FORSCHUNGEN 2020/1 - Meiner eLibrary
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PHÄNOMENO- L O G I S C H E 2020/1 FORSCHUNGEN beitr äge von Roberta De Monticelli, Christoph Durt, Sonja Feger, Sylvaine Gourdain, Claudio Majolino, Chiara Pasqualin, Dominique Pradelle, Alexander Schnell und Gerhard Thonhauser buchbesprechungen Bücher von Sonja Frohof, Thorsten Streubel, Larissa Wallner und Robert Hugo Ziegler sowie zu Husserl und der klassischen deutschen Philosophie
Ph%nomenologische Forschungen Phenomenological Studies Recherches Ph,nom,nologiques Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft f$r ph%nomenologische Forschung herausgegeben von THIEMO BREYER, JULIA JANSEN UND INGA R-MER unter Mitwirkung von MARCO CAVALLARO Jahrgang 2020 Heft 1 FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Ph%nomenologische Forschungen · ISSN 0342 – 8117 " Felix Meiner Verlag, Hamburg 2020. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nach- drucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der 'bersetzung, vorbehalten. Dies be- trifft auch die Vervielf%ltigung und 'bertragung einzelner Textabschnitte durch alle Ver- fahren wie Speicherung und 'bertragung auf Papier, Film, B%nder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdr$cklich gestatten. Druck und Bindung: St$ckle, Ettenheim. Printed in Germany. www.meiner.de/phaefo
IN HAL T B E I TR ! G E Roberta De Monticelli: Individuality, Concreteness, and the Gift of Bonds. Phenomenology and Analytic Metaphysics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Christoph Durt: The Computation of Bodily, Embodied, and Virtual Reality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Sonja Feger: Hans Blumenbergs Wirklichkeitsbegriff aus ph%nomenologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Sylvaine Gourdain: Die Welt im Bild. Eine Untersuchung zum Verh%ltnis von Kunst und Wirklichkeit im Ausgang von Merleau-Ponty und Maldiney . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Claudio Majolino: Husserl and the Reach of Attitudes . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Chiara Pasqualin: Konturen einer Ph%nomenologie des Pathischen im Ausgang von Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Dominique Pradelle: Anschauung und Idealit%ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Alexander Schnell: Ph%nomenologie als transzendentaler Idealismus . . . . . . 167 Gerhard Thonhauser: Zum Verh%ltnis von Ph%nomenologie und Massenpsychologie anhand von Max Schelers Unterscheidung von Gef$hlsansteckung und Miteinanderf$hlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 B U C HB E S P RE C H U NG E N Sonja Frohoff: Leibliche Bilderfahrung. Ph%nomenologische Ann%herungen an Werke der Sammlung Prinzhorn (Stefan Kristensen) . . . . 217 Thorsten Streubel: Kritik der philosophischen Vernunft. Die Frage nach dem Menschen und die Methode der Philosophie. Versuch einer methodologischen Grundlegung (Nikolaos Loukidelis) . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
4 Inhalt Faustino Fabbianelli, Sebastian Luft (Hg.): Husserl und die klassische deutsche Philosophie. Husserl and Classical German Philosophy (Conrad Mattli) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Larissa Wallner: Dimensionen der Zeit. Die Zeitphilosophie Kants und Husserls (Adrian-Razvan Sandru) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Robert Hugo Ziegler: Elemente einer Metaphysik der Immanenz (Johannes F. M. Schick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
