Elektronische Patientenakte - DUT Report
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194 Elektronische Patientenakte Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Elektronische Patientenakte Bei der Etablierung elektronischer Pati- Die Einführung einer elektronischen Patienten- akte (ePA) in Deutschland ist ein sehr schwieri- entenakten (ePA) sind mit Deutschland ges, komplexes und mittlerweile sehr kostspie- vergleichbare andere europäische Län- liges Unterfangen, das sich seit Jahren verzö- der viel weiter. Ein Blick nach Skandinavi- gert. 16 Jahre nach dem Beschluss zur Einfüh- rung der elektronischen Gesundheitskarte (als en macht die Lage deutlich – in Dänemark eine Voraussetzung für die Entwicklung ei- sind Hausärzte seit 2004 verpflichtet, ei- ner elektronischen Krankenakte) sind bis heu- ne elektronische Patientenakte zu nut- te trotz Milliarden Euro an Entwicklungskosten keine einzigen gesundheitsbezogenen Daten zen. Der Artikel klärt auch die vielen Be- der Versicherten darauf gespeichert worden. griffe, die mit der ePA assoziiert sind. Elektronische Patientenakten in Europa Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Bad Mergentheim Andere europäische, der Bundesrepublik struk- turähnliche Länder sind bei der Etablierung elektronischer Patientenakten viel weiter – ge- rade Länder mit skandinavischer Prägung wie Dänemark oder auch Estland. In einer Unter- suchung zum Stand der Implementierung der elektronischen Patientenakte auf nationaler Ebene (European Scorecard) war Deutschland 2016 im unteren Mittelfeld des Rankings und hat sich 2018 weiter verschlechtert [Bertram 2019] (Tabelle 1).
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Elektronische Patientenakte 195 Patientenakte Beim Spitzenreiter Dänemark wurde beispiels- Platz Ranking 2016 Ranking 2018 weise schon im Jahr 2003 ein Patientenportal 1 Dänemark, Dänemark (www.sundhed.dk) als digitale Plattform mit ei- Schweden ner abgesicherten Cloudlösung online gestellt. 2 Estland, Finnland, Finnland, Schweden Ab 2004 waren alle Hausärzte verpflichtet, ei- Slowakei ne elektronische Patientenakte zu nutzen und 3 Portugal Estland, digitale Kommunikationswege zu verwenden. Spanien Diese beinhaltet in der aktuellen Version eine 4 Spanien Schweiz zentralisierte Datenbank mit fast allen Daten 5 Österreich Slowakei, von Haus- und Fachärzten, anderen Leistungs- Vereinigtes Königreich erbringern und des stationären Sektors. Außer- 6 Schweiz Portugal dem enthält sie digitale Bild- und Laborbefun- 7 Belgien Frankreich de, einen elektronischen Medikationsplan mit 8 Deutschland, Niederlande, Litauen, Österreich einer integrierten Interaktionsdatenbank, die Niederlande Wechselwirkungen mit Medikamenten aufzeigt, 9 Vereinigtes Königreich Belgien, E-Rezepte mit der Möglichkeit von Folgever- Deutschland, Litauen, schreibungen, ein elektronisches Impfregister, Polen eine Organspenderegistrierung und elektro- 10 Italien Tschechische Republik nische Patientenverfügung, die Möglichkeit der 11 Frankreich, Italien, Online-Terminvereinbarung, des Abrufens von Slowenien Slowenien Echtzeitwartezeiten aller öffentlichen Kran- 12 Polen Irland kenhäuser, der Bewertung von Krankenhaus- 13 Tschechische Republik aufenthalten, der Einschreibung in Screening- 14 Irland programme, der Registrierung als Blut- oder Tab. 1: Krankenhaus-Report, 2019 [Bertram 2019]
