Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge Gemeinnützige GmbH
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Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge Gemeinnützige GmbH Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge gGmbH – Herzbergstr. 79 – 10365 B Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Prof. Dr. Albert Diefenbacher, MBA FA für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Geriatrie Telefon 5472 4801 Telefax 5472 2912 E-mail: e.heinrich@keh-Berlin.de Berlin, den 15.06.09 Sitzung des Ausschusses für Gesundheit Umwelt Verbraucherschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin am Montag, 15.06.2009 – 12.00 Uhr Abgeordnetenhaus von Berlin Niederkirchnerstr. 5, Bernhard-Letterhaus-Saal Stellungnahme von Professor Dr. Albert Diefenbacher zum Tagesordnungspunkt Absatz 2a Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abgeordnetenhausprobleme bei der psychiatrischen Versorgung der Berliner Bevölkerung (Auf Antrag der Fraktion der CDU) In Berlin hat das Psychiatrieentwicklungsprogramm (PEP) seit den 90er Jahren zu einer positiven Entwicklung in der Versorgung psychisch kranker Menschen in Berlin geführt. Die differenzierte psychiatrische Versorgungsstruktur im Land Berlin wird im 2. Abschnitt „Bestandteile psychiatrischer Versorgung“ der Drucksache 16/1650 des Abgeordnetenhauses Berlin überblicksartig zusammengefasst. Es handelt sich dabei um eine Darstellung des psychiatrischen Hilfesystems „an sich“ welches überwiegend als Stärke der Berliner psychiatrischen Versorgung betrachtet werden kann. In meiner folgenden Stellungnahme werde ich dem gegenüber, zugespitzt formuliert, auf die „psychiatrische Versorgung außerhalb des psychiatrischen Hilfesystems“ eingehen, wobei Schnittstellen zum eigentlichen psychiatrischen Hilfesystem beleuchtet werden, deren Optimierung insgesamt zu einer weiteren Verbesserung psychisch kranker Menschen in Berlin beitragen könnte. 1. Psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung von Senioren Der Anteil über 70-jähriger Patienten in den Allgemeinkrankenhäusern (Innere, chirurgische Abteilungen etc.) ist hoch und wird auf Grund der demographischen Entwicklung in den folgenden Jahren weiter zunehmen (Anteil über 70-jähriger Patienten im KEH in 2008 über 30 %). Es handelt sich dabei um eine Patientengruppe, die häufig an mehreren Krankheiten leidet, schwerer erkrankt ist und länger Krankenhausverweildauern aufweist.
-2- Ein mit dem Alter zunehmender Anteil dieser Patienten leidet an einer Demenz, welche einen Risikofaktor darstellt für die Entwicklung von (z. B. postoperativen) akuten Verwirrtheitszuständen während der stationären Krankenhausbehandlung mit einem Folgerisiko z.B. Stürzen und noch weiter verlängerten Krankenhausliegedauern. Es ist bei Ärzten und Pflegekräften auf den somatischen Stationen der Allgemeinkrankenhäuser noch zu wenig bekannt, dass demenzkranke Patienten zusätzlich akute Verwirrtheitszustände entwickeln können (Delir bei Demenz), so dass diese Komplikation nicht ausreichend erkannt und entsprechend nicht hinreichend behandelt wird. Ein bei einer Demenz auftretendes Delir (akuter Verwirrtheitszustand, der durch vielfältige Ursachen bedingt sein kann, wie z. B. durch unerwünschte Wirkungen von Medikamenten) ist eine so genannte psychiatrische Komorbidität bei einer gleichzeitig vorliegenden körperlichen Grunderkrankung (somatopsychische Komorbidität). In den Vorschlägen für den Krankenhausplan Berlin 2010 bis 2015 hat die Senatsverwaltung für Gesundheit diesem Umstand Rechnung getragen und die Möglichkeit der Einrichtung neuer