Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln - DGVN

Die Seite wird erstellt Sandra Dörr
 
WEITER LESEN
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch

Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeltreffen zu Flucht und Migration arbeitet die internationale
Staatengemeinschaft an der Ausarbeitung eines globalen Flüchtlings- und eines Migrationspakts.
Die Prozesse bieten eine Chance, die internationale Zusammenarbeit in beiden Bereichen zu stärken
und könnten auch Reformen des internationalen Institutionengefüges nach sich ziehen.

                                                                            schenbilanz zu ziehen. Welche Einigungen wurden
                       Anne Koch,                                           auf den Gipfeln erzielt, wie steht es mit ihrer Um-
                       geb. 1981, ist wissenschaftliche                     setzung, und welche Veränderungen im internatio-
                       Mitarbeiterin bei der Stiftung
                                                                            nalen Institutionengefüge zeichnen sich ab?
                       Wissenschaft und Politik (SWP)
                       in Berlin. Ihre Forschungs-
                       schwerpunkte sind Migrations-
                       und Asylpolitik, Menschen-                           Die Ergebnisse der Gipfel
                       rechte, Entwicklungszusammen-
                       arbeit sowie Justiz und Inneres                      Der UN-Gipfel für Flüchtlinge und Migranten en-
                       in der EU.                                           dete mit der einstimmigen Verabschiedung der
                                                                            ›New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Mig-
                                                                            ranten‹, die den gemeinsamen Herausforderungen

V
       or dem Hintergrund der seit Mitte des Jahres                         von Flucht und Migration gewidmet ist.1 Die Staa-
       2015 rasant angestiegenen Flüchtlingszuwan-                          ten bekennen sich darin zu den Grundrechten und
       derung in die Europäischen Union (EU) fan-                           dem Schutz aller Migrantinnen und Migranten so-
den im September 2016 in New York zwei große                                wie Flüchtlinge, unabhängig von deren rechtli-
internationale Gipfeltreffen statt: Die Plenartagung                        chem Status oder Aufenthaltstitel. Hinsichtlich der
der Generalversammlung auf hoher Ebene über die                             Flüchtlinge zielt die Erklärung zudem auf mehr
Bewältigung großer Flüchtlings- und Migranten-                              Unterstützung für Hauptaufnahmeländer und auf
ströme am 19. September 2016 (UN Summit for Re-                             eine globale Verantwortungsteilung in großen Flücht-
fugees and Migrants 2016), die Flucht und Migration                         lingskrisen ab. In Bezug auf Migrantinnen und Mi-
gemeinsam in den Blick nahm, sowie das von US-                              granten betont sie die Rechte derer, die nicht den
Präsident Barack Obama initiierte Gipfeltreffen der                         Kriterien der Konvention über die Rechtsstellung der
Staats- und Regierungschefs (Leaders Summit on                              Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) entspre-
Refugees) am Folgetag, der sich ausschließlich mit                          chen, aber dennoch unfreiwillig ihre Heimat ver-
Verbesserungen im Flüchtlingsschutz befasste. Der                           lassen haben oder im Rahmen einer freiwillig an-
UN-Gipfel für Flüchtlinge und Migranten zielte als                          getretenen Reise schutzbedürftig geworden sind.
erste Beratung der Generalversammlung zum Thema                             Vorgesehen ist unter anderem die Verabschiedung
grenzüberschreitende Wanderungen darauf ab, die                             internationaler Richtlinien zum Schutz der Men-
internationale Zusammenarbeit in diesem Themen-                             schenrechte schutzbedürftiger Migrantinnen und
bereich langfristig zu stärken. Dagegen machten die                         Migranten. In diesem Sinne hat die ›New Yorker
beteiligten Staaten des von Obama einberufenen                              Erklärung für Flüchtlinge und Migranten‹ besonde-
Gipfels konkrete Zusagen zur Verbesserung des in-                           re Relevanz für das Phänomen ›gemischter Wande-
ternationalen Flüchtlingsschutzes. Ein Jahr nach                            rungen‹ 2 und die damit einhergehenden Schutzlü-
diesen beiden Gipfeln ist es an der Zeit, eine Zwi-                         cken. Ein gravierendes Defizit der Erklärung liegt

