Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im digitalen Biomechanikpraktikum

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Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im digitalen Biomechanikpraktikum
Lessons Learned 2, 1 (2022)
Submitted: 05.04.2022
Accepted: 07.06.2022
DOI: https://doi.org/10.25369/ll.v2i1.38
ISSN: 2749-1293 (Print); 2749-1307 (Online)

             Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im
                     digitalen Biomechanikpraktikum

                                                           B. Kruppke*
       Professur Biomaterialien, Institut für Werkstoffwissenschaft, Fakultät Maschinenwesen, TU Dresden

        Abstract
        Mit der Anpassung der Hochschullehre an den digitalen Raum wurden verschiedene Konzepte
        für Vorlesungs- und Seminarformate entwickelt, umgesetzt und evaluiert. Besondere Aufmerk-
        samkeit wird deshalb nun Formaten gewidmet, deren Fokus auf praktische Lernerfahrungen
        gerichtet ist. Es ergibt sich ein Widerspruch aus dem Vorhaben Praktikumsveranstaltungen in
        den digitalen Raum zu verlegen, was im Folgenden durch die Erläuterung bisheriger Praktika in
        der Professur für Biomaterialien der Technischen Universität Dresden verdeutlicht wird.
        Aufbauend auf dieser Betrachtung wurde eine Lernwerkstatt zum Thema „Biomechanik im All-
        tag“ unter Berücksichtigung der Limitationen und Möglichkeiten des digitalen Raumes entwi-
        ckelt. Das Ziel der digitalen Lernwerkstatt ist eine kompetenzorientierte praktische Lernerfah-
        rung zum Erwerb von Selbst- und Methodenkompetenz, im Vergleich zur Fachkompetenz-ge-
        triebenen Präsenzlehre. Die Lernwerkstatt wurde im Modul Werkstoffwissenschaft (2. Semester)
        als synchron-digitales Praktikum mit asynchronen Aktivitätsphasen durchgeführt. Zunächst wird
        die an Projektmanagementansätze angelehnte Durchführung der Lernwerkstatt erläutert. Dar-
        aus ergab sich eine individuell vollzogene Projektbearbeitung durch die Studierenden. Die ab-
        schließenden Erkenntnisse aus der Betreuung des Lehrformates führen zum Ausblick auf eine
        Lehrveranstaltung, die die Elemente des Projektmanagements mit den Fachinhalten verknüpft.

        With the adaptation of university teaching to the digital space, various concepts for lecture and
        seminar formats have been developed, implemented and evaluated. Special attention is there-
        fore now being paid to formats whose focus is on practical learning experiences. A contradiction
        arises from the plan to move internship events into the digital space, which will be clarified in
        the following by explaining previous internships in the Chair of Biomaterials at TU Dresden.
        Based on this consideration, a learning workshop on the topic of "Biomechanics in everyday life"
        was developed, taking into account the limitations and possibilities of the digital space. The goal
        of the digital learning workshop is a competence-oriented practical learning experience for the
        acquisition of self- and methodological competence, in comparison to subject competence-
        driven classroom teaching. The learning workshop was implemented in the Materials Science
        module (2nd semester) as a synchronous digital practical course with asynchronous activity
        phases. First, the implementation of the learning workshop based on project management ap-
        proaches is explained. This resulted in an individually completed project processing by the stu-
        dents. The final findings from the supervision of the teaching format lead to the outlook for a
        course that links the elements of project management with the subject content.

        *Corresponding author: benjamin.kruppke@tu-dresden.de

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Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im digitalen Biomechanikpraktikum
B. Kruppke / Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im digitalen Biomechanikpraktikum

