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SWP-Studie Peter Becker Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Ein Beitrag zur Entdramatisierung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 8 Juni 2018
Kurzfassung In der Europäischen Union und der Eurozone wird hitzig über die Not- wendigkeit zusätzlicher Transfers und das Zerrbild einer »Transferunion« gestritten. Angesichts der Kontroversen erscheint es dringlicher denn je, Vor- und Nachteile sowie Formen und Optionen von Transfers darzulegen und damit die Diskussion zu versachlichen. Eine rationale Gesamt- bewertung muss über die reinen Finanztransfers hinaus auch die weiter- reichenden Vorteile einer geeinten Union und einer stabilen Währungs- union einbeziehen. Die EU verfügt bereits über verschiedene Transferinstrumente innerhalb und außerhalb ihres Budgets. Aber weder die vorhandenen noch die dis- kutierten weiteren Mechanismen rechtfertigen die These, Europa befinde sich auf dem Weg in eine Transferunion. Dennoch setzen die erreichte Integrationstiefe und die erforderliche weite- re Vertiefung Anreize für neue Arten von Transfers. Es wird unumgänglich sein, das Budget der EU aufzustocken und neue Transfermechanismen ein- zuführen, um den Anforderungen an eine stetig enger zusammenwachsen- de und interdependente EU mit einem Binnenmarkt und einer gemein- samen Währung zu genügen. Dabei muss die Balance zwischen Solidar- leistungen und mitgliedstaatlicher Eigenverantwortlichkeit gewahrt werden. Drei Prinzipien sollten beachtet werden. Erstens müssen klare Grenzen gezogen werden, was Umfang, Dauer und Funktion von Finanztransfers als Form europäischer Solidarität betrifft. Zweitens müssen Transfers an das Prinzip der Konditionalität geknüpft werden, also der Belohnung von Regel- konformität und der Sanktionierung von Regelverstößen. Drittens wird eine Ultima-Ratio-Begrenzung für zusätzliche Transfers unabdingbar sein. Zu denken ist hier an eine Staateninsolvenz und ein geordnetes Verfahren der Schuldenrestrukturierung innerhalb der Eurozone.
SWP-Studie Peter Becker Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Ein Beitrag zur Entdramatisierung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 8 Juni 2018
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2018 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-200 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Finanzausgleich und Transfers: Welche, warum und in welcher Form? 8 Transfers und Finanzausgleich: Formen und Vorbedingungen 11 Transfers, Transferunion, Finanzausgleich? 12 Möglichkeiten und Formen eines Finanzausgleichs in der EU 15 Finanztransfers in der EU 15 Das EU-Budget und seine Transferinstrumente 18 Transfermechanismen und Finanzinstrumente außerhalb des Haushalts 21 Neue Transfermechanismen in der Eurozone 21 Drei Modelle zur Stabilisierung der Eurozone 24 Anforderungen an einen zusätzlichen Stabilisierungsmechanismus in der Eurozone 28 Prinzipien und Voraussetzungen für zusätzliche europäische Transfers 29 Das Prinzip begrenzter Solidarität 30 Das Konzept der Konditionalität 32 Einführung einer Ultima-Ratio-Grenze 33 Schlussfolgerungen 33 Abkürzungsverzeichnis
Problemstellung und Empfehlungen Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Ein Beitrag zur Entdramatisierung Seit der tiefen Krise der Europäischen Union und vor allem der Eurozone wird erneut über die Notwendig- keit zusätzlicher Transfers in der EU und über das Zerrbild einer »europäischen Transferunion« gestritten. Bereits zu den Hochzeiten der Krise in der Eurozone während der Jahre 2011 bis 2013 war diese Vorstel- lung ein immer wiederkehrendes Thema in den Kom- mentarspalten deutscher Zeitungen und in politi- schen Talkshows. Der Begriff Transferunion ist negativ konnotiert, wird er doch gemeinhin als unbegrenzte und dauer- hafte Umverteilung öffentlicher Gelder zwischen den Mitgliedstaaten der EU verstanden, als eine Art europäischer Finanzausgleich. In der öffentlichen Debatte wird kaum zwischen Formen, Funktionen und Grundlagen von Transferzahlungen unterschieden oder darüber diskutiert, wie begründet und zweck- mäßig sie sind. Zum einen sind sie nicht per se sinn- los oder schlecht und daher auch nicht umstandslos abzulehnen. Zum anderen gibt es schon lange Instru- mente und Mechanismen, mit denen Geld innerhalb der EU umverteilt wird. Die Debatte über eine euro- päische Transferunion sollte deshalb weniger über das »Ob« geführt werden, sondern vielmehr über das »Wie viel« und das »Wie und in welcher Form«. Gerade angesichts der hitzigen Kontroversen über das Thema erscheint es dringlicher denn je, Vor- und Nachteile sowie Formen und Optionen von Transfers in der Europäischen Union darzulegen und damit die Diskussion wenn möglich zu versachlichen. Dazu dienen fünf Leitfragen: 1. Was wird mit dem Begriff einer Transferunion verbunden? 2. Sind Finanztransfers in der EU gleichzusetzen mit Instrumenten eines europäischen Finanz- ausgleichs und bilden zusätzliche europäische Transfers Schritte zur Etablierung eines europäi- schen Finanzausgleichssystems? 3. Zu welchem Zweck und bis zu welchem Grad sind Transfers sinnvoll und erforderlich? 4. Über welche Transferleistungen und Mechanismen verfügt die EU bereits und in welchem Umfang werden Transfers vorgenommen? SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 5
Problemstellung und Empfehlungen 5. Welche zusätzlichen Transfermechanismen innerhalb der Eurozone in den Griff zu bekommen. werden diskutiert und welchem Zweck sollen sie Diese zusätzlichen Mechanismen sind nötig, um den dienen? Anforderungen an eine stetig enger zusammen- In der Diskussion sollte zuerst zwischen dauer- wachsende und interdependente Europäische Union haften und begrenzten sowie zwischen bedingungs- mit einem gemeinsamen Binnenmarkt und einer losen und konditionierten Transfers unterschieden gemeinsamen Währung zu genügen. Doch auch werden. Die Bewertungsmaßstäbe für solche Transfer- wenn es gute politische und ökonomische Gründe leistungen innerhalb des politischen Systems der für zusätzliche Transfers gibt, wird darauf zu achten Europäischen Union wären Finanzierungsgerechtig- sein, die Balance zwischen Solidarleistungen und keit und Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten mitgliedstaatlicher Eigenverantwortlichkeit zu wahren. sowie Volumen und Dauer der Transfers, die erforder- Die Geber der Finanztransfers dürfen