Forschung in Afrika - wer spricht über wen? - Einblicke in die Debatte um Repräsentation, Dekolonisation und die Zukunft der Afrikawissenschaften
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Forschung in Afrika – wer spricht über wen? Einblicke in die Debatte um Repräsentation, Dekolonisation und die Zukunft der Afrikawissenschaften von Melanie Gärtner A Die Debatten, wer wo und wie repräsentiert nfang Juni tagte in der Erde lebenden Gemeinschaften von Men- Freiburg die Verei- schen aus Afrika – kein vorrangiges Themen ist, werden in weiten Teilen der Gesellschaft nigung für Afrika- gebiet des Fachverbands, obwohl diese weltweit geführt. Wer erzählt wessen Geschichte wissenschaften in Deutsch- eine wachsende Rolle spielen? Und welche Aus- und wie? Wer redet über wen und wie? land (VAD e. V.) zum wirkungen haben diese Rahmenbedingungen auf In der Wissenschaft muss die Frage lauten: Thema Afrika – Europa: die Produktion von Wissen rund um Afrika? Wer forscht über wen und wie? Ein Bereich, Reziproke Perspektiven und Fragen dieser Art werden heute in vielen den diese Fragen besonders umtreiben, lotete dabei aus, wie Pro- geisteswissenschaftlichen Disziplinen gestellt. zesse in der wissenschaft- Besonders intensiv diskutiert werden sie aller- sind die Afrikawissenschaften. lichen Koproduktion von dings in der Ethnologie. Dies hat seine Gründe Wissen zwischen europäischen und afrikani- im kolonialen Erbe des Fachs; waren Ethnolo- schen Forscherinnen und Forschern ablaufen gen doch immer wieder in den Dienst der Kolo- und wie es sich dekolonial forschen lässt. Der nialmächte eingespannt und schufen in dieser Konferenz ging eine weitreichende Debatte vor- Zeit die sogenannte koloniale Bibliothek, das aus. Inwiefern ist ein Fachverband noch zeit Fundament eines wissenschaftlichen Kanons, gemäß, zu dessen Selbstverständnis es gehört, der bis heute Auswirkungen auf das Afrikabild Themen rund um Afrika in die Gesellschaft zu und die Afrikawissenschaften hat. tragen, der aber zum großen Teil aus weißen deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissen- Ethnologie: Ringen um neue Positionierung schaftlern besteht? Haben diese nicht einen sehr Eine Dekolonisation der Wissenschaften, also einseitigen, unvermeidbar durch die Kolonial- eine Loslösung der Wissenschaften von der Pers- geschichte geprägten Blick auf Afrika? Wieso ist pektive der ehemaligen Kolonialmächte aus dem die afrikanische Diaspora – also die verstreut auf globalen Norden, wird daher zwar in vielen Dis-
Afrika im Fokus ziplinen gefordert, kratzt aber insbesondere am Culture-Debatte nicht proaktiv in die Seminare Selbstverständnis der Ethnologie, die um eine trugen. »Ich bin damals durch Zufall auf die neue Positionierung ringt. Wie selbstkritisch die Publikation gestoßen, in den Seminaren war das Auseinandersetzung geführt wird, zeigte 2008 kein Thema«, erinnert er sich. »Hier zeigt sich die Umbenennung der wissenschaftlichen Fach- eine Trägheit, die der Ethnologie bis heute anhaf- gesellschaft von Deutscher Gesellschaft für Völ- tet«, so Hahn. Er selbst hat seine Forschungs- kerkunde (DGV) in Deutsche Gesellschaft für praxis angepasst. Er publiziert vorwiegend mit Sozial- und Kulturanthropologie (DGSK). Dass afrikanischen Kollegen in Co-Autorenschaft bei dem längst überfälligen Ablegen der Völker- und betrachtet Seminare zu Regionalgebieten kunde der Begriff Ethnologie vermieden wurde, kritisch. Wichtiger ist es für ihn, seine Studie- liegt zum einen an der besseren Anschlussfähig- renden in einem reflektierten Umgang mit Iden- keit an die anglophonen Begrifflichkeiten, zum tität, Rassismus und postkolonialen Konzepten