1. Einleitung                                       tionsschritten der Durchführung und den defi-
                                                    nierten Zeitvorgaben der Bearbeitung wieder.
Vorlesungen und Seminare mit Onlinetools, im
                                                    Die unterschiedlichen Voraussetzungen im
Hybridformat, durch synchrone Webmeetings
                                                    Selbststudium sind ebenfalls Gegenstand der
oder asynchrone Arbeitsaufträge, mit Inverted
                                                    studentisch koordinierten Planung der Lern-
Classroom [1–3], kommentierten PowerPoint-
                                                    werkstatt, wobei das Vorhandensein eines Mo-
Folien, Skripten oder Audiodateien – all dies
                                                    biltelefons oder eines ähnlichen portablen Ge-
gehört heute zum Stand der Technik in der
                                                    rätes mit Beschleunigungs- und Lagesensoren
Hochschullehre.
                                                    vorausgesetzt wird. Die Lernwerkstatt wurde
Die Transformation der praktischen Lernerfah-
                                                    im Rahmen des Moduls Werkstoffwissenschaft
rung lässt sich dabei deutlich schwerer vollzie-
                                                    (2. Semester) als synchron-digitales Praktikum
hen, sind doch einzelne digitale Praktika sehr
                                                    mit asynchronen Aktivitätsphasen entworfen
stark an die jeweiligen Fachbereiche geknüpft.
                                                    und durchgeführt. Hierbei bedeutet synchrone
So sind Lab@Home-Ansätze mit individuali-
                                                    Lehre, dass die Lehrperson und die Studieren-
sierten Kursen im Computerlabor vor allem für
                                                    den gleichzeitig in einem definierten Zeitfens-
Programmieraufgaben, CAD-Kurse oder Mo-
                                                    ter an einer Lehrveranstaltung teilnehmen,
dellierungen umsetzbar [4]. Praktische Versu-
                                                    während unter asynchroner Lehre die orts-
che im Hochschulkontext erfordern hingegen
                                                    und zeitunabhängige Beschäftigung der Stu-
häufig komplizierte Apparaturen oder teure
                                                    dierenden mit bereitgestellten Lehrinhalten
Messgeräte. Diese können Beispielsweise
                                                    verstanden wird. Zukünftig ist eine Übertra-
durch mobile Ingenieurkoffer bereitgestellt
                                                    gung dieses Formats auf das Modul Biomecha-
werden [5], wobei auch hier schnell Grenzen
                                                    nik (8. Semester) angestrebt.
der Versuchsdurchführung und Studierenden-
                                                    Zur besseren Einordnung der fachspezifischen
zahlen erreicht werden.
                                                    Anforderungen an Praktika, Laborversuche
Einen niederschwelligen Ansatz stellen Experi-
                                                    und Experimentalvorlesungen wird zunächst
mente dar, die mit den verfügbaren Kompo-
                                                    der Ablauf klassischer praxisbezogener Lehr-
nenten von Studierenden zu Hause selbst
                                                    veranstaltungen im Bereich der Biomechanik
durchgeführt werden können. Hierbei zeigte
                                                    bzw. der Biomaterialen erläutert. Daraus
sich, dass die Studierenden die Möglichkeit,
                                                    ergibt sich die Planung des digitalen Biome-
über mehrere Wochen mit den Experimenten
                                                    chanikpraktikums in Form einer Lernwerkstatt
zu arbeiten, umfangreiche Versuchsreihen
                                                    mit einer Verschiebung des primären Fokus
durchzuführen und so ein tiefes Verständnis
                                                    von der Vermittlung von Fachkompetenz hin
für die inhaltlichen Aspekte zu erlangen [6]. Die
                                                    zur Entwicklung von Selbst- und Metho-
intensive Auseinandersetzung mit der Me-
                                                    denkompetenzen.
thode selbst und die Stärkung der individuel-
len Lernerfahrung kann somit die digitalen
                                                     2. Praktikum im Präsenzstudium
und Distanzunterrichtseinschränkungen kom-
pensieren. Zudem können vergleichende Be-           Im Rahmen des Praktikums werden zwei Lehr-
trachtungen der Ergebnisse einzelner Studie-        formate, das klassische Laborpraktikum mit
render eine weitere Dimension der fachlichen        vorgegebenem Ablauf und die freier gestalt-
Beurteilung liefern [6].                            bare Lernwerkstatt in der Professur für Bioma-
Die Entwicklung der Lernwerkstatt zum Thema         terialien durchgeführt. Beim Laborpraktikum
„Biomechanik im Alltag“ berücksichtigt die Li-      steht der Erwerb von Fach- und Metho-
mitationen und Möglichkeiten des digitalen          denkompetenz im Mittelpunkt. Hierzu besteht
Raumes, wobei die digitalen Kommunikations-         meist eine sehr konkrete Aufgabenstellung,
mittel zur Koordination und zum Abgleich der        die eng mit den Vorlesungsinhalten verknüpft
einzelnen Versuchsergebnisse der Studieren-         ist. Die Praktikumsdurchführung setzt das
den genutzt werden. Grundsätzlich erfolgt die       Fachwissen der Studierenden voraus, um die
Durchführung der Lernwerkstatt in Anlehnung         Problemstellungen eigenständig und sachlich
an Leitlinien des agilen Projektmanagements         angemessen zu bearbeiten und das Ergebnis
[7–9]. Dies spiegelt sich vor allem in den Itera-   zu beurteilen (Fachkompetenz nach [10]).