                                 1 UN-Dok. A/RES/71/1 v. 3.10.2016.
                                 2 Der Begriff bezieht sich zum einen auf gemischte Gruppen von Flüchtlingen und Migranten, denen sowohl Menschen angehören, die den
                                   Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen, als auch solche, die sich aus primär wirtschaftlichen Gründen auf den Weg gemacht
                                   haben. Zum anderen bezieht sich der Begriff auf die Tatsache, dass viele Menschen ›gemischte Motivationen‹ für ihre Wanderungsentscheidung
                                   haben. Zum Konzept gemischter Wanderungen siehe Steffen Angenendt/David Kipp/Amrei Meier, Gemischte Wanderungen. Herausforderungen
                                   und Optionen einer Dauerbaustelle der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik, Bertelsmann-Stiftung 2017, www.bertelsmann-
                                   stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Migration_fair_gestalten/IB_Studie_Gemischte_Wanderungen_2017.pdf

V E R E I N T E N AT I O N E N    5 / 2 0 1 7 									                                                                                                                    195
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch

                            allerdings darin, dass die in ihr enthaltenen Ab-                          sind. Dies trifft insbesondere auf die Zusagen euro-
                            sichtserklärungen die große Gruppe der Binnen-                             päischer Staaten für Neuansiedlungen von Flücht-
                            vertriebenen nicht einschließt.                                            lingen zu, bei denen es sich fast ausnahmslos um
                               Dessen ungeachtet bietet die ›New Yorker Erklä-                         die im Rahmen des gemeinsamen Aktionsplans zwi-
                            rung für Flüchtlinge und Migranten‹ einen wichti-                          schen der EU und der Türkei (EU-Turkey Joint Ac-
                            gen Ansatzpunkt zur Stärkung der bisher defizitären                        tion Plan) und des EU-Notfall-Umsiedlungsmecha-
                            internationalen flüchtlings- und migrationspoliti-                         nismus (EU Emergency Relocation Mechanism)
                                                                                                       bestehenden Kontingente für Neuansiedlungen han-
                                                                                                       delt. Auf der anderen Seite verpflichteten sich die
Direkte Wirkung hat die New Yorker Erklärung                                                           USA zur Bereitstellung von 25 000 zusätzlichen
für Flüchtlinge und Migranten in der flücht-                                                           Plätzen für Neuansiedlungen im Jahr 2017 – also
                                                                                                       insgesamt 110 000 gegenüber 85 000 im Jahr 2016.
lingspolitischen Zusammenarbeit entfaltet.                                                             Weitere 17 mehrheitlich afrikanische Aufnahme-
                                                                                                       länder – darunter Äthiopien, Dschibuti, Mexiko,
                                                                                                       Ruanda, Sambia, Tansania, Tschad und Uganda –
                                                                                                       machten wichtige Zusagen in den Bereichen lokale
                            schen Zusammenarbeit: Mit ihrer Unterzeichnung                             Integration, Zugang zu Bildung und zum Arbeits-
                            haben sich die Staaten zur Aushandlung eines glo-                          markt.
                            balen Paktes für Flüchtlinge und eines globalen
                            Paktes für Migration verpflichtet. Geplant ist, beide
                            Abkommen Ende des Jahres 2018 zu verabschie-                               Entwicklungen in der flüchtlings-
                            den. Damit bildete der UN-Gipfel für Flüchtlinge                           politischen Zusammenarbeit
                            und Migranten des Jahres 2016 den Startpunkt für
                            einen zwei Jahre währenden Verhandlungsprozess,                            Direkte Wirkung hat die New Yorker Erklärung
                            der neuen Akteuren die Gelegenheit gibt, die Ar-                           für Flüchtlinge und Migranten in erster Linie in
                            chitektur der künftigen globalen Migrationspolitik                         der flüchtlingspolitischen Zusammenarbeit entfal-
                            mitzuprägen. Eine wichtige institutionelle Ände-                           tet. Anhang I der Erklärung skizziert die Kern-
                            rung, die schon vor dem Gipfel vollzogen wurde,                            elemente eines umfassenden Rahmenplans für
                            war die Aufnahme der Internationalen Organisation                          Flüchtlingshilfemaßnahmen (Comprehensive Re-
                            für Migration (International Organization for Mi-                          fugee Response Framework – CRRF), mit Hilfe
                            gration – IOM) in das UN-System. 3                                         dessen das Ziel verbesserter internationaler Verant-
                               Voraussetzung für die Teilnahme eines Staates                           wortungsteilung im Flüchtlingsschutz umgesetzt
                            am Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs                           werden soll. Der ausdrücklich als Multiakteursan-
                            war die Zusage konkreter Beiträge zur Erreichung                           satz konzipierte CRRF soll sowohl in akuten als
                            der folgenden vier Ziele: eine Steigerung der Finan-                       auch in langandauernden Flüchtlingskrisen zur An-
                            zierung humanitärer Nothilfeeinsätze um mindes-                            wendung kommen. Seine vier Schwerpunkte um-
                            tens drei Milliarden US-Dollar, eine Steigerung der                        fassen
                            weltweit verfügbaren Plätze für Neuansiedlungen,                           n die Entlastung der Hauptaufnahmeländer,

