EU-Rettungsschirm: Folgt der Einstieg in eine Transferunion? - EU Rettungsschirm

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EU-Rettungsschirm: Folgt der Einstieg in eine Transferunion? - EU Rettungsschirm
EU-Rettungsschirm: Folgt der Einstieg in eine
 Transferunion?
                                                                                                                                     3

Setzt der im letzten Jahr ins Leben gerufene Euro-Rettungsschirm wesentliche Grundprinzipien
des Maastricht-Vertrags außer Kraft? Folgt der Einstieg in eine Transferunion?

Beistand unter Bedingungen                     ellen Entwicklungen und Diskussionen
für eine stabile Europäische                   um einen dauerhaften europäischen Kri-
                                               senbewältigungsmechanismus verdeut-
Wirtschafts- und
                                               lichen vielmehr eindrucksvoll, dass die
Währungsunion                                  Europäische Union und insbesondere der
                                               Euroraum im Sog der schwersten Wirt-
Jede Gemeinschaft beinhaltet einen Aus-        schafts- und Finanzkrise der Nachkriegs-
gleich zwischen Starken und Schwachen.         zeit vor entscheidenden Weichenstellun-
Insbesondere staatliche Gemeinschaften         gen stehen, die die weitere wirtschafts-
kennen finanzielle Ausgleichsformen und        und finanzpolitische Integration prägen
Transfers, und auch die Europäische Uni-       werden.
on bildet hiervon keine Ausnahme: Bei-
spiele sind die seit vielen Jahren gängigen,   Zunächst ist hervorzuheben, dass die fi-
europäischen Zahlungsströme, die dem           nanziellen Stabilisierungsmechanismen                 Wolfgang Schäuble*
Aufbau von unterentwickelten Regionen          nur ein Teil eines umfassenden Reform-
und der Strukturerneuerung dienen. Auch        pakets für die Europäische Union bzw.
die östlichen Bundesländer haben hiervon       den Euroraum sind. Mit diesem Reform-
in erheblichem Umfang profitiert.              paket werden die Mitgliedstaaten in die
                                               Verantwortung genommen und die Vor-
Die aktuelle Debatte um eine »Transfer-        aussetzungen für eine stärkere Überwa-
union« und das, was durch sie suggeriert       chung geschaffen, mit der die Wahr-
wird, geht weit über das bisher Gekann-        scheinlichkeit zukünftiger Krisen im Eu-
te hinaus, jedoch ohne es sauber zu de-        roraum deutlich sinken wird. Auch der von
finieren. Unter »Transferunion« verstehen      der Bundeskanzlerin am 4. Februar 2011
viele Unterschiedliches. Auch und gera-        vorgestellte Pakt für Wettbewerbsfähig-
de in der Politik gilt, dass eine Verständi-   keit hat zum Ziel, durch einen Abbau von
gung über Ziele und Prioritäten nur mög-       Ungleichgewichten die Krisenwahrschein-
lich ist, wenn man über denselben Sach-        lichkeit in Zukunft zu verringern.
verhalt redet. In diesem Sinne ist meine
klare Haltung, dass wir keine unbegrenz-       In den Beratungen der vergangenen Mo-
ten oder gar »uferlosen« Ausgleichsme-         nate auf europäischer Ebene ist es uns
chanismen befürworten, die den Mitglied-       gelungen, dem Stabilitäts- und Wachs-
staaten jeglichen Anreiz zu ökonomisch         tumspakt, der die Stabilität unserer ge-
vernünftigem Handeln nehmen würden.            meinsamen Währung in Europa sichern
Wenn also unter »Transferunion« eine er-       soll, deutlich mehr Biss zu verleihen. Die
weiterte Möglichkeit verstanden wird, be-      Task Force unter dem Vorsitz des Rats-
dingungslos und systematisch Haushalts-        präsidenten van Rompuy hat die Lehren
mittel an finanzschwache Mitgliedstaaten       aus der Wirtschafts- und Finanzkrise ge-
zu transferieren, dann ist dies klar abzu-     zogen und sich auf weitreichende Verbes-
lehnen.                                        serungen der finanz- und wirtschaftspo-
                                               litischen Koordinierung geeinigt. Dazu ge-
Worum es derzeit bei den Regierungsge-         hören: eine stärkere Berücksichtigung des
sprächen in Brüssel geht, ist jedoch et-       Schuldenstandes im Defizitverfahren, ein
was anderes. Um es bereits an dieser           breiteres Spektrum an quasi-automati-
Stelle vorweg zu nehmen: Die Einrichtung       schen Sanktionen, die zudem früher ein-
der Europäischen Finanzstabilisierungs-        setzen, sowie eine bessere Überwachung
fazilität (EFSF) und die laufenden Arbei-      der makroökonomischen Ungleichge-
ten zur Einrichtung eines permanenten          wichte. Diese Vorschläge sollen nach Ei-
europäischen Stabilisierungsmechanis-
mus (ESM) bedeuten in keiner Weise den         * Dr. Wolfgang Schäuble, MdB, ist Bundesminister
Einstieg in eine Transferunion. Die aktu-        der Finanzen.

                                                                                           ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
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4   Zur Diskussion gestellt

