Friedenssicherung in der DR Kongo - Die MONUSCO und das Dilemma der Stabilisierung - Zeitschrift Vereinte Nationen
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Tull | Friedenssicherung in der DR Kongo Friedenssicherung in der DR Kongo Die MONUSCO und das Dilemma der Stabilisierung Denis M. Tull Mit bis zu 22 016 Einsatzkräften ist die seit mittler- ten Phase richteten die UN den Fokus auf die Durch- weile 16 Jahren bestehende UN-Mission in der De- führung der Wahlen im Jahr 2006, mit deren Hilfe mokratischen Republik Kongo die größte und älteste eine demokratische und verfassungsmäßige Ordnung mehrdimensionale Friedensoperation der Vereinten geschaffen werden sollte. 3 Die vierte Phase (2007 bis Nationen. Es wurde erstmalig eine sogenannte ›Inter- 2010) leitete die Fokussierung auf den instabilen ventionsbrigade‹ innerhalb einer bestehenden UN- Osten der DRK ein. Mission geschaffen, die Friedenserzwingung anwen- Im Nachhinein können zumindest die ersten den kann. Allerdings sind es politische und nicht drei dieser Phasen als vergleichsweise erfolgreich gel- militärische Faktoren, die einem Erfolg der MONUSCO ten. Die MONUC trug dazu bei, dass wesentliche im Weg stehen. Die politische Marginalisierung der und in erster Linie politische Etappenziele der Frie- Dr. Denis M. Tull, Mission seitens der kongolesischen Regierung ver- denssicherung erreicht wurden: die territoriale Wie- geb. 1972, ist hindert, dass die MONUSCO einen effektiven Bei- dervereinigung und Befriedung eines Großteils des Wissenschaftlicher trag zur Stabilisierung der DR Kongo leisten kann. Landes, der Abzug ausländischer Truppen aus den Mitarbeiter der Nachbarländern, die Bildung einer Regierung der Forschungsgruppe Im Jahr 2010 stand die seit dem Jahr 1999 beste- nationalen Einheit sowie die ersten demokratischen Naher/Mittlerer hende Mission der Organisation der Vereinten Nati- Wahlen seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960. Es ist Osten und Afrika, onen in der Demokratischen Republik Kongo (Mis- jedoch nicht zu übersehen, dass diese Erfolge nicht Stiftung Wissen- sion de l’Organisation des Nations Unies en Répu- tragfähig waren. 4 So waren etwa die Wahlen im schaft und Politik blique démocratique du Congo – MONUC) vor ei- Jahr 2006 keine ›Postkonfliktwahlen‹ und eben kein (SWP), Berlin. ner Art Neubeginn. Mit der Bezeichnung ›Stabi- Startsignal für den Wiederaufbau. Der offizielle Frie- lisierungsmission der Organisation der Vereinten densprozess war zwar zu Ende gebracht worden, die Nationen in der Demokratischen Republik Kon- Gewalt in den östlichen Landesteilen, die seit dem go‹ (Mission de l’Organisation des Nations Unies Jahr 1996 im Zentrum der kriegerischen Auseinan- pour la stabilisation en République démocratique dersetzungen stehen, hielt jedoch an. du Congo – MONUSCO) erhielt sie nicht nur einen In den letzten zehn Jahren scheiterte das, was die neuen Namen, sondern auch einen neuen Auftrag. internationale Gemeinschaft gemeinhin unter dem Neben dem Schutz der Zivilbevölkerung wurden Projekt der ›Friedenskonsolidierung‹ versteht: der Stabilisierung und Friedenskonsolidierung zu den Aufbau einer Friedensordnung, in der effiziente staat- obersten Prioritäten der Mission erklärt. Damit soll- liche Strukturen und liberale politische Strukturen te im Wesentlichen die Regierung dabei unterstützt dazu beitragen, die Ursachen des Konflikts nachhal- werden, staatliche Autorität und Kontrolle durch- tig zu überwinden. Stattdessen hat die Regierung zusetzen, um auf diesem Wege Sicherheit als Vor- unter Präsident Joseph Kabila zunehmend autori- aussetzung für Frieden und Entwicklung herzu- täre Züge angenommen. Opposition und Zivilge- stellen. 