                            Zugang zu Bildung für zusätzlich mindestens eine                           n die Stärkung der Eigenständigkeit von Flücht-

                            Million minderjähriger Flüchtlinge und Zugang zum                             lingen,
                            regulären Arbeitsmarkt für zusätzlich mindestens                           n die Ausweitung dauerhafter Lösungen in Dritt-

                            eine Million erwachsener Flüchtlinge. Unter dieser                            staaten und
                            Prämisse kamen Vertreterinnen und Vertreter von                            n die Verbesserung der Rückkehrbedingungen in

                            47 Staaten und relevanten internationalen Organi-                             Herkunftsländern.
                            sationen zusammen. Die Liste der auf dem Gipfel                               Die Anwendung dieses Ansatzes wurde nicht auf
                            eingegangenen Selbstverpflichtungen ist lang und                           die Verabschiedung des geplanten globalen Paktes
                            addiert sich zu den zuvor gesteckten Zielen. 4 Ein                         für Flüchtlinge vertagt, sondern wird unter Leitung
                            genauerer Blick auf die Zahlen zeigt jedoch, dass                          des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der
                            viele der auf dem Gipfel verkündeten Zusagen ›Zweit-                       Vereinten Nationen (Office of the United Nations
                            verwertungen‹ schon bestehender Verpflichtungen                            High Commis­sioner for Refugees – UNHCR) di-

3 UN Doc. A/70/976 v. 8.7.2016 sowie die Mitteilung der IOM vom 25.7.2017, siehe www.iom.int/news/iom-becomes-related-organization-un
  Nach dem Beschluss der Generalversammlung erfolgte die offizielle feierliche Zeremonie am 19. September 2016. Siehe darüber hinaus den Beitrag
  von Martin Geiger zur IOM und ihrer Aufnahme in das UN-System in diesem Heft.
4 Eine Zusammenfassung der Gipfelergebnisse ist unter refugeesmigrants.un.org/sites/default/files/public_summary_document_refugee_summit_
  final_11-11-2016.pdf einzusehen.

1 9 6 		                                                                                                                            V E R E I N T E N AT I O N E N   5/2017
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch

rekt vollzogen. Parallel zu der Ausarbeitung des                            Widerstandskraft von Flüchtlingen und lokalen
globalen Flüchtlingspakts durchläuft der CRRF                               Aufnahmegemeinden und die Stärkung lokaler und
daher derzeit eine zweijährige Pilotphase, die um-                          nationaler Strukturen der Flüchtlingshilfe. Hoff-
fassende Konsulta­  tionen, die praktische Anwen-                           nungsvoll stimmt das rege Interesse, auf das der
dung des Ansatzes in unterschiedlichen Länder-                              CRRF-Ansatz in den Pilotländern trifft. Während
kontexten und eine abschließende Bewertung und                              Uganda schon seit langem als Vorreiter progressi-
Überarbeitung des CRRF umfasst. Neben dieser                                ver Flüchtlingspolitik gilt, ist das bei den anderen
Aufgabe liegt auch die Federführung für die Aus-                            Staaten nicht der Fall. Umso bedeutsamer sind die
arbeitung des geplanten globalen Paktes für Flücht-                         Reformen, die nun im Rahmen des CRRF angesto-
linge beim UNHCR in Genf. Der Ausarbeitungs-                                ßen wurden: So hinterfragt die tansanische Regie-
prozess schließt dort drei thematische Diskussio-                           rung erstmals ihre seit Jahrzehnten praktizierte la-
nen ein und gipfelt in einer Bestandsaufnahme der                           gerbasierte Flüchtlingspolitik und schickt Delega-
Beiträge während der regelmäßig stattfindenden                              tionen nach Uganda, um von der dortigen Heran-
Dialog-Veranstaltung mit dem UNHCR (High                                    gehensweise zu lernen, die die Bewegungsfreiheit
Commissioner’s Dialogue) im Dezember 2017.                                  von Flüchtlingen sowie ihr Recht auf Zugang zum
Das UNHCR erarbeitet auf dieser Basis bis Febru-                            Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellt. Ähnliche
ar 2018 einen Entwurf des Paktes, über den die                              Entwicklungen, die auch mit Gesetzesreformen ein-
Staaten dann im Rahmen von vier formellen Kon-                              hergehen, lassen sich in Äthiopien und Dschibuti
sultationsrunden von Februar bis Juli 2018 verhan-                          beobachten.6
deln. 5 Der endgültige Entwurf soll aus zwei Teilen                            Parallel zu diesen positiven Entwicklungen sind
bestehen: Auf der einen Seite der CRRF, auf der an-                         jedoch die globalen Neuansiedlungszahlen im Jahr
deren Seite ein Aktionsplan, der konkrete Schritte                          2017 zurückgegangen.7 Dies liegt in erster Linie an
zur Umsetzung des CRRF enthält.                                             der vorübergehenden Aussetzung des US-Programms
   Zurzeit wird der CRRF in fünf afrikanischen                              zur Neuansiedlung unter Präsident Donald Trump.8
Aufnahmeländern – Äthiopien, Dschibuti, Soma-                               Bislang ist nicht absehbar, dass die hierdurch weg-
lia, Tansania und Uganda – sowie in Form eines                              gefallenen Neuansiedlungsplätze durch neue Ange-
Regionalansatzes in der somalischen Flüchtlings-                            bote anderer Staaten ausgeglichen werden. Statt-
krise angewandt. Vier zentralamerikanische Staa-
ten – Costa Rica, Guatemala, Honduras und Me-
xiko – wenden ähnliche Modelle in Form umfassender                                         Im Rahmen des Gipfeltreffens wurde ein
regionaler Schutz- und Lösungsrahmen (compre-                                              politisches Momentum für Verbesserungen
hensive regional protection and solutions frame-
works) an. Die Überlappung mit der Liste derjeni-
                                                                                           im Flüchtlingsschutz einzelner Länder
gen Aufnahmeländer, die auf dem Gipfeltreffen der                                          geschaffen.
Staats- und Regierungschefs besonders engagierte
Zusagen gemacht haben, ist offensichtlich. Dies deu-
tet auf ein gelungenes Zusammenspiel der beiden
Initiativen hin: Im Rahmen des Gipfeltreffens wur-                          dessen scheint die Zukunft des globalen Flücht­-
de ein politisches Momentum für Verbesserungen                              lingsschutzes in denjenigen Ländern zu liegen, die
im Flüchtlingsschutz einzelner Länder geschaffen,                           auch bisher schon die größte Last tragen. Sollte der
an das der CRRF nun anknüpft und dessen Fort-                               CRRF langfristig dazu beitragen, die internationale
setzung in diesem Rahmen durch die internationale                           Solidarität mit diesen Ländern zu stärken, wäre
Gemeinschaft begleitet und unterstützt werden kann.                         das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
   Mit dem CRRF will das UNHCR das Rad nicht
neu erfinden, sondern die flüchtlingspolitischen Ein-                       Entwicklungen in der migrations-
sichten und Erkenntnisse der vergangenen Jahre                              politischen Zusammenarbeit
konsolidieren und anwenden. Hierzu zählen insbe-
sondere die verbesserte Abstimmung humanitärer                              Laut Anhang II der New Yorker Erklärung für
und entwicklungsorientierter Interventionen von Be-                         Flüchtlinge und Migranten soll das geplante Mig-
ginn einer Flüchtlingskrise an, Investitionen in die                        rationsabkommen in Einklang mit den migrations-

                                 5 UNHCR, Towards a Global Compact on Refugees: A Roadmap, 17.5.2017, www.unhcr.org/58e625aa7.pdf
                                 6 Daniel Endres, UNHCR, Update on the Practical Roll-Out of the CRRF – Address at the Annual NGO Consultations, 14.6.2017, www.unhcr.org/events/
                                   conferences/594248734/update-practical-roll-out-crrf-address-annual-ngo-consultations.html
                                 7 UNHCR, Resettlement Data, www.unhcr.org/resettlement-data.html
                                 8 Sarah Pierce/Doris Meissner, Revised Trump Executive Order and Guidance on Refugee Resettlement and Travel Ban, Washington, D.C., 2017.

