Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit mit der Movement ABC-2

Die Seite wird erstellt Luca Jordan
 
WEITER LESEN
Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit mit der Movement ABC-2
Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit mit der Movement ABC-2

                                                        Franz Petermann und Julia Kastner

              Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen

Zusammenfassung
Motorische Kompetenz bildet die Basis für körperliche Gesundheit, die Integration in das
soziale Umfeld sowie den schulischen Erfolg. Mögliche Defizite im Bereich der motorischen
Entwicklung müssen frühzeitig festgestellt werden, um gezielte Fördermaßnahmen einzulei-
ten. Die Movement ABC-2 gehört weltweit zu den am häufigsten eingesetzten Testverfahren
zur Überprüfung der motorischen Leistungsfähigkeit. Erstmals liegt nun eine deutsche Fas-
sung des Verfahrens vor. Die Movement ABC-2 erfasst die motorische Leistungsfähigkeit
von Kindern und Jugendlichen im Alter von 3;0 bis 16;11 Jahren. Es werden die Handge-
schicklichkeit, die Ballfertigkeiten sowie die Fähigkeit zur Balance erhoben. Für alle drei
Komponenten und den Gesamttestwert werden dem Alter angepasste Standardwerte und Pro-
zentränge angegeben. Ein differenziertes Leistungsprofils ermöglicht, therapeutische Maß-
nahmen auf die Bedürfnisse des Kindes abzustimmen.
Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit mit der Movement ABC-2
Die Entwicklung der motorischen Fertigkeiten spielt im Kindes- und Jugendalter eine bedeut-
same Rolle. Die Fähigkeit, sich ohne Einschränkungen bewegen zu können, ist eine wichtige
Voraussetzung für die Bewältigung alltäglicher Anforderungen und verringert das Risiko ge-
sundheitsschädlicher Folgen, wie Herz-Kreislaufprobleme oder Übergewicht, die durch Be-
wegungsmangel begünstigt werden. Motorische Kompetenz ist aber nicht nur die Basis kör-
perlicher Gesundheit, sondern auch eine entscheidende Grundlage von schulischem Erfolg,
sozialer Integration und gesellschaftlicher Anerkennung (Opper, Worth, Wagner & Bös,
2007).

Die motorische Leistungsfähigkeit kann unterschiedlich beeinträchtigt sein. Zum einen kön-
nen Defizite auftreten, die nachweislich auf eine neurologische Schädigung zurückzuführen
sind, zum anderen kann es sich um entwicklungsbedingte Koordinationsstörungen handeln,
denen keine nachweisbaren angeborenen oder erworbenen neurologischen Störungen zugrun-
de liegen. Das Störungsbild der entwicklungsbedingten Koordinationsstörung ist dabei häufig
sehr heterogen. Manche Kinder weisen ausschließlich Probleme in fein- oder grobmotori-
schen Bereichen auf, andere Kinder wiederum haben in beiden Bereichen große Schwierig-
keiten. Das Ausführen alltäglicher Handlungen, wie beispielsweise das Anziehen und Zu-
knöpfen einer Jacke oder das Essen mit Messer und Gabel, fällt den Betroffenen häufig sehr
schwer. Um den schulischen Alltag erfolgreich bewältigen zu können, sind Kinder sowohl auf
fein- als auch auf grobmotorische Fertigkeiten angewiesen. McHale und Cermak (1992) beo-
bachteten, dass Kinder etwa 30-60% des Schultags mit feinmotorischen Tätigkeiten verbrin-
gen, wobei das Schreiben dabei den größten Anteil ausmacht. Grobmotorische Fertigkeiten
kommen hingegen überwiegend im Sportunterricht und auf dem Pausenhof zum Einsatz. Da-
bei werden laut Primeau (1992) (zitiert nach Cermak, Gubbay & Larkin, 2002) nur 27% der
motorisch eingeschränkten Kinder in die Spiele der Klassenkameraden mit einbezogen, hin-
gegen 84% der gesunden Kinder. Zwei Beispiele sollen veranschaulichen, wie sich motori-
sche Beeinträchtigungen im Alltag äußern. Ein siebenjähriger Junge kam oft hungrig nach der
Schule nach Hause, weil er in der Regel nur die Hälfte seines Frühstücks gegessen hatte. Es
stellte sich heraus, dass er die meiste Zeit der Pause dafür benötigte, um seine Brotdose zu
öffnen und ihm deshalb kaum noch Zeit blieb, sein Frühstück zu essen. Ein 14-jähriges Mäd-
chen, welches stets in allen Schulfächern gute Noten erzielte, schrieb häufig nur sehr kurze
Aufsätze, da das Schreiben ihr große Mühe bereitete und sie in der vorgegebenen Zeit nur
wenige Wörter zu Papier brachte (Cermak et al., 2002).
Diese Fallbeispiele verdeutlichen, welche Beeinträchtigungen durch eine unzureichende mo-
torische Leistungsfähigkeit im alltäglichen Leben von Kindern entstehen. Vor allem das zwei-
te Beispiel zeigt auf, dass es nicht ausreicht, eine Tätigkeit ausführen zu können, sondern dass
es zusätzlich erforderlich ist, dieses auch innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu tun. Um
Betroffene angemessen unterstützen und fördern zu können, ist zunächst eine umfassende
Diagnostik erforderlich. In diesem Rahmen sollte immer auch ein Motoriktest, wie z.B. die
Movement ABC-2, eingesetzt werden, um die Stärken und Schwächen eines Kindes zu evalu-
ieren und den Grad der Betroffenheit objektiv einzuschätzen. Viele der Testverfahren, die in
der Praxis häufig zur Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden, sind
vor mehr als 20 Jahren entwickelt und normiert worden, weshalb es sehr fragwürdig erscheint,
ob die Normen in Anbetracht veränderter Lebensbedingungen noch aktuell sind (Bös, 2003;
Schott & Roncesvalles, 2004;). Dieses weist auf die Notwendigkeit hin, ein aktuelles Messin-
strument für den deutschen Raum zu schaffen, welches nun mit der Movement ABC-2 zur
Verfügung steht.