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Hierzu sind Fähigkeit und Bereitschaft der Stu-     Zumeist dient eine vage formulierte Aufgabe
dierenden zur Anwendung bestimmter Ar-              oder Fragestellung als Anreiz, die Kreativität
beitsmethoden notwendig (Methodenkompe-             und Neugier der Lernenden zu aktivieren. Un-
tenz, [10]).                                        ter Bereitstellung eines umfangreichen Mate-
Somit konzentrierten sich klassische Labor-         rial- und Methodenspektrums sowie eines
praktika zum Thema Biomechanik beispiels-           Raumes bzw. einer Plattform zum Austausch
weise auf die Analyse der Materialeigenschaf-       zwischen den Lernenden wird zunächst ein Ar-
ten biologischer Materialien, um daraus auf         beitsplan entwickelt [11]. Die Studierenden
die mechanischen Werkstückeigenschaften             sind dabei auf sich allein gestellt. Der bzw. die
z.B. am Beispiel des Knochens zu schließen. So      Lehrende steht als Dialogpartner und Lernbe-
wurde entsprechend eines Buttom-up Ansat-           gleiter zur Verfügung, ohne unmittelbar in die
zes, also ausgehend von mikroskopischen Di-         studentischen Aktivitäten einzugreifen [11].
mensionen und molekularen Eigenschaften             Das etablierte Vorgehen basiert – dem theore-
auf die makroskopischen Verbundwerkstoffei-         tischen Konzept entsprechend – auf der unmit-
genschaften zu schließen, die Fibrillogenese        telbaren Auseinandersetzung der Studieren-
von Kollagen als Grundbestandteil des Kno-          den mit einem Impulsobjekt (z.B. einem Krab-
chens mittels UV/Vis-Spektroskopie und Ras-         benpanzer oder Hühnerknochen) oder einer
terkraftmikroskopie analysiert und darauf auf-      Frage (z.B. Was macht den Knochen so belast-
bauend die Knochenremodellierung durch De-
                                                    bar?). Das verfügbare Methodenspektrum
gradations- und Zellversuche verdeutlicht.
                                                    wird durch eine Laborführung (im Max-Berg-
Dem liegen die fachorientierten und methodi-
                                                    mann-Zentrum für Biomaterialien, Institut für
schen Lernziele zugrunde, dass die Studieren-
                                                    Werkstoffwissenschaft) zugänglich gemacht.
den in der Lage sind einfache Labortätigkeiten
und Messungen durchzuführen. Zudem kön-             Unter Verzicht auf eine strikte fachspezifische
nen sie Zusammenhänge zwischen Knochen-             Anleitung, verschiebt sich im Konzept der Lern-
komponenten und deren Bildungsbedingun-             werkstätten der Fokus des Kompetenzerwerbs
gen und den Abbauprozessen erläutern.               stärker zur Selbst- und Sozialkompetenz.
Durch die konkrete Aufgabenstellung und den         Dadurch wird natürlich auch die Agilität und
straffen Zeitplan des Praktikums werden die         das Improvisationstalent der Lehrenden stär-
Studierenden in der Regel nicht zum beisteu-        ker gefordert. Die selbstständig errungene
ern der eigenen Kreativität oder Lösungsan-         Fach- und Methodenkompetenz der Studie-
sätze angeregt.                                     renden lässt sich damit aber, wenn auch gege-
Das Konzept der Lernwerkstätten als prakti-         benenfalls auf einem etwas geringeren Niveau,
sches Lehrformat rückt das eigenständige for-       besonders intensivieren.
schende Lernen der Studierenden in den Fo-
kus. Als fachbezogenes Lernziel sollen die Stu-      3. Praktikum im digitalen Raum
dierenden hierbei in die Lage versetzt werden,
                                                    Wie die Erläuterungen zum Präsenzpraktikum
ein Konzept zur Analyse oder zur Nachbildung
                                                    und insbesondere der Lernwerkstätten erken-
eines biologischen Vorbildes zu entwickeln.
                                                    nen lassen, ist die Übertragung der Lernziele
Dazu ist es notwendig, dass sie sich selbststän-
                                                    und des Kompetenzerwerbs durch ein Prakti-
dig als Gruppe über eine Strategie einigen und
                                                    kum im digitalen Raum besonders erschwert.
abschließend gemeinsam einen Vortrag erstel-
len und präsentieren. Die Studierenden lernen       Verschiedene durchgeführte digitale Lehrfor-
im fachlichen Kontext die Kommunikation in          mate mit Praxisbezug verfolgten primär die
der Gruppe, also das verständliche ausdrü-          Vermittlung der Fachkompetenzen. Hierzu
cken ihrer Ideen und das aktive Zuhören so-         wurden Experimente als Videos aufgezeichnet
wohl bei Kritik als auch bei weiterführenden        und den Studierenden bereitgestellt (Abb. 1a).
Ideen. Die gemeinsame Aufgabenplanung und           Weiterhin wurden Experimentalvorlesungen
sich dabei gegebenenfalls selbst zurückzuneh-       als synchrone Veranstaltungen mit web-ba-
men sind ebenfalls als Sozialkompetenzlern-         sierten Interaktionsmöglichkeiten (Chat, geteil-
ziel für eine konstruktive Zusammenarbeit zu        tes Whiteboard, Abstimmungen) von Studie-
erlernen.                                           renden und Lehrenden durchgeführt (Abb. 1b)

