Erfahrungsbericht Nanjing - Wintersemester 2016/17 - Studium
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Im August 2016 bin ich nach China geflogen, um dort ein Semester lang an der Universität Nanjing zu studieren. Ich hoffe, dass ich Euch/Ihnen mithilfe dieses Berichts möglichst viel Information und Motivation für einen Auslandsaufenthalt vermitteln kann. Persönliches und akademisches Interesse am Gastland Ich studiere im 5. Semester Sinologie im Hauptfach und Portugiesisch im Nebenfach. Ein Auslandsaufenthalt ist als Sprachstudent m.E. einfach notwendig, um die Sprache richtig erlernen zu können. Im Rahmen des Bachelor-Sinologiestudiums eignet sich der Auslandsaufenthalt besonders gut nach dem 4. Semester. Mein Sprachniveau war noch nicht so hoch, dennoch hatte ich genug gelernt, um mich in China zurechtfinden zu können und um gut von den Kursen profitieren zu können. Vorbereitung und Organisation des Auslandaufenthaltes Alle Partneruniversitäten des International Office sind sehr gut, so auch die Universität Nanjing. Vor 14 Jahren war ich schon einmal für ein paar Tage in Nanjing und nun wollte ich die Stadt und die Universität genauer kennenlernen. Nanjing bietet eine besondere Mischung aus einer modernen Stadt mit einer reichen Geschichte (mehrmals war Nanjing u.a. Hauptstadt Chinas). Die Bewerbung beim International Office mag zunächst aufwendig erscheinen. Letztlich ist aber alles sehr gut machbar und es ist einfach nur wichtig, dass man sich an alle Deadlines hält und Anträge (z.B. Visum) rechtzeitig stellt, damit man zum Beginn des Studiums auch gut vorbereitet ist. Hierbei sollte man sich nicht verrückt machen lassen, wenn Briefe aus China sehr spät ankommen und man meint, nicht alle Unterlagen zusammen bekommen zu können. Die Partneruniversität kennt auch die Abläufe und schließlich bekommt man alle Dokumente. Flüge sollte man möglichst frühzeitig buchen. Ich habe meine Flüge bei STA Travel gebucht und kann sowohl Preise als auch Service dort empfehlen. Hier lohnt es sich aber durchaus an verschiedenen Tagen zu verschiedenen Reiseberatern zu gehen. So habe ich plötzlich einen deutlich günstigeren Flug bekommen – schlichtweg, weil ein Mitarbeiter eine bessere Kenntnis von den Flügen nach Asien hatte als ein anderer. Flüge von der Schweiz aus über München nach Abu Dhabi/Dubai mit Ziel Shanghai können sehr günstig sein. Die Krankenversicherung und Auslandshaftpflichtversicherung habe ich auch gleich bei STA Travel abgeschlossen. Wohnen in Nanjing Es gibt an der Universität Nanjing zwei wesentliche Campus. Der „Gulou“-Campus ist der alte Kern der Universität und liegt mitten im Stadtzentrum. Dort befinden sich viele Institute und auch einige Wohnheime, Mensen, Sportplätze etc. Vor ein paar Jahren wurde ein komplett neuer, noch größerer Campus „Xianlin“ am Stadtrand gebaut. Da in diesem Jahr die Wohnheime für ausländische Studierende in Gulou renoviert werden, wurden die meisten Austauschstudierenden in einem neuen Wohnheim in Xianlin untergebracht. Es stand jedoch jedem Studenten frei, in einem Wohnheim zu wohnen oder privat in einer Wohnung. Die Wohnheime in Xianlin kann ich weiterempfehlen. Die Gebäude sind erst wenige Jahre alt und die Ausstattung ist neu. Standardmäßig waren alle in Einzelzimmern (nur auf Wunsch in Doppelzimmern) untergebracht, die eigtl. für drei
chinesische Studenten konzipiert wurden. Das bedeutet, dass jedes Zimmer über drei Hochbetten verfügt mit darunterliegendem Schreibtisch und Schränken. Man kann sich also jede Nacht neu aussuchen, in welchem Bett man jetzt schlafen möchte... Alternativ kann man die Holzlattenroste einfach auf dem Boden übereinander stapeln und so ein eigenes Bett bauen. Gerade für große Menschen bietet sich das an. Zu jedem Zimmer gehört auch ein eigenes kleines Bad, welches leider ausschließlich über chinesische Toiletten verfügt, d.h. man kann sich nicht hinsetzen. Viele Austauschstudenten waren hierüber überrascht und sind deshalb nicht ins Wohnheim eingezogen. Es ist