Ein Model mit Makel . Shaun Ross und die Produktion besonderer Berühmtheit in der Modewelt
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Repositorium für die Medienwissenschaft Matthias Krings Ein Model mit ‹Makel›. Shaun Ross und die Produktion besonderer Berühmtheit in der Modewelt 2017 https://doi.org/10.25969/mediarep/2022 Veröffentlichungsversion / published version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Krings, Matthias: Ein Model mit ‹Makel›. Shaun Ross und die Produktion besonderer Berühmtheit in der Modewelt. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 16: Celebrity Cultures, Jg. 9 (2017), Nr. 1, S. 37– 48. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/2022. Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine This document is made available under a Deposit License (No Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, non-transferable, individual, and limited right for using this persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses document. This document is solely intended for your personal, Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für non-commercial use. All copies of this documents must retain den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. all copyright information and other information regarding legal Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle protection. You are not allowed to alter this document in any Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument document in public, to perform, distribute, or otherwise use the nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie document in public. dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke By using this particular document, you accept the conditions of vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder use stated above. anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.
MATTHIAS KRINGS EIN MODEL MIT ‹MAKEL› — Shaun Ross und die Produktion besonderer Berühmtheit in der Modewelt I. Models mit Makel als Blickfang «Play up your differences as much as you can!», zitiert die New York Times 2013 den Rat einer Visagistin an Nachwuchsmodels.1 Als Shaun Ross, «das bekannteste Albinomodel der Welt»,2 2008 von einem Modefotografen über ein selbstgedrehtes Video im Internet entdeckt wurde, zeichnete sich der ak- tuelle Trend zum Nicht-Perfekten in der Modelbranche erst vage am Ho- rizont ab. Models mit ‹Makel›, die den quirk look verkörpern, entsprechen einerseits den gängigen Normen der Branche (z. B. in puncto Körpermaße), brechen sie andererseits aber mindestens in einem jeweils individuell variie- renden Detail – abstehende Ohren, buschige Augenbrauen, Sommersprossen oder Hypopigmentierung, wie im Fall der sogenannten Albino-Models. Noch ist dieser Trend weitgehend auf das High-Fashion-Modeling begrenzt und kann als Konsequenz einer Präferenz für edgy looks begriffen werden, die sich in diesem Feld seit den 1990ern abzeichnet. Während die Produkt- und Ka- talogwerbung für den Massenmarkt nach wie vor eher Models mit soft looks 1 Marisa Meltzer: For Fashion favorisiert, die einem konventionellen Schönheitsideal entsprechen, soll sich Models, Quirk Is In, in: The New York Times, 4.9.2013, www.nytimes. die Extravaganz des High-Fashion-Designs vorzugsweise in Modelkörpern com/2013/09/05/fashion/for-fashion- spiegeln, die ebenfalls als unkonventionell gelten können.3 Das Casting von models-quirk-is-in.html, gesehen am 21.9.2016. Models mit Behinderung, ein Trend in der Produktwerbung, der bereits als 2 Lara Schwitalla: Albino-Top freak chic bezeichnet wird,4 schließt an diese Entwicklung ebenso an wie – ei- model Shaun Ross: «In Deutschland empfängt man mich weltweit am ner umgekehrten Bewegung folgend – das Aufkommen der sogenannten No- herzlichsten!», in: styleranking. dels (no models), deren Unkonventionalität gerade darin besteht, dass sie sich de, dort datiert 20.4.2016, bit. ly/2mY2u2D, gesehen am 21.9.2016. durch ihr durchschnittliches oder ‹gewöhnliches› Äußeres von herkömmli- 3 Ashley Mears: Pricing Beauty: chen Models absetzen. The Making of a Fashion Model, Berke ley 2011, 38. Auf den ersten Blick scheint diese neuartige Valorisierung von Diffe- 4 Maria Mackinney-Valentin: Face renz dem Mainstreaming von Vielfalt zu entsprechen, das sich gegenwärtig value: Subversive beauty ideals in contemporary fashion marketing, in: auch jenseits der Modelbranche – z. B. in Ökologie (Biodiversität) und Sport Fashion, Style & Popular Culture, Vol. 1, (Paralympics) – beobachten lässt. Dafür sind umweltpolitische bzw. dem Nr. 1, 2014, 13 – 27, hier 18. SCHWERPUNKT 37
