Grußwort des Präses - Universität Innsbruck

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Grußwort des Präses

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,           ne philosophischen Bäume in den Himmel.
liebe Freundinnen und Freunde des Insti-         Von den wissenschaftlichen Erfolgen wird
tutum Philosophicum Oenipontanum und             in diesem Bericht ausführlich die Rede sein.
des Instituts für Christliche Philosophie an     Hervorgehoben sei die erfolgreiche Habi-
der Katholisch-Theologischen Fakultät der        litation unserer Kollegin Claudia Pagani-
Universität Innsbruck                            ni, für die sie auch mit dem Pater Johannes
                                                 Schasching SJ-Preis ausgezeichnet wurde,
In bewegten Zeiten leben wir. Was als Allge-     der Abschluss der Dissertation durch Daniel
meinplatz verstanden werden könnte, lässt        Wehinger, für die er den Richard Schaeffler
sich berechtigterweise als Leitmotiv eines       Preis erhielt, schließlich auch die erfolgreiche
Rückblicks auf das Jahr 2018 aus der Sicht       Bewerbung von Katherine Dormandy auf
unseres Instituts voranstellen. Grundlegen-      eine Qualifizierungsvereinbarungsstelle im
de Reformen der Studien, in denen wir en-        Rahmen des Digital Humanities Programms
gagiert sind, stehen an. Personelle Weichen      unserer Universität an der Schnittstelle Phi-
sind zu stellen, die v. a. durch den Abschluss   losophie und Volkswirtschaft/Statistik. Be-
der Stiftungsprofessur der Peter Kaiser-         dankt sei in besonderer Weise auch Georg
Stiftung von Prof. Christian Tapp mit Som-       Gasser, der 2018 das viel beachtete Großpro-
mersemester 2019 bedingt sind. In alledem        jekt „Analytic Theology“ abschließen konnte.
müssen wir damit leben, dass Philosophie         Nicht unerwähnt bleiben darf, dass unsere
an einer Katholisch-Theologischen Fakultät       Mitarbeiterin am Doktoratskolleg „Philoso-
keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Des-      phy of Religion“ Federica Malfatti, zu einem
halb ist unser Ort im Kontext der Gesamt­        Forschungsaufenthalt an der renommierten
universität immer wieder neu zu bestimmen.       Harvard-Universität eingeladen wurde.
Dazu braucht es Dialog mit anderen, Vernet-
zung, manchmal auch Überzeugungsarbeit           Wenn man markante Entwicklungen aus
in konstruktiver Auseinandersetzung.             dem Leben des Instituts hervorheben wollte,
   Diesen Herausforderungen dürfen wir           könnte man vielleicht drei besonders erwäh-
mit Optimismus und einer gesunden Porti-         nen. Das erste ist der Abschluss des ersten
on Selbstvertrauen begegnen. Das liegt vor       Durchlaufs unseres Bachelorstudiums Philo-
allem daran, dass unser Institut getragen        sophie an der Philosophisch-Theologischen
wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,      Hochschule in Brixen. Über acht Semester
die weit über das Geforderte hinaus ihren        hinweg haben Lehrende aus unserem Ins-
Beitrag für das gute Gelingen gemeinsamer        titut mit Studierenden in Südtirol zusam-
Aufgaben leisten. Dafür sei aufrichtiger Dank    mengearbeitet. Der Lohn ist, dass ca. 20
gesagt! Hervorgehoben seien zunächst un-         Jungphilosophinnen und -philosophen nun
sere Mitarbeiterinnen im Sekretariat, Frau       vor einem Studienabschluss der Philosophie
Monika Datterl und Frau Ksenia Scharr, die       stehen. Einige davon dürfen wir als Master-
die Institutsverwaltung gekonnt und mit          studierende in Innsbruck begrüßen, was uns
viel Engagement auf Schiene halten. Ohne         natürlich besonders freut. Schön ist auch,
die Erdung guter Organisation wachsen kei-       dass diese Erfolgsgeschichte eine Fortset-
                                                                                               1
zung findet. Es gibt ein zweites Programm,       genutzt hat, und Frau Professorin Kathrin
das in diesem Wintersemester 2018/19 sehr        Koslicki von der Universität Alberta in Kana-
vielversprechend gestartet ist. Für diese Ko-    da, die ein Sabbatical für Forschungszwecke
operation zeichnet Kollege Winfried Löffler,     an unserem Institut verbringt.
unser Studienbeauftragter und Vorsitzender
der Curriculum-Kommission, die organisa-         Von den konkreten Ereignissen des Lebens
torische Hauptverantwortung.                      an unserem Institut ist sicherlich die gute
    Ein zweiter Punkt ist das Augenmerk, das      Etablierung unseres Forschungszentrums
unser Institut auf die Förderung des aka-        „Philosophy of Religion“ und des darin in-
demischen Nachwuchses gelegt hat. Junge           tegrierten Doktoratskollegs hervorzuheben.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei         Beides ist in besonderer Weise unseren Pro-
unseren wissenschaftlichen Projekten dabei,       fessoren Christoph Jäger und Christian Tapp
als Assistentinnen des Leiters des Innsbruck      zu verdanken. Dies führt uns vor Augen,
Center for Philosophy of Religion, des Ver-       dass alle interdisziplinäre Ausrichtung wis-
antwortlichen des angesiedelten Doktorats-        senschaftlicher Arbeit umso erfolgreicher ist,
kollegs sowie des Institutsleiters. In diesem     wenn sie von gut etablierten Schwerpunkten
Zusammenhang soll die Förderung junger            in Forschung und Lehre getragen wird, in
Wissenschaftlerinnen erwähnt sein, zu der         unserem Fall ist das Religionsphilosophie,
wir uns in besonderer Weise verpflichtet füh-     darauf ausgerichtet die Kerndisziplinen Me-
len.                                              taphysik, Erkenntnistheorie, natürlich auch
    Ein drittes hervorzuhebendes Faktum ist       praktische Philosophie.
die besondere Attraktivität unseres Instituts        Apropos Innsbruck Center for Philosophy
als Gastinstitution für auswärtige Wissen-        of Religion: Seine Gründung wurde mit der
schaftlerinnen und Wissenschaftler. So durf-     Aquinas-Lecture am 31. Jänner 2018 feier-
ten wir auch heuer wieder zahlreiche Gast-        lich begangen. Unter der wissenschaftlichen
vorträge und Workshops durchführen, die           Leitung von Prof. Tapp erlebten mehr als 100
unter eigenen Rubriken in diesem Bericht          Gäste, unter ihnen unser Diözesanbischof
aufgelistet sind. Aber auch das Interesse nach    Hermann Glettler und Vizerektorin Ulri-
längeren Aufenthalten an unserem Institut         ke Tanzer, eine beeindruckende Diskussion
ist deutlich im Steigen begriffen. Das liegt      über das Thema „Was ist eine gute Religion?“
wohl nicht nur an der hohen Lebensqualität        zwischen dem Proponenten Prof. Holm Te-
der Tiroler Landeshauptstadt, sondern auch        tens und seinem Herausforderer Prof. Ans-
daran, dass sich unser Institut als internati-    gar Beckermann. Ein wahres Highlight unter
onal beachtete Forschungseinrichtung eta-         den vielfältigen wissenschaftlichen Veran-
bliert hat. Von unseren Gästen wird noch          staltungen an unserem Institut.
ausführlicher die Rede sein. In diesem Über-
blick seien nur der Matteo-Ricci-Fellow Prof.    Was bleibt ist der Dank an alle Leserinnen
Dr. Nguyễn Quang Hưng von der Vietnam            und Leser für die Verbundenheit mit unse-
National University Hanoi/Vietnam erwähnt,       rem Institut. Dazu wünsche ich viel Freude
Prof. Dr. Marek Piewowarczyk von der Ka-         bei der Lektüre des vorliegenden Berichts
tholischen Universität Johannes Paul II in       und uns allen ein erfolgreiches und gutes
Lublin, der ein Stipendium des polnischen        Jahr 2019.
Wissenschaftsfonds für einen Gastaufenthalt