V E R E I N T E N AT I O N E N    5 / 2 0 1 7 									                                                                                                                      197
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch

                              politisch relevanten Aspekten der Ziele für nach-                           dem Internationalen Dialog über Migrationsfragen
                              haltige Entwicklung (Sustainable Development                                der IOM statt. Gemäß der Zielsetzung, die Ausar-
                              Goals – SDGs) stehen. Schon der Name des Ab-                                beitung des globalen Migrationspakts möglichst
                              kommens – ›Globaler Pakt für sichere, geordnete                             inklusiv zu gestalten, werden zivilgesellschaftliche
                              und geregelte Migration‹ – greift die Formulierung                          Organisationen, Wissenschaftlerinnen und Wissen-
                              von Ziel 10.7 auf. Unter diesem Oberbegriff soll das                        schaftler, Diaspora-Organisationen, Migranten-
                              Abkommen das Phänomen internationaler Migra-                                selbstorganisationen, privatwirtschaftliche Akteure
                              tion in all seinen Dimensionen adressieren, etwa der                        und Mitglieder nationaler Parlamente sowie Men-
                              humanitären, der entwicklungsorientierten und der                           schenrechtsorganisationen im Rahmen regionaler
                              menschenrechtlichen. Zudem soll es einen Rahmen                             zivilgesellschaftlicher Konsultationen und globaler
                              für die verbesserte internationale Zusammenarbeit                           Multiakteurskonsultationen in die inhaltliche Aus-
                                                                                                          arbeitung des geplanten Abkommens eingebunden.
                                                                                                          Die zweite Phase von November 2017 bis Januar
Im Rahmen der bisher stattgefundenen Treffen                                                              2018 dient der Zusammenfassung und Bestands-
zeichnen sich eine Reihe zentraler Debatten                                                               aufnahme dieser Beiträge und schließt neben einer
                                                                                                          zwischenstaatlichen Konferenz in Mexiko im De-
ab, die bei den Verhandlungen zum Streitpunkt
                                                                                                          zember 2017 auch die Veröffentlichung eines neuen
werden könnten.                                                                                           Berichts des UN-Generalsekretärs ein. Dieser Be-
                                                                                                          richt soll in die Ausarbeitung des globalen Migrati-
                                                                                                          onspakts einfließen. In der dritten und letzten Phase
                                                                                                          von Februar bis Juli 2018 wird der erste Entwurf
                              in diesem Bereich bieten und umsetzbare Maßnah-                             des globalen Migrationspakts veröffentlicht und dann
                              men definieren, mit deren Hilfe der Rahmen mit                              in monatlich stattfindenden mehrtägigen Treffen
                              Inhalt gefüllt und die Umsetzung migrationspoliti-                          verhandelt.
                              scher Ziele überwacht werden kann.                                             Im Rahmen der bisher stattgefundenen themati-
                                 Die IOM und die Hauptabteilung Wirtschaftli-                             schen Treffen zeichnen sich eine Reihe zentraler
                              che und Soziale Angelegenheiten (Department of                              Debatten ab, die bei den Verhandlungen über den
                              Economic and Social Affairs – DESA) teilen sich                             endgültigen Pakt zum Streitpunkt werden könnten.
                              die Federführung bei der Ausarbeitung des globa-                            Hierzu zählen das Spannungsfeld zwischen den
                              len Migrationspakts. Der Prozess ist in drei Phasen                         Menschenrechten von Migrantinnen und Migranten
                              unterteilt.9 Während der ersten Phase von April bis                         und der Umsetzung migrationspolitischer Kern-
                              November 2017 werden im Rahmen strukturierter                               kompetenzen wie Grenzsicherung und Abschiebun-
                              Konsultationsprozesse die inhaltlichen Beiträge un-                         gen, sowie die Anwendbarkeit des globalen Migra-
                              terschiedlicher Akteure gesammelt. Im Mittelpunkt                           tionspakts auf Wanderungsbewegungen, die durch
                              steht eine Serie von sechs informellen Treffen der                          von Menschen verursachte Katastrophen ausgelöst
                              internationalen Staatengemeinschaft. Thematische                            werden.10 Die an den Diskussionen beteiligten
                              Schwerpunkte dieser Treffen sind                                            Staaten sind sich darüber hinaus uneinig, ob eine
                              1. Menschenrechte von Migrantinnen und Mig-                                 eigenständige Finanzierungsinstitution oder die
                                 ranten, soziale Inklusion und alle Formen von                            bessere Koordination bereits bestehender Finanzie-
                                 Diskriminierung,                                                         rungsinstrumente einer verbesserten internationa-
                              2. Migrationsursachen,                                                      len Kooperation im Bereich Migration zuträglicher
                              3. internationale Zusammenarbeit im Bereich Mi-                             wäre. Ebenso dringend wie ungeklärt bleibt die
                                 gration,                                                                 Frage, wie ein Prozess zur Überwachung der mig-
                              4. entwicklungspolitische Beiträge von Migrantin-                           rationsrelevanten SDGs und des globalen Migra­
                                 nen und Migranten und Diaspora,                                          tionspakts gestaltet werden könnte. Weitgehende
                              5. Menschenhandel und Menschenschmuggel, sowie                              Einigkeit besteht dagegen hinsichtlich der Sicht-
                              6. irreguläre Migration und reguläre Zuwande-                               weise, dass die Steuerung von Migration in erster
                                 rungswege.                                                               Linie eine nationalstaatliche Aufgabe darstellt, si-
                                 Zusätzliche Konsultationen finden im Rahmen                              chere, geordnete und reguläre Migration die inter-
                              bestehender regionaler Beratungsforen, dem Glo-                             nationale Zusammenarbeit erfordert und eine ko-
                              balen Forum über Migration und Entwicklung und                              härente nationale Migrationspolitik diese erleichtert.