MATTHIAS KRINGS Menschen- und Behindertenrechtsdiskurs entsprin- gende Ideale wie die der Gleichwertigkeit, Partizi- pation und Inklusion ausschlaggebend. Eine andere Lesart legt jedoch nahe, den Quirk Look sowie ge- nerell das Aufkommen von Models mit besonderen Körpern als einen Effekt der veränderten Aufmerk- samkeitsökonomien des digitalen Zeitalters zu be- trachten. «The New Quirk might be an adjustment of sorts to an Instagram world, where amateur images of beauty fly fast, and editors and adverti- sers are looking for something to make the viewer linger longer than a nanosecond».5 Demnach wären Models mit Makel Blickfänger in einem medialen Umfeld, in dem die schiere Allgegenwart von Bil- dern zu einer Übersättigung der Betrachter_innen führt. Elizabeth Wissinger, die die Geschichte des Modeling mit Medienumbrüchen korreliert hat, veranschlagt einen Wandel der Aufmerksamkeits- ökonomie bereits für die 1980 beginnende Ära des Kabelfernsehens.6 Das visuelle Regime, das sich mit der permanenten Verfügbarkeit und Vielfalt von Abb. 1 Shaun Ross auf dem Cover Programmangeboten, Videorekordern und Fernbedienungen durchzusetzen der Zeitschrift Papercut (2012) begann und in Folge der Digitalisierung noch um ein Vielfaches intensivierte, bezeichnet sie als «regime of the blink».7 Klienten der Modelbranche, d. h. Designer, Modehäuser und Werbeagen- turen, reagierten auf die Multiplikation der Werbemöglichkeiten zunächst mit wenig Experimentierfreude. Der Aufstieg der sogenannten Supermodels Ende der 1980er Jahre lässt sich u. a. auch darauf zurückführen, dass Werber bevor- zugt auf wenige, bereits etablierte Gesichter setzten, die in der Folge umso öfter gebucht wurden. Auf die Ära der Supermodels folgte eine bis heute an- haltende Phase, die durch eine zunehmend rasantere Suche nach neuen Looks geprägt ist. Das Aufkommen des Quirk Look, auf das Wissinger noch nicht eingeht, kann dementsprechend auch als Signal der allmählich zur Neige ge- henden Möglichkeiten gedeutet werden, neue Looks im Rahmen der schmalen 5 Meltzer: For Fashion Models, Bandbreite branchenüblicher Normen zu entdecken bzw. auf Basis privilegierter Quirk Is In. 6 Elizabeth Wissinger: This Year’s Körperlichkeiten zu kreieren. Denn auch das inzwischen globalisiert betriebe- Model: Fashion, Media, and the Making ne Scouting nach neuen Gesichtern darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass im of Glamour, New York 2015, 40. 7 Ebd., 18. Zeitalter des regime of the blink nach wie vor ‹weiße› Models favorisiert werden. 8 Mears: Pricing Beauty, 173; sowie ‹Rasse› stellt neben Körpermaßen und Proportionen ein zentrales Zugangskri- Joel Mignott: An open letter on the fashion industry’s lack of diversity, terium zur Branche dar, woran auch brancheninterne Kritik bisher nichts än- in: Hunger TV, dort datiert 14.6.2016, dern konnte.8 Im Hinblick auf die hellhäutige Norm des Modelkörpers stellt www.hungertv.com/feature/an-open- letter-on-the-fashion-industrys-lack-of- dunkle Hautfarbe als Blickfang eine Art funktionales Äquivalent zur jeweils in- diversity/, gesehen am 21.9.2016. dividuellen ‹Macke› der überwiegend weißen Quirk-Models dar. ‹Schwarze› 38 Zf M 16, 1/2017
EIN MODEL MIT ‹MAKEL› Models, wie Pat Cleveland, Iman, Grace Jones und Naomi Campbell können dadurch als Quirk-Models avant la lettre bezeichnet werden, der albinotische Afroamerikaner Shaun Ross sogar als hyper-quirk: neben ‹schwarzen› Gesichtszügen bei hypopigmen- tierter Haut und Haaren hat er einen Wulst an der Nasenwurzel, der seinem Gesicht eine disproportio- nale Note verleiht und damit – der L ogik des Quirk Look entsprechend – für sich genommen schon Irri- tationsmoment genug wäre, um die Aufmerksamkeit des flüchtigen Betrachters zu bannen. Nina Athanasiou, eine deutsche Designerin, die Shaun Ross bereits 2008 für eine Modenschau in New York buchte, fasst die Faszination in Worte, die das Model bei vielen Betrachter_innen auszulösen scheint: «Natürlich entspricht er nicht dem gängigen Schönheitsideal. Aber er hat eine wahnsinnige Prä- senz.»9 Zweifelsohne gehört ‹Präsenz› – sowohl als medial vermittelte scheinbare Allgegenwart als auch als Gabe, trotz medialer Vermittlung unmittelbar anwesend zu wirken – zu den wichtigsten Vorausset- zungen von ‹Celebrity›. Seither hat es Ross auf das Cover einer ganzen Reihe von Abb. 2 Shaun Ross präsentiert die Kollektion Shaun Ross von Modemagazinen geschafft. Vogue Italia widmete ihm 2012 ein Editorial-Video. Nina Athanasiou in der Modezeit- Auf großen Fashion Shows konnte er zweimal Kollektionen international renom- schrift FSH N (2016) mierter Designer_innen präsentieren (Alexander McQueen und Givenchy); auch von Newcomern wurde und wird er häufiger gebucht. Für Athanasiou modelt er bis heute. 2015 stellte sie in Berlin eine durch Ross inspirierte Kollektion vor, die sein Konterfei auf sämtlichen Kleidungsstücken trägt, sodass das Model als Motiv inzwischen selbst zur Mode geworden ist (siehe Abb. 2). II. Models als Marken In einem seiner zahlreichen Interviewauftritte sagt Ross: «My old booker, Djamee, … told me all the time, ‹You know, you are special, you are literally a 9 Anna-Lena Roth: Albino-Model brand, you just don’t know it›, and I am like, ‹Okay, ya, ya, whatever, brand this, Shaun Ross. Makel? Marke!, in: Spiegel-Online, dort datiert 8.7.2015, brand that›; and he is like, ‹You don’t understand, you are a brand!›»10 Die Ana- www.spiegel.de/panorama/leute/shaun- logie von Models und Marken lässt sich, wie vieles in der jüngeren Geschichte ross-albino-model-laeuft-fuer-nina- athanasiou-in-berlin-a-1042478.html, des Modeling, ebenfalls in die Ära der sogenannten Supermodels zurückverfol- gesehen am 21.9.2016. gen.11 Seitdem dienen Models nicht nur dazu, Marken zu bewerben, sondern 10 Shaun Ross, Albino Model Inspires and Soars in Fashion funktionieren inzwischen in vielen Fällen selbst wie Marken. Industry, in: NBC News, dort datiert Ein zentrales Element bei der Markenbildung eines Models ist dessen ‹Look›. 16.2.2012, www.nbcnews.com/video/ the-grio/46412438, gesehen am In ihrem Aufsatz «Models as Brands» machen Joanne Entwistle und Don Slater 21.9.2016. Anleihen an der Akteur-Netzwerk-Theorie und bezeichnen den Look eines 11 Wissinger: This Year’s Model, 43. SCHWERPUNKT 39
