Entdeckung des Higgs-Teilchens

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Entdeckung des Higgs-Teilchens

Der Nobelpreis für Physik 2013 wurde den beiden Professoren für Theoretische
Physik François Englert 1 (Belgien) und Peter Higgs 2 (Großbritannien) gemein-
sam verliehen. Die beiden Forscher hatten 1964 unabhängig voneinander ein
Teilchen vorhergesagt, um einen Ausweg daraus zu finden, dass die Masse der
Elementarteilchen mit dem Standardmodell der Teilchenphysik nicht erklärbar
ist. Das sogenannte Higgs-Boson war fast 50 Jahre lang ein Phantomteilchen,
das experimentell nicht nachgewiesen werden konnte. Erst am 4. Juli 2012 ge-
lang es am CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) bei Genf ein
Teilchen nachzuweisen, das die Eigenschaften aufwies, die für das Higgs-Boson
vorhergesagt worden waren.
Die Royal Swedish Academy of Sciences würdigte François Englert und Peter
Higgs mit folgenden Worten:
“For the theoretical discovery of a mechanism that contributes to our under-
standing of the origin of mass of subatomic particles, and which recently was
confirmed through the discovery of the predicted fundamental particle, by the
ATLAS and CMS experiments at CERN's Large Hadron Collider.”
Die Formulierung des Nobelkomitees ist gelungen: Der Physik-Nobelpreis 2013
geht zum einen an die beiden Physiker, die das Higgs-Boson voraussagten.
Gleichzeitig wird die Arbeit von Tausenden von Wissenschaftlern am Large
Hadron Collider (LHC) des CERN und insbesondere an den Teilchendetektoren
ATLAS und CMS gewürdigt, ohne die der Nachweis nicht erbracht worden
wäre.

                                            Das Higgs-Feld

Das Standardmodell der Teilchenphysik ist ein mächtiger mathematischer Appa-
rat, der erdacht wurde, um die Symmetrien von Teilchen bzw. Feldern in Ver-
bindung zu bringen. Die Symmetrien bezüglich Ort, Zeit und Raumrichtung in
den Naturgesetzen führen zu den uns klassisch bekannten Erhaltungsgrößen wie
Energie, Impuls, Ladung etc.

1 Geb. 6. November 1932 in Belgien, emeritierter Professor der Université Libre de Bruxelles.
2 Geb. 29. Mai 1929 in Großbritannien, emeritierter Professor in Edinburgh.

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In Feldern ändern sich Quantenzustände genau dann sprungartig, wenn sie eine
kritische Temperatur erreichen. Diese Zustandsänderung bewirkt dann ein als
Symmetriebrechung benanntes Verhalten. In der Alltagsphysik spricht man an
diesen Punkten von Phasenübergängen, die uns bei Aggregatzustandsände-
rungen, bei der Supraleitung, beim Ferromagnetismus, bei Stabilitätsbedingun-
gen u. a. begegnen.

Abb. 1: Teilchen im Standardmodell mit ihren Eigenschaften

Im Standardmodell der Elementarteilchen (siehe Abbildung 1) werden die be-
kannten Elementarteilchen und die Wechselwirkungen zwischen ihnen beschrie-
ben. Dabei gehören die Leptonen und Quarks zu den Fermionen, die Bosonen
sind die Austauschteilchen (Eichbosonen), die als Überträger der jeweiligen
Kraftfeldwirkungen dienen. Die drei vom Standardmodell beschriebenen
Wechselwirkungen sind die starke Wechselwirkung, die schwache Wechsel-
wirkung und die elektromagnetische Wechselwirkung. Die Gravitation als vierte
fundamentale Wechselwirkung ist mit dem Standardmodell nicht beschreibbar.
Die Photonen als Austauschteilchen der elektromagnetischen Wechselwirkung
sind masselos. Die Eichbosonen der starken Wechselwirkung zwischen Nukleo-

