Transition vom Kindergarten in die Schule
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Transition vom Kindergarten in die Schule Schulfähigkeit - Die Kompetenz des sozialen Systems Wilfried Griebel Aus: http://www.bff2-nbg.de/cms/Transition.561.0.html Sozialpädagogische Strukturen Übergang in die Schule als Schwerpunkt internationaler frühpädagogischer Forschung Synapse der internationalen Studien Theorie der Übergänge Strukturmodell der Entwicklungsaufgaben beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule Erfolgreiche Übergangsbewältigung Übergangsbewältigung und Schulfähigkeit Kompetenz eines sozialen Systems Altersgrenzen und individuelle Bildung Schulfähigkeit Schulfähigkeit als gemeinsames Ziel Sozialpädagogische Strukturen Wandel der Familie und segmentiertes Bildungssystem Die Veränderung der Familie hat Konsequenzen für die Frühpädagogik. 1997 gab es von München aus den großen Auftakt: Die 7. Konferenz der European Early Childhood Education and Research Association vermittelte neue Impulse für die Qualität der Frühpädagogik. Es betraf den Problembereich Diskontinuitäten und Transitionen im Leben von Kindern. Das zielte vor allem auf Qualitätskonzept und – sicherung in der Kindertagesbetreuung. Vor dem Hintergrund der stark veränderten Lebenswirklichkeit von Kindern soll die Bewältigung von Diskontinuität thematisiert und Kompetenz für diese Bewältigung gefördert werden (Fthenakis, 198,200,2001,2003a,b). Die Übergänge zwischen den Einrichtungen der Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern außerhalb der Familie verlaufen als Diskontinuität – also der Wechsel von Krippe, Kindergarten, Schule oder Hort. Vorschulische bzw. außerschulische Einrichtungen und Schule entwickeln unterschiedliche Erziehungsstrukturen – das erschwert die kontinuierliche Bildung der Kinder über Institutionsgrenzen hinweg und die Vernetzung dieser Einrichtungen (Griebel, 2003). Es geht in erster Linie um den psychologischen Aspekt des Übergangs vom Kindergartenkind zum Schulkind. Die Förderung von Basiskompetenzen der Kinder,
die Kommunikation mit den Eltern und die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule soll angeregt werden. Damit ist noch nicht die Umsetzung durch die Pädagogik festgelegt. Vielmehr erlaubt die psychologische Perspektive die Entwicklung individueller Formen und Inhalte, die das umsetzen, was die Beteiligten selbst entwickeln und verändern: Kinder und ihre Eltern, Fachkräfte in Kindergärten, Grundschullehrer und Mitarbeiter anderer pädagogischer Dienste. Übergang in die Schule als Schwerpunkt internationaler frühpädagogischer Forschung Der Übergang von einer vorschulischen Einrichtung in das Bildungssystem der Schule ist zu einem Schwerpunkt des Interesses der frühpädagogischen Forschung geworden. Inzwischen liegen internationale Studien vor, die den Übergang in die Schule unter differenzierten Gesichtspunkten und bezogen auf das jeweilige System von Bildungsinstitutionen behandeln – vor allem Australien, USA, Kanada, Nordeuropa. (Broström & Wagner, 2003a; Entwisle et al.,1997; European Early Childhood Education Research Education Journal Themed Monograph No.1, 2003; Fabian & Dunlop, 2002; Griebel & Niesel, 2002 a,b,2003; Pianta & Cox, 1999; Pianta & Kraft-Sayre, 2003; Yeboah, 2002; test.edfac.unimelb.edu.au; zusammenfassend Griebel & Niesel, 2004). Synapse der internationalen Studien Der Eintritt des Kindes in das formale Schulsystem ist ein bedeutender Entwicklungsab- schnitt für jedes Kind – abgesehen von aller Unterschiedlichkeit der institutionellen Organisation vorschulischer oder schulischer Bildung. Dabei ist die Förderung benachteiligter Kinder in der