geriatrischer Abteilungen (vorrangig durch Bettenumwidmungen) in Betracht gezogen. Die deutsche Alzheimer Gesellschaft hat ebenfalls Aktivitäten zur Verbesserung der Situation von demenzkranken Menschen auf den somatischen Abteilungen der Allgemeinkrankenhäuser entwickelt, wobei als eine der Ursachen der unbefriedigenden Versorgung das mangelnde Wissen des Krankenhauspersonals über aufgenommene Demenzkranke benannt wird. Um dieses mangelnde Wissen zu verbessern wurde von der Deutschen Alzheimergesellschaft ein „Informationsbogen für Patienten mit einer Demenz bei Aufnahme ins Krankenhaus“ entwickelt (www.deutsche-alzheimer.de/indes?id=37). Aus (geronto-)psychiatrischer Sicht ist es als ausgesprochen problematisch zu betrachten, wenn ältere Menschen auf Grund eines zu spät erkannten akuten Verwirrtheitszustandes während der Behandlung einer körperlichen Grunderkrankung auf einer internistischen oder chirurgischen Station dort als „nicht mehr führbar“ eingestuft werden und in Folge dessen auf eine (Geronto-)psychiatrische Abteilung verlegt werden sollen. Da gerade demenzkranke Patienten auf Grund ihrer eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten sehr empfindlich auf Ortswechsel reagieren, wodurch sie noch zusätzlich verwirrter werden können, so kann dies im schlechtesten Falle zu einem „Hin und Her“ zwischen psychiatrischer und z. B. internistischer Station führen, wenn nämlich die psychiatrische Station wiederum nicht in der Lage ist, eine gleichzeitig vorliegende körperliche Grunderkrankung adäquat zu behandeln. Folgende Verbesserungsmöglichkeiten für diesen nicht günstigen Zustand sollten ins Auge gefasst werden: - die Neueinrichtung geriatrischer Angebote sollte bevorzugt an solchen Krankenhäusern stattfinden, die bereits über (geronto-)psychiatrische Abteilungen verfügen; - geriatrische Solitärstandorte sollten angeregt werden, einen psychiatrischen Liaisondienst (hierzu vgl. Punkt 2 weiter unten) vorzuhalten. Grundsätzlich sollte dafür Sorge getragen werden, dass auf Grund der demographischen Entwicklung die Allgemeinkrankenhäuser sich im Sinne von „demenzfreundlichen Krankenhäusern“ entwickeln. Entsprechende Initiativen im Rahmen von Modellprojekten klingen viel versprechend (vergleiche das Projekt Blickwechsel, Demenz als Nebendiagnose im Allgemeinkrankenhaus (www.sozialeprojekte.de). A. Diefenbacher Seite 2 von 8
-3- Schnittstellen im stationär-ambulanten Bereich sind gerade bei dieser Klientel zu optimieren, wobei eine kompetente Haus- und nervenärztliche Versorgung von in Seniorenheimen lebenden Menschen von zentraler Bedeutung erscheint, um Krankenhauseinweisungen bei dieser sensiblen Klientel wenn möglich überhaupt zu vermeiden. Die Entwicklung von Verbundsystemen, wie dies z. B. im Bezirk Lichtenberg durch den im Jahre 2000 gegründeten Geriatrisch- Gerontopsychiatrischen Verbund (GGV) geschehen ist, sind hierbei hilfreich (Diefenbacher & Gaebel 2008). 2. Konsiliar-Liaisonpsychiatrie im Allgemeinkrankenhaus Was in Punkt 1) am Beispiel von demenzkranken Patienten, die z. B. wegen einer Oberschenkelhalsfraktur in einer chirurgischen Abteilung aufgenommen worden sind, dargestellt wurde, nämlich ihre erhöhte Empfindlichkeit, eine psychiatrische Komorbidität, in diesem Falle einen akuten Verwirrtheitszustand zusätzlich zu ihrer körperlichen Grunderkrankung zu entwickeln (Delir bei Demenz) gilt generell für mindestens 20 % aller wegen einer akuten körperlichen Grunderkrankung im Allgemeinkrankenhaus behandelten Patienten: sie entwickeln zusätzlich zu dieser körperlichen Grunderkrankung eine psychische Erkrankung, die auch in ca. 10 % der Fälle