Landschaft der Forschungsinfrastrukturen - LHC - der weltgrößte Teilchenbeschleuniger - Welt der Physik
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FORSCHUNGSINFRASTRUKTUR: LHC, STAND 14. DEZEMBER 2015 2 LHC – der weltgrößte Teilchenbeschleuniger Groß, größer, LHC: Der Large Hadron Collider am CERN bei Genf ist mit einem Umfang von 27 Kilometern der größte und leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger, der jemals gebaut wurde. An dieser „Weltmaschine“ wurden mehrere Teilchen erstmals nachgewiesen – darunter ein grundlegender Baustein des Standardmodells der Teil- chenphysik, das sogenannte Higgs-Boson. Nach umfangreichen Wartungsarbeiten stoßen die Wissenschaftler nun in noch höhere Energiebereiche vor. Damit hoffen sie, offene Fragen der Teilchenphysik und des Ursprungs unserer Welt zu klären. Wie ist Materie aufgebaut? Und was hält sie im In- positiv geladenen Bausteine der Atomkerne – ein- nersten zusammen? Mit diesen Fragen beschäftigten gespeist werden. Supraleitende Magnetspulen, die sich bereits Philosophen wie Demokrit in der Antike. keinen elektrischen Widerstand besitzen, halten die Während den griechischen Atomisten ausschließlich geladenen Teilchen mit starken Magnetfeldern auf ih- Gedankenmodelle zur Verfügung standen, um über die rer Bahn innerhalb des Speicherrings. Im LHC werden Beschaffenheit der Materie im Kleinsten zu philoso- zwei gegenläufige Protonenstrahlen auf Energien bis phieren, ergänzen sich in der modernen Naturwis- zu 6,5 Teraelektronenvolt beschleunigt und stoßen senschaft Theorie und Experiment. Das Bild, das wir schließlich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit aufein- heutzutage vom Aufbau der Materie und den zugrunde ander. liegenden Kräften haben, hat sich inzwischen dras- tisch geändert und präzisiert. Beschrieben wird es in Die Energien sind bei derartigen Kollisionen so hoch, dem sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik. dass die Protonen im Einzelnen zerstört werden, aber Mit dem bisher leistungsstärksten Teilchenbeschleu- sämtliche elementaren Wechselwirkungen – die Gravi- niger, dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei tation, der elektromagnetische, die schwache und die Genf, stellen Physiker in internationaler Zusammenar- starke Kraft – zum Zuge kommen und dadurch neue beit dieses Modell auf den Prüfstand. Teilchen erzeugt werden. Zwar zerfallen viele dieser Partikel rasch wieder in andere Teilchen, so dass die Der Beschleuniger ursprünglichen sich gar nicht direkt detektieren las- Der Large Hadron Collider (LHC) befindet sich im sen. Jedoch entstehen bei diesen Zerfällen Teilchen, Grenzgebiet zwischen Schweiz und Frankreich. Haupt- die in speziell dazu gefertigten Detektoren ihre Spuren bestandteil ist ein unterirdischer, rund 27 Kilometer hinterlassen. langer Beschleunigerring, in den Protonen – die Geneva CERN LHCb ALICE CMS ATLAS LHCb PS ATLAS BOOSTER ALICE SPS CMS LHC ~100 m Der LHC am CERN liegt in Genf im Grenzgebiet zwischen Frankreich und der Schweiz. Mit seinem 27 Kilometer langen Tunnel ist er der längste Ringbeschleu- niger der Welt. Die vier großen Experimente ALICE, ATLAS, CMS und LHCb sind in unterirdischen Räumen aufgebaut. Zwei gegenläufige Teilchenstrahlen werden jeweils so durch den Ringtunnel geführt, dass sie sich im Zentrum der Detektoren kreuzen und dort zusammenstoßen. (Bild: CERN)
FORSCHUNGSINFRASTRUKTUR: LHC, STAND 14. DEZEMBER 2015 3 Die Experimente Deutsche Beiträge zum LHC Insgesamt sind vier große Teilchendetektoren in Deutschland übernimmt mit ca. 200 Millionen Euro im den LHC eingebaut. Mit ATLAS, einem der beiden Jahr rund 20 Prozent des CERN-Haushaltes, aus dem Vielzweckdetektoren, sind die Physiker unter anderem der Betrieb des LHC bezahlt wird. Damit ist Deutsch- auf der Suche nach dem Higgs-Boson sowie Teilchen, land der größte Geldgeber und sichert sich so eine die die Dunkle Materie ausmachen könnten. Der herausragende Position innerhalb der Teilchenphysik. zweite große Vielzweckdetektor, CMS, hat ähnliche Das Bundesministerium für Bildung