Was ist ein Motoriktest?
Motoriktests dienen dazu, ein und mehrere abgrenzbare Merkmale des motorischen Fähig-
keitsniveaus objektiv abzubilden, wobei diese von unterschiedlichem Umfang und unter-
schiedlicher Komplexität sein können. Es lassen sich dabei Inventare, Testbatterien und
Screenings unterscheiden. Inventare erfassen ein sehr weites Fähigkeitsspektrum. Mithilfe
vieler unterschiedlicher Aufgabentypen lässt sich die motorische Leistungsfähigkeit eines
Kindes anhand eines Gesamtwertes beschreiben. Testbatterien, wie beispielsweise die Move-
ment ABC-2, überprüfen hingegen eine überschaubare Anzahl inhaltlicher Bereiche, die je-
weils durch Untertest abgebildet werden, die relativ ähnliche Dimensionen der Motorik, wie
beispielsweise Feinmotorik oder Gleichgewicht, erfassen. Dabei können neben dem Gesamt-
testwert auch Werte für die einzelnen Dimensionen ermittelt werden. Screeningverfahren sol-
len mithilfe möglichst weniger Aufgaben motorisch auffällige Kinder ermitteln.

Die Movement ABC-2
Bei der Movement Assessment Battery for Children- 2 (Movement ABC-2; vgl. dt. Version:
Petermann, 2008) handelt es sich um eine Testbatterie zur Erfassung der motorischen Leis-
tungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen im Alter von 3;0 bis 16;11 Jahren. Erstmalig
wurde eine deutsche Bearbeitung der Movement ABC-2 vorgenommen und die klinische
Aussagekraft des Verfahrens 2007 und 2008 an einer deutschen Stichprobe von 634 Kindern
in verschiedenen Regionen der Bundesrepublik überprüft.
Da mithilfe der Movement ABC-2 die motorische Leistungsfähigkeit eines sehr großen Al-
tersspektrums überprüft werden kann, stehen insgesamt drei Testbatterien für unterschiedliche
Altersgruppen zur Verfügung. Alle Testbatterien sind nach demselben Prinzip aufgebaut. Dies
bedeutet, dass stets die gleichen Fähigkeiten über ähnliche Aufgabentypen, die dem jeweili-
gen Entwicklungsstand der Kinder angemessen sind, erfasst werden. Die drei Altersgruppen
werden folgendermaßen untergliedert:

