Epidemiologisches Bulletin 32 2022 - RKI
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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 32 Epidemiologisches 2022 Bulletin 11. August 2022 STIKO-Empfehlung zur Gelbfieber-Auffrischimpfung
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 2 Inhalt STIKO-Empfehlung zur Gelbfieber-Auffrischimpfung vor Reisen in Endemiegebiete und für exponiertes Laborpersonal 3 Gelbfieber ist eine durch Stechmücken übertragene Viruserkrankung, die in vielen Ländern in tropischen Gebieten endemisch ist. Eine Infektion verläuft in den meisten Fällen ohne oder mit milden Symptomen, bei schweren symptomatischen Infektionen muss allerdings mit einer Letalität von 20 – 60 % gerechnet werden. Als wirksamer Schutz vor einer Erkrankung steht in Deutschland ein Lebendimpfstoff mit einem attenuierten Virusstamm zur Verfügung, der ab dem Alter von 9 Monaten als Reiseimpfung vor Aufenthalt in Gelbfieber- Endemiegebieten und als beruflich indizierte Impfung für entsprechendes Laborpersonal empfohlen wird. Die STIKO hat die Notwendigkeit einer Auffrischimpfung neu bewertet und empfiehlt nun eine einmalige Gelbfieber-Auffrischimpfung vor erneuter oder bei fortgesetzter reise- oder berufsbedingter Exposition, sofern 10 oder mehr Jahre seit der Erstimpfung vergangen sind. Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 31. Woche 2022 36 Zwei aktuelle Fälle von Flughafenmalaria 39 Impressum Herausgeber Allgemeine Hinweise/Nachdruck Robert Koch-Institut Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: Nordufer 20, 13353 Berlin www.rki.de/epidbull Telefon: 030 18754 – 0 E-Mail: EpiBull@rki.de Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Redaktion Dr. med. Maren Winkler Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Dr. med. Jamela Seedat (derzeit nicht im Dienst) Namensnennung 4.0 International Lizenz. Heide Monning (Vertretung) Redaktionsassistenz Nadja Harendt Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung) ISSN 2569-5266 Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 3 Mitteilung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut STIKO-Empfehlung zur Gelbfieber-Auffrischimpfung vor Reisen in Endemiegebiete und für exponiertes Laborpersonal Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat auf 2. Personen mit Immundefizienz ihrer 102. Sitzung am 8. Juni 2022 eine Änderung Personen, die zum Zeitpunkt der 1. Impfstoffdosis der Empfehlung zur Gelbfieber-(GF-)Auffrischimp- eine Immundefizienz hatten, sollen bei fehlender fung vor Reisen in Endemiegebiete und für expo- Kontraindikation gegen eine GF-Impfung eine wei- niertes Laborpersonal beschlossen. Hierzu erfolg- tere Impfstoffdosis vor erneuter Exposition erhal- ten Diskussionen auf mehreren Sitzungen der ge- ten, unabhängig vom Abstand zur Erstimpfung. Vor meinsamen Arbeitsgruppe (AG) aus STIKO und oder nach der 2. Impfstoffdosis ist keine serologi- der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, sche Kontrolle erforderlich. Vor erneuter oder bei Reisemedizin und Globale Gesundheit e. V. (DTG). fortgesetzter Exposition muss über die Verabrei- Daneben fanden Stellungnahmen des Gemein chung weiterer Impfstoffdosen individuell entschie- samen Bundesausschusses (G-BA), der obersten den werden. Gesundheitsbehörden der Bundesländer sowie be- troffener Fachgesellschaften Berücksichtigung. 3. Kinder Wenn die 1. Impfstoffdosis vor dem 2. Geburtstag gegeben wurde, soll vor erneuter oder bei fortgesetz- Empfehlung ter Exposition eine 2. GF-Impfstoffdosis verabreicht Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen GF als werden, sofern seit der Erstimpfung 5 oder mehr Reiseimpfung in einer von den Gesundheitsbehör- Jahre vergangen sind. Im Erwachsenenalter ist vor den zugelassenen GF-Impfstelle mindestens 10 Tage erneuter oder bei fortgesetzter Exposition keine wei- vor Exposition gegenüber dem Gelb fieber-Virus tere Impfstoffdosis notwendig, sofern im Kindes (GFV). Als Exposition wird die Reise in ein GF- alter 2 Impfstoffdosen gegeben wurden. Wenn im Endemiegebiet definiert. Vor erneuter oder bei fort- Kindesalter nur 1 Impfstoffdosis verabreicht wurde, gesetzter Exposition sollte einmalig eine Auf ist vor erneuter Exposition im Erwachsenenalter frischimpfung erfolgen, sofern 10 oder mehr Jahre eine 2. Impfstoffdosis empfohlen. seit der Erstimpfung vergangen sind. Nach erfolg- ter 2. Impfstoffdosis sind keine weiteren Auf Wenn die Erstimpfung nach dem 2. Geburtstag er- frischimpfungen notwendig. Ausnahmen und Be- folgte, soll vor erneuter oder bei fortgesetzter Expo- sonderheiten bei folgenden Personengruppen sind sition eine 2. Impfstoffdosis verabreicht werden, so- zu beachten, s. Auszug aus Tabelle 2 der STIKO- fern 10 oder mehr Jahre seit der Erstimpfung ver- Empfehlungen. gangen sind. Eine weitere Impfstoffdosis ist nicht notwendig. 1. Schwangere Frauen, die ihre 1. Impfstoffdosis in einer Schwan- Weiterhin empfiehlt die STIKO die Impfung gegen gerschaft erhalten haben, sollen vor erneuter oder GF in einer von den Gesundheitsbehörden zugelas- bei fortgesetzter Exposition eine weitere Impfstoff- senen GF-Impfstelle mindestens 10 Tage vor Expo- dosis erhalten, unabhängig vom Abstand zur Erst sition gegenüber dem GFV als beruflich indizierte impfung. Nach erfolgter 2. Impfstoffdosis sind kei- Impfung für Laborpersonal. Als Exposition wird die ne weiteren Impfungen mehr notwendig. gezielte Arbeit mit vermehrungsfähigen GFV-Wild- typstämmen definiert. Vor erneuter oder bei fortge- setzter Exposition sollte einmalig eine Auffrischimp-
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 4 fung erfolgen, sofern 10 Jahre oder mehr seit der gische unerwünschte Arzneimittelwirkungen be- Erstimpfung vergangen sind. Nach erfolgter 2. Impf- steht (z. B. Enzephalitiden). Bei Kleinkindern sollte stoffdosis sind keine weiteren Auffrischimpfungen eine Reise in ein GF-Endemiegebiet vermieden bzw. notwendig. bis zum Alter von mindestens 9 Monaten verscho- ben werden. Falls die Reise unvermeidbar ist, kann In Deutschland ist derzeit ein Lebendimpfstoff eine Impfung ab dem Alter von 6 Monaten erwogen zugelassen, der den attenuierten GF-Virusstamm werden. Die wichtigsten Gegenanzeigen für eine 17D-204 enthält und unter dem Handelsnamen Verabreichung finden sich im Kapitel 7.1. Stamaril vertrieben wird. Die Grundimmunisierung besteht aus 1 Impfstoffdosis mit 1.000 internationa- Ziel der Impfung ist die Verhinderung von Erkran- len Einheiten (IE) à 0,5 ml und ist ab dem Alter von kungen und Tod aufgrund einer GF-Infektion bei 6 Monaten zugelassen. Die Impfung wird erst ab Aufenthalten in Endemiegebieten oder bei Labor einem Alter von 9 Monaten empfohlen, da bei jün- arbeit mit vermehrungsfähigen GFV-Wildtypstäm- geren Säuglingen ein erhöhtes Risiko für neurolo- men. Auszug