1 sellschaft werden unterdrückt, politische Rechte werden ausgehebelt und rechtsstaatliche Institutionen Phasen des UN-Engagements entmachtet. Massive Korruption stellt weiterhin die Lebensader der politischen Eliten dar und wich Die Einrichtung der MONUSCO läutete die fünfte tige Reformen in der öffentlichen Verwaltung sind Phase des UN-Engagements in der Demokratischen ausgeblieben. 5 In den Provinzen im Osten des Lan- Republik Kongo (DRK, ehemals Zaire) ein. Jede des ist das Gewaltmonopol des Staates nicht im An- dieser fünf Phasen spiegelte seit dem Beginn des Krie- satz vorhanden. Angesichts zahlreicher Menschen- ges im Jahr 1998 2 die Prioritäten wider, die sich rechtsverletzungen ist die Bevölkerung permanenter aus der politischen Entwicklung im Land ergaben: Unsicherheit ausgesetzt. Flucht und Vertreibung ha- Die erste Phase war im Wesentlichen der Überwa- ben im Laufe der letzten zehn Jahre zugenommen: chung des Waffenstillstandsabkommens von Lusaka Nachdem die Anzahl der binnenvertriebenen Per- sowie dem Versuch, einen politisch tragfähigen Frie- sonen zwischenzeitlich von 3,2 Millionen (2003) auf densprozess in Gang zu bringen, gewidmet (1999 bis 1,1 Millionen (2006) gefallen war, ist sie seitdem 2002). Nachdem dies erfolgreich war, begann die fast kontinuierlich gestiegen und erreichte im Jahr zweite Phase der Unterstützung des Friedensprozes- 2015 2,9 Millionen. 6 ses, der die Bildung einer Regierung der nationalen Die UN haben auf diese Entwicklungen mit er- Einheit zur Folge hatte (2003 bis 2004). In der drit- heblicher Verzögerung reagiert, indem sie ab dem 208 Vereinte Nationen 5/2016
Tull | Friedenssicherung in der DR Kongo Jahr 2007 schrittweise eine strategische Neuausrich- welche Lehren daraus für den Einsatz von Gewalt bei tung der Blauhelm-Mission auf den Weg gebracht ha- der UN-Friedenssicherung gezogen werden können. 9 ben. Diese beinhaltete eine Verschiebung des Fokus weg von den politischen Prozessen in der Haupt- Mäßige Bilanz stadt Kinshasa hin zu den Krisengebieten im Osten Die Aufgabe der FIB sollte es sein, bewaffnete Grup- Kongos, die seitdem nahezu alle Ressourcen der pen zur Not mit Gewalt zu neutralisieren und die MONUSCO binden. Gemessen an der politischen ›befreiten‹ Gebiete an die kongolesischen Partner zu Situation in weiten Teilen der Region erscheint die übergeben, die dort ihrerseits staatliche Präsenz und Bilanz sechs Jahre nach der Umwandlung der Frie- Autorität herstellen sollten. Nur drei Monate nach Ein wesentliches densmission MONUC in die Stabilisierungsmission ihrer Ankunft in Kongo bestand die FIB im Okto- Problem der MONUSCO allenfalls durchwachsen. ber 2013 ihre bis heute einzige Bewährungsprobe. Friedenskonsolidie- Eine gemeinsame Militäroffensive mit den Streit- rung bleibt die Die Interventionsbrigade und ihre Grenzen kräften der DRK (Forces Armées de la République Weigerung der Ein wesentliches Problem der Friedenskonsolidierung Démocratique du Congo – FARDC) führte zur Nie- kongolesischen bleibt bis heute die Weigerung der kongolesischen derlage der Rebellengruppe M23. Die Hoffnung, Regierung, eine Regierung, eine Reform der eigenen Sicherheitskräfte dies sei der Auftakt für die Neutralisierung weiterer Reform der eigenen durchzuführen. Dies hat unter anderem zur Folge, Milizen, erfüllte sich indes nicht. Militäroperationen Sicherheitskräfte dass die kongolesischen Streitkräfte nicht in der Lage gegen vergleichbare Rebellengruppen blieben aus durchzuführen. sind, die Ausbreitung bewaffneter