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[12]. Weiterhin wurden den Studierenden, ei-               kurze Videosequenzen ergänzt sind (Abb. 1c).
nem klassischen Praktikumsablauf folgend,                  Ziel ist es die Versuchsdurchführung und
Vorbereitungsaufgaben als pdf-Skript zur Ver-              Messwertgewinnung möglichst nachvollzieh-
fügung gestellt. Die Verlagerung in den digita-            bar zu gestalten, damit die Auswertung der be-
len Raum führte dazu, dass asynchrone „Prä-                reitgestellten Daten durch die Studierenden in
sentations“praktika erstellt wurden. Hier sind             einem abschließenden Praktikumsprotokoll
die Durchführung und Ergebnisse in Form von                erfolgen kann.
Präsentationsfolien aufbereitet, die durch

 Abb. 1: a) Foto von einer Videoaufzeichnung aus dem Zellkulturlabor, b) Videostandbild aus einer Experimental-
 vorlesung, c) Versuchsergebnisse als Präsentationsfolien (Fotos und Zeitraffervideo) zur Auswertung durch Stu-
 dierende.

Im Ergebnis zeichnet sich jedoch ab, dass die              welche Mittel dafür notwendig und realisierbar
praktische Lernerfahrung nicht durch das                   sind. Der bzw. die Lehrende ist ausschließlich
hohe Engagement bei der Videoerstellung und                für die Unterstützung der Gruppenorganisa-
Experimentvorführung kompensiert werden                    tion (Bereitstellung einer Kommunikations-
kann. Dies bestätigt das studentische Feed-                plattform, Datenaustausch), für die Vermitt-
back mit Zitaten, wie "Praktikum lieber vor Ort“           lung von gegebenenfalls geplanten Untersu-
und „zu viel zu lesen“ zum bereitgestellten Be-            chungen sowie in Konfliktsituationen zwischen
gleitmaterial. Es scheint der Anreiz für die lang-         den Gruppenmitgliedern zuständig.
wierige Praktikumsvorbereitung mit ausführli-              Die Organisation der Gruppe, wie eine Auftei-
chen Skripten zu sinken, wenn diese anschlie-              lung in kleinere Expertengruppen, die sich zum
ßend als Video oder Ergebnispräsentation ver-              Beispiel mit theoretischen Grundlagen, der
fügbar und auch schneller bis zum Ende abzu-               technischen Umsetzung und dem Zusammen-
spielen sind. Auch die Einarbeitung von Studie-            führen der einzelnen Erkenntnisse beschäfti-
renden im Rahmen von Qualifizierungsarbei-                 gen, obliegt der Gruppe selbst, wozu ein Grup-
ten ist ohne praktische Erfahrungen im Labor               penleitungsposten durch die Gruppenmitglie-
mit höherem Aufwand verbunden, woraus                      der zu bestimmen ist.
sich in der Professur für Biomaterialien eine
                                                           Die Projektbearbeitung findet in festgelegten
nachdrückliche Forderung nach mehr Praktika
                                                           Zeitintervallen statt, wobei stets zu Beginn ein
ergeben hat.
                                                           Arbeitsplan für das aktuelle Intervall erstellt
                                                           wird, das möglichst schnell ein präsentierbares
4. Agiles Projektmanagement in Hoch-                       Ergebnis liefert. Durch die gemeinsame Vor-
   schulpraktika                                           stellung des Ergebnisses vor dem Lehrenden
In Anlehnung an das agile Projektmanagement                erhalten die Studierenden rasch eine Rückmel-
werden die Studierenden als Team mit einem                 dung zu den noch umzusetzenden oder sich
Problem konfrontiert, das durch mehrere Sze-               neu ergebenden Anforderungen. Diese wer-
narien umrissen wird. So können sie selbst                 den in den Arbeitsplan für das nächste Inter-
entscheiden, welche Teilaspekte Sie bearbei-               vall (entsprechend der Priorisierung durch die
ten möchten, wie sie die Lösung gestalten und              Studierenden) aufgenommen und umgesetzt.