                                                                 Christian Kanzian, Präses

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Berichte aus dem Institut

GastforscherInnen am Institut

Wir freuen uns, dass wir immer wieder              from German-Spea-
Gastgeber für internationale Wissenschaft-         king Countries in
lerinnen und Wissenschaftler sein dürfen,          Vietnam“ und „Zwi-
die für Forschungsaufenthalte zu uns kom-          schen Schamanis-
men. Zwei Kollegen und eine Kollegin, die          mus und Christen-
2018 bei uns waren, möchten wir hier kurz          tum. Religion und
vorstellen.                                        Kultur der H’mong
                                                   in Vietnam“.
Als 2. Matteo-Ricci-Fellow arbeitete von 10.          Besonders impo-
 Juni bis 10. Juli 2018 Herr Prof. Dr. Nguyễn      niert hat auch die
 Quang Hưng von der Vietnam National Uni-          engagierte     Reise-
 versity Hanoi/Vietnam mit uns am Institut.        tätigkeit von Prof.
 Prof. Hưng hat Philosophie und Religions-         Hưng an den Wochenenden seines Aufent-
 wissenschaft in Rostov/Don, Passau und            halts, etwa zur Universität Passau und zum
 Berlin studiert, in Berlin promoviert und         Missionswissenschaftlichen Institut Aachen:
 ist derzeit Vizedekan der Philosophischen         So manche Nacht hat er in Fernreisebussen
 Fakultät und stellvertretender Direktor des       verbracht, um am nächsten Tag dennoch
„Center of Contemporary Religious Studies“         wieder freundlich und energiereich im Büro
 an der VNU, innerhalb dessen langjähri-           bzw. Kaffeezimmer zu erscheinen.
 ger Tagungsreihe zur westlichen Religion
 auch Prof. Löffler mehrmals aufgetreten ist.      Mit Unterstützung des polnischen Wissen-
 Prof. Hưngs Forschungsgebiete sind Religi-        schaftsfonds verbrachte Herr Prof. Dr. Marek
 onswissenschaft und -philosophie sowie die        Piwowarczyk den Beginn des Wintersemes-
 Geschichte des Katholizismus in Vietnam.          ters 2018/2019 als Gastforscher an unserem
 Seine deutschsprachige Werke sind u. a Der        Institut. Der Rahmen ist eine langjährige Ko-
 Katholizismus in Vietnam 1954–1975 (2004)         operation mit polnischen Kollegen zur ak-
 und „Religionskritik innerhalb der katho-         tuellen Metaphysik. Seine akademische Bil-
 lischen Kirche in Vietnam“, in: M. Hutter         dung erwarb Prof. Piwowarczyk zunächst in
 (Hg.), Religionskritik und religiöser Pluralis-   wirtschaftswissenschaftlichen Studien. Über
 mus im gegenwärtigen Südostasien (2008). Im       Grundlagenfragen kam er dann allerdings
 Rahmen seines Aufenthalts – der besonders         zur Philosophie. Zur Zeit ist er außerordent-
 der Forschungstätigkeit gewidmet war – hielt      licher Professor an der Katholischen Univer-
 Prof. Hưng drei öffentliche Vorträge: „Viet-      sität Johannes Paul II. in Lublin. Besonderes
 nam State Policy Regarding Religious Affairs      Augenmerk legt Prof. Piwowarczyk auf das
 Since 1990: Issues and Perspectives“, „Jesuits    aristotelisch-scholastische Erbe, das er aller-
                                                                                                3
dings in Verbindung       berühmte Massachusetts Institute of Tech-
                        bringt mit neuen          nology, wo sie 1995 promovierte. Es folgten
                        Ansätzen in der pol-      Gastaufenthalte an verschiedenen Universi-
                        nischen Philosophie,      täten in den USA, z. B. in Louisiana, Califor-
                        namentlich mit dem        nia, Florida, Massachusetts, Utah, Colorado
                        Werk Roman Ingar-         und Indiana, bevor sie 2014 nach Kanada
                        dens. Das begriff-        übersiedelte, um als Professorin für Erkennt-
                        lich-argumentative        nistheorie und Metaphysik an der Universität
                        Werkzeug der ana-         in Alberta zu wirken. Dem entspricht auch
                        lytischen Philoso-        das Hauptinteresse von Frau Prof. Koslicki,
                        phie ist ihm dabei        das in der Metaphysik v. a. durch Aristoteles
                        wesentliche      Hilfe.   geprägt ist. So verteidigt sie in ihren Publika-
Seine Bücher Gott und Werden. Das Prob-           tionen den Hylemorphismus, indem sie ihn
lem der Welt-Gott Beziehung in der Philo-         mit modernen Ansätzen in der Metaphysik
sophie Whiteheads (2008) und Subjekt und          in Verbindung bringt. Ihre Monographien
Eigenschaften (2015) weisen darauf hin, dass      The Structure of Objects (Oxford University
er seine philosophische Arbeit im Kontext         Press, 2008) und Form, Matter, Substance
religionsphilosophischer Themen ansiedelt.        (Oxford University Press, 2018) gehören
Sein gegenwärtiges Forschungsinteresse ist        weltweit zum Standard der metaphysischen
die aktuelle Ontologie. Dabei beschäftigt er      Diskussion.
sich mit Themen in Zusammenhang mit der
Frage nach Substanzen, ihrer inneren Struk-
tur und ihrer Funktion als Subjekt von Ei-
genschaften. Dies war auch Leitmotiv eines
Vortrags, den er im Rahmen des Forschungs-
seminars unseres Instituts gehalten hat.
   Bemerkenswert ist, dass Herr Prof. Piwo-
warczyk für seine Reise nach Innsbruck das
erste Mal in seinem Leben ein Flugzeug ver-
wendet hat. Das nehmen wir als besondere
Auszeichnung.

Frau Professorin Kathrin Koslicki verbringt
zwei Sabbatsemester, die ihr ihre Heimat-         Auch von Prof. Koslicki eine kleine Rand-
universität Alberta (Kanada) gewährt hat,         notiz zum Abschluss: Sie tritt international
als Gastforscherin an unserem Institut. So        nicht nur als Philosophin in Erscheinung,
konnten wir von einem Gastvortrag zum             sondern auch als begeisterte und erfolgrei-
Hylemorphismus und ihrer Teilnahme an             che Alpinistin, wie man hört, und auch als
einem Workshop zum Thema „Substances“             Motorradfahrerin. So genießt sie die Tiroler
profitieren. Frau Prof. Koslicki ist gebürtige    Berge wohl ebenso wie, so hoffen wir, die
Münchnerin, ging dann nach einem Studi-           Diskussionen in unseren Hörsälen.
enaufenthalt in Tübingen in die USA, wo sie
ihre philosophische Ausbildung erhielt. Über       Christian Kanzian & Winfried Löffler
die State University of New York kam sie ans

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Pater Johannes Schasching SJ-Preis
für Claudia Paganini

In einem feierlichen Festakt wurde Claudia       lich als vereinzelte Internet-Quellen vorhan-
Paganini am 19. November mit dem Pater           denen Dokumenten.
Johannes Schasching SJ-Preis ausgezeich-            Mit ihrer Forschungsarbeit kommt Paga-
net. Verliehen wurde ihr der Preis für ihre      nini dem Grundanliegen des Pater Johannes
Habilitationsschrift „Entwurf einer rekon-       Schasching SJ-Preises nach, nämlich den Di-
struktiven Medienethik“, in der Paganini         alog zwischen den normativen Theorien der
normative Grundlagen für eine zeitgenös-         Ethik und der Praxis des alltäglichen wirt-
sische Medienethik erarbeitet.                   schaftlichen Handelns zu fördern.
                                                     Claudia Paganini schloss ihr Studium an
Als Ausgangspunkt zieht sie die konkrete         unserem Institut 2005 mit der Promotion sub
Praxis heran, d. h. die moralischen Über-        auspiciis ab. Nach der Geburt ihrer drei Kin-
zeugungen und Wertvorstellungen der ein-         der und journalistischen Tätigkeiten kehrte
zelnen Akteure. Im Anschluss an die Re-          sie 2010 als Mitarbeiterin zu uns zurück, um
konstruktion der für verbindlich gehaltenen      sich zu habilitieren. Diese Habilitation wur-
Werte erarbeitet sie einen Minimal-Konsens,      de von der Universität Innbruck mit dem
der in der konkreten Entscheidungssituati-       begehrten Erika-Cremer-Stipendium unter-
on dazu beitragen soll, durch Abwägen und        stützt. Seit 2015 ist Paganini Universitätsas-
Argumentieren zu einer gut begründbaren,         sistentin an unserem Institut und auch inter-
inhaltlich konkreten Antwort zu gelangen.        national als Universitätslehrende gefragt.
Dies geschieht auf der Basis einer detaillier-      Das Institut freut sich sehr, dass Claudia
ten Analyse einschlägiger Selbstverpflich-       Paganini mit diesem renommierten Preis
tungskodizes. Im Anhang zusammengestellt,        ausgezeichnet wurde.
ermöglicht diese Sammlung auch anderen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern                                  Monika Datterl
einen einfachen Zugang zu den bisher ledig-

