Einleitung: Schiller und Schopenhauer
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Einleitung: Schiller und Schopenhauer In Schopenhauers wie Schillers Werk begegnen sich Kunst und Philosophie, lassen aber ein unterschiedliches Interesse erkennen. Bei Schopenhauer sucht die Philosophie Rückhalt in der Kunst, bei Schiller die Kunst Rückhalt in der Philosophie. Schopenhauer ist ein Philosoph, dem die Kunst die Lösung der philosophischen Probleme eröffnet, Schiller ein Künstler, dem die Philosophie die Möglichkeiten der Kunst erschließt. Wenn Thomas Mann sagt, dass die Moderne eine neue »Schule von Geistern« hervorgebracht hat, »in welcher man sich gewöhnt hat, den Begriff des Künstlers mit dem des Erkennenden zusammenfließen zu lassen«,1 so ist Schopenhauer ein Erkennender, dem die Kunst die Reinigung und Vollendung des Erkennens ermöglicht, Schiller ein Künstler, dem das Erkennen die missionarische Aufgabe der Kunst erhellt. Scho- penhauers Lehre ist eine ausgesprochene »Künstlerphilosophie«, weshalb er gerade »unter Künstlern und Eingeweihten der Kunst ihre Bewunderer, Zeugen, enthusiastischen Bekenner gefunden« hat,2 Schillers Werk Produkt einer Reflexionskultur, deren Kenn- zeichen es ist, dass sich künstlerisches Schaffen wie auch mensch- liches Handeln im philosophischen Gedanken spiegelt. Schopen- hauer kannte Schiller und schätzte seine Dramen, wenngleich er sich zu Goethe stärker hingezogen fühlte; Schiller hätte, würde er Schopenhauer gekannt haben, dessen Metaphysik wohl abgelehnt, in seiner Anthropologie und Ästhetik dagegen die eigenen Stand- punkte wiedergefunden. 1 So in dem Essay Bilse und ich. Th. Mann: Werke. Bd. X, S. 18f. 2 Ebd. Bd. IX, S. 530.
10 Einleitung: Schiller und Schopenhauer Die geistige und seelische Basis, von der beide ausgehen, ist der im 18. Jahrhundert entstehende Subjektivismus, der durch Kant und in seiner Nachfolge die philosophische Gestalt des transzen- dentalen Idealismus annimmt. Beide haben Kant, bei aller Kritik, die sie an ihm üben, als ihren Lehrer anerkannt, und so könn- te Kants Lehre als tertium comparationis dienen. Bei Schiller in- des erfolgt die wesentliche Fundierung seiner Gedankenwelt be- reits vor der Begegnung mit Kant, wenn sie durch diesen auch ihre Ausprägung erhält,3 während Schopenhauer, der sich als »kühnen Fortsetzer« (ZA V, 187) der Kantischen Philosophie verstand, in er- heblichem Maße, freilich ohne dies selbst einzugestehen, von der Romantik beeinflusst ist. Dem Vergleich tut das keinen Abbruch, da Schillers Werk, auf der Schwelle zur neuen Epoche stehend, ebenfalls romantische Züge aufweist, wie umgekehrt Schopenhau- ers Denkansätze in mancher Hinsicht ein Erbe jener Sphäre sind, aus der Schillers Denken und Dichten frühzeitig erwächst. Soll Schiller im Lichte Schopenhauers betrachtet werden, so ist es zweckmäßig, zunächst einen kurzen Abriss der Schopenhauer- schen Philosophie zu geben, zumal soweit, wie sich Schillers Kunst mit ihr berührt. Von den drei Arten, die der Philosoph bei der Vorstellung unter- scheidet, der anschaulichen, der abstrakten und der ideellen, ist es bei Schiller vor allem die letztgenannte, die zum Willen in Gegen- satz tritt. Sie übt dabei eine befreiende, erlösende Wirkung aus. An- schauliche und abstrakte Vorstellungen spielen bei Schopenhau- er die Rolle weltbildender und motivierender Bewusstseinsformen, die dem Satz vom Grunde als einem von Zeit, Raum und Kausa- lität bestimmten Prinzip folgen. Von hier ergibt sich bereits ein Bezug zur Ästhetik, da der Philosoph schon das subjektive Ver- fahren, durch das Anschauung zustande kommt, künstlerisch deu- tet. Ist die Welt als Vorstellung ein anschauliches Konstrukt, das der Verstand schafft, indem er sich der Sinnesempfindungen be- dient, so operiert er in den Augen des Philosophen als Werkmeis- 3 Es gilt aber zu beherzigen, was Wilhelm von Humboldt über Schillers Verhältnis zu Kant gesagt hat: »Er nahm nicht von ihm; von den, in Anmuth und Würde und den ästhetischen Briefen durchgeführten Ideen ruhen die Keime schon in dem, was er vor der Bekanntschaft mit Kan- tischer Philosophie schrieb, sie stellen auch nur die innere, ursprüng- liche Anlage seines Geistes dar.« W. v. Humboldt: Ueber Schiller, S. 379.