vorschulischen Erziehung eine entscheidende Voraussetzung von Chancengleichheit in der Schule (Pianta & Cox, 1999). Der Übergang in die Schule ist vielfach stressbelastet (Fabian, 2002a,b; Griebel & Niesel, 2002a,b, 2003a; Margetts ,2002; Kienig,2002). Die Differenz zwischen Anforderung und Kompetenz, wie sie von den Kindern aus der vorschulischen Erziehung mitgebracht wird, schafft Anpassungsschwierigkeiten (Griebel & Niesel, 2003b; Margetts, 2003). Die Quoten von Kindern mit Übergangsproblemen schwanken: In den USA werden 2/5 angegeben (Pianta & Cox, 1999), in Deutschland ein knappes Drittel Risikokinder plus ein Sechstel Kinder mit Stressymptomen nach dem Übergang (Beelmann, 2000), in Polen zeigten 50% der untersuchten Erstklässler Entwicklungsdisharmonien (Kienig, 2002). Der Übergang bietet neben Risiken auch Chancen, d.h. neben
Kindern, die Probleme mit der Anpassung haben, gibt es auch Erstklässler, die sich in der Schule besser fühlen als in einer Vorschuleinrichtung – in der deutschen Studie etwa ein Sechstel der Kinder (Beelmann, 2000). Die Berücksichtigung der Perspektiven von Pädagogen, Eltern und der Kinder selbst ist eine wichtige Voraussetzung zum Verständnis der Übergangsbewältigung (Griebel & Niesel, 2002 a,b). Die Kooperation von vorschulischer Einrichtung, Eltern und Schule ist dabei der ausschlaggebende Faktor (Broström, 2002, 2003; Broström & Wagner, 2003b,c; Dunlop & Fabian, 2002, Fabian, 2002a; Margetts, 2002; Peters, 2002; Pianta 6 Kraft-Sayre, 2003; Yeboah, 2002). Das Entwickeln von Kontinuität über die Institutionen hinweg ist die traditionelle Leitvorstellung für die Bewältigung des Übergangs (Dunlop & Fabian, 2002; Margetts, 2002, Yeboah 2002). In Deutschland wurde das Kontinuitätsparadigma allerdings auch kritisch gesehen (Dollase, 200; Niesel & Griebel, 2003), was man auf ein Theoriedefi zit zurückführen könnte (Griebel 2004). Die Entwicklung der Theorien zum Übergang der Kinder in die Grundschule verweisen darauf, dass es auch um die Bewältigung von Diskontinuitäten gehen muss. Theorie der Übergänge Die Transition ist ein komplexes Forschungsfeld. Welzer (1993, S.8) fasst den Forschungs- gegenstand an einer Schnittstelle von individuellem Handlungs- und Bewältigungsvermögen einerseits und gesellschaftlichen Handlungsvorgaben und - anforderungen andererseits. Mit Transitionen werden komplexe, ineinander übergehende und sich überblendende Wandlungsprozesse bezeichnet, die in sozialem Austausch verlaufende, verdichtete und beschleunigte Phasen eines Lebenslaufes in sich verändernder Zusammenhänge darstellen (Welzer, 1993, S. 37). Ein übergreifendes theoretisches Konzept für Transitionen wurde im IFP entwickelt. Es thematisiert auch die Bewältigung von Diskontinuität und verweist darauf, dass nicht nur Kinder, sondern auch Eltern den Übergang in die Schule bewältigen müssen. Das Transitionsmodell stammt aus der Familienentwicklungspsychologie und ist auf unterschiedliche familiale Übergänge anwendbar (Griebel, 2003, 2004; Griebel & Niesel, 2002a, b, 2003a,b; 2004). Dieses Konzept hat Eingang in den Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan gefunden (StMAS & IFP, 2003). Mehrere theoretische Stränge laufen hier zusammen. Das Modell der Systemebene von Bronfenbrenner (1989), das in Deutschland von Nickel (1990, 1992) für die Einschulung vorgeschlagen wurde, fi ndet weitgehend Anwendung in der einschlägigen Forschung. Die Stressforschung lieferte den Rahmen für die Erklärung von Belastungsreaktionen. Danach sind Überlastungsreaktionen vermeidbar, wenn Veränderungen im Lebensumfeld des Kindes gering gehalten