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nen sind sogenannte Gluonen, die ebenfalls masselos sind. W- und Z-Bosonen,
die Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung (verantwortlich für
Radioaktivität, Zerfallsprozesse), hingegen sind massebehaftet.
Die Theorie hinter dem Standardmodell konnte z. B. die Masse der W- und Z-
Bosonen nicht erklären. Gleichzeitig stellte sich die angestrebte Vereinheitli-
chung von schwacher Wechselwirkung und elektromagnetischer Wechselwir-
kung zur elektroschwachen als theoretisch schwierig dar, wenn es keine Symme-
trie mehr zwischen den Wechselwirkungsteilchen gab – einerseits masselose
Photonen, andererseits schwere Bosonen.
Um zu erklären, warum nicht alle Wechselwirkungspartikel masselos sind, kom-
binierten die Nobelpreisträger von 2013 die Idee eines Feldes (mit passenden
Feldquanten als Wechselwirkungspartikel) mit dem Prinzip der spontanen Sym-
metriebrechung, welches in der Festkörperphysik schon lange bekannt war. Die
nicht masselosen Teilchen bewegen sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit und
bieten somit überhaupt erst die Möglichkeiten für Wechselwirkungen und
Zusammenschlüsse zu Teilchengruppen. Ohne einen Mechanismus der Masse-
bildung könnten keine Strukturen entstanden sein. Das All wäre ein Haufen von
masselosen Teilchen, die mit Lichtgeschwindigkeit aneinander vorbeiziehen
würden, ohne Notiz voneinander nehmen zu können.
F. Englert und P. Higgs gingen davon aus, dass es ein Feld geben muss, das
omnipräsent ist – das also im ganzen Weltraum existiert – und dessen Stärke un-
veränderlich ist; insbesondere nimmt es nicht den Vakuumwert null im gerings-
ten Energiezustand an. Durch Wechselwirkung mit diesem Feld erhalten die
Elementarteilchen und Feldquanten ihre Masse. Die Photonen wechselwirken
nicht mit dem Feld, deshalb bleiben sie masselos. Je stärker die Wechselwirkung
ist, desto größer fällt die Masse aus. Am anschaulichsten kann man sich eine Art
Bremsfeld denken, in dem die Teilchen Bewegungsenergie einbüßen und diese
in Masse umwandeln.
In Bezug auf die Entstehung des Universums hat das sogenannte Higgs-Feld eine
entscheidende Bedeutung: Beim Urknall war dieses Hintergrundkraftfeld sym-
metrisch und alle Teilchen waren ohne Masse. Beim Abkühlen änderte sich der
Zustand des Feldes so, dass der Zustand der niedrigsten Energie nicht mehr der
das Feld beschreibenden Symmetrie entsprach; diese wurde also wie oben ange-
deutet durch den Vakuumgrundzustand gebrochen. Die Teilchen nahmen jeweils
unterschiedliche Mengen des Feldes in sich auf und erhielten so verschiedene
Massen.

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Wer sucht, der findet – CERN, LHC, ATLAS und CMS

Theorien sind die eine Grundlage für das Voranschreiten der Physik, ihre Be-
stätigungen durch Experimente sind jedoch nicht minder bedeutend.
Der Bau des LHC am CERN, mit dem dezidiert nach dem Higgs-Teilchen ge-
sucht wurde, bedeutet einen unglaublich großen Aufwand in vielerlei Hinsicht:
jahrelange Vorexperimente, Hauptexperiment, Aufbau spezieller Detektoren ein-
schließlich Hallen und Schächten, Logistik und Unterhalt eines 27 km langen
Synchrotrons, Justage Hunderter Magnete entlang der Teilchenbahn, Kühlung
und Erzeugen des Hochvakuums in den Röhren und ein ganzes Arsenal von
Computern zur Auswertung der Datenflut – um nur einige Punkte zu nennen.
Diese Aufgaben können nur von einer internationalen Großforschungseinrich-
tung wie dem CERN und vielen Tausend Mitarbeitern und Gastwissenschaftlern
geleistet werden.