                                                                                             5
Verleihung des Richard-Schaeffler-Preises für
philosophisch-theologische Grenzfragen an Dr.
Daniel Wehinger

Am 15. 11. 2018 wurde Dr. Daniel Wehinger        bewusstseinskonzept aus, das Selbstbewusst-
im Rahmen eines Festaktes an der Hoch-           sein als einen wesentlichen Bestandteil von
schule für Philosophie SJ in München der         Subjektivität ansieht. Alles Erleben enthält
Richard-Schaeffler-Preis für philosophisch-      demnach ein minimales Bewusstsein meiner
theologische Grenzfragen verliehen. Wehin-       selbst. Insofern meine Erfahrungen subjek-
ger erhielt den Preis für seine Dissertation,    tiv sind, gehen sie mit einem präreflexiven
die 2016 unter dem Titel „Das präreflexive       Bewusstsein meiner selbst einher. Dieses
Selbst. Subjektivität als minimales Selbst-      Selbstbewusstsein steht im Zentrum der Be-
bewusstsein“ beim Verlag mentis erschien.        wusstseinsproblematik. Das Phänomen des
                                                 Erlebens lässt sich nicht ohne das Phänomen
Wehinger verteidigt in seiner Arbeit die         des Selbstbewusstseins erklären.
Unhintergehbarkeit von Selbstbewusstsein            Prof. Dr. Godehard Brüntrup zeigte in
und wendet sich gegen naturalistische Re-        seiner Laudatio auf den Preisträger die Be-
duktionsversuche des Selbst. Er betont, dass     deutung auf, die der Frage nach dem Selbst
Selbstbewusstsein nicht auf höherstufige ko-     für die moderne Theologie zukommt und
gnitive Fähigkeiten beschränkt werden darf       betonte, dass Wehingers Arbeit das Potential
und spricht sich für ein umfassendes Selbst-     hat, als Brücke zwischen subjektphilosophi-
                                                 schen Ansätzen in der Theologie und analy-
                                                 tischen Theorien des Bewusstseins zu dienen.
                                                    Der Richard-Schaeffler-Preis ist mit 2.000
                                                 Euro dotiert und wird seit 1995 vergeben. Er
                                                 ehrt Nachwuchswissenschaftlerinnen und
                                                -wissenschaftler für besonders qualifizierte
                                                Abschlussarbeiten, die „einerseits Sach- und
                                                 Methodenfragen der Philosophie über ihren
                                                 schon erreichten Diskussionsstand hinaus
                                                 weiterführen und damit innovativ auf die
                                                 philosophische Fachdiskussion einwirken,
                                                 andererseits durch ihre Ergebnisse geeignet
                                                 sind, der Theologie Impulse zu vermitteln“.

                                                Das Institut freut sich über die Auszeichnung
                                                und gratuliert dem Preisträger sehr herzlich.

                                                                           Josef Quitterer

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Aquinas Lecture 2018:
Was ist eine gute Religion? Akademische Disputa-
tion mit Ansgar Beckermann und Holm Tetens zur
Eröffnung des Forschungszentrums ICPR

Die Aquinas Lecture 2018 stand im Zeichen        logie generell drängenden Zukunftsaufgaben
der Eröffnung des Forschungszentrums             zu stellen und wichtige Impulse für Universi-
Innsbruck Center for Philosophy of Religi-       tät, Kirche und Gesellschaft zu liefern.
on [=ICPR]. Der Hörsaal I war mit über 100          Dekan Quitterer wies auf die Funktion
Gästen mehr als gut gefüllt. Institutsleiter     der nunmehr drei Forschungszentren der
Kanzian und Dekan Quitterer begrüßten            Katholisch-Theologischen Fakultät für die
die Anwesenden, darunter in Vertretung           Bewältigung des um sich greifenden Phä-
von Rektor Märk die VR’in für Forschung          nomens des religiösen Analphabetismus
Tanzer und der neue Innsbrucker Bischof          hin. Immer mehr Menschen lebten in zwei
Glettler.                                        unterschiedlichen Welten: in der Welt von
                                                 Wissenschaft und vernünftiger öffentlicher
In ihrem Grußwort nahm die Vizerekto-            Verständigung einerseits und in der Welt
rin Bezug auf die Empfehlungen des Wis-          des privaten Gefühlslebens andererseits. Ein
senschaftsrats zur Weiterentwicklung von         Symptom dieser Trennung der Welten sei
Theologien und religionsbezogenen Wis-           etwa die Entfernung religiöser Symbole aus
senschaften an deutschen Hochschulen aus         dem öffentlichen Raum. Durch solche Sä-
dem Jahre 2010. Sie hätten mit großer Sach-      kularisierungstendenzen werde das Religi-
kenntnis und Sensibilität die Stellung der       öse nicht beseitigt, sondern werde nur „ins
Theologie zwischen Universitäten, Kirchen        private Gefühlsleben und in verschworene
und Gesellschaft ausgelotet. Die Vizerekto-      Zirkel“ abgedrängt. Wenn das Religiöse sich
rin hob drei Punkte besonders hervor: Ers-       aber nur noch in der privaten Welt ausdrü-
tens sei der zentrale Ort der Theologien die     cke, könnten sich Irrationalismen aller Art,
Hochschule. Zweitens müsse die Theologie         von Frömmlerei bis zum Fundamentalismus,
angesichts des Bedeutungsrückgangs der           leicht verbreiten. Die wissenschaftliche Be-
Kirchen nach „Resonanzräumen“ für theolo-        schäftigung mit Religion sei ein Beitrag dazu,
gische Forschung außerhalb der Kirchen su-       Religion öffentlich zu halten und den pro-
chen. Und drittens sollten die theologischen     blematischen Dualismus zweier Welten zu
Fakultäten ihre Forschung interdisziplinär       überwinden. Nur Religionen, die sich auch
ausrichten und sich so mit anderen Fächern       in Bezug auf ihre Glaubensinhalte dem wis-
vernetzen. Das Institut für Christliche Philo-   senschaftlichen Diskurs aussetzten, könnten
sophie, dessen internationale Reputation die     Fundamentalismen wirksam verhindern.
Vizerektorin unterstrich, beschreite mit der         Bischof Glettler würdigte die Bedeutung
Gründung des ICPR genau diesen Weg. Es           der Philosophie für jede ernsthafte Theolo-
könne Innsbruck, so zitierte sie abschließend    gie. Er zitierte aus der zwei Tage zuvor, am 29.
Rektor Märk, „als ein europäisches Gravita-      Jänner 2018, veröffentlichten Apostolischen
tionszentrum für Religionsphilosophie“ eta-      Konstitution „Veritatis Gaudium“ von Papst
blieren. So wünsche sie dem Zentrum den          Franziskus: Es sei unabdingbar, Forschungs-
besten Erfolg dabei, sich den für die Theo-      zentren zu gründen, die die Vernetzung theo-
                                                                                               7
logischer Forschung mit anderen Fächern           Dies führe zu der drängenden Frage, wie in
voranbrächten. Mit einem Lächeln fügte der        Zukunft noch ein moralischer Konsens der
Bischof hinzu, dass es bestimmt auch für den      Gesellschaft erreicht werden könne, wenn
Papst überraschend sei, wie prompt man in         die Menschen nicht mehr mehrheitlich
Innsbruck auf diesen Wunsch reagiert habe,        christlichen Vorstellungen anhängen. Mit
indem schon zwei Tage nach der Veröf-             Habermas argumentierte Tapp, dass Religio-
fentlichung der Konstitution das neue For-        nen als vorpolitische, moralische Grundlage
schungszentrum gegründet werde.                   von Gesellschaften in den gesellschaftlichen
    Der Gründungssprecher des ICPR, Prof.         Konsens integriert und dazu mit den Grund-
Tapp, ging in seiner Eröffnungsansprache          werten der abendländisch-freiheitlichen
auf die Frage ein, warum man überhaupt            Rechtsstaaten vermittelt werden müssen. Im
Religionsphilosophie betreiben soll. Aus          Kontrast zu Ideologien, die sich dem ver-
der Innenperspektive wies er darauf hin,          nünftigen Diskurs und dem Appell an die
dass Religionen Antworten auf Grundfra-           Humanität verschließen, trügen Theologien
gen des Menschen geben: Was bin ich? Was          als rationale Selbstverständigungsprozesse
darf ich hoffen? Was soll ich tun? Dadurch        von Religionen zur Bildung mündiger Bür-
geben Religionen etwas zu denken. Aus             ger bei.
der Außenperspektive stelle sich die Fra-            Holm Tetens eröffnete die Debatte mit der
ge, was unsere Gesellschaft von Religionen        These, dass eine Religion gut sei, wenn sie
habe und davon, dass Philosophinnen und           den Menschen lebenspraktisch auf eine ver-
Philosophen die mit ihnen einhergehenden          nünftige Weise die Hoffnung und Zuversicht
Denkherausforderungen annehmen. Aus-              vermittle, dass die großen Sinnfragen am
gehend von dem bekannten Böckenförde-             Ende eine „anthropologisch positive“ Ant-
Zitat: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat   wort haben, und sie zu einem Handeln un-
lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht     ter Antizipation dieser Antworten motiviere.
garantieren kann. Das ist das große Wagnis,       In den folgenden Ausführungen ging Tetens
das er, um der Freiheit willen, eingegangen       genauer darauf ein, was man unter Sinnfra-
ist“, entwarf Tapp die Perspektive, dass die      gen, Vernünftigkeit und religiöser Lebens-
moralischen Vorstellungen der Bürgerinnen         form zu verstehen habe. Bei den Sinnfragen
und Bürger die Voraussetzungen für den de-        fokussierte sich Tetens auf die von der heu-
mokratischen Willensbildungsprozess seien.        tigen Wissenschaft evozierten Fragen, etwa