werden, wenn sie vorhersehbar und kontrollierbar gestaltet werden. Hier spielt auch die Ebene der Motivation eine Rolle: Vorfreude oder Angst vor einer Veränderung (Lazarus, 1995). Veränderung lassen sich im Lauf der Kindheit in kritischen Erlebnissen bündeln (Filipp, 1995). Dazu gehört auch der Übergang in die Schule als normatives, kritisches Ereignis (Beelmann, 2000). Die Perspektive der Lebensspanne bezieht auch die Eltern des werdenden Schulkindes mit ein. Ein kritisches Ereignis kann außer Belastung auch eine Entwicklung fördernde Herausforderung sein (Olbrich, 1995). Der ökopsychologische Ansatz und die Stressvorgaben wurden in das Modell integriert; zusätzlich werden Veränderungen auf der subjektiven Ebene der Persönlichkeit berücksichtigt. Diese Struktur wird gerade bei der Transition vom Kindergartenkind zum Schulkind deutlich. Strukturmodell der Entwicklungsaufgaben beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule Der Übergang vom Kindergarten in die Schule bringt Veränderungen mit sich, die sich auf drei Ebenen auswirken: • individuell • Beziehungen • Umfeld Auf der individuellen Ebene Veränderungen der Identität: Übergang vom Kindergartenkind zum Schulkind. Bewältigung starker Emotionen: Vorfreude, Neugier, Stolz, aber auch Unsicherheit, Angst Kompetenzerwerb: Selbständigkeit, Kulturtechniken, neue Verhaltensweisen, die Entwicklung anzeigen. Auf der Beziehungs-Ebene Aufnahme neuer Beziehungen: Lehrkräfte, Mitschüler Veränderungen bzw. Verlust bestehender Beziehungen: Erzieher, Kindergartenfreunde, Beziehungen der Familie Rollenzuwachs: Das Kind in der Familie wird Schulkind mit Rollenerwartungen und - sanktionen.
Auf der Ebene des Umfelds Integration eines weiteren Lebensbereichs: Schule Wechsel des Curriculums: Schullehrplan anstelle von Erziehungsinhalten und -formen des Kindergartens Bewältigung möglicher familiärer Übergänge bei Geburt von Geschwistern, berufliche Orientierung des zweiten Elternteils, Elterntrennung. Bei jeder dieser Entwicklungsaufgaben spielen die individuellen Vorerfahrungen und Entwicklungsbedingungen eines Kindes mit seinen Bedürfnissen eine wesentliche Rolle. Die Entwicklung der Identität, der Kompetenzen, der Beziehungen und Rollen kann nicht ohne die Entwicklung im bisherigen sozialen Kontext gesehen werden, da von hier aus die Bewältigung der Veränderungen weitgehend getragen wird (Baudig, 1987). Das Kind wird Schulkind – seine Eltern werden Eltern eines Schulkindes und müssen ebenfalls einen Übergang bewältigen. Das erscheint im oben genannten Strukturmodell von Entwicklungsaufgaben im Einzelnen (Griebel & Niesel, 2002a). Das Transitionsmodell involviert also eine Familienperspektive. Eltern sehen sich in erster Linie als Förderer ihres Kindes, und es wird ihnen meist erst sehr viel später bewusst, welche Unsicherheiten auch sie überwinden mussten, wie sie erst allmählich in ihre neue Identität als Eltern eines Schulkindes hinein gewachsen sind. Eltern werden bei diesem Übergang bis heute nicht begleitet und unterstützt. Erzieher begleiten diesen Übergang im Zusammenhang mit ihren berufl ichen Aufgaben, sie selbst haben keinen Übergang zu bewältigen – deshalb treten auch keine Veränderungen auf der Identitätsebene ein, und es fehlt die Zäsur, der Moment der Erstmaligkeit oder Einmaligkeit. Erfolgreiche Übergangsbewältigung Das Ausbleiben von Problemen wird als erfolgreicher Übergang definiert (Alexander & Entwisle, 1988). Negative Reaktionen des Kindes in der ersten Schulzeit sind als Entwicklungsdisharmonien bezeichnet worden (Kienig, 2002), man kann sie aber auch als Bewältigungsreaktionen interpretieren. Jedes Kind braucht seine eigene Zeit der Anpassung – auch bei der Anpassung in unterschiedlichen Bereichen.