Wo wird gesucht? – Die Masse des Higgs-Teilchens
Da aus der Theorie die Masse des Higgs-Bosons nicht ableitbar war, musste
diese erst eingegrenzt werden. Dazu wurden in den ersten Jahren viele Messun-
gen bei bestimmten Energien durchgeführt, die im Ergebnis scheinbar das fade
Urteil zuließen: Bei diesen und jenen Energien scheint es keine Higgs-Teilchen
zu geben. Das ist aber eine gute Methode, um die Masse unbekannter Objekte
einzugrenzen. So war etwa um 2011 bekannt, dass die Masse des Higgs-Bosons
bei Werten zwischen 114 GeVc2
                               und 150 GeV
                                        c 2 zu suchen sein sollte. Im Jahr 2012
fand man das Higgs-Teilchen: Seine Masse beträgt ca. 125,5 GeVc2 .
Die Sicherheit von 5 Sigma, die im Jahr 2012 veröffentlicht wurde, besagte, dass
es nur noch eine Restwahrscheinlichkeit von eins zu drei Millionen gibt, anstatt
eines Higgs-Bosons andere Vorgänge beobachtet zu haben.

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Abb. 2: Lage des LHC in Genf

Abb. 3: a) Schematischer Aufbau des LHC            b) Bild aus dem Tunnel des LHC

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Higgs   →    b+b              (Quark und sein Antiquark)
    Higgs   →    τ+ + τ−          (Lepton und sein Antilepton)
    Higgs   →    γ+γ              (zwei Photonen, auch Gammas genannt)
    Higgs   →    W+ + W−          (W-Boson und sein Antiteilchen)
    Higgs   →    Z0 + Z0          (zwei Bosonen)

Tab. 1: Zerfallskanäle des Higgs-Teilchens

Wie wird gesucht? – Die Methodik der Messung
Ein Higgs-Teilchen kann nicht direkt, sondern nur indirekt beobachtet werden.
Es ist viel zu kurzlebig, um es zu detektieren. Es zerfällt kurz nach seiner Ent-
stehung in verschiedene andere Elementarteilchen. Die Zerfallskanäle sind be-
kannt (siehe Tabelle 1), wenn man eine bestimmte Energie des Higgs-Teilchens
voraussetzt.
Viele verschiedene Ereignisse können jedoch zu gleichen Elementarteilchen
bzw. Zerfallsprodukten führen – statistisch muss sichergestellt werden, dass
nicht gerade solche Ereignisse vorliegen. Man spricht auch davon, dass sich das
gesuchte Ereignis deutlich vom sogenannten Untergrundrauschen abheben muss.

Womit wird gesucht? – Die Detektoren für das Higgs-Teilchen
Da man sogenannte Spuren von Zerfällen beobachtet, benötigt man ausgereifte
Systeme von Detektoren, um die verschiedenen Zerfallsprodukte der Kollisionen
aufzeichnen und registrieren zu können. Dies waren bei den Experimenten zur
Suche des Higgs-Teilchens die Detektoren ATLAS und CMS.
Beide Detektoren sind zwei sogenannte General-purpose-Detektoren, mit denen
man eine große Vielzahl von Elementarteilchen nachweisen kann. Sie sind beide
schichtartig aus verschiedenen Detektorschichten aufgebaut, die kreisförmig um
das Kollisionszentrum konstruiert sind, sodass man Teilchenspuren in allen
Richtungen messen kann:

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• Ganz innen nahe des Kollisionsortes sind sogenannte Spurdetektoren, die die
  Flugbahn sowie den Impuls der entstandenen geladenen Teilchen aufgrund
  ihrer Ablenkung im Magnetfeld bestimmen. Hier kommen z. B. Halbleiter-
  detektoren zum Einsatz.
• Im sich anschließenden elektromagnetischen Kalorimeter werden geladene
  Teilchen (Elektronen, Positronen) absorbiert. Dabei kann man die Energie
  dieser Teilchen bestimmen.
• Ein hadronisches Kalorimeter dient auch der Energiebestimmung, jedoch
  steht hier die ladungsunabhängige Absorption im Vordergrund, wodurch
  insbesondere Hadronen (auch ohne Ladung) registriert werden können.
• Die letzte Detektorschicht dient der Myonenregistrierung – dies sind die
  Myonenkammern.
Neutrinos kann man in diesen Detektoren nicht direkt registrieren, da sie sämt-
liche Detektorbereiche durchdringen, ohne mit ihnen wechselzuwirken – auf ihre
Existenz muss man durch die Auswertung der anderen Messwerte rückschließen.
ATLAS
Der Detektor (siehe Abbildung 4) ist eine riesige Maschine: Er ist 45 m lang und
25 m hoch (das ist halb so groß wie die Kathedrale Notre-Dame in Paris). Er hat
toroidförmige (doughnutförmige) supraleitende Magnete. Daher leitet sich sein
Name ab: A Toroidal LHC ApparatuS.
CMS
Der Detektor (siehe Abbildung 5) unterscheidet sich vom ATLAS. Mittels einer
großen Zylinderspuleneinheit kann ein Magnetfeld von 4 T erzeugt werden. Sein
Name Compact Muon Solenoid leitet sich dabei aus seinen relativ kompakten
Abmessungen, den Zylinderspulen und der Fähigkeit ab, besonders gut Myonen-
spuren verfolgen zu können.