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Mithilfe dieses Konzeptes erhalten die Studie-      ren Versuchsplan für die Erfassung biomecha-
renden eine höhere Verantwortung und einen          nischer Abläufe im Alltag sowie den Arbeits-
größeren Freiraum, womit kreative und fle-          plan für das erste Intervall. Synchrone Konsul-
xible Problemlösungen angeregt werden.              tationen (alle 2 Wochen) dienen zur Abstim-
Erst nach der Durchführung zeichnete sich ab,       mung der individuellen Versuche und Bespre-
dass das agile Projektmanagement als Lernziel       chung der Messergebnisse. Daraus werden in
angesehen werden kann, damit die Studieren-         den nachfolgenden Intervallen weitere Metho-
den für die spätere Arbeit bereits mit agilen       den(-vorschriften) erarbeitet, um die Einzeler-
Methoden, den darin vorgesehenen personel-          gebnisse zu harmonisieren und vergleichbar
len Rollen, Artefakten und Events vertraut sind     zu erfassen. Zum Abschluss erfolgt als Grup-
und diese später auf andere Fachbereiche            penergebnis die Auswertung der individuellen
übertragen können.                                  Ergebnisse unter Übertragung der kinemati-
                                                    schen Messwerte auf die dynamische Belas-
                                                    tungssituation des Körpers als Präsentation.
5. Die digitale Lernwerkstatt
                                                    Ergebnisse
Für die digitale Lernwerkstatt wurde das Kon-       Da sich die Biomechanik im vorliegenden Fall
zept wie folgt angewandt. Es bestand das vor-       mit dem menschlichen Bewegungsapparat be-
rangige Ziel, das Praktikum als individuelle        schäftigt, musste zunächst ein Weg zu dessen
Lernerfahrung umzugestalten, sodass die stu-        Charakterisierung gefunden werden. Die Stu-
dentische Selbstverantwortung und die Nut-          dierenden wählten hierfür Mobiltelefone als
zung allgemein verfügbarer Mittel und Metho-        allgemein verfügbares Messgerät. Die Bewe-
den in Bezug auf die Materialwissenschaft (im       gungssensoren wurden mit der App phy-
Speziellen: Biomechanik) im Mittelpunkt ste-        phox® (verfügbar für Android und Apple [13])
hen. Dies wurde von den Studierenden umge-          aufgezeichnet und ausgelesen [14].
setzt, indem sie sich entschieden Bewegungs-
                                                    Auf einem digitalen Whiteboard wurden ver-
abläufe alltäglicher Tätigkeiten mittels der Sen-
                                                    schiedene potentielle Bewegungsabläufe von
soren in Mobiltelefonen aufzuzeichnen.
                                                    den Studierenden notiert und eine Auswahl
Dabei sollte individuelles Arbeiten möglich         getroffen. Diese Auswahl wurde nach einer
sein, sodass das Gruppenergebnis nur durch          ersten Prüfung der Messwerterfassung und
ein digitales Zusammenführen der Einzeler-          geeigneter Randbedingungen (Bewegungsab-
gebnisse erfolgt. Die Studierenden sollen allein    läufe, Mobiltelefonpositionierung) im zweiten
und gleichwertig zur Praktikumsteilnahme be-        Intervall konkretisiert. Zudem wurden die
fähigt sein.                                        möglichen charakteristischen Parameter zu
Ein terminiert bereitgestellter digitaler Lern-     deren Aufzeichnung sowie die Aufzeichnungs-
raum (z.B. BigBlueButton, Zoom) dient den           randbedingungen (Anzahl von Bewegungswie-
Studierenden zum Austausch innerhalb der            derholungen, Gewichte, Pausen) zusammen-
Gruppe, zur Konzeption von Versuchen und            getragen (Abb. 2).
zur Ergebnisbesprechung, während der Leh-
rende hier nur beratend zur Verfügung steht.
Ablauf
Im Rahmen der Auftaktveranstaltung erfolgt
eine kurze Erläuterung des Lernwerkstattkon-
zeptes und die Themenbeschreibung (Biome-
chanik). Die Komplexität der Erfassung biome-
chanischer Kennwerte wird durch den Lehren-
den erläutert und auf die verschiedenen As-
pekte: vom Zellaufbau, über die Biomaterial-
                                                     Abb. 2: Geteiltes Whiteboard: Parameter und Ab-
komponenten bis hin zur Sportbiomechanik             stimmung (senkrechte Striche) für die aufzuzeich-
verwiesen.                                           nenden Bewegungsabläufe (Treppensteigen, Rumpf-
Im Folgenden erarbeiten die Studierenden ih-         beuge, Sprung, Heben, Liegestütze).