    nigung mit dem Europäischen Parlament bis Juni 2011 um-          Ziel der Bundesregierung ist es, die Schuldenlast eines von
    gesetzt werden.                                                  Zahlungsunfähigkeit bedrohten Mitgliedstaates auf ein trag-
                                                                     bares Maß zu reduzieren und so mögliche negative Auswir-
    Ein wesentliches Ergebnis ist die Stärkung des so genann-        kungen auf die Kapitalmärkte und darüber auf die Währungs-
    ten präventiven Arms des Stabilitäts- und Wachstums-             union insgesamt abzuwenden. Der Prozess muss regelba-
    pakts: Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten der Eurozo-       siert ausgestaltet sein und allen Beteiligten Anreize geben,
    ne zu einer tragfähigen Finanzpolitik; in konjunkturellen Nor-   auf eine schnelle Lösung hinzuarbeiten und das Vertrauen
    mallagen bedeutet dies die Verpflichtung auf einen nahe-         der Kapitalmärkte möglichst schnell zurückzgewinnen. Kon-
    zu ausgeglichenen Haushalt oder sogar einen Haushalts-           zeptionell sieht unser Vorschlag drei Bestandteile vor: ein
    überschuss. Zur Überwachung dieser Verpflichtung wird            wirtschafts- und finanzpolitisches Anpassungsprogramm,
    ein sanktionsbewehrtes Verfahren eingeführt, das unmit-          angemessene Beiträge der privaten Gläubiger sowie ein in-
    telbar und quasi automatisch greift, wenn Mitgliedstaaten        tergouvernementales Finanzierungsinstrument.
    von diesen Vorgaben abweichen. Im korrektiven Arm des
    Paktes wird ein zu hoher Schuldenstand einen deutlich am-        Die Länder der Eurogruppe und die EU-Kommission haben
    bitionierteren Konsoldierungskurs erfordern als bisher. Die      sich am 28. November 2010 auf die Grundzüge eines künf-
    Fiskalpolitik in der Währungsunion wird damit in Zukunft         tigen dauerhaften ESM verständigt. Diese Grundzüge wur-
    durch die Prinzipien der ausgeglichenen Haushalte und der        den vom Europäischen Rat im Dezember 2010 bestätigt und
    Rückführung zu hoher Staatschulden geleitet. Der hierin          reflektieren in sehr ausgewogener Weise die Vorschläge, die
    zum Ausdruck kommende Grundsatz nachhaltiger Finanz-             die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer Verantwortung
    politik ist in Deutschland durch die Schuldenbremse be-          als größte Volkswirtschaft der Eurozone in den Verhand-
    reits im Grundgesetz verankert. Das skizzierte Verfahren         lungsprozess eingebracht hat.
    wird durch eine ganze Reihe weiterer Vorgaben und Maß-
    nahmen (wie z.B. die stärkere Ex-ante-Koordinierung in-          Der ESM wird auf der Europäischen Finanzstabilisierungs-
    nerhalb des Europäischen Semesters) im Rahmen der eu-            fazilität aufbauen und bei strikter Konditionalität Finanzhil-
    ropäischen Überwachung der Wirtschafts- und Finanzpo-            fen für Eurozonen-Mitgliedstaaten bereitstellen können. Er
    litik ergänzt.                                                   wird den neuen Rahmen verstärkter wirtschaftspolitischer
                                                                     Steuerung vervollständigen, der auf eine wirksame und kon-
    Ungeachtet dessen ist es wichtig, dass wir als Rückver-          sequente wirtschaftspolitische Überwachung abzielt, die
    sicherung über ein Verfahren zur Krisenbewältigung ver-          Prävention in den Mittelpunkt stellt und die Wahrscheinlich-
    fügen, das bei Bedarf schnell aktiviert werden kann. Denn        keit künftiger Krisen deutlich verringert.
    auch mit einem noch so geschärften Stabilitäts- und
    Wachstumspakt können wir nicht zu 100% ausschließen,             Die Vorschriften werden angepasst, um eine einzelfallbezo-
    dass es eines Tages wieder zu einem extremen Krisen-             gene Beteiligung privater Gläubiger in Übereinstimmung
    fall kommt, der die Stabilität der Eurozone insgesamt ge-        mit den Leitsätzen des IWF zu gewährleisten. In jedem Fall
    fährdet. Mit der EFSF wurde im Frühjahr 2010 ein tem-            wird ein ESM-Kredit den so genannten „preferred creditor
    poräres Verfahren geschaffen, das für den Moment adä-            status“ (bevorrechtigten Gläubigerstatus) erhalten und nur
    quat ist. Gleichwohl war es für die Bundesregierung von          gegenüber dem IWF-Kredit nachrangig sein, um das Geld
    Anfang an klar, dass es sich bei der EFSF nur um eine            der Steuerzahler zu schützen und privaten Gläubigern klar
    Übergangslösung handeln kann. Deshalb verfolgt die               zu signalisieren, dass ihre Forderungen denen des öffentli-
    Bundesregierung ein Konzept für einen permanenten                chen Sektors nachgeordnet sind.
    ESM für die Eurozone, der die im Rahmen des Stabili-
    täts- und Wachstumspakts vereinbarte Schärfung der               Der Hilfe, die einem Mitgliedstaat des Euro-Währungsge-
    finanz- und wirtschaftspolitischen Überwachung ergän-            biets gewährt wird, liegen ein wirtschaftliches und finan-
    zen soll, um die Finanzstabilität in der Eurozone lang-          zielles Anpassungsprogramm mit strikten Auflagen sowie
    fristig zu sichern.                                              eine von der Europäischen Kommission und dem IWF in
                                                                     Zusammenarbeit mit der EZB durchgeführte konsequen-
    Der künftige ESM bezieht sich nicht auf derzeit ausstehen-       te Schuldentragfähigkeitsanalyse zugrunde. Entscheidun-
    de Schulden und aktuelle Krisenfälle. Hierfür ist die tempo-     gen über die Bereitstellung von Hilfen erfolgen jeweils ein-
    räre EFSF bis Juni 2013 voll einsatzfähig. Klar ist aber auch,   stimmig.
    dass die Finanzmärkte für die Zeit nach 2013 so schnell
    wie möglich Planungssicherheit benötigen, um sich Schritt        Bei Ländern, die auf der Grundlage einer Schuldentragfä-
    für Schritt den neuen Rahmenbedingungen anpassen zu              higkeitsanalyse als solvent und damit langfristig zahlungs-
    können. Die Staats- und Regierungschefs werden hierzu auf        fähig eingestuft werden, werden die privaten Gläubiger er-
    der Tagung des Europäischen Rates im März 2011 Eck-              mutigt, ihr Engagement gemäß internationalen Regelungen
    punkte festlegen.                                                und in Einklang mit den IWF-Verfahren aufrechtzuerhalten.

    ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
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Im unerwarteten Fall, dass sich ein Land als insolvent und      einen »erweiterten« Mechanismus ab, in dessen Rahmen
damit zahlungsunfähig erweisen sollte, hat der Mitgliedstaat    finanzstarke Mitgliedstaaten systematisch und automatisch
entsprechend den IWF-Verfahren zur Wiederherstellung der        Haushaltsmittel an finanzschwache Mitgliedstaaten transfe-
Schuldentragfähigkeit mit seinen privaten Gläubigern einen      rieren würden. »Erweitert«, da Deutschland (und einige an-
umfassenden Umstrukturierungsplan auszuhandeln. Nur             dere Mitgliedstaaten) als Nettozahler und die Europäische
wenn durch diese Maßnahmen die Schuldentragfähigkeit            Union u.a. über die bereits erwähnten Struktur- und Kohä-
hergestellt werden kann, darf der ESM überhaupt Liquidi-        sionsfonds erhebliche Beiträge zum Abbau des Wohlstands-
tätshilfen bereitstellen.                                       gefälles zwischen den europäischen Mitgliedstaaten bzw.
                                                                Regionen und zur Förderung des wirtschaftlichen und so-
Um das Verfahren zu erleichtern, werden ab Juni 2013 in         zialen Zusammenhalts leisten. Ich sehe hier die eindeutige
den Bedingungen aller neu aufgelegten Staatsanleihen von        Grenze, die nicht überschritten werden sollte. Eine Auswei-
EU-Mitgliedstaaten standardisierte und identische Umschul-      tung von Transferzahlungen birgt das evidente Risiko, dass
dungsklauseln (»Collective Action Clauses« = CACs) in ei-       die Empfängerländer in ihren eigenen Anstrengungen, ihre
ner Weise vorgesehen, die die Liquidität der Märkte und das     wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu verbes-
Vertrauen von Investoren gewährleisten. Diese Umschul-          sern, nachlassen und wir das zentrale »Moral-hazard«-Pro-
dungsklauseln sollen den Klauseln entsprechen, die ge-          blem so, statt es zu reduzieren, noch verstärken.
mäß britischem und US-amerikanischem Recht nach dem
G-10-Bericht über Umschuldungsklauseln üblich sind. Hier-       Die jüngsten Ereignisse haben allerdings auch gezeigt, dass
durch könnten die Gläubiger im Fall der Zahlungsunfähig-        eine gemeinsame Währung nicht ohne temporäre und be-
keit des Schuldners per qualifiziertem Mehrheitsbeschluss       dingte Solidarität der Mitglieder auskommt; eine Solidarität,
eine rechtsverbindliche Änderung der Zahlungsbedingun-          die sich aber nicht auf die sechs Euroländer mit Triple-A-Be-
gen beschließen.                                                wertung beschränken darf. Solidarität darf sich zudem nicht
                                                                nur auf die Verpflichtung beschränken, den Mitgliedsländern,
Der Europäische Rat konnte im Dezember 2010 auch eine           die in erheblichen finanziellen und wirtschaftlichen Schwie-
Einigung über die zur Einrichtung eines ESM notwendige          rigkeiten sind, Beistand zu leisten. Sie erfordert genauso Ziel-
begrenzte Vertragsänderung erzielen, wobei die Änderung         strebigkeit und Entschlossenheit der betroffenen Mitglied-
erst nach Ratifikation durch alle 27 Mitgliedstaaten in Kraft   staaten, die eigenen, meist strukturellen Probleme durch
tritt. Dies soll bis Ende dieses Jahres erfolgen. Auch hier     konsequente und nachhaltige finanz- und wirtschaftspoliti-
konnte die Bundesregierung ihre zentralen Vorstellungen ein-    sche Reformmaßnahmen zu beseitigen.
bringen. Noch vor wenigen Monaten hat eine Vielzahl von
Mitgliedstaaten und Kommentatoren jedwede Änderung des          Primäre politische Aufgabe ist es vor diesem Hintergrund si-
Vertrags von Lissabon für illusorisch gehalten. Ich sehe die    cherzustellen, dass die institutionellen Arrangements der Eu-
tatsächliche Entwicklung einmal mehr als Beleg dafür, dass      ropäischen Währungsunion einschließlich der neuen Stabi-
die Europäische Union – ganz entgegen der Kritik zahlrei-       lisierungsmechanismen in der Lage sind, die Eurozonen-Mit-
cher Experten – sehr wohl handlungsfähig ist, wenn sie in       glieder zu einer Finanz- und Haushaltspolitik zu verpflichten,
der Krise gefordert ist. Als größte Mitgliedstaaten tragen      die der Verantwortung für eine gemeinsame Währung Rech-
Deutschland und Frankreich hierbei eine besondere Ver-          nung trägt. Dieses Bekenntnis zu einer gemeinsamen Ver-
antwortung.                                                     antwortung würde durch die Implementierung einer so ge-
                                                                nannten Transferunion konterkariert. Denn ein derartiges
Mit dem künftigen Europäischen Stabilitätsmechanismus           Transfersystem würde Anreize für nachhaltige Wirtschafts-
erreichen wir unser Hauptziel: eine stärkere Verbindung         und Finanzpolitik reduzieren und auf die Zahlungswilligkeit
von Risiko und Haftung und damit eine Reduzierung von           wirtschafts- und finanzstarker Länder der Gemeinschaft bau-
»moral hazard« – sowohl auf Seiten der für die Finanz- und      en. Die korrektiven und produktiven Kräfte des Marktes wür-
Wirtschaftspolitik in den Eurostaaten Verantwortlichen als      den damit außer Kraft gesetzt.
auch bei den privaten Investoren. Ein solcher Mechanis-
mus und die mit ihm verbundene Stärkung der Marktdis-           Marktlicher Anreiz und Sanktion ist dabei das in den
ziplin führen automatisch zu einem verantwortungsvolle-         »Spreads« ausgedrückte höhere Zinsrisiko. Grundsätzlich
ren Verhalten aller Marktteilnehmer und erhöhen dauer-          funktioniert dieses System: Deshalb darf dieser Mechanis-
haft die Glaubwürdigkeit und die Stabilität des Euro.           mus nicht ersatzlos durch eine Vergemeinschaftung des
                                                                Zinsrisikos, auch nicht in Form der Eurobonds – einer wei-
Zusammenfassend wird deutlich, dass die notwendigen             teren Facette der Transferdiskussion – außer Kraft gesetzt
Maßnahmen zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Euro-         werden. Mit einer Gemeinschaftshaftung für die Staatschul-
Mitgliedstaaten keineswegs gleich zu setzen sind mit dem        den bei Einführung von Eurobonds würde die disziplinie-
Einstieg in eine Transferunion. Die Bundesregierung würde       rende Wirkung der Finanzmärkte vermindert: Einzelne Eu-
eine derartige Entwicklung nicht mittragen und lehnt daher      roländer mit potenziell nicht tragfähiger Finanz- und Wirt-