Wenn sich allerdings Reaktionen verfestigen, die längerfristig keine Anpassung erkennen lassen, muss man von Verhaltensauffälligkeiten ausgehen, die dann auch eine entsprechende Aufmerksamkeit verlangen. Bei einem erfolgreichen Übergang präsentiert sich das Kind emotional, psychisch, physisch und intellektuell angemessen (Übersicht bei Yeboah, 2002). Das Kind ist dann ein kompetentes Schulkind, wenn es sich in der Schule wohl fühlt, die gestellten Anforderungen bewältigt und die Bildungsangebote für sich optimal nutzt. Die Frage nach der Kompetenz der Eltern eines Schulkindes kann analog gestellt werden: Fühlen sie sich wohl mit der Schule bzw. in der Schule? Bewältigen sie die neuen Anforderungen? Gibt es Beteiligungs- oder Bildungsangebote, die sie nutzen? Der Bedarf an pädagogischer Unterstützung ist unterschiedlich: Nicht alle Kinder, nicht alle Familien brauchen alles. Übergangsbewältigung und Schulfähigkeit Beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule stellt sich auch die Frage nach der Schulfähigkeit. Dieser Begriff hat gerade in den letzten Jahrzehnten eine starke Wandlung erfahren (Kammermeyer 2001a, S.96ff ). Dazu haben vor allem die mangelnde Zuverlässigkeit der diagnostischen Tests zum Schuleingang beigetragen (Mandl & Krapp, 1978), aber auch wachsende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Komplexität der Übergangsanforderungen. Das interaktionistische Konstrukt Schulfähigkeit aus ökosystemischer Perspektive (Nickel, 1990,1992), das lebensrelevante Umfeld des Kindes (Familie, Kindertagesstätte, Schule) berücksichtigend, wird heute als Perspektive der Schulfähigkeit in der Fachwelt anerkannt.Schulfähigkeit entsteht demnach im Zusammenwirken von Kind und Familie, Kindergarten und Grundschule. Die neuere Literatur (z.B. Faust-Siehl et al.2001, 4. Aufl .) präsentiert Forderungen nach Beendigung der Diskussion um die Schulfähigkeit: Alle Kinder des vorgeschriebenen Alters sollen in die Schule aufgenommen werden – unabhängig von einem Kriterium „Schulfähigkeit“. Die Grundschule hat die Aufgabe, die „Schulfähigkeit“ ihrer Schüler mit den Kindern selbst zu erarbeiten. Diese Einstellung und die Abschaffung des Kriteriums ist allerdings auch nicht geeignet, eine Selektion am Schulanfang zu verhindern (Kammermeyer 2001a). Vielmehr gilt es, die Rahmenbedingungen zu verändern, die auf Selektion zielen (a) sowie subjektive Theorien von Erziehern (b), wenn Schulfähigkeit einseitig am Kind festgemacht wird.