aus Tabelle 2 der STIKO-Empfehlungen150 – Gelbfieber (R = Reiseimpfung, B = beruflich indizierte Impfung) Gelbfieber R Eine Liste der Länder mit der Gefahr einer Gelbfieber- Impfung in einer von den Gesundheitsbehörden Übertragung und der Länder, die bei Einreise den zugelassenen Gelbfieber-Impfstelle. Vor erneuter oder Nachweis einer Gelbfieber-Impfung fordern, stellt die bei fortgesetzter Exposition sollte einmalig eine WHO zur Verfügung (www.who.int/health-topics/ Auffrischimpfung erfolgen, sofern 10 oder mehr Jahre yellow-fever). Weitere Informationen s. Reiseimpf seit der Erstimpfung vergangen sind. Nach erfolgter empfehlungen der STIKO und der DTG. 2. Impfstoffdosis sind keine weiteren Auffrischimpfun- gen notwendig. Ausnahmen und Besonderheiten bei folgenden Personengruppen sind zu beachten: Schwangere: Bei 1. Impfstoffdosis in der Schwanger- schaft vor erneuter oder bei fortgesetzter Exposition 2. Impfstoffdosis, unabhängig vom Abstand zur Erstimpfung (max. 2 Impfstoffdosen). Personen mit Immundefizienz: Wenn bei der 1. Impf- stoffdosis eine Immundefizienz bestand, soll bei fehlender Kontraindikation vor erneuter Exposition eine 2. Impfstoffdosis gegeben werden, unabhängig vom Abstand zur Erstimpfung. Vor oder nach der 2. Impfstoff- dosis ist grundsätzlich keine serologische Kontrolle erforderlich. Vor erneuter oder bei fortgesetzter Exposition muss individuell über die Verabreichung weiterer Impfstoffdosen entschieden werden. Kinder: Bei 1. Impfstoffdosis vor dem 2. Geburtstag soll vor erneuter oder bei fortgesetzter Exposition eine 2. Gelbfieber-Impfstoffdosis verabreicht werden, sofern seit der Erstimpfung 5 oder mehr Jahre vergangen sind. Im Erwachsenenalter ist keine weitere Impfstoffdosis notwendig, sofern im Kindesalter 2 Impfstoffdosen verabreicht wurden. Bei nur 1 Impfstoffdosis im Kindesalter ist vor erneuter Exposition im Erwachsenen- alter eine 2. Impfstoffdosis empfohlen. Bei 1. Impfstoff- dosis nach dem 2. Geburtstag soll vor erneuter oder bei fortgesetzter Exposition eine 2. Impfstoffdosis verabreicht werden, sofern 10 oder mehr Jahre seit der Erstimpfung vergangen sind (max. 2 Impfstoffdosen). Für das internationale Zertifikat ist die Verabreichung 1 Impfstoffdosis ausreichend. Das Zertifikat ist lebenslang gültig. Dies betrifft bereits ausgestellte und neue Gelbfieber-Impfzertifikate. B Bei gezielten Tätigkeiten mit Exposition zum Gelbfieber- Impfung in einer von den Gesundheitsbehörden Virus (z. B. in Forschungseinrichtungen oder Laboratorien). zugelassenen Gelbfieber-Impfstelle. Bei erneuter oder fortgesetzter Exposition sollte einmalig eine Auffrisch impfung erfolgen, sofern 10 Jahre oder mehr seit der Erstimpfung vergangen sind (max. 2 Impfstoffdosen).
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 5 Wissenschaftliche Begründung der STIKO für die Empfehlung zur Gelbfieber-Auffrischimpfung vor Reisen in Endemiegebiete und für exponiertes Laborpersonal 1. Einleitung von GF-Erkrankungen in Endemiegebieten in Fokus GF ist eine Viruserkrankung, die durch vornehm- stand.6 Im Jahr 2013 entschied die WHO, dass eine lich tagaktive Stechmücken übertragen wird. GF ist Einzeldosis des GF-Impfstoffs bei den meisten Men- in vielen Ländern in tropischen Gebieten in Sub- schen für einen lebenslangen Schutz gegen GF aus- sahara-Afrika, Südamerika und in südlichen Teilen reicht.7 In der WHO-Empfehlung wurden bestimm- Mittelamerikas endemisch. Im Jahr 2021 wurden te Personengruppen ausgenommen wie z. B. von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schwangere oder Menschen mit Immundefizienz 42 Staaten dieser Kontinente als Endemieländer (z. B. HIV). In der Folge wurden 2016 die Interna eingestuft bzw. gab es endemische Regionen inner- tionalen Gesundheitsvorschriften (international halb dieser Länder.1 health regulations, IHR) bezüglich der Gültigkeit von Impfbescheinigungen angepasst. An den Grenzen Eine Infektion mit dem GFV bleibt in den meisten darf seither die Einreise von geimpften Personen Fällen asymptomatisch oder geht mit milden Symp nicht mehr mit der Begründung verwehrt werden, tomen einher (85 %).2 Bei schweren symptomati- dass die Impfung vor mehr als 10 Jahren verabreicht schen Infektionen muss mit einer Letalität von wurde. Seit 2013 wird von vielen ExpertInnen aus 20 – 60 %, bei entsprechenden Vorerkrankungen verschiedenen Gründen diskutiert und in Frage ge- sogar mit einer noch höheren Letalität gerechnet stellt, ob eine einzige Impfstoffdosis für einen le- werden.3,4 Bis heute gibt es keine nach klinischer benslangen Schutz tatsächlich ausreicht.6,8 – 13 Manifestation einzusetzenden wirksamen Viro statika, sondern nur die Möglichkeit einer symp Die STIKO hatte 2015 ihre Empfehlung zur Imp- tomatischen Therapie. fung gegen GF unter Berücksichtigung des WHO- Positionspapiers von 2013 und der Änderungen in Reisende können sich bei Aufenthalten in Endemie- den IHR angepasst und eine einmalige GF-Imp- gebieten infizieren. Als wirksamer Schutz vor einer fung als ausreichend betrachtet. Angesichts der seit Erkrankung steht in Deutschland ein Impfstoff zur 2013 andauernden kontroversen Diskussion über Verfügung, der den attenuierten GFV-Stamm 17D- die Dauer des Schutzes nach 1 Impfstoffdosis hat 204 enthält und ab dem Alter von 6 Monaten zuge- sich die STIKO zu einer aktualisierten Aufarbeitung lassen ist. Impfdurchbrüche wurden nur sehr selten und Bewertung der Evidenz entschlossen. Die dokumentiert. Bisher ist nicht bekannt, inwieweit STIKO hat die Bewertung der Notwendigkeit einer fehlende Serokonversion (primäres Impfversagen) Auffrischimpfung nach ihrer Standardvorgehens- und nachlassende Immunität (sekundäres Impfver- weise (standard operating procedure, SOP) vorgenom- sagen) das individuelle GF-Risiko beeinflussen. men und einen systematischen Review mit Meta- Analyse zur Schutzdauer nach 1 oder mehreren Von 1965 – 2013 wurden GF-Auffrischimpfungen alle GF-Impfstoffdosen in Zusammenarbeit mit einem 10 Jahre für diejenigen empfohlen, bei denen ein Ex- unabhängigen Forschungsunternehmen durchge- positionsrisiko gegenüber dem GFV bestand, wobei führt.14 Hierbei wurde die bis zum 12. November dies gleichermaßen Menschen in Endemiegebieten 2021 verfügbare Literatur berücksichtigt. und Reisende umfasste.5 Vor dem Hintergrund ei- ner eingeschränkten Impfstoffverfügbarkeit war die Die Ergebnisse der Evidenzaufarbeitung wurden ge- WHO angehalten, die weltweite Impfstrategie zu meinsam mit den Mitgliedern der DTG diskutiert. überdenken, wobei die Verhinderung bzw. Kontrolle Die oben genannten Empfehlungen wurden in der