   • Altersgruppe 1: 3;0 bis 6;11 Jahre
   • Altersgruppe 2: 7;0 – 10;11 Jahre
   • Altersgruppe 3: 11;0 – 16;11 Jahre

Für jede Altersgruppe liegen insgesamt acht Untertests vor, um fein- und grobmotorische Fer-
tigkeiten zu überprüfen, die durch die drei Skalen Handgeschicklichkeit, Ballfertigkeiten und
Balance abgebildet werden. Es besteht die Möglichkeit, Standardwerte und Prozentränge für
die einzelnen Skalen zu berechnen. Aus den Ergebnissen aller acht Untertest kann zusätzlich
ein Gesamttestwert ermittelt werden, der als Indikator für die gesamte motorische Leistungs-
fähigkeit eines Kindes dient. Dieser Gesamtwert setzt sich aus den Leistungen zusammen, die
ein Kind in den jeweiligen Skalen Handgeschicklichkeit (HG), Ballfertigkeiten (BF) und Ba-
lance (BL) erreicht hat und wiederum aus den Ergebnissen der acht Untertests ermittelt wer-
den. Folgende Abbildung soll den Aufbau der Movement ABC-2 veranschaulichen:

                                             Gesamttestwert
                               (Indikator für die allgemeinemotorische Leistungsfähigkeit)

          Handgeschick‐                          Ballfertigkeiten                                 Balance
             lichkeit

     HG        HG         HG                       BF              BF                        BL    BL       BL

Abbildung 1. Struktureller Aufbau der Movement ABC-2 (Petermann, 2008, S.20).
Die Movement ABC-2 ermöglicht dem Anwender, auf schnelle und einfache Weise spiele-
risch die Fein- und Grobmotorik zu überprüfen. Die Skalen Handgeschicklichkeit, Ballfertig-
keiten und Balance überprüfen alltagsnahe Fertigkeiten, die vor allem im Kindergarten- und
Schulalltag ständig benötigt werden. Die Geschicklichkeit der Hände spielt eine herausragen-
de Rolle, wenn es darum geht, die Umwelt zu entdecken und neue Dinge und Tätigkeiten aus-
zuprobieren. Dabei ist das Zusammenspiel und die Koordination beider Hände auf verschie-
dene Art und Weise (z.B. auch unter Zeitdruck) von großer Wichtigkeit. Die Movement
ABC-2 überprüft daher zum einen die Geschwindigkeit und Sicherheit der Bewegungen jeder
Hand (HG1), die Koordination bei der Bearbeitung einer einzelnen Handlung (HG2) sowie
die Koordination von Hand und Auge, da diese insbesondere zur Kontrolle eines Stiftes benö-
tigt wird (HG3).

Tabelle 1. Untertests der Skala Handgeschicklichkeit (AG=Altersgruppe) (Petermann, 2008,
S.22).

 Altersgruppe            Name                                           Inhaltliche Beschreibung

AG1             HG1: Taler einwerfen     Das Kind erhält die Aufgabe, sechs bzw. zwölf Plastiktaler von der Tischplatte aufzu-
                                         nehmen und durch einen schmalen Schlitz in eine Plastikbox zu stecken.

AG1             HG2: Perlen aufziehen    Aufgabe des Kindes ist es sechs bzw. zwölf Plastikperlen auf eine Schnur aufzufädeln.

AG2             HG1: Stifte einstecken   Das Kind erhält die Aufgabe, kleine Plastikstecker schnellstmöglich in ein Brett zu
                                         stecken.

AG2             HG2: Schnur einfädeln     Aufgabe des Kindes ist es, eine Schnur durch die Löcher eines Plastikbrettes zu
                                         ziehen.

AG3             HG1: Stifte umdrehen     Das Kind erhält die Aufgabe, kleine Plastikstecker schnellstmöglich in ein Brett zu
                                         stecken.

AG3             HG2: Dreieck bauen       Aufgabe des Kindes ist es eine Schnur durch die sechs Löcher eines Plastikbrettes zu
                                         ziehen.

AG1,2 und 3     HG3: Spur nachzeich-     Zwischen zwei Linien soll eine kontinuierliche gezeichnet werden, ohne die Begren-
                nen 1,2 und 3            zungen zu übermalen.

