Flocke-Fieber soll Klima kühlen
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02_Flocke-Fieber:Layout 1 16.06.2008 8:12 Uhr Seite 14 14 NH 84 Text Ute Wolf · Fotos Ralf Schedlbauer, Harald Sippel Flocke-Fieber soll Klima kühlen „Flocke“ – passt das noch, wenn das süße Nürn- wendig ist und dass jeder Einzelne etwas dazu beitra- berger Eisbärenbaby erst einmal eine ausgewachsene gen kann. Klar – das könnte man eigentlich auch Wuchtbrumme ist? Das gab so mancher vor ein paar ohne Flocke. Doch Tiergartenbesucher, denen das Monaten zu bedenken bei der fieberhaften Suche Bärchen mit seinen Knopfaugen geradewegs ins Herz nach dem richtigen Namen für das weiße Fellknäuel. zu blicken scheint, sind dazu viel schneller bereit als Entwickelt sich die Kleine nicht irgendwann zur Leute, die sich auf rein intellektueller Ebene mit den Lawine und müsste dann auch so heißen? hehren Zielen von Klima- und Naturschutz auseinan- dersetzen. Dag Encke, Direktor des Tiergartens – ein Fuchs, wenn es darum geht, Schwierigkeiten zu lösen –, hat- „Ungefähr ein halbes Jahr lang haben wir die te die zündende Idee: Lawine, warum nicht? Aber im Chance, mit Flocke eine breite Öffentlichkeit zu errei- positiven Wortsinn. Aus Flocke wird erst ein Schnee- chen“, freut sich Encke. Die Chance will er nutzen: ball, später eine Lawine, die etwas ins Rollen bringt: „Informieren, begeistern und Interesse wecken für Den Gedanken, dass Klimaschutz dringend not- die Probleme, die Eisbären heute in freier Wildbahn
02_Flocke-Fieber:Layout 1 16.06.2008 8:12 Uhr Seite 15 NH 84 15 Der Tiergarten wirbt für den Umweltschutz haben.“ Ist das geschafft, ist man schon einen großen lassen den ganzen Laden analysieren.“ Zum Beispiel Flocke hat ihr Freige- Schritt weiter auf dem Weg zum Schutz von Bären, ist auf Thermografie-Aufnahmen genau zu erken- hege direkt neben dem ihrer Mutter Vera anderen Tieren und letztlich der gesamten Umwelt. nen, wo Wärme aus den Gebäuden austritt. bezogen. Auch wenn Das Packeis schmilzt und Klein-Flocke bringt uns Gemeinsam mit dem Kommunalen Energiemanage- sich die beiden beäu- dazu, etwas dagegen zu unternehmen, zumindest ment des Hochbauamts wird die gesamte Infrastruk- gen und beschnup- pern – sie erkennen den Klimatrend zu verlangsamen. „Ich erhoffe mir tur des Zoos dokumentiert. Wasser, Strom, Kanalisa- sich nicht mehr, ver- durch Flocke einen Dominoeffekt“, sagt Encke. tion, Heizungssysteme – wo Mängel sind, listet man sichern die Fachleute sie auf. Dann wird überlegt: Wo greifen wir an? im Tiergarten. Vom ersten Tag an spazier- Wer Klimaschutz fordert, der sollte selbst mit gutem te die kleine Eisbärin Beispiel vorangehen. Auch der Nürnberger Tiergarten Da sind die Heizkessel im Betriebshof, die auf sehr selbstbewusst verschwendet tagtäglich eine Menge Ressourcen: Hackschnitzel umgestellt werden sollen. Da ist die durch die großzügige Anlage und bearbei- Durch Tierhäuser und technische Anlagen, die zum künftige Delfinlagune, bei der schon im Vorfeld im tete ihr Spielzeug. Teil noch aus dem Eröffnungsjahr 1939 stammen. Heizungsbereich der ursprünglich angesetzte Ver- Fotos: Also macht der Betrieb eine Bestandsaufnahme: „Wir brauch mit Hilfe eines Blockheizkraftwerks auf die Ralf Schedlbauer