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Abb. 4: Aufbau des ATLAS-Detektors

Abb. 5: Aufbau des CMS-Detektors

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Aufgaben

Die folgenden Aufgaben geben einen Einblick in das Standardmodell der Teil-
chenphysik, ermöglichen eine Vorstellung von den Größenordnungen der ver-
wendeten Energien und zeigen die physikalischen Grundprinzipien auf, die die
Grundlage für die hochkomplexen Maschinen im CERN sind. Das Higgs-Boson
selbst steht im Zentrum der dritten Aufgabe, die vierte Aufgabe behandelt die
Protonenbeschleunigung im LHC.

1. a) Verschaffen Sie sich mithilfe einer einfachen Skizze einen Überblick über
      das Standardmodell der Teilchenphysik. Wie viele Elementarteilchen sind
      bekannt? Aus welchen Bausteinen ist die Materie aufgebaut?
     b) Was sind sogenannte Wechselwirkungsteilchen bzw. Eichbosonen?
        Welche gibt es und wofür sind sie verantwortlich?
    c) Welche Rolle spielt das Higgs-Boson?

2. Im großen Beschleuniger- und Speicherring des CERN, dem Large Hadron
   Collider (LHC), wurden im Jahr 2012 Protonen auf Energien von 4 TeV be-
   schleunigt, um das Higgs-Boson zu entdecken. Die Aufprallenergie im
   Zentrum einer Kollision betrug dabei etwa 8 TeV. Etwa alle 30 – 50 ns
   können Protonen im LHC an definierten Stellen miteinander kollidieren.
    a) Wie groß ist die Energiemenge 1 TeV in der klassischen Energieeinheit
       Joule? Finden Sie einen Vergleich aus unserer Umwelt für die Protonen-
       energie 4 TeV, beispielsweise mit einer Stechmücke?
     b) Vergleichen Sie die Protonenenergie 4 TeV mit dem Fotoeffekt. Beim
        Fotoeffekt an einer Zinkoberfläche muss eine Ablösearbeit von mindes-
        tens 3,95 eV geleistet werden. Nun soll angenommen werden, dass die
        Kollisionsenergie als Photonenstrom auf die Zinkplatte fällt. Welcher
        Stromfluss ließe sich dann nachweisen, wenn alle Fotoelektronen zur
        Anode gelangen würden?
     c) Warum nutzt man die Einheit GeV als Masseangabe?
     d) Bestimmen Sie die Masse und Geschwindigkeit der 4-TeV-Protonen im
        LHC in den Standardeinheiten und als Vielfache der Protonenruhemasse
        bzw. der Lichtgeschwindigkeit.

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3. a) Im LHC des CERN hat man das Higgs-Boson durch die Kollision von
      Protonen erzeugt. Wie kann man diese Erzeugung mithilfe des Standard-
      modells erklären?
     b) Die Masse des Higgs-Bosons, das man im CERN gefunden hat, beträgt
        ca. 125 GeV. Bestimmen Sie die Masse als Vielfaches der Protonen-
        ruhemasse mP,0, um einen Eindruck von dieser Größenordnung zu
        bekommen. Vergleichen Sie Ihr Ergebnis auch mit der Masse der
        4-TeV-Protonen und diskutieren Sie Ihr Ergebnis.