nach Expertenschätzungen gleichzeitig mit der körperlichen Grunderkrankung behandelt werden sollte, um kompliziertere und längere Behandlungsverläufe im Allgemeinkrankenhaus zu vermeiden. Die drei hier am häufigsten zu nennenden Komorbiditäten mit psychiatrischen Erkrankungen sind die so genannten - hirnorganischen Psychosyndrome (Demenz, Delir bei Demenz), - Alkoholkrankheit und - depressive und Angsterkrankungen bzw. Anpassungsstörungen. Eine Verlegung der überwiegenden Mehrzahl dieser Patienten in psychiatrische Abteilungen ist nicht nur auf Grund der beschränkten Kapazitäten der letzteren nicht möglich, sondern auch deswegen nicht sinnvoll, da ja körperliche Erkrankungen die Einweisung auf einer internistischen oder chirurgischen Station erforderlich gemacht hat. Daher werden diese Patienten von psychiatrischen Konsiliar- Liaisondiensten auf diesen Stationen mitbehandelt. Das Konsiliarmodell bedeutet dabei, dass ein Patient üblicherweise ein oder zwei Mal vom Psychiater gesehen wird, und die Behandlung vom internistischen oder chirurgischen Stationsarzt durchgeführt wird. Bei komplexeren Problemen wie sie z. B. in der Onkologie oder bei der Behandlung von chronischen Schmerzpatienten erforderlich sind, ist häufiger ein höherer Zeitaufwand für die Behandlung erforderlich, so dass der Psychiater (oder auch auf vielen onkologischen Stationen bereits eingeführt, ein Psychologe) intensiver und zeitaufwendiger in eine gemeinsame Behandlungsstrategie integriert ist. Empirische Untersuchungen weisen darauf hin, dass bis zu 2/3 der Patienten, die im Allgemeinkrankenhaus einem psychiatrischen Konsiliar- zugewiesen werden, bis dahin noch nicht in fachspezifischer psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung sich befunden haben, was je nach dem zu einer Chronifizierung von Krankheitsverläufen und zur Entstehung von unnötigen Kosten geführt hat, wie dies z. B. bei Patienten der Fall ist, die wegen Herzbeschwerden im Rahmen von Panikattacken viele Jahre lang zunächst in Notaufnahmen immer wieder beruhigt werden, dass kein Herzinfarkt vorläge, und somit erst viel zu spät in eine effiziente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung ihrer psychiatrischen Erkrankung, nämlich der Panikatacken, gelangen. A. Diefenbacher Seite 3 von 8
-4- Entgegen der genannten Expertenschätzung (vgl. weiter oben) werden tatsächlich weltweit im Durchschnitt nur 1 bis 2% der Patienten eines Allgemeinkrankenhauses an einen Konsiliarpsychiater überwiesen. Die internationale Forschung geht davon aus, dass die Integration von psychiatrischen Konsiliar-Liaisondiensten in die Allgemeinkrankenhäuser zu einer Verbesserung der Versorgung der Patienten mit somato-psychischer Komorbidität führt. Hierbei wird seit vielen Jahren insbesondere gefordert: - Optimierung von Entdeckung und Behandlung von akuten Verwirrtheitszuständen (z. B. postoperativen Delirien, "Durchgangssyndromen“), sowie - besondere Angebote in Form von „Alkohol-Liaisondiensten“, da sich mittlerweile durch mehrere Studien (mit hohen Evidenzgrad, Evidenzlevel I) belegen lässt, dass so genannte motivationale Frühinterventionen insbesondere riskanten Alkoholkonsum reduzieren helfen: bei Patienten, die wegen einer körperlichen Erkrankung, die im Zusammenhang mit riskantem Alkoholgenuss steht (Unfälle, gasteroenterologische Probleme), findet eine entsprechende Frühintervention einen fruchtbaren Boden. Im Rahmen der Entwicklung des Berliner psychiatrischen Versorgungssystems ist, auf Grund der Bezirksgebundenheit, auch davon die Rede, dass ein Bezirk einem Versorgungssektor entspreche, für den, auf Grund der zu