02_Flocke-Fieber:Layout 1 16.06.2008 8:12 Uhr Seite 16 16 Flocke-Fieber soll Klima kühlen NH 84 Der Tiergarten Nürnberg hat sich schon an mehreren Auswilderungs- projekten beteiligt, wie für (von links nach rechts) den Alpensteinbock, Uralkauz, Waldrapp und Bartgeier. Fotos: Harald Sippel Thermografie- Hälfte heruntergeschraubt werden konnte. Da ist die sogar selbst aktiv? „Wenn wir es nicht jetzt probieren, Aufnahmen machen neue Pavian-Anlage, in der eine Luft-Wärme-Pumpe mit einem derart positiv besetzen Tier, wann dann?“, die Stellen sichtbar, an denen Wärme aus Energiesparen helfen kann. „Wir müssen für jede fragt der Tiergartenchef. Millionen von Menschen Gebäuden austritt – Tierart ein optimales System ausklügeln. Kein Kon- haben sich „Flöckchen“ seit Beginn der Handauf- hier am Beispiel des zept ist auf den ganzen Tiergarten anwendbar“, er- zucht auf den Internetseiten der Stadt Nürnberg und Tropenhauses im Tiergarten. klärt der Zoochef. „Wir hangeln uns durch den ge- des Tiergartens angeschaut. „Wenn nur jeder Zehnte samten Zoo, das ist ein Dauerprojekt, aber es macht weiterklickt auf eine der aufgeführten Umwelt- Thermografie-Foto: auch Spaß.“ Der Traum von Encke: Überall, wo Res- Organisationen, ist das schon viel.“ Links führen von Kommunales Energie- sourcen gespart werden, kommt ein Flocke-Logo Flocke zu World Wildlife Fund (WWF) oder den management/ drauf. Produktempfehlungen des Öko-Instituts e.V.. Als Hochbauamt Träumer, der die Welt verbessern will, möchte Encke Stadt Nürnberg Das mag auf dem begrenzten Zoogelände am mit seinen Mitarbeitern nicht dastehen. „Aber es Schmausenbuck funktionieren, aber wer nimmt diese wäre frevelhaft, wenn wir es mit Flocke nicht ver- Idee auch mit hinaus, nach Hause, und wird dann suchen.“
02_Flocke-Fieber:Layout 1 16.06.2008 8:12 Uhr Seite 17 NH 84 Flocke-Fieber soll Klima kühlen 17 „Tierhaltung im Zoo steht auf verschiede- Im Tropenhaus nen Säulen“, erklärt Dag Encke. Manche werden unter anderem Schabrackentapire Tiere, zum Beispiel Beuteltiere wie die (oben) gehalten. Sie Kängurus, zeige man vor allem aus päda- sind als Wahrzeichen gogischen Gründen, „um die Evolution an des Hauses an den Eingangstüren (links) ihnen festzumachen“. Wieder andere, et- wiederzufinden. wa die Giraffen, dienen in erster Linie als Fotos: Besuchermagnet. Zusätzlich lässt sich an Ralf Schedlbauer den Langhälsen die Ko-Evolution von Tieren und Pflanzen darstellen: Weil ihr ur- sprünglicher Lebensraum nicht mehr intakt ist, brach ihre natürliche Population inner- halb von zehn Jahren zusammen. So hat sich der Grund, sie im Zoo zu halten, verän- dert. Giraffen – Huftiere überhaupt – könn- Zur Erhaltung der Eisbären können alle nur mittelbar te man notfalls auch auswildern. Bei den in freier beitragen. Weder der Tiergarten noch andere Zoo- Natur schon einmal ausgerotteten Przewalskipfer- logische Gärten schaffen das direkt durch Aus- den wiederum stand der Plan von vornherein fest: wilderung von einzelnen Polarpetzen. Bei dieser Tier- Der Urwildpferd-Typus – falls er überhaupt noch exis- art ist das grundsätzlich nicht möglich – im Gegensatz tiert – ist nur durch gezielte Nachzucht in Zoolo- zu anderen Spezies. Der Nürnberger Tiergarten hat gischen Gärten zu retten, die ihn anschließend sich bislang an mehreren Auswilderungsprojek- auszuwildern versuchen. Nürnberg macht als einer ten unter anderem für folgende Tiere beteiligt: von rund 30 Zoos dabei mit. „Es funktioniert“, ver- Mendesantilope (Tunesien und Marokko), Przewalski- sichert Encke. Er hat sich bei einer Reise in die Pferd (Mongolei und Kasachstan), Alpensteinbock Mongolei mit eigenen Augen davon überzeugen (Nationalpark Hohe Tauern), Uralkauz (Nationalpark können. Allerdings klappt so etwas nur über den Bayerischer Wald), Luchs (Polen), Wisent (Lettland), Schutz von Lebensraum. Den hat es früher in der Bartgeier (Nationalpark Westalpen) und Waldrapp ursprünglichen Heimat dieser Tiere nicht gegeben, in- (Marokko). zwischen schon.