MATTHIAS KRINGS Models als eine temporär stabilisierte Assemblage aus Dingen, Zeichen und Praktiken.12 Analog zur Marke, die als soziales Objekt ebenfalls nicht einzig auf das Markenzeichen reduziert werden kann, sondern in einem komplexen Netzwerk von Beziehungen existiert, dem menschliche und nicht-menschliche Aktanten angehören, weist auch der Look eines Models über das rein Visuelle und Äußerliche hinaus. Ein Look hat materielle und immaterielle Bestandteile. Letztere lassen sich vielleicht am ehesten mit den älteren Konzepten der Aura oder des Images fassen, die ebenfalls einer visuellen Metaphorik entspringen. Dieser immaterielle Aspekt des Looks ist für die Karriere eines Models mindes- tens ebenso wichtig wie dessen physischer Körper. Denn der Modelkörper stellt lediglich einen unter einer heterogenen Menge von Aktanten dar, die den Look in einem Netzwerk von Beziehungen hervorbringen.13 Dabei wird der Körper des Models mit bestimmten Qualitäten regelrecht aufgeladen – durch Men- schen, Dinge und Zeichen, mit denen es in Kontakt kommt, Kontexte, in denen es sich bewegt, sowie Diskurse, an denen es teilhat. Das Aufladen des Modelkörpers gleicht einem Verfahren sympathetischer Magie, durch das Eigenschaften einer Sache auf eine andere übertragen werden sollen. Dabei ergibt sich folgender, geradezu paradox erscheinender Zirkel: So wie Models helfen, Dinge zu verkaufen, mit denen ihre Körper auf dem Lauf- steg oder in der Werbefotografie in Kontakt gebracht werden, helfen auch um- gekehrt dieselben (und andere) Dinge Models, ihren Marken- und Marktwert zu steigern. In beide Richtungen kommt es zur Übertragung immaterieller, affektiver Qualitäten. Im Fall der Models lassen sich diese Attributionsprozes- se z. B. auf dem Portal models.com nachvollziehen, wo jedes Model in einem ausführlich bebilderten Portfolio anhand seiner Editorials, Videos und Inter- views sowie der Designer_innen, für die es gelaufen ist, präsentiert wird. Hier bekommt der Besucher den Look des jeweiligen Models als eine Art Super- Assemblage, als Aggregat einer Vielzahl temporär stabilisierter Assemblagen vor Augen geführt. «So, like the brand, the look is a heterogeneous assemblage of elements that we can follow outwards from the model through a wide range of relations and practices, and it labels an object that is dispersed through the 12 Joanne Entwistle, Don Slater: processes by which it is ‹qualified›.»14 Models as Brands: Critical Thinking Der Kern der Marke ‹Shaun Ross› besteht dementsprechend nicht ledig- about Bodies and Images, in: Joanne Entwistle, Elizabeth Wissinger lich aus dem besonderen Äußeren seines Körpers, sondern aus dem überge- (Hg.): Fashioning Models: Image, Text ordneten Phänomen ‹Albinismus›, verstanden als Komplex aus Erscheinungs- and Industry. London 2012, 15 – 36, hier 25 – 27. bild, medizinischem Wissen und Stigma. Dafür ist die folgende Beschreibung 13 Dazu auch Mears: Pricing des Models in einem Mode-Blog paradigmatisch: «You’ve seen him before. Beauty, 7 – 9. 14 Entwistle, Slater: Models as Known as the first albino male model, Ross was the unforgettable face in Lana Brands, 25. Del Rey’s short film Tropico, Beyonce’s video Pretty Hurts, and Katy Perry’s 15 Tara Aquino: 10 Models Who Are Redefining the Fashion World, E.T. Just one glance [at Ross] and it’s impossible not to be enchanted by his in: COMPLEX, dort datiert 1.4.2015, peculiar features, which need no explanation.»15 Ross lehnt es ab, mit seiner uk.complex.com/style/2015/04/10- models-who-are-redefining-the-fashion- körperlichen Besonderheit in eins gesetzt zu werden, ein Anliegen, das er mit world/, gesehen am 21.9.2016. vielen Menschen mit besonderen Körpern teilt. Anstelle von «first albino male 40 Zf M 16, 1/2017
EIN MODEL MIT ‹MAKEL› model» findet so auch die dem Behindertenrechtsdiskurs entsprechende Prä- gung «First male model with albinism» Verwendung.16 In beiden Varianten seines Beinamens bleibt die Medikalisierung seines Äußeren jedoch erhalten. In ihr zeigt sich ein öffentliches Bedürfnis, Ross’ spektakuläre Differenz zu be- nennen und innerhalb eines dominanten Deutungsrahmens eben doch zu ‹er- klären›. Entgegen journalistischer Setzungen wirkt Ross’ Äußeres also gerade nicht derart «verzaubernd», dass Fragen nach Erklärung unterbleiben, was be- reits im Beinamen ‹Albinomodel› zum Ausdruck kommt. Obgleich Ross diese kategoriale Festschreibung eigentlich ablehnt, ist das so entstandene Label ein zentraler Bestandteil seines Markenbildungsprozesses. Der Markenkern Albinismus erlaubt es, Ross’ Karriere