Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln - DGVN
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Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeltreffen zu Flucht und Migration arbeitet die internationale Staatengemeinschaft an der Ausarbeitung eines globalen Flüchtlings- und eines Migrationspakts. Die Prozesse bieten eine Chance, die internationale Zusammenarbeit in beiden Bereichen zu stärken und könnten auch Reformen des internationalen Institutionengefüges nach sich ziehen. schenbilanz zu ziehen. Welche Einigungen wurden Anne Koch, auf den Gipfeln erzielt, wie steht es mit ihrer Um- geb. 1981, ist wissenschaftliche setzung, und welche Veränderungen im internatio- Mitarbeiterin bei der Stiftung nalen Institutionengefüge zeichnen sich ab? Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Ihre Forschungs- schwerpunkte sind Migrations- und Asylpolitik, Menschen- Die Ergebnisse der Gipfel rechte, Entwicklungszusammen- arbeit sowie Justiz und Inneres Der UN-Gipfel für Flüchtlinge und Migranten en- in der EU. dete mit der einstimmigen Verabschiedung der ›New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Mig- ranten‹, die den gemeinsamen Herausforderungen V or dem Hintergrund der seit Mitte des Jahres von Flucht und Migration gewidmet ist.1 Die Staa- 2015 rasant angestiegenen Flüchtlingszuwan- ten bekennen sich darin zu den Grundrechten und derung in die Europäischen Union (EU) fan- dem Schutz aller Migrantinnen und Migranten so- den im September 2016 in New York zwei große wie Flüchtlinge, unabhängig von deren rechtli- internationale Gipfeltreffen statt: Die Plenartagung chem Status oder Aufenthaltstitel. Hinsichtlich der der Generalversammlung auf hoher Ebene über die Flüchtlinge zielt die Erklärung zudem auf mehr Bewältigung großer Flüchtlings- und Migranten- Unterstützung für Hauptaufnahmeländer und auf ströme am 19. September 2016 (UN Summit for Re- eine globale Verantwortungsteilung in großen Flücht- fugees and Migrants 2016), die Flucht und Migration lingskrisen ab. In Bezug auf Migrantinnen und Mi- gemeinsam in den Blick nahm, sowie das von US- granten betont sie die Rechte derer, die nicht den Präsident Barack Obama initiierte Gipfeltreffen der Kriterien der Konvention über die Rechtsstellung der Staats- und Regierungschefs (Leaders Summit on Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) entspre- Refugees) am Folgetag, der sich ausschließlich mit chen, aber dennoch unfreiwillig ihre Heimat ver- Verbesserungen im Flüchtlingsschutz befasste. Der lassen haben oder im Rahmen einer freiwillig an- UN-Gipfel für Flüchtlinge und Migranten zielte als getretenen Reise schutzbedürftig geworden sind. erste Beratung der Generalversammlung zum Thema Vorgesehen ist unter anderem die Verabschiedung grenzüberschreitende Wanderungen darauf ab, die internationaler Richtlinien zum Schutz der Men- internationale Zusammenarbeit in diesem Themen- schenrechte schutzbedürftiger Migrantinnen und bereich langfristig zu stärken. Dagegen machten die Migranten. In diesem Sinne hat die ›New Yorker beteiligten Staaten des von Obama einberufenen Erklärung für Flüchtlinge und Migranten‹ besonde- Gipfels konkrete Zusagen zur Verbesserung des in- re Relevanz für das Phänomen ›gemischter Wande- ternationalen Flüchtlingsschutzes. Ein Jahr nach rungen‹ 2 und die damit einhergehenden Schutzlü- diesen beiden Gipfeln ist es an der Zeit, eine Zwi- cken. Ein gravierendes Defizit der Erklärung liegt 1 UN-Dok. A/RES/71/1 v. 3.10.2016. 