Auch Eltern lassen sich von subjektiven Vorstellungen leiten, welchen Reifegrad das Kind zur Einschulung erreicht haben muss. Sie gehen häufig noch von der Annahme aus: Je älter das Kind, umso größer die Wahrscheinlichkeit einer erreichten Schulreife. Die Folge davon ist das relativ hohe Einschulungsalter (vgl. Bellenberg, 2000). Unsicherheit der Eltern und frühpädagogischen Fachkräfte spiegelt mangelnde Information über die schulischen Erwartungen an Schulanfänger und die pädagogischen Angebote der Schule. Umgekehrt ist zu fragen, ob die Schule ihrerseits den Erziehern und Eltern vor dem ersten Schultag in ausreichendem Maß als Gesprächspartner zur Verfügung steht (Griebel & Niesel, 2002a). Die „Schulfähigkeitsphilosophie“ einzelner Schulen bleibt Erziehern und Eltern bis zum Schulbeginn ein Buch mit sieben Sigeln (vgl. Hollerer 2002). Kammermeyer (2001a) schlägt – wie Nickel – vor, Einschulung systemtheoretisch zu betrachten. Dann ziele der Begriff „Schulfähigkeit“ auf die erforderliche Anschlussfähigkeit (Hacker 2002) der beiden Systeme „vorschulische Einrichtung“ und „Schule“. Schulfähigkeit wäre demnach das Ziel beider Systeme. Der Kindergarten ist dann nicht nur „Zulieferer“ – und es ist nicht Aufgabe der Schule allein, mit den Kindern Schulfähigkeit zu erarbeiten. Zwischen theoretischer Fachdiskussion und praktischer Übung bestehen allerdings erhebliche Differenzen. Es ist noch nicht abzusehen, wie die unterschiedlichen Modellversuche und Empfehlungen zur Neugestaltung des Übergangs in die Primarstufe die Verbindlichkeit des Schulfähigkeits-Begriffs verändern werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die „Schulfähigkeit“ nicht mehr den Status eines Kindes zu einem bestimmten Zeitpunkt umschreiben und als Selektionskriterium benutzt werden sollte. Stattdessen als ein Konstrukt, das von allen Beteiligten (Kind, Eltern, vorschulische Einrichtung, Schule, Hort) in einem ko-konstruktiven, sinnstiftenden Prozess inhaltlich zu füllen ist (Griebel & Niesel, 2003b). Kompetenz eines sozialen Systems Kompetenzen der Kinder für die Bewältigung des Übergangs in die Schule umfassen Selbstvertrauen, Fähigkeit zu Problemlösungen, körperliche Gesundheit wie grundsätzliches Wohlbefi nden und Bewältigung von Stress (Fabian 2002; Griebel & Niesel, 2002a,b: Margetts, 2003). Es handelt sich also um soziale Kompetenzen (Griebel & Niesel 2003b).
Mit dem Eintritt in die Schule sind kommunikative Kompetenzen erforderlich (Griebel & Niesel), um vermehrt verbale Information, verbale Instruktion, Begriffe und Sprache der Schule zu verstehen (Fabian, 2002; Kammermeyer, 2001). Es macht aber keinen Sinn, beim Übergang zum Schulkind nur nach Kompetenzen zu suchen. Die Schulfähigkeit des Kindes zu strukturieren, ohne den Einfl uss von Beziehungen in der Familie und in der Schule in Betracht zu ziehen, wäre ebenso unzulänglich wie die Messung isolierter vorakademischer Fertigkeiten (Broström, 2002; Pianta & Cox, 1999). Auch die Förderung schulnaher Vorläuferkompetenzen (Kammermeyer, 2001) wie phonologische Bewusstheit und literacy kann nur einen Teil der Anforderungen an das künftige Schulkind abdecken. Stattdessen muss die gesamte Vorbereitung des Kindes auf die Schule ins Blickfeld rücken: Kindergarten und die Kooperation zwischen Familie und Bildungseinrichtungen. Ein differenziertes Kommunikationsnetz zwischen Kind und Eltern, Kind und Erziehern/Lehrern, Erzieher/Lehrer und Eltern, den Fachkräften aus den Kindertagesstätten und Lehrkräften aus der Schule verweist auf kommunikative Kompetenzen des sozialen Systems (Griebel & Niesel 2003b). Wenn Schulfähigkeit eingeschränkt als Kompetenz des Kindes defi niert wird, wird ihre Diagnose und damit verknüpfter Prognose fragwürdig. Die Ergebnisse von Entwicklungs- prognosen über Schulerfolg und Intervention wie Zurückstellung, Besuch der Schulkindergärten u.