196 Elektronische Patientenakte Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Die Entwicklung der elektronischen Patientenakte (ePA) 2003 Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (GKV-Modernisierungsgesetz wird am 14. November 2003) beschlossen. 2011 Elektronische Gesundheitskarte durch die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik). 2015 Die elektronische Gesundheitskarte gilt als alleiniger Berechtigungsnachweis für die Inan- spruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen. 2015 E-Health-Gesetz: elektronische Patientenakte soll in Deutschland wichtiger Bestandteil der Telematik-Infrastruktur werden. 2018 Verschiedene elektronische Patientenakten durch die Krankenkassen (z. B. TK-Safe, Vivy) kommen auf den Markt. Der Deutsche Ärztetag in Erfurt fordert die Politik auf, derzeit laufende, parallele Entwick- lungen von elektronischen Gesundheitsakten der Krankenkassen zu beenden. 2019 Terminservice- und Versorgungsgesetz: Die Bundesregierung verpflichtet die Krankenkas- sen dazu, ihren Versicherten bis spätestens 1.1.2021 eine von der Gesellschaft für Telematik (gematik) zugelassene elektronische Patientenakte (ePA) zur Verfügung zu stellen, sonst drohen ihnen empfindliche finanzielle Sanktionen. −− Bundesweite, interoperable Lösung, die die Insellösungen der bestehenden Gesund- heitsakten ersetzen soll; −− freiwillige Anwendung durch die Patienten; −− Patienten haben die Datenhoheit, verwalten sie selbst, können die ePA auch über mobile Endgeräte bedienen; −− Das Bundesministerium für Gesundheit übernimmt 51 % der Gesellschafteranteile der gematik, um sicherzustellen, dass die ePA zeitgerecht fertiggestellt wird. 2020 Terminservice- und Versorgungsgesetz: −− Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist per Gesetz verpflichtet, bis zum 31.3.2020 eine Richtlinie zur Gewährleistung der IT-Sicherheit in Arzt- und Zahnarztpra- xen vorzulegen. −− Gesetzliche Verpflichtung für Ärzte und psychologische Psychotherapeuten, ab dem 1.7.2021 die notwendige Ausstattung vorzuhalten, um Daten in die ePA übertragen und auslesen zu können. −− Apotheken (bis Ende 9/2020) und Krankenhäuser (bis 1.1.2021) sind gesetzlich verpflich- tet, sich an die Telematik-Infrastruktur anschließen zu lassen. 2021 1.1.2021: Start der ePA in Deutschland. Tabelle 2: Die Entwicklung der elektronischen Patientenakte (ePA). Eizellspender, der Einschreibung in medizini- Dänemark: die eAkte wird angenommen sche Studien oder webbasierte Kommunikati- Bereits 2013 nutzten nahezu alle Hausärzte on mit behandelnden Leistungserbringern. Die und Apotheker, 98 % der Fachärzte, 85 % der Patienten haben einen allumfassenden Einblick Chiropraktiker sowie 50 % der Zahnärzte Dä- („My log“), wer wann auf diese Daten zugegrif- nemarks die elektronische Patientenakte, in- fen hat. zwischen auch alle stationären Einrichtungen.
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Elektronische Patientenakte 197 Mittlerweile werden über 85 % aller Rezepte auf elektronischem Weg versendet. Im Schnitt besuchen pro Monat 1,7 Mio. Dänen (Einwoh- nerzahl Dänemarks: 5,8 Mio.) das Portal [Ber- tram 2019, Gerlof 2017]. Der wichtigste Vorteil der elektronischen Pati- entenakte liegt aus der Sicht der Menschen in der schnellen Notfall- versorgung. Länder wie Dänemark erreichten die Akzeptanz und Verbreitung der ePA vor allem durch infra- strukturelle Voraussetzungen (wie Verfügbar- Nutzen keit von Breitband-Internetzugang oder Fre- quenz der Internetnutzung), eine starke Go- vernance, das frühzeitige Setzen verbindli- cher Ziele sowie eines zeitlichen Rahmens und durch Vorgabe der Inhalte und Funktionen der elektronischen