Gruppen zu un- oder verliefen ergebnislos. Die Gründe für die mä- terbinden. Diese Situation hat die MONUSCO dazu ßige Bilanz der FIB sind politischer und nicht militä- gezwungen, robust und zur Not mit militärischen rischer Art. Eine Rolle spielt dabei die Entstehungs- Mitteln gegen Gewaltakteure vorzugehen. Dies war geschichte der FIB. Die Idee wurde von Tansania bereits seit dem Jahr 2008 der Fall, als der UN-Si- und Südafrika als Mitglieder der Entwicklungsge- cherheitsrat erstmalig einer Friedensmission den Auf- meinschaft des südlichen Afrikas (Southern African trag erteilte, den Schutz von Zivilpersonen zur obers- Development Community – SADC) verbreitet, die die ten Priorität zu erklären und dabei alle erforderlichen befreundete Kabila-Regierung von ihrem größten Mittel einzusetzen.7 Dieses Mandat hat die falsche Gegner, der M23, befreien wollten. Insoweit war der Vorstellung geweckt, die Mission könne und werde Vorstoß auch indirekt gegen Ruanda gerichtet, das immer und überall die von Gewalt bedrohte Zivil- als regionaler Mentor der M23 galt und zu dem Süd- bevölkerung schützen. Seitdem muss sich die Mis- afrika und Tansania konflikthafte Beziehungen pfle- sion Vorwürfe gefallen lassen, ihr Mandat nicht gen. Die Sorge der UN vor einer regionalen Interven- hinlänglich zu verteidigen. Bis heute sieht sich die MONUSCO mit der Situation konfrontiert, dass sie als ›Hilfstruppe‹ das Versagen der kongolesischen 1 UN-Dok. S/RES/1925 v. 28.5.2010. Regierung, Sicherheit auf ihrem Staatsgebiet herzu- 2 Der Krieg in der DRK begann im August 1998 und endete formal stellen, ausgleichen soll. im Juli 2003. Neben geopolitischen Interessen der Nachbarländer Der Sicherheitsrat hat diese Entwicklung wesent- und lokalen Konflikten im Osten Kongos um Macht und Ressourcen lich befördert. Auf nahezu jede Krise in Kongo re- handelte es sich auch um einen Bürgerkrieg, der zwischen der Regie- agierte er dahingehend, das militärische Instrumen- rung und diversen Rebellengruppen um die Macht im Staat geführt tarium und die Aufgaben der Mission auszuweiten. wurde. Vgl. Gerard Prunier, Africa’s World War: Congo, the Rwandan Dies war auch nach der Krise um Nord-Kivus Pro- Genocide and the Making of a Continental Catastrophe, Oxford 2011; vinzhauptstadt Goma im November 2012 der Fall, Jason Stearns, Dancing in the Glory of Monsters. The Collapse of the als die Rebellengruppe M23 ungehindert die Stadt Congo and the Great War in Africa, New York 2012. besetzte. Der Sicherheitsrat reagierte im März 2013 3 Vgl. Denis M. Tull, Peacekeeping in the Democratic Republic of mit Resolution 2098(2013) auf die Ereignisse und ent- Congo. Waging Peace and Fighting War, International Peacekeeping, sandte eine 3096 Personen umfassende sogenannte 16. Jg., 2/2009, S. 215–230. ›Interventionsbrigade‹ (Force Intervention Brigade – 4 Zu Erfolg und Versagen der MONUC siehe Denis M. Tull, Herkules FIB), die die ausdrückliche Aufgabe erhielt, alle erfor- aufgabe Kongo. Die MONUC zeigt die Grenzen komplexer Friedenssi- derlichen Maßnahmen zu ergreifen, um bewaffne- cherung auf, Vereinte Nationen (VN), 3/2006, S. 90–97. te Rebellengruppen zu neutralisieren und damit zu 5 Pierre Englebert, Congo Blues. Scoring Kabila’s Rule, Atlantic Coun- einem besseren Schutz der Zivilbevölkerung sowie cil, 11.5.2016, www.atlanticcouncil.org/publications/issue-briefs/congo- einer Stabilisierung der Region beizutragen. 8 Damit blues-scoring-kabila-s-rule hatte der Sicherheitsrat eine beispiellose Entscheidung 6 UN Doc. S/2015/741 v. 28.9.2015, Abs. 28. getroffen, denn erstmalig wurde innerhalb einer be- 7 UN-Dok. S/RES/1856 v. 22.12.2008. stehenden UN-Mission eine separate Eingreiftruppe 8 UN-Dok. S/RES/2098 v. 28.3.2013. geschaffen, die einen friedenserzwingenden Auftrag 9 Denis M. Tull, Peacekeeping und der Einsatz von Gewalt. Warum erhielt. Seitdem stellt sich nicht nur die Frage, wie er- die Interventionsbrigade im Kongo kein Erfolgsmodell ist, Stiftung folgreich die FIB als Instrument ist, sondern auch, Wissenschaft und Politik, Berlin 2016. Vereinte Nationen 5/2016 209