als Erfolgsgeschichte im Stil des Märchens vom ‹hässlichen Entlein› zu erzählen, in dem es dem Hel- den gelingt, sein Stigma zu überwinden. Entsprechend fährt der bereits zitierte Artikel fort: «In fact, his look, which used to make him the subject of bullying as a kid, is so intriguing that he’s one of the most recognizable male models wor- king today, having been featured in everything from GQ to Vogue. Essentially, Ross grew up turning what was once perceived as his greatest weakness into his biggest strength.»17 Diese Erzählung von der Transformation des Makels in ein Markenzeichen wird in vielen Interviews und Selbstäußerungen des Models noch zusätzlich durch Verweise auf Abstammung (African American) und Her- kunft (The Bronx) unterfüttert. Dadurch verkörpert Ross nicht nur seine eigene Marke, sondern trägt auch dazu bei, ein positives Bild der Modewelt zu zeich- nen, die sich scheinbar für Models abseits der gängigen Model-Norm geöffnet hat und ihr Personal unabhängig von ‹Rassen›- oder auch Klassenzugehörigkeit rekrutiert. Freilich handelt es sich dabei lediglich um ein Idealbild,18 weshalb Shaun Ross und ferner auch Diandra Forrest, die als «first African American female model with albinism» firmiert, eine umso größere Strahlkraft haben. Be- merkenswert ist dabei, dass sie als ‹weiße Schwarze› der gängigen Norm des weißen Modelkörpers gleichermaßen entsprechen und sie unterlaufen. Sie ver- körpern also paradoxerweise sowohl das tolerierte Andere, die sprichwörtliche Ausnahme, die die Regel bestätigt, als auch die Regel selbst. III. Berühmt werden mit sozialen und anderen Medien 16 In dieser Begriffsbildung Anders als Shaun Ross’ ehemaliger Booker behauptete, ‹ist› ein Model nicht geht es darum, die Behinde rung – hier das genetische Syndrom einfach eine Marke, selbst dann nicht, wenn es wie Ross über eine Art ange- ‹Albinismus› – nicht den Menschen borenes Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungswert verfügt. Vielmehr definieren zu lassen, was symbolisch auch in der Wortstellung zum Aus müssen Models hart daran arbeiten, sich am Markt als Marke zu etablieren. druck gebracht werden soll. In der Diese Arbeit ist Teil dessen, was Wissinger als «glamour labor» bezeichnet.19 amerikanischen Behindertenrechts bewegung spricht man deshalb von Glamour labor beinhaltet körperliche und virtuelle Aspekte der Selbstdarstel- der «person first»-Nomenklatur. lung und dient dazu, den eigenen Look – Aussehen und Image – zu etablieren 17 Tara Aquino: 10 Models. 18 Joel Mignott: An open letter. bzw. wechselnden Moden anzupassen. Sie findet im Grunde rund um die Uhr 19 Wissinger: Next Year’s statt: als Arbeit an und mit dem eigenen Körper und als Auf- und Ausbau eines Model, 2 – 4. SCHWERPUNKT 41
MATTHIAS KRINGS Netzwerks sozialer Beziehungen. Dazu gehört ebenfalls, über neueste Trends und Stile informiert zu sein, Kontakt zu bereits berühmten Persönlichkeiten aus der Modewelt oder benachbarten Feldern zu unterhalten und an ‹angesagten› Orten zu verkehren. Glamour labor ist eine wesentliche Voraussetzung, um als Model berühmt zu werden. Für die Modewelt ist Instagram zu einer Art Leitmedium geworden. Hier sind Models vertreten, die auch jenseits dieser Plattform einen Status als Celebrity be- anspruchen können, z. B. Alt-Star Heidi Klum (3 Mio. Abonnenten) oder Shoo- ting-Star Kendall Jenner (66 Mio. Abonnenten), wie auch solche, deren Berühmt- heit sich im Wesentlichen auf Instagram und Facebook beschränkt. Zu Letzte- ren gehört das männliche Model Nick Bateman, ein Instagram-Star mit 5,4 Mio. Abonnenten, der außerhalb sozialer Netzwerke kaum bekannt ist.20 Während Models ihre Darstellung in herkömmlichen Modemedien kaum beeinflussen können, steuern sie ihre Auftritte in sozialen Medien als Unternehmer_innen in eigener Sache selbst oder lassen dies durch eigene PR -Stäbe erledigen. Wie sich Instagram-Abonnentenzahlen auf Buchungen für Laufsteg-Jobs und Fotoshoo- tings, mithin das Kerngeschäft eines Models, auswirken, ist eine offene Frage. Um unter Fashionistas und potenziellen Konsumenten der Dinge, die durch Mo- dels beworben werden, berühmt zu werden, sind die Selbstdarstellungsmedien Instagram, Facebook und Twitter jedoch ideal. Da sie außerdem als Plattformen für virales Marketing fungieren, können Models und andere Celebrities durch sogenannte product endorsements hier auch zusätzliches Einkommen generieren. Shaun Ross hat nahezu 350 000 Abonnenten auf Instagram, womit er sich un- ter Models mit Instagram-Account etwa im unteren Mittelfeld bewegt. Er be- nutzt seinen Account wie ein öffentliches Tagebuch und versorgt seine Abonnen- ten mehrfach täglich mit neuen Bildern, Clips und Texten. Die meisten Bilder zeigen ihn selbst, häufig in Begleitung anderer, mehr oder weniger prominenter Personen, und sind mitunter als Selfies, meist jedoch von Dritten aufgenommen. Thematisch dominieren einschlägige Szene-Events, Gala- und Benefizveranstal- tungen, Fotoshootings, Hinweise auf TV -Auftritte und popkulturelle Projekte, an denen er teilhat, z. B. Gastauftritte in Musikvideoclips oder Videokunst. Orts- wechsel (New York, Los Angeles, Berlin etc.) werden