"Es wird viel einfacher, CO2-frei zu leben" - SystemIQ

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"Es wird viel einfacher, CO2-frei zu leben" - SystemIQ
Montag, 20.09.2021, Tagesspiegel / Wirtschaft

„Es wird viel einfacher, CO2-frei zu
leben“
Maja Göpel und Martin Stuchtey über die Vorschläge einer
neuen Initiative aus Wissenschaftlern und Unternehmern
für mehr Klimaschutz

                                                    © Patrick Pleul/dpa/pa
     Windkraft statt Kohle. Deutschland steigt aus der Braunkohle, hier das Braunkohle‐
                                kraftwerk Jänschwalde, aus.

Ein Zusammenschluss prominenter Unternehmenslenker und Profes-
soren hat Maßnahmen für ein nachhaltigeres Deutschland entworfen.
Tiefgreifende Reformen sollen den Treibhausgasausstoß und Natur-
verlust in Deutschland auf netto null reduzieren und gleichzeitig die
soziale Sicherung erhalten. In der Initiative haben sich unter anderem
Hypovereinsbank-Chef Michael Diederich, Goldbeck-Geschäftsführer
Jan-Hendrik Goldbeck, Deutsche-Post-Aufsichtsrätin Simone Menne
und der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Jo-
han Rockström, zusammengeschlossen. Ihr „Kompass für Deutsch-
land“, der diese Woche veröffentlicht werden soll und dem Tagesspie-
gel vorab vorliegt, enthält Handlungsempfehlungen für die neue
Bundesregierung.

Das Steuersystem will die Initiative so ändern, dass Ressourcenver-
brauch belastet und Arbeitseinkommen entlastet werden. Schädliche
Anreize wie Dieselprivileg, Pendlerpauschale und Steuerbefreiung
von Flugzeugkerosin sollen abgeschafft, Kohlendioxid-Emissionen
hingegen besteuert und die Einnahmen daraus an die Bürger zurück-
gezahlt werden.

Eine „gesetzliche Aktienrente“ soll Altersvorsorgetöpfe für nachhalti-
ge Investitionen bereitstellen. Staatliche Investitionen, Beteiligungen
und Fördermittel sollen ebenfalls dafür dienen. Zudem will die Initia-
tive vorschreiben, dass Vorstände und Aufsichtsräte über Sachver-
stand in Nachhaltigkeit verfügen und ihre Bezahlung an nachhaltige
Entwicklungen geknüpft wird. Auch Bilanzierungsvorschriften für
Unternehmen sollen sich ändern: Bislang nämlich könnten Nachhal-
tigkeitsmaßnahmen oft nur als Aufwand verbucht werden, was Finan-
zierungen erschwere.

Weitere Vorschläge: Emissionsarme Schlüsseltechnologien sollen
durch staatliche Nachfrage schneller zur Marktreife gebracht werden.
Neue Handelsplätze sollen Recycling von Rohstoffen umfassend er-
möglichen. Der Werterhalt von Produkten soll durch ein Recht auf Re-
paratur gefördert werden.

Frau Göpel, Herr Stuchtey, Sie haben hochkarätige Managerinnen
und Manager mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu-
sammengebracht, um daraus so etwas wie einen Masterplan für
den Umbau Europas in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln.
Hätten das die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten nicht
auch selbst hingekriegt?

STUCHTEY: Wir sind mit dem Club of Rome 2020 in eine Diskussion
mit der EU-Kommission gekommen, in der uns die Frage gestellt wur-
de: Was haltet Ihr vom European Green Deal? Die Antwort fiel uns
leicht: Wir finden ihn gut. Schließlich handelt es sich um einen Para-
digmenwechsel, wenn wir nach einem Modell suchen, das soziale,
ökonomische und ökologische Ziele gemeinsam verfolgt. Dann wurde
uns eine zweite Frage von der EU-Kommission gestellt: Kann das auch
funktionieren?

Ihre Antwort?

STUCHTEY: Die fiel verhaltener aus: Wohl kaum, solange nicht eine
Reihe von systemischen Voraussetzungen vorhanden sind.

Welche zum Beispiel?

STUCHTEY: Jene Dinge, die man anders machen müsste, damit man
aus den heutigen Zielkonflikten zwischen Sozialem, Ökologischem
und Ökonomischem herauskommt. Wie messen wir Wohlstand? Wie
kann Wohlstand definiert werden mit begrenzten Ressourcen, mit an-
deren Worten: Wie können wir eher nutzen- als produktorientiert
sein? Wie müssen Märkte gestaltet sein, damit diejenigen belohnt
werden, die positive Nebeneffekte erzeugen, und jene bestraft, die für
negative Nebeneffekte sorgen?

Und? Wie geht das?

STUCHTEY: Wir brauchen eine systemische Modernisierung von In-
dustrie, Wirtschaft und Gesellschaft. Damit wir das hinkriegen, fehlt
uns aber noch ein Mut machender Impuls. Den wollen wir mit dem
„Kompass“ liefern. Insbesondere wäre es hilfreich, wenn in der Wirt-
schaft, in der normalerweise vor allem ihre Partikularinteressen ver-
teidigt werden, ans große Ganze gedacht wird. Sie kann der Politik
Hinweise darauf geben, was machbar ist, wenn diese sich nur an ein
paar richtig große Themen herantraut.