                                                                                     ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
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6   Zur Diskussion gestellt

    schaftspolitik sollten nicht ihre nationale Verantwortung zur
    Einhaltung der Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspak-
    tes auf andere Euroländer abwälzen, indem sie sich durch
    Eurobonds weiterhin zu günstigeren Konditionen refinanzie-
    ren, ohne die erforderlichen und z.T. sehr schmerzhaften
    Strukturreformen durchzuführen. Auch wenn die Marktdis-
    ziplinierung über die »spreads« also grundsätzlich funktio-
    niert, so trifft dieser Mechanismus für das systemische Ri-
    siko, die Gefahr der Ansteckung durch die Schuldenkrise ei-
    nes Landes für andere Euroländer und für die Eurozone als
    Ganzes, keine ausreichende Vorsorge.

    Auch deshalb hat sich die Bundesregierung bei der Umset-
    zung der EFSF sowie der Konzipierung des zwischenstaat-          Jürgen Stark*
    lichen Europäischen Stabilisierungsmechanismus erfolgreich
    dafür eingesetzt, dass finanzieller Beistand und Ausreichung
    von Finanzmitteln in finanziellen Notlagen nur unter der Vor-
    aussetzung der Umsetzung ambitionierter Reformprogram-           Der Euro braucht striktere Regeln
    me und eines verschärften Monitorings durch die Europäi-
    sche Kommission, die Europäische Zentralbank und den In-         Bei den Verhandlungen des Maastricht-Vertrages und spä-
    ternationalen Währungsfonds erfolgt. Es ist wichtig und rich-    ter des Stabilitätspakts wurden wiederholt Krisenszenarien
    tig, dass diese Sichtweise elementarer Bestandteil des Be-       einzelner Länder diskutiert und auch die Folgen einer tiefen
    schlusses des Europäischen Rates vom Dezember 2010               wirtschaftlichen Rezession für das öffentliche Haushaltsde-
    geworden ist, mit dem die Grundlagen geschaffen wurden,          fizit simuliert. Die Frage sollte beantwortet werden, unter wel-
    um mittelfristig eine dauerhafte Stabilisierung des Euro und     chen Bedingungen eine Zunahme des öffentlichen Defizits
    der Europäischen Währungsunion zu erreichen.                     um 3% des BIP erreicht würde. Es ging um die Definition der
                                                                     Regeln für eine stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Wäh-
    Was wir demzufolge nicht brauchen, ist eine Transferunion,       rungsunion mit einheitlicher Geldpolitik und dezentraler Fis-
    die auf fatale Weise die Lösung der Probleme durch finan-        kalpolitik. Zu den formenden Prinzipien und Grundlagen
    zielle Abhilfe suggeriert, aber die ökonomischen Probleme        der Währungsunion zählen neben der Unabhängigkeit der
    in der EU wie des Euroraums in ihrer Substanz nicht nur nicht    Zentralbanken und dem klaren Mandat für Preisstabilität,
    löst, sondern sie perpetuiert. Was wir auch nicht brauchen,      das Vermeiden übermäßiger Haushaltsdefizite, die »Nicht-
    ist eine Debatte, die mit einem solchen Begriff zündelt und      Einstandsklausel« (»No bailout«), und das Verbot der mo-
    Ängste schürt, die nicht begründet sind.                         netären Finanzierung der öffentlichen Haushalte.

    Was wir dagegen brauchen, ist ein lösungsstarkes Gesamt-         Die verschiedenen Szenarien und Simulationen zeigten, dass
    paket: einen wirksamen Stabilitäts- und Wachstumspakt,           es in nur sehr wenigen Fällen – und auch nur im Falle einer
    eine bessere Koordinierung der Finanz- und Wirtschafts-          sehr schweren Rezession – zu einer signifikanten Verschlech-
    politik, umfassende Maßnahmen zur Verbesserung der Wett-         terung des öffentlichen Defizits kam. Unter der Annahme,
    bewerbsfähigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten – wie von         dass die Regeln befolgt werden, und die Mitgliedstaaten das
    der Bundeskanzlerin im Rahmen des Pakts für Wettbewerbs-         Ziel eines ausgeglichenen oder Überschusshaushalts ernst-
    fähigkeit vorgeschlagen als mutiger Schritt hin zu einer Wirt-   haft anstreben, würde die 3%-Defizitobergrenze nur ex-
    schaftsregierung, die auf die Balance nationaler und euro-       trem selten überschritten. Gleichzeitig verlangte der Grad
    päischer Zuständigkeiten achtet – und letztendlich auch ei-      der politischen und wirtschaftlichen Integration die Eigen-
    nen überzeugenden Krisenmechanismus als zusätzliches             verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre öffentlichen Haus-
    Sicherheitsnetz für weniger wahrscheinliche Krisenfälle der      halte. Dies ist in der »No-bailout«-Klausel niedergelegt. Sie
    Zukunft.                                                         war insbesondere für die deutsche Regierung ein wichtiger
                                                                     Grundsatz, um mögliche finanzielle Transfers an andere Mit-
                                                                     gliedstaaten, die sich nicht stabilitätskonform verhielten, aus-
                                                                     zuschließen. Finanzieller Beistand sollte einem Mitgliedstaat

                                                                     * Prof. Dr. Jürgen Stark ist Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zent-
                                                                       ralbank.
                                                                       Die in diesem Beitrag zum Ausdruck gebrachte Meinung entspricht nicht
                                                                       unbedingt der Meinung der EZB. Dieser Beitrag enthält keine rechtliche
                                                                       Bewertung der einschlägigen Vorschriften des EU-Vertrags.