4. a) Informieren Sie sich über die Grundprinzipien der Protonenbeschleuni-
      gung im LHC des CERN. Was bedeutet der Name LHC?
     b) Schätzen Sie mithilfe der Aufgabe 2 ab, wie stark ein Magnetfeld sein
        muss, das die 4-TeV-Protonen auf der 27 km langen Beschleunigerbahn
        des LHC halten kann.
     c) Der LHC ist in der Lage, magnetische Flussdichten bis zu etwa 8 Tesla zu
        erzeugen. Welche maximale Energie könnte man demzufolge einfach ge-
        ladenen Elementarteilchen zuführen?
     d) Im LHC findet etwa alle 50 ns eine Kollision statt. Welche Geschwindig-
        keit müssten demzufolge die Protonen haben, damit sie sich so oft treffen
        können? Ermitteln Sie aus dem sich ergebenen Widerspruch die Anzahl
        der gleichzeitig transportierten Protonenpakete im LHC-Speicherring.

Bildnachweis:
Abb. 2: © 2008 CERN
Abb. 3b: © 2005 CERN
Abb. 4: ATLAS Experiment © 2008 CERN
Abb. 5: © CERN, for the benefit of the CMS Collaboration 2011

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Lösung

1 a) Das Standardmodell der Teilchenphysik (siehe Abbildung 6) ist eine
     Theorie, die mit ihrer Beschreibung der drei Familien von Elementar-
     teilchen und ihrer Wechselwirkungen bis heute Gültigkeit besitzt.

         Abb. 6: Vereinfachtes Standardmodell
         Die Fermionen bilden die eigentlichen Bausteine der Materie, sie werden
         in die 6 Quarks und die 6 Leptonen unterteilt. Zu den Fermionen gehören
         jeweils noch die entsprechenden Antiteilchen, sodass insgesamt 24 Ele-
         mentarteilchen dem Standardmodell der Teilchenphysik zugrunde liegen.
         Protonen und Neutronen und damit die Materie sind nur aus 3 der 24 Ele-
         mentarteilchen aufgebaut: aus den up- und down-Quarks sowie den
         Elektronen.
     b) Die Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen werden durch
        die Bosonen (sogenannte Wechselwirkungsteilchen) vermittelt.
        • Photonen vermitteln die elektromagnetische Wechselwirkung.
        • Gluonen vermitteln die starke Wechselwirkung im Kern.
        • Z- und W-Bosonen vermitteln die schwache Wechselwirkung – sie ist
          für Zerfallsprozesse u. Ä. zuständig.
     c) Das Higgs-Boson spielt eine besondere Rolle – es bricht die Symmetrie
        der elektroschwachen Wechselwirkung und verleiht den Bosonen der
        schwachen Wechselwirkung ihre Masse.

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2. a) Die Energie 1 eV ist die Energiemenge, die einem Elektron durch eine
      Beschleunigungsspannung von 1 V zugeführt wird.
              eV 1, 602 ⋅10 −19 J
             1=
           1 TeV =1, 602 ⋅10 −19 ⋅1012 J =1, 602 ⋅10 −7 J

        Bekannt ist, dass die Energieeinheit 1 Joule z. B. der Energie entspricht,
        die man aufwenden muss, um eine Tafel Schokolade der Masse 100 g um
        1 m hochzuheben.
        4 TeV sind nun nach der Berechnung gerade einmal etwa 6,4 ⋅ 10 –7 J, also
        weniger als ein Millionstel dieser Energie. Deshalb eignet sich etwas sehr
        Leichtes als Vergleich.
        Eine Stechmücke hat eine Masse von ca. 1,5 Milligramm. Wenn sie sich
        schnell bewegt, schafft sie etwa einen Meter pro Sekunde. Ihre kinetische
        Energie beträgt dann also:

                                                        ( )
                                                                2
            E Mücke =12 m ⋅ v 2 =12 ⋅1,5 ⋅10 − 6 kg ⋅ 1 ms          =7,5 ⋅10 −7 J