AUTOR IN NEN UND AUTOR EN Roberta De Monticelli has been Full Professor of Modern and Contemporary Philosophy at the University of Geneva, Switzerland (1989 – 2004), and is cur- rently Full Professor for Philosophy of Personhood at San Raffaele University, Milan, Italy. She is Chief Editor of Phenomenology and Mind (https://oaj.fu- press.net/index.php/pam). Among her books: Towards a Phenomenological Axiology: Discovering What Matters. Palgrave, 2020; Il dono dei vincoli – Per leggere Husserl. Garzanti, 2018 (English Translation The Gift of Bonds – Hus- serl’s Phenomenology Revised, forthcoming, 2021). Christoph Durt is a theoretical and historical philosopher. He investigates hu- man subjectivity and reason in connection with embodiment, culture, and tech- nologies such as AI. He has taught philosophy and carried out interdisciplinary research at the University of Munich, the University of California at Santa Cruz, the University of California at Berkeley, the University of Heidelberg, the University of Vienna, and the Parmenides Foundation. More information on him can be found on his website: www.durt.de. Sonja Feger, Studium der Philosophie in Freiburg, Basel, Sorbonne (Paris IV) und Chicago (DePaul University) mit Abschluss Master of Arts. Seit 2019 wis- senschaftliche Mitarbeiterin am Institut f$r Philosophie der Universit%t Ko- blenz-Landau, Campus Landau. Redaktion Zeitschrift f#r Kulturphilosophie. Forschungsinteressen: Ph%nomenologie, (ph%nomenologische) Anthropologie, Hermeneutik, Kulturphilosophie. Sylvaine Gourdain ist agr*g*e und ehemalige Studentin der Ecole Normale Sup- *rieure von Lyon. Sie hat in Philosophie und Germanistik an der Universit* Pa- ris-Sorbonne und der Albert-Ludwigs-Universit%t Freiburg promoviert. Sie ist derzeit Post-Doc-Stipendiatin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung am Insti- tut f$r Transzendentalphilosophie und Ph%nomenologie der Bergischen Univer- sit%t Wuppertal. Sie hat u. a. L’Ethos de l’im-possible. Dans le sillage de Heideg- ger et Schelling (Paris 2017) und Sortir du transcendantal. Heidegger et sa lecture de Schelling (Br$ssel 2018) verçffentlicht. Claudio Majolino is Associate Professor at University of Lille (UMR-CNRS 8163 STL). He has widely published on Husserl, phenomenology and the his- tory of Ancient and Medieval philosophy. He is currently working on the pro- ject Des Platonismes en Ph*nom*nologie. Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
258 Autorinnen und Autoren Chiara Pasqualin studierte Philosophie in Padua und an der Scuola Galileiana di Studi Superiori. 2013 wurde sie an den Universit%ten Padua und Innsbruck mit einer Dissertation zum Thema Affektivit%t, Denken und Sprache bei Heidegger promoviert. Anschließend arbeitete sie als PostDoc am Philosophischen Institut der Universidade de S¼o Paulo in Brasilien. Derzeit ist sie Habilitationsstipendia- tin und am Institut f$r Philosophie der Universit%t Koblenz-Landau als Lehrbe- auftragte t%tig. Dominique Pradelle ist Professor f$r Philosophie an der Sorbonne Universit* und Direktor des Husserl-Archivs in Paris. Seine philosophischen Forschungen behandeln das Denken Kants, die Ph%nomenologie von Husserl und Heidegger, die Philosophie der Mathematik und die musikalische !sthetik. Seine wichtigs- ten B$cher sind L’arch*ologie du monde (Dordrecht, Kluwer, 2000), Par-del% la r*volution copernicienne (Paris, Puf, 2012), G*n*alogie de la raison (Paris, Puf, 2013), Intuition et id*alit*s. Ph*nom*nologie des objets math*matiques (Paris, Puf, 2020). Alexander Schnell hat viele Jahre lang in Frankreich gelehrt und geforscht (unter anderem an der Universit%t Paris-Sorbonne). Seit 2016 ist er Professor f$r theore- tische Philosophie und Ph%nomenologie an der Bergischen Universit%t Wupper- tal. Er leitet dort das „Institut f$r Transzendentalphilosophie und Ph%nomenolo- gie“ (ITP), das „Marc-Richir-Archiv“ und das „Eugen-Fink-Zentrum Wupper- tal“ (EFZW). Zahlreiche Verçffentlichungen (Monographien und Sammelb%n- de) im Bereich der deutschen und franzçsischen Ph%nomenologie. Gerhard Thonhauser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut f$r Philoso- phie der TU Darmstadt. Zuvor war er Erwin-Schrçdinger-Stipendiat des FWF am Institut f$r Philosophie der Freien Universit%t Berlin und ist assoziiert mit dem dortigen Sonderforschungsbereich 1171 Affective Societies. Thonhauser stu- dierte Philosophie und Politikwissenschaft an der Universit%t Wien und promo- vierte an selbiger Universit%t im Fach Philosophie. Seine aktuellen Forschungs- schwerpunkte sind: Ph%nomenologie, Sozial- und politische Philosophie, Philo- sophie der Emotionen.