nicht über- lich wären, um einen angemessenen Ausgleich bei fordert werden. der Finanzierung der europäischen Aufgaben in den Hierfür können einige Prinzipien hilfreich sein, Mitgliedstaaten sicherzustellen. um die geforderte Balance zwischen Eigenverant- Festzuhalten ist, dass Transferzahlungen in der EU wortung und Solidaritätsanspruch auszutarieren. keinesfalls zwangsläufig den Weg in ein europäisches So muss klar sein, dass europäische Solidarität, auch Finanzausgleichssystem ebnen. Hierfür fehlen die in Form von Finanztransfers, ihre Grenzen hat, fundamentalen politischen, rechtlichen, sozialen und und zwar in Umfang, Dauer und Funktion. Wo diese ökonomischen Voraussetzungen. Für unbefristete, Grenzen genau liegen, muss vorab ausgehandelt allenfalls mäßig an Bedingungen geknüpfte Transfers werden. Einen Bezugspunkt dafür liefert das Prinzip mangelt es in der Eurozone ebenso wie in der EU-27 der Konditionalität, also der Belohnung von Regel- an der notwendigen Homogenität und gemeinsamen konformität oder Sanktionierung von Regelverstößen. Identität. Wahrscheinlich wäre der Finanzbedarf für Auch wird eine Ultima-Ratio-Begrenzung notwendig dauerhafte Transfers innerhalb der Eurozone ohne- werden, nämlich in Form einer Staateninsolvenz hin aus ökonomischen und politischen Gründen nicht beziehungsweise eines geordneten Verfahrens der zu decken. Die Vorstellung von nahezu unbegrenzter Schuldenrestrukturierung innerhalb der Eurozone. und unkontrollierter Umverteilung in der Europä- Eine Gesamtbewertung von Finanztransfers wird ischen Union ist unrealistisch und löst Ängste aus. über die Zusammenstellung der reinen Finanzströme Diese fördern die Tendenz, sich von notwendigen hinausgehen müssen. Neben den materiellen und Reformschritten zu distanzieren oder gar den euro- quantifizierbaren werden auch immaterielle und päischen Integrationsprozess grundsätzlich abzuleh- kaum quantifizierbare Faktoren einzubeziehen sein. nen. Bedingungslose Transfers in größerem Rahmen Für eine umfassende und rationale politische Ab- könnten so eher die aktuellen Desintegrations- wägung sollten die Situationen und Überlegungen tendenzen verstärken, statt die EU sowie die Wirt- der Partner in der EU berücksichtigt werden, denn schafts- und Währungsunion (WWU) zu stabilisieren. deren Kosten-Nutzen-Kalküle beeinflussen sich gegen- Allerdings wird es unumgänglich sein, das Budget seitig und relativieren einander. der EU aufzustocken sowie zusätzliche Finanz- instrumente und Transfermechanismen einzuführen. Der wichtigste Grund dafür ist die bislang erreichte Integrationsdichte, verbunden mit wachsender poli- tischer und ökonomischer Verflechtung. Hier geht es aber keineswegs darum, einen europäischen Finanz- ausgleich zu schaffen oder eine Transferunion zu konstruieren. Vielmehr erzeugen neue Herausforde- rungen auch neue Finanzbedarfe. So gilt es, euro- päische öffentliche Güter zu stärken, wie den Schutz der gemeinsamen Außengrenze und den Ausbau der gemeinsamen Verteidigung, und Antworten auf Migration, Klimawandel oder Digitalisierung zu finden. Auch werden Transfermechanismen gefordert, um die bisher ungelösten strukturellen Probleme SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 6
Finanzausgleich und Transfers: Welche, warum und in welcher Form? Finanzausgleich und Transfers: Welche, warum und in welcher Form? Mit dem Begriff Transferunion wird ein Bild von der »Transferunion à la Macron«. 6 Auf der anderen Seite Zukunft der Europäischen Union gezeichnet, in der wurden aber auch eine »ehrliche Transferunion« und einige wirtschaftlich erfolgreiche Mitgliedstaaten im ein europäisches Finanzausgleichssystem als einziger Norden Europas auf Dauer immense Summen an Lösungsweg für die EU und die Eurozone angepriesen. 7 viele reformunwillige und ärmere Mitgliedstaaten im Diese immer wiederkehrende Debatte ist seit eini- Süden zahlen, dass also »der Norden den Süden wird gen Jahrzehnten Bestandteil des Diskurses der deut- aushalten müssen«. 1 Die Währungsunion sei im schen Europapolitik und umfasst zwei miteinander Scheitern begriffen und habe ihre beste Zeit schon verwobene Argumentationsstränge. Zum einen wurde hinter sich. 2 Sie entwickle sich immer stärker zu bereits im Zuge der ersten Überlegungen und Pläne einer Transferunion, 3 die von einigen Mitgliedern als für eine europäische Währungsunion über Notwen- »Selbstbedienungsladen« interpretiert werde. 4 Vor digkeit und Sinn zusätzlicher Transferzahlungen allem die Vorschläge des französischen Präsidenten diskutiert. Besonders intensiv war diese Debatte wäh- Emmanuel Macron zur Reform der Eurozone haben rend der Verhandlungen über den Vertrag von Maas- diese Debatte angefacht. 5 Macron propagiert ein tricht und die Vereinbarung über einen Stufenplan gesondertes Budget der Eurozone, verwaltet von hin zu einer WWU in den 1990er Jahren. 8 Zum einem europäischen Finanzminister, der wiederum anderen wird schon seit den 1970er Jahren kritisiert, von einer eigenen parlamentarischen Kammer die deutschen Nettozahlungen und damit verbunde- kontrolliert werden soll – es ist die Rede von einer nen Transfers über das EU-Budget seien zu hoch. Häufig wird beklagt, Deutschlands sei »Zahlmeister« oder »Melkkuh« der EU. 9 1 Hans-Werner Sinn, »Brexit, Deutschland und die Zukunft 6 Malte Fischer, »Eine Transferunion à la Macron«, in: der EU«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.2.2018. Wirtschaftswoche, 8.9.2017. 2 Siehe Clemens Fuest, »Das Euro-Junktim«, in: Handelsblatt, 7 Christian von Bechtolsheim, »Europas Vorbild muss 7.2.2018; Jürgen Stark, »Europa zuerst!«, in: Frankfurter All- der Länderfinanzausgleich sein«, in: Süddeutsche Zeitung, gemeine Zeitung, 18.1.2018; Hans-Werner Sinn, »Die histori- 13.10.2011. sche Chance«, in: Handelsblatt, 1.2.2018. 8 Siehe Ingo P. Thomas, Ein Finanzausgleich für die Europäische 3 Siehe z.B. Oliver Höing, »Weder Stabilitäts- noch Trans- Union? Eine allokationstheoretische und fiskalföderalistische Analyse, ferunion: der Europäische Stabilitätsmechanismus in einer Tübingen 1997 (Kieler Studien, Bd. 285); Ulrich Häde, Finanz- reformierten Währungszone«, in: Integration, 39 (2016) 1, ausgleich. Die Verteilung der Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen S. 15–29. im Recht der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen 4 Jörg König, Von der Währungs- zur Transferunion, Berlin: Union, Tübingen 1996; Clemens Fuest, Eine Fiskalverfassung für Stiftung Marktwirtschaft, Januar 2016 (Argumente zu Markt- die Europäische Union, Köln 1995 (Untersuchungen zur Wirt- wirtschaft und Politik, Nr. 132), S. 3. schaftspolitik, Bd. 100). 5 Lüder Gerken, »Warum ein EU-Haushalt hoch proble- 9 Siehe Peter Becker, »Zwischen Zuchtmeister und Zahl- matisch wäre«, in: Hamburger Abendblatt, 17.8.2017; »Luxem- meister – Deutsche Europapolitik und die europäischen burg für Transferunion«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Finanzverhandlungen«, in: Katrin Böttger/Mathias Jopp (Hg.), 22.11.2017. Handbuch zur deutschen Europapolitik, Baden-Baden 2016, SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 7