Von links nach rechts: Tanzer, Beckerman, Tapp, Quitterer, Gletter und Tetens.
8
nach sinn- und erlebnisfähigen Subjekten in       habe sich stets gezeigt, dass wir keine na-
 einem sinnfreien physikalischen Universum,        türlichen, immanenten Erklärungen dieser
 nach dem sog. „unbedigten Anspruch“ des           Phänomene finden konnten. Die Annahme
 Gewissens und den ungerechten Opfern der          eines welttranszendenten Wesens widerspre-
 Geschichte. Eine existentiell vertretene Ant-     che zwar keiner naturwissenschaftlichen Er-
 wort auf diese und andere Sinnfragen mache        kenntnis, sie werde jedoch auch durch keine
 für den Sinn des eigenen Lebens einen „Un-        gestützt. Weiter wies Beckermann darauf hin,
 terschied ums Ganze“. Die Vernünftigkeit be-      dass die analytische Philosophie die strikte
 deute die Bereitschaft, über die lebenstragen-    Ablehnung von Fragen der Religion und der
 de Hoffnung Rechenschaft abzulegen, über          Metaphysik längst hinter sich gelassen habe.
 ihre Inhalte, ihre Konsequenzen und die               Damit ging er auf Tetens’ These ein, dass
 Gründe, die für oder gegen sie sprechen. Te-      die Trostlosigkeit einer von Verbrechen ge-
 tens bündelte diese Überzeugung in der For-       prägten Welt nur durch die Annahme eines
 derung, den „Hauptsatz rationaler Theologie“      richtenden und tröstenden Gottes überwun-
 argumentativ zu begründen, dass nämlich           den werden könne. Nach einer kurzen Verge-
 die Sinnfragen genau dann anthropolo-             wisserung bei anderen bedeutenden Autoren
 gisch positive Antworten haben, wenn Gott         der Gegenwart, wie Peter Rohs und Franz
 der allmächtige, allwissende und allgütige        von Kutschera, machte Beckermann sich
 Schöpfer und Erlöser der Welt ist. Die religiö-   Thesen Schellenbergs über das Verhältnis ei-
 se Lebensform sei, drittens, das Entscheiden-     ner liebenden Mutter zu ihrem Kind zu eigen:
 de. Religion sei mehr als eine metaphysische      sie würde die ernsthaften Bitten ihres Kindes
 Weltanschauung. Sie müsse dazu anleiten,          hören, ihm unnötige Traumata ersparen, für
 die positiven Antworten gemeinschaftlich zu       sein Wohlergehen Sorge tragen usw. So kam
„wagen“.                                           Beckermann schließlich zu seiner Version
    Abschließend illustrierte Tetens seine         des Problems des Übels: Was helfe die An-
 Position mit einer abgewandelten Form             nahme eines jenseitigen Trösters, wenn er
 der Pascal’schen Wette: „Pascals Test“. Die       offenbar in dieser Welt nicht erkennbar so
 Testfrage ist, wie dramatisch es für die Le-      wirkt? Schließlich entwickelte Beckermann
 bensform einer Religion ist, wenn sich ihr        die Grundlinien eines dualistischen Weltbil-
 metaphysischer Unterbau – die Antworten           des mit einem guten und einem bösen Prin-
 auf die Sinnfragen – als falsch herausstellen     zip, ähnlich demjenigen der Gnosis und des
 sollte. Der religiöse Mensch hätte dann zwar      Manichäismus, und schloss mit der provo-
 in einer Illusion gelebt, doch habe er weder      kanten Frage, ob es nicht angesichts dessen,
 intellektuell unverantwortlich gehandelt,         was wir über unsere Welt mit ihrem Dop-
 noch sei sein Leben sinnlos gewesen, denn         pelgesicht aus Schönem und Schrecklichem
 die positiven Antworten waren intellektuell       wissen, am Ende reines Wunschdenken sei,
 ausgewiesen und ihre Antizipation habe ein        wenn wir das christliche Bild eines liebenden
 sinnvolles Leben vermittelt, dem dieser Sinn      Vaters der dualistischen Doppelgesichtigkeit
 nicht nachträglich wieder abgesprochen wer-       vorziehen.
 den könne.                                            Die beiden Disputanten gingen anschlie-
    Ansgar Beckermann sieht die „Güte“ einer       ßend kritisch auf die Position ihres Gegners
 Religion v. a. in ihrer Passung zu unserem        ein. Wer wissen möchte, wie, der kann sich
 sonstigen Wissen über die Welt. Dieses Wis-       die Debatte als Videodokumentation an-
 sen (bzw. vermeintliches Wissen) sei lange        schauen: https://www.youtube.com/playlist?
 durch die Zurückführung natürlicher Phä-          list=PL5eolwFmTdvjwn4VXgnqVMPhJIEB
 nomene auf das Wirken welttranszendenter          URRED (20. 11. 2018).
 Wesen, sog. „Numina“, erklärt worden. Dafür
 bestehe heute kein Anlass mehr. Vielmehr                                     Christian Tapp
                                                                                              9
Internationales Buch-Symposium „True Enough?“
und Gastvortrag „Models in Understanding“ mit
Prof. Catherine Z. Elgin (Harvard University)