stets angekündigt und mit Bildern aus dem Transitraum illustriert. Daneben lässt er seine Abonnenten an seinem Privatleben teilhaben, postet Bilder seines Schoßhundes, Skype-Screen shots seines kranken Großvaters, dessen Tod er wenig später ebenfalls öffentlich betrauert, und Clips, die seinen Freund und seine Mutter zeigen. Lebenspraktische Botschaften («Today’s word is … ») vermittelt er in Form von Selfie-Videos oder Textblöcken, die an die analoge Form des Abreißkalenders erinnern. Eine dieser Botschaften lautet: «Surround yourself with people who 20 Eddie Roche: Who the Hell Is see how great you truly are» (6.8.2016). Ross’ Account lässt sich als Illustration Nick Bateman?, in: The Daily Front und praktische Ausführung ebendieser Maxime deuten: Bilder und Kommentare Row, dort datiert 17.11.2014, fashion- weekdaily.com/who-hell-nick-bateman/, sind voller Bezüge zu Celebrities, deren Ruhm er mehrt, indem er zur Zirkula- gesehen am 21.9.2016. tion ihrer Namen und Konterfeis beiträgt, die umgekehrt aber auch zu seinem 42 Zf M 16, 1/2017
EIN MODEL MIT ‹MAKEL› Ruhm beitragen, indem sie sich mit ihm ablichten lassen oder ihn für Gastauftritte in ihren Projekten buchen. So gratuliert er beispielsweise Beyoncé am 5.9.2016 mit zwei Postings zum Geburtstag: einem Still aus dem Musikvideo Pretty Hurts (2013), in dem er einen Gastauftritt hatte, und einem Selfie, das die beiden eng aneinandergeschmiegt, vermutlich wäh- rend der Dreharbeiten, zeigt. Bei Will I Am von den Black Eyed Peas bedankt er sich dafür, dass dieser ihn zusammen mit vielen anderen Prominenten zur Neuaufnahme des Musikvideos Where’s the Love? eingeladen hatte: «Thank You @iamwill for making me a part of #wheresthelove movement along with so many great people like yourself» (2.9.2016). Das derart kommentierte Bild zeigt Ross neben dem Mu- siker, der ihm einen Arm um die Schultern legt. Auf weiteren (Re-)Postings sind Ross’ Gastauftritt im Video und sein Name in einer Liste von über 50 Namen von Celebrities aus dem Abb. 3 Shaun Ross auf Instagram @shaundross Musik- und Showgeschäft zu sehen, die sich ebenfalls an der von den Black Eyed (Screenshot, September 2016) Peas lancierten Kampagne gegen Gewalt und Diskriminierung beteiligt haben. Viele weitere Beispiele ließen sich aufzählen. In dieses Netzwerk von Referenzen und Verweisen sind nicht nur im Bild sichtbare Personen eingebunden, sondern auch im Hintergrund an der Bild- produktion Beteiligte sowie nicht-menschliche Aktanten. Fährt man mit dem Mauszeiger über die Bilder, erscheinen verlinkte Hinweise auf Fotograf_innen, Make-up-Artists, Designer_innen und Modemarken. Dies schließt zum einen an die Cross-Referenzialität analoger Modemagazine an und erinnert ebenfalls an die popkulturelle Praxis des ‹Featuring›, bei der das Einbinden von Gast interpret_innen der wechselseitigen Übertragung von Ruhm dienen soll. Zum anderen zeigt sich in Ross’ Account die grundlegende Funktionslogik von Ins- tagram und anderen sozialen Medien, die darin besteht, das «self-fashioning» ihrer Nutzer_innen zu unterstützen,21 indem sie ihnen erlaubt, ihre öffentliche Person bzw. sich selbst als Marke, als Knotenpunkt in einem Netzwerk aus Menschen, Dingen und Zeichen zu erschaffen. Was weiter oben als wechselsei- tiges ‹Aufladen› bezeichnet wurde, lässt sich somit nicht nur an der Oberfläche von Bildern und Texten finden, sondern ist überdies bereits der konnektiven Logik sozialer Medien eingeschrieben. Ross’ Abonnent_innen können ebenfalls zu denjenigen gerechnet werden, die er um sich schart, weil sie ‹wissen, wie großartig er wirklich ist›. «You are amazing» ist der häufigste Kommentar, nicht zuletzt auch deshalb, da Ross ihn seinen Abonnent_innen geradezu in den Mund legt, wenn er Bilder von 21 Stephen Greenblatt: sich postet: «This is me. I hope you like it, if not it’s your loss … I’m ama- Renaissance Self-Fashioning: From More zing» (7.9.2016). Teils hält er seine Fans auch explizit zum Feedback an, wenn to Shakespeare, Chicago 1980. SCHWERPUNKT 43
MATTHIAS KRINGS er schreibt: «Use the word ‹Sometimes› in a sentence below to express your exact feeling at this moment. Sometimes I wonder … » (19.8.2016), oder dazu auffordert, ein Bild, das ihn in einer müde bis lasziv wirkenden Pose zeigt, mit einer Zeile aus einem Lieblingslied zu versehen (26.7.2016). Dabei handelt es sich um Varianten üblicher Verfahren, mit denen insbesondere Newcomer im Pop-Geschäft ihren Fans und Followern Nähe suggerieren. Obschon sich in dieser Praxis des sprechenden und textenden Models ein deutlicher Bruch mit der überkommenen Passivität zeigt, die von Models bis in die 1990er Jahre hi- nein erwartet wurde, entzieht sich Ross seinen Abonnent_innen insofern auch wieder, als er so gut wie nie auf deren zahlreiche Fragen und Aufforderungen zum Dialog eingeht. Auf diese Weise lebt und inszeniert er mithilfe von Insta- gram ein idealtypisches Model-cum-Celebrity-Leben, in dem die Grenzen von Vorder- und Hinterbühne, öffentlicher und privater Person auf eigentümliche Weise verschwimmen, sodass ein paradoxer Effekt von Nähe und Distanz, von Alltäglichkeit und Glamour entsteht. Eine