Tull | Friedenssicherung in der DR Kongo Vielzahl bewaffneter Gruppen und die Ineffektivi- tät des Staates – sind politisch. Sie müssen als mit- einander zusammenhängende Krisenfaktoren be- trachtet werden. Momentan besteht leider die Ten- denz, einzelne Problembereiche von ihrem politi- schen Kontext getrennt zu betrachten. Dies zeigt sich daran, dass sich UN-Missionen beinahe exzes- siv damit befassen, was sie selbst tun können, um den Schutz der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Die MONUSCO hat dabei sicherlich wichtige In- novationen hervorgebracht, allerdings hat sie le- diglich Symptome bekämpft. Lösungsorientierter wäre es zu fragen, was eine Mission tun kann, um das erweiterte politische Umfeld zu beeinflussen. Damit würde man den Blick stärker auf politische, Quelle: Zusammenstellung des Autors. institutionelle Prozesse und die lokale Eigenverant- wortung lenken. Die Regierung ist ein Akteur, der tion war groß. Der Versuch, die Initiative der SADC in Kongo wie auch in anderen Interventionsländern wieder einzufangen, führte zu dem Kompromiss, die Partner und zugleich Teil des Problems ist (siehe ins- FIB in die MONUSCO zu integrieren. Dieses Kon- besondere Südsudan). Wenn der wiederholte Ver- Die FIB ist nicht strukt verhinderte jedoch weder, dass regionale Ri- such einer Mission, politische Prozesse zu beeinflus- bei der operativen valitäten die FIB überschatteten, noch änderte es et- sen, am Widerstand der Regierung scheitert, ist die ›Friedenserzwin- was an der Absicht der truppenstellenden Staaten, Fokussierung auf militärische Aufgaben nur ein Ab- gung‹ gescheitert, nicht über die Bekämpfung der M23 hinauszugehen. lenkungsmanöver. Angesichts dessen erscheint es rat- sondern politische Nach der Neutralisierung der M23 verlor auch die sam, sich auf die Frage zurückzubesinnen, welche Faktoren haben die Kabila-Regierung ihr kurzzeitig erhöhtes Interesse politischen Strategien einer Mission zugrunde liegen Machbarkeit eines an einer engen Zusammenarbeit mit den UN wieder. (sollten), die gegebenenfalls mit robusten Maßnah- solchen Vorgehens Die grundsätzliche Frage, ob robustere Friedens- men unterstützt werden können. 10 Wenn sich auch untergraben. sicherung auch erfolgreichere Friedenssicherung be- dieser Ansatz als ineffektiv erweist, kann eine UN- deutet, ist mit Blick auf die FIB im Kongo vorläufig Mission allenfalls Schadensbegrenzung betreiben. mit ›Nein‹ zu beantworten. Die FIB ist nicht bei der operativen ›Friedenserzwingung‹ gescheitert, sondern Stabilisierung als Priorität der MONUSCO politische Faktoren haben die Machbarkeit eines sol- chen Vorgehens untergraben. Damit sind die unter- Die Effektivität der MONUSCO und der FIB wird schiedlichen Interessen der Akteure – die UN, die in hohem Maße von den politischen Interessen der kongolesische Regierung und die Regierungen der kongolesischen Regierung beeinflusst. Interventions- Nachbarstaaten Ruanda und Tansania – gemeint, politik zielt letztlich darauf ab, die lokale Regierung die keineswegs identische Erwartungen mit der FIB dabei zu unterstützen, Friedenskonsolidierung zu verknüpft haben. Da