GÖPEL: Krisenmomente sind schließlich immer auch Fenster der
Möglichkeit: Die Bereitschaft in der Gesellschaft ist in Krisenzeiten
sehr viel stärker ausgeprägt, sich mit Fehlentwicklungen auch wirk-
lich auseinander zu setzen und grundsätzlichere Fragen zu stellen.

Die Herausforderungen des Klimawandels sind schon seit mehr
als 40 Jahren bekannt. Was macht Sie denn so optimistisch, dass
sich jetzt etwas ändern wird?

STUCHTEY: Es kommt eine Menge in Bewegung. Einerseits kann man
in vielen Staaten sehen, dass in Teilbereichen mittlerweile ein Wett-
lauf stattfindet, wer der Grünste aller Grünen ist. Beispiel dafür ist die
britische Regierung, die angekündigt hat, nun 78 Prozent Emissions-
reduktion bis 2035 realisieren zu wollen. Oder nehmen Sie die EU, die
ihre Klimaziele nach oben korrigiert hat. Es gibt auch eine Menge
Mutmacher, wenn man auf die Rechtsprechung schaut. So hat unser
Bundesverfassungsgericht die Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt:
Es sind nämlich nicht die Umweltschützer, die unsere Freiheitsrechte
bedrohen. Sondern es ist unser Unwillen, klimapolitisch rigoroser zu
handeln, welcher der nächsten Generation Freiheitsrechte nehmen
wird.

Die Gesellschaft hört es nicht gerne, wenn ihr schnell große Opfer
abverlangt werden.

STUCHTEY: Wir wissen mittlerweile, dass wir technologisch in der
Lage sind, das Klimaproblem zu lösen. Und zwar ohne massive Wohl-
standsverluste. Aber wir haben keine Zeitreserven mehr.

GÖPEL: Wir müssen uns erst einmal ehrlich machen. Wir fahren in
vielen Bereichen der Wirtschaft auf blinde Sicht: Das fängt bei der
Wohlstandsmessung an und geht bei der unternehmerischen Bilan-
zierung weiter. Unternehmen können nur schwerlich nachhaltig in-
vestieren, weil der kurzfristige Erfolg des Geschäftsmodells und die
finanzielle Rendite alles ist, was zählt.

Das könnte man auch über die staatliche Haushaltsplanung sagen.

GÖPEL: Stimmt. Nehmen wir unsere Schuldenbremse: Sie gilt vielen
als Sakrileg. Aber wenn genau hingesehen wird, was wir durch die
Aufnahme von neuen Krediten finanzieren können, ist eine differen-
zierte Auslegung sinnvoll: Denn es handelt sich in vielen Bereichen
nicht nur um eine Verschuldung, sondern auch um eine Investition in
das Volksvermögen. Es entstehen ja auch Werte. Und wenn das Infra-
strukturen sind, durch die eine Energieversorgung künftig viel kos-
tengünstiger erfolgen kann, weil ich keine Brennstoffe mehr bezahlen
muss, ist es nicht sinnvoll, nur Schulden auf einer Seite zu buchen,
ohne dass die Aktiva auf der anderen Seite erscheinen.

Dann wollen Sie also auch die seit Hunderten von Jahren beste-
hende Kameralistik, die einfache Einnahmen-Ausgaben-Rechnung
des Staates, abschaffen?

GÖPEL: Erweitern. Wir nutzen heute Kennzahlen, die uns gerade
nicht darüber aufklären, in welche Richtung Ausgaben und unsere
Handlungen wirken, und was dadurch in Zukunft möglich sein wird.

Deutschland kann aktuell durch Kreditaufnahme Geld einnehmen,
und gleichzeitig sind alle besorgt darüber, wie sie in unseren aktuel-
len Infrastrukturen etwa von Energie und Verkehr ohne hohe Zusatz-
kosten CO2-frei leben sollen.

Aber das ist vor allem eine temporäre Herausforderung: Es geht ja
schließlich darum, dass wir ganz andere Infrastrukturen und Alltags-
routinen haben werden, wenn die neu entwickelten Lösungen, an de-
nen die Industrie längst arbeitet, schnell auf den Markt kommen. In
zehn Jahren, da bin ich mir sicher, werden ganz andere Lebensstile
möglich. Es wird viel einfacher sein, CO2-neutral zu leben.

Dagegen werden sich aber all diejenigen zur Wehr setzen, die viel
zu verlieren haben.

GÖPEL: Entscheidend ist, dass nicht nur Besitzstandswahrer und or-
ganisierte Interessensvertretungen in der gesellschaftlichen und poli-
tischen Diskussion angehört werden, und wir damit den üblichen Mi-
nimalkonsens fortsetzen, sondern dass Pionierinnen und Pioniere als
die Wirtschaft der Zukunft auftreten. Wenn sich mehr und mehr Füh-
rungspersönlichkeiten anschließen, dann wird es auch immer
schwieriger, zu sagen: „Die“ Wirtschaft wird darunter leiden. Es wird
sehr viel deutlicher, wer mit einer Verhinderungslogik operiert. Und
andererseits auch, wer die Zukunft gerne sehr viel schneller erschaf-
fen würde. Es geht um Corporate Political Responsibility.

Das Interview führten Friedrich Geiger und Thomas Wendel.
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