Am 21. März 2018 sprach Catherine Z. El-            einmal aus einer epistemischen Rücksicht:
gin am Institut für Christliche Philosophie         In zahlreichen Fällen scheinen die Unge-
darüber, wie wir anhand von Modellen                nauigkeit und die Wahrheitsentfernung der
die Wirklichkeit verstehen. Am 22. und 23.          Repräsentationssysteme, die wir verwenden,
März fand am Institut ein internationales           unser Verständnis der Wirklichkeit nicht zu
Buch-Symposium mit Elgin über ihre neue             verhindern, sondern sogar zu steuern und zu
Monographie, True Enough, statt.                    ermöglichen. Unsere Repräsentationssyste-
                                                    me müssen nicht wahr sein, um effektiv zu
 Catherine Z. Elgins jüngst erschienenes            sein und uns einen kognitiven Zugang zur
 Buch, True Enough (MIT Press, 2017), stellt       Wirklichkeit zu ermöglichen; sie müssen
 eine Reihe von philosophisch herausfordern-        lediglich „wahr genug“ (true enough) sein.
 den Thesen auf. Als Philosophen schätzen          Wahrheit, so Elgin, ist entthront.
 wir Wahrheit besonders hoch. Zwar kann es             Eine solche These ruft natürlich zahlrei-
 manchmal pragmatische Gründe dafür ge-             che Fragen hervor. Wie weit entfernt von der
 ben, warum es zulässig ist, eine (als solche      Wahrheit dürfen Modelle und Idealisierun-
 anerkannte) Falschheit zu akzeptieren. Aus         gen sein, um epistemisch wertvoll zu sein
 epistemischer Rücksicht ist aber Wahrheit          und um ein Verständnis der Wirklichkeit
 immer gegenüber Falschheit zu bevorzu-             zu ermöglichen? Wenn Wahrheit wirklich
 gen, wenn man die Wahl hat. Diese Ansicht          entthront ist, womit bzw. anhand welcher se-
 scheint prima facie plausibel zu sein, und         mantischen Konzepte lässt sie sich ersetzen?
 über sie besteht in der philosophischen Ge-        Inwiefern kann ein falsches Repräsentations-
 meinschaft ein relativ stabiler Konsens.           system mit Tatsachen verbunden, oder auf
     Doch eine solche Auffassung, behauptet         die Wirklichkeit gerichtet sein?
 Elgin, ist mit einem unüberwindbaren Pro-             Genau dies waren die Themen eines Gast-
 blem konfrontiert: Sie sei nicht in der Lage,      vortrags und eines internationalen Buch-
 dem kognitiven und epistemischen Wert              Symposiums mit Catherine Z. Elgin (Harvard
 der Wissenschaft gerecht zu werden. In der         University) im März 2018 an der Universität
Wissenschaft spielen nämlich zahlreiche             Innsbruck. Gastgeber war das Institut für
„Falschheiten“ – wie z. B. Idealisierungen,         Christliche Philosophie; die Organisatoren
 Modelle oder Gedankenexperimente – eine            waren Federica Malfatti, Katherine Dorman-
 sehr wichtige oder sogar unverzichtbare            dy und Christoph Jäger; die Veranstaltung
 Rolle. Eine strikt veritistische Erkenntnis-       erfolgte im Rahmen des Doktoratskollegs
 theorie ist verpflichtet, solche Falschheiten     „Religionsphilosophie“. Am Mittwochabend
 als bloße heuristische Mittel zu betrachten,       sprach Elgin im Rahmen des wöchentlichen
 und zu behaupten, dass diese im Laufe des          Forschungsseminars des Instituts vor einem
 wissenschaftlichen Fortschritts verschwin-         breiten und bunten Publikum über die Art
 den werden. Diese Perspektive, so Elgin, ist       und Weise, wie wir anhand von Modellen
 aber weder plausibel noch wünschenswert.           ein Verständnis der Wirklichkeit gewinnen
 Die Ungenauigkeit von Modellen und Idea-           und wie sich theoretische auf reale Syste-
 lisierungen ist laut Elgin kein Defizit – nicht    me beziehen können. In den nachfolgen-
10
den zwei Tagen trafen sich Philosophinnen     anderem insofern, als diese die Wirklich-
und Philosophen aus sechs Ländern, um         keit sukzessiv genauer abbilden und sich der
die in True Enough enthaltenen Thesen ge-     Wirklichkeit in gewisser Maße annähern?
meinsam mit Elgin kritisch zu diskutieren.    Und auch angenommen, gewisse falsche Re-
Vorträge lieferten Christoph Baumberger       präsentationssysteme spielen in der Wissen-
(Zürich), Jochen Briesen (Berlin), Henk De    schaft eine wichtige oder sogar unverzicht-
Regt (Amsterdam), Finnur Dellsén (Háskóli     bare Rolle – findet epistemischer Fortschritt
Íslands), Roman Frigg (LSE), Emma Gordon      nicht u. a. insofern statt, als wir wahre und
(Edinburgh), Christoph Jäger (Innsbruck),     gerechtfertigte Überzeugungen darüber bil-
Insa Lawler (Bochum), und Federica Malfat-    den, genau wo und inwiefern solche Reprä-
ti (Innsbruck).                               sentationssysteme von der Wirklichkeit (bzw.
    Ist Wahrheit tatsächlich vom Thron ge-    von einer wahren Beschreibung der Wirk-
stoßen, wie Elgin behauptet? Zu den Ergeb-    lichkeit) abweichen? Welche Rolle genau die
nissen des Symposiums gehört die Einsicht,    Wahrheit in unserem Verständnis der Welt
dass wir auf einen Wahrheitsbezug vermut-     spielt, bleibt eine offene Frage, die Erkennt-
lich nicht verzichten können, wenn wir die    nistheoretiker und Wissenschaftstheoretiker
Perspektive eines wissenschaftlichen und      weiter herausfordern wird.
epistemischen Fortschritts aufrechterhalten
wollen. Werden unsere Theorien und unse-                              Federica Malfatti
re Überzeugungssysteme nicht besser, unter

                                                                                         11
Offizieller Abschluss des Projekts
„Analytic Theology and the Nature of God“:
Internationale Summer School und Konferenz
in Innsbruck