durchschnittliche Modelkarriere dauert selten länger als fünf Jahre.22 Sie lässt sich verlängern, sofern Models zu Berühmtheiten werden oder – wie Shaun Ross – über ein außergewöhnliches Markenzeichen verfügen. In jedem Fall empfiehlt es sich, das in der Modewelt erworbene kulturelle Kapital nach Mög- lichkeit auch in andere Felder kultureller Produktion zu übertragen. Shaun Ross konnte seinen Bekanntheitsgrad beispielsweise durch eine Reihe von Gastauf- tritten in Musikvideos steigern. Während er für Katy Perrys Video E.T. (2010) noch als Außerirdischer und somit in einer Rolle, die an die Inszenierung von Menschen mit Albinismus zu Freak-Show-Zeiten erinnert,23 gecastet wurde, trat er in Beyoncés Pretty Hurts (2013), in dem es um einen Schönheitswettbewerb geht, als Model-Manager auf. Diese fiktionale Rolle gestattete ihm nicht nur einen bemerkenswerten Seitenwechsel gegenüber seiner Rolle in der ‹realen› Welt. Da er als Manager Beyoncé, die im Video eine Beauty Queen verkörpert, herumkommandieren durfte, sorgte sein Gastauftritt auch für Aufmerksamkeit in der Mode- und Musikwelt-nahen Klatschberichterstattung.24 In Lana Del Reys 27-minütigem Kurzfilm Tropico (2013), der drei Lieder in drei unterschied- 22 Mears: Pricing Beauty, 12. lichen Szenerien koppelt, ist Ross durchgängig als Del Reys Liebhaber zu sehen. 23 J. Tithonus Pednaud: Willie & Die erste Szenerie ist nicht allein deshalb bemerkenswert, weil sie Ross und George Muse: The Men From Mars, in: The Human Marvels, dort datiert Del Rey als Adam und Eva im Paradies zeigt, sondern auch, weil ihnen dabei 14.7.2016, www.thehumanmarvels. aus dem Himmel zu Göttern gewordene Ikonen der amerikanischen Popkultur com/willie-and-george-muse-the-men- from-mars/, gesehen am 17.9.2016. (Marilyn Monroe, John Wayne und Elvis Presley) zuschauen. Von Lana Del Rey Ausführlicher dazu: Beth Macy: ‹ge-feature-t›, gelingt es Ross mit dieser Rolle, sich – zumindest im fiktiona- Truevine, New York 2016. 24 Vanessa Denis: Shaun Ross len Raum des Videos – dem popkulturellen Olymp anzunähern. Im Sinne einer Explains Yelling At Beyoncé In Hervorbringung von Berühmtheit durch Kontakt lässt sich an diesem Beispiel Pretty Hurts, Video, online unter power1051.iheart.com/articles/power- die Übertragung von Ruhm in zweifacher Hinsicht konstatieren: auf der Ebene updates-456300/video-shaun-ross- der zweidimensionalen bewegten Bilder, in denen Ross formal in die Nähe von explains-yelling-at-11981200/, dort datiert 15.1.2014, gesehen am Idolen gerückt wird, und auf der Ebene der Produktion, die seinen Namen mit 21.9.2016. dem einer bekannten Größe im Musikgeschäft, Lana Del Rey, verknüpft. 44 Zf M 16, 1/2017
EIN MODEL MIT ‹MAKEL› Sein jüngster Musikvideo-Auftritt, in der Produktion Dust (2016) der in- Abb. 4 Shaun Ross mit Lana Del Rey in Tropico (2013) ternational wenig bekannten australischen Band Braves, sorgte für einen kalkulierten Skandal und entspricht damit einem klassischen Mittel der Auf- merksamkeitsgenerierung. In der Endsequenz des Videos ist das mittels «Pe- nis-Prothese» verlängerte Genital von Ross zu sehen, was zu tagelangen Dis- kussionen im Internet führte.25 Dass Ross den Skandal bewusst einkalkuliert hatte, lässt sich der Schilderung eines Bandmitglieds entnehmen: «I sent Shaun the song and he called and told me he loved it. Then I explained the video concept over the phone and he stopped, then said ‹Wait … I have to show my cock?! I’m in.›»26 Auf seiner Instagram-Seite verteidigt Ross seinen Auftritt als einen Akt der Kreativität: «I’ve received so many emails from multiple media outlets asking for an exclusive so thought I should do here. I feel like creativity is lost and I am super happy @bravessound helped wake that up again. If Kim k. can break the Internet why not be a genius too #DUST #BRAVES #FREE THEBACON …» (2.2.2016). Mit dem Verweis auf Kim Kardashian legt er eine einschlägig bekannte Inspirationsquelle offen: Unter dem Hashtag «Break the Internet» gelang ihr im Dezember 2014 mithilfe der Zeitschrift Paper, die sie mit entblößtem Hinterteil aufs Cover hob, ein Aufmerksamkeitserfolg, der das Internet zwar nicht ‹zusammenbrechen› ließ, ihrem Celebrity-Status und der 25 Model Shaun Ross schockt mit Auflagenhöhe des Magazins aber einen erheblichen Schub verschaffte.27 Riesenpenis, in: Stern, dort datiert 3.2.2016, www.stern.de/lifestyle/leute/ shaun-ross-schockt-in-musikvideo-mit- riesenpenis-6681266.html, gesehen IV. Berühmtheit und soziales Engagement am 21.9.2016. 26 Statement der Band Braves Viele Prominente aus Show- und Filmgeschäft treten öffentlich nicht nur als auf der Website der Firma Convicts, online unter convicts.nyc/convicts/ Werbeträger ihrer selbst auf, sondern verbinden ihre Berühmtheit mit sozialem braves/, dort datiert 31.1.2016, gesehen Engagement. In Bezug auf die Karriere von Shaun Ross ist vor allem die Praxis am 21.9.2016. 27 Amanda Fortini: No Filter: An der prominenten Fürsprache (celebrity advocacy) von Interesse, bei der Promi- Afternoon with Kim Kardashian, in: nente in der Regel nicht einen Teil ihres Vermögens, sondern in erster Linie Paper, dort datiert 12.11.2014, www. papermag.com/no-filter-an-afternoon- ihr Image einem ‹guten Zweck› zur Verfügung stellen. Der Prominente wirkt with-kim-kardashian-1427450475. hierbei wie ein Brennglas, das die Aufmerksamkeit der Massen bündeln und html, gesehen am 21.9.2016. SCHWERPUNKT 45