        Eine Mücke bringt also so viel Energie zum Fliegen auf, wie die teuerste
        Maschine der Menschheit den Protonen zuteilen kann. Dieser Vergleich
        hinkt, denn im LHC reagieren viele Protonen pro Sekunde miteinander
        bzw. werden viele Protonen gleichzeitig bewegt. Pro Sekunde fallen im
        LHC Energiemengen an, die eher mit der Frontalkollision eines kom-
        pletten Güterzuges und einer unendlich stabilen Wand verglichen werden
        können.
     b) Ein Photon der Energie 3,95 eV kann ein Elektron aus der Zinkoberfläche
        lösen. Bei 4 TeV entspricht dies dem Photonenstrom von
                     4 ⋅ 1012 eV
         =
         n Ph         3,95 eV
                                   ≈ 1⋅1012 Photonen,
        die gleichzeitig auf die Oberfläche treffen. Da eine solche Reaktion etwa
        alle 50 ns stattfindet, sind das pro Sekunde
                1s
                        =   2 ⋅10 7
           50 ⋅ 10 −9 s
        solcher Photonenpakete bzw. ne = 2 ⋅ 107 ⋅ 1012 = 2 ⋅ 1019 Elektronen.
        Der Strom lässt sich also abschätzen zu:
                        n ⋅e
                               2 ⋅1019 ⋅1, 602 ⋅10 −19 1Cs =
                 Q
            I=t
                =et            =                           3, 2 A

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c) In Beschleunigungsstrecken wird den Elementarteilchen Energie zuge-
       führt. Diese ist fast gleich ihrer Gesamtenergie, da die Energie ein Viel-
       faches ihrer Ruheenergie ist. Nach der Beziehung E = m ⋅ c2 ist diese
       Energie auch ein Maß für die Masse der Teilchen; man spricht deshalb
       anstelle von Energie von der Masse der Elementarteilchen. Korrekter-
       weise müsste man die Masse in GeV    2
                                              angeben.
                                                                     c
    d) Die Protonen werden auf eine Energie von 4 TeV beschleunigt. Etwas
       vereinfacht kann man nun davon ausgehen, dass ihre Masse der Energie-
       Masse-Äquivalenz entsprechend nach E = m ⋅ c2 bestimmt werden kann.
       Diese Vereinfachung ist zulässig, da die Ruheenergie kaum eine Rolle
       spielt. Für die „bewegte“ Masse des Protons folgt nun:
                                              4 ⋅ 1,602 ⋅ 10 −19 J
                                                                     = 7,12 ⋅10 −24 kg
                             4 TeV
               =
               m      E=          =
                      c2       c2
                                                ( 3 ⋅ 108 ms )
                                                                 2

          Die Ruhemasse des Protons ist m=         −27 kg, also gilt:
                                         0 1,6 ⋅10
                       7,12 ⋅ 10 −24 kg
    =m                  =                       4 450
     m            0    1,6 ⋅ 10 −27 kg

         Damit ist die bewegte Masse das gut 4 000-Fache der Ruhemasse.
         Wie schnell sind diese 4-TeV-Protonen?
         Da sich ihre Masse im Beschleunigungsprozess stark vergrößert hat, muss
         man den relativistischen Effekt der Massenzunahme berücksichtigen.
         Nach Einstein gilt für die veränderte Masse bei einer Annäherung an die
         Lichtgeschwindigkeit die Beziehung:
               =
               m m0 ⋅              1
                               (1 − vc2
                                      2
                                          )
          Dieser Zusammenhang kann nun nach v umgeformt werden:

               ( )                                               ( )
                       2                                             m0 2
                 m         =1             ⇒       v2   =
                                                       1−
                 m0
                            (1 − ) v2
                                   c2
                                                  c2                 m

                                        ( )
                                          m0 2
                                                                                   (           )
                                                                                                   2
                 ⇒ v =c ⋅ 1 −             m
                                                     =3 ⋅108             m⋅
                                                                         s
                                                                              1−         1
                                                                                       4 450
                                                                                                       =2,99999992 ⋅108   m
                                                                                                                          s

         In Bezug auf c= 3 ⋅108 ms ergibt sich ein Verhältnis von 99,999997 %.
         Die Protonen im LHC fliegen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit.