„Analytic Theology“ steht für das Bemühen,      wurden bei beiden Veranstaltungen behan-
theologische Fragestellungen mithilfe der       delt, für welche sich mehr als 80 Studierende
Methoden und Einsichten der analytischen        der Philosophie und Theologie aus 27 ver-
Religionsphilosophie zu bearbeiten und          schiedenen Nationen beworben haben. In
 in Beziehung zu anderen philosophischen        einem kompetitiven Auswahlverfahren wur-
Traditionen zu setzen. Dieses Bemühen           den 18 Bewerber und Bewerberinnen aus elf
spiegelt inzwischen einen weltweit wach-        verschiedenen Nationen, darunter Brasilien,
senden Trend wieder, da es Projekte zur         USA, Polen, Russland, Israel, Türkei und der
analytischen Theologie nicht nur in christ-     Tschechischen Republik ausgewählt. Für die
 lich geprägten Kreisen in Nordamerika,         Summer School konnten als renommierte
Europa oder Australien gibt, sondern neu-       Lehrende Prof. Christoph Jäger (Innsbruck),
erdings auch innerhalb der jüdischen und        Prof. Yujin Nagasawa (Birmingham, UK)
 islamischen Tradition.                         und Prof. Thomas J. Oord (NNU, USA) ge-
                                                wonnen werden. Vormittags präsentierten
Seit 2010 wurden unter der Gesamtkoordi-        sie verschiedene Gotteskonzepte und damit
nation von Georg Gasser zwei Großprojekte       zusammenhängende aktuelle Entwicklun-
von der John Templeton Foundation finan-        gen aus Religionsphilosophie und Theologie,
ziert, um „Analytic Theology“ in der euro-      während nachmittags die Studierenden ihre
päischen theologischen und religionsphilo-      Forschungsarbeiten vorstellten.
sophischen Forschungslandschaft nachhaltig         Der bunte Mix der Studierenden führte
zu verankern. Das zweite Großprojekt unter      zu spannenden Diskussionen, vielen berei-
dem Gesamttitel „Nature of God“ (Laufzeit       chernden persönlichen Begegnungen und
2015–2018) fand mit einer von Georg Gasser      dem Knüpfen wertvoller fachlicher Kon-
und Simon Kittle organisierten internationa-    takte. Gerade der letzte Punkt ist besonders
len Summer School (24. 7. bis 4. 8. 2018) und   hervorzuheben, da ein wesentliches Ziel
daran anschließenden Konferenz zum The-         der Summer School darin bestand, junge
ma „Personale und A-Personale Gotteskon-        NachwuchswissenschaftlerInnen mit ähnli-
zepte“ (6. bis 8. 8. 2018) in Innsbruck einen   chen Interessen miteinander in Kontakt zu
gebührenden Abschluss.                          bringen, sodass sich mittelfristig ein stabiles
   Welche moralische Pflichten – wenn über-
haupt – hat eine vollkommene Person? Kann
nur ein leidender Gott den Menschen nahe
sein? Ist Zeitlosigkeit an A-Personalität ge-
knüpft? Ist ein a-personaler Gott überhaupt
verehrungswürdig? Ist der Gott des Sufismus
eher a-personal als personal? Lässt sich ein
personaler Gott in ein pantheistisches Welt-
bild integrieren? Diese und ähnliche Fragen
12
Netz von Forschern und Forscherinnen mit        menheit. Sogenannte alternative Gotteskon-
einem Interesse an analytischer Theologie       zepte versuchen hingegen – meist aus philo-
etablieren kann. Dass die Zusammenarbeit        sophischen Gründen und aufgrund gewisser
zwischen verschiedenen Mitgliedern dieses       Schwächen der soeben genannten Alternati-
Netzwerk bereits funktioniert, zeigt etwa die   ven – Gottesbegriffe zu entwickeln, die mit
Tatsache, dass bei der an die Summer School     einem naturalistischen Weltbild kompatibel
anschließenden dreitätigen Konferenz einige     sind bzw. explizit auf nicht-christliche reli-
Konferenzteilnehmer und ein Konferenz-          giöse Traditionen und pantheistische Welt-
sprecher an ehemals organisierten Summer        deutungen zurückgreifen. Inwiefern diese
Schools in Innsbruck 2014 und München           Entwicklung mit zunehmend pluralistischen
2016 als Studierende teilgenommen haben.        Gesellschaften zusammenhängt, in welchen
   Bei der Konferenz selbst präsentierten 17    traditionell kirchlich vermittelte Gottes-
bekannte Forscherinnen und Forscher aus         vorstellungen nur eine Option unter vielen
den USA, England, Deutschland, Polen, Spa-      darstellen, sei dahingestellt. Dass aber alter-
nien, Israel, Südkorea und Österreich ihre      native Gottesbegriffe einen Aufwärtstrend
Überlegungen zu theoretischen und prakti-       verzeichnen, deuten auch verschiedene reli-
schen Dimensionen personaler und a-perso-       gionssoziologische Studien an, denen gemäß
naler Gotteskonzepte. Die aus den Vorträgen     viele Zeitgenossen a-personalen Gottesbil-
resultierenden Beiträge sollen bei einem in-    dern einen größeren Plausibilitätsgrad und
ternationalen Verlag 2019 publiziert werden.    eine höhere Vernünftigkeit zusprechen als
   Dass sich die Summer School und Kon-         einem personalen Gottesverständnis. Den
ferenz dem Thema „a-personale“ Gottes-          Fragen, inwieweit das Gottesbild der christ-
konzepte widmete, hängt insbesondere da-        lichen Tradition auf diese Herausforderung
mit zusammen, dass es zunehmend in das          angemessen reagieren kann und wo die Leis-
Zentrum religionsphilosophischer Debatten       tungsgrenzen alternativer Gotteskonzepte
rückt. In der gegenwärtigen Debatte lässt       zu ziehen sind, werden sich Mitglieder des
sich – skizzenhaft dargestellt – von drei un-   Netzwerkes, das sich aus den „Analytic-
terschiedlichen Traditionssträngen im Hin-      Theology“-Projekten ergeben hat, also in
blick auf Gotteskonzeptionen sprechen: Der      Zukunft vermehrt widmen müssen. So etwa
sogenannte klassische Theismus verteidigt       bei einem Forschungsprojekt zum Verhält-
einen stark metaphysisch verankerten Got-       nis von Gottesbild und Übel in der Welt an
tesbegriff, bei dem die Einfachheit und onto-   der Universität Navarra (Spanien), das vor
logische Unabhängigkeit (Aseität) Gottes im     kurzem von der spanischen Agentur für For-
Mittelpunkt stehen. Der sogenannte perso-       schungsförderung positiv begutachtet wurde
nale Theismus betont die soteriologisch rele-   oder einer Vorlesungsreihe zur analytischen
vante Beziehung Gottes zum Menschen und         Theologie an der Universität Torun (Polen)
versieht Gott daher im Wesentlichen mit         2019.
personalen Attributen wie Gottes Freiheit,
Allwissenheit oder moralischer Vollkom-                                       Georg Gasser

                                                                                            13
Outreachprogramm für die Studierenden
von morgen

 Im Rahmen des von der John Templeton          Mainz (2018) eingeladen, wo sie mit Fachex-
 Foundation finanzierten und breit ange-       perten ihre Essays diskutieren durften und
 legten Forschungsprojekts „Analytic Theo-     die Fragestellung vertiefen konnten. Die Re-
 logy: Nature of God“ (Laufzeit: 2015–2018)    sonanz der eingeladenen Schülerinnen und
 wurde erstmals auch ein Outreachpro-          Schüler fiel durchwegs positiv aus und, wie
 gramm angeboten, das sich speziell an         man an einzelnen Rückmeldungen entneh-
Schülerinnen und Schüler im Alter von 16       men konnte, erscheint Christliche Philoso-
 bis 19 Jahren richtet. Das Ziel bestand       phie danach ungleich attraktiver, als auf den
 darin, in elementarisierter Form zentrale     ersten Blick angenommen.
Themen- und Fragestellungen des Projekts,
 wie etwa die Frage nach dem Verhältnis
 von „Schöpfung und Evolution“ oder von        Essaywettbewerb 2017: Schöpfung und
„Wahrheit und Religion“ für die Studieren-     Evolution – Das Problem des Zufalls
 den von morgen aufzubereiten.
                                               1. Preis: Veronika Krapfenbacher (BG/BRG
Dazu wurde versucht, in Form zweier Es-        Wieselburg, Niederösterreich / A), 1.000
saywettbewerbe und Summer Schools einen        Euro
Gesprächsfaden zu stiften. Insgesamt folg-     2. Preis: Simon Pilshofer (Bischöflisches
ten den Einladungen zu diesen Essaywett-       Gymnasium Petrinum Linz, Oberösterreich
bewerben 275 Schülerinnen und Schüler          / A) und Stefan Fürböck (Bischöfliches Gym-
aus Deutschland, Österreich und Südtirol.      naisum Graz, Steiermark /A), 600 Euro
216 Essays, die in Einzel- und Partnerar-      3. Preis: David Lamprecht (Vinzentinum
beit entstanden, wurde eingereicht und in      Brixen, Trentino / I), 200 Euro
einem mehrstufigen Auswahlverfahren von        3. Preis: Lisa Maria Fischer (BG/BRG Stocke-
einer externen Jury, an deren Spitze u. a.     rau, Niederösterreich / A), 200 Euro
Forschungspersönlichkeiten, wie Reinhart
Kögerler (Präsident der Christian Doppler
Gesellschaft), Ulrich Körtner (Wissenschaft-   Essaywettbewerb 2018 : Religion und
ler des Jahres) oder Andreas Lob-Hüdepohl      Wahrheit – Das Problem des Religiösen
(Mitglied des Deutschen Ethikrats) standen,    Pluralismus
evaluiert. Neben Geldpreisen (s. u.) wur-
den die besten Beitragsteller jeweils zu ei-   1. Preis: Linda Kolb (Johannes Butzbach
ner Summer School nach Brixen (2017) bzw.      Gymnasium Neukirchen, Bayern / D), 1.000
                                               Euro
                                               2. Preis: Florian Frühhaber (Gymnasium
                                               Christian-Ernestinum Bayreuth, Bayern / D),
                                               500 Euro
                                               2. Preis: Jonas Winter (Kollegium Aloisia-
                                               num Waldneukirchen, Oberösterreich / A),
                                               500 Euro