MATTHIAS KRINGS von sich auf das zu unterstützende Projekt lenken soll.28 Als Werbeträ- ger für gute Zwecke haben Promi- nente eine ganz ähnliche Funktion wie Models. In beiden Fällen sind Transferprozesse intendiert, die ein zu bewerbendes Produkt – hier hu- manitäre Projekte, dort Kleidung oder andere Konsumgüter – posi- tiv aufladen und affektiv besetzen sollen, um ein Publikum zum Han- deln, zur Spende bzw. zum Kauf zu bewegen. Und ähnlich wie in der zirkulär angelegten Verknüpfung von Models mit Marken wirkt auch das soziale Engagement von Pro- minenten auf ihr Image zurück. Abb. 5 Ross als sozialer Aktivist Celebrities profitieren von sozialem Engagement insofern, als Berühmtheit, zu- (Screenshot, Instagram Account #InMySkinIWin, 13.6.2016) mal solcher, die auf zweifelhaften Leistungen beruht, der Ruch des Unverdien- ten und des Selbstverliebten anhaftet; 29 dieser kann durch soziales Engagement verdrängt oder überlagert werden. Einiges spricht dafür, soziales Engagement als eine Form des «boundary work» zu begreifen,30 mit der sich bestimmte Berühmtheiten bewusst oder unbewusst von skandalumwitterten Celebrities des Typs Kim Kardashian abgrenzen, die als Personifikationen ‹unverdienten Ruhms› gelten können. Shaun Ross, der sich selbst als Model und Aktivist bezeichnet, betreibt so- ziales Engagement unter den Bedingungen des regime of the blink als Hashtag- Aktivismus. Mit seiner über soziale Medien verbreiteten Kampagne «In my skin I win» möchte er Aufklärungsarbeit in Sachen Albinismus leisten und ge- gen die Stigmatisierung von Menschen mit Albinismus mobilisieren.31 Anders als bei vielen anderen Prominenten ist der Bezug zur ‹guten Sache›, für die 28 Dan Brockington: Celebrity er sich einsetzt, bei Ross nicht arbiträr, sondern existenziell: Er verkörpert sie. dvocacy and International Develop- A Entsprechend fließend ist bei ihm auch die Grenze zwischen Modeling und so- ment, London, New York 2014. 29 Daniel J. Boorstin: From Hero zialem Aktivismus. Eine Autorin des deutschen Mode-Blogs Styleranking fragt to Celebrity: The Human Pseudo- ihn dazu Folgendes: «Du giltst als das bekannteste Albinomodel der Welt. Wer Event [1962], in: P. David Marshall (Hg.): The Celebrity Culture Reader, profitiert aus deiner Sicht mehr von deinem ungewöhnlichen Erscheinungs- New York, London 2006, 72 – 90. bild: die Marke, für die du wirbst, oder die Aufmerksamkeit gegenüber Albinis- 30 Michèle Lamont: Money, Morals and Manners: The Culture of the French mus?» Ross antwortet: and the American Upper-Middle Class, Chicago 1992, 11. Es kommt auf die Art und Weise an, wie ich Albinismus durch die Marken, für die 31 Francesca Dunn: Shaun Ross, ich arbeite, promote. Ich denke nicht, dass man da haarscharf unterscheiden sollte. in His Skin He Wins, in: i-D, dort datiert 1.5.2014, i-d.vice.com/en_gb/ Es geht einfach um die Aufmerksamkeit, die mein Erscheinungsbild erweckt. Da- article/shaun-ross-in-his-skin-he-wins, von profitieren beide Seiten. […] ich nutze die Aufmerksamkeit gegenüber meiner gesehen am 21.9.2016. Person, um den Menschen zu zeigen, dass eben deutlich mehr dahintersteckt als 46 Zf M 16, 1/2017
EIN MODEL MIT ‹MAKEL› nur eine Pigmentstörung. Es handelt sich bei Albinismus nicht einfach nur um ein Krankheitsbild. Ich bin unglaublich dankbar, dass sich mir die Möglichkeit bietet, auf meine Andersartigkeit aufmerksam zu machen.32 Zwar engagiert sich Ross in erster Linie in Sachen Albinismus, u. a. in Ko- operation mit NGO s, die in Ostafrika arbeiten, wo Menschen mit Albinismus durch sogenannte Medizinmorde gefährdet sind. Er benutzt seine spezifische Andersartigkeit darüber hinaus aber auch metonymisch, als Symbol für alle möglichen Formen sichtbarer Differenz, für deren Akzeptanz er kämpft, sodass das Mainstreaming von diversity inzwischen zum festen Bestandteil der Marke Shaun Ross geworden ist. Damit trifft er nicht nur den Zeitgeist, sondern kann ebenfalls neue Kunden akquirieren: Seit Anfang 2016 ist er bei der Männer- Pflege-Marke Axe (bzw. Lynx im anglophonen Raum) als ‹Markenbotschafter› unter Vertrag. Sein Aktivismus für Vielfalt und seine Präsenz in sozialen Medi- en waren dafür ausschlaggebend. Rik Strubel, Global Vice President von Axe, wird dazu von einem Marketing-Blog paraphrasiert: [Axe is] now hoping the partnership with Ross will keep the momentum going. Ross, a keen user of social media, has built a following using the hashtag #InMySkinIWin which encourages people to embrace their identity. Strubel said that his followers will now be introduced to the Axe brand and, likewise, it will be opened up to a new set of people that celebrate individuality.33 Im digitalen Zeitalter verschwimmen die Grenzen zwischen Werbung und so- zialem Engagement ähnlich wie bei Ross die Übergänge zwischen Modeling und Hashtag-Aktivismus. Der mit dem Slogan «Find your magic» über glo- bale Medienkanäle betriebene