Einleitung: Schiller und Schopenhauer 11 ter, der Stoff zu Form verarbeitet. Schiller hätte sich hier angespro- chen fühlen können. Stoff und Form sind nicht nur Kategorien seiner Kunst, sondern, als »Stofftrieb« und »Formtrieb«, auch sei- ner Anthropologie. Und wenn Schopenhauer findet, dass der Ver- stand der »werkbildende Künstler« ist, dem die Sinne nur als »die das Material darreichenden Handlanger« dienen (ZA V, 95), so ver- steht er die Welt als Schöpfung eines bildenden Subjekts. Der erste Satz von Schopenhauers Hauptwerk: »Die Welt ist meine Vorstel- lung« (ZA I, 29), ist darum nicht nur eine philosophische, sondern auch ästhetische Aussage. Wie pessimistisch der Philosoph auch die Welt betrachtet, so wird sie ihm doch auf diese Weise ein aus »rohe[m] Stoff« erwachsendes »schöne[s] Werk« (ZA V, 68). Im Glauben an die scheinbare Beweiskraft anschaulicher Vor- stellungen spiegelt sich der Mensch freilich ein Trugbild vor. Die Quintessenz von Schopenhauers Befund lautet, dass das gewöhn- liche Erkennen von einem täuschenden Schleier überzogen ist, der das wahre Wesen der Dinge verdeckt. Damit knüpft er an uralte Ge- danken, vor allem an indische Weisheit an, die besagt: »Es ist die Maja, der Schleier des Truges, welcher die Augen der Sterblichen umhüllt und sie in eine Welt sehn lässt, von der man weder sagen kann, daß sie sei, noch auch, daß sie nicht sei: denn sie gleicht dem Traume, gleicht dem Sonnenglanz auf dem Sande, welchen der Wanderer von ferne für ein Wasser hält, oder auch dem hinge- worfenen Strick, den er für eine Schlange ansieht.« (ZA I, 34) Vielleicht sind sich der Philosoph und der Künstler an keiner Stelle so nahe wie hier. Auch Schillers Werk spiegelt die Ansicht vom Trug des äußeren Scheins. Der Autor gewinnt diese Überzeu- gung aus der Welt des Barock, die in seiner Jugend noch im Süden Deutschlands und an den Höfen lebendig war. Die barocke Auffas- sung, dass sowohl das Theater eine Welt wie die Welt ein Theater ist, wird unverkennbar deutlich in den Verstellungen und Täuschun- gen, den Intrigen und Verschwörungen, die sich auf der Bühne sei- ner Dramen abspielen. Was aber ist die untrügliche Wahrheit der Dinge? Kann man die- se Frage überhaupt stellen, und bleibt nicht für immer unzugäng- lich, was unter dem Schleier der illusionären Vorstellungen verbor- gen liegt? Kant hatte das Problem für unlösbar erklärt und den
12 Einleitung: Schiller und Schopenhauer Versuch einer näheren Bestimmung dessen, was als »Ding an sich« die Erscheinung transzendiert, abgewiesen; er zeigt somit aller tra- ditionellen Metaphysik die Grenzen auf: »was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht, und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erscheinung vor- kommen kann.«4 Anders Schopenhauer, der die Frage nicht nur für sinnvoll hält, sondern auch eine Antwort parat hat. Was er am Menschen, im weiteren Sinne an der ganzen Natur, beobachtet, erschließt sich ihm als tiefere Bedeutung allen Seins »durch eine Wahrheit, welche sehr ernst und Jedem, wo nicht furchtbar, doch bedenklich seyn muß, nämlich diese, daß eben auch er sagen kann und sagen muß: ›Die Welt ist mein Wille.‹ « (ZA I, 30f.) Er ist zuversichtlich, dass jedermann dieser Wahrheit am eige- nen Leibe inne werden kann: »Das Ding an sich habe ich nicht er- schlichen noch erschlossen, nach Gesetzen die es ausschließen, in- dem sie schon seiner Erscheinung angehören [nämlich nach dem Satz von Grunde]; noch bin ich überhaupt auf Umwegen dazu ge- langt: vielmehr habe ich es unmittelbar nachgewiesen, da, wo es unmittelbar liegt, im Willen, der sich Jedem als das Ansich seiner eigenen Erscheinung unmittelbar offenbaret.