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EU-Rettungsschirm: Folgt der Einstieg in eine Transferunion? - EU Rettungsschirm
Zur Diskussion gestellt             7

nur aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnli-                        gen Kredite an einzelne Mitgliedsländer zu vergeben, die
chen Ereignissen, die sich der Kontrolle des Mitgliedstaats                   aufgrund ihrer Überschuldung den Zugang zum Kapital-
entziehen, gewährt werden können.                                             markt verloren haben. Neben den Krediten im Umfang von
                                                                              110 Mrd. Euro, die für Griechenland von EU-Staaten und
Das Maastricht-Design der Wirtschafts- und Währungsuni-                       IWF gewährt wurden, können hierfür über die EFSF (Euro-
on sieht also keinen Finanztransfer vor. Dies wurde von den                   päische Finanzstabilisierungsfazilität), den EFSM (Europäi-
Finanzministern nochmals am 1. Mai 1998 bestätigt. An die-                    schen Finanzstabilitätsmechanismus) und den IWF weite-
sem Tag fiel die Entscheidung darüber, welche Länder sich                     re Mittel von bis zu 750 Mrd. Euro beschafft werden. Die
für die dritte Stufe der Währungsunion qualifizieren. Die Mi-                 hieraus vergebenen Kredite werden mit den Empfängerlän-
nister erzielten Einvernehmen darüber, »dass die Wirtschafts-                 dern von EU-Kommission und IWF, in Abstimmung mit der
und Währungsunion als solche nicht als Grund für speziel-                     EZB, unter der Bedingung ausgehandelt, dass die Regie-
le Finanztransfers angeführt werden kann«.1 Diese Erklärung                   rungen der betroffenen Staaten ihre Staatsfinanzen sanie-
wurde von den EU-Staats- und Regierungschefs auf dem                          ren und Strukturanpassungsmaßnahmen ergreifen, um wirt-
Europäischen Rat im Juni 1998 in Cardiff bestätigt.                           schaftliche und finanzielle Stabilität dauerhaft wiederher-
                                                                              zustellen.
Warum dieser »historische« Rückblick? Keines der in den
1990er Jahren diskutierten Szenarien ging von einer Kri-                      Diese Maßnahmen sind in der deutschen Öffentlichkeit als
sendimension aus, wie wir sie seit 2007/2008 erleben.                         Einstieg in die Transferunion und als Verletzung der »Nicht-
Niemand konnte die Schwere und Tiefe der globalen Fi-                         Einstandsklausel« (Artikel 125 des EU-Vertrags) betrachtet
nanz- und Wirtschaftskrise voraussehen. Allerdings wa-                        worden. Artikel 125 des EU-Vertrags schließt eine Haftung
ren Marktübertreibungen seit längerem erkennbar, und es                       der EU oder ihrer Mitgliedstaaten für finanzielle Verpflich-
wurde vor den Schwächen und Verwundbarkeiten des                              tungen anderer Staaten oder ihrer öffentlich-rechtlichen Kör-
Finanzsystems gewarnt. Auch wenn diese Krise ihren An-                        perschaften aus. Artikel 125 schließt allerdings gegenseiti-
fang nicht in Europa genommen hat, so wurde Europa                            ge Kredite nicht grundsätzlich aus. Worauf das Vertragswerk
ebenso hart getroffen wie andere Regionen der Welt. Was                       vielmehr abzielt, ist sicherzustellen, dass die Mitgliedstaa-
nicht überraschte, war, dass die Rettungsmaßnahmen für                        ten für ihre öffentlichen Schulden letztlich alleine Verant-
die Banken, das Wirkenlassen der automatischen Stabi-                         wortung tragen. In diesem Kontext scheint also die in
lisatoren und die Konjunktur-Stimulierungsmaßnahmen zu                        Deutschland geäußerte Kritik auf die Frage abzuzielen, ob
einer Explosion der öffentlichen Haushaltsdefizite und                        die gemeinsamen Kredite die Empfängerländer dieser Ver-
Schuldenstände führten.                                                       antwortung entheben oder ihre Schulden auf Kosten boni-
                                                                              tätsstarker Länder senken. Dies käme jedenfalls einem Fi-
Ebenso wenig überraschend ist, dass die Krise der öffent-                     nanztransfer gleich.
lichen Haushalte im Eurogebiet die Folge der Nichteinhal-
tung der Haushaltsregeln ist, sowie, generell betrachtet,                     Ein Finanztransfer findet meines Erachtens allerdings nicht
der unzureichenden oder völlig fehlenden Anpassung ein-                       statt, wenn das Empfängerland aus eigenen Anstrengun-
zelner Länder an die Bedingungen der Wirtschafts- und Wäh-                    gen seine öffentlichen Haushalte saniert und somit den Ka-
rungsunion. Sowohl einzelne Regierungen haben hier ver-                       pitalmarktzugang wiederherstellt. Hieraus ergeben sich An-
sagt als auch die Überwachungs- und Sanktionsmecha-                           forderungen, welche sich in den Konditionen für die bisher
nismen auf europäischer Ebene. Deshalb handelt es sich bei                    beschlossenen Hilfsmaßnahmen widerspiegeln:
der derzeitigen Krise nicht um eine »Krise des Euro«. Viel-
mehr geht es um die Folgen verfehlter nationaler Wirtschafts-                 1. Verantwortung für eigene Schulden: die vergebenen Kre-
politiken und die fehlende Umsetzung der gemeinsamen Re-                      dite dienen nicht der Schuldenübernahme. Die infolge der
geln. Diese Regeln – und Prinzipien – wie im Maastricht-Ver-                  Kreditgewährung höhere Verschuldung wird im Rahmen des
trag und dem Stabilitätspakt definiert, sind eine fundamen-                   Stabilitäts- und Wachstumspakts überwacht. Die Schul-
tale Bedingung für das reibungslose Funktionieren der Wirt-                   den sind zusammen mit den anfallenden Zinsen auch wie-
schafts- und Währungsunion und damit für eine stabile und
                                                                              der vollständig zurück zuzahlen.
anerkannte Währung.
                                                                              2. Programmkonditionalität: Kredite werden nur dann ge-
Als im Mai 2010 die europäische Schuldenkrise ihren ers-
                                                                              währt, wenn sich das Empfängerland glaubwürdig zu einem
ten Höhepunkt erreichte, beschloss der EU-Finanzminis-
                                                                              wirtschaftlichen Anpassungsprogramm verpflichtet. Dieses
terrat Maßnahmen, die es erlauben, zur Sicherung der Fi-
                                                                              Programm muss gewährleisten, dass die öffentlichen Haus-
nanzstabilität im Eurogebiet unter bestimmten Bedingun-
                                                                              halte konsolidiert und, falls erforderlich, Maßnahmen ergrif-
                                                                              fen werden, wirtschaftliche Ungleichgewichte zu beseitigen,
1   Zusatzerklärung des Rates (Wirtschaft und Finanzen) vom 1. Mai 1998 und
    der in diesem Rat vereinigten Minister zu der Empfehlung betreffend die
                                                                              um dauerhaft Wachstum, Beschäftigung und nicht zuletzt
    Mitgliedstaaten, die an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen.    die Tragfähigkeit der Staatsschuld zu sichern. Sollten in den