Fangen und Werfen erfordert ein komplexes Zusammenwirken verschiedener fein- und grob-
motorischer Bewegungen, wie beispielsweise die Einnahme der richtigen Körperhaltung und
Bewegung des Rumpfes, die Ausrichtung von Armen, Händen und Fingern sowie das richtige
Zusammenspiel von Hand und Auge. Ballspiele eignen sich optimal als Aufgaben in einem
Motoriktest, da sie spielerisch eine Bandbreite an Fertigkeiten erfassen und dafür sorgen, dass
die Kinder zur Testung motiviert sind. Die Movement ABC-2 überprüft, inwieweit ein Kind
in der Lage ist, ein Objekt (Bohnensäckchen oder Tennisball) sicher aufzufangen (BF1) sowie
die Fähigkeit, ein Objekt zielsicher zu werfen (BF2).
Tabelle 2. Untertests der Skala Ballfertigkeiten (AG=Altersgruppe) (Petermann, 2008, S.23).

Altersgruppe   Name                     Inhaltliche Beschreibung

AG1            BF1: Bohnensäckchen
                                        Der Testleiter wirft dem Kind ein Bohnensäckchen zu, welches dieses auffangen soll.
               fangen
                                        Die Entfernung zwischen TL und Kind beträgt dabei 1,80m.

AG1            BF2:Bohnensäckchen
                                        Das Bohnensäckchen soll in den orangefarbigen Kreis einer 1,80m entfernten Matte
               werfen 1
                                        geworfen werden.

AG2            BF1:     Zweihändiges
                                        Das Kind wirft einen Tennisball von der markierten Distanz aus an die Wand und fängt ihn
               Fangen
                                        beim Zurückspringen mit beiden Händen zusammen auf, ohne dass dieser auf dem Boden
                                        aufspringt.

AG2            BF2:Bohnensäckchen
                                        Das Bohnensäckchen soll in den orangefarbigen Kreis einer 1,80m entfernten Matte
               werfen 2
                                        geworfen werden.

AG3            BF1:       Einhändiges
                                        Das Kind wirft einen Tennisball von der markierten Distanz aus an die Wand und fängt ihn
               Fangen
                                        beim Zurückspringen mit beiden Händen zusammen auf, ohne dass dieser auf dem Boden
                                        aufspringt.

AG3            BF2: Zielwerfen
                                        Das Bohnensäckchen soll in den orangefarbigen Kreis einer 1,80m entfernten Matte
                                        geworfen werden.

Die Balance ist die grundlegende Basis dafür, dass komplexe motorische Aktivitäten über-
haupt ausgeführt werden können. Sie umfasst die Stabilisierung der Körperhaltung in Zustän-
den der Ruhe und Bewegung, weshalb die Fähigkeit zur Balance in zwei Arten unterteilt wird,
die beide von der Movement ABC-2 abgebildet werden. Es handelt sich dabei um die stati-
sche und dynamische Balance. Die statische Balance wird überprüft, indem das Kind so lange
wie möglich eine bestimmte Position halten soll (BL1). Die dynamische Balance erfasst, ob
das Kind in der Lage ist, schnelle und explosive Bewegungen auszuführen, ohne das Gleich-
gewicht zu verlieren (BL2) und ob langsame und exakte Bewegungen ohne Balanceverlust
ausgeführt werden können (BL3).
Tabelle 3. Untertests der Skala Balance (AG=Altersgruppe) (Petermann, 2008, S.26).

Altersgruppe   Name                       Inhaltliche Beschreibung

AG1            BL1: Einbeinstand
                                          Aufgabe des Kindes ist es, für maximal 30 Sekunden auf einem Bein stehend, die
                                          Balance zu halten.

AG1            BL2: Laufen mit abgeho-
                                          Das Kind läuft eine Linie entlang ohne mit der abgehobenen Ferse den Boden zu
               benen Fersen
                                          berühren.

AG1            BL3: Mattenhüpfen 1
                                          Aus einer stehenden Position heraus, in der die Füße zusammen stehen, hüpft das
                                          Kind vorwärts von Matte zu Matte und kommt auf der Zielmatte zum Stehen.

AG2            BL1: Einbrettbalance
                                          Das Kind balanciert für maximal 30 Sekunden auf einem Fuß auf dem Balancebrett.