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 6 2020 neu gegründeten STIKO-DTG-AG für Reise nicht-humanen Primaten inapparente, virämische impfungen erarbeitet. Infektionen. Dies legt nahe, dass das GFV seinen Ursprung vor 2. Erreger und Übertragung mehreren tausend Jahren in Afrika hatte und sich Das GFV gehört wie das FSME-Virus oder das Den- dort inzwischen eine ausgewogene Koexistenz von gue-Virus zur Familie der Flaviviren und wurde erst- Virus und Wirt entwickelt hat.3 malig 1927 von Adrian Stokes bei einem Patienten in Ghana isoliert.15 Beim GFV handelt es sich um GFV-kompetente Mücken stechen typischerweise ein Einzel(+)-Strang-RNA-Virus, dessen Genom ca. während des Tages, insbesondere zur Morgen- und 10.000 Nukleotide umfasst und von dem nur ein Abenddämmerung. Eine Übertragung in der Nacht Serotyp bekannt ist. Das Virion besitzt einen Durch- ist nicht ausgeschlossen. messer von 40 – 50 nm.16 Reife GF-Virionen sind ikosaedrisch und umfassen ein Nukleokapsid, wel- Eine vom Menschen unabhängige Virusübertra- ches von einer Lipiddoppelschicht umgeben ist. Die gung findet hauptsächlich im silvatischen Zyklus virale Hülle besteht aus Dimeren des Hüllglykopro- statt, wobei hier nicht-humane Primaten wichtige teins und des Membranproteins. Von den 3 Struk- Amplifikationswirte sind. Im urbanen Zyklus ist der turproteinen des Virions (Kern, Membran und Hül- Mensch der Haupt-Amplifikationswirt. Eng besie- le) wird der größte Teil der medizinisch relevanten delte Gebiete mit einer hohen Vektordichte und ge- Eigenschaften durch das Hüllprotein als Haupt ringe Impfraten der lokalen Bevölkerung können bestandteil der Virionoberfläche bestimmt.17 Das zum Auftreten von urbanem GF führen, wobei die- Hüllprotein des GFV ist funktionell mit Lebergewe- se Form in den letzten Jahren selten geworden ist; betropismus und Pathogenität assoziiert. Jüngste häufiger findet sich eine gemischte (semi-domesti- Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass das sche) Übertragungsform, v. a. in der afrikanischen Hüllprotein eine Schlüsseldeterminante im Phäno- Savanne.5 Die Stechmücken brüten in Wasserquel- typ von Wildtyp- und 17D-Impfstoffstämmen des len in der Nähe oder innerhalb von Wohnhäusern GFV darstellt.18 und übertragen das Virus von Mensch zu Mensch.20 Blutsaugende Stechmücken der Gattungen Aktuell sind durch die WHO 42 Staaten als ende- Stegomyia (Aedes), Haemagogus und Sabethes sind misch ausgewiesen. Dies schließt allerdings nicht die wichtigsten Vektoren und Reservoire des GFV. aus, dass in einzelnen anderen Ländern auch GF Sie brüten entweder in den tropischen Regenwäl- vorkommt. Einige Länder melden möglicherweise dern (silvatisch) oder in der Nähe von Siedlungen keine Fälle wegen einer unzureichenden Surveil und Häusern (domestisch, urban). Aufgrund der lance oder auch weil die Impfquote der Bevölkerung Habitate der Vektoren wird GFV normalerweise ausreichend hoch ist, um längere Transmissionsket- nicht in Höhen > 2300 m übertragen.19 Nur Men- ten oder größere Ausbrüche zu verhindern.19,21,22 schen, andere Primaten und verschiedene Stechmü- ckenarten können infiziert werden. Wenn eine GFV-kompetente Vektoren sind auch in Asien und Mücke einen mit GFV infizierten Menschen oder Ozeanien vorhanden, dennoch ist GF dort bislang nicht-humanen Primaten sticht, gelangt das Virus nicht beobachtet worden. Mehrere Gründe werden in die Hämolymphe der Stechmücke, bevor es sich hierfür diskutiert, u. a. weniger kompetente Vekto- in den Speicheldrüsen festsetzt. Wenn eine infizier- ren oder eine Kreuzimmunität durch andere Flavi- te Mücke im Anschluss einen Menschen oder Affen viren.5 Im Jahr 2016 wurden erstmals aus Endemie- sticht, gelangt das Virus in den Blutkreislauf des ländern exportierte Fälle von GF in Asien dokumen- Wirts, wo es zum Ausbruch von GF führen kann. tiert, eine weitere Übertragung in Asien fand nicht statt. Aufgrund wachsender Sorge vor einer autoch- Während einige Neuweltaffen (insbesondere howler thonen Übertragung in Asien schätzten Cracknell monkeys, Brüllaffen) wie Menschen anfällig für töd- et al. das Risiko einer GF-Einschleppung durch liche Infektionen sind, zeigen fast alle afrikanischen virämische Reisende ab. Sie identifizierten 25 Städ-
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 7 te in Asien mit einem Risiko einer GF-Einschlep- gulation vermittelt wird.28 Die Abräumung infizier- pung aus endemischen Ländern. Mit Ausnahme ter Zellen durch Immunzellen und der Zyto von Guangzhou (China) wurde die Ausbruchswahr- kinsturm spielen vermutlich bei der Pathogenese ei- scheinlichkeit für ganz Asien als gering einge- ner erhöhten Durchlässigkeit der Kapillargefäße schätzt. Zukünftiges vermehrtes Reiseaufkommen und des Schocks eine große Rolle.3 oder ein Anstieg der GF-Inzidenz können die An- zahl der Einschleppungen und das Risiko einer au- Das Endstadium der GF-Krankheit beim Menschen tochthonen Übertragung erhöhen.23 In (Süd-)Euro- (und bei experimentell infizierten Altweltaffen) ist pa gibt es bisher trotz des mittlerweile sporadischen durch eine rapide Verschlechterung mit Multior- Vorkommens von GFV-kompetenten Vektoren kei- ganversagen und Kreislaufschock gekennzeichnet, ne autochthonen Infektionen, da entscheidende ähnlich wie bei anderen viralen hämorrhagischen Faktoren für eine effektive Übertragung fehlen. Fiebern. Die häufigsten Todesursachen sind gastro intestinale Blutungen, Status epilepticus, schwere Eine Übertragung von Mensch zu Mensch über metabolische Azidose, akutes Leberversagen, Bluttransfusionen ist prinzipiell möglich, 1930 wur- Pankreatitis und Multiorganversagen.4 de eine nosokomiale Übertragung beschrieben.24 Bei der Laborarbeit mit vermehrungsfähigen Die Letalität in der 2. Phase liegt bei 20 – 60 %3,8 und GFV-Wildtypstämmen kann es ebenfalls zu einer kann bei Vorerkrankungen wie z. B. Diabetes melli- Übertragung kommen.25–27 tus noch höher sein.4 Eine systematische Über- sichtsarbeit aus dem Jahr 2021 schätzt das Todesfall- risiko bei klinisch manifestem GF auf 39 % (95 % 3. Krankheitsbild, Diagnostik und Konfidenzintervall, KI 31 % – 47 %).29 Therapie Das GFV ist der Prototyp der Flaviviren und des Labordiagnostisch kann initial eine Leukopenie be- „viralen hämorrhagischen Fiebers“. Zwei biologi- stehen mit einem späteren Übergang in eine Leuko- sche Eigenschaften, Neurotropismus und Viszerotro- zytose. Weitere mögliche Laborveränderungen sind: pismus, sind allen GFV-Wildtypstämmen inhärent. Gerinnungsstörungen bis hin zur disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC), Transaminasen Nur ca. 15 % der Infektionen werden symptoma- erhöhung (Glutamat-Oxalacetat-Transaminase tisch.2 Die symptomatische Erkrankung verläuft [GOT] > Glutamat-Pyruvat-Transaminase [GPT]), nach einer durchschnittlichen Inkubationszeit von Albuminurie, Granulozytopenie, Thrombozytope- 3 – 6 Tagen in Phasen: Die 1. Phase ist gekennzeich- nie, aktivierte Lympho- und Monozyten.30 net durch Fieber, Kopf- und Rückenschmerzen, Myalgien, allgemeine Erschöpfung, Übelkeit