erwartenden Häufigkeit an psychiatrischen Erkrankungen, ein bestimmter Umfang an entsprechenden Hilfen zur Verfügung gestellt werden muss. Auf Grund der beschriebenen hohen psychiatrischen Komorbidität von körperlich kranken Patienten im Allgemeinkrankenhaus, die sich gewissermaßen dort auf kleinstem Raum verdichtet, sollte, in Anlehnung an entsprechende Überlegungen in Großbritannien, das Allgemeinkrankenhaus durchaus als „virtueller psychiatrischer Sektor“ betrachtet werden, für dessen adäquate Versorgung die Vorhaltung von psychiatrischen Konsiliar-Liaison-Diensten bzw. die Zusammenarbeit mit derartigen externen Diensten, so sie nicht vorgehalten werden können, im Sinne eines Qualitätsindikators für eine adäquate Patientenversorgung zu fordern sind (Diefenbacher et al 2008). 3. Psychisch kranke Menschen mit geistiger Behinderung Häufig werden psychiatrische, aber auch somatische Krankheiten bei Menschen mit geistiger Behinderung, insbesondere bei denjenigen, die sich nicht ausreichend körperlich verständigen können, nicht erkannt und Verhaltensauffälligkeiten fälschlicherweise der geistigen Behinderung „an sich“ zugeschrieben. Die Berliner Situation ist hier einerseits, spätestens seit der Einrichtung des Behandlungszentrums für psychisch kranke Menschen mit geistiger Behinderung (Erwachsene) an der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge mit nunmehr ergänzender Spezialambulanz (seit 2005) auf dem richtigen Weg. Andererseits zeigt sich gerade bei dieser Klientel, die auf Grund der mangelnden sprachlichen Verständigungsmöglichkeit auf Informationsbeschaffung über Familienangehörige, Betreuer u. a. m. angewiesen ist, dass die ambulante Versorgung durch Nerven- oder Hausärzte, so engagiert diese auch vorgenommen wird, auf Grund des hohen Zeitaufwandes durch die zur Verfügung stehenden Budgets nicht gedeckt ist. A. Diefenbacher Seite 4 von 8
-5- Des weiteren gilt auch hier, dass ein wesentlicher Anteil der Verhaltensauffälligkeiten, die zu einer Einweisung in eine psychiatrische Abteilung führen, letztlich eine körperliche Ursache hat und somit einer internistisch- oder chirurgischen Behandlung zugeführt werden muss (Anteil der Patienten mit einer signifikanten körperlichen Diagnose als Ursache für Verhaltensauffälligkeiten in unserem Behandlungszentrum in 2008: 15 %) (Voß et al 2005). 4. Notaufnahme und/oder Rettungsstelle im Allgemeinkrankenhaus – weitere Schnittstelle zu psychiatrischen Versorgungssystemen. Die Rettungsstellen bzw. Notaufnahmen der Allgemeinkrankenhäuser sind häufig erste Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Problemen, die sich in ihrer Not nicht anders helfen zu wissen und für die unter Umständen die Wartezeiten auf einen Termin in der Praxis eines Hausarztes oder Nervenarztes zu lange sind. Gleichfalls ist es möglich, dass Angesichts der nach wie vor bestehenden Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen eine Notaufnahme oder Rettungsstelle einen „neutraleren Ort“ darstellt, wo Patienten zunächst ihre Beschwerden vorbringen wollen, um zu vermeiden, als „verrückt“ abgestempelt zu werden. Gerade wenn körperliche Symptome im Vordergrund bei einer psychischen Erkrankung stehen (z. B. Panikattacken bei Angsterkrankungen, oder Müdigkeit, Schwächegefühle und Kopfschmerzen bei einer Depression, oder vielfältige, eher diffuse körperliche Beschwerden bei einer somatoformen Störung) wird ohnehin zunächst der Kontakt nicht zu einem Psychiater oder Psychotherapeuten, sondern zu einem „körpermedinischen“ Arzt gesucht. Im Folgenden sollen drei Aspekte dieser Schnittstelle diskutiert werden: - Migranten: gerade bei