Pfingsten - 23. Mai 2021 - Evangelische Kirchengemeinde ...

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Pfingsten – 23. Mai 2021

Es soll nicht durch Heer oder Kraft sondern durch meinen Geist gesche-
hen, spricht der Herr Zebaoth. (Sacharja 4,6b)

Das „Pfingstwunder“
Als das Pfingstfest kam, waren wieder alle, die zu Jesus hielten, ver-
sammelt. Plötzlich gab es ein mächtiges Rauschen, wie wenn ein Sturm
vom Himmel herabweht. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem
sie waren. Dann sahen sie etwas wie Feuer, das sich zerteilte, und auf
jeden ließ sich eine Flammenzunge nieder. Alle wurden vom Geist Got-
tes erfüllt und begannen in anderen Sprachen zu reden, jeder und jede,
wie es ihnen der Geist Gottes eingab. Nun lebten in Jerusalem fromme
Juden aus aller Welt, die sich hier niedergelassen hatten. Als sie das
mächtige Rauschen hörten, strömten sie alle zusammen. Sie waren
ganz verwirrt, denn jeder hörte die Versammelten, die Apostel und die
anderen, in seiner eigenen Sprache reden. (Apostelgeschichte 2,1-6)
Lied: Du Herr, gabst uns dein festes Wort (EG #570)
Refrain: Du, Herr, gabst uns dein festes Wort. Gib uns allen deinen
Geist! Du gehst nie wieder von uns fort. Gib uns allen deinen Geist!
1) Bleibe bei uns alle Tage bis ans Ziel der Welt. Gib uns allen deinen
Geist! Gib das Leben, das im Glauben die Gemeinde hält. Gib uns allen
deinen Geist! Refrain
2) Deinen Atem gabst du uns jetzt schon als Unterpfand. Gib uns allen
deinen Geist! Denn als Kinder deines Vaters sind wir anerkannt. Gib uns
allen deinen Geist! Refrain
3) Nähr die Kirche, alle Glieder, stets mit deiner Kraft. Gib uns allen dei-
nen Geist! Stärk uns täglich, immer wieder in der Jüngerschaft. Gib uns
allen deinen Geist! Refrain

Gebet:

Lasst uns beten.
Gott, du Schöpfer allen Lebens, wir kommen heute zu dir
mit unserer Sehnsucht nach Lebendigkeit und nach innerer Erfüllung.
Wir sind hier mit unserem Drang, geliebt zu werden, wie wir sind.
Komm mit deinem Geist und wohne mitten unter uns, damit wir innerlich
erneuert werden.
Dies bitten wir dich im Namen deines Sohnes Jesus Christus, der mit dir
und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit.
Amen.
Verbundenheit in Vielfalt

Der Turmbau zu Babel ist eine bekannte Erzählung der Bibel.
Vertraut ist der Sinn, den viele mit ihr verbinden. Sie handele
von der Selbstüberschätzung der Menschen, Gott gleich sein zu
wollen. Die Vielfalt der menschlichen Sprachen sei die gerechte
Strafe für diese Anmaßung. Weil sie sich nicht mehr verständi-
gen können, müssen sie ihren Plan aufgeben. An Pfingsten
nimmt Gott diese Strafe zurück. So habe ich es im Religionsun-
terricht gelernt.
Was wäre, wenn es anders wäre? Wenn nicht der Turmbau die
menschliche Anmaßung wäre, sondern der Wunsch, dass alle
mit einer Sprache reden?
Was wäre, wenn die Vielfalt der Sprachen durch Gott ein Aus-
druck seiner Liebe zum Leben und ein Geschenk der Freiheit
wäre?

Hören wir auf die Geschichte.
Die Menschen hatten damals noch alle dieselbe Sprache und
gebrauchten dieselben Wörter. Als sie nun von Osten aufbra-
chen, kamen sie in eine Ebene im Land Schinar und siedelten
sich dort an. Sie sagten zueinander: »Ans Werk! Wir machen
Ziegel aus Lehm und brennen sie!« Sie wollten die Ziegel als
Bausteine verwenden und Asphalt als Mörtel. Sie sagten: »Ans
Werk! Wir bauen uns eine Stadt mit einem Turm, der bis an den
Himmel reicht! Dann wird unser Name in aller Welt berühmt.
Dieses Bauwerk wird uns zusammenhalten, sodass wir nicht
über die ganze Erde zerstreut werden.« Da kam der Herr vom
Himmel herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, die sie
bauten. Als er alles gesehen hatte, sagte er: »Wohin wird das
noch führen? Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle die-
selbe Sprache. Wenn sie diesen Bau vollenden, wird ihnen
nichts mehr unmöglich sein. Sie werden alles ausführen, was
ihnen in den Sinn kommt.« Und dann sagte er: »Ans Werk! Wir
steigen hinab und verwirren ihre Sprache, damit niemand mehr
den anderen versteht!« So zerstreute der Herr sie über die gan-
ze Erde und sie konnten die Stadt nicht weiterbauen. (Genesis,
11,1-8)