Roberta De Monticelli Individuality, Concreteness, and the Gift of Bonds Phenomenology and Analytic Metaphysics Abstract Post-Quinean Nominalism is widely regarded as a metaphysics of concreteness, suggesting (in line with scientific naturalism) that ordinary language and common sense might be in the grip of “ordinary hallucinations” (Varzi 2010), or untutored belief in abstract entities. Drawing on both medieval and contemporary sources, this paper argues that, far from encouraging our minds to stick to concreteness and individuals, an untutored usage of Ockham’s Razor prompts the elision of concreteness and the everyday world from contemporary metaphysics. A theory of individuality based on Husserl’s concept of Unitary Foundation is outlined, and partially traced back to the metaphysicians of essential individuality, or haecceity: Boethius, Scotus, Leibniz – the champions of the “Unitarian Tradition.” Keywords: Analytic Metaphysics, Individuality, Haecceity, Scotus, Ockham, Edmund Husserl, Phenomenology It is a stunning mark of both the power and the impotence of words that the word “individual” can be associated with either of two opposite views of what it is to be an individual. These views tend to command very different answers to fundamental questions about all what matters in life: what we can know, what we should do, what we may hope, what distinguishes us all from all non-human creatures of this universe, and each one of us from everyone else, where each one of the conflicting views commands a different idea of politics, law, society, and what deserves the name of God. This paper attempts to reconstruct these two metaphysics of individuality. The idea behind this reconstruction is that the view which ended up prevailing took over and shaped the language of ontology in such a way as to make the alternative view of individuals ineffable and incon- ceivable. Individual essences were rendered invisible within the conceptual frame associated with that language, and lost as objects of intellectual and moral thought.1 1 This article benefitted from a fellowship at the Paris Institute for Advanced Study (Fran- ce), with the financial support of the French State, programme “Investissements d’avenir”, ma- naged by the Agence Nationale de la Recherche (ANR-11-LABX-0027 – 01 Labex RFIEA+). Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
1 Christoph Durt 2 3 4 The Computation of Bodily, Embodied, and Virtual Reality* 5 6 7 8 Abstract 9 10 This essay investigates the impact of the digital age on corporality as a constitutive condition 11 of experience. Rather than just considering the multitude of phenomena at the surface of digit- 12 alization, the essay uncovers the conceptual development that underlies them. I apply Edmund 13 Husserl’s concept of the “mathematization of nature” to digitalization, and, more specifically, digitization of data from experience. This leads to an explanation of some of the reasons for the 14 apparent and the factual loss of corporality. Building on ideas of Gnther Anders and Martin 15 Heidegger, I then show how the use of humans as a source of data deepens the incorporation 16 of the human body into the digital world. Yet, other recent developments of the digital age, such as “virtual reality” and other forms of “extended reality,” rediscover not only the human 17 body but also corporality. I again make use of Husserl’s insights into digitization, this time 18 inverting them to explain the computation of “extended reality.” 19 20 Keywords: Corporality, Information, Digitalization, Digital Technology, Experience, Exten- 21 ded Reality 22 23 Introduction 24 25 Talk of “ages” has become so commonplace nowadays that the “digital age” may 26 sound like just another buzzword. At best it seems to be a generic term for more 27 concrete expressions such as the “computer age,” “age of intelligent machines,” 28 “age of robots,” and “age of the mobile phone.” All of these latter expressions 29 seem clearer because they refer to physical objects, and thereby gratify the com- 30 mon tendency to think of reality in terms of physical objects. Expressions such 31 as “intelligent machine” furthermore evoke fantasies of weird subject-objects 32 that cause excitement, arouse fear, and lead to confusion. All this resonates stron- 33 gly in our agitated times and hence sells well. 34 Digital machines, however, are not only a cause of wide-ranging changes, but 35 also the result of a more profound albeit less palpable conceptual development. 