AG2            BL2: Laufen Ferse-an-Zeh
                                          Das Kind läuft so auf der Linie entlang, dass bei jedem Schritt die Ferse des einen Fu-
               vorwärts
                                          ßes, die Zehen des anderen Fußes berührt.

AG2            BL3: Mattenhüpfen 2
                                          Aus einer stehenden Position heraus, in der die Füße zusammen stehen, hüpft das
                                          Kind vorwärts von Matte zu Matte und kommt auf der Zielmatte zum Stehen.

AG3            BL1: Zweibrettbalance
                                          Das Kind balanciert für maximal 30 Sekunden so auf dem Balancebrett, dass sich
                                          die Ferse des einen Fußes und die Zehen des anderen Fußes berühren.

AG3            BL2: Laufen Ferse-an-Zeh
                                          Das Kind läuft rückwärts die Linie entlang, wobei die Zehen des einen Fußes die Ferse
               rückwärts
                                          des anderen Fußes bei jedem Schritt berühren müssen.

AG3            BL3: Zick-Zack Hüpfen
                                          Aus einer stehenden Position heraus macht das Kind fünf durchgehende diagonale
                                          Sprünge von einer Matte zu anderen und kommt auf der Zielmatte zum Stehen.

Testmaterial
Das Testset besteht aus dem Testkoffer, der die kompletten Materialien enthält. Dazu gehören
beispielsweise ein Bohnensäckchen, ein Tennisball, Perlen, ein Balancebrett und viele weitere
Dinge, die bei der Durchführung der Untertests zum Einsatz kommen. Zusätzlich sind im
Testkoffer das Manual (Petermann, 2008), Stifte sowie 25 Protokollbögen für jede der drei
Altersgruppen vorhanden. Die Protokollbögen wurden dabei so gestaltet, dass für jede Alters-
gruppe ein Bogen in einer spezifischen Farbe vorliegt, um eine einfach Handhabung zu ge-
währleisten. Die Bodenmatten, die für einige Aufgaben benötigt werden, befinden sich in ei-
ner zusätzlichen Tasche. Der Testraum sollte neben den eigentlichen Testmaterialien kein
weiteres Spielzeug bereitstellen und mit kindgerechten Möbeln ausgestattet sein, da die Un-
tertests zur Überprüfung der Handgeschicklichkeit im Sitzen durchgeführt werden.
Abbildung 2. Testmaterialien der Movement ABC-2.

Durchführung
Die Movement ABC-2 zeichnet sich durch eine einfache und schnelle Handhabung aus. Die
Durchführungszeit beträgt je nach Grad der Beeinträchtigungen des Kindes maximal 20-30
Minuten. Für einige Aufgaben existieren zusätzliche Abbruchregeln, die zur Anwendung
kommen, wenn ein Kind eine Aufgabe altersentsprechend bewältigt hat. Diese Regeln be-
schleunigen die Testdurchführung, wobei die Zuverlässigkeit des Verfahrens nicht einge-
schränkt wird.
Die Berechnung des exakten Alters sollte bereits vor Beginn der Testung erfolgen, damit die
richtige Altersgruppe und der richtige Protokollbogen ausgewählt werden können. Die Tes-
tung beginnt zunächst immer mit einer kurzen Kontaktaufnahme zwischen Testleiter und
Kind, um ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Die Präsentation der einzelnen Test-
aufgaben sollte normalerweise in der im Manual vorgegebenen Reihenfolge stattfinden. Ist
ein Kind jedoch aus verschiedensten Gründen unmotiviert, einen bestimmten Untertest zu
bearbeiten, kann die Reihenfolge auch verändert werden, um zu gewährleisten, dass das Ver-
fahren bis zum Ende durchgeführt werden kann.

Die Ausführung aller Untertests erfolgt stets nach demselben Prinzip. Aufbau, Instruktionen
und Bewertungskriterien sind im Manual für alle Aufgaben ausführlich dargestellt und bebil-
dert. Somit wird eine objektive Testdurchführung, Auswertung und Interpretation der Ergeb-
nisse garantiert.
Abbildung 3. Beispielbilder zur Durchführung des Untertests „Bohnensäckchen werfen“ (Pe-
termann, 2008, S. 55).