Das Alte Testament berichtet in der sogenannten „Urgeschich-
te“ über den Anfang der Menschheit. Gott hatte einzelne Men-
schen geschaffen. Diese vermehrten sich, aus Ihnen wurden
Völker.
Gott hatte es bei aller Vielfalt so eingerichtet, dass Austausch
und Gemeinschaft möglich waren.
Aus manchen Ackerbauern des Anfangs sind Stadtbewohner
geworden. Sie beeinflussen ihre Nachbarn, führen eine ge-
meinsame Sprache ein. Und sie wollen noch mehr – eine neue
Stadt gründen, um die sich alle versammeln. Babylon war im
neunzehnten Jahrhundert vor Christus eine der ersten Hochkul-
turen. Die Stadt dominierte ihre Nachbarn.
In der Erzählung des Turmbaus spiegelt sich die Sehnsucht,
sich einen Namen zu machen. Zugleich spiegelt sich in ihr die
Angst, „über die ganze Erde zerstreut zu werden.“
Dies ist eine Legende über den Versuch, eine Einheitskultur zu
schaffen, welche die Herrschaft über alle Menschen ermöglicht.
Solches Herrschaftsstreben tritt immer wieder in der Mensch-
heitsgeschichte auf. Es zeigt sich in Projekten sogenannter
Herrschaftsarchitektur, von Babylon über Rom bis nach Berlin:
Herrschende - auch Kirchenfürsten - versuchen, den Zusam-
menhalt einer Gesellschaft durch Kolossalbauten zu sichern.
Wir sehen das an der übrig gebliebenen Monumentalarchitektur
des Dritten Reiches und später in der DDR. Dort führte man
den Verfall unliebsamer Gebäude gezielt herbei. Manche wur-
den gleich gesprengt, wie die Universitätskirche in Leipzig.

Trotz der Versuche, das Christentum aus den Stadtbildern zu
tilgen, war es der Kirche in der DDR gelungen, Einmischungen
des Staates in die innerkirchlichen Angelegenheiten abzuweh-
ren. Sie behaupteten sich als staatsfreier Raum. So konnten
viele Kirchengemeinden in den achtziger Jahren Friedens-,
Umwelt- und Menschenrechtsgruppen einen Ort bieten. Sogar
Punk-Bands durften in Kirchen und Gemeindehäusern auftre-
ten.
Sie alle widersetzten sich. Sie gingen gestärkt durch Gottes
Geist auf die Straßen. Sie waren sich einig in ihrer Haltung ge-
gen den Einheitswahn. Es gelang ihnen, Regime und Mauer
friedlich zu Fall zu bringen.
Nicht Einheit macht stark, sondern Einigkeit. Einigkeit aber setzt
Verschiedenheit voraus.
Gottes Entschluss, in die Stadt Babel hinunterzusteigen und ih-
re Sprache zu verwirren, ist keine Strafe für die Menschen. Es
ist eine Befreiungstat. Gott begrenzt die Ambitionen eines
übergriffigen Systems.
Das erste Buch Mose berichtet, dass die verschiedenen Spra-
chen und Völker schon existieren, bevor der Turmbau begann.
(1. Mose 10,5).
Warum sprechen dann in Babel scheinbar alle dieselbe Spra-
che? Ich stelle mir vor, dass dies der Wille der Mächtigen war.
Eroberer zwingen ihre Sprache den Besiegten auf. Denn mit ei-
ner gemeinsamen Sprache regiert es sich leichter.
Aber dann wurde die Sprache verwirrt, „damit niemand mehr
den anderen versteht!“

Gott greift ein, damit sein guter Plan für die Zukunft nicht verei-
telt wird: die Vielfalt und Freiheit der Völker, Sprachen, Kulturen
und ihrer Geschichte. All dies ist von Gott gewollt! Keine Kultur
soll über die andere herrschen!

Wenn wir die Turmbaugeschichte so verstehen, nimmt Gott an
Pfingsten keine Strafe zurück. Stattdessen nimmt Pfingsten den
beim Turmbau angelegten roten Faden auf und führt ihn fort.

Pfingsten ist ein Hörwunder. Die Jünger reden nicht in einer
himmlischen Sprache. Aber die aus vielen Völkern für die Fest-
tage in Jerusalem versammelten frommen Juden hören die
Apostel in der eigenen Muttersprache die großen Taten Gottes
verkünden! Ganz überraschend können dies alle verstehen.