Patientenakte sowie der Inter- operabilitätsstandards. Patienten befürworten elektronische Patientenakte Eine repräsentative Studie, für die im Jahr 2019 im Auftrag der Pronova BKK 1.000 Personen in Deutschland befragt wurden, kam zu dem Er- gebnis, dass mehr als 80 % der Deutschen eine elektronische Gesundheitsakte nutzen würden und 9 % dieser ablehnend gegenüberstehen. Wichtigste Vorteile einer ePA sind aus Sicht der Menschen die schnelle Notfallversorgung, da der behandelnde Arzt rasch alle relevanten Informationen auslesen kann, die Zeiterspar- nis durch eine ePA, der bessere Informations- austausch zwischen Ärzten und Krankenhäu- sern, die Vermeidung von Mehrfachuntersu- chungen sowie eine bessere Arzneimittelsi- cherheit. Am ehesten in die Akte integrieren
198 Elektronische Patientenakte Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 würden die Menschen Impfstatus, Laborwer- bei Diabetes, da diese ihrer Meinung nach den te, Röntgenbilder und EKG-Befunde [Pronova Informationsfluss zwischen den verschiedenen 2019]. Wichtig ist den Patienten jedoch, dass Behandlern und den Patienten verbessere, Zeit sie selbst bestimmen können, ob sie eine ePA spare, wichtige Basisinformationen zur aktuel- anlegen möchten, welche Inhalte dort zu fin- len Therapie enthalte und die Chance zur Inter- den sind, wer Zugriffsrechte hat, wie der Da- aktion mit den Patienten bei einer Lebensstil- tenschutz gewährleistet ist und wie für den Pa- modifikation biete [Wang 2018]. tienten nachzuvollziehen ist, wer wann und in welchem Umfang Einblick in die ePA hatte bzw. Nicht alle Menschen Inhalte dort integriert hat. werden die Inhalte der Die Arbeitsgruppe von Sun et al. [2019] an ePA verstehen – es der Universität Pittsburgh untersuchte die gibt bereits Initiativen, Anwendung einer ePA bei einer Gruppe von medizinisch schwer 38.399 Personen mit Typ-2-Diabetes und kam verständliche Inhalte zu dem Ergebnis, dass ca. ein Drittel regelmäßig allgemein verständlich die ePA in Hinblick auf den Diabetes verwende- zu machen. ten – öfters an Wochentagen als am Wochen- ende, deutlich häufiger nach Erinnerungsmails. Da nicht alle Menschen die Inhalte der ePA ver- Und: Ältere Menschen nutzten sie öfter als jün- stehen werden, gibt es bereits erste Initiati- gere. Auch eine Befragung von 1.095 Menschen ven, medizinisch schwer verständliche Inhalte mit Diabetes bezüglich einer diabetesspezifi- allgemein verständlich zu machen, sodass die schen ePA („My Diabetes“) erbrachte hohe Zu- Patienten die Inhalte der ePA auch nachvoll- stimmungsraten, vor allem wurden die Unter- ziehen können. Neben der Möglichkeit, Texte stützung des Diabetes-Selbstmanagements oder medizinische Fachausdrücke für Laien zu und die Unterstützung zu Beginn der Erkran- übersetzen (z. B. www.befunddolmetscher.de, kung positiv bewertet [Conway 2018]. www.washabich.de), versuchen Forscher auch In einer Studie mit amerikanischen Diabetesbe- auf dem Gebiet der Diabetologie, aus verschie- ratern befürworteten diese ebenfalls die ePA denen Informationen der ePA und des Kommu- Patient Arzt Name Elektronische Patienten- Elektronische Gesund- Elektronische Arztakte Elektronische Fallakte akte heitsakte Abkürzung ePA eGA eAA eFA gesetzliche § 291 SGB V § 68 SGB V § 630f BGB § 67 SGB V Grundlage Urheber Patient Patient Arzt Arzt Ort einrichtungsübergrei- einrichtungsübergrei- einrichtungsintern einrichtungsübergrei- fend fend fend Dauer lebenslang lebenslang lebenslang fallbezogen Tabelle 3: Unterschiedliche Konzepte elektronischer Akten.
