Flexibilität als Antwort auf Komplexität - Synaworks
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Schwerpunkt Flexibilität als Antwort auf Komplexität Nicolas Crisand Zunehmende Komplexität und Nicht-Vorhersagbarkeit zwingen Organisationen zu neuen Ansätzen in der Strategieentwicklung. Soll ein Strategieprozess heute erfolgreich sein, muss dieser schrittweise erfolgen, möglichst viele Perspektiven einbeziehen und schnelle Anpassungsfähigkeit ermöglichen. Unternehmen sollten eine solche agile Strategieentwicklung wagen. K einer ist in der Lage vorherzusagen, wie sich Mitarbeitenden setzen um – so das vorherrschende die Zukunft entwickelt. Die Abhängigkeit Verständnis. scheinbar unabhängiger Themen voneinan- der erzeugt eine nie da gewesene Komplexität. Die • Zeitspanne bis zur Umsetzung Zeitspannen, in denen Lösungen am Markt wirken, Durch umfassende Analysetätigkeiten sowie die werden immer kleiner, technologische Entwick- Trennung von Entwicklung und Umsetzung dauert lungen immer schneller. Jahrzehntealte Branchen- es sehr lange, bis Strategien im Unternehmensalltag wahrheiten werden ausgehebelt. wirken können. Diese Komplexität und Nicht-Vorhersagbarkeit zwingen Organisationen zu neuen Ansätzen in der • Geringe Motivation Strategieentwicklung. Soll ein Strategieprozess Die „Strategieempfänger“, die für die Umsetzung heute erfolgreich sein, muss dieser überzeugende zuständig sind, haben keine Verbindung zu den von Antworten auf die spezifischen Herausforderungen anderen entwickelten Strategien und deshalb eine einer VUCA-geprägten Welt finden. entsprechend geringe Motivation, diese umzusetzen. • Qualitätsproblematik Scheitern mit klassischem Durch die Involvierung weniger Top-Manager und Vorgehen Spitzenmanagerinnen werden nur sehr wenig Per- spektiven berücksichtigt mit der Gefahr, unwirksa- Mit der klassischen Art, Strategien zu entwickeln, me Strategien zu entwickeln. scheitert man an diesen Herausforderungen. Das liegt vor allem an den Annahmen der klassischen • Annahme eines trivialen Systems Strategieentwicklung und deren Folgen: Die Verantwortlichen gehen davon aus, dass eine in der Theorie entwickelte Strategie in der Orga- • Vorhersagbarkeit und Kontrolle nisation 1:1 umgesetzt wird. Dieses mechanistisch In der klassischen Strategieentwicklung geht man geprägte Bild berücksichtigt nicht die interne Kom- davon aus, dass durch gute Analysen der Vergangen- plexität und Beharrlichkeit von Organisationen und heit und Gegenwart eine langfristige Planung und spiegelt damit nicht die Wirklichkeit von sozialen Kontrolle der Zukunft möglich ist. Systemen wider. • Trennung von Entwicklung und Umsetzung • Starrheit Das Top-Management entwickelt die Strategien, die Lernen und Anpassungen sind nicht vorgesehen, 40 changement!