die FIB bis heute die ihr zur betreiben, um ein erneutes Ausbrechen der Gewalt Verfügung stehenden Mittel nicht eingesetzt hat, um zu verhindern. Weder kann, noch soll eine Mission ihr Mandat zu erfüllen, hatte sie keine nennenswerte die Regierung eines Staates ersetzen. Die vielfach Auswirkung auf die Lage im Osten Kongos. Ähn- beschworene ›nationale Eigenverantwortung‹ der Re- lich wie bei den regulären MONUSCO-Truppen liegt gierung ist eine zentrale Prämisse der UN, die in Ähnlich wie bei das Problem weniger in der fehlenden Mandatierung Resolution 2277(2016) auf die wichtige Rolle ver- den regulären für den Einsatz von Gewalt als in der unzureichen- weisen, die dem kongolesischen Staat in politischer, MONUSCO-Truppen den Umsetzung des Mandats. Robuste Mandate nach strategischer und konzeptioneller Sicht zugeschrie- liegt das Problem Kapitel VII der UN-Charta, die den Einsatz aller ›er- ben wird.11 Während der Staat mit ›Ordnung‹ gleich- weniger in der forderlichen Maßnahmen‹ und damit auch Gewalt gesetzt wird, gelten nichtstaatliche Akteure (›Kriegs- fehlenden Manda- legitimieren, geben UN-Friedensmissionen im Prinzip herren‹) als Hindernis für Frieden und Stabilität. tierung für den ausreichend Spielraum, um ihr Mandat auch gegen- Dass diese Annahme problematisch ist, zeigt schon Einsatz von Gewalt über bewaffneten Gruppen durchzusetzen. der Blick auf die Menschenrechtsverletzungen in als in der unzurei- der DRK. Zwischen März und Juni 2016 wurden chenden Umsetzung Fokussierung auf politische Prozesse 62 Prozent der von der MONUSCO registrierten des Mandats. Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Ak- Es wäre wirklichkeitsfern anzunehmen, ein Mehr an teuren, 38 Prozent von nichtstaatlichen Gewaltak- Zwangsmaßnahmen würde die Probleme der Frie- teuren begangen. 12 denssicherung lösen. Die Ursachen der Situation in Das Mandat der MONUSCO spiegelt gleichwohl Kongo – die anhaltende Gewalt, die Existenz einer einen staatszentrierten Ansatz wider. Neben dem 210 Vereinte Nationen 5/2016
Tull | Friedenssicherung in der DR Kongo Schutz der Zivilbevölkerung ist die Priorität der Mis- die Regierung maximiert. Eine fehlende Koordinie- sion die »Stabilisierung durch die Errichtung funkti- rung bedeutet allerdings auch, dass den Gebern die onsfähiger, professioneller und rechenschaftspflich- Hebel fehlen, um Entscheidungen zu beeinflussen. tiger staatlicher Institutionen, einschließlich Sicher- Welches Kalkül steckt hinter der Ablehnung ei- heits- und Justizinstitutionen, und durch Unterstüt- ner Reform des Sicherheitssektors durch die kongo- zung bei der Schaffung eines förderlichen Umfelds lesische Regierung? Zunächst hat sie das Ziel, die für friedliche, glaubhafte und fristgerechte Wahlen, Einflussnahme internationaler Akteure zurückzu- die die Gefahr der Instabilität senken, wozu ein of- drängen. Dass Präsident Kabila den Sicherheitssek- Das Mandat der fener politischer Handlungsraum und die Förderung tor uneingeschränkt kontrollieren möchte, ist innen- MONUSCO spiegelt und der Schutz der Menschenrechte gehören.