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Elektronische Patientenakte 199 Health Literacy nikationsverhaltens der Patienten den Grad der Für das Verständnis der deutschen Entwicklung „Health Literacy“ zu erkennen, sodass Sprachni- der ePA ist es wichtig, die folgenden Formen veau und Informationsgehalt automatisch oder der elektronischen Akten im Gesundheitswesen entsprechend den Wünschen der Patienten an- zu unterscheiden, die jeweils auch vom Gesetz- gepasst werden können [Layor 2018]. geber definiert werden. Sprachverwirrung um die ePA Elektronische Patientenakte (ePA) Nicht nur Patienten tun sich schwer, die Inhal- Die elektronische Patientenakte (ePA) soll nach te der ePA zu verstehen: Auch für Experten ist dem mittlerweile in Kraft gesetzten „Terminser- es mittlerweile nicht mehr einfach, die Vielzahl vice- und Versorgungsgesetz (TSVG)“ von 2019 von Begriffen zu unterscheiden, die mit der ePA das zentrale Element der vernetzten Gesund- assoziiert sind. Hier eine Auswahl: Elektroni- heitsversorgung und der Telematik-Infrastruk- sche Krankenakte (EKA), Elektronische Kartei- tur werden. Die gesetzliche Grundlage ist § 291a karte, Elektronische Fallakte, Elektronische Pa- SGB V, die Rahmenbedingungen der ePA wer- tientenakte (EPA, ePA), Elektronische Gesund- den durch die gematik definiert. Als Ziel ist von heitsakte (EGA oder ELGA), Computerized Pa- allen an diesem Prozess Beteiligten vorgege- tient Record (CPR), Computer-Based Patient ben, eine bundesweit einheitliche und inter- Record (CPR), Electronic Patient Record (EPR), operable Lösung für eine ePA zu schaffen, die Electronic Medical Record (EMR), Electronic die Insellösungen der bestehenden Gesund- Health Record (EHR), Computerized Medical heitsakten ersetzt. Voraussetzung dafür sind Record (CMR), Electronic Health Care Record bundesweit einheitliche Schnittstellen (z. B. zu (EHCR), Continuous Care Record (CCR), Con- den unterschiedlichen Praxisverwaltungssyste- tinuous Electronic Care Record (CECR), Health men, PVS), die von der gematik spezifiziert wer- Records (HR). den. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung
200 Elektronische Patientenakte Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 (KBV) hat vom Gesetzgeber die Aufgabe er- halten, die medizinischen Daten für die ePA zu standardisieren. Unter der Bezeichnung „Medi- zinische Informationsobjekte“ (MIOs) muss die KBV bis Herbst 2020 erste Standards definie- ren, z. B. für Labordaten, bestimmte medizini- sche Befunde oder den Impfpass. Spätestens ab Januar 2021 müssen die gesetz- lichen Krankenkassen ihren Versicherten eine solche ePA anbieten. In die ePA können Befun- de, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behand- lungsberichte sowie Impfungen integriert wer- den; außerdem sollen ein Notfalldatensatz, der Vivy und elektronische Medikationsplan sowie der Ver- sand elektronischer Arztbriefe unterstützt wer- den. Es handelt sich bei der geplanten ePA um eine freiwillige Anwendung: Es liegt im Ent- scheidungsbereich der Patienten, ob eine elek- TK-Safe tronische Patientenakte angelegt werden soll. Die Patienten besitzen die absolute Datenho- heit – ohne Zustimmung der Patienten kann niemand Zugang zu ihrer ePA haben. Die Pa- tienten entscheiden auch, welche Daten hin- zugefügt, gespeichert bzw. gelöscht werden. Ärzte greifen grundsätzlich gemeinsam mit den Patienten auf deren ePA zu: Die Ärzte nutzen hierfür ihre Praxisausweise, die Patienten ihre elektronischen Gesundheitskarten. Elektronische Gesundheitsakte (eGA) Es existieren bereits verschiedene „elektro- nische Gesundheitsakten“, die einzelne Kran- kenkassen ihren Versicherten als Satzungsleis- tung bereitstellen. Die gesetzliche Grundlage hierfür ist § 68 SGB V. • 2017 startete die Techniker Krankenkas- se mit einer Ausschreibung für eine elek- tronische Gesundheitsakte, die IBM für sich entschied. Das Unternehmen entwickelte dann mit „TK-Safe“ eine bundesweite elek- tronische Gesundheitsakte. Versicherte der