Das Besondere an der Movement ABC-2 ist, dass keinerlei wörtliche Instruktionen vorgege-
ben werden müssen. Der Testleiter besitzt die Möglichkeit, alle Anweisungen mit eigenen
Worten zu erklären, bis das Kind richtig verstanden hat, wie die Aufgabe bearbeitet werden
soll. Um Missverständnissen vorzubeugen, die durch die alleinige verbale Beschreibung von
motorischen Aufgabenstellungen entstehen können, werden alle Untertests zusätzlich noch
einmal vorgeführt. Im Anschluss daran erfolgt eine kurze Übungsphase, in der der Testleiter
überprüfen kann, ob das Kind die Anforderungen der jeweiligen Aufgabe richtig verstanden
hat. Erst dann beginnt die eigentliche Durchführung, deren Ergebnisse im Protokollbogen
dokumentiert werden.
Abbildung 4. Beispiel für einen ausgefüllten Protokollbogen (Untertest „Perlen Aufziehen“)

Am Ende eines jeden Untertests besteht die Möglichkeit, neben den eigentlichen Testergeb-
nissen zusätzlich Beobachtungen zur Körperbeherrschung und Haltung des Kindes zu ver-
merken. Aus Abbildung 5 können Beispiele möglicher Auffälligkeiten der Haltung bzw. Kör-
perbeherrschung für den Untertest „Taler einwerfen“(HG1, Altersgruppe 3-6 Jahre) entnom-
men werden.

Abbildung 5. Beispiel für den Vermerk von Verhaltensbeobachtungen beim Untertest „Taler
einwerfen“.
Auswertung und Interpretation
Die Auswertung der Testergebnisse ist schnell und einfach und nimmt nur wenige Minuten in
Anspruch. Mithilfe der Movement ABC-2 lassen sich verschiedene Kennwerte ermitteln. Die-
se sind:
   • Rohwerte und Standardwerte für die einzelnen Untertests

   • Standardwerte und Prozentränge für die einzelnen Skalen und Untertests

Zur Ermittlung des Gesamtwertes werden die Ergebnisse aller acht Untertests mithilfe einer
Umrechnungstabelle in Standardwerte überführt und anschließend aufsummiert. Das Ergebnis
dieses Umrechnungsprozesses lässt sich anschließend in einen konkreten Prozentrang über-
tragen, welcher angibt, wie viele Kinder der Eichstichprobe dieselbe oder eine schlechtere
Leistung erbracht haben. Wenn beispielsweise ein Kind einen Prozentrang von 20 in der Mo-
vement ABC-2 erreicht hat, wissen wir, dass in der allgemeinen Bevölkerung 20% der Kinder
einen gleichwertigen oder niedrigeren Wert erlangen. Umgekehrt gesprochen erreichen also
80% der Kinder einen höheren oder besseren Wert als diesen. Prozentränge variieren von 1
bis 100, wobei der Wert 50 die durchschnittliche Leistung darstellt. Als altersentsprechend
gelten in der Movement ABC-2 alle Werte, die einen Prozentrang aufweisen, der größer als
15 ist. Kinder, die einen Prozentrang zwischen 6 und 15 aufweisen, erbrachten eine Leistung,
die als beobachtungswürdig gilt, aber noch nicht zwangsläufig auf eine Beeinträchtigung der
motorischen Fertigkeiten hinweist. Erbringt ein Kind allerdings eine Testleistung, die unter-
halb des 5. Prozentranges liegt, ist diese nicht mehr als altersentsprechend anzusehen und deu-
tet auf größere motorische Schwierigkeiten des Kindes hin. Ob die Leistung eines Kindes
unauffällig oder therapiebedürftig ist, lässt sich leicht aus den Normtabellen entnehmen, da
die verschiedenen Bereiche dort als „unauffällig“, oder „therapiebedürftig“ ausgewiesen
sind. Prozentränge haben den großen Vorteil, dass sie leicht verständlich und deshalb beson-
ders geeignet sind, Eltern die Testergebnisse Ihres Kindes zu erläutern. Zusätzlich besteht die
Möglichkeit, die Standardwerte und Prozentränge für die einzelnen Skalen Handgeschicklich-
keit, Ballfertigkeiten und Balance zu bestimmen. Die Umrechnung und Interpretation erfolgt
nach dem Prinzip des Gesamtwertes, wobei nur die zur jeweiligen Skala zugehörigen Unter-
tests berücksichtigt werden.