ä.m. waren problematisch (Grotz, 2002; Hildeschmidt, 1995). Die Bewältigung von Übergängen kann als Basiskompetenz für die Bildung im Kindergarten und die Vorbereitung auf die Schule verstanden werden (Fthenakis, 2000,2001,2003a; Griebel & Niesel, 2003a,b; StMAS & IFP, 2003). Schulfähigkeit wird im Transitionsansatz zu einer Aufgabe für alle Beteiligten ( Niesel, 2002) - das wird auch national wie international gefordert. Damit handelt es sich um die Kompetenz eines sozialen Systems; vergleichbar der Transitionskompetenz der Familien bei frühen Übergängen in der kindlichen Entwicklung (Kreppner, 2002). Altersgrenzen und individuelle Bildung In europäischen Ländern ist das Einschulungsalter sehr unterschiedlich: vier Jahre in Nordirland, fünf Jahre in den Niederlanden und in Großbritannien, sechs Jahre in Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen und Spanien, sieben Jahre in Dänemark, Finnland und Schweden.
Diese Normen sind in Bewegung: Neuere internationale Bildungspläne decken weitere Altersgrenzen ab (Oberhuemer, 2004). Besonders in den Ländern, in denen die Kinder erst spät schulpfl ichtig werden, besteht ein großes Interesse an fl exibleren Übergängen zwischen vorschulischen Einrichtungen und der Schule (Fthenakis, 2003a). Im deutschen segmentierten Bildungssystem ist die Zuständigkeit der einzelnen Einrichtungen nach dem Alter der Kinder gestaffelt: Die Unter-Dreijährigen besuchen die Krippe, die Drei- bis Sechsjährigen den Kindergarten und ab sechs Jahren gilt die Schulpfl icht. Aber auch in Deutschland verschieben sich die Altersgrenzen in den vorschulischen Einrichtungen: In den Kindergärten werden immer mehr Unter- Dreijährige aufgenommen, und nachmittags werden hier zusätzlich Schulkinder betreut. Die Flexibilität und Öffnung der Altersgrenzen dürfte die Zukunft der außerschulischen Bildungseinrichtungen sein (Griebel, Niesel, Reidlhuber & Minsel, 2004). Dem entsprechen internationale frühpädagogische Rahmenpläne mit dynamischen Altersspannen (OECD, 2001). Veränderungen des Eintrittsalters in die Schule stehen ebenso zur Diskussion wie eine frühere Einschulung – vor dem Hintergrund der nationalen Bildungssysteme. Zwei Grundpfeiler des Schulsystems, die in Deutschland bisher als unverrückbar gegolten haben – Einschulung mit sechs und jahrgangsgleiche Klassen – , stehen zur Disposition (Laging,2003): Das Eintrittsalter wird tendenziell gesenkt und kann im Einzelfall gesenkt werden, wenn besonders begabte jüngere Kinder zum Schulbesuch zugelassen werden. Umgekehrt können Kinder vom Schulbesuch zurückgestellt werden oder Jahrgangsstufen wiederholen. Das mittlere Einschulungsalter liegt derzeit deutlich über sechs Jahren – bei beträchtlicher Bandbreite (Bellenberg, 2000). Deshalb kann die Altersbandbreite der Kinder auch in den ersten Schulklassen erheblich erweitert sein (Griebel u.a., 2004). Das hat allerdings Folgen für die Kooperation der vorschulischen Bildungseinrichtungen, weil die Aufmerksamkeit stärker auf das einzelne Kind und sein Kompetenzniveau gerichtet sein wird, um die Anschlussfähigkeit unter den Bildungsangeboten der Einrichtungen festzustellen. Sowohl die curricularen Inhalte der einzelnen Einrichtung als auch die individuelle Lernbiographie der Kinder müssen in der Kooperation thematisiert werden.