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Elektronische Patientenakte 201 Techniker können seit 2018 diese über die nen Partnern umsetzen. Ein aktuelles Projekt „TK-App“ nutzen. In der Gesundheitsakte mit dem E-Health-Anbieter CompuGroup werden relevante Gesundheits- und Krank- Medical (CGM) hat das Ziel, Ärzten die Inte- heitsdaten gesammelt und an einem zentra- gration der Daten über eine CGM-LIFE-Platt- len Ort gespeichert. form zu erleichtern. Sowohl das AOK-Netz • Das Unternehmen Vivy entwickelt seit 2018 als auch die CGM-Plattform sind als offene, gemeinsam mit der DAK-Gesundheit, Be- interoperable Lösungen konzipiert. triebs-, Ersatz- und Innungskrankenkassen • Als letzte große Krankenkasse hatte die Bar- sowie privaten Krankenversicherungen eine mer im Oktober 2019 IBM den Zuschlag für elektronische Gesundheits-Akte, die über die die Entwicklung der elektronischen Pati- „Vivy-App“ von Patienten in den App-Stores entenakte Barmer eCare gegeben. Die ePA von Apple und Google heruntergeladen wer- soll ab 2021 jedem Versicherten als lebens- den kann. Mithilfe der Vivy-App lassen sich langes, persönliches Informationsmodul zur relevante Gesundheitsdaten speichern. Pati- Verfügung gestellt werden. Die Speicherka- enten können medizinische Dokumente (Be- pazität der ePA soll auch für Patienten indi- funde, Blutwerte, Röntgenbilder etc.) über viduell genutzt werden – z. B. durch Integra das Smartphone vom Arzt anfordern, ihre Da- tion von Impfplänen, eines Bonushefts für ten oder bestimmte medizinische Dokumente die Zahngesundheit, Daten von Wearables an Ärzte schicken oder auch Funktionen wie oder durch Beschreibung von krankengym- einen digitalen Impfpass, einen Medikamen- nastischen Übungen. tenplan oder eine Erinnerungsfunktion für Arzttermine nutzen. Die App kann auch mit Die Zukunft bereits eta- Wearables wie Fitnesstrackern oder Smart- blierter elektronischer watches gekoppelt werden. Die Gesundheits- Gesundheitsakten von daten werden nicht auf zentralen Servern ge- Krankenkassen ist unge- speichert, sondern verbleiben immer beim je- wiss. weiligen Arzt, Zahnarzt oder Therapeuten. • Die AOK setzt eher auf ein dezentrales di- Die Zukunft dieser elektronischen Gesundheits- gitales Gesundheitsnetzwerk, welches mit akten ist jedoch ungewiss. Denn mit dem von Partnern unter Nutzung bestehender Struk- Bundestag und -rat beschlossenen „Digita- turen und internationaler Standards den Be- le-Versorgung-Gesetz“ (DVG) fällt § 68 SGB V dürfnissen von Ärzten und Patienten glei- weg: Die Krankenkassen können somit die Kos- chermaßen entgegenkommen möchte. Laut ten der Gesundheitsakten nur noch bis zum der Ausschreibung 2019 soll eine techni- Ende der Übergangsfrist am 31. März 2022 er- sche Plattform für die sektorenübergreifen- statten. Danach soll die auf der Telematik-In- de Vernetzung zwischen den einzelnen Ak- frastruktur (TI) basierende elektronische Pa- teuren des Gesundheitssystems entwickelt tientenakte die einzig gesetzlich vorgegebe- werden. Die AOK verfolgt keinen zentralen ne Form der Dokumentation von Patienten- Ansatz, sondern will je nach den Erfordernis- daten sein. Damit ist die „Geschäftsgrundlage sen der jeweiligen regionalen Struktur unter- der elektronischen Gesundheitsakten“ nicht schiedliche Anwendungen mit verschiede- mehr vorhanden. Auf der anderen Seite wird