02_Flocke-Fieber:Layout 1 16.06.2008 8:13 Uhr Seite 18 18 Flocke-Fieber soll Klima kühlen NH 84 Tiergartendirektor Das Beispiel der Orang-Utans beweist für den Zoo- terhalb der Freianlage der Totenkopfäffchen leben. Dag Encke arbeitet direktor: Nur die Angst vor der Ausrottung dieser Ihre Welt in freier Natur ist bedroht. Seit Jahrzehnten daran, dass im Tier- garten Ressourcen populären Menschenaffen hat eine Lobby für die reduziert sich ihr Lebensraum, sie leiden immer stär- gespart werden, wo Regenwälder hervorgebracht. Inzwischen gelten die ker unter Umweltgiften und in den letzten Jahren immer es möglich ist. Orangs (auf Deutsch: „Waldmenschen“) als „Um- macht ihnen eine weltweit verbreitete Pilzerkrankung Er selbst ist meist mit dem Fahrrad brella Species“ für den Regenwald (also eine schüt- (der Chytridpilz) besonders zu schaffen: Sie befällt unterwegs. zenswerte „Schirmart“, die wie möglichst viele Ar- ihre Haut und bringt so Wärmeregulierung und Was- Foto: Harald Sippel ten unter dem „Schirm“ erhalten bleiben sollte). serhaushalt durcheinander, außerdem stört er die „Deshalb betrachten Zoologische Gärten es als legi- Hautatmung. tim, mit solch charismatischen Tieren als Kommunika- toren für den Regenwaldschutz zu arbeiten.“ Für verschiedene Tierarten, die in der Natur ernsthaft Manche Zootiere bleiben für den Besucher unsicht- gefährdet sind, haben Zoologische Gärten auf der bar. Dazu gehören Amphibien wie die Kammmolche ganzen Welt mit Erhaltungszuchten begonnen. Auch und Laubfrösche, die im Tiergarten zum Beispiel un- der Nürnberger Tiergarten ist mit von der Partie bei
02_Flocke-Fieber:Layout 1 16.06.2008 8:13 Uhr Seite 19 NH 84 Flocke-Fieber soll Klima kühlen 19 Die Przewalskipferde waren in der Natur bereits ausgerottet. Nur durch Nachzucht in Zoos wie dem Nürnberger Tiergarten (links) konnte man den Urwildpferd-Typus retten. Die Tiere werden mittlerweile unter anderem in der Mongolei ausgewildert (2. Bild von links). Eine besonders nachhaltige Zucht gelingt dem Tiergarten bei den Grévy-Zebras (2. Foto von rechts). Und in keinem anderen Zoo kamen bisher bei den Seekühen so viele Jungtiere zur Welt wie in Nürnberg (rechts). Fotos: Ralf Schedlbauer/Tiergarten/Harald Sippel der eher zurückhaltende Dag Encke. In keinem anderen Zoo der Welt kamen bisher so viele Jungtiere dieser im Wasser lebenden Säugetiere zur Welt wie in Nürnberg: 15 Babys haben hier seit 1981 das Licht der Welt erblickt und sind gesund herangewach- sen. mehreren Europäischen Erhaltungszucht-Program- Besonders erfreulich: Die Seekuh-Mütter ziehen ihren men (EEP). Durch das professionelle Know-how aller Nachwuchs selbst auf; lediglich bei Zwillingsgeburten Mitarbeiter am Schmausenbuck gelingt eine beson- haben die Pfleger zugefüttert, weil die Milch nicht ders nachhaltige Zucht etwa bei Somali-Wildeseln, ausreichte. Besonders erstaunlich: Die Haltung im en- Grévy-Zebras, Przewalskipferden, Schabrackentapi- gen Schwimmbecken des Tropenhauses lässt sich ren, Harpyien, Kulanen oder Koritrappen. Mit der wahrlich nicht als vorbildlich bezeichnen; trotzdem – Zucht von letzteren sind weltweit überhaupt nur drei oder gerade deshalb? – flutscht es dort geradezu bei Zoos erfolgreich. den Manatis. Zum Wahrzeichen des Nürnberger Tiergartens aber Spannend wird es, wenn die Seekühe in die neue sind die Seekühe oder Manatis geworden. „Manati“, große Pool-Anlage in der Lagune übersiedeln: Wer- diesen Titel trägt daher auch die vom Verein der den sie sich noch so fleißig fortpflanzen, wenn sie Tiergartenfreunde herausgegebene Zeitschrift. „Da Gelegenheit haben, einander auch einmal aus dem können wir mit einem Superlativ aufwarten“, sagt Weg zu gehen – pardon: zu schwimmen? ■
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