und Die Diagnose wird aufgrund ihrer Sensitivität und Erbrechen sowie Bradykardie in Relation zur erhöh- Schnelligkeit mittels Polymerase-Kettenreaktion ten Körpertemperatur. In der Intermediärphase (PCR) gestellt. Ab ca. 2 bis zu 10 Tagen nach Symp- kann sich die Symptomatik verbessern, auch das tombeginn kann Virus-RNA im Serum mittels Real- Fieber kann zurückgehen. Diese Phase dauert bis Time (RT) PCR nachgewiesen werden, bei schwe- zu 48 Stunden, ein Übergang in eine vollständige ren Verläufen auch länger. Das Virus kann durch Genesung ist möglich. In der 2. Phase kehrt bei ca. Sequenzierung oder typspezifische RT PCR charak- 12–15 % der Erkrankten das Fieber zurück, daneben terisiert werden. können Übelkeit, Erbrechen, Ikterus und Blutun- gen bestehen. Leber- und/oder Nierenversagen bzw. Für die serologische Diagnostik können Immunfluo Multiorganversagen sind möglich. Symptomatische reszenzassays (IFA), enzymgekoppelte Immun Infektionen resultieren klinisch häufig in einem adsorptionstests (ELISA) und Neutralisationstests Kreislaufschock und dem systemic inflammatory eingesetzt werden. IFA und ELISA weisen auch response syndrome (systemisches Entzün dungs kreuzreagierende Antikörper gegen verwandte Fla- reaktionssyndrom, SIRS), das vermutlich durch viviren wie das Dengue-Virus nach. Die höchste proinflammatorische Zytokine und Zytokin-Dysre- Spezifität hat der Nachweis neutralisierender Anti
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 8 körper im Plaque-Reduktions-Neutralisationstest re Risikofaktoren für eine GF-Infektion der Aufent- (PRNT), der als Goldstandard für die Messung der halt im tropischen Regenwald (silvatisches GF) oder humoralen GF-Immunität gilt.31–33 Auch nach GF- auch in Städten (urbanes GF) bei fehlendem Schutz Impfung lassen sich im PRNT Antikörper nachwei- vor Stechmücken (z. B. kein Auftragen von Repellen sen. Die Messung neutralisierender Antikörper mit- tien) und fehlender Impfung sind. tels PRNT ist die einzige Methode, die nicht nur das Vorhandensein von Antikörpern gegen GF in Seren Es wird erwartet, dass das allgemeine Risiko einer nachweisen und quantifizieren kann, sondern auch Übertragung in Zukunft durch die Klimaerwär- deren funktionelle Fähigkeit, eine Infektion zu blo- mung steigt, da sich die Habitate der Vektoren aus- ckieren. Daher wurde diese Nachweismethode als breiten.38,39 Grundlage für ein Schutzkorrelat in unserem syste- matischen Review herangezogen. Bei Laborpersonal gilt die Exposition gegenüber ver- mehrungsfähigen GFV-Wildtypstämmen als Risiko- Bislang besteht bei einer GF-Erkrankung nur die faktor. Möglichkeit einer symptomatischen, nicht aber ei- ner wirksamen spezifischen Therapie. Verschiede- Es ist bisher nicht bekannt, welche Faktoren dazu ne antivirale Substanzen (z. B. Interferon-α, Interfe- führen, dass der überwiegende Teil der Infizierten ron-γ, Ribavirin) wurden bereits in Tiermodellen keine Erkrankung und nur eine Minderheit einen (z. B. Hamster, verschiedene nicht-humane Prima- schweren Krankheitsverlauf entwickelt. Eine erhöh- ten) angewendet und konnten in den meisten Fällen te Letalität wird beobachtet bei höherem Lebens einen Krankheitsausbruch verhindern, sofern sie alter, männlichem Geschlecht, erhöhten Laborpara- unmittelbar nach einer Infektion verabreicht wur- metern bei Infektion (GOT, GPT, Bilirubin, Kreati- den.34 Erste Lebertransplantationen bei GFV-infi- nin, Leukozytose, Neutrophilie), verlängerter Pro- zierten PatientInnen mit schwerem Krankheitsver- thrombinzeit und erhöhter GF-Viruslast.40 lauf wurden erfolgreich durchgeführt.35 Menschen mit überstandener Krankheit erholten sich allmäh- lich über einen Zeitraum von mehreren Wochen bis 5. Epidemiologie Monaten, in der Regel ohne nennenswerte Organ- schäden. In den meisten Fällen einer Leber- und 5.1 Epidemiologie in Endemieländern Nierenfunktionsstörung kommt es zu einer Norma- In 42 Ländern in Afrika29 und dem südlichen Mittel- lisierung.36 und Südamerika13 ist GF endemisch bzw. gibt es en- demische Regionen innerhalb eines Landes, sodass Komplikationen können bakterielle Sekundärinfek- eine GF-Impfung bei Einreise empfohlen wird bzw. tionen wie Lungenentzündung oder Sepsis sein.37 eine Nachweispflicht bei Einreise besteht (s. auch Nach überstandener GF-Infektion besteht eine Abb. 1).41 Intermittierend können Epidemien auftre- lebenslange Immunität.35 ten. Weltweit werden jährlich ca. 140.000 – 200.000 symptomatische Fälle von GF mit ca. 30.000 – 78.000 Todesfällen registriert.7 Schätzungsweise 4. Risikofaktoren für eine Infektion und 90 % der Krankheitslast liegt in den afrikanischen einen schweren Krankheitsverlauf Endemiegebieten.7 Das GFV kann nicht nur in Hochendemiegebieten übertragen werden, sondern auch in Gebieten mit Eine auf afrikanischen Datenquellen basierende niedriger Endemie bei hoher Stechmückenexposi Modellstudie schätzte unter Berücksichtigung der tion.19 Das Risiko einer Infektion ist in Afrika we- Impfquote die Krankheitslast durch GF für Afrika sentlich höher als in Südamerika, s. auch „5.1 Epide- im Jahr 2013 auf 130.000 (95 % KI 51.000–380.000) miologie in Endemieländern“. Die Virustransmis Fälle mit Fieber und Ikterus oder Blutungen, darun- sion ist vektorbedingt während der Regenzeit am ter 78.000 (95 % KI 19.000–180.000) Todesfälle.42 höchsten.20 Bei erhöhter Exposition gegenüber dem Vektor steigt das Infektionsrisiko, weswegen weite-
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 9 Neu empfohlen seit Ausbruch 2017/2018 Empfohlen Nicht empfohlen Abb. 1 | Impfempfehlung aufgrund ausgewiesener Gelbfieber-Endemieregionen. Quelle: Robert Koch-Institut (RKI), modifiziert nach Centers for Disease Control and Prevention (CDC), 2017/2018107 Die tatsächliche Krankheitslast ist unklar, da die beachten, dass nur symptomatische Fälle gemeldet Symptome „Gelbsucht und Fieber“ (eine in der Sur- werden, die insgesamt weit weniger als 15 % aller veillance angewendete Definition für GF) oftmals Infektionen ausmachen. nicht weiter untersucht werden.43 Es ist davon aus- zugehen, dass die genannten Daten eine Unter- In den Jahren 2016/2017 bzw. 2017/2018 gab es die schätzung der Krankheitslast darstellen, da unge- seit Jahrzehnten größten Ausbrüche in Brasilien klärte Todesfälle oder Fälle in ländlichen oder Kon- mit 784 bzw. 1.376 gemeldeten Fällen.46 Zu Beginn fliktzonen oder in stark verarmten Gebieten nicht des GF-Ausbruchs im Bundesstaat Minas Gerais gemeldet werden, es in einigen Ländern keine ad- 2016 lag die Impfquote bei 57,26 %.47 Im Rahmen äquaten Surveillance-Systeme gibt und Symptome dieser Ausbrüche erkrankten und verstarben auch alternative Diagnosen nahelegen.38,43 Touristen, s. auch „5.2 Epidemiologische Daten zu Reisenden“. Seither gelten die Gebiete an der Süd- In den endemischen Ländern ist die Impfung gegen ostküste Brasiliens als Endemiegebiete mit GF- GF Teil des Routine-Impfprogramms, das in Afrika Impfempfehlung (in Abb. 1 rot). die GF-Impfung im Alter von 9 Monaten zusam- men mit Masern oder Masern und Röteln und in Die WHO nennt in ihrem Report vom Dezember den meisten Ländern Südamerikas im Alter von 2021 steigende Fallzahlen der laborbestätigten hu- 12 Monaten zusammen mit den Impfungen gegen manen GF-Fälle in Endemiegebieten von 9 Ländern Masern, Mumps und Röteln vorsieht.44 in der afrikanischen Region der WHO (Kamerun, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Elfenbein- Die WHO veröffentlicht seit 2008 jährlich die je küste, Demokratische Republik Kongo, Ghana, WHO-Region gemeldeten GF-Fälle.45 Hierbei ist zu Niger, Nigeria und Republik Kongo).48 In den ersten
