Internierungslager nach Libyen wäre, wenn es dieser Staat begehen nicht erfüllt, muss die Förderung gebracht wurden- noch bevor würde.“29 eingestellt werden. sie europäisches Hoheitsgebiet erreichen und damit ein Antragsrecht Diese Beihilfehandlungen umfassen Die europäischen Mitgliedsstaaten auf Asyl haben.28 beispielsweise die Zurverfügung- müssen ihren seevölker- und stellung von Infrastruktur, finanzielle menschenrechtlichen Verpflicht- 26 Vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen Unterstützung aber auch politische ungen nachkommen und diese des Europäischen Rates, 28.06.2018, https://www. Handlungen wie Erklärungen, Zusi- auch gegenüber anderen Staaten consilium.europa.eu/media/35938/28-euco-final- cherungen und Vertragsabschlüsse, verteidigen. Sie sind keineswegs aus conclusions-de.pdf. wie sie im Fall der Unterstützung ihrer Verantwortlichkeit gegenüber Libyens durch die EU-Staaten erfol- schutzsuchende Menschen im 27 Zur UNHCR-Definition des Abfangens von gen.30 Mittelmeer zu entlassen! Schutzsuchenden, siehe https://www.unhcr. org/4963237411.pdf. 29 Vgl. Proelß, Alexander (2017): Stellungnahme 28 Vgl. UNHCR (2019): Desperate Journeys, S. 5; zu völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Siehe auch Riemer, Lena (2018), From push-backs Seenotrettungsmaßnahmen vor der libyschen Küste, to pull-backs: The EU’s new deterrence strategy (2018), Seenotrettung und Flüchtlingsschutz, S. 12 f. https://www.docdroid.net/LsrYeMr/voelkerrecht- faces legal challenge, https://fluechtlingsforschung. seenotrettung-stellungnahme.pdf. net/from-push-backs-to-pull-backs-the-eus-new- 31 Vgl. Weinzierl / Lisson, (2007): Grenzschutz und deterrence-strategy-faces-legal-challenge/. 30 Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte Menschenrechte, S. 17.
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