2 Der Begriff bezieht sich zum einen auf gemischte Gruppen von Flüchtlingen und Migranten, denen sowohl Menschen angehören, die den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen, als auch solche, die sich aus primär wirtschaftlichen Gründen auf den Weg gemacht haben. Zum anderen bezieht sich der Begriff auf die Tatsache, dass viele Menschen ›gemischte Motivationen‹ für ihre Wanderungsentscheidung haben. Zum Konzept gemischter Wanderungen siehe Steffen Angenendt/David Kipp/Amrei Meier, Gemischte Wanderungen. Herausforderungen und Optionen einer Dauerbaustelle der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik, Bertelsmann-Stiftung 2017, www.bertelsmann- stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Migration_fair_gestalten/IB_Studie_Gemischte_Wanderungen_2017.pdf V E R E I N T E N AT I O N E N 5 / 2 0 1 7 195
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch allerdings darin, dass die in ihr enthaltenen Ab- sind. Dies trifft insbesondere auf die Zusagen euro- sichtserklärungen die große Gruppe der Binnen- päischer Staaten für Neuansiedlungen von Flücht- vertriebenen nicht einschließt. lingen zu, bei denen es sich fast ausnahmslos um Dessen ungeachtet bietet die ›New Yorker Erklä- die im Rahmen des gemeinsamen Aktionsplans zwi- rung für Flüchtlinge und Migranten‹ einen wichti- schen der EU und der Türkei (EU-Turkey Joint Ac- gen Ansatzpunkt zur Stärkung der bisher defizitären tion Plan) und des EU-Notfall-Umsiedlungsmecha- internationalen flüchtlings- und migrationspoliti- nismus (EU Emergency Relocation Mechanism) bestehenden Kontingente für Neuansiedlungen han- delt. Auf der anderen Seite verpflichteten sich die Direkte Wirkung hat die New Yorker Erklärung USA zur Bereitstellung von 25 000 zusätzlichen für Flüchtlinge und Migranten in der flücht- Plätzen für Neuansiedlungen im Jahr 2017 – also insgesamt 110 000 gegenüber 85 000 im Jahr 2016. lingspolitischen Zusammenarbeit entfaltet. Weitere 17 mehrheitlich afrikanische Aufnahme- länder – darunter Äthiopien, Dschibuti, Mexiko, Ruanda, Sambia, Tansania, Tschad und Uganda – machten wichtige Zusagen in den Bereichen lokale schen Zusammenarbeit: Mit ihrer Unterzeichnung Integration, Zugang zu Bildung und zum Arbeits- haben sich die Staaten zur Aushandlung eines glo- markt. balen Paktes für Flüchtlinge und eines globalen Paktes für Migration verpflichtet. Geplant ist, beide Abkommen Ende des Jahres 2018 zu verabschie- Entwicklungen in der flüchtlings- den. Damit bildete der UN-Gipfel für Flüchtlinge politischen Zusammenarbeit und Migranten des Jahres 2016 den Startpunkt für einen zwei Jahre währenden Verhandlungsprozess, Direkte Wirkung hat die New Yorker Erklärung der neuen Akteuren die Gelegenheit gibt, die Ar- für Flüchtlinge und Migranten in erster Linie in chitektur der künftigen globalen Migrationspolitik der flüchtlingspolitischen Zusammenarbeit entfal- mitzuprägen. Eine wichtige institutionelle Ände- tet. Anhang I der Erklärung skizziert die Kern- rung, die schon vor dem Gipfel vollzogen wurde, elemente eines umfassenden Rahmenplans für war die Aufnahme der Internationalen Organisation Flüchtlingshilfemaßnahmen (Comprehensive Re- für Migration (International Organization for Mi- fugee Response Framework – CRRF), mit Hilfe gration – IOM) in das UN-System. 