Lessons Learned | Volume 2 (2022) | Ausgabe 1                                                  2-1/38-5
B. Kruppke / Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im digitalen Biomechanikpraktikum

Im zweiten Intervall wurde zudem eine Platt-              derholung mit der phyphox-Funktion „Be-
form (Google Sheets) zur gemeinsamen Daten-               schleunigung ohne g“ aufgezeichnet. Nach ei-
visualisierung und -auswertung ausgewählt.                nem ersten Datenvergleich wurden die indivi-
Eine Teilgruppe der Studierenden übernahm                 duellen Bewegungsdaten anhand charakteris-
die Normierung und das gestaffelte Auftragen              tischer Maxima oder Minima der ersten und
der Daten aller Mitglieder.                               letzten Wiederholungseinheiten auf die jewei-
Im dritten Intervall wurden die Bewegungsab-              lige Gesamtdauer normiert (Abb. 3).
läufe von allen Studierenden in 8-facher Wie-

 Abb. 3: Sprung-Beschleunigungsdaten der Studierenden (je 8 Wiederholungen): a) Rohdaten, b) normiert auf je-
 weilige Gesamtdauer.

Eine besondere Herausforderung stellte der                technischen Umgang mit der mobiltelefonba-
Vergleich der individuellen Daten dar, da be-             sierten Messwerterfassung beherrschten alle
reits geringe Abweichungen vom Protokoll zu               Studierenden problemlos. Auch die Auswer-
unterschiedlichen     charakteristischen    Be-           tung und Diskussion der Ergebnisse, sowie de-
schleunigungsmustern einzelner Bewegungen                 ren Präsentation als Gruppe erfolgten in Anbe-
führte. Somit legten die Studierenden im letz-            tracht des frühen Studiensemesters mit einem
ten Intervall einen abschließenden Präsenzter-            äußerst hohen Standard.
min im Freien fest, der unter Einhaltung der              Im Rahmen weiterer Praktikumsgruppen soll
Corona-Schutzmaßnahmen erfolgte. Hier wur-                ein stärkerer Fokus auf die abschließende
den die vereinbarten Abläufe durch alle Stu-              Übertragung der Messwerte auf die Belas-
dierenden gleichzeitig und unter kontrollierten           tungssituation des Körpers gelegt werden.
Bedingungen aufgezeichnet. Es zeigte sich der             Hier ergab der rasche Übergang von der Fest-
Mehrwert der Gruppenaktivität anhand der                  legung der Bewegungsabläufe zum Messver-
deutlich gleichförmigeren Bewegungskurven.                fahren eine Vernachlässigung der späteren
Es ist darauf hinzuweisen, dass auch ein rein             Aussagekraft und der Einbeziehung weiterer
digitaler Ansatz zur Durchführung des Prakti-             möglicher Messwerte oder Methoden. So ent-
kums zu einem aussagekräftigen Ergebnis be-               schieden sich die Studierenden die Analysen
züglich der biomechanischen Bewegungsab-                  des Treppensteigens sowie der Rumpfbeugen
                                                          wegen der begrenzten Aussagekraft nicht wei-
läufen im Alltag geführt hätte.
                                                          ter auszuwerten.
Über die fachliche Komponente hinaus, die der
                                                          Die Umsetzung der agilen Projektdurchfüh-
Präsenztermin beinhaltete, konnten die Stu-
                                                          rung führte zu einem hohen Engagement der
dierenden ihre durch die zuvor eigenständig
                                                          Studierenden. Dies zeigte sich in der kreativen
durchgeführten Messungen erworbene Selbst-
                                                          und zeitaufwendigen Testphase der Messwer-
kompetenz unter Beweis stellen. So wiesen sie
                                                          terfassung verschiedener Bewegungsabläufe.
sich gegenseitig auf Verbesserungsmöglichkei-
ten der Bewegungsabläufe hin, wählten die                 Alle Studierenden führten außerhalb der onli-
Durchführungsorte und Hilfsmittel eigenstän-              netreffen die Messungen ihrer Bewegungsab-
dig und koordinierten die Taktgebung. Den                 läufe durch und fügten die Daten eigenständig

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B. Kruppke / Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im digitalen Biomechanikpraktikum

