Entstehen hier die Wohnungen der Zukunft? - Mirjam Candan

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        Entstehen hier die
        Wohnungen der Zukunft?
Die Genossenschaft «Legeno» will dem Wagenareal am Eingang des Grubentals neues Leben bescheren.                                   Fotos: Peter Pfister

WOHNEN Die Stadt vergibt                          jekt Wagi, das hier geplant und auch gleich        oben. Praktisch keine Genossenschaft hat
                                                  umgesetzt wird, erinnert entfernt an Vor-          Leerstände, bei vielen gibt es Wartelisten.
neuerdings Liegenschaften an                      zeigeprojekte wie die Siedlung Kalkbreite in            Während sich Spekulanten auf dem
junge, innovative Wohnbau-                        Zürich, wo die Menschen gemeinschaftlicher         Wohnungsmarkt tummeln und versuchen,
                                                  miteinander leben als in herkömmlichen             möglichst viel Geld aus ihren Liegenschaf-
genossenschaften. Zu Besuch                       Siedlungen.                                        ten zu pressen, ist das Prinzip Kostenmiete
bei der Avantgarde.                                    Wobei die Architekten Roland Hofer und        der Genossenschaft sehr attraktiv: Durch die
                                                  Lukas Somm, die zusammen mit Roger Eif-            Mieten müssen die Genossenschaften nur so
                                                  ler hier tüfteln, die ganze Sache etwas nüch-      viel einnehmen, dass sie die laufenden Kosten
                                                  terner betrachten: Was in Schaffhausen als         (einschliesslich Darlehenszinsen, Bank-Hypo-
Marlon Rusch                                      «visionär» bezeichnet werde, sagen sie, sei an-    thek und Rückstellungen) decken können. Im
                                                  dernorts schlicht «zeitgemäss».                    Zentrum der Überlegungen steht der Mensch,
Es ist kalt an diesem frühen Januarmorgen                                                            nicht der Profit.
im Pop-up-Architekturbüro der Wohnbau-                                                                    Was jetzt aber in den Forschungslabo-
genossenschaft Legeno auf dem oberen Em-          Die Stadt denkt um                                 ren wie dem Pop-up-Büro im Wagenareal
mersberg. Ein kleiner Kanonenofen namens                                                             ausgearbeitet wird, geht über das bisher in
Eskimo 157 N versucht, ein wenig Wärme            Mit ihrer Tiefstapelei spielen die Architekten     Schaffhausen praktizierte genossenschaftli-
in den schlecht verglasten Raum zu lei-           der Legeno ein wenig herunter, dass in der Stadt   che Wohnen hinaus. Das Schlagwort heisst
ten. Über dem Eskimo und dem knarren-             Schaffhausen gerade ein Paradigmenwechsel          «Soziokultur».
den Holzboden hängt eine dekadent hohe            im Gange ist. Als 2016 drei linke Volksinitia-
Decke, an den Wänden klebt eine 120-jährige       tiven zu Landverkäufen, bezahlbarem Wohn-
Tapete, auf den Tischen thronen grossformati-     raum und gemeinnützigem Wohnungsbau                Kein gemachtes Nest
ge iMacs – die Hipster in Leipzig und Berlin      nur knapp scheiterten und 2018 die «Auf-
würden Purzelbäume schlagen.                      wertung des Instruments Baurecht» deutlich         Das Wagi der Genossenschaft Legeno ist für
    Wir befinden uns im Kopfbau des Wagen-        angenommen wurde, hat bei der Stadt ein            die Stadt quasi ein Pilotprojekt. Sie hat ihr
areals, wo ein gewisser Carl Hanslin ab 1898      Umdenken stattgefunden. Sie hat angefangen,        verlottertes Areal so im Baurecht ausgeschrie-
«Lastfuhrwerke aller Art» fabrizierte und         Genossenschaften aktiv zu fördern.                 ben, dass sich nur Teams aus Planern und ge-
reparierte. Heute dient das jahrzehntelang             Die letztwöchige AZ-Geschichte «Im            meinnützigen Genossenschaften bewerben
vernachlässigte Gebäude als architektonisches     Goldfischteich» gab einen Überblick über           können.