3 dessen das Ziel verbesserter internationaler Verant- Voraussetzung für die Teilnahme eines Staates wortungsteilung im Flüchtlingsschutz umgesetzt am Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs werden soll. Der ausdrücklich als Multiakteursan- war die Zusage konkreter Beiträge zur Erreichung satz konzipierte CRRF soll sowohl in akuten als der folgenden vier Ziele: eine Steigerung der Finan- auch in langandauernden Flüchtlingskrisen zur An- zierung humanitärer Nothilfeeinsätze um mindes- wendung kommen. Seine vier Schwerpunkte um- tens drei Milliarden US-Dollar, eine Steigerung der fassen weltweit verfügbaren Plätze für Neuansiedlungen, n die Entlastung der Hauptaufnahmeländer, Zugang zu Bildung für zusätzlich mindestens eine n die Stärkung der Eigenständigkeit von Flücht- Million minderjähriger Flüchtlinge und Zugang zum lingen, regulären Arbeitsmarkt für zusätzlich mindestens n die Ausweitung dauerhafter Lösungen in Dritt- eine Million erwachsener Flüchtlinge. Unter dieser staaten und Prämisse kamen Vertreterinnen und Vertreter von n die Verbesserung der Rückkehrbedingungen in 47 Staaten und relevanten internationalen Organi- Herkunftsländern. sationen zusammen. Die Liste der auf dem Gipfel Die Anwendung dieses Ansatzes wurde nicht auf eingegangenen Selbstverpflichtungen ist lang und die Verabschiedung des geplanten globalen Paktes addiert sich zu den zuvor gesteckten Zielen. 4 Ein für Flüchtlinge vertagt, sondern wird unter Leitung genauerer Blick auf die Zahlen zeigt jedoch, dass des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der viele der auf dem Gipfel verkündeten Zusagen ›Zweit- Vereinten Nationen (Office of the United Nations verwertungen‹ schon bestehender Verpflichtungen High Commissioner for Refugees – UNHCR) di- 3 UN Doc. A/70/976 v. 8.7.2016 sowie die Mitteilung der IOM vom 25.7.2017, siehe www.iom.int/news/iom-becomes-related-organization-un Nach dem Beschluss der Generalversammlung erfolgte die offizielle feierliche Zeremonie am 19. September 2016. Siehe darüber hinaus den Beitrag von Martin Geiger zur IOM und ihrer Aufnahme in das UN-System in diesem Heft. 4 Eine Zusammenfassung der Gipfelergebnisse ist unter refugeesmigrants.un.org/sites/default/files/public_summary_document_refugee_summit_ final_11-11-2016.pdf einzusehen. 1 9 6 V E R E I N T E N AT I O N E N 5/2017
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch rekt vollzogen. Parallel zu der Ausarbeitung des Widerstandskraft von Flüchtlingen und lokalen globalen Flüchtlingspakts durchläuft der CRRF Aufnahmegemeinden und die Stärkung lokaler und daher derzeit eine zweijährige Pilotphase, die um- nationaler Strukturen der Flüchtlingshilfe. Hoff- fassende Konsulta tionen, die praktische Anwen- nungsvoll stimmt das rege Interesse, auf das der dung des Ansatzes in unterschiedlichen Länder- CRRF-Ansatz in den Pilotländern trifft. Während kontexten und eine abschließende Bewertung und Uganda schon seit langem als Vorreiter progressi- Überarbeitung des CRRF umfasst. Neben dieser ver Flüchtlingspolitik gilt, ist das bei den anderen Aufgabe liegt auch die Federführung für die Aus- Staaten nicht der Fall. Umso bedeutsamer sind die arbeitung des geplanten globalen Paktes für Flücht- Reformen, die nun im Rahmen des CRRF angesto- linge beim UNHCR in Genf. Der Ausarbeitungs- ßen wurden: So hinterfragt die tansanische Regie- prozess schließt dort drei thematische Diskussio- rung erstmals ihre seit Jahrzehnten praktizierte la- nen ein und gipfelt in einer Bestandsaufnahme der gerbasierte Flüchtlingspolitik und schickt Delega- Beiträge während der regelmäßig stattfindenden tionen nach Uganda, um von der dortigen Heran- Dialog-Veranstaltung mit dem UNHCR (High gehensweise zu lernen, die die Bewegungsfreiheit Commissioner’s Dialogue) im Dezember 2017. von Flüchtlingen sowie ihr Recht auf Zugang zum Das UNHCR erarbeitet auf dieser Basis bis Febru- Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellt. Ähnliche ar 2018 einen Entwurf des Paktes, über den die Entwicklungen, die auch mit Gesetzesreformen ein- Staaten dann im Rahmen von vier formellen Kon- hergehen, lassen