«13 und sicherheitspolitisch begründet. Vor allem der gleichwohl einen Bereits Resolution 1925(2010) 14 hatte dieses Ziel Verteidigungssektor, bestehend aus Armee und Prä- staatszentrierten vorgegeben und dabei die Unterstützung der Regie- sidialgarde, stellt eine wesentliche Säule des Systems Ansatz wider. rung bei der Reform des Sicherheitssektors (Security der Patronage dar, auf dem Kabilas Herrschaft ba- Sector Reform – SSR), zu dem Armee, Polizei und siert. Externe Reforminitiativen werden im Keim Justizwesen gezählt werden, ins Zentrum des Man- erstickt, sofern sie die Interessen von Kongos poli- dats gestellt. Diese Zielsetzung war wie die Entsen- tisch-militärischen Eliten bedrohen. Die Verwendung dung der Interventionsbrigade dem Umstand ge- staatlicher Ressourcen durch diese Eliten ist keine schuldet, dass die Sicherheitslage vor allem im Osten vorübergehende Pathologie, sondern struktureller Kongos keinerlei Fortschritte machte. Vielmehr ver- Bestandteil des politischen Systems. Im Gegensatz zu deutlicht die Tatsache, dass die im Jahr 2010 vom ihren Partnern, die Frieden und kollektive Sicher- Sicherheitsrat formulierten Prioritäten auch sechs heit fördern wollen, verfolgt die Regierung das Ziel, Jahre später noch gültig sind, die Unfähigkeit der ihre fragile Macht zu konsolidieren. kongolesischen Regierung, nationale Eigenverant- Der Regierung geht es darum, Reformen des Si- Vor allem wortung zu tragen. Damit wird eine zentrale Voraus- cherheitssektors zu blockieren und zu unterlaufen, der Verteidigungs- setzung für eine substanzielle Verringerung oder gar ohne die Unterstützung der westlichen Gemeinschaft sektor stellt eine einen Abzug der MONUSCO nicht erfüllt. Die Ver- zu riskieren. Dabei haben ihr letztlich die interna- wesentliche Säule knüpfung der Ausstiegsstrategie der MONUSCO tionalen Partner hilfreich zur Seite gestanden. Kon- des Systems der mit einer effektiven Reform des Sicherheitssektors gos wichtigste bilaterale Partner Angola, Belgien, Patronage dar, setzt genau dort an: die Reform des Staates und sei- China, die Europäische Union, Frankreich, Südaf- auf dem Kabilas ner Sicherheitsagenturen wird als Voraussetzung rika und die USA haben an der MONUSCO vorbei Herrschaft basiert. für effektives staatliches Handeln betrachtet. 15 gehandelt. Zudem haben die meisten dieser Partner eher Verteidigungskooperation betrieben als SSR. Die Reform des Sicherheitssektors In Anbetracht dessen waren und sind die Möglich- keiten der MONUSCO, Reformen im Sicherheits- So plausibel diese Strategie erscheinen mag, so we- sektor voranzubringen, extrem begrenzt, und sei nig hat sie in der Praxis bewirkt. 16 Die Diskussion es nur durch die Koordinierung internationaler um die SSR hat bereits mit dem Ende des Friedens- SSR-Partner. prozesses und den Wahlen im Jahr 2006 eingesetzt. Seitdem hat nahezu jede Analyse diese Reform als die zentrale strategische Priorität der Friedenskon- solidierung bezeichnet. 17 Phasenweise hat die Regie- 10 Jason K. Stearns, Can Force be Useful in the Absence of a Political rung unter Kabila vorgegeben, die Reform des Si- Strategy? Lessons from the UN Missions to the DR Congo, Congo Re- cherheitssektors genieße auch für sie Priorität. Ver- search Group, Dezember 2015. handlungen über diese Reform machte die Regie- 11 Vgl. UN-Dok. S/RES/2277 v. 30.3.2016. rung zu regelrechten ›Geberkonferenzen‹. Allein 12 UN Doc. S/2016/579 v. 28.6.2016, Abs. 41. für den Zeitraum 2009 bis 2011 formulierte sie die 13 UN-Dok. S/RES/2277 v. 30.3.2016, Abs. 29(b). Erwartung, die Geber sollten drei Milliarden US-Dol- 14 UN-Dok. S/RES/1925 v. 28.5.2010, Abs. 12. lar für die Reform der Armee zur Verfügung stellen. 