Menschen mit Migrationshintergrund kann es sein, dass psychische Störungen oder auch die Institution „Psychiatrie“ mit einem erheblichen Stigma verbunden sind. Die Begründungen können sehr vielfältig sein: häufig trifft man auf die Angst, für „verrückt erklärt“ zu werden, da in Abhängigkeit von Bildungsgrad und Ursprungskultur psychische Störungen mit schweren Psychosen gleichgesetzt werden. Die Folgen reichen von Schamgefühlen bis zur Angst vor Ausgrenzung und Entwertung nicht nur der eigenen Person, sondern auch der ganzen Familie. Aber auch die Befürchtung, „weggesperrt“ und entrechtet zu werden, wie es in Ländern totalitärer Regime passieren kann, ruft unter Umständen ein tiefes Misstrauen gegenüber psychiatrischen Behandlungsangeboten hervor. Was weiter oben allgemein für die Rolle des Allgemeinkrankenhauses gesagt wurde, gilt hier erst recht für Notaufnahme oder Rettungsstellen: sie stellen einen „Filter“ dar, wo Menschen mit zunächst unerkannten psychischen Erkrankungen über die Kontaktaufnahme mit einer „somatischen Behandlungseinheit“ als psychiatrisch-psychotherapeutisch hilfebedürftig erkannt werden können und in der folge an fachspezifische Dienst weiter vermittelt werden sollten. Dies heißt, dass gerade in Notaufnahme und Rettungsstellen die unter Punkt 2 bereits erwähnten Konsiliar-Liaisondienste integriert sein sollten. (Burian und Diefenbacher, im Druck.) - Auch die Beschäftigung mit der psychischen Gesundheit von Frauen hat in den letzten Jahren zugenommen, angeregt auch durch vom Berliner Senat initiierte Hearings. Hier ist es in den letzten Jahren auch zur Einrichtung so genannter geschützter Frauenbereiche bzw. frauenspezifischer Therapieangebote in einzelnen psychiatrischen Abteilungen gekommen. An dieser Stelle sei allerdings auf einen, möglicherweise noch nicht ausreichend ins Bewusstsein gedrungenen Aspekt A. Diefenbacher Seite 5 von 8
-6- hingewiesen, nämlich der Möglichkeit, Frauen die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind und sich auf Grund körperlicher Verletzungen primär in Notaufnahmen/ Rettungsstellen vorzustellen, spezifische Unterstützung anzubieten. Dies hat zunächst nichts mit der Aufnahme einer fachspezifischen psychiatrisch- psychotherapeutischen Behandlung zu tun, kann aber mittelbar, nachdem überhaupt erst einmal die Möglichkeit der Identifikation einer solchen Problematik und der Vermittlung von basalen Hilfeangeboten (z.B. Adressen von Frauenhäusern) geleistet worden ist, anschließend erfolgen. Ein wichtiges Projekt in Berlin stellen hier die Initiativen von S.I.G.N.A.L dar, wo versucht wird, den in den Notaufnahmen/Rettungsstellen tätigen Ärzten und Pflegekräften Grundkenntnisse im Umgang mit traumatisierten Frauen zu vermitteln. - Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Abnahme der Versorgungsdichte mit Psychiatern und/oder Nervenärzten in einigen östlichen Berliner Bezirken, z.B. Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg, dazu führen könnte, dass Menschen wegen psychischer Probleme eine Notaufnahme aufsuchen, weil die Wartezeiten für einen Termin bei einem niedergelassenen Arzt zu lang geworden sind. Hierbei handelt es sich aber nicht im eigentlichen Sinne um Notfallpatienten. Eine Stabilisierung der nervenärztlich-psychiatrischen Versorgung in betroffenen Bezirken wäre hilfreich, um eine Fehlallokation von Ressourcen zu vermeiden. Zwar verfügen die psychiatrischen Abteilungen in den entsprechenden Bezirken auch über psychiatrische Institutsambulanzen. Hier wird allerdings von den Krankenkassen sehr deutlich darauf hingewiesen, dass eine PIA nur für schwerkranke psychiatrische Patienten, die einer komplexen Behandlung bedürfen, zur Verfügung steht, und keinesfalls als Ersatz für eine nervenärztliche Praxis gebraucht werden dürfte. 