Normen
Die ursprünglichen Normen, die im Jahre 2006 in Großbritannien erhoben wurden, konnten
anhand von Vergleichsdaten von 634 Kindern (326 Jungen und 308 Mädchen) aus verschie-
denen Regionen Deutschlands bestätigt werden (erhoben von September 2007 bis Januar
2008). Dabei stammten rund 29% der Kinder aus Norddeutschland, 30% aus Westdeutsch-
land. 12% aus Ostdeutschland und 29 % aus Süddeutschland. Zusätzlich wurde die Verteilung
der Kinder auf städtische und ländliche Regionen berücksichtigt. Die Normen werden in Jah-
resabständen angegeben. Eine Ausnahme bilden hierbei die Kinder im Alter von drei und vier
Jahren. Da in der frühen Kindheit noch größere Entwicklungsschritte bezüglich der motori-
schen Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, stehen speziell für diesen Altersbereich Normen in
halbjährlichen Abständen zur Verfügung.

Testgütekriterien
Für die Interpretation von Testergebnissen sind Kenntnisse über bestimmte psychometrische
Eigenschaften, wie Objektivität, Reliabilität und Validität eines Testverfahrens erforderlich.
Die Objektivität des Verfahrens wird durch die umfangreichen Instruktionen, die im Manual
zur Durchführung und Auswertung dargestellt sind, gewährleistet. Ein zusätzliches Kapitel
beschreibt häufige Durchführungs- und Auswertungsfehler und hilft somit, diese zu vermei-
den. Verschiedene Studien überprüften die Reliabilität des Verfahrens, wobei die Beobachter-
übereinstimmungen durchschnittliche Werte zwischen 0.92 und 0.98 erreichten. Die Zuver-
lässigkeit des Verfahrens für Testwiederholungen wird mit Werten zwischen 0.73 bis 0.92
angegeben. Die inhaltliche Gültigkeit des Verfahrens konnte in vielen Validierungsstudien
hinreichend belegt werden. Häufig weisen Kinder mit unterschiedlichsten Störungen zusätz-
lich motorische Probleme. Dazu gehören beispielsweise Sprachstörungen, ADHS, Autistische
Störungen und Lernstörungen. Dieses konnte durch verschiedene klinische Validierungsstu-
dien, die mit der Movement ABC durchgeführt wurden, bestätigt werden.

Anwendungsbereiche
Die Movement ABC-2 dient natürlich in erster Linie der Aufdeckung von fein- und grobmo-
torischen Defiziten. Das Verfahren bietet eine gute Grundlage zur Planung einer Behandlung.
Der Therapeut erhält ein genaues Profil über die Stärken und Schwächen eines Kindes und
kann zudem die qualitativen Beobachtungen, die er während der Testdurchführung dokumen-
tiert hat, in die Vorbereitung einer Fördermaßnahme einbeziehen. Besonders eignet sich die
Movement ABC-2 zusätzlich zur Überprüfung der Wirksamkeit von therapeutischen Maß-
nahmen. Da dieses Verfahren ein weites Altersspektrum abdeckt, können die Entwicklungs-
verläufe von der frühen Kindheit bis ins Jugendalter beobachtet werden.
Beispielprofile
Abbildung 6 stellt die Ergebnisse von vier verschiedenen Kindern im Alter von fünf Jahren
dar, die mit der Movement ABC-2 getestet wurden. Keines der vier Kinder war zum Zeit-
punkt der Testung an einer neurologischen Störung erkrankt. Die Ergebnisse wurden im
Rahmen der deutschen Normierung der Movement ABC- 2 gewonnen. Die ersten drei Balken
stellen dabei die Skalen Handgeschicklichkeit, Ballfertigkeiten und Balance dar. Balken vier
bildet den Gesamttestwert ab. Anhand der Testergebnisse ist ersichtlich, dass bei allen Kin-
dern bestimmte motorische Defizite vorliegen. Es wird dabei deutlich, wie heterogen Koordi-
nationsstörungen ausgeprägt sein können. Während Kind A in allen Bereichen große Proble-
me aufweist, liegen die Schwächen von Kind B eindeutig im Bereich der Balance und der
Handgeschicklichkeit, von Kind C bei den Ballfertigkeiten. Die motorischen Defizite von
Kind D konzentrieren sich hingegen ausschließlich auf den Bereich Handgeschicklichkeit.