Schulfähigkeit Zur Erfassung der Schulfähigkeit eines Kindes gibt es unterschiedliche Verfahren: Teils werden sie in der einschlägigen Literatur angeboten (z.B.Barth, 1995; Hopf et al., 2004), teils werden sie von Landesregierungen verbreitet (NRW) und in großer Zahl in Grundschulen und Kindergärten aus unübersehbaren Quellen selbst erstellt. Diese Verfahren spielen eine besondere Rolle bei der Kooperation von Kindergärten und Grundschulen. Diese „Profile“ (s.o.) gehen von der Annahme aus, Schulfähigkeit sei eine Eigenschaft des Kindes und das Profil würde dem Kind und dem Bildungssystem weiter helfen: So lasse sich beispielsweise eine höhere Homogenität der Gruppe der Schulanfänger erreichen oder das Profil könne als Fördergrundlage dienen; es werde auch nicht als zeit- und energiesparende „Checkliste“ eingesetzt, sondern diene der Kooperation von Kindergarten, Schule und Eltern. In England wurde ein Entwicklungsprofil zur Beobachtung und Dokumentation der Lern- und Entwicklungsschritte der drei- bis sechsjährigen eingeführt. Es umfasst zwei Vorschuljahre und das erste Schuljahr. Dieses Verfahren soll ein kompetenzorientiertes Bild des Kindes vermitteln und konzentriert sich auf fünf Kriterien und einem Fragenkatalog zu sechs Stufen der kindlichen Entwicklung: 1. Personale, soziale und emotionale Entwicklung 2. Kommunikation, Sprache und Literacy 3. Mathematische Grundbildung 4. Wissen und Weltverständnis 5. Körperliche Entwicklung 6. Kreative Entwicklung In Fallstudien zum einzelnen Kind stellt man mit detaillierten Beschreibungen von Projekten und Aktivitäten den Bezug zu den early learning goals her. Gespräche mit den Eltern, dem Kind und den Pädagogen ergänzen das Gesamtprofil des Kindes. Der Dialog zwischen den Fachkräften, den Eltern und auch mit dem Kind ist in diesem Verfahren der vielseitigen und sich ergänzenden Methoden ein wesentlicher Bestandteil. In Anlehnung an die Methode der Lernprozess begleitenden Diagnostik (Faust-Siehl et. al. 2001; Meisels, 1999) wird in Deutschland eine mitgehende Beobachtung der Lernbemü- hungen des Kindergartenkindes und eine kritische Refl ektion des Geschehens durch die Fachkräfte vorgeschlagen. Die Zielsetzung einer solchen Maßnahme richtet sich darauf, Erfahrungen der Schulkinder zu sammeln – in Schule und Alltag; dazu gehört auch das eingehende Gespräch der Erzieherin mit den Kindern über den Erkundungsbesuch in einer Schule, das Refl ektieren jeden Kindes über seine Eindrücke, seine Erfahrungen und Aktivitäten (z.B.Zeichnungen).