5. Gemeindepsychiatrische Verbünde und Zusammenarbeit mit Bezirksämtern – weitere Vernetzungsmöglichkeiten in den Bezirken. Die Wichtigkeit von Verbundsystemen bei der Optimierung von Schnittstellenproblematiken wurde am Beispiel des geriatrisch-gerontopsychiatrischen Verbunds (GGV) Lichtenberg bereits unter Punkt 1) erwähnt. Auch für die allgemeinpsychiatrischen Versorgung haben sich in den letzten Jahren in den Berliner Bezirken Verbünde entwickelt, die als so genannte „Gemeindepsychiatrische Verbünde“ (GPV) für eine Verbesserung der Koordinierung der vorhandenen differenzierten Angebote Sorge tragen (in der Anlage findet sich als Beispiel eine Übersicht der Gremien der psychosozialen Versorgung in Lichtenberg). Aus solchen Zusammenschlüssen können sich weitere Initiativen ergeben, die ebenfalls zu einer Verbesserung von Zusammenarbeit führen. So hat sich ein im letzten Jahr begonnenes Projekt, das gemeinsam vom Bezirksamt Lichtenberg, dem GPV und der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des KEH veranstaltet wurde, als sehr hilfreich sowohl mit Blick auf Entstigmatisierung, aber auch konkret unter dem Aspekt des Abbaus bürokratischer Hürden: in 11 Veranstaltungen, veranstaltet von der VHS Lichtenberg, wurden in Vorträgen, die gemeinsam von Ärzten der psychiatrischen Abteilung des KEH und Vertretern der komplementären psychiatrischen Angebote im Bezirk Lichtenberg bestritten wurden, ca. 50 Fallmanager der Jobcenter u.a. darin geschult, auf psychiatrische Erkrankungen hinweisende Warnzeichen bei ihren Klienten wahrzunehmen. Dies hat unter anderem zu einem verbesserten Verständnis und beschleunigter Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitern des Krankenhauses bzw. den Jobcentern in der Betreuung von psychisch kranken Arbeitslosen geführt. A. Diefenbacher Seite 6 von 8
-7- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entwicklung der psychiatrisch- psychotherapeutischen Versorgung im Land Berlin „im engeren Sinne“ viele Stärken aufweist. Im Bereich der Schnittstellen von stationären und ambulanten, bzw. psychiatrischen und somatischen Versorgungsstrukturen zeigt sich allerdings Optimierungsbedarf. Gerade die nicht hinreichend erkannte und damit zu wenig einer spezifischen Therapie zugeführte psychiatrische Komorbidität bei Patienten mit Demenz und Alkoholkrankheit, die wegen körperlicher Erkrankungen auf den internistischen und chirurgischen Stationen der Allgemeinkrankenhäuser behandelt werden, also die „Psychiatrie außerhalb der Psychiatrie“ kann dabei als verbesserungsfähig eingeschätzt werden. Professor Dr. Albert Diefenbacher MBA A. Diefenbacher Seite 7 von 8
-8- Literatur 1. Burian R, Diefenbacher A: Konsiliarpsychiatrie. In Machleidt W, Heinz A (Hrsg.) Praxis der interkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie – Migration und psychische Gesundheit. Elsevier Urban & Fischer Verlag, München, in Druck 2. Diefenbacher A: Wenn körperlich Kranke psychisch gestört sind. Berliner Ärzte 9/2008: S. 26-27 3. Diefenbacher A, Burian R, Klesse C, Härter M (2009): Konsiliar- und Liaisondienste für psychische Störungen. In: Berger M (Hrsg.) Psychische Erkrankungen Klinik und Therapie, 3. Auflage, Urban- & Fischer Verlag, S. 1026-1050 4. Voß T, Böhm M, Diefenbacher A: Psychische Erkrankungen bei Intelligenzminderung oft unzureichend diagnostiziert. Berliner Ärzte, 11/2005: S. 24-25 A. Diefenbacher Seite 8 von 8
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