anderen aber vielleicht auch an der sensiblen zu schulen. In seiner damaligen Funktion als Wahrnehmung der Anmutungen von Othering, Vorsitzender der VAD stieß er zum 50-jährigen also Veranderung oder Exotisierung, die der Bestehen des Verbands (2019) eine Debatte zur griechische Begriff etnos beinhaltet. selbstkritischen Reflexion der Afrikawissenschaf- Längst nicht alle Institute sind der Fachge- ten an. Das Thema der Freiburger Tagung wurde sellschaft gefolgt. Denn es ist durchaus umstrit- aus dieser Reflexion heraus entwickelt. ten, ob der andere Blick, der die Ethnologie Die Fragen, wer über wen spricht, wer über ausmacht, wissenschaftlich eine Schwäche oder wen forscht, wer das Wissen produziert, auf des- eine Stärke ist. Wenn es um Dekolonisierung sen Grundlage Entscheidungen getroffen wer- geht, geht es um mehr als um reflektierten den, fallen in einer Vereinigung wie der VAD auf Sprachgebrauch. fruchtbaren Boden. Kein Wunder, schließlich Hans Peter Hahn, Professor für Ethnologie häufen sich die Fälle von Kritik, dass Weiße in Das Buch »Writing Culture: an der Goethe-Universität und Vorsitzender der schwarzen Communities forschen. The Poetics and Politics of Ethnography«, herausgegeben VAD von 2018 bis 2021, erinnert sich an seine Davon kann auch Dr. Hauke Dorsch berichten, von James Clifford und George eigene Zeit als Student und die Repräsentations- Dozent am Institut für Ethnologie und Afrika- Marcus, löste in den 1980er debatte, die die Publikation Writing Culture: The studien an der Johannes Gutenberg-Universität Jahren eine heftige Debatte Poetics and Politics of Ethnography (1986) von in Mainz und wissenschaftlicher Leiter des darüber aus, wie die Ethnografie Kultur beschreibt. James Clifford und George Marcus damals im Archivs für die Musik Afrikas (AMA). Dorsch Fach ausgelöst hat. Die Texte des Sammelbandes sah sich im Rahmen einer Publikation vehe- befassten sich damit, wie die Ethnografie Kultur menter Kritik ausgesetzt, er habe sich in einer Bild links: Ethnologen der beschreibt, und es ging um die Kultur des wissenschaftlichen Arbeit nicht ausreichend mit Goethe-Universität im Gespräch: Prof. Mamadou Diawara (rechts) Schreibens und die damit verbundene Konst- seiner Rolle als Weißer beschäftigt. »Der Artikel und Prof. Hans Peter Hahn auf dem ruktion von Kultur. Besonders dieser Punkt durchlief mehrere Reviews, in denen ich immer Gelände des Campus Riedberg, führt zu intensiven Diskussionen: »Das Werk dezidierter reflektierte und erläuterte«, sagt wo sie an einer Direktoriumssitzung hat das Konzept der beschreibenden Ethnogra- Dorsch. »Vielfach lief es dabei auf eine defensive des Zentrums für interdisziplinäre Afrikaforschung teilgenommen fie erschüttert und damit die Grundlage unse- Rechtfertigung hinaus, die ich so nicht habe haben. rer Disziplin.« Die Folgen waren weitreichend: stehen lassen wollen.« In einem anderen Fall »Das geisteswissenschaftliche Projekt, die Welt wurde eine Einladung zu einer Musikveranstal- durch Beobachtung umfassend beschreiben zu tung zurückgenommen, nachdem klar wurde, können, ist gescheitert. Heute wissen wir: Ein dass er als Weißer afrikanische Musik vorstellen komplexes Phänomen wie eine Gesellschaft würde. »Als jemand, der seit Jahrzehnten Kon- oder eine Kultur lässt sich nicht aus einer einzigen zerte organisiert, ist der Gedanke, mit afrikani- Perspektive heraus erfassen«, sagt Hahn. Schon schen Kolleginnen und Kollegen auf Augen- damals ging die Kritik mit Forderungen einher, höhe zu arbeiten, für mich alles andere als neu«, die wissenschaftliche Praxis zu über denken. so Dorsch. »Es ist eine bizarre Vorstellung, dass Einige Ideen von damals haben sich durchge- ich die Musik, die ich auflege, auch repräsentie- setzt – sei es in Form von sprachlicher Sensibilität ren muss. Als ich angefangen habe, mich für die oder sei es in der Forderung nach einer polypho- Musikwelten Afrikas zu begeistern, stand dieses nen Ethnologie, wie sie in kollaborativ gestalte- Interesse noch für Respekt, Anerkennung kul- ten Forschungsprojekten angestrebt wird. tureller Leistungen und den Blick über den eigenen Tellerrand.