15 UN-Dok. S/RES/2277 v. 30.3.2016, Abs. 46–49. Eine realistische SSR-Strategie legte die Regierung 16 Hugo de Vries, Going Around in Circles. The Challenges of Peace- Kabila dagegen nie vor. Im Laufe der Jahre hat sich keeping and Stabilization in the Democratic Republic of the Congo, die Einsicht durchgesetzt, dass die Regierung Re- CRU Report, Netherlands Institute of International Relations Clingen- formen blockiert und die Kooperation verweigert. dael, August 2015. Bis heute weist Kabila eine Koordinierung der Ge- 17 Für frühe Beispiele vgl. Henri Boshoff/Dylan Hendrickson/Sylvie ber in scharfer Form als Angriff auf Kongos staat- More/Thierry Vircoulon, Supporting SSR in the DRC: Between a Rock liche Souveränität zurück. Stattdessen akzeptiert er and a Hard Place, Netherlands Institute of International Relations ausschließlich bilaterale Projekte. Dies hat zu Dopp- Clingendael, April 2010; Sébastien Melmot, Candide au Congo: L’échec lungen von SSR-Maßnahmen durch die Geber bei- annoncé de la réforme du secteur de sécurité (RSS), Focus stratégique, getragen und die externen Ressourcenzuflüsse für n° 9, Institut français des relations internationales, September 2008. Vereinte Nationen 5/2016 211
Tull | Friedenssicherung in der DR Kongo | Drei Fragen an Martin Kobler Wie nützlich ist die MONUSCO noch? Drei Fragen an Martin Kobler Die MONUSCO wird kaum als Erfolg der UN-Frie- denssicherung in die Geschichtsbücher eingehen. Was sind die Gründe dafür, dass sich Libyen Ebenso wenig dürfte die Mission als eklatantes Schei- fünf Jahre nach dem Sturz von Muammar al- tern in Erinnerung bleiben. Wichtigen Erfolgen bis Gaddafi noch immer in dieser langwierigen zu den Wahlen im Jahr 2006 steht seitdem ein weit- Konfliktsituation befindet? gehender Stillstand gegenüber. Die Gründe dafür Die Revolution in Libyen verlief ausgesprochen sind weniger in der Mission selbst als in ihrem Um- gewalttätig und die ausländische Intervention feld zu suchen. Dazu zählt der UN-Sicherheitsrat, hinterließ ein Vakuum ohne funktionierende Ins dessen Politik sich darin erschöpft, die Mission vor titutionen. Al-Gaddafi hatte das Trugbild eines Staates geschaffen und hat während den 42 Jah- Ort zu belassen und ihr Mandat punktuell zu ren seiner Diktatur keine funktionsfähigen staat- schärfen und zu erweitern. Es sind keine Initiati- lichen Institutionen aufgebaut. Nach der Revolu- ven erkennbar, die einen Weg aus der Sackgasse bie- UN-Foto: Eskinder Debebe tion und nach der Intervention im Jahr 2011 gab ten würden. Die immer gleichlautenden Appelle an es keine klare Strategie für den Übergangspro- zess. Der ›Tag danach‹ wurde nicht bedacht. Der Rüstungskontrolle und die nationale Eigenverantwortung und die Forderung Abrüstung sowie der nationalen Aussöhnung in dem tief gespaltenen einer Reform des Sicherheitssektors klingen mittler- Land wurde nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Nach Chaos und weile hohl und wirklichkeitsfern. Von der kongole- Bürgerkrieg wurde dann im Dezember 2015 das von den UN verhandelte sischen Seite werden sie geflissentlich ignoriert, ge- ›Libysche Politische Abkommen‹ unterzeichnet. Ein neunköpfiger Präsi- nauso wie letztlich die MONUSCO. dentschaftsrat wurde eingerichtet, allerdings fehlt der ›Regierung der natio- nalen Einheit‹ noch die volle Bestätigung durch das Parlament. Ohne internationalen Rückhalt hat die Mission seit den Wahlen im Jahr 2006 eine kontinuierliche Sie waren in den Krisengebieten in Afghanistan, Irak und der Demo- politische Marginalisierung seitens der kongolesi- kratischen Republik Kongo. Wurden die Mandate den spezifischen schen Regierung erfahren. Diese sieht in der MO- Situationen in den Ländern gerecht? NUSCO wahlweise einen ›Sündenbock‹ für die de- Die Mandate des UN-Sicherheitsrats sind das Ergebnis von Verhandlungen solate Sicherheitslage im Osten oder einen ›Stören- unter der Berücksichtigung aller Aspekte, um eine Krise bestmöglich zu lö- fried‹, der Reformen und die Einhaltung von Men- sen. Sie spiegeln auch die Realitäten der Weltpolitik wider. Wir