                                                                                                  ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
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    jeweiligen Ländern Risiken für die wirtschaftliche und finan-     teln insgesamt 62,7 Mrd. Euro zur Verfügung zu stellen.
    zielle Stabilität existieren, beispielsweise aufgrund privater    Insgesamt handelt es sich um ein Programmvolumen von
    Überschuldung, Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, oder Pro-        85 Mrd. Euro, inklusive bilateraler Kredite aus dem Verei-
    blemen im Bankensektor, so müssen diese Maßnahmen dar-            nigten Königreich, Dänemark und Schweden in Höhe von
    auf abzielen, diese Risiken zu beseitigen.                        4,8 Mrd. Euro sowie einem Eigenbeitrag Irlands in Höhe
                                                                      von 17,5 Mrd. Euro. Im Rahmen dieses mehrjährigen An-
    3. Kreditbereitstellung zu nicht-konzessionären Zinsen: Die       passungsprogramms hat sich Irland verpflichtet, seinen Ban-
    Finanzierungsbedingungen der Empfängerländer am Kapi-             kensektor zu restrukturieren, seine Wettbewerbsverluste
    talmarkt dürfen sich nur als Konsequenz eigener erfolgrei-        zu korrigieren und seine öffentlichen wie privaten Schulden
    cher Sparbemühungen und Strukturanpassungsmaßnah-                 zu reduzieren. Für die an Irland vergebenen Kredite wird ein
    men verbessern, nicht aber alleine aufgrund der Tatsache,         durchschnittlicher Zinssatz von etwa 6% fällig, was wieder-
    dass bonitätsschwache von bonitätsstarken Ländern Kre-            um deutlich über den Geldmarktzinsen vergleichbarer Lauf-
    dite erhalten. Dies lässt sich sicherstellen, indem Kredite nur   zeit liegt.
    zu einem »nicht-konzessionären« Zinssatz bereitgestellt wer-
    den, d.h., wenn sie kein Subventionselement enthalten. Zu-        Nach Beschluss des Europäischen Rats vom 16./17.De-
    sätzlich verhindert dies Fehlanreize für die Mitgliedstaaten.     cember 2010 soll die EFSF Mitte 2013 von einem perma-
    Niemand kann darauf bauen, bei einer Verschlechterung der         nenten europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM)
    Finanzierungsbedingungen an den Kapitalmärkten aufgrund           abgelöst werden. Zu diesem Zweck wird Artikel 136 des Ver-
    wirtschafts- und fiskalpolitischer Fehler einfach auf Kredite     trags über die Funktionsweise der Europäischen Union er-
    anderer Mitgliedstaaten als günstige Alternative zurückgrei-      gänzt werden. Für den Fall, dass wirtschaftliche Schwierig-
    fen zu können.                                                    keiten in einem Euromitgliedsland zu einem Risiko für die
                                                                      Stabilität der europäischen Währungsunion werden, können
    Auf die im Mai 2010 beschlossenen Hilfsmaßnahmen tref-            wiederum unter der Bedingung wirtschaftlicher Anpassungs-
    fen diese drei Bedingungen zweifellos zu. Entsprechend ist        maßnahmen Finanzhilfen zur Verfügung gestellt werden, falls
    es entscheidend, diese Konditionen auch in der Funktions-         eine von der Europäischen Kommission und dem IWF in Zu-
    weise des Europäischen Stabilisierungsmechanismus zu              sammenarbeit mit der EZB durchzuführende Tragfähigkeits-
    verankern, welcher ab Mitte 2013 gelten soll.                     analyse zu dem Ergebnis kommt, dass das Empfängerland
                                                                      fundamental solvent ist.
    Am Beispiel der Kredite an Griechenland lassen sich diese
    Konditionen näher erläutern:                                      In allen hier angesprochenen Fällen bleibt das Prinzip ge-
                                                                      wahrt, dass alle Mitgliedsländer der Währungsunion für
    Der Zinssatz, zu dem Griechenland Kredite erhalten hat (auf       ihre Schulden alleine verantwortlich bleiben und diese nicht
    Basis syndizierter, bilateraler Kredite von EU Staaten und        durch Vermögenstransfers aus anderen Staaten senken
    Mitteln des IWF im Umfang von insgesamt 110 Mrd. Euro),           können. Kredite werden nur unter der strikten Auflage ver-
    entspricht, je nach Auszahlungszeitpunkt, einem Aufschlag         geben, dass das jeweilige Land Anpassungsmaßnahmen
    von 300 bis 400 Basispunkten auf Geldmarktsätze vergleich-        ergreift, sich aus eigenen Anstrengungen zu entschulden
    barer Laufzeit. Die Finanzierungsbedingungen Griechenlands        und Wachstum und Beschäftigung dauerhaft zu sichern.
    werden also nicht subventioniert. Griechenland hat sich im        Die für diese Kredite anfallenden Zinsen sind gegenüber
    Rahmen eines dreijährigen – mit EU Kommission und IWF,            den Marktzinsen nicht subventioniert. Solange diese Be-
    unter Abstimmung mit der EZB, ausgehandelten – Pro-               dingungen eingehalten werden, kann man Kredite von Eu-
    gramms verpflichtet, seine Staatsfinanzen zu sanieren und         romitgliedsstaaten untereinander nicht als Finanztransfer
    seine Wettbewerbsverluste zu korrigieren. Die Einhaltung          bezeichnen.
    dieser Aufgaben wird alle drei Monate von EU-Kommission
    und IWF, wiederum in Zusammenarbeit mit der EZB, über-            Diese Bedingungen sind im Übrigen nicht nur aus politi-
    prüft und ist Grundvoraussetzung für die Auszahlung wei-          scher, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht relevant:
    terer Kredittranchen. Die Kredite werden auf die Schuld Grie-     Sie sind unumgänglich, um die Schuldenkrise in Europa
    chenlands angerechnet und sind zusammen mit den Zinsen            zu bewältigen. Ohne wirtschaftliche, fiskalische und finan-
    zurückzuzahlen. Diese Bedingungen stellen sicher, dass            zielle Korrekturen werden die betroffenen Länder nicht zu
    Griechenland nicht nur für seine eigenen Schulden selbst          Wachstum und Beschäftigung zurückfinden und weiterhin
    verantwortlich bleibt, sondern vor allem auch, dass es in         ein Risiko für die Funktionsweise des gemeinsamen Wäh-
    die Lage versetzt wird, diese auch zu bedienen.                   rungsraums darstellen.

    Vergleichbare Anforderungen gelten für die Bereitstellung         Die hier gestellte Ausgangsfrage, ob Kredite an überschul-
    von Krediten durch die EFSF, das EFSM und den IWF. Im             dete Euromitgliedstaaten zu Finanztransfers führen, ist
    Dezember 2010 wurde beschlossen, Irland aus diesen Mit-           berechtigt, nicht zuletzt nachdem in allen Mitgliedstaaten

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Zur Diskussion gestellt            9

bereits zur Absicherung von Risiken im Bankensystem            tumspaktes strikt eingehalten und umgesetzt worden, an-
in unvorstellbarem Ausmaß Garantien und Mittel zur Re-         statt sie im Jahr 2005, wie auf deutsche und französische
kapitalisierung bereitgestellt wurden. Verständlich wie die    Initiative hin geschehen, bis zur Beliebigkeit aufzuweichen,
Frage also ist, ist sie dennoch wenig zielführend. Die Fra-    so wären entscheidende Ursachen der gegenwärtigen Kri-
ge, die sich heute den Entscheidungsträgern in Europa          se weit im Voraus beseitigt worden.
stellt, ist keine Frage nach der Wahrung vermeintlicher
nationaler Interessen, sondern nach der Wahrnehmung            Es ist Zeit, die Dringlichkeit der Lage zu begreifen und da-
gemeinsamer Verantwortung dafür, die wirtschaftlichen          zu beizutragen, dass der Fokus der Debatte von vermeint-
Vorteile einer gemeinsamen, stabilen Währung endlich           lichen nationalen Interessen weg und hin auf unabdingbare
umzusetzen.                                                    wirtschaftspolitische Integrationsschritte auf Ebene der Eu-
                                                               romitgliedstaaten gerichtet wird.
Mit der gemeinsamen Währung haben wir in Europa den
höchstmöglichen monetären Integrationsgrad erreicht. Ziel
der Wirtschafts- und Währungsunion ist es, Inflation und
Währungskrisen, welche weiten Teilen Europas über Jahr-
zehnte wirtschaftlichen Schaden zugefügt haben, ein Ende
zu setzen und Preisstabilität zu sichern. In dieser Hinsicht
ist der Euro ein durchschlagender Erfolg. Ziel ist es aber
auch, die wirtschaftliche Integration Europas voranzubrin-
gen und so Wohlstand und Beschäftigung, nicht zuletzt in
einem Umfeld rasant voranschreitender wirtschaftlicher Glo-
balisierung, zu fördern. In diesem Punkt sind die europäi-
schen Regierungen ihrer Verantwortung nicht gerecht ge-
worden.

Bis heute ist nicht verstanden worden, dass die Mitglied-
schaft in einer Währungsunion die nationale Souveränität in
der Fiskal- und Wirtschaftspolitik einschränkt. Hierfür ist
symptomatisch, dass die Fortschritte zur Stärkung des Sta-
bilitäts- und Wachstumspaktes und der makroökonomischen
Überwachung bis heute ungenügend geblieben sind – und
dies im Licht der Erfahrung der größten staatlichen Schul-
denkrise in Friedenszeiten.

Anstatt aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und
sich endlich die offenkundigen Ursachen der europäischen
Schuldenkrise einzugestehen, arbeitet man an einem Sta-
bilisierungsmechanismus für zukünftige Krisen. Dieser wird
aber kaum geeignet sein, einen Rahmen zur Koordinierung
längst überfälliger Strukturreformen und zur Sicherung so-
lider Staatsfinanzen herzustellen. Überdies schafft die blo-
ße Existenz eines solchen Mechanismus möglicherweise
weitere Fehlanreize. Es ist kein Geheimnis, dass eine Ver-
sicherung Handlungen begünstigt, die den Versicherungs-
fall wahrscheinlicher werden lassen (»moral hazard«). In je-
dem Fall dürfen die bestehenden Vertragsgrundlagen der
Währungsunion, vor allem die »No-bailout«-Klausel und
das Verbot von Finanztransfers, durch diesen neu zu schaf-
fenden Mechanismus nicht unterlaufen werden. Ansons-
ten droht eine Aushöhlung der stabilitätspolitischen Basis
des Euro mit nicht absehbaren wirtschaftlichen und politi-
schen Folgen.