36 Revealing this underlying development is crucial for understanding the complex 37 impact of the digital age on corporality and experience, and will thus be attemp- 38 39 * Winner of the 2019 DGPF Essay Prize “What can corporality as a constitutive condition 40 of experience (still) mean in the digital age?” Phnomenologische Forschungen 2020 · Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
Sonja Feger Hans Blumenbergs Wirklichkeitsbegriff aus ph%nomenologischer Perspektive Abstract Hans Blumenberg distinguished four different concepts of reality. On a first look, these reality concepts draw on a historical dimension. However, I try to show that they also allow for a systematic connection. Assuming a close link between Blumenberg’s thinking and (Husserli- an) transcendental phenomenology, I consider the phenomenological conception of conscious- ness and its performances to be a guiding principle leading to such a systematic connection. Thus, one aim of my contribution consists in furnishing an epistemological approach to Blu- menberg’s conception of reality. Then, I turn to the question as to how something finds its way into the phenomenological process of constitution at all. Taking ‘self-evidence’ (Selbstver- st$ndlichkeit) and ‘non-self-evidence’ (Unselbstverst$ndlichkeit) as key notions, I scrutinize the way an object crosses the threshold towards phenomenality. In the conclusion, I try to lay out a minimum determination for that which is denominated ‘real’ from a phenomenological perspective. Keywords: Reality, Hans Blumenberg, Transcendental Consciousness, Constitution, Phenom- enality Einleitung Obwohl Husserl und Blumenberg sich in ihrer Auffassung von Ph%nomenolo- gie keineswegs miteinander identifizieren lassen, kommen sie in einem der Ph%- nomenologie wesentlichen Grundsatz $berein. Am Anfang der Krisis-Schrift verpflichtet sich Husserl wiederholt der ph%nomenologischen Aufgabe der Be- schreibung: „Ich versuche zu f$hren, nicht zu belehren, nur aufzuweisen, zu be- schreiben, was ich sehe.“1 Der Beschreibung misst Blumenberg mit auffallend %hnlicher Wortwahl ebenfalls einen hohen Stellenwert bei, wenn er im Proust’- schen Fragebogen angibt, das „vollkommene irdische Gl$ck“ bestehe f$r ihn dar- in, „sagen zu kçnnen, was [er] sehe“.2 1 Edmund Husserl: Die Krisis der europ$ischen Wissenschaften und die transzendentale Ph$nomenologie. Eine Einleitung in die ph$nomenologische Philosophie. Hua VI, hg. von Wal- ter Biemel. Den Haag 21976, 17. 2 Hans Blumenberg: „Fragebogen“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Magazin (118), 6. 4. 1982, 25. Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
Sylvaine Gourdain Die Welt im Bild Eine Untersuchung zum Verh%ltnis von Kunst und Wirklichkeit im Ausgang von Merleau-Ponty und Maldiney Abstract For Merleau-Ponty and Maldiney, the world of the pictorial image is “an almost crazy world” and a world of “confused sensations”. However, it is not only an illusory and chimeric world, cut off from the real world. Indeed, far from distancing us from the real world, this craziness and this confusion bring us back to it. The objective of this essay is therefore to question the relationship between pictorial art and the real (not fictional or imaginary) world. Certainly, the pictorial work of art makes us return “to the things themselves”, because it establishes a conversion of the gaze and a metamorphosis of the visible. But one can ask if this conversion of the gaze does not reverse the movement of phenomenological “reduction” as described by Edmund Husserl, since it plunges us into the very heart of the world and does not imply any abstention or abstraction. For Maldiney as for Merleau-Ponty, painting reveals our original being-in-the-world, so that it will be necessary to elucidate what it means exactly. Moreover, we will investigate the role of style and rhythm as well as the role of color and the line in order to describe more precisely