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 10 3 Monaten des Jahres 2022 wurden bereits 2 Aus- 80 % noch zwischen 43 % und 52 % der Bevölke- brüche in Subsahara-Afrika gemeldet (Kenia und rung in GF-Risikogebieten geimpft werden (im Ver- Uganda): Im Zeitraum vom 12. Januar bis 15. März gleich zu 1970: 66 % bis 76 %). Dies entspricht zwi- 2022 wurden aus der Region Isiolo in Zentralkenia schen 393,7 und 472,9 Millionen Menschen in Ge- insgesamt 53 GF-Verdachtsfälle gemeldet, darunter bieten mit Risiko für eine GFV-Übertragung.54 Es 6 Todesfälle.49 Zu den Fällen gab es keine Informa- muss berücksichtigt werden, dass diese Analyse vor tion über den Status einer vorangegangenen Vakzi- den rezenten Ausbrüchen in Brasilien durchgeführt nierung. Bis Juli 2022 wurden 116 Verdachtsfälle, wurde, sodass der Bedarf an GF-Impfungen ent- 3 bestätigte und 12 wahrscheinliche Fällen mit 12 To- sprechend höher angesetzt werden muss.47 ten (5 unter den Verdachtsfällen) gemeldet (persön- liche Kommunikation WHO vom 14. Juli 2022). Der Für Impfversagen gibt es nur lückenhafte Surveil- letzte vor dem aktuell gemeldeten GF-Ausbruch in lance-Daten. Laut WHO-Positionspapier von 2013 Kenia war im Jahr 2011. Eine Ausbreitung auf Gebie- wurden seit Einführung der Impfung weltweit le- te innerhalb Kenias, für die bislang keine Empfeh- diglich 12 Verdachtsfälle an Impfdurchbrüchen auf- lung für eine GF-Impfung bestand, kann nicht aus- gezeichnet, die eher als primäre Impfversager inter- geschlossen werden. pretiert wurden.7 In der Literatur der brasiliani- schen Surveillance finden sich stark differierende Am 6. März 2022 wurden vom Gesundheitsminis- Angaben. Während eines Ausbruchs in Zentral- terium in Uganda die ersten Fälle eines Ausbruchs Brasilien 1972/1973 wurden 22 Fälle von Impf- bestätigt, bei einigen Fällen wurde eine Impfanam- durchbrüchen identifiziert.55 In einer Studie zu sil- nese dokumentiert.50 Am 25. April 2022 wurde bei vatischen Ausbrüchen zwischen 1973 und 2008 in 5 der 6 untersuchten Fälle initial eine kürzlich er- Brasilien wurden 27 sekundäre Impfversager regis folgte Impfung registriert, da aber später keine Be- triert.56 Nach Daten aus Untersuchungen des weise für ein Versagen der Impfung vorlagen, wur- brasilianischen Gesundheitsministeriums wurden den diese Fälle verworfen. Bei einer Person aus dem in den Jahren von 2007 – 2011 insgesamt 110 Fälle Distrikt Wakiso wurde eine GF-Infektion bestätigt.51 von GF bestätigt, davon 10 nachweislich bei geimpf- ten Personen, darunter 1 Fall mit 2 Impfstoffdosen Da der Mensch für die Aufrechterhaltung vor allem (die letzte vor mehr als 10 Jahren).57 Während der des silvatischen Übertragungszyklus entbehrlich ist GF-Epidemie im Bundesstaat Minas Gerais im Jahr und das Virus vorrangig enzootisch zwischen 2017 wurden 16 Fälle von Impfversagen bei vorhan- nicht-humanen Primaten und Vektoren zirkuliert, denen Impfaufzeichnungen nachgewiesen.58 kann die Impfung des Menschen GF nicht ausrot- ten.30 Bei einer nationalen Impfquote von ≥ 80 % Eine vergleichbare Datenlage für die Endemiegebie- wird angenommen, dass in einer endemischen Re- te Afrikas zu Impfdurchbrüchen gibt es nicht. Trotz gion mit vorrangig urbanem Zyklus die Transmis 90 % der Krankheitslast finden sich in der Literatur sion von Mensch zu Mensch unterbunden werden keine Angaben aus der afrikanischen Bevölkerung; kann.52,53 berichtet wurden 3 Einzelfälle bei Militärangehöri- gen von 194259 und 1 Fall eines Touristen von 1988 Eine retrospektive Analyse schätzte die globale nach Aufenthalt in Subsahara-Afrika.60 Dies spricht Impfquote 2016 deutlich höher im Vergleich zu für eine unzureichende Surveillance. Die zitierten 1970, wobei Routineimpfungen im Kindesalter in Fallzahlen an Impfdurchbrüchen aus nur einem Risikoregionen und periodisch durchgeführte Impf- lateinamerikanischen Land lassen vermuten, dass kampagnen zur Massenprävention und bei Ausbrü- bei entsprechender Surveillance bzw. etablierter chen mit Ziel einer breiteren Altersgruppe berück- Labordiagnostik auch in Afrika Fälle registriert wer- sichtigt wurden. Trotz dieser Verbesserung in den den könnten. Man muss bedenken, dass Impfversa- letzten Jahrzehnten sind in den meisten Regionen ger nach der GF-Impfung nicht wie bei anderen deutlich weniger als die von der WHO empfohlenen Krankheiten detektiert werden können, da die erfor- 80 % der Bevölkerung geimpft. Zusätzlich zu den derliche Labordiagnostik nicht immer zur Verfü- bereits Geimpften müssten zur Erreichung der gung steht und es keine beständige gleichmäßige
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 11 Exposition gegenüber dem Virus gibt. Außerdem nicht nur für Impfversagen, sondern auch für Aus- wird der Impfstatus nicht immer dokumentiert oder brüche zu verbessern.62 ist häufig unbekannt. Manche Menschen wurden geimpft und sind vielleicht nie exponiert, z. B. Rei- Die globale Strategie zur Eliminierung von GF- sende. Andere sind selten exponiert, wie die städti- Epidemien (eliminate yellow fever epidemics, EYE) sche Bevölkerung Südamerikas (das Virus zirkuliert wurde von einer Koalition von Partnern (u. a. WHO) vorrangig in silvatischen Regionen). Während der entwickelt, um der sich ändernden GF-Epidemiolo- Ausbrüche in Brasilien war die Exposition gleich- gie, der Reinvasion von Stechmücken und dem er- mäßiger und Impfdurchbrüche konnten festgestellt höhten Risiko von Ausbrüchen in Städten sowie der werden. internationalen Ausbreitung zu begegnen.63 Die EYE-Strategie umfasst 3 Ziele, die bis 2026 erreicht Bei der GFV-Übertragung zwischen Menschen in werden sollen: Schutz gefährdeter Bevölkerungs- Afrika sind sowohl silvatische als auch urbane Vek- gruppen, Verhinderung internationaler Ausbrei- toren involviert. Folglich ist die entomologische tung, schnelle Eindämmung von Ausbrüchen. Inokulationsrate (Ansteckungsrate pro Mücken- stich) in Afrika ca. 20–30 Mal höher als in Südame- 5.2 Epidemiologie bei Reisenden rika (v. a. silvatischer Zyklus); große