sich in Äthiopien und Dschibuti sultationsrunden von Februar bis Juli 2018 verhan- beobachten.6 deln. 5 Der endgültige Entwurf soll aus zwei Teilen Parallel zu diesen positiven Entwicklungen sind bestehen: Auf der einen Seite der CRRF, auf der an- jedoch die globalen Neuansiedlungszahlen im Jahr deren Seite ein Aktionsplan, der konkrete Schritte 2017 zurückgegangen.7 Dies liegt in erster Linie an zur Umsetzung des CRRF enthält. der vorübergehenden Aussetzung des US-Programms Zurzeit wird der CRRF in fünf afrikanischen zur Neuansiedlung unter Präsident Donald Trump.8 Aufnahmeländern – Äthiopien, Dschibuti, Soma- Bislang ist nicht absehbar, dass die hierdurch weg- lia, Tansania und Uganda – sowie in Form eines gefallenen Neuansiedlungsplätze durch neue Ange- Regionalansatzes in der somalischen Flüchtlings- bote anderer Staaten ausgeglichen werden. Statt- krise angewandt. Vier zentralamerikanische Staa- ten – Costa Rica, Guatemala, Honduras und Me- xiko – wenden ähnliche Modelle in Form umfassender Im Rahmen des Gipfeltreffens wurde ein regionaler Schutz- und Lösungsrahmen (compre- politisches Momentum für Verbesserungen hensive regional protection and solutions frame- works) an. Die Überlappung mit der Liste derjeni- im Flüchtlingsschutz einzelner Länder gen Aufnahmeländer, die auf dem Gipfeltreffen der geschaffen. Staats- und Regierungschefs besonders engagierte Zusagen gemacht haben, ist offensichtlich. Dies deu- tet auf ein gelungenes Zusammenspiel der beiden Initiativen hin: Im Rahmen des Gipfeltreffens wur- dessen scheint die Zukunft des globalen Flücht- de ein politisches Momentum für Verbesserungen lingsschutzes in denjenigen Ländern zu liegen, die im Flüchtlingsschutz einzelner Länder geschaffen, auch bisher schon die größte Last tragen. Sollte der an das der CRRF nun anknüpft und dessen Fort- CRRF langfristig dazu beitragen, die internationale setzung in diesem Rahmen durch die internationale Solidarität mit diesen Ländern zu stärken, wäre Gemeinschaft begleitet und unterstützt werden kann. das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit dem CRRF will das UNHCR das Rad nicht neu erfinden, sondern die flüchtlingspolitischen Ein- Entwicklungen in der migrations- sichten und Erkenntnisse der vergangenen Jahre politischen Zusammenarbeit konsolidieren und anwenden. Hierzu zählen insbe- sondere die verbesserte Abstimmung humanitärer Laut Anhang II der New Yorker Erklärung für und entwicklungsorientierter Interventionen von Be- Flüchtlinge und Migranten soll das geplante Mig- ginn einer Flüchtlingskrise an, Investitionen in die rationsabkommen in Einklang mit den migrations- 5 UNHCR, Towards a Global Compact on Refugees: A Roadmap, 17.5.2017, www.unhcr.org/58e625aa7.pdf 6 Daniel Endres, UNHCR, Update on the Practical Roll-Out of the CRRF – Address at the Annual NGO Consultations, 14.6.2017, www.unhcr.org/events/ conferences/594248734/update-practical-roll-out-crrf-address-annual-ngo-consultations.html 7 UNHCR, Resettlement Data, www.unhcr.org/resettlement-data.html 8 Sarah Pierce/Doris Meissner, Revised Trump Executive Order and Guidance on Refugee Resettlement and Travel Ban, Washington, D.C., 2017. V E R E I N T E N AT I O N E N 5 / 2 0 1 7 197