the connection between the world and the work of art, between continuity and discontinuity. Finally, we will propose another meaning of the word “image” in order to highlight the ethical function of the image thus understood. Keywords: Maurice Merleau-Ponty, Henry Maldiney, Image, Artwork, Style, Rhythm, Body Einleitung Nach Merleau-Ponty ist die Welt des Malers „eine fast verr$ckte Welt [un mon- de presque fou]“, „die Malerei erweckt einen Rausch [un d*lire]“1 und der Maler „praktiziert […] eine magische Theorie des Sehens [une th*orie magique de la vision]“.2 Nach Maldiney ist die malerische Welt eine Welt der „konfusen Emp- 1 Maurice Merleau-Ponty: L’œil et l’esprit. Paris 1964, 26; dt. ders.: „Das Auge und der Geist“. In: ders., Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Aus dem Franzçsischen $ber- setzt von Christian Bermes. Hamburg 2003, 275 – 317, hier 284. 2 Ebd., 27 f.; dt. 284. Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
Claudio Majolino Husserl and the Reach of Attitudes This paper presents a full-fledged structural account of Husserl’s notion of attitude, revolving around the phenomenological concept of “unity of saliency” (Einheit der Bedeutsamkeit). It also identifies three apriori laws of saliency and spells out the different contexts in which the concept of attitude can be applied. Keywords: Edmund Husserl, Attitude, Saliency, Unity, Multiplicity, Global Act, Phenomen- ology –I– 1. One of the most puzzling facts about Husserl is that, up to a certain point, questions like “what is phenomenology?,” “what is the difference between phi- losophy, religion, and myth?,” “how do we draw a line between nature and cul- ture?,” and many other more, can all receive an answer involving the very same concept, i. e., the concept of “attitude” (Einstellung). It would be hard to say exactly when this concept begins proliferating in Husserl’s work. Yet one thing strikes as certain: as soon as 1910, “attitudes” are already all over the place. In Ideas I one famously finds the “natural” attitude as opposed to the “unnatural” attitude of the “phenomenologist”; the overall proj- ect of Ideas II revolves around the contrast and articulation between the “natu- ralistic” and the “personalistic” attitude; in Ideas II and First Philosophy, Hus- serl insists on the differences and various connections of “theoretical,” “practical,” and “axiological” attitudes; and, finally, in the Vienna Lecture, he articulates the “philosophical” and the “mythical-religious” attitude; not to mention the whole host of “reflexive,” “eidetic,” “aesthetic,” “critical,” “phan- tasy” attitudes etc., scattered all over Husserl’s published and unpublished texts. What is an “attitude,” then, and why does this concept have such a rich varie- ty of applications? 2. Now, strange as it may sound, even though Husserl’s phenomenology heavily relies on such a key concept, the question of its actual meaning and scope still remains largely unanswered. Apart from a handful of handbook entries, a cou- ple of articles, and a fairly confusing short book, scholars have devoted little to Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
Chiara Pasqualin Konturen einer Ph%nomenologie des Pathischen im Ausgang von Heidegger Dir, meinem ungeborenen Kind, gewidmet, das du die Tiefen des Vorweltlichen bewohnst. Abstract In this paper I will present the idea of a phenomenology of the “pathic” by interpreting some passages of Heidegger’s lecture course of 1919, Being and Time and What is Metaphysics? The first part provides a critical discussion of the perspective of Aldo Masullo, who denies not only that Heidegger really succeeded in fathoming the pathic sphere, but also that a phenomeno- logy of the pathic in general is possible. In contrast, my purpose is to outline a phenomenology of the pathic in two possible directions of investigation, both inspired by Heidegger. On the one hand, the phenomenology of the “pathic” intends to define the distinctive features of what Heidegger calls experience of the “preworld” (Vorwelt) and to specifically argue for its pre- meaningful character. On the other hand, this phenomenological approach aims at identifying the transcendental conditions of possibility for experiencing