Finanzausgleich und Transfers: Welche, warum und in welcher Form? Unklar ist, was unter einer Transfers und Finanzausgleich: Transferunion zu verstehen wäre. Formen und Vorbedingungen Unklar bleibt allerdings, was man sich unter einer Zunächst müssen zwei Typen von Transfers ausein- angeblich bevorstehenden Transferunion vorzustellen andergehalten werden. Vertikale Transfers werden hätte. Schon seit geraumer Zeit werden Transferzah- von einer staatlichen Ebene an eine andere geleistet, lungen nicht nur in der Europäischen Union und der also beispielsweise von der Zentralregierung an die Eurozone, sondern auch weltweit in Föderalstaaten Gliedstaaten oder von der Europäischen Union an geleistet. Sie sind ein allgemein anerkanntes wirt- einzelne Mitgliedstaaten. Horizontale Transfers schafts- und fiskalpolitisches Instrument staatlicher bewegen sich auf derselben staatlichen Ebene, also Finanzverfassungen. etwa Ausgleichszahlungen zwischen Gliedstaaten Form, Ausmaß und Funktion von Transfers sind beziehungsweise Mitgliedstaaten. 12 Grundsätzlich in der Regel mit staatlichen Leistungen und Aufgaben stehen sehr unterschiedliche Formen für vertikale verknüpft, die allen Staatsbürgern im gesamten Transferleistungen zur Verfügung, angefangen bei Staatsgebiet zugute kommen sollen. Die Verteilung Ergänzungszuweisungen zur Aufstockung der glied- der finanziellen Ressourcen eines Staates hängt dem- staatlichen Finanzkraft über konditionierte Zuwei- zufolge auch von Aufteilung und Umfang staatlicher sungen mit besonderen Verwendungs- und Ziel- Leistungen und Aufgaben ab. Darüber hinaus folgen vorgaben bis zu Sonderbedarfen in einem Gliedstaat. die Transfers einer ökonomischen Rationalität, sind Möglich sind auch Mischfinanzierungen, die sich Ausdruck gegenseitiger Solidarität und daher auch aus zentral- und gliedstaatlichen Haushaltsmitteln einer gemeinsamen Identität. Die Form eines Finanz- zusammensetzen, beispielsweise die innerdeutschen ausgleichs und der Umfang der Transferzahlungen Gemeinschaftsaufgaben. Häufig wird eine direkte können insofern zum »Gradmesser für Souveränität Verbindung zwischen finanziellen Transfers und dem und Staatlichkeit« 10 werden. Weltweit besteht eine Angebot einer staatlichen Leistung hergestellt, wie große Vielfalt bundesstaatlicher Finanzausgleichs- etwa bei den spezifischen Zuschüssen (grants) der systeme. Sie haben sich aus spezifischen Ursprüngen bundesstaatlichen Ebene an die Bundesstaaten in den nationaler Staatsbildung und Staatsorganisation und USA. Transferzahlungen können auch explizit an damit auch aus unterschiedlichen Finanzverfassun- Bedingungen geknüpft sein, zum Beispiel an die Um- gen entwickelt. setzung von Strukturreformen, die Einschränkung Die heute bestehenden Finanzausgleichssysteme von Leistungen des Staates, die Kürzung seiner Aus- sind also historisch gewachsen und deshalb von gaben oder die Erhöhung seiner Einnahmen. Nach grundsätzlicheren politischen Entwicklungen beein- deutschem Staatsrechtsverständnis besteht eine Ver- flusst und mit ihnen verbunden. Sie gehen nicht auf bindung zwischen der Staatlichkeit von Gliedstaaten eine ideale Struktur zurück, die aus der Theorie des in einer Union, die ihre Aufgaben erfüllen und fiskalischen Föderalismus 11 abgeleitet und angepasst öffentliche Leistungen anbieten müssen, und ihrer worden wäre, sondern haben ihre eigenen Lösungs- angemessenen Finanzausstattung, die unter anderem wege gefunden. Deswegen ist es äußerst schwierig, über Transfermechanismen gewährleistet wird. 13 Lösungsansätze auf andere Systeme zu übertragen oder Elemente eines bestehenden in ein anderes oder neues System einzugliedern. 12 Darüber hinaus sind Zahlungen aus öffentlichen Haus- halten von »parafiskalischen Transfers« zu unterscheiden, wie beispielsweise zwischen Sozialversicherungen oder zwischen Banken über einen gemeinsamen Einlagensiche- rungsfonds. 13 Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1986 in S. 217–230; Peter Becker, Das Finanz- und Haushaltssystem der seiner Grundsatzentscheidung zur bundesstaatlichen Finanz- Europäischen Union. Grundlagen und Reformen aus deutscher verfassung festgestellt, dass das »Ziel dieser Verteilung ist, Perspektive, Wiesbaden 2014. Bund und Länder finanziell in die Lage zu versetzen, die 10 Häde, Finanzausgleich [wie Fn. 8], S. 9. ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben auch 11 Siehe Richard A. Musgrave, The Theory of Public Finance, wahrzunehmen«. Denn »[n]ur auf der Basis einer hinreichen- New York 1959; Wallace E. Oates, Fiscal Federalism, New York den Finanzausstattung sind die Länder und ist der Bund 1972. in der Lage, die eigene Staatlichkeit zu entfalten«. Bundes- SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 8
Transfers und Finanzausgleich: Formen und Vorbedingungen Auch die Formen der Transfers und die Modi ihrer union abfedern, um Wohlstandsverlusten und einem Auszahlung können stark voneinander abweichen. Anstieg der Arbeitslosigkeit vorzubeugen. So können Finanzmittel direkt ausgezahlt oder Trans- fers indirekt geleistet werden, etwa in Form verzinster Vorbedingungen für einen Kredite oder durch Sicherheiten und Bürgschaften. Finanzausgleich Finanzausgleichssysteme bedürfen einer recht- lichen Grundlage, können also auf juristisch unter- Aus diesen Strukturen und Zielen bestehender Finanz- mauerte Ansprüche und Verpflichtungen im Rahmen ausgleichssysteme lassen sich einige allgemeine Vor- einer Finanzverfassung zurückgreifen. 