« Natürlich verstehe er die Co-Autorenschaft als Grundprinzip Debatten rund um Dekolonisation und Aneig- Die Autorin Für Prof. Hahn geht dies allerdings nicht weit nung und begrüße den sensiblen Umgang mit Melanie Gärtner genug. Für ihn müsste das Fach deutlich progres- diversifizierter Repräsentation. Seit Jahren wer- hat in Frankfurt Ethnologie siver mit Themen der Repräsentation und Diver- den diese Debatten auch von Studierenden studiert und arbeitet als sität umgehen. Er erinnert sich immer noch vol- eingefordert, besonders von jenen, die sich als freie Journalistin für ler Verwunderung an seine eigene Studienzeit P eople of Color identifizieren. »Dass aber die Printmedien und Film. in Frankfurt, in der seine Dozenten die Writing- Hautfarbe so bedeutungsvoll und damit Genetik mail@m-eilenweit.de Forschung Frankfurt | 1.2022 57
Afrika im Fokus ausschlaggebend wird für das, was ein Mensch unzu reichend ausgebauter Wissenschaftsappa- tun oder nicht tun sollte, das ist eine Richtung, rat zur Verfügung steht, um zu hervorragend in die ich nicht gehen möchte.« arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern heranreifen zu können, ist eine Ursa- Auf die richtigen Forschungsfragen kommt es an che der ungleichen Rahmenbedingungen. Einige Auch für Mamadou Diawara, Professor am Ins- Programme engagieren sich dafür, diesem titut für Ethnologie der Goethe-Universität und Gefälle entgegenzuwirken, die wissenschaftliche Gründungsdirektor von Point Sud, eines For- Expertise vor Ort aufzubauen und afrikanische schungszentrums für lokales Wissen in Bamako Institutionen zu unterstützen. Beispiele hierfür (Mali), steht diese Tendenz dem ursprünglichen sind die Exzellenzcluster Normative Orders der Ruf nach Polyphonie in der Repräsentations Goethe-Universität Frankfurt oder Africa Multi- debatte entgegen. »Die Forderung nach Deko- ple der Universität Bayreuth, die Initiative Know- lonialität ist ein Appell daran, verschiedenen ledge for Tomorrow der VolkswagenStiftung, das Stimmen und damit verschiedenen Wissens- DFG-Programm Point Sud oder die Pilot African modi Gehör zu verschaffen«, sagt er. »Diesen Postgraduate Academy der Gerda Henkel Stiftung. Appell müssen wir sehr ernst nehmen.« Die Gründe für Ungerechtigkeit seien tief und der Wissensproduktion als Monopol? Prozess der Dekolonisation viel komplexer; es Einer der Wissenschaftler, die ihr wissenschaftli- sei nicht damit getan, nur europäische Supre- ches Netzwerk so haben ausbauen können, »Einige Regionen der Erde matie (Vorherrschaft) infrage zu stellen. »Die ist Prof. Abimbola Adesoji, Historiker an der scheinen wie unter einer Muster reproduzieren sich. Wenn wir nicht viele Obafemi Awolowo University in Ife-Ife, Nigeria. Decke zu liegen. Es ist so, als kleine Blasen etablieren wollen, in denen in Im Rahmen des Georg Forster-Stipendiums der würde man von diesen Teilen der Welt wissenschaftlich geschlossenen Kreisen Monologe geführt wer- Alexander von Humboldt-Stiftung forschte er nichts erwarten«, sagt Prof. den, sollten wir nicht die Frage stellen, wer über 2009 bis 2010 an der Goethe-Universität Frank- Abimbola Adesoji, Historiker etwas forscht, sondern was und