jedoch möglich, für ca. 45 RMB auf Taobao (das chinesische Amazon oder Ebay) einen Toilettenstuhl zu kaufen, sodass man kaum auf Komfort verzichten muss. Die Miete für das ganze (!) Semester hat insg. nur 1500 RMB betragen. Ein WG-Zimmer in der Stadtmitte kostet ca. 2000 RMB pro Monat. In Xianlin waren alle Austauschstudenten auf 5 Stockwerke in einem einzigen Wohnheim verteilt. Dadurch hat sich ein Gruppengefühl entwickelt und man ist regelmäßig den ansonsten extrem seltenen Ausländern begegnet. Der Xianlin-Campus ist riesig und lässt sich am besten als eine kleine Stadt mit Mauern, Toren und einem extra Shuttlebus (nur für den Campus) beschreiben. Es gibt diverse Institute, Unterrichts-und Verwaltungsgebäude, Bibliothek, Mensen, Banken, Supermärkte, Sportplätze, ein Schwimmbad, Fitnessstudio und Kampfsportplätze, eine Badmintonhalle, Friseur etc. Das soll verdeutlichen, dass es problemlos möglich ist, komplett auf dem Campus zu wohnen und niemals in die Stadt zu fahren. Zwar ist es auf dem Campus sehr sauber und es gibt fast ausschließlich Fahrradverkehr – vom chinesischen Alltagsleben bekommt man dort aber nichts mit. Wenn man sich dafür entscheidet, in Xianlin zu wohnen, dann sollte man wissen, dass es wirklich weit entfernt vom Stadtzentrum ist. Mit dem Fahrrad fährt man in 10-15 Minuten vom Wohnheim zum Haupttor des Campus. Dort befindet sich eine U-Bahn-Station und man fährt in ca. 40 Minuten ins Stadtzentrum. Mit der gerade neu fertiggestellten U-Bahn-Linie 4 geht es etwas schneller. Abends fährt die letzte U-Bahn gegen 23 Uhr vom Stadtzentrum zurück nach Xianlin. Das ist aber kein großes Problem, da ab Mitternacht die Tür des Wohnheims sowieso geschlossen ist und man besser nicht die Ayi (allg. Bezeichnung für u.a. Frauen die als Pförtnerinnen arbeiten) aufwecken sollte. Durch die besondere Situation, dass in diesem Jahr erstmalig Austauschstudenten (aufgrund der Renovierung) in Xianlin wohnten, gab es eine Zweiteilung. Ca. 60% der Austauschstudenten wohnte in Gulou und der Rest in Xianlin. Aus diesem Grund wurden schließlich Sprachkurse an beiden Orten angeboten und man hatte die freie Wahl.
Sprachkurse Nach der Ankunft erfolgt die Anmeldung und Erledigung der meisten Formalien am Gulou- Campus. Leider kam es hier zu einem ziemlich großen Chaos und beispielsweise musste jeder Student eine Krankenversicherung abschließen – selbst wenn man schon eine Auslandskrankenversicherung vorweisen konnte. Dabei haben Studenten, die nur ein Semester dortgeblieben sind, unterschiedliche Beträge zahlen müssen. Das Personal der Universität war leider sehr schlecht informiert. Bei dieser allgemeinen Anmeldung konnte man sich auch zum Sprachtest zur Eingruppierung in den jeweils passenden Sprachkurs anmelden. Dieser sollte eigtl. obligatorisch sein, jedoch gibt es hier bei Bedarf auch Ausnahmen. Falls man den Sprachtest verpasst, ist es kein Problem – man kann zunächst einen Sprachkurs seiner Wahl besuchen und in den ersten zwei Wochen des Semesters bei Bedarf alle Kurse wechseln. Die Sprachkurse teilen sich in 7 verschiedene Niveaus auf und bestehen in der Regel aus einem allgemeinen Sprachkurs, einem Konversationskurs und einem Hörverständniskurs. Während meines Aufenthaltes habe ich einen der mittleren Kurse (Zhongxia) besucht. Normalerweise hat man von Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr Unterricht und am Nachmittag frei. Das lässt vermuten, dass man sehr viel Freizeit hat – dem ist aber nicht so, da man für die Kurse viel lernen muss. Wir hatten jede Woche 2-3 Vokabeltests und ein aufwendiges Arbeitsblatt musste abgegeben werden. Hinzu kamen Zwischenklausuren in der Mitte des Semesters und natürlich die Abschlussklausuren oder Präsentationen. In allen Sprachkursen zusammen genommen haben wir ca. 100 neue Vokabeln pro Woche gelernt. Tendenziell war der Sprachunterricht in allen Kursen relativ frontal ausgerichtet. Die Bezeichnung der Kurse hatte nicht unbedingt etwas mit dem Inhalt zu tun: Im Hörverständniskurs haben wir durchaus mehr gesprochen als im Konversationskurs – der