 9 Der UN-Arbeitsplan auf Grundlage von UN Doc. A/71/280 v. 3.8.2016 ist einzusehen unter refugeesmigrants.un.org/sites/default/files/work_
   plan_gcm_0.pdf
10 Siehe dazu auch den Beitrag von Walter Kälin in diesem Heft.

1 9 8 		                                                                                                                                V E R E I N T E N AT I O N E N   5/2017
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch

Den meisten Regierungen ist bewusst, dass die so-                         von den Hauptgeberländern geschätzte Flexibilität
ziale Inklusion von Migrantinnen und Migranten                            und dienstleistungsorientierte Identität nicht. Gleich-
entwicklungsfördernd ist, die praktische Umsetzung                        zeitig hat die Organisation nun Zugang zu zentralen
migrationspolitischer Ziele einen Multiakteurs­                           Prozessen der internationalen Migrationspolitik –
ansatz erfordert und die SDGs einen Paradigmen-                           insbesondere der Fortschreibung der migrationsre-
wechsel hin zu einem positiveren Migrationsver-                           levanten SDGs, von deren Umsetzung und Über-
ständnis eingeläutet haben.                                               wachung die IOM zuvor befürchtete, ausgeschlos-
    Die Bedeutung des globalen Migrationspakts                            sen zu werden. So sinnvoll dies auch ist, stellt die
wird sehr unterschiedlich bewertet: Während man-                          nun gewählte Form der Integration der IOM in das
che Akteure es als einmalige Chance begreifen, die                        UN-System eine verpasste Chance dar.12 Die ›New
migrationspolitische Leerstelle in den bestehenden                        Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten‹
›Global Governance‹-Strukturen zu füllen, befürch-                        betont die nicht-wertegeleitete Identität der IOM.
ten andere die bedeutungslose Wiederholung altbe-                         Dieses Versäumnis, die vollen Beteiligungsrechte
kannter Worthülsen. Die Kernherausforderung be-                           an UN-Prozessen mit einem normativen Mandat zu
steht daher darin, ein Abkommen zu formulieren,                           verbinden, erklärt sich durch die Interessen der
das praktische Relevanz hat und neben der Erfül-                          Hauptgeberländer der IOM. Im Ergebnis bleibt die
lung des Anspruches, alle Dimensionen der inter-                          konzeptionelle und operative Schutzlücke im inter-
nationalen Migrationspolitik abzudecken, sinnvolle                        nationalen Migrationsregime bestehen, und das aus
Prioritäten setzt. Ein positives Beispiel für eine sol-                   entwicklungspolitischer Perspektive größte Defizit
che Prioritätensetzung und operationelle Ausrich-                         der IOM wurde verstetigt.
tung ist der im Februar 2017 veröffentlichte Bericht                         Zudem sieht sich die IOM seit ihrem Beitritt
des ehemaligen Sonderbeauftragten des Generalse-                          zum UN-System mit neuen institutionellen Kon-
kretärs für Migration Peter Sutherland, in dem er                         kurrenten konfrontiert: Die geteilte Federführung
seine Vision für die Zukunft der globalen Migrati-                        zwischen IOM und DESA bei der Ausarbeitung des
onspolitik ausführt.11 Tatsächlich hat der momen-                         globalen Migrationspakts manifestiert sich in einer
tan laufende Vorbereitungs- und Aushandlungspro-                          unklaren Abgrenzung der jeweiligen Zuständig-
zess das Potenzial, in dem lange von Stagnation                           keitsbereiche. Das hieraus resultierende Gerangel
gekennzeichneten Feld der internationalen Migra-                          um Kompetenzen wird sich voraussichtlich auch
tionspolitik neue Impulse zu setzen. Unter der Prä-                       nach dem Jahr 2018 fortsetzen, wenn es um die
misse, dass es im Interesse aller Staaten ist, Migra-                     Umsetzung des globalen Migrationspakts geht. Die-
tion entwicklungsfördernd zu gestalten, kann der                          ses Dilemma ließe sich nur auflösen, wenn die IOM
globale Migrationspakt im Zusammenspiel mit dem                           im Rahmen einer umfassenden Reform zu einer
laufenden SDG-Prozess verstärkte migrationspo-                            tatsächlichen ›Weltmigrationsorganisation‹ umgestal-
litische Zusammenarbeit insbesondere zwischen                             tet werden würde, die strategische Planungen und
klassischen Herkunfts- und Zielländern anregen.
Er treibt damit den Aufbau tragfähiger internatio-
naler Strukturen in diesem Bereich voran. Dies
schließt auch eine mögliche weitere Reform des in-                            English Abstract
ternationalen Institutionengefüges mit ein.
                                                                              Anne Koch
                                                                              One Year After the New York Summits     pp. 195–200
Institutionelle Veränderungen
                                                                              One year after the New York summits on migration and refugee move-
                                                                              ments, the international community is in the process of drafting a Global
Seit ihrer offiziellen Eingliederung in das UN-Sys-
                                                                              Migration Compact and a Global Refugee Compact. In the field of refugee
tem hat die IOM den Status einer zu den UN zuge-
                                                                              protection, first results can be seen through the roll-out of the so-called
hörigen Organisation, vergleichbar mit dem Status                             ‘Comprehensive Refugee Response Framework’ that was agreed upon in
der Welthandelsorganisation (World Trade Orga-                                New York, however, the practical implications of a future Global Migration
nization – WTO). Für die IOM bringt dies eine                                 Compact remain less concrete. For the German government, the ongoing
Reihe von Vorteilen mit sich: Da das Mandat und                               deliberations offer opportunities to strengthen international cooperation
die Struktur der Organisation von dieser Statusän-                            and to promote its own priorities in both areas.
derung unberührt bleiben, ändert sich auch ihre