Schwerpunkt „ Hohe Qualität ist heute nur zu erreichen, wenn unterschiedliche Perspektiven und das Wissen möglichst der Inhalt der Strategie steht nicht zur Diskussion. Gründe für das Scheitern werden in einer mangeln- vieler in den Prozess einfließen. den Umsetzungsqualität gesehen. Kontinuierlich wahrnehmen Organisation – eine immer größere Bedeutung zu- und reagieren kommt. Damit tritt der Prozess der Veränderung in den Vordergrund. Die agile Strategieentwicklung adressiert die heuti- gen Herausforderungen. Sie unterliegt nicht der Illu- Organisationen sind nicht-triviale Systeme, sion von Vorhersagbarkeit und Kontrolle. Stattdes- die nur schwer kontrollierbar sind sen ist sie geprägt von einem permanenten „sense Im Management existiert häufig noch die Vorstel- and response“ (Wahrnehmen und Reagieren) auf lung, dass Organisationen ähnlich einer Maschine die sich verändernden Rahmenbedingungen. zu steuern sind: einfach in der Handhabung und Im Folgenden werden zwei Annahmen er- eindeutig in den Ursache-Wirkungs-Zusammen- läutert, die dem Verständnis eines agilen Strate- hängen. Die Praxis zeigt, dass dieses Bild nicht gieprozesses zugrunde liegen. Darauf aufbauend haltbar ist. werden drei Merkmale vorgestellt, die einen agi- Die agile Strategieentwicklung folgt einer syste- len Strategieprozess im Kern auszeichnen. Im An- misch informierten Sicht und unterstellt, dass Or- schluss werden vier Schritte skizziert, wie man eine ganisationen als soziale Systeme nur schwer vor- agile Strategieentwicklung initiieren kann. hersagbar und kontrollierbar sind. Es existiert keine eindeutige Input-Output-Relation. Die Empfänger „ Die agile Strategie- – also die Mitarbeitenden – entscheiden weitest gehend autonom, in welcher Art und Weise sie auf bestimmte Steuerungsversuche reagieren. entwicklung adressiert Ausgehend von diesen Annahmen können drei zentrale Merkmale genannt werden, die eine agile die heutigen Strategieentwicklung kennzeichnen. Herausforderungen. 1 Zusammenführung der Systemebenen Die heutigen Herausforderungen sind zu komplex, als dass einige wenige an der Spitze einer Organi- Anpassungsfähigkeit als Antwort auf sation diese adäquat lösen könnten. Ein agiler Stra- Unsicherheit und Komplexität tegieprozess involviert daher eine größere Zahl an Zentrale Annahme eines agilen Strategieverständ- Mitarbeitenden. Damit können drei Vorteile erzielt nisses ist, dass der zunehmenden Komplexität und werden: Qualität, Motivation und Zeit. Unsicherheit mit einer höheren Flexibilität begeg- Hohe Qualität ist heute nur zu erreichen, net werden kann. Das bedeutet, dass der Anpas- wenn unterschiedliche Perspektiven und das Wis- sungsfähigkeit einer Strategie – und damit auch der sen möglichst vieler in den Prozess einfließen. Das 05 Sommer 2021 41
Schwerpunkt Abbildung: Prozess der iterativen Strategieentwicklung Informationen Stoßrichtungen aufnehmen definieren Adaptieren Hypothesen Testen bilden Quelle: 2020 Synaworks GmbH gelingt, indem operative Einblicke, die an der Front Response“-Ansatz erhöht die Sensitivität und da- bei Kunden, Zulieferern und Kooperationspartnern mit die Wahrscheinlichkeit der Organisation, erste gewonnen werden, in den Strategieprozess inte schwache Signale aus der Umwelt zu erkennen, auf- griert werden. zunehmen und intern besprechbar zu machen. Der zweite Vorteil: die Motivation der Beteilig- Dafür bedarf es geeigneter Prozesse, Kommu- ten steigt. Wie bei jedem Veränderungsprojekt ist nikationsräume und Entscheidungsregeln, die dabei auch bei einem Strategieprozess das Involvement unterstützen, dass im System Informationen geteilt der Beteiligten eine wichtige Voraussetzung für und verarbeitet werden können. Die Organisation Akzeptanz. Haben die Beteiligten die Möglichkeit lernt dabei immer besser, welche Informationen als der Mitwirkung und Gestaltung, erhöht sich deren relevant einzustufen sind. Anschlussfähigkeit und damit die Motivation, den Dabei darf der permanente Prozess nicht dazu Strategieprozess aktiv zu treiben. verleiten, spezielle Zeit- und Entwicklungsräume Dritter Vorteil: Strategien werden schneller umge- für strategische Auszeiten zu vernachlässigen – sie setzt (Zeit). Die Mitarbeitenden sind mit den In- bleiben unerlässlich, um aus dem „Hamsterrad“ halten und den Stoßrichtungen vertraut, haben an des operativen Tagesgeschäfts auszusteigen. Die deren Entwicklung mitgewirkt und verstehen die Auszeiten ermöglichen, das Geschehen aus einer Hintergründe – gute Voraussetzungen, um schnell anderen Perspektive zu betrachten, lieb gewonnene in die Umsetzung zu gehen. Überzeugungen zu hinterfragen und eigene Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen. 2 Kontinuierlicher Prozess Im klassischen Verständnis ist der Strategieprozess 3 Iteratives Arbeiten ein zeitlich terminiertes Projekt, unterteilt in Ana- „No idea survives the first contact with reality.“ Da- lyse-, Entwicklungs- und Umsetzungsphase. Die- her ist es wichtig, schnell von der Theorie in die Pra- ser Phasenansatz wird der Dynamik der heutigen xis zu kommen. Dabei folgt die iterative Strategiear- Rahmenbedingungen nicht mehr gerecht. beit in ihrer Logik agilen Ansätzen: Informationen Die agile Strategieentwicklung ist als permanenter werden aufgenommen, Hypothesen gebildet, erste Prozess zu verstehen, ohne Anfangs- und Enddatum. Stoßrichtungen entwickelt, die dann durch geeigne- Ziel ist ein steter Abgleich mit den relevanten te Verfahren (Prototyping) schnell am Markt über- Umwelten der Organisation. Dieser „Sense and prüft werden (siehe Abbildung). Die so gemachten 42 changement!