Relaunch von Axe / Lynx kommt als Kampagne für die Dekonstruktion überkommener Bilder von Männlichkeit und zur För- derung von Individualität und Diversität daher – ganz so, als wäre der Verkauf des Produkts nur ein fernes, untergeordnetes Ziel.34 Ähnlich wie es inzwischen zum guten Ton von Berühmtheit gehört, sozial aktiv zu sein, setzt die Kam- pagne zeitgemäß darauf, die Marke mit sozialem Engagement zu verbinden. Wenn sich hier ein Trend abzeichnet, werden Models und Celebrities in Zu- kunft als Werbepartner_innen umso attraktiver sein, je mehr sie ihren eigenen Markenkern um soziales Engagement erweitern. Dabei geht es nicht allein um 32 Lara Schwitalla: Albino- ihr Image, sondern ebenfalls um die intermediäre Funktion von Celebrities als Topmodel Shaun Ross. Knotenpunkte in Netzwerken von Fans und Followern, die sich in Klicks und 33 Jennifer Faull: What model Shaun Ross will bring to Axe’s Likes und potenzielle Absatzzahlen übersetzen lassen. campaign to stop stereotyping Shaun Ross’ Karriere als Model wäre ohne die medialen Bedingungen der men, in: The Drum News, dort datiert 29.6.2016, www.thedrum. Gegenwart kaum möglich gewesen. ‹Besondere Berühmtheit› im Rahmen der com/news/2016/06/29/what-model- Modewelt ist an den im Kontext des regime of the blink gestiegenen Bedarf nach shaun-ross-will-bring-axes-campaign- stop-stereotyping-men, gesehen am Models gekoppelt, die aufgrund ihres außergewöhnlichen Looks dazu in der 21.9.2016. Lage sind, die Aufmerksamkeit der flüchtigen Betrachter_innen zu bannen, da 34 Axe: Find Your Magic, Werbeclip, online unter www.youtube.com/ sie aus der Masse herkömmlicher Models hervorstechen. Während soziale Me- watch?v=WzTSE6kcLwY, dort datiert dien für die Selbstdarstellung von Models generell eine wichtige Rolle spielen, 12.1.2016, gesehen am 21.9.2016. SCHWERPUNKT 47
MATTHIAS KRINGS nicht zuletzt, um als Werbepartner_innen für vira- les Marketing attraktiv zu werden, nutzt sie Shaun Ross auch noch als Heilmittel gegen die Nachwe- hen ehemaliger Stigmatisierungserfahrungen. Seine zahlreichen Posts, die darauf angelegt sind, sich Be- stätigung von Fans und Followern zu holen (er fa- vorisiert bezeichnenderweise den Begriff supporter), sind kaum zu übersehen. Ross legt jedoch Wert da- rauf, seine ‹besondere Berühmtheit› nicht allein als Selbstzweck zu verfolgen, sondern ihr auch einen überindividuellen sozialen Mehrwert zu geben. So will er seine Erfahrung des Berühmtwerdens trotz eines vermeintlichen Makels als Ermutigung für all jene verstanden wissen, die ebenfalls über außerge- wöhnliche Körper verfügen. Als Aktivist ist er des- Abb. 6 Fließende Grenzen halb bemüht, sich mit den Mitteln, die ihm das Modeling und die mediale Kul- zwischen Werbung und sozialem Aktivismus: Lynx-Werbeclip tur der Gegenwart bieten, für die Akzeptanz und gesellschaftliche Teilhabe von Shaun Ross on Being You (Montage Menschen mit besonderen Körpern einzusetzen: «I have a duty and if I stuck to des Autors aus Screenshots und Transkript des Sprechtextes) it I can make a difference».35 Ob diese Strategie auch jenseits der gegenwärtig zu beobachtenden konjunkturellen Koppelung von Werbung und sozialem Ak- tivismus aufgehen kann, bleibt jedoch abzuwarten. Im Vergleich zu gewöhnlichen Models dauert die inzwischen achtjährige Kar- riere des außergewöhnlichen Models zwar schon sehr lange, verlief dafür aber weniger steil (Ross selbst spricht von «turtle slow»).36 Bedenkt man, dass Jobs wie das Präsentieren von High-Fashion auf Modenschauen oder Editorial-Bildstre- cken in Modemagazinen zwar prestigeträchtig, aber schlecht bezahlt sind,37 lässt sich feststellen, dass Ross acht Jahre glamour labor, d. h. harte und vermutlich eher schlecht und teils auch gar nicht bezahlte Arbeit, in den Aufbau der eigenen Mar- ke investieren musste, bevor diese ein ausreichendes Maß an Berühmtheit erlangt 35 Shaun Ross: In my skin I win, Vortrag in der Reihe Radical Beauty, hatte, um ihm seinen ersten lukrativen Job als ‹Markenbotschafter› zu sichern. kuratiert von Daniel Vais, TEDx Dies ist bezeichnend, und zwar sowohl für den enormen Durchhaltewillen des Hackney, online unter https://www. youtube.com/watch?v=kqRlB5ZQeho, Models Shaun Ross als auch für die – quirk look hin oder freak chic her – mehr- dort datiert 16.4.2014, gesehen heitlich nach wie vor vorhandene Zurückhaltung in der Mode- und Werbewelt, am 21.9.2016. 36 Ebd. Models mit außergewöhnlichen Körpern bzw. ‹Models mit Makel› auch jenseits 37 Mears: Pricing Beauty, 38 – 41. von wohlkalkulierten Irritations- oder Schockmomenten einzusetzen. — Der Aufsatz ist im Kontext des Projekts Un / Doing Albinismus. Rekodierungen einer verkörperten Differenz in historisch variablen Rahmungen entstanden, das ein Teilprojekt der an der JGU Mainz angesiedelten DFG -Forschergruppe Un / doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung ist. Für kritische Kommentare danke ich Hauke Dorsch, Kathrin Hoff, Christopher Hohl, Svenja Lambert, Peter Rehberg, Tom Simmert, Brigitte Weingart, Bernd Zywietz und den beiden anonymen Reviewer_innen. 48 Zf M 16, 1/2017
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