Forschungslabor. Hier wird – quasi am­            die erstaunliche Diversität der Schaffhauser           Den Zuschlag erhalten hat die Legeno, eine
lebenden Objekt – erforscht, wie wir in Schaff-   Genossenschafts-Szene. Die Geschichte zeig-        Genossenschaft, hauptsächlich bestehend aus
hausen in Zukunft wohnen könnten. Das Pro-        te aber auch, dass es noch viel Luft gibt nach     Architekten, die eigens zum Zweck gegründet
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wurde, am Studienauftrag teilnehmen zu kön-         seine Tore schliesst; es soll ein Quartiertreff
nen und das Wagenareal zu übernehmen.               werden, mal ein Kino, mal ein Diskussions-                                                  Roland Hofer und L
     Das Projekt Wagi sieht vor, dass der Gross-    raum. Den «Wagi-Saal» im oberen Stock wird                                                  «Legeno» (v.l.) im W
teil des Wagenareals abgerissen wird: lange         man mieten können, als Yoga-Studio oder für                                                 Links: Dejan Mikavi
Hallen, die teils nur eine geringe Traglast ha-     ein Schachturnier. Der Innenhof wird das                                                    und Susanne Albre
ben, und Wände, durch die die Sonne hinein-         Herzstück der Siedlung, wie im grossen Gar-                                                 von der «Genossen
scheint. Stehen bleiben soll der Kopfbau, in        ten wird es keine privaten Aussenbereiche                                                   Architekturbüro in
dem sich die Planer ihr Pop-up-Architekturbü-       geben. Neben herkömmlichen Wohnungen
ro eingerichtet haben. Ebenso im Kopfbau: ein       in verschiedenen Grössen sind Cluster-Woh-
Bistro-Veranstaltungsraum, wo die Genossen-         nungen geplant mit Gemeinschaftsräumen,
schaft in den vergangenen Monaten die Nach-         aber auch genügend Rückzugsmöglichkeiten;
barn jede Woche zum Austausch willkommen            etwa für Patchwork-Familien. Der Energiever-        gen müssen vom Bund geprüft werden. Ein
hiess.                                              brauch ist auf 2000 Watt pro Kopf ausgelegt.        epischer Papierkrieg. Lukas Somm redet von
     Austausch – er zieht sich wie ein roter        Statt privaten Parkplätzen gibt es ein Carsha-      einer Lernkurve, in der man sich befinde.
Faden durch das Legeno-Konzept. Die Archi-          ring mit Elektroautos.                                   Derzeit laufen Gespräche mit mehreren
tekten entwickeln, zeichnen Pläne, stellen die           Was klingt wie ein Werbespot für die mo-       Banken, die bereit sind, das Projekt zu finanzie-
Infrastruktur bereit. Doch mit der Eröffnung        derne Familie, kommt nicht überall gut an.          ren. «Wir brauchen aber auch noch mehr Leu-
soll das Wagi nicht fertig sein. Am Steuer der      Aus Kreisen von SVP und FDP wurde bereits           te, die Anteilsscheine zeichnen», sagt er. Der
Genossenschaft stehen nicht nur klassische Ar-      geschrien, Autofahrer würden benachteiligt.         Kauf könnte sich ganz konkret lohnen: Nur
chitekten, sondern mit Mirjam Candan auch           Bei der Legeno löst das Thema nur Kopfschüt-        Genossenschafterinnen und Genossenschafter
eine soziokulturelle Animatorin, die den Bo-        teln aus: «Wenn man in der Altstadt wohnt, ist      dürfen sich auf eine der 23 Wohnungen bewer-
den bereiten soll für ein gemeinschaftliches        man ja auch ‹autoarm› – es steht einfach nicht      ben. Im Sommer werden die ersten vergeben.
Zusammenleben. Nach dem Einzug sei es               im Mietvertrag», sagt Lukas Somm. Die Lege-         Einzugbereit sind sie vermutlich im Herbst/
an den Bewohnerinnen und Bewohnern, das             nos sagen, sie wollten eigentlich nicht politisch   Winter 2022. Wider Erwarten gab es keine
Zusammenleben zu gestalten. Die Genossen-           sein, aber eben ökologisch und nachhaltig. Das      Einsprachen gegen den Quartierplan. Jetzt
schaft will Mieterinnen und Mieter, die sich        würde offenbar schon reichen, um sie in die         können die Architekten richtig loslegen.
engagieren, die Siedlung selber weiterdenken.       links-grüne Ecke zu drängen.
Das Ziel sei auch, dass der heutige Vorstand             Die Genossenschafter sind mit dem Wa-
längerfristig kürzertritt und dass vielleicht die   genareal nicht wie die Jungfrau zum Kind ge-        Ein kleines Dorf
eine oder andere Bewohnerin die Aufgaben in         kommen, einige von ihnen sind Mitglieder bei
der Verwaltung übernehmen könnte.                   Zürcher Genossenschaften. Und doch ist das          Während der Eskimo im Wagi-Kopfbau fleis-
                                                    Wagi nicht nur für die Stadt ein Pilotprojekt –     sig gefüttert wird, sitzt Dejan Mikavica in sei-
                                                    sondern auch für die Legeno selbst.                 nem kleinen Architekturbüro in der oberen
Mitten in der Lernkurve                                  Beatrice Moll, die ehemalige Leiterin des      Neustadt.