Schwerpunkt „ Die Organisation lernt, die Wahrnehmungsfähigkeit Erfahrungen ermöglichen den Beteiligten, ihre gegenüber externen und internen Hypothesen und Stoßrichtungen anzupassen (Pi- voting), um dann erneut zu testen. Das Motto: fail Entwicklungen zu erhöhen. early to fail cheap. Dieses schrittweise Vorgehen erlaubt, permanent neue Informationen aufzunehmen und eine Vielzahl an unterschiedlichen Hypothesen und Stoßrichtun- 1. Handlungsrahmen definieren gen in verschiedenen Reifegraden „unter Beobach- Zu Beginn eines Strategieprozesses ist Orientie- tung“ zu haben sowie immer weiter zu verfeinern. rung notwendig hinsichtlich der Richtung und in- ternen Gestaltungsspielräume. Bei der Richtung geht es um Orientierung über Mehr Kompetenz auf die inhaltliche Strategiearbeit. Dabei spielen der unterschiedlichen Ebenen Purpose, der eigentliche Zweck der Organisation, sowie die Vision – der wünschenswerte Zustand, Durch die Integration der Systemebenen, dem kon- den die Organisation in der Zukunft einmal errei- tinuierlichen Abgleich mit der Umwelt und einer chen möchte – eine wichtige Rolle. Beide geben Ori- iterativen Vorgehensweise wird mehr Erfahrungs- entierung über das Wohin und damit die Inhalte der wissen in den Strategieprozess integriert und ge- Strategiearbeit. troffene Hypothesen können schnell getestet und Bei den internen Gestaltungsspielräumen angepasst werden. Damit steigt die Qualität der geht es um die Frage, wie der Strategieprozess in- Strategiearbeit. tern umgesetzt werden kann: Welche Spielräume Zusätzlich findet eine kontinuierliche Ent werden eröffnet? Wer soll integriert werden? Wel- wicklung der Organisation an sich statt. Die Kom- che Rolle haben die Führungskräfte? Welche Ent- munikations-, Konflikt-, Entscheidungs- sowie scheidungen können von wem getroffen werden und Problemlösungsfähigkeit steigen. Die Organisation wie sollen sie herbeigeführt werden? Inwieweit soll lernt, die Wahrnehmungsfähigkeit gegenüber ex- die Projektgruppe bereits in diese Fragen integriert ternen und internen Entwicklungen zu erhöhen. werden? Vergleichbar mit dem Grundriss eines Hau- Implizite Muster werden immer besser erkannt, ses geht es um das Abstecken der grundsätzlichen explizit und damit handhabbar gemacht. Quasi Rahmenbedingungen, nicht um die Ausgestaltung „im Gehen“ lernt die Organisation, agiler zu wer- der jeweiligen Räume. den und die eigene Veränderungsfähigkeit weiter auszubauen. Damit ist der agile Strategieprozess 2. Kommunikationsräume schaffen sowohl Zweck als auch Mittel für eine anpassungs- Auf Basis der bereits genannten Überlegungen kann fähige Organisation. eine Projektgruppe initiiert werden, die das Wie der Wie aber können erste Schritte hin zu einem Umsetzung im Detail gestaltet. Idealerweise be- agilen Strategieverständnis aussehen? Dabei gibt es steht die Projektgruppe aus Mitarbeitenden unter- nicht „den einen Weg“. Denn das Thema und die je- schiedlicher Hierarchie- und Abteilungsbereiche. weilige Ausgangssituation von Organisationen sind Eine zentrale Aufgabe ist die Schaffung von Kom- zu komplex und unterschiedlich. Es können aber munikationsräumen, die eine Auszeit aus dem Ta- einige Handlungsfelder skizziert werden, die Ori- gesgeschäft und damit Austausch sowie Reflexion entierung geben. der Beteiligten ermöglichen. 05 Sommer 2021 43