202 Elektronische Patientenakte Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 die ePA zum Start nur wenige Funktionen auf- festgelegt wurde. Dies gilt für alle IT-Systeme, weisen, Kritiker sprechen von einer „Pdf- und die in der ärztlichen Versorgung und in Kran- Faxablage-Gesundheits-App“. Es wird daher vor kenhäusern zur Verarbeitung und Nutzung per- allem davon abhängen, ob die elektronischen sonenbezogener Patientendaten eingesetzt Gesundheitsakten mit der ePA in p uncto Inter werden – somit auch für alle PVS. Diese Vorga- operabilität kompatibel und die Datenschutz- be musste bis Mitte 2019 umgesetzt werden, bedingungen identisch sind. Zudem müssen sodass die Inhalte der eAA prinzipiell auch für Doppeleingaben vermieden werden und für andere Zwecke wie die ePA verfügbar sind. die Patienten muss ein Mehrwert entstehen. Ist dies gegeben, könnten krankenkassenspe- Elektronische Fallakte (eFA) zifische Angebote die Standardfunktionen der Im Gegensatz zur eAA wird die e-Fallakte von ePA ergänzen. den behandelnden Ärzten über Einrichtungs- und Sektorgrenzen hinweg geführt, zielt jedoch Elektronische Arztakte (eAA) auf die konkrete Behandlung eines bestimmten Auch die bisher schon in Arztpraxen geführte medizinischen Krankheitsfalls eines Patienten elektronische Arztakte (eAA, § 630f BGB) wird ab. Der Arzt benötigt hierzu die schriftliche Zu- sich verändern müssen, um den Anforderungen stimmung des Patienten, um eine eFA anzule- der Interoperabilität gerecht zu werden. In Zu- gen. Dieser willigt einer zeitlich auf die Krank- kunft haben die Patienten das Recht, diese Da- heitsdauer begrenzten Speicherung seiner me- ten als Kopie in elektronischer Form zu bekom- dizinischen Daten ein, welche von den von ihm men, etwa über eine App oder per Schnittstelle berechtigten Ärzten geführt wird. Die behan- in eine ePA. Die erhobenen Befunde wie Labor delnden Ärzte machen über die eFA-Plattform ergebnisse, EKG und Arztbriefe werden in den wichtige Informationen und Dokumente ande- PVS der Ärzte archiviert, welche jedoch unter- ren berechtigten Nutzern zugänglich. Nach Ab- einander nur sehr eingeschränkt austauschfä- schluss der Behandlung wird die eFA wieder ge- hig sind. Für die Zukunft ist zu fordern, dass die schlossen. Daten elektronisch strukturiert und indexfähig suchbar abgelegt werden, sodass sie problem- Forschungskompatible ePA los z. B. in die ePA oder in andere PVS exportiert Mit dem 2019 verabschiedeten DVG, welches werden können. im Januar 2020 in Kraft treten wird, sollen zu- künftig auch die Gesundheitsdaten der 73 Mio. Es ist zu fordern, dass gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland die Daten elektronisch für die Forschung verwendet werden können, strukturiert und index- insbesondere für Längsschnittanalysen über fähig suchbar abgelegt längere Zeiträume und für die Versorgungsfor- werden. schung. Nach dem aktuellen Diskussionsstand haben Patienten kein Widerspruchsrecht. Es Eine wichtige Voraussetzung dafür war die Ver- werden jedoch aktuell auch Modelle diskutiert, pflichtung zur „Integration offener Schnittstel- in denen die Patienten mit einer „gezielten Da- len in informationstechnische Systeme“, welche tenspende“ eventuell auch darüber hinausge- zum 1. Juli 2017 in Kraft trat und in § 291 SGB V hende Gesundheitsdaten für wissenschaftli-
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Elektronische Patientenakte 203 che Zwecke spenden können. Nach dem mo- eine Datentreuhänderinfrastruktur vorgesehen, mentanen Planungsstand sollen die gesetz- die dafür sorgt, dass die Daten nur anerkannten lichen Krankenkassen die persönlichen Daten Wissenschaftszentren verfügbar gemacht wer- sowie Behandlungsdaten aller Versicherten an den. Gleichzeitig arbeiten die Universitätsklini- den „Spitzenverband Bund“ der Krankenkassen ken im Rahmen der „Medizininformatik-Initia- weiterleiten, welcher sie dann pseudonymisiert tive“ daran, eine forschungskompatible ePA zu der Forschung zur Verfügung stellt. entwickeln, welche bis zum Jahr 2025 in allen Unikliniken verfügbar sein soll. Mit dem 2019 verab- Die Verfügbarkeit großer Datensätze aus der schiedeten „Digitale- Versorgung bietet vor allem für die Versor- Versorgung-Gesetz“ sol- gungsforschung große Chancen. Jedoch muss len auch die Gesund- auch bedacht werden, dass die Daten zu einem heitsdaten der 73 Mio. anderen Zweck als für Forschungszwecke erho- gesetzlich Krankenver- ben wurden, sodass bezüglich der Datenquali- sicherten für die For- tät sehr viele mögliche Einflussfaktoren (z. B. schung verwendet wer- Abrechnungsfragen) zu beachten sind [Farmer den können. 