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch politisch relevanten Aspekten der Ziele für nach- dem Internationalen Dialog über Migrationsfragen haltige Entwicklung (Sustainable Development der IOM statt. Gemäß der Zielsetzung, die Ausar- Goals – SDGs) stehen. Schon der Name des Ab- beitung des globalen Migrationspakts möglichst kommens – ›Globaler Pakt für sichere, geordnete inklusiv zu gestalten, werden zivilgesellschaftliche und geregelte Migration‹ – greift die Formulierung Organisationen, Wissenschaftlerinnen und Wissen- von Ziel 10.7 auf. Unter diesem Oberbegriff soll das schaftler, Diaspora-Organisationen, Migranten- Abkommen das Phänomen internationaler Migra- selbstorganisationen, privatwirtschaftliche Akteure tion in all seinen Dimensionen adressieren, etwa der und Mitglieder nationaler Parlamente sowie Men- humanitären, der entwicklungsorientierten und der schenrechtsorganisationen im Rahmen regionaler menschenrechtlichen. Zudem soll es einen Rahmen zivilgesellschaftlicher Konsultationen und globaler für die verbesserte internationale Zusammenarbeit Multiakteurskonsultationen in die inhaltliche Aus- arbeitung des geplanten Abkommens eingebunden. Die zweite Phase von November 2017 bis Januar Im Rahmen der bisher stattgefundenen Treffen 2018 dient der Zusammenfassung und Bestands- zeichnen sich eine Reihe zentraler Debatten aufnahme dieser Beiträge und schließt neben einer zwischenstaatlichen Konferenz in Mexiko im De- ab, die bei den Verhandlungen zum Streitpunkt zember 2017 auch die Veröffentlichung eines neuen werden könnten. Berichts des UN-Generalsekretärs ein. Dieser Be- richt soll in die Ausarbeitung des globalen Migrati- onspakts einfließen. In der dritten und letzten Phase von Februar bis Juli 2018 wird der erste Entwurf in diesem Bereich bieten und umsetzbare Maßnah- des globalen Migrationspakts veröffentlicht und dann men definieren, mit deren Hilfe der Rahmen mit in monatlich stattfindenden mehrtägigen Treffen Inhalt gefüllt und die Umsetzung migrationspoliti- verhandelt. scher Ziele überwacht werden kann. Im Rahmen der bisher stattgefundenen themati- Die IOM und die Hauptabteilung Wirtschaftli- schen Treffen zeichnen sich eine Reihe zentraler che und Soziale Angelegenheiten (Department of Debatten ab, die bei den Verhandlungen über den Economic and Social Affairs – DESA) teilen sich endgültigen Pakt zum Streitpunkt werden könnten. die Federführung bei der Ausarbeitung des globa- Hierzu zählen das Spannungsfeld zwischen den len Migrationspakts. Der Prozess ist in drei Phasen Menschenrechten von Migrantinnen und Migranten unterteilt.9 Während der ersten Phase von April bis und der Umsetzung migrationspolitischer Kern- November 2017 werden im Rahmen strukturierter kompetenzen wie Grenzsicherung und Abschiebun- Konsultationsprozesse die inhaltlichen Beiträge un- gen, sowie die Anwendbarkeit des globalen Migra- terschiedlicher Akteure gesammelt. Im Mittelpunkt tionspakts auf Wanderungsbewegungen, die durch steht eine Serie von sechs informellen Treffen der von Menschen verursachte Katastrophen ausgelöst internationalen Staatengemeinschaft. Thematische werden.10 Die an den Diskussionen beteiligten Schwerpunkte dieser Treffen sind Staaten sind sich darüber hinaus uneinig, ob eine 1. Menschenrechte von Migrantinnen und Mig- eigenständige Finanzierungsinstitution oder die ranten, soziale Inklusion und alle Formen von bessere Koordination bereits bestehender Finanzie- Diskriminierung, rungsinstrumente einer verbesserten internationa- 2. Migrationsursachen, len Kooperation im Bereich Migration zuträglicher 3. internationale Zusammenarbeit im Bereich Mi- wäre. Ebenso dringend wie ungeklärt bleibt die gration, Frage, wie ein Prozess zur Überwachung der mig- 4. entwicklungspolitische Beiträge von Migrantin- rationsrelevanten SDGs und des globalen Migra nen und Migranten und Diaspora, tionspakts gestaltet werden könnte. Weitgehende 5. Menschenhandel und Menschenschmuggel, sowie Einigkeit besteht dagegen hinsichtlich der Sicht- 6. irreguläre Migration und reguläre Zuwande- weise, dass die Steuerung von Migration in erster rungswege. Linie eine nationalstaatliche Aufgabe darstellt, si- Zusätzliche Konsultationen finden im Rahmen chere, geordnete und reguläre Migration die inter- bestehender regionaler Beratungsforen, dem Glo- nationale Zusammenarbeit erfordert und eine ko- balen Forum über Migration und Entwicklung und härente nationale Migrationspolitik diese erleichtert. 