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3. a) Die Entstehung eines Higgs-Teilchens ist gleichsam der Nachweis für die
      Existenz des Higgs-Feldes, denn das Higgs-Teilchen ist physikalisch eine
      Art Quantenzustand des Higgs-Feldes, in dem sich kurzfristig die konzen-
      trierte Energie zu Masse wandelt. Für diese Feldanregung ist sehr viel
      Energie notwendig – deshalb beschleunigte man die Protonen auf die
      Werte von 8 TeV Kollisionsenergie. Bei den Zusammenstößen zersplit-
      tern die Protonen in ihre Bestandteile. Ein Teil der Kollisionsenergie
      verwandelt sich in Materie – in diesem Fall in Higgs-Teilchen. Es ist also
      nicht etwa in den kollidierenden Protonen enthalten bzw. versteckt
      gewesen, es entsteht, weil genügend Anregungsenergie durch die Kolli-
      sion an das Higgs-Feld übertragen werden konnte.
     b) Die Berechnungen zur Massebestimmung sind hier analog denen zur
        Bestimmung der Protonenmasse. Der Unterschied besteht darin, dass der
        Energiebetrag von 125 GeV im Falle des Higgs-Bosons tatsächlich seiner
        Ruhemasse entspricht, durch Rückschluss aus den Zerfallsprodukten ist
        man auf diesen Wert gekommen. Mittels E = m ⋅ c2 erhält man wiederum
        die Masse in der Einheit Kilogramm:
               =
            m H,0     E=   2, 25 ⋅10 −25 kg
                      c2
                                               = 1, 7 ⋅10 −27 kg , das Higgs-
        Die Protonenruhemasse beträgt etwa m P,0
        Teilchen ist also ungefähr 130-mal schwerer als ein Proton:
            m H,0 ≈ 130m P,0

        Vergleicht man die Ruheenergie von 0,94 GeV beim Proton mit der von
        125 GeV beim Higgs-Boson, dann zeigt sich ebenfalls derselbe Faktor
        von etwa 130, da ja E ~ m gilt.
        Die Protonen, die zur Erzeugung der Higgs-Teilchen zusammenstoßen,
        hatten jeweils eine Energie von 4 TeV, also eine Masse von 4 000 Ruhe-
        massen des Protons (siehe Teilaufgabe 2d) bzw.
            4 000
             130
                    ≈ 31
        Ruhemassen des erzeugten Higgs-Teilchens. Eigentlich sind es sogar
        62 Ruhemassen, da ja die Kollisionsenergie 8 TeV betrug. Man erkennt,
        dass die Erzeugung des Higgs-Bosons offenbar deutlich mehr Energie
        benötigt, als dessen Masse erwarten lässt. Die Anregungsenergie des
        Higgs-Feldes muss also ein Vielfaches seiner eigenen Ruheenergie sein.