the “prewordly something”: in such a factical experience the hermeneutic capacities of the subject are temporarily suspended, so that the sole Befindlichkeit, understood as the primordial way of access to the phenomenal horizon, is still at work. Keywords: Martin Heidegger, Pathic, Phenomenology, Aldo Masullo, Vorwelt, Befindlichkeit Einleitung Vor dem Hintergrund der in der Sekund%rliteratur immer wieder betonten Fest- stellung, dass Heidegger gegen eine lange Tradition, die das Primat des Kogniti- ven in den Vordergrund stellte, die affektive Dimension f$r ein volles Verst%nd- nis des Menschen neu aufwertet,1 l%sst sich auch die Frage stellen, ob der Begriff 1 Hier sei u. a. auf die folgenden Studien verwiesen: Klaus Held: „Grundbestimmung und Zeitkritik bei Heidegger“. In: Dietrich Papenfuß, Otto Pçggeler (Hg.), Zur philosophischen Aktualit$t Heideggers, Bd. 1. Frankfurt am Main 1991, 31 – 56; Byung-Chul Han: Heideggers Herz. Zum Begriff der Stimmung bei Martin Heidegger. M$nchen 1996; Paola-Ludovika Coriando: Affektenlehre und Ph$nomenologie der Stimmungen: Wege einer Ontologie und Ethik des Emotionalen. Frankfurt am Main 2002; Boris Ferreira: Stimmung bei Heidegger. Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
Dominique Pradelle Anschauung und Idealit%ten „(…) il ne savait pas s’il parlait le langage de la raison, mais il parlait le langage de l’*vidence et ce n’*tait pas forc*ment la mÞme chose.“ Camus, La peste Abstract Can we say that the mathematical signs refer, beyond the mathematical sense, to ideal objects which would correspond to this sense and realize it? Parallel to this, if Husserl affirms that the intuition of essences and sensitive intuition participate in the same generic concept of intuition as a giving act, can we however affirm that mathematical evidence is giving ideal objects such as sensitive perception gives individual objects? We show that the notions of object and evidence have a different status and other modalities in mathematics than in other fields, and that the notion of categorical intuition must be replaced by that of categorical fulfilment, which desi- gnates the totality of theoretical procedures by which knowledge is validated. Against the temptation of the universalization of concepts, we advocate a regional phenomenology, pra- cticed closely to the fields of thematized objects and their specific mode of access. Keywords: Intuition, Ideality, Sense, Object, Phenomenology Der Gegenstand unserer Forschungen und philosophischen 'berlegungen im neu erschienenen Buch Anschauung und Idealit$ten1 befindet sich am Kreu- zungspunkt dreier philosophischer Disziplinen: der Husserl’schen Ph%nomeno- logie, die von uns auf ihre epistemologische Seite hin betrachtet wird, welche mit der Philosophie der wissenschaftlichen Erkenntnis am meisten gebunden ist; der Philosophie der Mathematik und Logik, besonders der metamathemati- schen und logischen Werke, die sich mit dem Problem der Grundlegung der Ma- thematik (Frege) und der Lçsung der Antinomien der Mengenlehre (Russell, Bu- rali-Forti, Richard) besch%ftigt und wichtige metamathematische Ergebnisse entdeckt haben (Hilbert, Gçdel); der Sprachphilosophie, besonders auf ihrer 1 Dominique Pradelle: Intuition et id*alit*s. Ph*nom*nologie des objets math*matiques. Paris 2020. Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
Alexander Schnell Ph%nomenologie als transzendentaler Idealismus Abstract The objective of this study is to present the meaning of transcendental phenomenology in the light of the evolution of phenomenology in recent decades. It first proposes the distinguishing principle between “transcendental phenomenology” and “realist phenomenology” and deter- mines the meaning of a “speculative” phenomenology. It then discusses the characteristics of transcendental phenomenology according to Fink and Richir. Four types of considerations are then developed. Ontological considerations: The ontological thesis of transcendental pheno- menology as it relates to “pre-being” (Fink). Methodological considerations: The ‘analytical’ method, ‘transcendental induction’, and ‘phenomenological construction’. Speculative conside- rations: The “generative matrix of ‘Sinnbildung’” at the heart of