9 Der UN-Arbeitsplan auf Grundlage von UN Doc. A/71/280 v. 3.8.2016 ist einzusehen unter refugeesmigrants.un.org/sites/default/files/work_ plan_gcm_0.pdf 10 Siehe dazu auch den Beitrag von Walter Kälin in diesem Heft. 1 9 8 V E R E I N T E N AT I O N E N 5/2017
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch Den meisten Regierungen ist bewusst, dass die so- von den Hauptgeberländern geschätzte Flexibilität ziale Inklusion von Migrantinnen und Migranten und dienstleistungsorientierte Identität nicht. Gleich- entwicklungsfördernd ist, die praktische Umsetzung zeitig hat die Organisation nun Zugang zu zentralen migrationspolitischer Ziele einen Multiakteurs Prozessen der internationalen Migrationspolitik – ansatz erfordert und die SDGs einen Paradigmen- insbesondere der Fortschreibung der migrationsre- wechsel hin zu einem positiveren Migrationsver- levanten SDGs, von deren Umsetzung und Über- ständnis eingeläutet haben. wachung die IOM zuvor befürchtete, ausgeschlos- Die Bedeutung des globalen Migrationspakts sen zu werden. So sinnvoll dies auch ist, stellt die wird sehr unterschiedlich bewertet: Während man- nun gewählte Form der Integration der IOM in das che Akteure es als einmalige Chance begreifen, die UN-System eine verpasste Chance dar.12 Die ›New migrationspolitische Leerstelle in den bestehenden Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten‹ ›Global Governance‹-Strukturen zu füllen, befürch- betont die nicht-wertegeleitete Identität der IOM. ten andere die bedeutungslose Wiederholung altbe- Dieses Versäumnis, die vollen Beteiligungsrechte kannter Worthülsen. Die Kernherausforderung be- an UN-Prozessen mit einem normativen Mandat zu steht daher darin, ein Abkommen zu formulieren, verbinden, erklärt sich durch die Interessen der das praktische Relevanz hat und neben der Erfül- Hauptgeberländer der IOM. Im Ergebnis bleibt die lung des Anspruches, alle Dimensionen der inter- konzeptionelle und operative Schutzlücke im inter- nationalen Migrationspolitik abzudecken, sinnvolle nationalen Migrationsregime bestehen, und das aus Prioritäten setzt. Ein positives Beispiel für eine sol- entwicklungspolitischer Perspektive größte Defizit che Prioritätensetzung und operationelle Ausrich- der IOM wurde verstetigt. tung ist der im Februar 2017 veröffentlichte Bericht Zudem sieht sich die IOM seit ihrem Beitritt des ehemaligen Sonderbeauftragten des Generalse- zum UN-System mit neuen institutionellen Kon- kretärs für Migration Peter Sutherland, in dem er kurrenten konfrontiert: Die geteilte Federführung seine Vision für die Zukunft der globalen Migrati- zwischen IOM und DESA bei der Ausarbeitung des onspolitik ausführt.11 Tatsächlich hat der momen- globalen Migrationspakts manifestiert sich in einer tan laufende Vorbereitungs- und Aushandlungspro- unklaren Abgrenzung der jeweiligen Zuständig- zess das Potenzial, in dem lange von Stagnation keitsbereiche. Das hieraus resultierende Gerangel gekennzeichneten Feld der internationalen Migra- um Kompetenzen wird sich voraussichtlich auch tionspolitik neue Impulse zu setzen. Unter der Prä- nach dem Jahr 2018 fortsetzen, wenn es um die misse, dass es im Interesse aller Staaten ist, Migra- Umsetzung des globalen Migrationspakts