     100
      90
      80
      70
      60                                                                       HG
      50                                                                       BF
      40                                                                       BL
      30                                                                       GT
      20
      10
       0
              Kind A         Kind B         Kind C        Kind D

Abbildung 6. Movement ABC-2 Profile vier fünfjähriger Kinder mit eingeschränkter motori-
scher Leistungsfähigkeit (HG=Handgeschicklichkeit, BF=Ballfertigkeiten, BL=Balance,
GT=Gesamttetestwert).

Die Unterschiedlichkeit dieser Profile macht deutlich, dass es in der Regel nicht ausreichend
ist, lediglich einen Gesamtwert als Indikator für die motorische Leistungsfähigkeit zu be-
stimmen. Jedes Kind weist ganz individuelle Schwächen, aber auch Stärken auf, die mithilfe
eines Testverfahrens wie der Movement ABC-2 aufgedeckt werden können. So können thera-
peutische Maßnahmen individuell auf die Bedürfnisse eines Kindes abgestimmt werden, um
eine optimale Förderung zu erreichen.

Schlussfolgerungen
Die Movement ABC-2 erfüllt alle Anforderungen, die an Entwicklungstests zu stellen sind.
Dazu zählen nach Petermann und Macha (2005):

       •      Die Aktualität des Modells, auf dem das Verfahren basiert,

       •      eine umfassende Standardisierung der Durchführung, Auswertung und Interpreta-
              tion,

       •      Studien zur Zuverlässigkeit und inhaltlichen Gültigkeit des Verfahrens und

       •      aktuelle Normen.

Aktuelle Normen sind dabei von besonderer Bedeutung. Während für bestimmte Entwick-
lungsbereiche, wie z. B. für die Intelligenz, im Laufe eines Jahrzehnts eine Leistungszunahme
dokumentiert wird, ist speziell für den Entwicklungsbereich Motorik aufgrund anderer Le-
bensbedingungen und einer Änderung des Freizeitverhaltens ein gegenläufiger Effekt zu ver-
muten. Die Anwendung eines Testverfahrens, dessen Normen veraltet sind, läuft Gefahr, eine
falsch positive Diagnose zu stellen. Dies bedeutet, dass eventuell Kinder als therapiebedürftig
eingestuft werden, die nach heutigem Standpunkt gar nicht auffällig sind (Petermann & Ma-
cha, 2005).

Die Materialien der Movement ABC-2 sind sehr ansprechend gestaltet; sie motivieren Kinder
da eine abwechslungsreiche Testung möglich wird. Die konkrete Demonstration aller Aufga-
ben ermöglicht es, das Verfahren problemlos auch bei Kindern mit mangelndem Sprachver-
ständnis oder unzureichenden Deutschkenntnissen anzuwenden.
Literatur

Bös, K. (2003). Motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Schorndorf:
       Hoffmann.

Cermak, Gubbay & Larkin (2002). What is Developmental Coordination Disorder?
       In Cermak, S.A. & D. Larkin (Eds.), Developmental Coordination Disorder (pp. 2-22).
       Albany: Delmar.

McHale, K. & Cermak, S.A. (1992). Fine motor activities in elementary school: Preliminary
       findings and provisional implications for children with fine motor problems. American
       Journal of Occupational Therapy, 46, 898-903.

Opper, E., Worth, A., Wagner, M. & Bös, K. (2007). Motorik-Modul (MoMo) im Rahmen
       des Kinder und Jugendsurveys (KIGGS). Bundesgesundheitsblatt- Gesundheitsfor-
       schung-Gesundheitsschutz, 50, 879-888.

Petermann, F. (Hrsg.). (2008). Movement Assessment Battery for Children-2 (Movement
       ABC-2). Frankfurt: Pearson PLC.

Petermann, F. & Macha, T. (2005). Entwicklungsdiagnostik. Kindheit und Entwicklung, 14,
       131-139.

Schott, N. & Roncesvalles, N. (2004). Motorische Ungeschicklichkeit – Diagnose und Thera-
       pie. Zeitschrift für Sportpsychologie, 11, 147-162.

Prof. Dr. Franz Petermann
Dipl.-Psych. Julia Kastner
Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation
der Universität Bremen
Grazer Straße 2 und 6
28359 Bremen
Sie können auch lesen