14 Diese recht- bedingungen und Grundlagen eines Finanzausgleichs liche Fixierung der Form sowie der Voraussetzungen, ableiten, die sowohl finanzpolitischer und staats- Regeln und Bedingungen von Transfers bietet damit organisatorischer als auch grundsätzlich politischer auch eine Absicherung gegen übermäßige oder un- Art sind: zureichende Transfers sowie zu hohe Erwartungen 1. Es bedarf einer rechtlichen Grundlage für jegliche und übertriebene Forderungen – unabhängig von Formen umfassender Finanztransfers beziehungs- tagespolitischer Aktualität oder machtpolitischer weise eines Finanzausgleichs. Sowohl die Ansprü- Durchsetzungsstärke einzelner Akteure. che als auch die Bedingungen und Eckpunkte der Auch Funktionen und Ziele von Transfers können Quantifizierung für Transferleistungen müssen durchaus unterschiedlich sein oder zumindest einer rechtlich verbindlich festgeschrieben werden. Das Mischung verschiedener Motive folgen. Abgeleitet von Institut eines Finanzausgleichs darf nicht immer der Theorie des fiskalischen Föderalismus werden wieder grundsätzlich in Frage gestellt werden kön- meist die drei klassischen Ziele aufgeführt – Alloka- nen und sollte so gegen tagespolitische Auseinan- tionsziele, Distributionsziele und Stabilitätsziele. Die dersetzungen weitgehend immunisiert werden. Bereitstellung öffentlicher Güter, also allokative Ziele, 2. Ein innerstaatlicher Finanzausgleich über öffent- sollte über einen vertikalen Finanzausgleich gefördert liche Haushalte verfolgt zumeist eine staatsorgani- werden, denn die effizienteste und effektivste Auf- satorische Zweckorientierung. Ansprüche auf staatliche gabenverteilung soll dem sinnvollsten Einsatz öffent- Leistungen sind mit staatsorganisatorischen Fragen licher Ressourcen auf den verschiedenen politischen der Kompetenzverteilung zwischen den staatlichen Ebenen entsprechen. Die Transferzahlungen, so die Ebenen verknüpft. Das schließt ein, dass ein Finanz- Annahme, könnten so eine zusätzliche Wachstums- ausgleich in der Regel den Zweck erfüllen soll, die dynamik mit neuen Arbeitsplätzen auslösen, so dass Diskrepanz zwischen der unterschiedlichen Finanz- sich in der Folge auch die Wohlstandsniveaus der kraft der Gliedstaaten auszugleichen. Die Notwen- Gliedstaaten einander annähern könnten. Hinzu digkeit von Transfers resultiert also daraus, dass kommen redistributive Motive, um ökonomische und einerseits der Staat nicht unbegrenzt Aufgaben soziale Divergenzen, also Wohlstandsunterschiede, übernehmen kann, andererseits die Bevölkerung mit Transfers aus den öffentlichen Haushalten zu ver- Anspruch auf Erbringung eines Mindeststandards ringern. Schließlich dienen Finanzausgleichssysteme staatlicher Leistungen im gesamten Staatsgebiet auch stets dem Stabilisierungsziel. Sie sollen ökono- hat (was als Nachweis der Staatlichkeit gilt). mische Schocks und Konjunkturabschwünge in einem 3. Es müssen ausreichende Ressourcen vorhanden sein, gemeinsamen Wirtschaftsraum oder einer Währungs- um Transferzahlungen und einen Finanzausgleich finanzieren zu können. Es ist eine Frage der Im- verfassungsgerichtsentscheidung (BVerfGE) 72, 330, plementierung, ob die Ressourcen schon über eine 24.6.1986, Ziffer 179. weitgehende Besteuerungsautonomie (wie etwa im 14 Auch das komplizierte mehrstufige deutsche Finanz- schweizerischen Wettbewerbsföderalismus) bereit- ausgleichssystem basiert auf einer verfassungsrechtlich fest- gestellt werden oder über eine Umverteilung der geschriebenen Finanzverfassung. Mit ihr muss der Gesetz- Steuereinnahmen mit Hilfe horizontaler und verti- geber unabhängig von wechselnden Ausgleichsbedürfnissen kaler Transfermechanismen. und von konkreten Zuteilungs- und Ausgleichssummen 4. Um diese rechtlichen, staatsorganisatorischen und langfristig anwendbare Maßstäbe bestimmen, aus denen fiskalischen Voraussetzungen dauerhaft sicherstel- dann die konkreten, in Zahlen gefassten Zuteilungs- und len zu können, müssen zusätzliche Vorbedingun- Ausgleichsfolgen abgeleitet werden können. So das Bundes- gen erfüllt sein. So ist die institutionelle Stabilität des verfassungsgericht in seinem 3. Leitsatz des Grundsatzurteils Gemeinwesens fundamental für die horizontale zum Länderfinanzausgleich vom 11. November 1999. SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 9
Finanzausgleich und Transfers: Welche, warum und in welcher Form? und vertikale Umverteilung im Rahmen eines wirken sich auf die Gesamtheit aus. Transferzahlun- Finanzausgleichs. Können die rechtliche Veranke- gen dienen auch dazu, Übersprungseffekte einzu- rung sowie die Beachtung der Kriterien für Bezug grenzen und zugleich die Verantwortung des einzel- und Erbringung von Transfers nicht dauerhaft und nen Gliedstaates für die gesamte Union zu betonen. verlässlich gesichert werden, wird die Bereitschaft Bevor solidarische Transferleistungen in Anspruch deutlich sinken, sich an einem Finanzausgleichs- genommen werden können, müssen alle vorhande- system zu beteiligen. Dasselbe gilt mit Blick auf nen eigenen Finanzquellen ausgeschöpft werden, und die Garantie, dass die staatliche Ordnung und der zwar durch Einnahmensteigerung (Steuern, Gebüh- Kreis der Gliedstaaten auch jenseits der finanziel- ren, Veräußerungen) und Ausgabenkürzungen. Sind len Umverteilung bestehen bleiben. Denkbar wäre Transferleistungen dennoch erforderlich, ist zu be- beispielsweise, dass ein Gliedstaat vom Nehmer achten, dass die Eigenbeteiligung des Empfängers an zum Geber von Transferleistungen wird, daraufhin Maßnahmen in der Regel auch die Effizienz der das Finanzausgleichssystem in Frage stellt oder gar solidarischen Hilfsleistungen erhöht und Mitnahme- mit Austritt aus dem Staatsverbund droht. In diesem effekte verringert. Ein Verzicht auf Eigenbeteiligung Fall dürften auch die anderen Gliedstaaten immer könnte folglich den falschen Anreiz verstärken, sich weniger geneigt sein, dem System die Treue zu nicht um eigene Einnahmen zu bemühen. halten, weil seine institutionelle Stabilität erodiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urtei- 5. Bedingung für diese Stabilität ist zudem, dass die len zum deutschen System des mehrstufigen Finanz- Systematik und die rechtlichen Grundlagen des ausgleichs festgestellt, dass es nur die Ultima Ratio Finanzausgleichs über ausreichende politische sein kann, solidarische Hilfen zur Sanierung über- Verbindlichkeit und breite politische Legitimität und strapazierter Länderhaushalte zu gewähren. Sanie- Akzeptanz verfügen. Ohne demokratisch legitimier- rungshilfen seien »Fremdkörper innerhalb des gelten- te und respektierte Entscheidungsprozesse, welche den bundesstaatlichen Finanzausgleichs«. 