                                                                       Klaus Viertbauer
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Von Metaphern und Maschinen:
Der Austro-Canadian Roboethics Workshop 2018

Der einmal pro Jahr in Kooperation mit           tikerin und Soziologin Ina Wagner (Multi­
dem Zentrum für Kanadastudien veran-             disziplinäres System Design, TU Wien) und
staltete Austro-Canadian Ethics Workshop         der Philosoph und Pflegewissenschaftler
unter der Federführung von Claudia Pa-           Patrick Schuchter (Universität Graz) gehen,
ganini hat mittlerweile schon Tradition.         wenn sie davor warnten, die anspruchsvollen
Nachdem sich die ebenso interdisziplinä-         Herausforderungen des Pflegesystems undif-
ren wie internationalen Referenten in den        ferenziert durch das Allheilmittel Roboter
vergangenen Jahren mit Medienethik, Me-          lösen zu wollen.
dizinethik und Tierethik beschäftigt hatten,        Der kanadische Ingenieur und Gastvor-
veranstalteten Georg Gasser und Claudia          tragende Mike von der Loos (UBC Vancou-
Paganini heuer eine Fachtagung zum The-          ver) dagegen präsentierte eine grundsätzlich
ma Roboterethik, wobei der Schwerpunkt           positive und weniger skeptische Sicht der
der Zukunftsvision sozialer Roboter im Be-       Mensch-Maschine-Interaktion, sprach aber
reich der (Alten)Pflege gewidmet war.            zugleich das Problem der Täuschung an, der
                                                 man sich bis zu einem gewissen Grad hinge-
 Neu war dabei zum einen, dass man mit dem       ben müsse, wenn man in einem Roboter ei-
WuV (Arbeitskreis Wissenschaft und Verant-       nen sozialen Gefährten finden wolle. Genau
wortlichkeit) einen weiteren Partner gewon-      diese Unidirektionalität auf der Ebene von
 nen hatte, zum anderen, dass der Abendvor-      Gefühlen und Beziehung nahm der Philo-
 trag samt anschließender Podiumsdiskussion      soph Georg Gasser zum Ausgangspunkt für
– um ein breiteres Publikum anzusprechen –       seine anthropologischen Betrachtungen ei-
 auf Deutsch gehalten wurde. Beide Neuerun-      ner (un)möglichen Freundschaft zwischen
 gen haben sich bewährt. Denn die Claudiana      Mensch und Maschine. Roboter als „social
war bis auf den letzten Platz gefüllt, als die   companions“ könnten seiner Meinung nach
 Südtiroler Medienwissenschaftlerin Claudia      in der Zukunft durchaus sinnvoll eingesetzt
 Gerstl mit einer spannenden Präsentation        werden, würden zwischenmenschliche Be-
 über die vielfältigen Formen von Beziehun-      ziehungen aber keinesfalls substituieren
 gen zwischen Robotern und Menschen in           können. Alles in allem wurde bei diesem
 Science Fiction Filmen die Tagung eröffnete.    dichten und spannenden Workshop das zu-
    Diese Aufmerksamkeit auf die menschli-       nehmend gesellschaftlich relevante Themen-
 che Vorstellung und das menschliche Reden       feld Roboterethik aus dem Blickwinkel der
von Robotern, griff dann der Medienpäda-         Robotik, Informatik, Medienwissenschaft,
 goge und Kommunikationswissenschaftler          Philosophie und den Pflegewissenschaften
Theo Hug auf, indem er sich den Metaphern        abgesteckt. Fragen wie, wer in Zukunft auf
 zuwandte, mit denen wir uns auf Roboter         welche Weise Pflege bewerkstelligen wird
 beziehen. Dabei stellte er die kritische Fra-   und ob uns Robo-Pets und soziale Robotor
 ge, warum wir angesichts der vielen ebenso      im Alltag begleiten sollen, sind Themen, die
 drängenden wie komplexen Probleme der           die Gesellschaft von morgen mit Sicherheit
 Gegenwart ausgerechnet technische Lösun-        bewegen werden.
 gen suchen. In eine ähnliche Richtung sollten
 am Abend auch die Teilnehmer an der Po-                                 Claudia Paganini
 diumsdiskussion, die Physikerin, Informa-
                                                                                          15
Vom guten Leben und Sterben:
Wachsendes Interesse an der Medizinethik

Wann ist ein Therapieabbruch ethisch ge-         die medizinische Seite über anamnetische
rechtfertigt? Was bedeutet gute palliative       und differenzialdiagnostische Aspekte,
Pflege? Welchen Stellenwert hat das ethi-        sowie konkrete Therapieschritte bis hin zu
sche Prinzip der Autonomie? Sollen Impf-         entsprechenden Absprachen mit der Pflege,
gegner als autonome Subjekte in ihrer Frei-      und, falls erforderlich, mit psychologischen
heit akzeptiert werden oder gefährden sie        und sozialen Diensten referiert, beleuchten
durch ihr Verhalten ihre eigene Gesundheit,      Dr. Gasser und Dr. Paganini die ethische
sowie die anderer Personen? Worin besteht        Problemstellung, sozial- und kommunikati-
der ethische Unterschied zwischen „ster-         onstheoretische Aspekte, die Dimension der
ben lassen“ und „töten“? Was bedeutet ein        Spiritualität am Lebensende, sowie mögliche
Sterben in Würde?                                religiöse Einflussfaktoren bei der Entschei-
                                                 dungsfindung.
Ärztliches Personal und Pflegekräfte sehen          Um die „graue Theorie“ plastisch werden
sich in ihrer Arbeit häufig direkt oder indi-    zu lassen, ist in die Lehrveranstaltung zudem
rekt mit diesen und ähnlichen Fragen kon-        eine Art „bedside-teaching“ integriert wor-
frontiert. Während in zahlreichen Ländern        den: Die Studierenden besuchen im Rahmen
bio- und medizinethische Lehrveranstal-          der Lehrveranstaltung auch Patienten und
tungen im Studium bzw. in den jeweiligen         Patientinnen auf Stationen wie der neonato-
Facharzt- und Pflegeausbildungen vorge-          logischen Intensivstation, der pädiatrischen
schrieben sind, finden sich diese Lehrveran-     Intensivstation oder der Kinderonkologie
staltungen hierzulande höchstens als Wahl-       bzw. treffen sich mit betroffenen Eltern, Psy-
fächer wieder.                                   chologen oder Therapeuten. Es folgt eine me-
   Dr. Claudia Paganini und Dr. Georg Gas-       dizinethische Reflexion und der Austausch
ser engagieren sich seit einigen Jahren als      über die persönlichen Eindrücke. Die so kon-
Team in medizinethischen Lehrveranstaltun-       zipierten Lehrveranstaltungen werden sehr
gen an der Medizinischen Universität Inns-       gut aufgenommen. Das semestrale Angebot
bruck (MUI). Der Ursprung dieses Engage-         mit max. 15 Plätzen ist nach wenigen Tagen
ments geht auf die Initiative des ehemaligen     ausgebucht und das Feedback der Studie-
Primars der Kinderheilkunde, Prof. Dr. Ger-      renden ist durchwegs positiv. Der abwechs-
hard Gaedicke zurück, der Medizinethikvor-       lungsreiche Mix aus Stationsbesuchen und
lesungen an der Klinik für Kinderheilkunde       anschließenden Reflexionen, Präsentationen
als interdisziplinäres Wahlfach fix verankerte   und Kurzessays zu zentralen Konzepten der
und dafür nach ethischer Expertise Ausschau      Medizinethik, sowie Diskussionen mit The-
hielt. Seine Idee war das Wahlfach als inter-    rapeuten, Angehörigen und Patienten stellt
disziplinäres Teamteaching zu konzipieren,       eine willkommene inhaltliche Bereicherung
bei dem jeweils ein Vertreter aus Medizin        dar. Zudem gibt es genügend Raum für Dis-
und Philosophie gemeinsam die Lehrveran-         kussionen, die im lern- und praktikumsin-
staltung leiten, um ein medizinisch relevantes   tensiven Medizinstudium traditionell einen
Fallbeispiel aus verschiedenen Perspektiven      geringeren Stellenwert einnehmen.
in all seiner Komplexität beleuchten und re-        Dr. Gasser und Dr. Paganini denken mit
flektieren zu können. Die Grundausrichtung       Kollegen und Kolleginnen von der MUI be-
dieses Konzepts hat sich bewährt; während        reits über einen Ausbau des Angebots nach.
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Die Etablierung einer Art „medizinethi-
schen Simulationszentrums“ auf Basis des
sogenannten „Multiple Mini Interview“-
Konzepts, das vor einigen Jahren an der
McMaster University (Kanada) entwickelt
wurde, schwebt als mittelfristiges Ziel vor
Augen und würde zugleich neue Maßstäbe
der medizinethischen Ausbildung in Öster-
reich setzen. In einem solchen Simulations-
zentrum sollen angehende Mediziner und
Medizinerinnen entscheidende Fähigkeiten
ärztlichen Handelns an verschiedenen Sta-       Gasser und Dr. Paganini sind diese medizi-
tionen trainieren und testen können wie         nethischen Lehrveranstaltungen neben zahl-
z. B. Kommunikationsvermögen, Erfassen          reichen bereichernden Begegnungen mit
wesentlicher ethischer Aspekte eines Fallbei-   Patienten, Angehörigen, Pflegekräften und
spiels oder die Bereitschaft eigene Grenzen     ärztlichem Personal auch eine schöne Gele-
zu akzeptieren und Hilfe anzufordern. Wäh-      genheit zu zeigen, dass Philosophie nicht nur
rend Medizinethik lange Zeit ein Aschenput-     spannende Gedankenakrobatik ist, sondern
tel-Dasein in der Medizin geführt hat, zeigen   zu einem guten Leben (und Sterben) einen
diese Initiativen, dass inzwischen von medi-    unabdingbaren Beitrag leisten kann.
zinischer Seite nach ethisch-philosophischer
Expertise Ausschau gehalten und diese auch                                   Georg Gasser
dankbar angenommen wird. Und für Dr.