in die gemeinsame Tabelle ein. Durch die agile,     Wiesmann, Herrn Dr. Thomas Hanke, Frau Dr.
also schrittweise Umsetzung erfolgte dies           Ute Bergmann, Frau Dr. Sabine Apelt und Frau
mehrfach unter veränderten Randbedingun-            Dr. Christiane Heinemann für die kollegiale
gen (Vorgaben, die sich die Studierenden für        Unterstützung und den regen Austausch.
ihre Messungen gaben). Stets waren die Mess-
daten aller Studierenden für alle Bewegungs-
                                                     Literatur
abläufe entsprechend der Zeitvorgaben einge-
fügt und ausgewertet. Auch in späteren Projek-
                                                    [1]  B. Kruppke, Der Mix macht’s – Asynchron, synchron,
tintervallen wurde mit großem Aufwand die                inverted … von der Folienvertonung bis zum
Vergleichbarkeit der individuellen Ergebnisse            Experiment, Lessons Learn. 1 (2021) 1–12.
verbessert.                                              https://doi.org/10.25369/ll.v1i1/2.2.
                                                    [2] N.T.T. Thai, B. De Wever, M. Valcke, The impact of a
Die im Rahmen des digitalen Praktikums ge-               flipped classroom design on learning performance in
wonnenen Erkenntnisse dienen nun als                     higher education: Looking for the best “blend” of
Grundlage für die Neugestaltung verschiede-              lectures and guiding questions with feedback,
                                                         Comput.        Educ.      107       (2017)      113–126.
ner Module. Diese werden noch strenger an
                                                         https://doi.org/10.1016/j.compedu.2017.01.003.
die Vorgaben des agilen Projektmanagements          [3] A. Roehl, S.L. Reddy, G.J. Shannon, The Flipped
angelegt. Hierbei ist zwar eine Präsenz- bzw.            Classroom: An Opportunity To Engage Millennial
Hybriddurchführung vorgesehen, doch die Er-              Students Through Active Learning Strategies, J. Fam.
                                                         Consum.         Sci.       105        (2013)      44–49.
fahrungen ermöglichen ein unmittelbares aus-
                                                         https://doi.org/10.14307/jfcs105.2.12.
weichen auf den digitalen Raum, falls dies not-     [4] J.-O.      Joswig,     F.M.     Arnold,       Lab@Home:
wendig ist. Für die neuen Module werden die              Individualisierte Computerpraktika, Lessons Learn. 1
nun umfangreich vorliegenden digitalen Vorle-            (2021) 1–8. https://doi.org/10.25369/ll.v1i1/2.26.
                                                    [5] M. Beitelschmidt, Z. Wang, Ingenieurkoffer für
sungsaufzeichnungen im Sinne des Inverted
                                                         Experimentalpraktika@home, Lessons Learn. 1
Classrooms zur Verfügung gestellt, um eine               (2021) 1–8. https://doi.org/10.25369/ll.v1i1/2.16.
Projektaufgabe iterativ und kreativ zu bearbei-     [6] S. Odenbach, J. Morich, L. Selzer, Praktikum ohne
ten. Die Grundlagenkenntnisse werden somit               Präsenz - geht das?, Lessons Learn. 1 (2021).
                                                         https://doi.org/10.25369/ll.v1i1/2.6.
unmittelbar angewendet und die Bedeutung
                                                    [7] A.     Jurado-Navas,      R.     Munoz-Luna,        Scrum
dieser Kenntnisse für die Studierenden im Pro-           Methodology in Higher Education: Innovation in
jekt erlebbar.                                           Teaching, Learning and Assessment, Int. J. High.
                                                         Educ.               6              (2017)              1.