Der Prävention von Krisen muss absolute Priorität einge-
räumt werden. Wären die Regeln des Stabilitäts- und Wachs-

                                                                                   ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
10   Zur Diskussion gestellt

                                                                                   wird oft gefordert, Hilfen der Gemeinschaft zu verweigern
                                                                                   und staatliche Insolvenzen mit einem Schuldenschnitt hin-
                                                                                   zunehmen. Dieser Ansatz entspricht den ursprünglich ver-
                                                                                   einbarten Spielregeln in der Eurozone und setzt im Prinzip
                                                                                   für alle Beteiligten die richtigen Anreize. Er hat aber einen
                                                                                   gravierenden Nachteil: Ein solches institutionelles Arrange-
                                                                                   ment funktioniert nur dann, wenn Banken und Finanzmärk-
                                                                                   te robust genug sind, eine Insolvenz eines oder auch meh-
                                                                                   rerer Staaten zu überstehen, ohne dass es zu einer schwe-
                                                                                   ren Finanzkrise kommt. Für die Zukunft besteht eine wich-
                                                                                   tige Aufgabe der Politik in der Tat darin, die Finanzmarktre-
                                                                                   gulierung so zu verändern, dass man dieser Robustheit mög-
                                                                                   lichst nahe kommt (vgl. Konrad 2010; Wissenschaftlicher
     Clemens Fuest*                                                                Beirat beim Bundesministerium der Finanzen 2010). Das
                                                                                   wird jedoch Jahre dauern. Derzeit befinden sich Banken und
                                                                                   Finanzmärkte in einem fragilen Zustand. Bei einer staatlichen
                                                                                   Insolvenz besteht die Gefahr, dass eine Finanzmarktpanik
     Ein Vorschlag für einen Krisen-                                               entsteht, Banken ins Wanken geraten und weitere, an Fun-
     bewältigungsmechanismus in der                                                damentaldaten gemessen nicht überschuldete Länder das
                                                                                   Vertrauen der Finanzmärkte verlieren. Im Ergebnis droht dann
     Eurozone nach 2013
                                                                                   eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die schlimmer ausfällt
                                                                                   als der Konjunktureinbruch nach der Pleite der Lehman-
     Nachdem Irland von seinen Banken im vergangenen Novem-
                                                                                   Bank im September 2008. Deshalb haben die Regierun-
     ber an den Rand des Staatsbankrotts gebracht worden ist
                                                                                   gen der Eurozone im vergangenen Jahr Griechenland und
     und sich unter den so genannten Euro-Rettungsschirm be-
                                                                                   Irland geholfen.
     geben musste, ist über Weihnachten eine gewisse Ruhe ein-
     gekehrt. Die Stabilisierung des Eurowechselkurses gegen-
                                                                                   Der zweite, diametral entgegengesetzte Ansatz besteht dar-
     über dem US-Dollar wird verschiedentlich gar als Indiz dafür
                                                                                   in, die Schulden der Peripherie zu vergemeinschaften. Ein
     interpretiert, die Krise der Eurozone habe ihren Höhepunkt
                                                                                   Schritt auf diesem Weg ist die Einführung von Eurobonds,
     überschritten. Tatsächlich haben die bisherigen Rettungs-
                                                                                   für die alle Staaten der Eurozone gemeinsam haften.2 Eine
     aktionen der europäischen Politik lediglich ein wenig Zeit ver-
                                                                                   solche Solidarhaftung hat ebenfalls gravierende Nachteile:
     schafft, eine Strategie zur Überwindung der Krise zu entwi-
                                                                                   Sie ist ungerecht und setzt für Regierungen und private In-
     ckeln. Am 28. November 2010 haben die Finanzminister
                                                                                   vestoren die falschen Anreize.
     der Eurozone beschlossen, den bestehenden Rettungs-
     schirm, bestehend aus European Financial Stability Mecha-
                                                                                   Ein dritter Ansatz, der weniger offen diskutiert wird, besteht
     nism (EFSM) und European Financial Stability Facility (EFSF),
                                                                                   darin, die Krise zunächst einmal auszusitzen, indem man
     durch eine Nachfolgeinstitution zu ersetzen, die European
                                                                                   den Rettungsschirm erweitert und den Ländern, denen ge-
     Stability Mechanism (ESM) genannt wird. Derzeit wird inten-
                                                                                   holfen wird, weitere Kredite einräumt. Das Abwarten er-
     siv darüber diskutiert, wie diese Institution funktionieren soll
                                                                                   laubt es der Politik, darauf zu hoffen, dass sich die Wirtschaft
     und welche Strategie damit zur Überwindung der Krise ver-
                                                                                   erholt, dich die Banken rekapitalisieren und sich neue Op-
     folgt wird. Im Folgenden wird ein Vorschlag für die Grundzü-
                                                                                   tionen zur Überwindung der Krise eröffnen. Der große Nach-
     ge einer solchen Strategie entwickelt.
                                                                                   teil dieser Strategie liegt darin, dass die Schuldenberge und
                                                                                   damit die irgendwann zu realisierenden Belastungen für die
                                                                                   Steuerzahler in den Geberländern wachsen und eine wirt-
     Einfache, polare Lösungsansätze helfen in der
                                                                                   schaftliche Erholung der überschuldeten Länder verzögert
     aktuellen Lage nicht weiter
                                                                                   wird (vgl. Fuest 2011).
     Um die Gedanken zu ordnen, ist es hilfreich, in aller Kürze
                                                                                   Es zeigt sich also, dass die Verschuldungskrise im Euroraum
     zu erläutern, warum einige einfache, viel diskutierte Lösungs-
                                                                                   mit einfachen Lösungen, die entweder allein auf Insolvenz
     ansätze in der aktuellen Lage nicht weiterhelfen.1 Erstens
                                                                                   und Schuldenschnitt oder auf Solidarhaftung setzen, nicht

     * Prof. Dr. Clemens Fuest ist Research Direktor des Center for Business
       Taxation an der Universität Oxford.                                         2   Es sind durchaus Varianten des Eurobondkonzepts denkbar, die nicht zur
     1 Dieser Beitrag konzentriert sich auf Vorschläge, welche die Erhaltung der       Solidarhaftung führen, sondern im Rahmen eines Schuldenschnitts alter-
       Eurozone in ihrer aktuellen Zusammensetzung voraussetzen. Vorschläge zum        nativ zu einer Teilgarantie der Restschuld eingesetzt werden könnten, nach
       Austritt einzelner Länder oder einer Spaltung der Währungsunion werfen          dem Vorbild der Brady-Bonds. Die meisten Unterstützer des Eurobond-
       vielfältige Fragen auf, die den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden.         Konzepts lehnen einen Schuldenschnitt jedoch ab.

     ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt             11

zu überwinden ist. Wenig überzeugend erscheint auch die                             Schuldnern zur Abwicklung staatlicher Insolvenzen oh-
Strategie des Abwartens, verbunden mit der Hoffnung, dass                           ne Liquiditätshilfen.
die Krise irgendwann von selbst verschwindet.
                                                                                 Diese Eckpunkte beruhen auf folgenden Überlegungen. Die
                                                                                 Regel, dass im Grundsatz jedes Land in der Eurozone selbst
Eine Strategie zur Überwindung der Krise                                         dafür verantwortlich ist, seine Schulden zu bezahlen, ge-
                                                                                 hört aus guten wirtschaftlichen und politischen Gründen zu
Im Folgenden soll eine Strategie zur Überwindung der Kri-                        den Fundamenten der Europäischen Währungsunion. Den-
se skizziert werden, die aus noch zu erläuternden Grün-                          noch ist es zur Überwindung der aktuellen, akuten Verschul-
den zwar im Kern auf die Lösung durch Schuldenschnitt                            dungskrise erforderlich, eine Institution in der Eurozone zu
setzt, aber nur deshalb Erfolg verspricht, weil sie vorüber-                     haben, die überschuldeten Staaten Liquiditätshilfen gewährt.
gehend, bis zur Überwindung der aktuellen Verschuldungs-                         Ohne eine solche Institution besteht die Gefahr, dass ein
krise, Elemente der beiden anderen oben beschriebenen                            Schuldenschnitt zu einer Finanzkrise führt, wie bereits erläu-
Ansätze integriert. Die Eckpunkte sind recht einfach und                         tert wurde. Es reicht nicht aus, dass bei einem Schulden-
teilweise bekannt:3                                                              schnitt in einem Mitgliedstaat der Eurozone jedes Land selbst
                                                                                 seine Banken mit Liquiditätshilfen versorgt und insolvente
1. Nach Auslaufen des bestehenden Europäischen Stabi-                            Banken abschirmt und restrukturiert. Erstens wird zumin-
   lisierungsmechanismuses (ESFS/EFSM) im Jahr 2013                              dest der Staat, der den Schuldenschnitt durchführt, nicht
   wird eine Nachfolgeinstitution eingerichtet, die wie vor-                     in der Lage sein, seinen Finanzsektor zu stabilisieren. Zwei-
   gesehen European Stabilisation Mechanism (ESM) heißt.                         tens könnten in einer Situation hoher Nervosität an den Fi-
2. Der ESM kann auf maximal drei Jahre befristete Garan-                         nanzmärkten auch weitere Staaten, selbst bei gesunden
   tien und Liquiditätshilfen an Staaten der Eurozone ver-                       Fundamentaldaten, in Liquiditätsschwierigkeiten geraten.
   geben, um fällige Anleihen zu bedienen, laufende Defi-                        Deshalb ist ein Schuldenschnitt in einem Mitgliedstaat in der
   zite zu finanzieren oder das Bankensystem eines Landes                        aktuellen Lage nur dann zu verantworten, wenn es einen Eu-
   zu stabilisieren. Ein Rückkauf nicht fälliger Anleihen ist                    ropäischen Stabilisierungsmechanismus gibt, der im Falle
   ausgeschlossen. Die Inanspruchnahme von Liquiditäts-                          eines Schuldenschnitts in einem Mitgliedstaat diesem und
   hilfen ist mit Auflagen in Form eines Stabilitätsprogramms                    anderen Staaten in der Eurozone Liquiditätshilfen gewähren
   verbunden, das wie bisher unter Einbindung des IWF                            kann. Diese Liquiditätshilfen haben nicht die Funktion, den
   überwacht wird.                                                               Staaten, die sie erhalten, Schulden dauerhaft abzunehmen
3. In Ländern, die den EFSF/EFSM oder den ESM in An-                             und die Lasten auf die Gemeinschaft der Eurozone zu ver-
   spruch genommen haben, wird nach spätestens drei                              lagern. Im Einzelfall wird man allerdings nicht ausschließen
   Jahren ein Staatsschuldenschnitt durchgeführt, auf An-                        können, dass es dazu kommt, und zwar dann, wenn die
   trag des betreffenden Landes auch früher. In diesem                           Empfänger der Liquiditätshilfen nach Ablaufen der Dreijah-
   Schuldenschnitt werden die bestehenden Anleihen ge-                           resfrist doch insolvent werden.
   gen neue Anleihen des betreffenden Schuldnerlandes
   eingetauscht. Der Schuldenschnitt sollte die Verschul-                        Die hier vorgeschlagene Strategie beinhaltet außerdem be-
   dung so weit senken, dass eine wirtschaftliche Gesun-                         wusst ein Element der zeitlichen Streckung und Verzöge-
   dung des betreffenden Landes möglich ist. Es könnte                           rung. Dieses Element ergibt sich daraus, dass zunächst Li-
   beispielsweise eine Zielgröße von 60% des Bruttoinlands-                      quiditätshilfen vergeben werden und diese auf drei Jahre be-
   produkts ins Auge gefasst werden. Die nach dem Schul-                         fristet sind. Das ist notwendig, weil es sehr riskant wäre, in
   denschnitt verbleibenden Anleihen können anteilig eben-                       einem Land einen Schuldenschnitt durchzuführen, ohne dass
   falls vom ESM garantiert werden.4                                             der Rest der Eurozone durch den ESM und die damit ver-
4. Die Regelung, dass der ESM Liquiditätshilfen vergeben                         fügbaren Liquiditätshilfen abgesichert ist. Es wäre auch sehr
   kann, ist bis 2020 befristet und endet dann automatisch.                      riskant, wenn in mehreren Ländern zugleich ein Schulden-
   Ab 2020 reduziert sich die Rolle des ESM auf die eines                        schnitt durchgeführt werden müsste. Die Regel der befris-
   Forums für Verhandlungen zwischen Gläubigern und
                                                                                 teten Liquiditätshilfen verhindert beides.

3   Vgl. insbesondere Sinn und Carstensen (2010). Der Hauptunterschied zwi-      Man nehme beispielsweise an, dass es Griechenland bis
    schen dem Konzept von Sinn und Carstensen und dem hier vorgeschla-           zum Mai 2013 nicht schafft, seine finanzielle Autonomie zu-
    genen Verfahren liegt darin, dass Sinn und Carstensen vor dem Schulden-
    schnitt keine Liquiditätshilfen vorsehen. In Sinn, Buchem und Wollmers-      rückzugewinnen und nach wie vor die Unterstützung des
    häuser (2010) wird vorgeschlagen, vor einem Schuldenschnitt Liquidi-         Rettungsschirms benötigt. In diesem Fall würde nach den
    tätshilfen zu gewähren. Das wird allerdings anders als hier begründet, vor
    allem mit der Notwendigkeit einer Versicherung gegen Liquiditätsschocks.     hier vorgeschlagenen Regeln Griechenland einen Schulden-
4   Dieser Vorschlag findet sich auch in Sinn und Carstensen (2010). Sinn        schnitt durchführen, während alle anderen Länder der Eu-
    und Carstensen sehen außerdem vor, den Schuldenschnitt auf einen Kor-
    ridor zwischen 20 und 50% zu beschränken, um die Verluste für die In-
                                                                                 rozone, auch Irland, durch den ESM abgesichert sind. Im
    vestoren kalkulierbar zu machen.                                             November 2013 könnte Irland folgen und den Schulden-

                                                                                                     ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
12   Zur Diskussion gestellt