Die Dokumentation der Produkte des Kindes sowie eine Aufzeichnung über das Gespräch ergänzen die Methode. Verlauf und Ergebnis des Angebots „Schulbesuch“ werden mit den Eltern und der Lehrkraft kommuniziert und refl ektiert. Das Programm zielt auf die Förderung der Selbstwirksamkeit des Kindes und seiner Kommunikationskompetenz, die Förderung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Erwachsenen, die das Kind durch die Transition begleiten und vor allem auf die Förderung der Übergangsbewältigung als Prozess der Co-Konstruktion aller Beteiligten. In einem aktuellen Projekt des Deutschen Jugendinstituts in München wird ein neuseeländisches Konzept der Erfassung von Lerngeschichten für Deutschland adaptiert (Leu, 2002). Bildungs- und Lerngeschichten nach M.Carr (2001) entstehen aus der Beobachtung von Alltagssituationen im Leben des Kindes und werden als Verfahren zur Dokumentation und Förderung von individuellen Selbstbildungsprozessen eingesetzt. Dazu sind die Beobachtung des Kindes, die Beschreibung relevanter Tätigkeiten, deren Diskussion im Team der Kindertageseinrichtungen sowie mit den Eltern und mit dem Kind selbst vorgesehen. Beschreibungen und Diskussionen werden dokumentiert, um den Blick für Formen des individuellen kindlichen Lernens zu schärfen und das einzelne Kind wirksam unterstützen zu können. Weitere Bildungsschritte können auf dieser Basis für das Kind geplant und seine Lernumgebung vorbereitet werden. Kind und Eltern sind an der Gestaltung der Bildungsgeschichte des Kindes unmittelbar beteiligt. Allein die längsschnittliche und Institutionen übergreifende Dokumentation der kindlichen Entwicklung und Lerngeschichte einschließlich der Verständigung aller Beteiligten darüber erscheinen vor dem Hintergrund des Transitionsansatzes sinnvoll. Schulfähigkeit als gemeinsames Ziel Ein pädagogisches Konzept des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule, das sich am Transitionsansatz orientiert, kann einen grundlegenden Beitrag zur Überwindung herkömmlicher Annahme der Schulfähigkeit leisten. Anforderungen für Kinder und Eltern, die mit dem Übergang verbunden sind, lassen sich genauer beschreiben und pädagogisch umsetzen (Griebel & Niesel, 2002a). Ein genaueres Anforderungsprofil erleichtert die Erkennung individuellen Förderbedarfs, an den in der Grundschule angeknüpft werden kann. Dafür gilt es, die diagnostischen Kompetenzen von Erziehern und Lehrern zu stärken (Faust-Siehl, 2001; Kammermeyer, 2001b). Die Rolle der Eltern bei der Bewältigung des Übergangsprozesses wird bedeutender: Förderer ihres Kindes, die Anforderungen des Übergangs bewältigen, die auch an sie selbst gestellt sind. Neue Inhalt und Formen der Elternarbeit in Kindergarten und Schule werden unumgänglich sein.
Es bedarf der Entwicklung von Basiskompetenzen (Fthenakis, 2000, 2001, 2003a) und schulnahen Vorläuferkompetenzen (Kammermeyer, 2001a), um den Übergang zu schaffen. Die Qualität der Beziehungen des Kindes zu seinen Eltern, seinen Peers und insbesondere zu den pädagogischen Fachkräften erhält eine neue Gewichtung (Pianta, 1999). Die Institutionen Kindergarten und Grundschule müssen sich öffnen – gegenseitig wie für Eltern und Kinder, um durch Kooperation und Kommunikation Transparenz der Inhalte und Formen der Zusammenarbeit zu erreichen (Hacker, 2001). Schulfähigkeit wird dadurch, wie man es national und international fordert, eine Aufgabe für alle Beteiligten. Schulfähigkeit als gemeinsames Ziel pädagogischer Arbeit impliziert einen Entwicklungsprozess, an dem Kinder, Eltern, Erzieher und Lehrer beteiligt sind. Schulfähigkeit entsteht erst nach einer gewissen Zeit der Schulerfahrung. Impliziert ist auch der eigenständige Bildungsauftrag der Kindertagesstätten, der sich nicht nur an schulnahen Vorläuferkompetenzen orientiert und eine Schule, die Lerninhalte des Kindergartens wie z.B. selbst gesteuertes Lernen und lernmethodische Kompetenz nicht entwertet, sondern darauf aufbaut und weiter entwickelt. Der Grad, in dem dieses Ziel erreicht werden kann, wäre dann Ausdruck der Transitionskompetenz des vorgegebenen sozialen Systems von Familie, Kindergarten und Schule.
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