                                                         https://doi.org/10.5430/ijhe.v6n6p1.
6. „Lesson learned“                                 [8] M. Persson, I. Kruzela, K. Allder, O. Johansson, P.
                                                         Johansson, On the use of scrum in project driven
  Videos und Experimentalvorlesungen kön-               higher       education,       Proc.       ….      (2011).
   nen praktische Lernerfahrung nicht erset-             http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=
                                                         10.1.1.217.9885&rep=rep1&type=pdf.
   zen (eingeschränkte Methoden)
                                                    [9] M. Muller-Amthor, G. Hagel, M. Gensheimer, F.
  Individuell durchführbare Praktika mit Mo-            Huber, Scrum higher education - The scrum master
   biltelefon als Messgerät sind vergleichs-             supports as solution-focused coach, IEEE Glob. Eng.
   wiese leicht (mit hoher Akzeptanz) umsetz-            Educ. Conf. EDUCON. 2020-April (2020) 948–952.
                                                         https://doi.org/10.1109/EDUCON45650.2020.91253
   bar
                                                         04.
  Studierende erlangen in Lernwerkstätten          [10] M. Cursio, D. Jahn, Leitfaden zur Formulierung
   hohe Selbstkompetenz, die sich in aktiver             kompetenzorientierter Lernziele auf Modulebene,
   Beteiligung wiederspiegelt                            https://www.med.fau.de/files/2015/09/31072014_lei
                                                         tfaeden_fbzhl_1_2013_lernziele.pdf,            Erlangen,
  Digitale Lehrkonzepte lassen sich leichter
                                                         Nürnberg, 2013.
   auf Präsenzveranstaltungen (ggf. mit PCs)        [11] Verbundes europäischer Lernwerkstätten (VeLW)
   umstellen                                             e.V., Qualitätsmerkmale von Lernwerkstätten und
  Agile iterative Projektbearbeitung fördert            Lernwerkstattarbeit,         https://www.forschendes-
                                                         lernen.net/files/eightytwenty/materialien/VeLW-
   Einsatz und kreative Lösungsansätze
                                                         Broschuere.pdf,             Deutschland,            2009.
                                                         http://www.forschendes-
                                                         lernen.net/files/eightytwenty/materialien/VeLW-
 Danksagung                                              Broschuere.pdf.
                                                    [12] B. Kruppke, Digital Experiments in Higher
Im Rahmen der Lehrveranstaltungsplanung                  Education—A “How to” and “How It Went” for an
danke ich Herrn Professor Dr. Hans-Peter                 Interactive Experiment Lecture on Dental Materials,

Lessons Learned | Volume 2 (2022) | Ausgabe 1                                                            2-1/38-7
B. Kruppke / Förderung von Selbst- und Methodenkompetenz im digitalen Biomechanikpraktikum

     Educ.          Sci.       11         (2021)       190.
     https://doi.org/10.3390/educsci11040190.
[13] Phyphox®,        RWTH       Aachen      Univ.   (n.d.).
     https://phyphox.org/.
[14] S. Staacks, S. Hütz, H. Heinke, C. Stampfer, Advanced
     tools for smartphone-based experiments: phyphox,
     Phys.        Educ.       53        (2018)     045009.
     https://doi.org/10.1088/1361-6552/aac05e.

2-1/38-8                                                       Lessons Learned | Volume 2 (2022) | Ausgabe 1
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