Der Heilige Geist schaltet die Vielfalt nicht aus. Im Gegenteil:
Er bestätigt und würdigt die von Gott gestiftete sprachliche und
kulturelle Vielfalt der Menschen.

Der Geist Gottes schafft an Pfingsten etwas Neues: Eine Ver-
bundenheit, eine versöhnte, mehrsprachige Gemeinschaft der
Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu. Das ist der Beginn einer
neuen Gesellschaft.

Mit dem Geist Gottes erhält die christliche Gemeinde die Gabe,
über alle Sprachbarrieren hinweg Menschen aller Nationen und
Kulturen zu erreichen. Alle behalten ihre Eigenheiten, alle blei-
ben verschieden. Es gibt aber ein gemeinsames Verständnis,
einen gemeinsamen Geist, aus dem ein Wir-Gefühl entsteht.

Die Gemeinschaft, die da geboren wird, entsteht auf der Basis
eines gemeinsamen Glaubens, jenseits von Nation, Familie,
Ethnie, Klasse. Das ist eine Globalisierung, die nicht die Uni-
formierung der Welt bedeutet, sondern Verständigung in der
Verschiedenheit.
Heute vor 72 Jahren, am 23. Mai 1949, wurde unser Grundge-
setz verabschiedet. Ein Zeugnis besonderer Geistesgegenwart
von Frauen und Männern. Sie waren befreit vom nationalsozia-
listischen Terror. Gleichzeitig kannten sie ihre schuldhafte Ver-
strickung in ein verbrecherisches System. Daraus zogen sie
Lehren, die ins Grundgesetz einflossen.

Die Würde eines jeden Menschen, die Meinungs- und Religi-
onsfreiheit, die Gleichberechtigung der Geschlechter, Demokra-
tie und Rechtsstaatlichkeit – all das ist aus dem Geist erwach-
sen, durch den Gott das Leben auf dieser Erde ermöglicht.

Das Grundgesetzt achtet und schützt diese Vielfalt. Es liegt an
uns, mitzumachen.

Lasst uns als christliche Kirche in diesem Geist ernsthaft leben.
Dann werden Menschen aller Schichten, unterschiedlicher eth-
nischer Herkunft und jeder Generation erleben, wie sie sich
selbst und die Menschen jenseits der Gemeinde heilsam ver-
ändern können. Amen.

Lied: Wir wollen aufstehn (Lieder zwischen Himmel und Erde #313)

Refrain: Wir wollen aufstehn, aufeinander zugehn, voneinander lernen,
miteinander umzugehn. Aufstehn, aufeinander zugehn und uns nicht ent-
fernen, wenn wir etwas nicht verstehn.

2. Jeder hat was einzubringen, diese Vielfalt, wunderbar. Neue Lieder
woll'n wir singen, neue Texte laut und klar. Refrain

3. Diese Welt ist uns gegeben, wir sind alle Gäste hier. Wenn wir nicht
zusammen leben, kann die Menschheit nur verliern. Refrain

4. Dass aus Fremden Nachbarn werden, das geschieht nicht von allein.
Dass aus Nachbarn Freunde werden, dafür setzen wir uns ein. Refrain
Fürbitte
Barmherziger Gott, du hast uns deinen Geist geschenkt, den Geist der
Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Erneuere uns mit deinem Geist, wo wir uns ungerechten Verhältnissen
dieser Welt gebeugt haben, unsere Bestimmung aus den Augen verloren
und unsere innere Stärke eingebüßt haben.
Erneuere uns mit deinem Geist, wo uns Trauer niederdrückt,
und uns der Schleier unserer Tränen den Blick auf alles Schöne raubt.
Erneuere uns mit deinem Geist, dass wir an der Vision der Einheit der
Kirche festhalten, dass die Konfessionen mit all ihren Unterschieden
gemeinsam dein Wort in der Welt verkündigen.
Amen.

Lied: Komm, heilger Geist (Lieder zwischen Himmel und Erde #173)
Refrain: Komm, heilger Geist, mit deiner Kraft, die uns verbindet und
Leben schafft.
1) Wie das Feuer sich verbreitet und die Dunkelheit erhellt, so soll uns
dein Geist ergreifen, umgestalten unsre Welt. Refrain
2) Wie der Sturm so unaufhaltsam, dring in unser Leben ein. Nur wenn
wir uns nicht verschließen, können wir deine Kirche sein. Refrain
3) Schenke uns von deiner Liebe, die vertraut und die vergibt. Alle spre-
chen eine Sprache, wenn ein Mensch den andern liebt.

Ein gesegnetes Pfingstfest wünscht Ihnen Pfarrer Michael Hammes
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