                                                    Rechtsdienstes des Schaffhauser Baudeparte-              Er hat sich damals zusammen mit der
Das Bistro soll auch bleiben, wenn die Sied-        ments, arbeitet derzeit zwei Tage die Woche an      ebenfalls neu gegründeten Genossenschaft eins
lung steht und das Pop-up-Architekturbüro           den Reglementen. Statuten und Verordnun-            ebenfalls fürs Wagenareal beworben – und im
Entstehen hier die Wohnungen der Zukunft? - Mirjam Candan
— 13. Februar 2020

Lukas Somm von der
Wagenareal.
 ica
echt
nschaft eins» im
  der Neustadt.

         Wettbewerb den zweiten Platz belegt. Als die         benköpfige Wohngemeinschaften. «Wir bauen        schaftsräume bespielt und formell nichts mit
         Stadt dann die nächste baufällige Liegenschaft       aber keine 08/15-Wohnungen», sagt Susanne        der Genossenschaft zu tun haben muss. «Wir
         im Baurecht für eine Genossenschaft ausge-           Albrecht. Die Raum­    figuren mit S-Küchen      würden beide aber auch gerne selber hier
         schrieben hat, bewarb sich die Genossenschaft        sollen möglichst erhalten bleiben, ein Bade-     wohnen», sagen Dejan Mikavica und Susanne
         eins erneut. Diesmal bekam sie den Zuschlag.         zimmer muss reichen, die alten Böden wer-        Albrecht.
         Nun plant Mikavica die Sanierung von 18              den abgeschliffen. «Nachhaltiges, hochwerti-         Auch die neuen Wohnungen am Schlöss-
         Wohnungen am Schlössliweg.                           ges Bauen zu Kostenmiete», nennt es Dejan        liweg sollen im Verlaufe des Jahres 2022 be-
              Hört man ihm und Susanne Albrecht               Mikavica.                                        zogen werden. Wie die Legeno ist auch die
         von der Genossenschaft eins zu, wie sie über ihr          Dafür werden die Wohnungen mit dem          Genossenschaft eins noch auf der Suche nach
         Projekt reden, hört sich das aus architektoni-       riesigen Garten verzahnt. Auch hier, keine 300   Menschen, die Anteilsscheine zeichnen.
         scher Perspektive ganz anders an als das Wagi-­      Meter Luftlinie vom Wagenareal, soll der Aus-
         Projekt. Die Vision des Zusammenlebens aber          senraum zum Quartiertreff werden, mit Feier-
         ist praktisch identisch.                             abendbar, Bouleplatz, Raum für Kulturveran-      Es fängt erst an
              Das Projekt Schlössliweg ist subtiler als das   staltungen: «Das wird wie ein kleines Dorf.»
         Wagi. Es wird nichts abgerissen, es wird nur         Neben dem Garten gibt es einen überdachten       Und wo führt das alles nun hin?
         sanft eingegriffen in die heutige Struktur. «Wir     Dorfplatz im Tiefparterre des Neubaus: Im            Stadtrat Daniel Preisig sagt, dass die neue
         gehen demütig an das Projekt», sagt Mikavica.­       «Schlössli-Keller» ist eine Küche geplant, in    Strategie der Stadt «recht erfolgreich» sei. Als
         Das Ziel: Die heute heruntergekommenen               der man für 50 Menschen kochen kann.             Nächstes werde ein Areal im Alpenblick ver-
         Wohnungen sollen auch künftig zu tiefen                   Am Schlössliweg, sagt Susanne Albrecht,     geben. Die Stadt arbeite derzeit an der Aus-
         Preisen vermietet werden können. Und das             soll jeder wohnen können. Man biete eine         schreibung, in den nächsten Monaten werde
         geht nur, wenn man nicht zu viel investieren         Gemeinschaft an, aber niemand solle zur Ge-      eine Vorlage präsentiert. Und irgendwo im
         muss.                                                meinschaftlichkeit gezwungen werden.             Hinterkopf schlummert noch das Gaswerk
              Dennoch sollen aus heute 18 identischen              Im Unterschied zur Legeno wollen sich die   und das Klostergeviert.
         Wohnungen mit einem Anbau 20 gemacht                 Planer am Schlössliweg nicht aus der Genos-          Das Potenzial ist offenbar da. Und die
         werden, in verschiedenen Grössen, von der            senschaft zurückziehen. Es solle sich zwar ein   Legeno und die Genossenschaft eins sind
         Singlewohnung bis zum Tummelplatz für sie-           eigenständiger Verein bilden, der die Gemein-    hungrig.
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