Epidemien kön- Vor der Coronavirus Disease 2019-(COVID-19-)Pan- nen die Folge sein.3 In Afrika ist die Infektionswahr- demie reisten jährlich mindestens 9 Millionen Men- scheinlichkeit für Männer und Frauen ähnlich. In schen aus Nicht-Endemieländern in Länder mit be- Gebieten Afrikas mit anhaltender Zirkulation des kannter GF-Endemizität (für Deutschland liegen kei- GFV nimmt die natürliche Immunität mit dem Alter ne Daten vor). Von diesen besuchten ca. 3 Millionen zu. Säuglinge und Kinder haben dort demnach das Reisende innerhalb dieser Länder Regionen, in de- höchste Risiko einer symptomatischen Erkrankung. nen GFV übertragen wird.64 Brent et al. untersuch- ten das Potenzial internationaler Reisen zur Verbrei- In Südamerika tritt GF am häufigsten bei ungeimpf- tung des GFV in Städten auf der ganzen Welt.65 Im ten jungen Männern auf, die durch ihre Arbeit in Jahr 2016 flogen 45,2 Millionen international Rei- Waldgebieten vektorkompetenten Mücken ausge- sende aus GF-Endemiegebieten in Städte, in denen setzt sind.21 entweder GF endemisch oder in denen eine vektori- elle Transmission möglich war. Von 11,7 Millionen Seit den 1980er-Jahren steigt in Südamerika und in Flugreisenden mit Reisezielen in 472 Städten, in Subsahara-Afrika die Anzahl von GF-Erkrankungen denen GF zwar nicht endemisch, die aber für eine wieder an.16,61 Gründe für den Wiederanstieg sind Virusübertragung grundsätzlich geeignet waren, vermutlich:16,38 mussten 7,7 Millionen (65,7 %) bei der Ankunft kei- (1) Reinvasion der Stechmückengattung Stegomyia nen Impfnachweis vorlegen. Brasilien, China, In (Aedes) in urbane Gebiete dien, Mexiko, Peru und die Vereinigten Staaten von (2) wachsende Bevölkerung in endemischen Gebie- Amerika hatten die meisten Reisenden aus GF- ten Endemiegebieten und die größten Bevölkerungs- (3) rasche Urbanisierung, v. a. in afrikanischen Ge- gruppen, die in Städten lebten, die mindestens sai- bieten mit Landflucht sonal für die Übertragung von GF geeignet sind.65 (4) globale Klimaerwärmung mit Ausdehnung der Die globale Zunahme der menschlichen Mobilität ist Habitate der Vektoren eine potenzielle Ursache für städtische GF-Epide (5) schwindender Impfschutz im Erwachsenenalter mien. Es wird geschätzt, dass 2016 ca. 60 Millionen nach Impfung in der Kindheit Reisende in oder aus einem GF-endemischen Land (6) im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten verbes- gereist waren, viele davon ohne GF-Impfung.66 serte Surveillance Schätzungen zum Risiko von reiseassoziierten Für die Kontrolle und Eliminierung von GF ist es GF-Erkrankungen sind aufgrund der jahres- und entscheidend, die epidemiologische Überwachung saisonbedingten Schwankungen der Inzidenzen und des Reisegeschehens, der unterschiedlichen
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 12 Impfraten in der lokalen Bevölkerung in Gegenden Gemeldete Krankheitsfälle beim Menschen gelten mit urbanem GF und der unvollständigen Surveil- als Hauptindikator für das regionale Transmissions- lance schwierig.67 risiko. Aufgrund einer geringen Übertragungsrate, eines hohen Immunitätsniveaus in der Bevölkerung Das konkrete Risiko für Reisende für eine GF- oder des Versagens lokaler Überwachungssysteme Erkrankung ist von mehreren Faktoren abhängig: kann eine Transmission möglicherweise nicht er- dem Impfstatus, der geografischen Lage des Reise- kannt werden. Da „epidemiologisches Schweigen“ ziels, der Reisesaison, der lokalen Virusübertra- nicht gleichbedeutend mit Risikofreiheit ist (insbe- gungsrate zum Zeitpunkt der Reise (z. B. erhöht bei sondere in abgelegenen Gebieten mit ungenügen- Ausbruch), der Expositionsdauer und vom individu- der Surveillance),21 können ungeimpfte Personen ellen Risikoverhalten (Aktivitäten, Expositionspro- bei der Reise in ein „unauffälliges“ Gebiet aufgrund phylaxe gegenüber Vektoren).21 des natürlichen Übertragungszyklus über nicht- humane Primaten und Moskitos durchaus durch Die Centers for Disease Control and Prevention GFV gefährdet sein.76 Eine britische ExpertInnen- (CDC) schätzen das Risiko von nicht geimpften Rei- gruppe schlug daher vor, im Rahmen der Impfindi- senden für eine Erkrankung an bzw. den Tod durch kationsstellung anstelle von „Endemiegebieten“ von GF für einen 2-wöchigen Aufenthalt in einer west- Regionen zu sprechen, in denen ein aktuelles oder afrikanischen Endemieregion auf 50 : 100.000 bzw. periodisches Risiko einer GF-Transmission be- 10 : 100.000 Reisende.21 Für Lateinamerika wird das steht.22 Risiko für Erkrankung bzw. Tod bei einer 2-wöchi- gen Reise mit 5 : 100.000 bzw. 1 : 100.000 Reisende Für Deutschland besteht nach § 6 des Infektions- als 10-fach geringer eingeschätzt, wobei starke schutzgesetzes eine Meldepflicht für den klinischen Schwankungen des Risikos von Land zu Land zu Verdacht, die Erkrankung und den Tod an einem vi- berücksichtigen sind. Das niedrigere Risiko in La- ralen hämorrhagischen Fieber. Die epidemiologi- teinamerika begründet sich durch die unterschied- sche Lage im Nicht-Endemieland Deutschland stellt liche Virustransmission, die hauptsächlich zwi- sich wie folgt dar: Im Jahr 2021 wurden dem Robert schen den nicht-humanen Primaten und den Vek- Koch-Institut (RKI) keine GF-Erkrankungen toren im (Regen-)Wald stattfindet, sowie durch eine übermittelt. Zum ersten Mal seit 2001 waren dem höhere Impfquote der Bevölkerung.64 RKI im Jahr 2018 GF-Fälle übermittelt worden: 2 reiseassoziierte Infektionen nach Brasilienaufent- GF-Erkrankungen bei Reisenden oder Personen, die halt von ungeimpften Personen (ein Todesfall). Eine im Ausland arbeiten (expatriates), sind seit Einfüh- dritte reiseassoziierte Infektion war dem RKI nicht rung der Impfung sehr selten.46,68 In den letzten De- gemeldet worden,77 wurde aber durch den Gesund- kaden finden sich in der Literatur lediglich Einzel- heitsdienst des Auswärtigen Amtes bestätigt.78 fälle bei Reisenden.69 – 73 In einer Zeitspanne von 45 Jahren (zwischen 1970 und 2015) wurden insge- samt 11 Fälle bei ungeimpften Reisenden in Europa 6. Impfziel und den USA gemeldet (Reiserückkehrer aus West- Ziel einer (Auffrisch-)Impfung gegen GF ist die afrika und Südamerika).74 Die Letalität nach Analyse Verhinderung von Erkrankungen und Tod durch von 9 Fällen, die zwischen 1970 und 2002 aufgetre- eine GF-Infektion bei Reisen in Endemiegebieten ten waren, lag bei 89 %.75 oder bei beruflicher Exposition im Labor. Außer- dem kann mit einer Impfung gegen GF die inter- Dies hat sich mit den Ausbrüchen von 2016/2017 nationale Ausbreitung des urbanen GF verringert und 2017/2018 in bislang nicht-endemischen Regio werden.1 nen der Ostküste Brasiliens dramatisch geändert: 10 ungeimpfte Reisende erkrankten, 4 starben.2 Dem insgesamt niedrig geschätzten Risiko für den Einzelnen steht der möglicherweise schwere Ver- lauf der Erkrankung gegenüber.