     schnitt durchführen, und es wäre ebenfalls der Rest der                       schuldung sinkt, so dass Liquiditätshilfen weder vor noch
     Eurozone abgesichert. Wichtig ist, dass die Politik hier kei-                 nach einem Schuldenschnitt benötigt werden.
     ne willkürlichen Entscheidungen darüber fällen muss, wer
     den Schuldenschnitt durchführen muss und wer vom Ret-                         Auf lange Sicht sollte also das Ziel nicht aufgegeben wer-
     tungsschirm geschützt wird. Wenn man annimmt, dass die                        den, dass die No-Bailout-Klausel gilt, überschuldete Länder
     Unruhe über den Schuldenschnitt in Griechenland im Jahr                       keine Hilfen von der Staatengemeinschaft erhalten. Der wich-
     2013 z.B. Portugal zwingt, den ESM in Anspruch zu neh-                        tigste Fehler, der bei der Gründung der Europäischen Wäh-
     men, und wenn das Land sich aus dieser Lage danach nicht                      rungsunion begangen worden ist, lag nicht darin, dass kei-
     befreien kann, folgt der Schuldenschnitt in Portugal nicht so-                ne Europäische Wirtschaftsregierung eingeführt wurde, dass
     fort, sondern spätestens im Jahr 2016.5 Ein Flächenbrand                      ein Europäischer Finanzausgleich oder ein ‚Europäischer
     wird also verhindert.                                                         Währungsfonds‘ fehlte. Der Fehler lag darin, die Möglich-
                                                                                   keit einer staatlichen Insolvenz und der wirtschaftlichen Fol-
     Die zeitliche Verzögerung und die Vermeidung gleichzeiti-                     gen zu vernachlässigen. Man hat sich damit zufriedenge-
     ger Schuldenschnitte hat ferner den Vorteil, dass die Finanz-                 geben, der Gefahr exzessiver Staatsverschuldung mit finanz-
     aufsicht und andere beteiligte Behörden nach und nach                         politischer Koordination im Rahmen des Europäischen Sta-
     aus den Erfahrungen der Schuldenschnittverfahren lernen                       bilitätspakts zu begegnen. Von wissenschaftlicher Seite hat-
     können. Die Aufsichtsbehörden haben darüber hinaus Zeit,                      te es durchaus deutliche Warnungen und Forderungen nach
     sich darüber zu informieren, wer Staatsanleihen hoch ver-                     einer Planung für mögliche staatliche Insolvenzen gegeben
     schuldeter Länder hält und wie die systemische Bedeu-                         (vgl. z.B. Fuest 1993). Bei den politischen Entscheidungs-
     tung der betroffenen Investoren einzuschätzen ist.                            trägern, auch der Regierung Kohl, reichte die Phantasie für
                                                                                   derartige Szenarien nicht aus. Vielleicht hat man auch be-
     Zu beachten ist, dass die Phase der Liquiditätsgewäh-                         wusst in Kauf genommen, dass die Währungsunion schlecht
     rung in Kombination mit dem eventuellen Schuldenschnitt                       auf Überschuldungskrisen vorbereitet ist, weil das Projekt
     strategisches Verhalten auslösen kann. Beispielsweise                         anders nicht durchsetzbar gewesen wäre.
     könnten die hoch verschuldeten Staaten ihre Verschuldung
     umstrukturieren und die Laufzeiten verkürzen, damit ein                       Es ist nun teuer und aufwändig, den dadurch verursachten
     möglichst großer Anteil der Staatsanleihen in der Phase                       Schaden zu reparieren, aber nicht unmöglich. Und es ist
     fällig wird, in der Liquiditätshilfen des ESM gewährt wer-                    auch nicht unmöglich, die fiskalpolitische Eigenverantwor-
     den. Um das einzudämmen, könnte die Frist bis zum Schul-                      tung in der Währungsunion wieder herzustellen. Das setzt
     denschnitt an die Restlaufzeit der Staatsschuld gebun-                        allerdings voraus, dass die aktuelle Krise anders gelöst wird
     den werden. Strategische Anreize sollten auch bei der Ge-                     als durch das Abgleiten in eine Transferunion mit Solidarhaf-
     staltung der jeweiligen Stabilitätsprogramme berücksich-                      tung. Wie in den vorangehenden Abschnitten beschrieben
     tigt werden. Es ist auch möglich, dass in der Phase der                       wurde, ist das schwierig, aber machbar.
     Liquiditätshilfen die private Wirtschaftsaktivität erlahmt, weil
     Investoren abwarten, welche Auswirkungen der anstehen-
     de Schuldenschnitt hat. Aus diesem Grund sollten die                          Ausblick
     Schuldnerländer die Möglichkeit haben, den Schulden-
     schnitt vorzuziehen.                                                          Wie sind die Chancen, dass die Politik den Weg in Rich-
                                                                                   tung einer Rettung der fiskalpolitischen Eigenverantwortung
     Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum dem ESM nur                       der Staaten in der Eurozone einschlägt? Die Regierungen
     bis 2020 erlaubt sein soll Liquiditätshilfen zu vergeben. Die                 Deutschlands und Frankreichs haben mit der Erklärung von
     Eurozone befindet sich derzeit in einer krisenhaften Situati-                 Deauville einen Schritt in die richtige Richtung getan: Die Be-
     on mit sehr hoher staatlicher und teils auch privater Verschul-
                                                                                   teiligung privater Gläubiger an den Kosten der Schuldenkri-
     dung und einem fragilen Finanzsektor. Wie erläutert wurde,
                                                                                   se wurde auf die Agenda der europäischen Politik geho-
     ist in dieser Lage eine Sanierung nur durch eine Kombina-
                                                                                   ben. Beunruhigend ist, dass in letzter Zeit davon kaum noch
     tion aus Schuldenschnitt und »Sicherheitsnetz« in Form ei-
                                                                                   die Rede ist und stattdessen Themen wie die Europäische
     nes ESM mit Liquiditätshilfen zu erreichen. Langfristig soll-
                                                                                   Wirtschaftsregierung stärker in der Vordergrund gerückt wer-
     te die Politik aber drauf hinarbeiten, dass eine veränderte
                                                                                   den. Eine Wirtschaftsregierung in Form einer verschärften
     Regulierung zu einem solideren Finanzsektor und besser
                                                                                   Schuldenaufsicht in Europa, mit Deutschland als stabili-
     funktionierenden Kapitalmärkten führt und die Staatsver-
                                                                                   tätspolitischem Oberlehrer, wird für viel Ärger sorgen, die
                                                                                   Überschuldung Griechenlands und Irlands aber nicht aus
     5   Man kann nicht ausschließen, dass z.B. im Zuge eines Schuldenschnitts     der Welt schaffen können. Die Bundesregierung wäre gut
         in Griechenland mehrere Länder gleichzeitig den Rettungsschirm bean-      beraten, ihre Energien auf eine Verbesserung der Finanz-
         spruchen und folglich alle spätestens drei Jahre danach einen Schulden-
         schnitt durchführen müssten. Es wäre dann zu empfehlen, durch Verhand-
                                                                                   marktregulierung und das Ermöglichen eines Schulden-
         lungen zu einer zeitlichen Streckung zu kommen.                           schnitts für Eurostaaten zu konzentrieren. Es wird schwer

     ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt                   13

genug sein, dafür unter den anderen Regierungen der Eu-
rozone, die teils ganz anders gelagerte Interessen haben,
hinreichend Unterstützung zu gewinnen.

Literatur

Fuest, C. (1993), »Stabile fiskalpolitische Institutionen für die Europäische
Währungsunion«, Wirtschaftsdienst, 73(10), 539–545.
Fuest, C. (2011),»Zombie-Staaten am Rande der Eurozone«, Handelsblatt,
vom 26. Januar, 9.
Konrad, K. (2010), »Wege aus der europäischen Staatsschuldenkrise – Eine
Frage der Glaubwürdigkeit«, Wirtschaftsdienst 90(12), 783–786.
Sinn, H.-W., T. Buchen und T. Wollmershäuser (2010), Trade Imbalances:
Causes, Conseuqences and Policy Measures, Statement for the Camdes-
sus-Commission, erscheint demnächst.
Sinn, H.-W. und K. Carstensen (2010), »Ein Krisenmechanismus für die Eu-          Christian Fahrholz*
rozone«, ifo Schnelldienst, Sonderausgabe, 23. November, ifo Institut für Wirt-
schaftsforschung, München..
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2010), »Oh-
ne Finanzmarktreformen keine Lösung der europäischen Staatsschuldenkri-
se«, Brief an Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, Juli 2010.
                                                                                  Ist der EU-Rettungsschirm der
                                                                                  Wegbereiter einer Transferunion?

                                                                                  Auf solch eine direkte Frage kann es auch eine direkte Ant-
                                                                                  wort geben: Ja – und der Einstieg ist sogar schon längst
                                                                                  da. Im folgenden Beitrag soll diese Antwort näher ausge-
                                                                                  führt werden, um auf zwei sich in diesem Zusammen-
                                                                                  hang ergebende Fragen einzugehen. Zunächst stellt sich
                                                                                  die Frage, ob der Rettungsschirm bzw. eine Transferuni-
                                                                                  on überhaupt die anvisierten Probleme löst (kurze Ant-
                                                                                  wort: Nein) oder ob dies, zweitens noch größere Proble-
                                                                                  me schafft (kurze Antwort: Ja). Abschließend wird ein Aus-
                                                                                  blick auf die Implikationen dieser Diskussion für den wei-
                                                                                  teren Umgang mit der Staatsverschuldungskrise im Eu-
                                                                                  roraum gegeben.

                                                                                  Ein Wesensmerkmal des gegenwärtigen EU-Rettungs-
                                                                                  schirms bzw. einer Transferunion ist eine solidarische Haf-
                                                                                  tung für Vermögensansprüche, die in ihren tatsächlichen
                                                                                  Auswirkungen einer gesamtschuldnerischen Haftung gleich-
                                                                                  kommt. Sollten die übertragenen Ansprüche – d.h. die im
                                                                                  Rahmen des EU-Rettungsschirms einem Mitgliedsland ga-
                                                                                  rantierten Kredite – einmal nicht bedient werden können,
                                                                                  dann können die privaten Gläubiger auf die sonstigen ga-
                                                                                  rantierenden EU-Mitgliedsländer zurückgreifen. Eine Trans-
                                                                                  ferunion unterscheidet sich vom EU-Rettungsschirm nur
                                                                                  durch eine Nuance: Hier wären Transfers explizit vorgese-
                                                                                  hen, während der Rettungsschirm sie nur beim Ausfall ei-
                                                                                  nes Schuldners impliziert.

                                                                                  In den aktuellen Debatten wird der EU-Rettungsschirm
                                                                                  als wesentlicher Teil einer Lösung der Staatsverschuldungs-
                                                                                  krise im Euroraum angesehen. Auf europäischer Ebene
                                                                                  wird der Eindruck vermittelt, dass es sich hierbei in erster

                                                                                  * Dr. Christian Fahrholz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Graduate
                                                                                    Programme »Global Financial Markets« der School of Economics and
                                                                                    Business Administration, Universität Jena.

                                                                                                          ifo Schnelldienst 3/2011 – 64. Jahrgang
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