                             11 UN Doc. A/71/728 v. 3.2.2017.
                             12 Nicholas R. Micinski/Thomas G. Weiss, International Organization for Migration and the UN System: A Missed Opportunity, New York, September
                                 2016 (Future United Nations Development System Briefing 42). Das Dokument ist zu finden unter papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_
                                 id=2841067

V E R E I N T E N AT I O N E N   5 / 2 0 1 7 									                                                                                                                     199
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln  |  Koch  |  Drei Fragen an

                                                                   Schwerpunktsetzungen für die globale Migrations-
  Drei Fragen an                                                   politik anbieten und die Funktion einer unabhän-
                                                                   gigen Überwachungsinstanz einnehmen könnte. In
  Hans-Joachim Fuchtel                                             ihrer derzeitigen Form kann die IOM solchen An-
                                                                   forderungen nicht gerecht werden. Zum einen fehlt
  Welchen Stellenwert haben Ihrer Meinung nach die
                                                                   der Organisation dazu ein völkerrechtliches Man-
  Vereinten Nationen beim Thema Flucht und Migration?
                                                                   dat, zum anderen wird sie durch eine projektba-
  Flucht und Migration sind globale Herausforderungen, die         sierte Finanzierungsstruktur eingeschränkt, die sie
  kein Land allein meistern kann. Dafür brauchen wir die           zu ständiger – oft unkritischer – Akquise zwingt.
  Vereinten Nationen. Deutschland hat den Flüchtlingsgipfel        Abhilfe könnten ein rechteorientiertes Mandat und
  des UN-Generalsekretärs im letzten Jahr in New York sehr         eine dauerhafte Grundfinanzierung schaffen. Bei-
  begrüßt und auch, dass die UN-Mitgliedstaaten bis zum
                                                                   de Schritte stehen bisher nicht auf der offiziellen
  Jahr 2018 konkrete Vorschläge für eine bessere Zusammen­
                                                                   UN-Agenda, werden aber im Rahmen der laufen-
  arbeit vorlegen wollen. Deutschland übernimmt hier eine
                                                                   den Konsultationen zum globalen Migrationspakt
  Führungsrolle. Uns ist wichtig, auch auf die sozialen und
                                                                   informell diskutiert.
  wirtschaftlichen Chancen von freiwilliger und geregelter
  Migration hinzuweisen – sowohl für die Herkunfts- als auch
  für die Aufnahmeländer.
                                                                   Große Herausforderungen
  Die Industriestaaten tragen weltweit betrachtet nur einen
  relativ kleinen Anteil an der Aufnahme von Flüchtlingen.         Weiter ansteigende globale Flüchtlingszahlen so-
  Über 80 Prozent der Flüchtlinge unter dem Mandat des             wie die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse
  Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten              vieler Migrantinnen und Migranten deuten darauf
  Nationen (UNHCR) suchen hingegen Schutz in Entwick-
                                                                   hin, dass es kontinuierlicher Anstrengungen der
  lungsländern. Welchen Beitrag leistet Deutschland, um eine
                                                                   Staatengemeinschaft bedarf, um positive Perspek-
  gerechtere Verteilung herzustellen?
                                                                   tiven zu entwickeln. In beiderlei Hinsicht sind die
  Wir haben selbst bisher fast eine Million Flüchtlinge in         auf den Gipfeln angestoßenen Entwicklungen von
  Deutschland aufgenommen. Die meisten Menschen aber               Relevanz: Bezüglich des internationalen Flücht-