2018]. Eine amerikanische Studie [Mocarski 2018] analysierte beispielsweise bei 5.512.285 Die Verwaltung der Daten soll von einem er- Patienten, wie häufig eine Adipositas diagnosti- weiterten Forschungsdatenzentrum erfolgen, ziert wurde. Von 74,6 % der Patienten, die eine das beim Bundesgesundheitsministerium an- Adipositas aufwiesen („wahrer Wert“), wurden gesiedelt wird. Nach bisherigen Planungen ist nur 15,1 % in den Health Records richtig codiert. forschungs- kompatibel
204 Elektronische Patientenakte Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020 Bei einer Auswertung anhand dieser Daten hät- 4. Lalor JP, Wu H, Chen L, Mazor KM, Yu H: te dies zu einer massiven Unterschätzung der ComprehENotes, an instrument to assess patient reading comprehension of electronic health record tatsächlichen Anzahl adipöser Personen ge- notes: development and validation. J Med Inter- führt. net Res 2018; 20: e139 5. Mocarski M, Tian Y, Smolarz BG, McAna J, Craw- eDiabetes-Akte DDG ford A: Use of international classification of disea- Bei der Klärung der Inhalte der ePA in Hinblick ses, ninth revision codes for obesity: trends in the auf Diabetes möchte die Deutsche Diabetes Ge- United States from an electronic health record- derived database. Popul Health Manag 2018; 21: sellschaft (DDG) sich aktiv einbringen und die 222 – 230 Definition der MIOs für diabetologische Themen 6. Müller-Wieland D, Ickrath M, Bitzer B: Digita- mitbestimmen. Darüber hinaus plant die DDG die le Transformation in der Diabetologie? In: Deut- Entwicklung einer „eDiabetes-Akte DDG“, in der sche Diabetes Gesellschaft (DDG), diabetesDE – die wesentlichen Daten zum Diabetes einrich- Deutsche Diabetes-Hilfe: Deutscher Gesundheits- tungsübergreifend zusammengefasst und vor al- bericht Diabetes 2020. Kirchheim-Verlag, Mainz, 2019: 258 – 264 lem zu Zwecken der Qualitätssicherung benutzt 7. Pronova BKK: Digitales Gesundheitssystem. 2019. werden [Müller-Wieland 2019]. Im Rahmen der www.pronovabkk.de/media/downloads/presse_ Überarbeitung der Kriterien zur Anerkennung studien/studie_digitales_gesundheitssystem_2019/ als zertifizierte Einrichtung nach den Richtlinien Studie_Dig_Gesundheitssystem_Ergebnisse.pdf der DDG soll diese „eDiabetes-Akte DDG“ eine (Zugriff: 8.12.2019) wichtige Rolle spielen, da damit gleichermaßen 8. Sun R, Burke LE, Saul MI, Korytkowski MT, Li D, Sereika SM: Use of a patient portal for engaging Merkmale der Struktur-, Prozess-, aber beson- patients with type 2 diabetes: patterns and pre- ders auch der Ergebnisqualität erfasst, weiterge- diction. Diabetes Technol Ther 2019; 21: 546 – 556 leitet und ausgewertet werden. Auch Benchmar- 9. Wang J, Chu CF, Li C, Hayes L, Siminerio L: king der verschiedenen Einrichtungen kann da- Diabetes educators’ insights regarding connect mit möglich werden. ing mobile phone- and wearable tracker-collected self-monitoring information to a nationally-used electronic health record system for diabetes education: descriptive qualitative study. JMIR Quellen: Mhealth Uhealth 2018; 6: e10206 1. Bertram N, Püschner F, Gonçalves ASO, Binder S, Amelung V: Einführung einer elektronischen Pa- tientenakte in Deutschland vor dem Hintergrund der internationalen Erfahrungen. In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J, Wasem J (Hrsg.): Kran- kenhaus-Report 2019. Springer, Berlin, Heidel- berg, 2019: 6 – 16 2. Conway NT, Allardice B, Wake DJ, Cunningham SG: User experiences of an electronic personal health record for diabetes. J Diabetes Sci Technol 2019; 13: 744 – 750 3. Farmer R, Mathur R, Bhaskaran K, Eastwood SV, Chaturvedi N, Smeeth L: Promises and pitfalls of electronic health record analysis. Diabetologia 2018; 61: 1 241 – 1 248
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