sehen einen Trend hin zu umfangreichen Mandaten, die mit den begrenzten Mitteln, die schenrechten anmahnt. Mittlerweile überwiegt die zur Verfügung stehen, oft nur unzureichend umgesetzt werden können. Frie- Wahrnehmung als ›Störenfried‹, sodass keine Grund- den schaffen kostet Geld! Friedensoperationen kosten nur einen Bruchteil der lage für ein gemeinsames Handeln gegeben ist. Nichts Militärausgaben. Ein gutes Mandat, das den Bedürfnissen gerecht wird, ist verdeutlicht dies mehr als die hartnäckigen For- allerdings nur ein Aspekt – weitere wichtige Aspekte sind der politische Wil- derungen der Regierung nach einem Abzug der le der Gastregierungen sowie die politische Unterstützung durch die inter- nationale Gemeinschaft und regionaler Akteure, das Mandat auch umzu- MONUSCO. Die Tatsache, dass die UN mittler- setzen. Man kann ein hervorragendes Mandat haben: Ohne die Koopera- weile um ihren Verbleib in der DRK regelrecht betteln tionsbereitschaft der nationalen Akteure und ohne internationale Unterstüt- müssen, ist bittere Ironie. zung sind die Erfolgschancen gering. Auf der anderen Seite reicht auch ein So bleibt MONUSCO nur die Option, alles zu begrenztes Mandat, wenn die Bereitschaft der Konfliktparteien und der Rück- unterlassen, was die Regierung weiter gegen sie auf- halt der Weltgemeinschaft vorhanden ist. Dann kann man viel erreichen. bringen könnte, um im Rahmen ihrer Möglichkei- Wie sollte Deutschland dazu beitragen, die weltweiten Bemühungen ten Schadensbegrenzung zu betreiben. Die Frage, ob der Friedenssicherung zu unterstützen? der Sicherheitsrat die Konsequenz ziehen sollte, die Mission abzuziehen, wird immer öfter gestellt.18 Der- Deutschland leistet bereits einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung und gehört zu den zehn größten Beitragszahlern im Jahr 2016. Trotzdem zeit spricht vieles dafür, dass der Sicherheitsrat den denke ich, dass die UN von einem aktiveren Engagement Deutschlands geeigneten Zeitpunkt für einen Abzug verpasst hat. hinsichtlich des zivilen und militärischen Personals profitieren würden. Dank der Versuche Kabilas, sich durch diverse Ma- Politische Unterstützung ist oft nicht genug. In vielen Missionen spielen növer wie das Verzögern der im Jahr 2016 anstehen- Polizeieinheiten eine wichtige Rolle für die Stabilisierung. Hier kann die deutsche Polizei einen erheblichen Beitrag leisten. Solche Einsätze sind al- den Wahlen an der Macht zu halten, steuert die DRK lerdings oft gefährlich. Deutschland sollte sich nur beteiligen, wenn es auf eine neue Krise zu. Ein Abzug zum jetzigen Zeit- bereit ist, auch die Risiken in Kauf zu nehmen, die mit solchen Einsätzen punkt beinhaltet daher Risiken, die kaum ein Mit- verbunden sind und sich nicht bei Schwierigkeiten zurückzieht. Am 22. Sep- glied des Sicherheitsrats zu tragen bereit sein dürfte. tember 2016 hat Deutschland offiziell seine Kandidatur für die Sicherheits- ratsmitgliedschaft 2019–2020 in New York vorgestellt. Ich würde mir wün- schen, dass sich Deutschland aktiver mit Personal bei friedenserhaltenden Operationen einbringen könnte. Mehr Engagement bedeutet, größere Ri- siken einzugehen. Doch wer eine bedeutendere Rolle in den Krisenherden der Welt übernehmen möchte, müsste auch die damit verbundene Verant- wortung übernehmen. Martin Kobler ist seit November 2015 Sonderbeauftragter des UN-Generalsekre- tärs für Libyen und Leiter der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL). 18 De Vries, a.a.O. (Anm. 16), S. 60; Stearns, a.a.O. (Anm. 10), S. 10. 212 Vereinte Nationen 5/2016
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