und Forschung Ziele wie ATLAS. Hiermit suchen die Forscher ebenfalls (BMBF) fördert außerdem alle vier LHC-Experimente nach dem Higgs-Boson, Teilchen der Dunklen Materie mit Mitteln aus der sogenannten Verbundforschung. und stellen das Standardmodell der Teilchenphysik Diese Förderung ermöglicht es deutschen Univer- auf den Prüfstand. Allerdings unterscheiden sich die sitäten, sich mit wesentlichen Beiträgen an ATLAS, beiden Detektoren in ihrem technischen Aufbau. CMS, ALICE und LHCb zu beteiligen. Mit ihrem Fach- Beide Detektoren ergänzen sich und werden von wissen – vor allem im Detektorbau und in der Daten- unabhängigen Arbeitsgruppen betrieben. Dies ist vor auswertung – sorgen die Universitäten dafür, dass allem auch für Neuentdeckungen wie etwa dem Higgs- die LHC-Experimente ständig weiterentwickelt und Teilchen im Jahr 2012 von Bedeutung. Denn mit den wissenschaftlich effizient genutzt werden. bisher verfügbaren Eigenschaften des LHC liegt das Higgs-Teilchen im Grenzbereich des Nachweisbaren. Im Zuge des – weiter unten beschriebenen – High- Auf diese Weise lassen sich die Ergebnisse beider Luminosity-Upgrades soll die Leistungsfähigkeit des Experimente gegenseitig auf ihre Zuverlässigkeit LHC ab 2023 weiter erhöht werden. Damit die Experi- überprüfen. mente mit dieser Entwicklung Schritt halten können, Die beiden weiteren Experimente sind speziellen For- ist ein Ausbau der Detektoren geplant. Für dieses men von Materie gewidmet. Mit ALICE untersu¬chen sogenannte Phase-II-Upgrade stellt das Ministerium in die Wissenschaftler das Quark-Gluon-Plasma – ein einem ersten Schritt zusätzliche Mittel bereit. Daraus Materiezustand, der kurz nach dem Urknall herrschte werden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an den und sich ebenfalls nur bei extrem hohen Energien beiden Detektoren finanziert. Insgesamt sind mehr erzeugen lässt. Damit wollen sie die Natur der starken als 1000 deutsche Forscherinnen und Forscher an den Wechselwirkung besser verstehen. Mit dem Experi- CERN-Experimenten beteiligt. ment LHCb überprüfen die Physiker das Standard- modell der Teilchenphysik, indem sie nach winzigen Unterschieden zwischen Materie und Antimaterie suchen. 2012 wurde am LHC erstmals das Higgs-Teilchen sowohl mit dem AT- Wie auch der CMS-Detektor ist der ATLAS-Experiment dem Test des Stan- LAS- als auch dem CMS-Experiment nachgewiesen. Direkt lässt es sich dardmodells und der Untersuchung des Higgs-Teilchens verschrieben. allerdings nicht detektieren, da es viel zu schnell zerfällt. Doch die dabei Allerdings basiert der ATLAS-Detektor auf einer anderen Technologie als entstehenden Sekundärteilchen hinterlassen ihre Spuren, wie hier im der CMS. Er besteht aus sechs Subdetektorsystemen und ist der größte CMS-Detektor, anhand derer die Physiker auf die Existenz des Elementar- jemals konstruierte Teilchendetektor. (Bild: Claudia Marcelloni/CERN) teilchens und auf dessen Masse schließen können. (Bild: CERN)
FORSCHUNGSINFRASTRUKTUR: LHC, STAND 14. DEZEMBER 2015 4 Bisheriger Betrieb und aktuelles Upgrade Für 2019/2020 ist eine weitere Wartungsphase ge- Obwohl der LHC während der ersten Betriebsphase nur plant, bei der die Vorbeschleuniger, mit denen die Pro- auf maximal 75 Prozent der Nominalleistung gefahren tonen in den Beschleunigerring eingespeist werden, werden konnte, hat er bis 2012 doppelt so viele Daten verbessert werden sollen. geliefert wie ursprünglich vorgesehen. Während dieser ersten Laufzeit entdeckten die Physiker sowohl in High-Luminosity-Upgrade für den LHC den Daten des ATLAS- als auch des CMS-Experiments Weitere Wartungsarbeiten sind für 2024 bis 2026 das gesuchte Higgs-Teilchen. Für Wartungs- und vorgesehen. In dieser Zeit soll der LHC für eine noch Umbauarbeiten wurde die Beschleunigeranlage ab bessere Strahlleistung und genauere Messungen fit Februar 2013 für gut zwei Jahre heruntergefahren. In gemacht werden. Dann sollen unter anderem neue der Zwischenzeit wurden die Verbindungen zwischen supraleitende Magnete an den Detektoren ATLAS und sämtlichen Magnetsegmenten auf