15 Dies die Akzeptanz des Finanzausgleichssystems sichern, bedeutet, dass Solidarität auch in einem Bundesstaat ist Bereitschaft zu Transferleistungen und Solidari- nicht unbegrenzt gewährt wird. tät kaum vorstellbar. 6. Die erforderliche Akzeptanz auf Seiten der Glied- b) Dem Prinzip des föderalen Wettbewerbs einerseits staaten und Gesellschaften sowie die Legitimität steht der Grundsatz der Gleichbehandlung der Glied- des Transfersystems werden bestimmt von einer staaten andererseits gegenüber. verbindenden Identität in einer Union beziehungs- Das Gleichheitsprinzip beinhaltet, dass die Glied- weise einem Bundesstaat sowie zwischen den staaten gleichwertige staatliche Leistungen erbringen Gliedstaaten und den Gesellschaften. Wird allge- müssen und dass etwaige objektive Hemmnisse für mein in einem Bundesstaat oder einer Union die die Gliedstaaten mit Transferzahlungen kompensiert Einsicht in ein gemeinsames Schicksal geteilt, ist werden können. Der Grundsatz der Gleichbehand- dies sicher die beste Grundlage für gegenseitige lung verlangt allerdings erhöhte Transparenz im Hin- Solidarität in Form eines Finanzausgleichs und blick auf Verteilung und Umfang der staatlichen von Transferleistungen. Aufgaben und Leistungen sowie darauf basierend die In einem Finanzausgleichssystem mit geregelten Feststellung angemessener Transferleistungen über Transferzahlungen wird über die richtige Balance einen Finanzausgleich. Nur wenn Systematik und zwischen verschiedenen Grundprinzipien diskutiert Kriterien des Finanzausgleichs nachvollziehbar sind, werden müssen. kann ein Vergleich und schließlich auch eine Gleich- behandlung der Gliedstaaten gewährleistet und a) Auf der einen Seite sind stets die Prinzipien der garantiert werden. Die Umsetzung des Gleichbehand- Eigenverantwortung und Eigenanstrengung zu be- lungprinzips schließt ein, dass allgemeine und achten. Sie müssen mit dem Prinzip der Solidarität transparente Kriterien bei der Konkretisierung eines in einem Bundesstaat beziehungsweise einer Union Finanzausgleichs formuliert werden. Allerdings kann auf der anderen Seite in Einklang gebracht werden. die Anwendung des Prinzips nicht bedeuten, dass die Die Politik eines Gliedstaates wird in einem Bun- Finanzkraft der Gliedstaaten auf ein einheitliches desstaat immer Konsequenzen für die Politik anderer Niveau gebracht wird. Transferzahlungen sollen nicht und deshalb auch für diesen selbst haben. Sowohl eine nachhaltige als auch eine verfehlte Finanzpolitik 15 BVerfGE, 19.10.2006, 2. Leitsatz. SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 10
Transfers, Transferunion, Finanzausgleich? dazu dienen, die Unterschiede in der Leistungsfähig- auch, die Eigenstaatlichkeit der Gliedstaaten abzu- keit der Gliedstaaten zu beseitigen und damit die Idee sichern und zu garantieren. Die bloße Existenz von des Wettbewerbs zwischen ihnen zu konterkarieren. Transfermechanismen und Transferleistungen ist Ein Finanzausgleich sollte nicht die relative Position noch kein Beleg dafür, dass ein Finanzausgleichs- der Gliedstaaten verändern, das heißt ein ärmerer system oder eine sogenannte Transferunion vorliegt. Gliedstaat darf durch Transfers nicht wohlhabender Die Titulierung als »Transferunion« oder die Einord- werden als deren Geber. Ein solches Verbot der nung von Transferzahlungen in ein Finanzausgleichs- Nivellierung mit Hilfe eines Finanzausgleichs stärkt system hängt demzufolge davon ab, wie die jeweili- wiederum die Idee des Wettbewerbsföderalismus. gen Formen und das Ausmaß von Finanztransfers zu Sie besagt, dass ein föderaler Wettbewerb zwischen bewerten sind. Es ist so gut wie unmöglich, feste den Gliedstaaten mehr Effizienz, größere Innova- Maßstäbe oder objektive Kriterien für das Vorhanden- tionsfähigkeit und damit höhere Wachstumsraten sein eines Finanzausgleichs oder einer sogenannten und mehr Wohlstand für alle erzeugen soll. Transferunion zu definieren. Die Maßstäbe sind relativ und nur vor dem Hintergrund der politischen c) Der Grundsatz der angemessenen Hilfe für ärmere Ziele und der Interessen zu setzen. Gliedstaaten muss gegen die Gefahr einer Überforde- rung der Geber abgewogen werden. Ein Finanzausgleich beschränkt sich Transparenz und die allgemeingültige Festlegung keineswegs auf Finanztransfers. der Umsetzungskriterien sind zugleich Vorbedingun- gen dafür, zu verhindern, dass Geber in einem Finanz- Ein Finanzausgleich umfasst also deutlich mehr ausgleichssystem überfordert werden. Ebenso wenig als nur Finanztransfers. Er ist an staatliche Aufgaben sollte ein Finanzausgleich bewirken, dass die davon und öffentliche Leistungen gekoppelt und somit profitierenden Gliedstaaten ein höheres Niveau staat- untrennbar mit einer föderalen Staatsorganisation licher Leistungen aufweisen als dessen Geber. Einfluss- verbunden. Darüber hinaus erfordert ein Finanz- nahme durch die Politik könnte eine Überforderung ausgleichssystem politische, soziale und ökonomische der Geber oder die Nivellierung von Unterschieden Voraussetzungen, die ebenfalls weit über die Form noch verstärken. Politische Koppelgeschäfte können von Transferzahlungen hinausgehen. zwei Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben: Auch wenn ein Finanzausgleichssystem grund- Zum einen kann mit politischen Verhandlungen der sätzlich zweckmäßig ist und die Einführung zusätz- Druck verringert werden, Eigenverantwortung zu licher Transfermechanismen sorgfältig abgewogen übernehmen und Reformen einzuleiten. Zum anderen wurde, bedeutet das nicht, dass alle Formen und können solche Geschäfte dazu führen, dass sich durch- Wege von Transferleistungen gleichermaßen wirk- setzungsstarke Umverteilungskoalitionen bilden. sam, akzeptabel und für jedes politische System angemessen wären. Vielmehr werden auch die Vor- behalte und Argumente gegen Finanzausgleichs- Transfers, Transferunion, systeme und Transferzahlungen berücksichtigt werden Finanzausgleich? müssen. Dabei wird stets auf Fehlanreize und Miss- brauchsmöglichkeiten hingewiesen, die aus Eigen- Ein Finanzausgleich mit vertikalen oder horizontalen interessen politischer Akteure der einzelnen Glied- Transferzahlungen ist also keine reine »Umverteilungs- staaten erwachsen können. Im Spannungsfeld wider- union«, wie es das Wort Transferunion suggerieren streitender Grundprinzipien lassen sich solche soll. Transferleistungen geht stets eine politische schädlichen Entwicklungen nicht völlig vermeiden. Kosten-Nutzen-Abwägung voraus, die sich zusätzlich Deshalb ist es nur dann sinnvoll, Transferzahlungen in Rechtsansprüchen manifestiert. Daher ist ein zu erweitern oder ein Finanzausgleichssystem auf- Finanzausgleich Ausdruck eines bundesstaatlichen zubauen, wenn Vorkehrungen gegen falsche Anreize, Staatsverständnisses und einer Solidargemeinschaft. 16 Missbrauch und Trittbrettfahrerei getroffen werden. Aufgabe und Zweck eines Finanzausgleichs ist aber 16 So auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zum deutschen Finanzausgleich, BVerfGE 72, 330, 24.6.1986, Ziffer 172. SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 11