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4. a) Der LHC ist ein Ringbeschleuniger (Synchrotron), der speziell für die Be-
      schleunigung und Kollision von Protonen gebaut wurde. Der LHC besteht
      aus mehreren Beschleunigern, die aufeinanderfolgen und die Protonen auf
      bis zu 7 TeV beschleunigen können. Letztendlich fliegen die Protonen
      fast mit Lichtgeschwindigkeit in dem Ring. Die Protonen werden in zwei
      parallelen Röhren in gegenläufige Strahlen gebündelt, die dann zur
      Kollision gebracht werden können. Um die Protonen auf einer stabilen
      Bahn zu halten, müssen viele starke Magnetfelder rund um den Beschleu-
      niger aufgebaut sein. Da diese Magnete größtenteils supraleitend sind,
      wird der LHC mit Stickstoff und Helium auf ca. –273,1°C gekühlt. Wei-
      ter herrscht ein ultrastarkes Vakuum im LHC, das besser als das Vakuum
      auf dem Mond ist.
      Der Name des LHC setzt sich aus drei Wörtern zusammen:
      • Large: Denn der Hauptring hat eine Länge von etwa 27 km.
      • Hadronen: Teilchen, die der starken Wechselwirkung unterliegen, also
        z. B. Protonen und Neutronen. Es gibt noch weitere Hadronen, die aber,
        wegen ihrer sehr geringen Lebensdauer, für Experimente ungeeignet
        sind.
      • Collider: Gibt den Zweck des Geräts an – Protonen sollen zu-
        sammenstoßen, um dabei andere und neue Teilchen zu erzeugen.
    b) Der Speicherring des LHC hat eine Länge bzw. einen Umfang von 27 km
       und damit einen Radius r = 2Uπ .
       Das Magnetfeld, das die Protonen auf dieser Kreisbahn hält, muss die
       notwendige Radialkraft erzeugen, also gilt:
          Radialkraft = Lorentzkraft
                             2
                       m ⋅ vr = e ⋅ v ⋅ B
          Für das Magnetfeld besitzen die Protonen ihre dem Energiewert 4 TeV
          entsprechende bewegte Masse von m = 7,12 ⋅ 10 –24 kg (siehe Teilauf-
          gabe 2). Die Geschwindigkeit beträgt 99,999997 % der Lichtgeschwin-
          digkeit, somit folgt:
                     m⋅v
               B=    e⋅r
                     7,12 ⋅ 10 −24 kg ⋅ 0,99999997 ⋅ 3 ⋅ 108   m
                      =
                      −27 27 000 m
                                   s
                                     3,1 T
                                 1,6 ⋅ 10   C⋅     2π

6362 Unterrichts-Materialien Physik Stark Verlag                                 15
c) Wenn man Flussdichten bis zu 8 Tesla erzeugen kann, dann wird die Ge-
        schwindigkeit der Teilchen noch näher an der Lichtgeschwindigkeit lie-
        gen. Die grundsätzliche Energiebilanz bleibt erhalten:
                  2                                e⋅v⋅B⋅r       e⋅B⋅r
            m ⋅ vr = e ⋅ v ⋅ B, also m =                     =
                                                     v2            v
        Für die Masse muss man wiederum bedenken, dass m = cE2 gilt, wobei E
        gerade die Energie ist, die das Teilchen haben muss, um die Kreisbahn
        einzuhalten. Mit der Näherung v = c folgt nun:
                            e⋅B⋅r
            m=    E    =                ⇒ E = e⋅B⋅r⋅c
                  c2          c
        Somit folgt für die maximal im LHC erreichbare Energie einfach gela-
        dener Teilchen:
            E maximal = 1,6 ⋅10 −19 C ⋅ 8 T ⋅                                     1,7 ⋅10 − 6 J
                                                      27 000 m
                                                         2π
                                                               ⋅ 3 ⋅108 ms =

        Das ist in etwa die 2,5-fache Energie der Versuche mit 4-TeV-Protonen.
        Die Energie ist zur Masse proportional und gleichzeitig zur verwendeten
        Flussdichte; eine Verdopplung der Flussdichte führt also zu einer Ver-
        dopplung der nutzbaren Kollisionsenergie.
     d) Im LHC findet etwa alle 50 ns eine Kollision statt. Wäre dies durch das
        immer gleiche Paket von Protonen realisiert, dann müsste das Paket pro
                      1s
        Sekunde               = 2 ⋅10 7 -mal den Speicherring umlaufen, also
                 50 ⋅ 10 −9 s
        folgende Strecke s zurücklegen:
            s= 27 000 m ⋅ 2 ⋅10 7= 5, 4 ⋅1011 m
        Daraus resultiert die Geschwindigkeit v:
            c=   s=
                 t
                       5, 4 ⋅1011       m,
                                        s
        was nicht möglich ist, da das deutlich größer als die Lichtgeschwindigkeit
        ist. Es müssen sich also mehr als ein Protonenpaket in dem Speicherring be-
        wegen. Die Anzahl kann man berechnen, indem man die von den Protonen
        vermeintlich zurückgelegte Strecke durch die tatsächlich zurückgelegte
        Strecke pro Sekunde teilt:
                           5,4 ⋅ 1011   m
=N                                      s
                                                 ≈ 1800
                  0,99999997 ⋅ 3 ⋅ 108       m
                                             s

        Es sind ca. 1 800 Protonenpakete gleichzeitig im LHC.

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