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 13 7. GF-Impfstoff Stamaril beiden Stämmen konnten in zahlreichen Studien keine bedeutenden Unterschiede hinsichtlich Im- 7.1 Zusammensetzung und Applikation munogenität und Sicherheit festgestellt werden,11,87–90 Zwei GF-Lebendimpfstoffe waren in den 1930er- was der Sequenzhomologie von 99,9 % zugeschrie- Jahren zeitgleich entwickelt worden. ben wird.7 Weltweit sind seit 1936 geschätzt mehr (1) Französische ForscherInnen passagierten einen als 850 Millionen Impfstoffdosen der beiden Virus- viszerotropen Wildvirus-Stamm 128-mal im stämme (17D oder 17DD) zum Einsatz gekommen.5 Mausgehirn und leiteten davon den französi- schen neurotropen Impfstoff ab (FNV; auch als In Deutschland wird der von Sanofi Pasteur herge- Dakar-Virus bekannt). Dieser Impfstoff wurde stellte Impfstoff Stamaril eingesetzt, der den attenu- Impflingen durch Skarifikation verabreicht. ierten GFV-Stamm 17D-204 enthält. In einer Impf- (2) Theiler und seine MitarbeiterInnen unterzogen stoffdosis à 0,5 ml sind mindestens 1.000 IE GFV den Wildtyp-Asibi-Stamm (1927 in Ghana iso- enthalten.91 Sonstige Bestandteile im Lyophilisat liert) 176 seriellen Passagen in Mausembryo- sind: Laktose, Sorbitol E 420 (8 mg), L-Histidin und Hühner-Gewebekulturen zur Ableitung des hydrochlorid, L-Alanin, Natriumchlorid, Kalium abgeschwächten 17D-Stamms.79 chlorid, Dinatriumhydrogenphosphat-Dihydrat, K aliumdihydrogenphosphat, Kalziumchlorid, Sowohl FNV- als auch 17D-Impfviren lösen norma- Magnesiumsulfat. Sonstige Bestandteile im Lö- lerweise keine viszerotropen Erkrankungen mehr sungsmittel sind: Natriumchlorid, Wasser für In- beim Menschen oder bei Affen aus. Auch eine Repli- jektionszwecke.91 Es ist kein Konservierungsmittel kation in der Mücke ist nicht mehr möglich.80,81 zugesetzt. Unterbrechungen regulärer Impfpro- gramme in endemischen Ländern haben zu großen Da festgestellt wurde, dass FNV bei einigen Impf- Ausbrüchen in Afrika und Südamerika in den Jah- lingen die Ursache für Komplikationen wie En- ren 2015 und 2016 geführt.92 Wegen erschöpfter zephalitiden mit nachfolgenden Todesfällen war,82 17D-Impfstoffvorräte wurden Impfkampagnen mit wird er heute nicht mehr verwendet. Die letzte Ver- fraktionierten Impfstoffdosen durchgeführt, z. B. impfung erfolgte 1981 in Malawi.17 in der Demokratischen Republik Kongo.93,94 Auf- grund schwankender Impfstoffnachfrage während Im weiteren Verlauf wurden 2 Substämme vom ab- GF-Ausbrüchen ist eine verlässliche Impfstoffver- geschwächten, attenuierten 17D-Stamm abgeleitet: fügbarkeit immer wieder ein Problem.92 17D-204 und 17DD. 17D-204 wurde bei Passage 204 gewonnen, während 17DD nach Passage 195 durch Entsprechend gibt es mehrere Ansätze für alterna- weitere Subkultivierung von 17D in embryonierten tive Impfstoffe, darunter die Herstellung von Tot Hühnereiern bis Passage 28417 gewonnen wurde. impfstoffen oder die Produktion eines Lebendimpf- Der Substamm 17DD wird derzeit vornehmlich in stoffs in Zellkulturen.75,95 Südamerika verwendet, während der Substamm 17D-204 weltweit im Einsatz ist. Der Impfstoff Stamaril ist subkutan oder intramus- kulär zu verabreichen,91 bei Erwachsenen am Ober- Das Impfvirus wird in Hühnerembryonen ver- arm, bei Säuglingen oder kleinen Kindern vorzugs- mehrt.83 Einige Impfstoffe sind noch mit dem aviä- weise anterolateral am Oberschenkel. Der Impfstoff ren Leukosevirus (ALV) kontaminiert. Auch wenn ist ab einem Alter von 6 Monaten zugelassen. Die Studien bisher auf keine negativen Auswirkungen Grundimmunisierung besteht aus 1 Impfstoffdosis auf Impflinge bei Kontamination mit diesem Retro- und sollte für einen optimalen Schutz mindestens virus hindeuten,84 wurde durch das RKI im Auftrag 10 Tage vor Exposition gegenüber dem GFV abge- der WHO ein neues ALV-freies 17D-204 Primärsaat- schlossen sein. Die Gabe darf nur in staatlich zuge- virus produziert (213 – 77 genannt).85,86 lassenen GF-Impfstellen erfolgen. In der kommerziellen Herstellung werden 2 Haupt- Für die ärztliche Aufklärung vor Gabe der GF-Imp- stämme verwendet (17D und 17DD). Zwischen den fung sind die Informationen aus den Fachinforma-
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 14 tionen verbindlich.91 Die wichtigsten Gegenanzei- 7.2 Methoden und Ergebnisse des systemati- gen für eine Verabreichung sind im Folgenden auf- schen Reviews und der Meta-Analyse zur gelistet, ausführlichere Informationen finden sich Schutzdauer nach Impfung gegen GF in den Empfehlungen der STIKO und der DTG zu Reiseimpfungen:96 7.2.1 Einleitung ▶▶ Alter < 6 Monate Die Übersichtsarbeit, auf der die WHO-Entschei- ▶▶ Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder dung zum Wegfall der Auffrischimpfung gründet, einen der in der Fachinformation genannten stammt aus dem Jahr 2013 und hat einige methodi- sonstigen Bestandteile91 sche Schwächen.105 Zudem wurden Einzelfallberich- ▶▶ bestätigte Hühnereiweißallergie te und retrospektive Studien mit einem höheren ▶▶ schwere Überempfindlichkeitsreaktionen auf Verzerrungsrisiko als prospektive Studien einge- vorangegangene GF-Impfungen schlossen.106 Zur Untersuchung der Schutzdauer ▶▶ symptomatische HIV-Infektion und HIV-Infek- nach Impfung gegen GF wurde von der STIKO ein tion mit CD4+-T-Zellzahl < 200/μl und/oder systematischer Review mit Meta-Analyse in Zusam- nicht supprimierter Viruslast menarbeit mit einem unabhängigen Forschungsun- ▶▶ Immundefizienz (kongenital, erworben oder ternehmen durchgeführt, dessen Ergebnisse im therapeutisch/iatrogen) Journal „Clinical Infectious Diseases“ veröffentlicht ▶▶ Thymuserkrankungen inkl. Thymom und sind.14 Myasthenia gravis ▶▶ schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen Es gibt keine klinischen Wirksamkeitsstudien zur nach einer GF-Impfung bei Verwandten ersten Schutzdauer einer GF-Impfung beim Menschen. Grades97–100 Gleichwohl kann eine gute Wirksamkeit der GF- Impfung angenommen werden, da Die Schwangerschaft stellt eine relative Kontraindi- (1) Impfkampagnen bei Ausbrüchen regelhaft die kation dar: Bei unvermeidbarem Expositionsrisiko Viruszirkulation schnell beendeten, kann die Impfung nach sorgfältiger Risiko-Nutzen- (2) geimpfte LaborarbeiterInnen, die mit vermeh- Abwägung verabreicht werden. Da