Möglichkeiten und Formen eines Finanzausgleichs in der EU Möglichkeiten und Formen eines Finanzausgleichs in der EU Die Diskussion über die Notwendigkeit eines Finanz- Mit ihren Transferzahlungen verfolgen die Mit- ausgleichssystems in der Europäischen Union reicht gliedstaaten der Europäischen Union Ziele, die ihren zurück bis zur Debatte der 1970er Jahre über die jeweiligen nationalen Interessen entsprechen. Trans- finanzpolitischen Zwänge, die in einer Wirtschafts- fers sind ebenso wenig Selbstzweck wie Ausdruck und Währungsunion entstehen. Verknüpft war sie altruistischen Handelns. Die Beurteilung der Transfer- häufig mit Fragen zur Reform des europäischen leistungen innerhalb der Europäischen Union muss Haushalts, der Einräumung einer EU-Besteuerungs- deshalb in Beziehung zu den nationalen Interessen kompetenz und einer Verschuldungsmöglichkeit und den angestrebten Zielen gesetzt werden. Emp- sowie gesonderten makroökonomischen Stabilisie- fängerländer werden vor allem abwägen, inwieweit rungsinstrumenten in der Eurozone. Im Grundsatz zugesagte Finanztransfers die zu erwartenden Kosten ging es bei diesen Debatten stets darum, eine eigene oder Nachteile von Integrationsfortschritten aufwie- europäische Finanzverfassung zu schaffen und damit gen können. Geberstaaten versuchen einzuschätzen, zu garantieren, dass die EU sowohl eigenständig als ob Integrationsfortschritte und die Hoffnung auf poli- auch unabhängig von Einfluss und Überwachung tische, ökonomische, soziale oder sonstige Vorteile durch die Mitgliedstaaten bleibt. die Lasten der Transfers kompensieren oder gar über- wiegen. Ein Ausgleich solcher nationaler Interessen Transfers sind weder Selbstzweck und Abwägungen wird in der Regel während der Ver- noch Ausdruck altruistischen handlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen Handelns. der EU geschaffen, wenn Form, Volumen und Ziele der Finanztransfers ausgehandelt werden. Während Transfers in nationalen Finanzausgleichs- Diese Verhandlungen über prognostizierte und systemen aber meist mit staatlichen Aufgaben und erhoffte Gewinne oder Kosten zeichnen sich auch öffentlichen Leistungen verbunden sind, also dem dadurch aus, dass die einzelnen Mitgliedstaaten ihre Prinzip der föderalen Äquivalenz entsprechen sollten, Kosten-Nutzen-Analyse in großer Unsicherheit über dienen sie in der Europäischen Union vornehmlich den Verhandlungsverlauf erstellen müssen. Hinzu dazu, Integrationsfortschritte zu kompensieren. 17 kommt, dass nicht nur (wenigstens zum Teil) quan- Die erreichte Integrationstiefe beziehungsweise der tifizierbare Gewinne und Kosten zu ermitteln sind, Grad der Integration bestimmt die nationalen Kosten- sondern damit eng verknüpft auch andere Aspekte Nutzen-Abwägungen in den einzelnen Mitglied- erwogen werden müssen, beispielsweise politische staaten und folglich deren Bereitschaft, Transfers zu Stabilität, Partnerschaft oder ökonomische Verflech- leisten. tung. 18 Abwägung und Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen der Mitgliedschaft in der EU gehen folg- 17 Siehe Susanne Neheider, Die Kompensationsfunktion der EU-Finanzen, Baden-Baden 2010; Cay Folkers, »Welches 18 Für eine frühe Diskussion dieser breiter angelegten Finanzausgleichssystem braucht Europa?«, in: Helmut Karl/ Sichtweise und zur Abwägung des Nutzens von Integration Wilhelm Henrichsmeyer (Hg.), Regionalentwicklung im Prozess siehe Bernhard May, Kosten und Nutzen der deutschen EG-Mitglied- der Europäischen Integration, Bonn 1995, S. 87–108. schaft, 2. Aufl., Bonn 1985. SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 12
Möglichkeiten und Formen eines Finanzausgleichs in der EU lich über die Betrachtung der Nettosalden hinaus. kann »im Geiste der Solidarität zwischen den Nutzen oder Kosten der EU-Mitgliedschaft sind nicht Mitgliedstaaten« einzelnen Mitgliedern finanziellen identisch mit dem jeweiligen nationalen Nettosaldo. Beistand leisten, und zwar im Fall gravierender Für die deutsche Kosten-Nutzen-Abwägung gilt, Schwierigkeiten, etwa bei ökonomischen Schocks dass die offenen Märkte der anderen Mitgliedstaaten oder einer Finanzkrise, und aufgrund von Natur- sowie die weitgehende Wettbewerbsgleichheit im katastrophen (Art. 122 AEUV). Darüber hinaus kann europäischen Binnenmarkt einen besonderen Wert die Union Staaten der EU, die noch kein Mitglied für die größte europäische Exportwirtschaft darstellen. der Eurozone sind, mit Finanzhilfen unterstützen, In einer Analyse taxiert die Amerikanische Handels- wenn sie in Zahlungsbilanzschwierigkeiten geraten kammer in Europa den Wert der Integration in sind (Art. 143 und 144 AEUV). Um Solidarität und den Binnenmarkt von 1990 bis 2015 für das Brutto- Kohäsion zwischen ihren Mitgliedstaaten zu fördern inlandsprodukt in Deutschland auf eine Steigerung (Art. 3 Abs. 3 EUV), besitzt die EU entsprechende pro Kopf von rund 2,4 Prozent oder rund 1700 Euro. 19 Instrumente, wie die Struktur- und Kohäsionsfonds. Hinzu kommen die kaum zu beziffernden Vorteile Mit dem Vertrag von Lissabon geht die EU über diese der politischen Integration und der Partnerschaft in zwischenstaatliche Solidaritätsverpflichtung weit der EU. hinaus und formuliert sogar die Förderung der Solida- In einer Union mit sich verdichtenden und zuneh- rität zwischen den Generationen der EU-Bürgerinnen mend interdependenten Wirtschafts-, Gesellschafts- und -Bürger als ihr politisches Ziel (Art. 3 EUV). In- und politischen Systemen entsprechen die Vorteile soweit verfügt die EU bereits über Instrumente und des einen nicht zwangsläufig den Nachteilen des Mechanismen, mit denen sie Transfers leisten kann anderen Mitgliedstaates. Vielmehr ist davon auszu- und die zum Teil ebenfalls im europäischen Primär- gehen, dass alle Mitgliedstaaten in jeweils