geht. Die- tion entwicklungsfördernd zu gestalten, kann der ses Dilemma ließe sich nur auflösen, wenn die IOM globale Migrationspakt im Zusammenspiel mit dem im Rahmen einer umfassenden Reform zu einer laufenden SDG-Prozess verstärkte migrationspo- tatsächlichen ›Weltmigrationsorganisation‹ umgestal- litische Zusammenarbeit insbesondere zwischen tet werden würde, die strategische Planungen und klassischen Herkunfts- und Zielländern anregen. Er treibt damit den Aufbau tragfähiger internatio- naler Strukturen in diesem Bereich voran. Dies schließt auch eine mögliche weitere Reform des in- English Abstract ternationalen Institutionengefüges mit ein. Anne Koch One Year After the New York Summits pp. 195–200 Institutionelle Veränderungen One year after the New York summits on migration and refugee move- ments, the international community is in the process of drafting a Global Seit ihrer offiziellen Eingliederung in das UN-Sys- Migration Compact and a Global Refugee Compact. In the field of refugee tem hat die IOM den Status einer zu den UN zuge- protection, first results can be seen through the roll-out of the so-called hörigen Organisation, vergleichbar mit dem Status ‘Comprehensive Refugee Response Framework’ that was agreed upon in der Welthandelsorganisation (World Trade Orga- New York, however, the practical implications of a future Global Migration nization – WTO). Für die IOM bringt dies eine Compact remain less concrete. For the German government, the ongoing Reihe von Vorteilen mit sich: Da das Mandat und deliberations offer opportunities to strengthen international cooperation die Struktur der Organisation von dieser Statusän- and to promote its own priorities in both areas. derung unberührt bleiben, ändert sich auch ihre 11 UN Doc. A/71/728 v. 3.2.2017. 12 Nicholas R. Micinski/Thomas G. Weiss, International Organization for Migration and the UN System: A Missed Opportunity, New York, September 2016 (Future United Nations Development System Briefing 42). Das Dokument ist zu finden unter papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_ id=2841067 V E R E I N T E N AT I O N E N 5 / 2 0 1 7 199
Ein Jahr nach den New Yorker Gipfeln | Koch | Drei Fragen an Schwerpunktsetzungen für die globale Migrations- Drei Fragen an politik anbieten und die Funktion einer unabhän- gigen Überwachungsinstanz einnehmen könnte. In Hans-Joachim Fuchtel ihrer derzeitigen Form kann die IOM solchen An- forderungen nicht gerecht werden. Zum einen fehlt Welchen Stellenwert haben Ihrer Meinung nach die der Organisation dazu ein völkerrechtliches Man- Vereinten Nationen beim Thema Flucht und Migration? dat, zum anderen wird sie durch eine projektba- Flucht und Migration sind globale Herausforderungen, die sierte Finanzierungsstruktur eingeschränkt, die sie kein Land allein meistern kann. Dafür brauchen wir die zu ständiger – oft unkritischer – Akquise zwingt. Vereinten Nationen. Deutschland hat den Flüchtlingsgipfel Abhilfe könnten ein rechteorientiertes Mandat und des UN-Generalsekretärs im letzten Jahr in New York sehr eine dauerhafte Grundfinanzierung schaffen. Bei- begrüßt und auch, dass die UN-Mitgliedstaaten bis zum de Schritte stehen bisher nicht auf der offiziellen Jahr 2018 konkrete Vorschläge für eine bessere Zusammen UN-Agenda, werden aber im Rahmen der laufen- arbeit vorlegen wollen. Deutschland übernimmt hier eine den Konsultationen zum globalen Migrationspakt Führungsrolle. Uns ist wichtig, auch auf die sozialen und informell diskutiert. wirtschaftlichen Chancen von freiwilliger und geregelter Migration hinzuweisen – sowohl für die Herkunfts- als auch für die Aufnahmeländer. Große