das Impfvirus rungsfähigen GFV-Wildtypstämmen arbeiteten, über die Muttermilch übertragen werden kann und nicht erkrankten und damit die Gefahr einer Enzephalitis beim Kind be- (3) geimpfte nicht-humane Primaten bei Infektio- steht,101 sollten Stillende nicht geimpft werden, nen mit letalen GF-Infektionsdosen geschützt wenn das gestillte Kind < 6 Monate alt ist und auch waren.7,33 bei älteren Kindern sollte die Impfung der Stillen- den vermieden werden.102 Die Angaben zur Wirksamkeit beruhen fast aus- schließlich auf Studien zur Messung von neutrali- Bei schwerer, mit Fieber einhergehender Erkran- sierenden Antikörpern, die seit mehr als 80 Jahren kung sollte die Impfung auf einen späteren Zeit- durchgeführt werden und deren Ergebnisse als Sur- punkt verschoben werden. rogat für Schutz weltweit anerkannt sind.7,10,13,32,108,109 Nach einer Impfung entwickelt sich regelhaft eine 7.2.2 Methoden Virämie durch die Impfantigene, die bei verschiede- Entsprechend der PICO-Fragen (population, inter- nen Gruppen (z. B. Älteren) länger anhalten kann.103 vention, comparator, outcome; s. Appendix 1) wurden Monath et al. beobachteten, dass keine Virämie nach Studien unabhängig von Sprache, geografischer der Verabreichung von Auffrischimpfungen auftritt Lage, Veröffentlichungsstatus oder -datum einge- und mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkun- schlossen. Nur randomisierte kontrollierte Studien gen nach wiederholter Gabe milder verlaufen. Mit (randomised controlled trials, RCT), nicht-randomi- der Entwicklung von neutralisierenden Antikörpern sierte (Beobachtungs-)Studien mit Kontrollgruppen ist ein Rückgang der Virämie zu beobachten.104 und prospektive einarmige Beobachtungsstudien mit ≥ 50 Teilnehmenden (nicht-RCT) wurden in die Analyse aufgenommen. Retrospektive einarmige
Epidemiologisches Bulletin 32 | 2022 11. August 2022 15 Studien, prospektive einarmige Studien mit < 50 besten geeignete Methode zur Wirksamkeitsüber- Teilnehmenden und Fallberichte bzw. Fallserien prüfung eines 17D-Impfstoffs ist.112 Die Antikörper- wurden ausgeschlossen. bestimmung erfolgt im PRNT, dem Referenztest zum Nachweis der humoralen Immunität gegen In der Meta-Analyse wurden 3 Gruppen untersucht: GF.13,32,33,108 Die PRNT-Antikörperkonzentration wird (gesunde) Erwachsene, Kinder sowie Personen mit berechnet, indem Serumverdünnungen mit Stan- Immundefizienz. Zur Untersuchung der Dauer des dardviruskonzentrationen gemischt und die Neutra- impfinduzierten Schutzes gegen GF wurden die Da- lisation anhand der Plaque-Reduktion bestimmt ten entsprechend dem Nachbeobachtungszeitraum wird. Neutralisierende Antikörper ≥ 1 : 10 im PRNT nach der Impfung stratifiziert: ≤ 3 Monate; > 3 Mona- gelten als protektiv. Die mittels Antikörperbestim- te bis ≤ 5 Jahre; > 5 bis ≤ 10 Jahre; > 10 bis ≤ 20 Jahre; mung ermittelte Häufigkeit des primären Impf > 20 Jahre. In der Auswertung wurde unterschieden, ansprechens liegt bei gesunden Individuen zwi- ob die Studie in einem endemischen Gebiet oder ei- schen 80 – 100 % innerhalb der ersten 10 Tage und nem nicht-endemischen Gebiet durchgeführt wor- bei 99 % innerhalb von 30 Tagen nach Impfung.7,93 den war. Analysiert wurde der Anteil der Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Imp- Bisher ist nicht bekannt, inwieweit eine fehlende fung seropositiv waren. Alle Analysen wurden (so- Serokonversion (primäres Impfversagen) und eine weit Daten vorhanden waren) sowohl für 1 einzelne nachlassende Immunität (sekundäres Impfversa- Impfstoffdosis, als auch 1 Auffrischimpfung und gen) das individuelle Risiko für eine GF-Erkran- ≥ 2 Auffrischimpfungen durchgeführt. kung beeinflussen. Die systematische Literaturrecherche wurde in Im Vergleich zu Studien, die die humorale Immu- 15 Datenbanken ausgeführt (Datum der letzten Su- nität untersuchen, gibt es nur wenige Studien zur che: 12. November 2021). Nach der Entfernung von T-Zell-Immunität. Akondy et al. zeigten, dass der Duplikaten verblieben 4.800 Publikationen für eine GF-17D-Impfstoff eine breite CD8+-T-Zellantwort weitere Überprüfung auf der Grundlage von Titeln induziert, die auf mehrere Epitope innerhalb jedes und Abstracts. Ausführliche Informationen zu allen viralen Proteins abzielt,113 wobei das Ausmaß der Suchstrategien und die Liste der ausgeschlossenen CD8+-T-Zellantwort stark mit der Impfvirusdosis zu Studien finden sich im Appendix 2 und Appendix 3. korrelieren scheint. Die Antigenmenge im Impf- stoff sollte daher bestimmte Schwellenwerte nicht Das Verzerrungsrisiko in RCT wurde mit dem unterschreiten.114 Cochrane Risk of Bias Tool bewertet.110 Zur Bewer- tung nicht-randomisierter Studien kam die Check- Amanna und Slifka diskutieren in ihrer Übersichts- liste für nicht-randomisierte experimentelle Studien arbeit von 20168 die Rolle des impfstoffvermittelten des JBI (ehemals Joanna Briggs Institute) zur An- T-Zellgedächtnisses. In 2 klinischen Studien wurde wendung.111 Studienarme ohne GF-Impfstoff (z. B. bestimmt, ob eine bereits bestehende GFV-spezifi- nur Placebo-Gabe) wurden nicht analysiert. Wenn sche Immunität die Virusreplikation nach der Gabe eine Studie Ergebnisse zu mehreren Zeitpunkten von GFV-17D oder chimären Versionen von GFV- für dieselben Teilnehmendengruppen berichtete, 17D beeinflussen würde. In den chimären Versio- wurden nur die Ergebnisse für Zeitpunkte einge- nen wurden die Prämembran- und Hüllproteine schlossen, die jeweils am nächsten bei 3 Monaten, von GFV-17D durch JEV115 bzw. DENV2116 ersetzt. 5 Jahren, 10 Jahren und 20 Jahren lagen. Die rekombinanten Impfviren bestanden aus dem GFV-17D-Kapsid-Strukturprotein und 7 GFV-17D- 7.2.3 Immunogenität und Seroprotektion Nichtstrukturproteinen, konnten aber nicht mehr Beim Vergleich verschiedener Testmethoden zur durch GFV-17D-spezifische Antikörper neutralisiert Untersuchung der IgG-Antikörperbildung nach werden, sodass eine antikörperunabhängige Unter- GF-Impfung (Neutralisationstest, Hämagglutina suchung der T-Zell-Immunität möglich war. Bei der tionshemmtest, IFA, ELISA) zeigte sich, dass die Inokulation GFV-naiver ProbandInnen mit GFV- Messung der neutralisierenden Antikörper die am 17D und den beiden rekombinanten Impfviren wur-
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