Schwerpunkt „ Um die Herausforderungen zu bewältigen, bedarf es vor allem einer hohen Selbstreflexion sich entwickelt, ist alles gut. Das bedeutet, dass auch der iterativ-agile Ansatz Zweck und Mittel zugleich und Lernbereitschaft. ist: Er hat den Zweck, bessere Strategieprozesse zu entwickeln und ist gleichzeitig das Mittel, mit dem die Organisation lernt, agiler zu werden. Es sind Fragen zu beantworten wie: 4. Kompetenzen entwickeln Der hier beschriebene Strategieprozess bedeutet • Welche Prozesse müssen wie für viele Mitarbeitende Neuland und Veränderung. ausgestaltet werden? Um die Herausforderungen zu bewältigen, be- • Wie soll kommuniziert werden? darf es vor allem einer hohen Selbstreflexion und • Wie können Informationen schnell verteilt Lernbereitschaft, einem Austarieren von Wider- und zur Verfügung gestellt werden? sprüchen, einer professionellen Kommunikation, • Wie können die Teilnehmenden einer hohen Kooperationsbereitschaft und eines vernetzt werden? adäquaten Umgangs mit Unsicherheit und Fehlern. • Wie können Themen zusammengeführt Es sind also vor allem Selbst- und Sozialkompeten- und bewertet werden? zen, die Führungskräfte und Mitarbeitende befä- • Wie kann das Rückspiegeln in die Organisa higen, einen agilen Strategieprozess zu initiieren tion stattfinden, wie das Zusammenspiel und zu leben. „ Fail early mit den Führungskräften? • Wie können weitere Stakeholder in den Prozess integriert werden? In diesem Stadium des Prozesses geht es vor allem um die Entwicklung des „Sense and Re to fail cheap. sponse“-Gedankens. Die Organisation soll lernen, eine höhere Sensitivität zu entwickeln und geeig- nete Räume schaffen, diese Eindrücke zu teilen und sinnvoll zu verarbeiten. 3. Iteratives Arbeiten initiieren Die Etablierung eines agilen Strategieprozesses ist anspruchsvoll und komplex. Dieser Komplexität können Organisationen am besten begegnen, indem sie nach einer ersten Skizze zügig in die Umsetzung kommen, um schnell zu lernen. Was funktioniert bei uns, was nicht? Was sollte verändert werden, damit es besser funktioniert, wo braucht man von wem Unterstützung? Der Strategieprozess an sich wird iterativ ge- Nicolas Crisand staltet, um die Komplexität zu bewältigen, der sich Organisationen gegenübersehen. Die gleiche Logik ist Co-Founder und Managing Director von Synaworks. Er findet Anwendung bei der Frage, wie es Organisa- arbeitet als Berater und Trainer mit den Schwerpunkten Strategieentwicklung und Transformation. Neben der tionen schaffen, sich die neue Arbeitsweise anzu- Beratungstätigkeit leitet er die Synaworks Academy, in der eignen: iterativ, den Fokus auf den nächsten Schritt relevante Kompetenzen für agile Transformationsprozesse gerichtet. Dabei geht es häufig einen Schritt nach entwickelt und trainiert werden. vorne und zwei zurück. Solange man dabei lernt und 44 changement!
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