Dozent im letzteren Kurs hat sich so wenig Mühe gegeben, dass er nach Beschwerden durch Studierende nach zwei Monaten ausgetauscht wurde. Dennoch muss ich sagen, dass ich in allen Kursen etwas gelernt habe und sich mein Chinesisch deutlich verbessert hat. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die Kommilitonen aus vielen unterschiedlichen Ländern sehr nett waren und dass die Stimmung in der Gruppe sehr gut war. Zusätzliche Kurse und Aktivitäten Zusätzlich zu den Sprachkursen gibt es ein Angebot an unterschiedlichen Kursen auf Englisch (Geschichte, Kultur, Wirtschaft etc.). Ich habe mich jedoch bewusst dagegen entschieden, einen dieser Kurse zu besuchen, um mich auf das Chinesischlernen fokussieren zu können. Ähnliches gilt für die zahlreichen studentischen Initiativen und Hochschulgruppen: Die von diesen Gruppen organisierten Veranstaltungen sind meistens öffentlich und daher habe ich die Möglichkeit genutzt, an verschiedenen Veranstaltungen zum Netzwerken, Start-ups, Weihnachtsfeiern etc. teilzunehmen. Darüber hinaus habe ich Deutsch an einer privaten Sprachschule unterrichtet. In Nanjing gibt es wenig Deutsche – aber relativ viele Chinesen, die Deutsch lernen. Daher ist es gut möglich, einen Job als Deutschlehrer (oder allgemein als Englischlehrer) zu bekommen. Die Schüler sind wissbegierig, das Unterrichten bringt meistens Spaß und es ist manchmal notwendig, etwas auf Chinesisch zu erklären. Dadurch konnte ich mein Chinesisch beim Unterrichten auch ein wenig verbessern. Durch eine Freundin habe ich den Kontakt zu einer Sprachschule in Nantong (eine Stadt in der Nähe) erhalten. Vor Ort gibt es nahezu gar keine Deutschen und die dortige Schule war auf der Suche nach einem Lehrer. Also habe ich angefangen, über das Internet per Webcam Deutsch zu unterrichten. Jetzt bin ich zwar zurück in Deutschland, das Unterrichten setze ich aber fort. Seit kurzem behandle ich auch Themen komplett auf Chinesisch (z.B. „Ostern“). So kann ich Chinesen etwas über die deutsche Kultur vermitteln und Lust auf das Erlernen der deutschen Sprache machen. Kritik und Empfehlung Das wesentliche Ziel des Auslandsaufenthaltes war die Verbesserung des Sprachniveaus. Obwohl der Sprachunterricht zwar nicht so gut war, habe ich dennoch mein Chinesisch deutlich verbessern können und bin allgemein froh, dieses Semester in Nanjing verbracht zu haben. Dennoch gibt es auch einige negative Punkte: Die Luftqualität ist leider sehr schlecht (ich hatte drei Wochen lang einen unangenehmen Husten), die Qualität der Lebensmittel ist gering (und in den Wohnheimen gibt es keine Küchen), keine Heizung in den Wohnheimen, es gibt kein freies Internet usw. Man sollte sich bewusst sein, dass in vielerlei Hinsicht die Lebensqualität nicht so hoch ist wie in Deutschland. Für mich war es trotzdem in Ordnung, da ich mich vorher schon darauf einstellen konnte und es war klar, dass der Austausch begrenzt ist auf nur ein Semester. Außerdem habe ich es genossen, in China zu reisen. Eine knappe Woche lang war ich auf Hainan (tropisches Wetter, ein ganz „anderer“ Teil Chinas), in Shanghai, Qufu (die Geburtsstadt von Konfuzius) und ich habe den Taishan bestiegen.
Zuletzt möchte ich, um etwas Lust zu wecken, erzählen, was mir aus Nanjing besonders im Gedächtnis geblieben ist: Nanjing – zwischen Tradition und Moderne Besonders schön finde ich in Nanjing die Verbindung zwischen Tradition und Moderne. Es gibt einige alte Sehenswürdigkeiten (Ming-Gräber, Sun Yat-sen Mausoleum, Kloster etc.) und moderne Architektur. Zu meinen persönlichen Highlights zählt ein Nachbau eines Schiffes des größten chinesischen Seefahrers Zheng He. Dieses Schiff habe ich mit einigen Freunden an meinem Geburtstag besichtigt. Das Besondere daran ist, dass dieses Schiff genau an der Stelle steht, an der auch das damalige Originalschiff gebaut wurde. Noch heute sind die alten Fertigungsanlagen zu sehen.
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