Herausforderungen Die Industriestaaten tragen weltweit betrachtet nur einen relativ kleinen Anteil an der Aufnahme von Flüchtlingen. Weiter ansteigende globale Flüchtlingszahlen so- Über 80 Prozent der Flüchtlinge unter dem Mandat des wie die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten vieler Migrantinnen und Migranten deuten darauf Nationen (UNHCR) suchen hingegen Schutz in Entwick- hin, dass es kontinuierlicher Anstrengungen der lungsländern. Welchen Beitrag leistet Deutschland, um eine Staatengemeinschaft bedarf, um positive Perspek- gerechtere Verteilung herzustellen? tiven zu entwickeln. In beiderlei Hinsicht sind die Wir haben selbst bisher fast eine Million Flüchtlinge in auf den Gipfeln angestoßenen Entwicklungen von Deutschland aufgenommen. Die meisten Menschen aber Relevanz: Bezüglich des internationalen Flücht- suchen erst einmal Zuflucht im eigenen oder Nachbarland. lingsschutzes bietet die New Yorker Erklärung für Deshalb unterstützt Deutschland allein die Länder rund um Flüchtlinge und Migranten einen wichtigen neuen Syrien in den nächsten Jahren mit 3,5 Milliarden Euro: Mit Bezugspunkt und die Ausarbeitung des globalen Schulen für über 400 000 Kinder, mit Stromversorgung für Flüchtlingsabkommens stellt eine wichtige Gegen- 500 000 Menschen und einer Beschäftigungsoffensive, die im bewegung zu den zu beobachtenden Auflösungs- Jahr 2017 bislang über 65 000 Menschen in Lohn und Brot erscheinungen des globalen Flüchtlingsregimes dar. gebracht hat. Darüber hinaus setzen wir uns für eine gerechtere Lastenverteilung innerhalb der EU ein. Der CRRF hat sich im Verlauf des vergangenen Jahres als vielversprechendes Instrument erwie- Die Fluchtursachen von Menschen sind oft vielfältig. Wie sen, um das im Flüchtlingsschutz allzu oft gel- könnte und sollte die internationale Gemeinschaft Flucht- tende Prinzip der ›Verantwortung qua Nachbar- ursachen wirkungsvoll bekämpfen? schaft‹ (responsibility by proximity) um eine Niemand sollte gezwungen sein, seine Heimat zu verlassen. Komponente verstärkter internationaler Solidari- Deshalb muss die internationale Gemeinschaft viel mehr in tät zu ergänzen. Frieden und Zukunftschancen investieren – insbesondere für Der geplante globale Migrationspakt birgt ähn- die junge Bevölkerung in Afrika. Die Bundesregierung hat die lich großes Potenzial: Er stellt die Gelegenheit dar, Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit in der letzten die bisherigen Defizite in der internationalen Zu- Legislaturperiode verdoppelt. Gleichzeitig hat Bundes- sammenarbeit und den institutionellen Strukturen minister Gerd Müller mit dem ›Marshallplan mit Afrika‹ einen zu identifizieren und auszugleichen. Dieser Prozess Paradigmenwechsel eingeleitet: bessere Rahmenbedingun- bietet einzelnen Staaten Raum, eigene Akzente zu gen für private Investitionen und Jobs, fairer Handel und setzen. Die deutsche Regierung, die von mehr in- Wertschöpfung vor Ort, statt Ausbeutung von Ressourcen. ternationaler Zusammenarbeit im Bereich Migra- tion profitieren würde und die schon im Rahmen des diesjährigen deutsch-marokkanischen Ko-Vor- Hans-Joachim Fuchtel, geb. 1952, ist seit dem Jahr 2013 sitzes des Globalen Forums über Migration und parlamentarischer Staatssekretär Entwicklung migrationspolitische Kapazitäten auf- beim Bundesminister für wirtschaft- gebaut hat, sollte diese Chance nicht ungenutzt las- liche Zusammenarbeit und Entwicklung. sen und sich unter anderem für eine Stärkung des völkerrechtlichen Rahmens der Arbeitsmigration einsetzen. 2 0 0 V E R E I N T E N AT I O N E N 5/2017
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