unter- recht verankert sind. Sie besitzt aber keinen wirk- schiedlichen Bereichen, zu verschiedenen Zeitpunk- lichen direkten Finanzausgleich in Form von Zahlun- ten und in größerem oder kleinerem Umfang Nutz- gen an die nationalen Budgets, also keine geregelten nießer und Gewinner dieser sich verdichtenden Inte- ungebundenen Finanztransfers. Ebenso fehlen ihr gration sind. Nur unter dieser Prämisse ist die der- gemeinsame Sozialversicherungssysteme zur solida- zeitige Finanzverfassung der EU zu verstehen. Die rischen Absicherung. Lediglich über den eigenen Bewertung von Finanztransfers in der Europäischen Haushalt und mit eigenen Fonds kann sie Unter- Union muss demzufolge sowohl die bestehende Inte- stützungszahlungen für zuvor definierte Ziele leisten, grationstiefe als auch die angestrebten nationalen also gebundene Transfers in einem indirekten Aus- Integrationsziele berücksichtigen. gleichssystem. Die Transfers sind an spezifische Die Europäische Union verfügt über gemeinsame Fördervoraussetzungen und die Umsetzung besonde- konstitutionelle Ziele und Werte, von denen eine rer Förderziele und -vorgaben gekoppelt. Ihrer Soli- normative Verpflichtung der EU und ihrer Mitglied- daritätsverpflichtung versucht die EU mit Hilfe von staaten zu Finanztransfers abgeleitet werden kann. Transferzahlungen über besondere Fonds mit mehr- Solidarität ist zweifellos ein besonderer Grundwert jährigen Laufzeiten zu genügen. Diese Gelder aus der Union und seit Beginn des europäischen Inte- den Europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds und grationsprozesses ein prägendes Leitprinzip für die über die Gemeinsame Agrarpolitik fließen nicht in Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern. 20 Die EU die nationalen Budgets. Stattdessen gehen die Zah- lungen für spezifische Aufgaben an strukturschwache 19 American Chamber of Commerce to the European Regionen oder landwirtschaftliche Betriebe. Demnach Union (AMCham EU), The EU Single Market: Impact on Member sollen solche Transfers auf der Nachfrageseite weder States, Brüssel, Februar 2017, S. 41, . bruch des Konsums ausgleichen, sondern auf der 20 Siehe Hermann-Josef Blanke/Stefan Pilz, »Solidarische Angebotsseite mittel- bis langfristige Investitionen Finanzhilfen als Lackmustest föderaler Balance in der Euro- und Strukturreformen ermöglichen. päischen Union«, in: Europarecht, 49 (2014) 5, S. 540–565; Peter Hilpold, »Solidarität im EU-Recht: Die ›Inseln der Soli- darität‹ unter besonderer Berücksichtigung der Flüchtlings- problematik und der Europäischen Wirtschafts- und Wäh- bild einer »solidarité de fait« und die Staats- und Regierungs- rungsunion«, in: Europarecht, 51 (2016) 4, S. 373–404. Bereits chefs im Europäischen Rat proklamierten im Dezember 2001 die Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 enthielt das Leit- gar, Europa sei der »Kontinent der Solidarität«. SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 13
Möglichkeiten und Formen eines Finanzausgleichs in der EU Auch das Volumen der europäischen Finanz- Ein solcher föderaler Integrationsschritt zu einem transfers über das EU-Budget und die bestehenden europäischen Finanzausgleich ist derzeit weder vor- Fonds hat sich im Zuge der Krisenreaktion und der stellbar, noch wird er angestrebt. Im Gegensatz zu Rettungspakete nicht deutlich vergrößert. Allerdings den 1990er Jahren wird er nicht einmal ernsthaft dis- sind sowohl zwischenstaatliche Kreditzusagen als kutiert. Dennoch wird zusätzlicher Bedarf an euro- auch Zusagen für neue Finanzinstrumente stark ge- päischen Finanztransfers angemeldet und begründet. stiegen. Dabei handelt es sich bislang aber in erster Linie um potentielle Finanztransferleistungen. 21 Die eigentliche Transferleistung bestand darin, gemein- schaftlich neue Fazilitäten außerhalb des EU-Budgets und der EU-Institutionen zu schaffen. Diese Fazilitä- ten verfügen zwar nur über einen begrenzten Kapital- stock, übernahmen aber die Haftung und damit die Finanzrisiken der Krisenstaaten. Auf diese Weise tru- gen sie dazu bei, deren Kreditwürdigkeit und Reputa- tion langfristig wiederherzustellen und abzusi- chern. 22 In einer europäischen Transferunion oder einem europäischen Finanzausgleich, die wie nationale Modelle föderalen Zielen folgen und so auch die Staat- lichkeit der Mitgliedsländer stärken sollen, müssten den unterschiedlichen Entscheidungsebenen zunächst klare, an föderalen Prinzipien orientierte Kompeten- zen übertragen werden. Das würde auch bedeuten, den Mitgliedstaaten vergleichbare staatliche Aufga- ben und Leistungsverpflichtungen gegenüber den Unionsbürgerinnen und -bürgern zuzuweisen, um eine etwaige Finanzierungslücke bemessen zu können. Darüber hinaus müsste definiert werden, was genau unter europäischen Transferzahlungen verstanden werden soll. Konkret wäre zu klären, welche Funktionen erfüllt und welche Ziele erreicht werden sollen, wie ein Ausgleich gestaltet werden und welche Elemente und Instrumente ein Aus- gleichssystem umfassen sollte. 21 Siehe Nicolaus Heinen, Transferunion Europa. Wie groß, wie stark, wie teuer?, Frankfurt a.M.: Deutsche Bank Research, 28.6.2011 (Beiträge zur europäischen Integration, EU- Monitor 81). 22 Horizontale Transfers zwischen den EU-Mitgliedstaaten, z.B. in Form bilateraler Finanzhilfen, sind in der Regel sou- veräne Entscheidungen der Mitgliedstaaten und damit keine Frage eines europäischen Finanzausgleichs. Auch die Instru- mente zwischen den privaten Bankinstituten im Rahmen der im Aufbau befindlichen Bankenunion und ihres Einlagen- sicherungssystems werden hier nicht behandelt. Denn ledig- lich auf der letzten Stufe der Einlagensicherung könnten Zahlungen aus öffentlichen Haushalten in Frage kommen. In dieser Bewertung werden nur tatsächliche und direkte Finanztransfers aus öffentlichen Budgets innerhalb der Euro- päischen Union berücksichtigt. SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 14