« (ZA II, 614) Also: Ich bin, indem ich will, und ich will, nicht weil ich einem Motiv folge, sondern grundlos. Die Erscheinung, mein Leib, ist zu deu- ten nicht als Wirkung des Willens, sondern als dessen Objektiva- tion oder, wie Schopenhauer sagt: als dessen »Objektität«. Nur wo ich mir des Willens als Wirkmacht des Entscheidens und Han- delns bewusst bin, tritt er in einen Kausalzusammenhang. Dieser gleichsam von seinem inneren Ursprung entfernte Wille wird von Schopenhauer »Willkür« genannt und als Instanz des einzelnen, auf eine bestimmte Handlung gerichteten Willensaktes verstan- den. »Willkür heißt der Wille da, wo ihn Erkenntniß beleuchtet, und daher Motive, also Vorstellungen, die ihn bewegenden Ursa- chen sind« (ZA V, 221). Der Wille als Grundkraft allen Lebens da- gegen entzieht sich dem Erkennen; er ist unbewusst in dem dop- pelten Sinne, dass er erstens nicht dem Bewusstsein und damit der Welt als Vorstellung angehört und dass er zweitens in seinem We- sen dunkel und unerforschlich bleibt. Wollen und Erkennen (als Akt des Bewusstseins) sind insofern grundverschieden, wenngleich 4 I. Kant: Werke. Bd. III, S. 297.
Einleitung: Schiller und Schopenhauer 13 sich das Wollen der intuitiven Einsicht »offenbart« und alles Er- kennen ebenso eine Objektität des Willens ist wie jegliche ande- re Tätigkeit und jegliches andere Ding. Vor allem handelt es sich um einen Rangunterschied. Primär ist der Wille, sekundär der In- tellekt. Zwar kann der Intellekt den Willen bis zu einem gewissen Grade beeinflussen, aber er ist letztlich seinem Diktat unterlegen. Die Zuversicht der Kantischen Aufklärung, stets vernünftig wollen zu können, wird von Schopenhauer entschieden verneint, und sie ist auch schon bei Schiller nicht mehr ungebrochen. Der Wille äußert sich besonders beim handelnden Menschen, der im Zentrum sowohl des Schopenhauerschen wie des Schiller- schen Interesses steht. Nicht nur sind »alle Affekte und Leiden- schaften den Aeußerungen des Wollens beizuzählen« (ZA VI, 51), die Dynamik des Willens verrät sich zudem in der Kraft, mit der das Subjekt agiert. Wie der Wille somit Energiezentrum ist, gilt von ihm, dass er »jedem Dinge, was immer es auch seyn mag, die Kraft verleiht, vermöge deren es daseyn und wirken kann« (ZA V, 202). Er ist in dieser Hinsicht auch Spender eines gesteigerten Lebens- gefühls, wenngleich Schopenhauer diese Erfahrung als im Grun- de trügerisch einstuft. Es klingt immerhin wie ein Satz von Schiller, wenn er sagt: »Denn es giebt eigentlich gar keinen Genuß anders, als im Gebrauch und Gefühl der eigenen Kräfte« (ZA II, 383). Wenn aber Schopenhauer den Willen nicht nur anthropolo- gisch, als Ursprung des menschlichen Lebens, sondern metaphy- sisch, als »Ding an sich« der ganzen Welt versteht, so auf Grund ei- nes Analogieschlusses vom eigenen Leib als Mikrokosmos auf die gesamte Natur als Makrokosmos. Dass seine Metaphysik dennoch nicht bloß anthropomorphisierend anmutet, beruht darauf, dass der Wille von ihm als Kraft und umgekehrt somit »jede Kraft in der Natur als Wille gedacht« (ZA I, 156) wird. Mit der Auffassung von den Kräften in der Natur sieht er sich in Übereinstimmung mit der naturwissenschaftlichen Forschung, und wie er in seiner längere Zeit nach seinem Hauptwerk erschienenen Schrift Ueber den Willen in der Natur (1836) darlegt, geben ihm diverse Forschungsbereiche die Bestätigung dafür, dass man die Naturkräfte, die man als »qua- litates occultae« ebenso wenig erklären könne wie die menschliche Lebenskraft, als Willensäußerungen verstehen müsse.
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