  suchen erst einmal Zuflucht im eigenen oder Nachbarland.         lingsschutzes bietet die New Yorker Erklärung für
  Deshalb unterstützt Deutschland allein die Länder rund um
                                                                   Flüchtlinge und Migranten einen wichtigen neuen
  Syrien in den nächsten Jahren mit 3,5 Milliarden Euro: Mit
                                                                   Bezugspunkt und die Ausarbeitung des globalen
  Schulen für über 400 000 Kinder, mit Stromversorgung für
                                                                   Flüchtlingsabkommens stellt eine wichtige Gegen-
  500 000 Menschen und einer Beschäftigungsoffensive, die im
                                                                   bewegung zu den zu beobachtenden Auflösungs-
  Jahr 2017 bislang über 65 000 Menschen in Lohn und Brot
                                                                   erscheinungen des globalen Flüchtlingsregimes dar.
  gebracht hat. Darüber hinaus setzen wir uns für eine
  gerechtere Lastenverteilung innerhalb der EU ein.
                                                                   Der CRRF hat sich im Verlauf des vergangenen
                                                                   Jahres als vielversprechendes Instrument erwie-
  Die Fluchtursachen von Menschen sind oft vielfältig. Wie         sen, um das im Flüchtlingsschutz allzu oft gel-
  könnte und sollte die internationale Gemeinschaft Flucht-        tende Prinzip der ›Verantwortung qua Nachbar-
  ursachen wirkungsvoll bekämpfen?                                 schaft‹ (responsibility by proximity) um eine
  Niemand sollte gezwungen sein, seine Heimat zu verlassen.        Komponente verstärkter internationaler Solidari-
  Deshalb muss die internationale Gemeinschaft viel mehr in        tät zu ergänzen.
  Frieden und Zukunftschancen investieren – insbesondere für          Der geplante globale Migrationspakt birgt ähn-
  die junge Bevölkerung in Afrika. Die Bundesregierung hat die     lich großes Potenzial: Er stellt die Gelegenheit dar,
  Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit in der letzten           die bisherigen Defizite in der internationalen Zu-
  Legislaturperiode verdoppelt. Gleichzeitig hat Bundes-           sammenarbeit und den institutionellen Strukturen
  minister Gerd Müller mit dem ›Marshallplan mit Afrika‹ einen     zu identifizieren und auszugleichen. Dieser Prozess
  Paradigmenwechsel eingeleitet: bessere Rahmenbedingun-
                                                                   bietet einzelnen Staaten Raum, eigene Akzente zu
  gen für private Investitionen und Jobs, fairer Handel und
                                                                   setzen. Die deutsche Regierung, die von mehr in-
  Wertschöpfung vor Ort, statt Ausbeutung von Ressourcen.
                                                                   ternationaler Zusammenarbeit im Bereich Migra-
                                                                   tion profitieren würde und die schon im Rahmen
                                                                   des diesjährigen deutsch-marokkanischen Ko-Vor-
                  Hans-Joachim Fuchtel,
                  geb. 1952, ist seit dem Jahr 2013
                                                                   sitzes des Globalen Forums über Migration und
                  parlamentarischer Staatssekretär                 Entwicklung migrationspolitische Kapazitäten auf-
                  beim Bundesminister für wirtschaft-              gebaut hat, sollte diese Chance nicht ungenutzt las-
                  liche Zusammenarbeit und Entwicklung.            sen und sich unter anderem für eine Stärkung des
                                                                   völkerrechtlichen Rahmens der Arbeitsmigration
                                                                   einsetzen.

2 0 0 		                                                                                V E R E I N T E N AT I O N E N   5/2017
Sie können auch lesen