Das EU-Budget und seine Transferinstrumente Finanztransfers in der EU Transfers zwischen der EU und den Mitgliedstaaten Während im Bundeshaushalt die Aufwendungen für sind nichts Neues. Es handelt sich dabei entweder um Sozial- und Arbeitsmarktpolitik den größten Block vertikale Finanzflüsse oder um horizontale Transfers darstellen, sind es im Budget der EU die marktbezoge- zwischen den Mitgliedstaaten. Seit ihren ersten Inte- nen Ausgaben und die Direktzahlungen an landwirt- grationsschritten verfügt die Europäische Union über schaftliche Betriebe aus dem Europäischen Garantie- Transferinstrumente. fonds für die Landwirtschaft (EGFL). Die Ausgaben- prioritäten des EU-Budgets orientieren sich nicht an den üblichen staatlichen Leistungen oder den Er- Das EU-Budget und seine kenntnissen des fiskalischen Föderalismus, sondern Transferinstrumente an der Kompetenz- und Aufgabenverteilung in den Europäischen Verträgen und damit der historischen Der europäische Haushalt unterscheidet sich grund- Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses. sätzlich von nationalen Budgets, was Größe, Aus- So ist der EU keine redistributive Sozialpolitik ge- gabenstruktur und Finanzierung anbelangt. Mit einem stattet. Sie darf nur Programme in den Bereichen Bil- Volumen von derzeit weniger als 1 Prozent des Brutto- dung, Forschung und Entwicklung auflegen, welche nationaleinkommens (BNE) der EU ist ihr Budget die nationalen Politiken ergänzen. Trotz der gemein- deutlich kleiner als vergleichbare nationale föderal- samen Währung verfügt die EU zudem über keine staatliche Haushalte, zum Beispiel diejenigen Kana- europäische Fiskalpolitik mit stabilisierenden makro- das, Australiens und der USA oder Budgets euro- ökonomischen konjunkturpolitischen Instrumenten. päischer Föderalstaaten wie der Schweiz, Österreich Vielmehr können die derzeitigen Ausgabenprioritä- oder Deutschland (siehe Grafik 1, S. 16). ten des EU-Budgets als Folge und Ergebnis der ökono- Nicht nur in Relation zum Bruttoinlandsprodukt mischen Integrationsschritte interpretiert werden, der als Beispiele genannten Staaten ist der Unions- die von einer Zollunion über einen gemeinsamen haushalt klein, sondern auch in absoluten Zahlen. Er Binnenmarkt bis zu einer Währungsunion reichen. ist nicht einmal halb so groß wie der Bundeshaushalt und weniger als doppelt so groß wie der nordrhein- Der hohe deutsche Nettosaldo westfälische Landeshaushalt (siehe Tabelle). kann auch als Gegenleistung dafür interpretiert werden, dass andere EU-Haushalt im Vergleich, Länder ihre Märkte für deutsche in Mrd. Euro Industrieprodukte geöffnet haben. 2016 2017 Die Umverteilung über das EU-Budget wird üblicher- weise mit Hilfe von Nettosalden errechnet, also mit EU-Haushalt 143,9 134,5 den Zahlungen aus den Mitgliedstaaten an die Euro- Bundeshaushalt 317,4 329,1 päische Union und den Rückflüssen aus deren Haus- Landeshaushalt NRW 70,0 74,1 halt in die jeweiligen Staaten. Staatshaushalt Grundsätzlich bestätigen die Finanzberichte der Frankreich 409,9 427,4 Kommission, dass Deutschland zu den größten Netto- zahlern in der EU gehört, und zwar in absoluten Obgleich damit die Größe des EU-Budgets erheblich Haushaltssalden, im Verhältnis zum Bruttonational- relativiert wird, führt ein Vergleich dieser Haushalte einkommen und mit Blick auf die nationalen Netto- in die Irre. Die Ausgabenprioritäten des Etats der EU salden in Relation pro Einwohner (siehe Grafik 2, unterscheiden sich von jenen nationaler Haushalte. S. 17). SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 15
Finanztransfers in der EU Grafik 1 Ausgaben der Bundesebene 2010–2014 (ohne Sozialversicherung), in Prozent des BIP Quelle: IMF Government Finance Statistics – Expense (Central Government excl. Social Security Funds). Der hohe deutsche Nettosaldo kann allerdings auch Bild. Aufgrund der besonderen Struktur der Ausgaben- als Gegenleistung dafür interpretiert werden, dass prioritäten des EU-Budgets werden über den Haushalt andere Länder ihre Märkte für deutsche Industrie- die Gelder nicht von reicheren an ärmere Mitglied- produkte geöffnet haben. Die Fixierung des bis heute staaten oder von reichen an arme Unionsbürger um- größten Ausgabenblocks, der marktbezogenen Aus- verteilt. Vielmehr fließen die Mittel zwischen den gaben und der Direktzahlungen in der Gemeinsamen Politikbereichen, also zwischen den überproportional Agrarpolitik, war offensichtlich das Ergebnis eines großen Ausgabekategorien und den als weniger prio- deutsch-französischen Kompromisses, der im Zuge ritär und deshalb mit geringeren Finanzressourcen der Verhandlungen zu den Römischen Verträgen über ausgestatteten Politikfeldern. So kommen auch wohl- die Einrichtung einer Zollunion und die Öffnung der habendere Mitgliedstaaten in den Genuss, Geld aus Industriegütermärkte zustande kam. Auch die zwei- den Fonds der EU zu erhalten. Bei den marktbezoge- malige deutliche Erhöhung des zweitgrößten Aus- nen Auszahlungen und den Direktzahlungen in der gabenblocks im EU-Haushalt, der Europäischen Struk- Gemeinsamen Agrarpolitik waren Frankreich, Spanien turfonds, in den Jahren 1988 und 1992 wird darauf und Deutschland 2016 die größten Empfänger. Aus zurückgeführt, dass man sich verständigte, einen euro- den Europäischen Strukturfonds erhielten im selben päischen Binnenmarkt und eine europäische Wäh- Jahr Polen, Italien und Rumänien die meisten EU- rungsunion aus der Taufe zu heben. Bei den Verhand- Fördergelder. Doch auch die drei größten europäi- lungen zu den ersten beiden Haushaltspaketen, dem schen Volkswirtschaften Deutschland, Großbritannien Delors-1-Paket für 1988 bis 1992 und dem Delors-2- und Frankreich bekamen jeweils noch über 1 Milliarde Paket für 1993 bis 2000, stimmte die damalige Bundes- Euro aus den EU-Strukturfonds (siehe Grafik 3, S. 19). regierung dieser Ausgabensteigerung zu, um das Ein- Bei einem Bruttonationaleinkommen der EU in verständnis aller Mitgliedstaaten zur Vollendung Höhe von insgesamt rund 14,8 Billionen Euro ist das des Binnenmarktes und zur Schaffung der WWU zu Umverteilungsvolumen über den EU-Haushalt außer- gewinnen. Die bis heute dominierenden Ausgaben- ordentlich gering. Es beläuft sich lediglich auf etwa prioritäten des EU-Haushalts sind demzufolge als 35 Milliarden Euro oder 0,25 Prozent des BNE der Kompensationen für Vertiefung und Ausbau der Union und entfaltet daher nur bescheidene Wirkung. europäischen Wirtschaftsintegration sowie für die Die Prioritätensetzung des EU-Budgets auf der Öffnung nationaler Märkte zu verstehen. Ausgabenseite bewirkt also, dass es nur begrenzt als Darüber hinaus liefert die Aufstellung der opera- Instrument für Transfers von wohlhabenderen an tiven Haushaltssalden nur ein sehr oberflächliches ärmere Mitgliedstaaten genutzt wird und stattdessen SWP Berlin Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«? Juni 2018 16
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