a generative ontology (with its three fundamental concepts: correlativity, significance, and reflexivity). Aletheiological Con- siderations: Three aspects of truth: phenomenalizing truth as the “necessary condition” of all truth; the two forms of truth-withdrawal; generative truth as “reflection of reflection”. Keywords: Generative Ontology, Phenomenological Construction, Transcendentalism, Truth In der Ph%nomenologie haben sich nach ihrer Gr$ndung durch Edmund Hus- serl und Martin Heidegger schon sehr fr$h unterschiedliche Tendenzen heraus- gebildet. Eine – als transzendental zu bezeichnende – Ausrichtung setzt bei Eu- gen Fink an, wird bei Marc Richir fortgef$hrt und erneuert sich heute bei noch relativ jungen Vertretern (etwa bei Florian Forestier, Daniel-Pascal Zorn, Philip Flock, Stanislas Jullien, Florian Arnold oder Fabian Erhardt) in diversen origi- nellen Ans%tzen. Eine andere Richtung wendet sich mehrheitlich dem „ph%no- menologischen Realismus“ zu. Hier ist weniger offensichtlich, ob sich ebenfalls eine solche Filiation herstellen l%sst. Oder sind etwa Alexander Pf%nder, Max Scheler, Moritz Geiger, Adolf Reinach, Roman Ingarden, G$nter Figal, Jocelyn Benoist, Claude Romano, Etienne Bimbenet und Tobias Keiling derselben ph%- nomenologischen Denkrichtung zuzuschreiben? Und dabei m$ssen all diejeni- gen Ph%nomenologen noch beiseitegelassen werden, die sich weder in der einen noch in der anderen Richtung wiedererkennen (Gr,gori Jean) oder sich diesen auch nicht zuordnen lassen (hierzu z%hlen L(szl+ Tengelyi, Renaud Barbaras und Inga Rçmer). Was unterscheidet nun grundlegend die „transzendentale“ von der „realisti- schen“ Ph%nomenologie? Beide gehen von dem Standpunkt aus, dass sich jede Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
Gerhard Thonhauser Zum Verh%ltnis von Ph%nomenologie und Massenpsychologie anhand von Max Schelers Unterscheidung von Gef$hlsansteckung und Miteinanderf$hlen Abstract The current debate on shared or collective emotions has seen a rediscovery of Max Scheler. In this debate, Scheler’s work is mostly read independent from its historic context. In particular, the influence of crowd psychology on Scheler’s thought has not been taken into consideration, despite Scheler’s explicit references to Le Bon’s (1895) The Crowd. In this paper, I show that Scheler’s understanding of emotional contagion is deeply indebted to Le Bon’s mass psycho- logy. Against this background, I critically discuss Scheler’s distinction of emotional contagion (Gef#hlsansteckung) and feeling-with-one-another (Miteinanderf#hlen). This leads to the conclusion that, at least in the formulation provided by Scheler, this distinction hinders rather than enhances research on emotional sharing. Keywords: Shared Emotion, Collective Emotion, Crowd Psychology, Emotional Contagion, Max Scheler, Gustave Le Bon Das Denken Max Schelers erlebt aktuell eine Renaissance. Insbesondere in der philosophischen Debatte zu Ph%nomenen kollektiver Affektivit%t werden seine Schriften intensiv rezipiert.1 Der Fokus liegt dabei auf dem Werk Wesen und For- men der Sympathie und der dort enthaltenen Unterscheidung von Nachf$hlen, Mitgef$hl, Miteinanderf$hlen, Gef$hlsansteckung und Einsf$hlung.2 Zumeist stehen dabei Schelers 'berlegungen zum Miteinanderf$hlen, exemplifiziert an- hand der dramatischen Szene von Vater und Mutter, die gemeinsam um ihr ver- 1 F$r einen 'berblick zu diesem interdisziplin%ren Forschungsfeld siehe Christian von Scheve, Mikko Salmela (Hg.): Collective Emotions. Oxford 2014. F$r das von mir vertretene Verst%ndnis von geteilten Emotionen (shared emotions) siehe Gerhard Thonhauser: „Shared emotions: a Steinian proposal“. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 17(5), 2018, 997 – 1015; Gerhard Thonhauser: „Shared Emotions and Collective Affective Intentionality“. In: I Quaderni della Ginestra 22, 2018, 100 – 113; Gerhard Thonhauser, Michael Wetzels: „Emotional Sharing in Football Audiences“. In: The Journal of the Philosophy of Sport 46(2), 2019, 224 – 243. 2 Max Scheler: Wesen und Formen der Sympathie. Bern/M$nchen 61973, 19 – 48. Ph%nomenologische Forschungen 2020 · " Felix Meiner Verlag 2020 · ISSN 0342-8117
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