wie wir for- furt. Er hat beobachtet, dass Inhalten auf dem an der Obafemi Awolowo schen«, fordert Diawara. globalen Wissensmarkt mehr oder weniger Wert University in Ife-Ife, Nigeria. Diawara selbst sieht vor allem Probleme in beigemessen wird, je nachdem, wo sie produ- der Struktur des Forschungsbetriebs. Forscherin- ziert werden. »Einige Regionen der Erde schei- nen und Forscher des globalen Südens seien nen wie unter einer Decke zu liegen. Es ist so, auch in kollaborativ angelegten Forschungspro- als würde man von diesen Teilen der Welt wissen- jekten nicht gleichgestellt – weder bei der Ver- schaftlich nichts erwarten«, sagt Adesoji. »Das gütung noch in ihrer wissenschaftlichen Rolle, bedeutet, dass Wissen hierarchisiert und Wissens bei der sie als Assistenten und Zulieferer von produktion monopolisiert wird.« Wissensinhalten dienen würden, während die Dass die strukturelle Ungleichbehandlung von Kollegen des globalen Nordens die Rolle der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Experten und damit die Deutungshoheit inne- globalen Südens in kollaborativ angelegten For- hätten. Die Abhängigkeit des afrikanischen schungsprojekten nur schwer auszuhebeln ist, Wissenschaftsapparats von Geldern aus dem hat systemische Gründe. Einer davon liegt im Norden wird vor allem dann problematisch, deutschen Förderwesen. Der wünschenswerten wenn die Themen vorgegeben werden. Oft Forderung, Kolleginnen und Kollegen aus Afrika dominierten in vorgegebenen Forschungsinhal- im Rahmen eines Projekts gleichwertig For- ten Ansätze, die das erhobene Wissen als ange- schungsgelder zur Verfügung zu stellen, damit wandte Forschung in Wert setzen möchten, etwa diese in Eigenverantwortung ihre Inhalte defi- um Lösungen für entwicklungsspezifische Fra- nieren können, sind mit den Anforderungen des gen zu liefern. »Das Problem dabei ist, dass diese Bundesrechnungshofs bei der Verwendung von Fragestellungen von außen importiert sind und Steuergeldern derzeit nicht zu vereinbaren. damit Lösungen hervorbringen, die mit den Eine Gruppe deutscher Wissenschaftler unter lokalen Realitäten nicht viel zu tun haben«, so anderem aus den Reihen der VAD haben sich im Diawara. »Wir brauchen mehr Raum dafür, im April dieses Jahres in einem offenen Brief an das »Dass aber die Hautfarbe so Rahmen von Grundlagenforschung jene Fragen Bundesministerium für Bildung und Forschung, bedeutungsvoll und damit zu stellen, die die spezifischen Problematiken die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) und Genetik ausschlaggebend wird vor Ort erkennbar machen. Dafür brauchen wir den Deutschen Akademischen Auslandsdienst für das, was ein Mensch tun oder nicht tun sollte, das ist Menschen, die wissenschaftlich hervorragende (DAAD) gewandt, um auf die Missstände in der eine Richtung, in die ich Arbeit leisten und mit den lokalen Realitäten deutschen Wissenschaftskooperation mit dem nicht gehen möchte«, sagt vertraut sind. Das müssen nicht unbedingt afri- globalen Süden hinzuweisen. Gefordert wurden Dr. Hauke Dorsch, Dozent an kanische Menschen sein.« unter anderem flexiblere Forschungsformate, der Johannes Gutenberg- Universität in Mainz und Wenn die wissenschaftliche Leistung als der Abbau von Überregulierung und unzweck- wissenschaftlicher Leiter des Messlatte dient, stellt sich die Frage nach der mäßigen büro kratischen Zwängen und mehr Archivs für die Musik Afrikas strukturellen Ausgangslage: Dass Forscherinnen Wertschätzung im Umgang mit den Partnerin- (AMA). und Forschern des globalen Südens ein oft nen und Partnern im globalen Süden. 58 1.2022 | Forschung Frankfurt
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