mögliche Schäden CMS eingebaut werden, mit denen sich der Protonen- hin überprüft und falls notwendig repariert. Außerdem strahl besser bündeln lässt. Außerdem sollen sie der wurden die Verbindungen zusätzlich gestärkt. neuen Strahlleistung besser standhalten können als ihre Vorgänger. Um die kollidierenden Teilchenpakete Nach der Wartung läuft der LHC nun erstmals mit besser ausrichten zu können, wollen die Physiker zu- Strahlenergien von 6,5 Teraelektronenvolt. Die Anlage sätzliche Ablenkelemente installieren und die Detek- ging im Frühjahr 2015 wieder in Betrieb und nimmt toren mit neuer Technologie ausstatten. seit Juni 2015 neue Daten auf. Die Kollisionsenergie ist dabei fast doppelt so hoch wie zuvor. Mit diesen In der darauffolgenden Messphase von 2026 bis 2035 neuen Möglichkeiten hoffen die Physiker unter an- soll der LHC bei entsprechend höheren Kollisionsraten derem, das Higgs-Teilchen genauer charakterisieren ein zehnmal höheres Datenvolumen liefern als in der zu können. Während die bisherigen Experimente das ersten Betriebsphase von 2010 bis 2022. Auf diese Standardmodell bestätigt haben, werden in dem neu Weise lassen sich auch sehr seltene Teilchen nachwei- zugänglichen Energiebereich zudem völlig neue physi- sen – und möglicherweise neue Physik jenseits des kalische Phänomene erwartet. Man hofft, das Modell Standardmodells entdecken. der sogenannten Supersymmetrie testen zu können. Es kann als Erweiterung des Standardmodells verstan- den werden und schließt unter anderem die Dunkle Materie mit ein. Der CMS-Detektor ist um eine supraleitende Magnetspule gebaut. In einem vier Tesla starken Magnetfeld werden die Teilchen, die bei den Kollisionen im LHC entstehen, abgelenkt. Anhand der im CMS-Detektor hinterlassenen Spuren lassen sich Rückschlüsse auf die Natur der Sekun- där- und Primärteilchen ziehen. (Bild: CERN)
FORSCHUNGSINFRASTRUKTUR: LHC, STAND 14. DEZEMBER 2015 5 Steckbrief LHC Typ: Teilchenbeschleuniger Technologie: Synchrotron, supraleitender Speicherring Standort: Genf, Schweiz Betreiber: CERN –Europäische Organisation für Kernforschung Gesamtbudget CERN: 1,182 Milliarden Schweizer Franken (Stand 2015) Deutsche Beteiligung am CERN: rund 20 Prozent – ca. 200 Millionen Euro (Stand 2015) Betriebsbeginn: 2008 Wartung und erstes Upgrade: 2013 – 2015 Neustart: Frühjahr 2015 Länge des Beschleunigers: 27 Kilometer Strahlenergie: max. 6,5 Teraelektronenvolt Kollisionsenergie: max. 13 Teraelektronenvolt Kollisionsrate: 600 Millionen pro Sekunde Strahleigenschaften: Protonenstrahl aus 2808 Teilchenpaketen mit einer Länge von 30 Zentimetern Teilchen pro Paket: 1,15 ⋅ 1011 Protonen Betriebstemperatur: –271,3 °C Großexperimente: 4: ALICE, ATLAS, CMS und LHCb Bestandteil folgender Roadmaps: European Strategy for Particle Physics (High-Luminosity-Upgrade) 21: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland (20%), Finnland, Frankreich (15%), Grie- Beteiligte Länder: chenland, Großbritannien (14%), Italien, Israel, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Tschechien, Ungarn Quelle: http://www.weltderphysik.de/vorort/forschung-an-grossgeraeten/physik-kleinster-teilchen/lhc/
FORSCHUNGSINFRASTRUKTUR: LHC, STAND 14. DEZEMBER 2015 6 Impressum Dieser PDF-Beitrag ist Teil des Online-Projekts „Land- schaft der Forschungsinfrastrukturen“, das der Pro- jektträger DESY im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gestaltet und umsetzt. Dar- in stellen wir Großforschungsanlagen der naturwissen- schaftlichen Grundlagenforschung aus aller Welt vor, an denen sich Deutschland derzeit wissenschaftlich und finanziell beteiligt – vom Radioteleskop ALMA bis zum Röntgenlaser European XFEL. Herausgeber: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY Abteilung Projektträger DESY Notkestraße 85 22607 Hamburg pt@desy.de https://pt.desy.de Stand: 14. Dezember 2015 Redaktion und Koordination: Dr. Claudia Schneider Design und Layout: Britta von Heintze Bildnachweis (Titelbild, Weltkarte): CERN, Britta von Heintze/Welt der Physik
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