Wie lässt sich Gott erkennen?

In der gegenwärtigen Religionsphiloso-          nahe an der Realität des religiösen Glaubens:
phie wird zunehmend die Idee eines fideis-      Belege können alles, was uns über Gott – sei-
tischen „Glaubenssprungs“ vertreten, d. h.,     ne Existenz, seinen Charakter und seinen
dass man auch ohne zureichenden episte-         Willen für unser Leben – zu informieren ver-
mischen Grund an Gott glauben soll. Dem-        mag, aufzeigen. Mit eingeschlossen sind in-
gegenüber verteidige ich die evidentialis-      tellektuelle Überlegungen aber auch eigene
tische Ansicht, dass Gott am besten durch       Erfahrungen, von mystischen Begegnungen
Anknüpfungspunkte für die Wahrheit, an-         bis hin zu schlichten Alltagserlebnisse von
ders gesagt durch Belege, zu erkennen           Gottes Führung in unserem Leben, sowie die
ist – d. h., durch Informationen, die durch     kollektive Weisheit religiöser Traditionen.
unsere Erfahrungen und Überzeugungen                Es gibt eine häufig übersehene Quelle
geliefert werden.                               von Belegen über Gott, nämlich die Meinun-
                                                gen andersdenkender Menschen – seien sie
Der Evidentialismus hat den schlechten Ruf,     Angehörige anderer religiösen Traditionen
religiöse Erkenntnis auf philosophische Be-     oder die Marginalisierten aus der eigenen
weise oder empirische Daten zu reduzieren.      religiösen Gemeinschaft. Diese These mag
Meine evidentialistische These bleibt jedoch    überraschen, denn religiöse Gemeinschaften
                                                                                          17
neigen dazu, den offenen Diskurs und Dis-        tieferes Verständnis, eine sicherere Gebor-
sens als epistemisch gefährlich zu betrachten.   genheit und eine authentischere Liebe.
Vielmehr gehen sie von der Grundüberzeu-             Dieses Argument führe ich in meinem
gung aus, dass die Schätze des Glaubens viel     Buchmanuskript Faith in Evidence aus. Je-
effektiver aufbewahrt werden, wenn man           doch sind viele der Ideen im Jahr 2018 in den
Dissens vermeidet.                               folgenden begutachteten Fachzeitschriften
   Doch durch die Beeinträchtigung von           schon erschienen:
Dissens begehen wir das Risiko, Denkfehler       1. „������������������������������������
                                                      Disagreement from the Religious Mar-
aus unserem zeitlich und räumlich begrenz-          gins“, in Res Philosophica – zweitplatziert
ten Blickwinkel heraus als ewige Wahrheiten         im Wettbewerb New Frontiers in Philoso-
zu verkennen. Außerdem besteht die Gefahr,          phy of Religion; argumentiert dafür, dass
dass wir ein falsches Gottesbild vermitteln,        das Aufpassen auf marginalisierten Stim-
gemäß dem sich Gott für unseren blinden             men innerhalb einer religiösen Gemein-
Gehorsam statt für unsere vom Verständnis           schaft aus erkenntnistheoretischer Sicht
angetriebene Liebe interessiert. Der Dis-           wichtig ist.
kurs und der Dissens hingegen fordern uns        2. „Resolving Religious Disagreements: Evi-
heraus, unseren Glauben – und daher auch            dence and Bias“, in Faith and Philosophy –
Gottes Charakter – besser zu verstehen und          über die Relevanz kognitiver Verzerrun-
den Glaubensweg daher authentischer zu be-          gen bei der Gewichtung von Belegen über
gehen.                                              die Religion.
   Ein Grund also, weshalb Belege – mitsamt      3. „Evidence-Seeking as an Expression of
dem Dissens mit Andersdenkenden – für               Faith“, in American Catholic Philosophical
den Glauben wichtig sind, liegt daran, dass         Quarterly – argumentiert dafür, dass die
sie Anknüpfungspunkte zur religiösen Wahr-          Suche nach Belegen für einen lebendigen
heit sind. Daraus ergeben sich zwei weitere         Glauben wichtig sein kann.
Gründe, die jeweils zwei Komponenten eines       4. „Epistemic Authority: Preemption or Pro-
solchen Glauben entstammen: dem Vertrau-            per Basing?“ in Erkenntnis – plädiert für
en in Gott und der Liebe zu ihm. Was das            einen in Vernunft gegründeten Umgang
Vertrauen betrifft, gilt, dass umso besser wir      mit epistemischer Autorität.
eine vertraute Person kennen (sprich: umso       5. „Does Epistemic Humility Threaten Re-
besser unsere Belege über sie sind), desto          ligious Beliefs?“ in Journal of Psychology
zuversichtlicher können wir sein, dass sie          and Theology – eine Diskussion der er-
vertrauenswürdig ist – und desto geborge-           kenntnistheoretischen Gefahren religiö-
ner können wir in unserem Vertrauen in sie          sen Fundamentalismus.
sein. Hinsichtlich der Liebe gilt, wenn unsere
Überzeugungen über eine geliebte Person auf      Die katholisch-Theologische Fakultät Inns-
guten Belegen (nicht zuletzt ausführlichen       bruck hat sich als hervorragender Ort er-
Erfahrungen mit ihr) beruhen, sind wir in        wiesen, diese Ideen im interdisziplinären
der Lage, sie selbst zu lieben, anstatt eines    Gespräch mit Philosophen und Philosophin-
Abbilds, das wir uns von ihr machen.             nen, Theologen und Theologinnen und Bi-
   Zusammenfassend ist Gott am besten            belwissenschaftler und Bibelwissenschaftle-
durch Belege, inklusive des Diskurses mit        rinnen zu entwickeln.
Andersdenkenden, zu erkennen. Die beleg-
basierte Gotteserkenntnis wiederum berei-                            Katherine Dormandy
chert den Glauben, denn sie ermöglicht ein

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