Fragile Freundschaft Eine Meinungsumfrage zu den deutsch-italienischen Beziehungen - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Michael Braun, Frederic Malter, Tobias Mörschel Fragile Freundschaft Eine Meinungsumfrage zu den deutsch-italienischen Beziehungen
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA Europa braucht Soziale Demokratie! In welchem Europa wollen wir leben? Wie können wir unsere europäischen Träume von Freiheit, Frieden und Demokratie auch gegen innere und äußere Widerstände verwirklichen? Wie können wir die Soziale Demokratie stark in Europa positionieren? Diesen Fragen widmet sich die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer Reihe „Politik für Europa“. Wir zeigen, dass die europäische Integration demokratisch, wirtschaftlich sozial und außenpolitisch zuverlässig gestaltet werden kann und muss! Folgende Themenbereiche stehen dabei im Mittelpunkt: – Demokratisches Europa – Sozial-ökologische Transformation – Zukunft der Arbeit – Frieden und Sicherheit In Veröffentlichungen und Veranstaltungen greifen wir diese Themen auf. Wir geben Impulse und beraten Entscheidungsträger_innen aus Politik und Gewerk- schaften. Wir treiben die Debatte zur Zukunft Europas voran und legen konkrete Vorschläge zur Gestaltung der zentralen Politikfelder vor. Wir wollen diese Debatte mit Ihnen führen in unserer Reihe „Politik für Europa“! Weitere Informationen zum Thema erhalten Sie hier: www.fes.de/de/politik-fuer-europa Über diese Publikation Deutschland und Italien sind wichtige Partner- und Schlüsselländer der EU. Sie unterhalten seit Jahrzehnten vielfältige politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Beziehungen und sind in vielen Bereichen eng verflochten. Aber wie ist es um die Qualität und Intensität der deutsch-italienischen Beziehungen bestellt? Wie gut kennen wir einander und welche Bilder und Vorstellungen haben wir von- einander? Welche Erwartungen haben die Menschen in Deutschland und Italien an das jeweils andere Land und an die gemeinsame Zusammenarbeit? Und welche Rolle kommt Europa zu? Vor dem Hintergrund dieser Fragen hat die Friedrich-Ebert-Stiftung Italien eine repräsentative Meinungsumfrage in beiden Ländern durchgeführt, für die in jedem Land 1.650 Personen befragt wurden. Die Antworten zeigen, dass jenseits eines breiten Grundkonsenses die Wahrnehmung der Situation der beiden Länder, ihrer Stellung in der EU und ihrer bilateralen Beziehungen in der Summe durchaus unter- schiedlich ist. Die Menschen beider Länder wünschen sich eine enge und gute Zusammenarbeit von Deutschland und Italien in einer starken EU. Allerdings ist das deutsch-italienische Verhältnis weder konflikt- noch widerspruchsfrei und durchaus von Stereotypisierungen geprägt. Über die Autoren Dr. Michael Braun ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Italien Dr. Frederic Malter ist Manager bei Ipsos Deutschland Dr. Tobias Mörschel ist Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Italien Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Dr. Tobias Mörschel, FES Italien
Michael Braun, Frederic Malter, Tobias Mörschel Fragile Freundschaft Eine Meinungsumfrage zu den deutsch-italienischen Beziehungen Zusammenfassung 2 1. EINLEITUNG 4 2. GRUNDSTIMMUNG: PERSÖNLICHE SITUATION, WIRTSCHAFT, ZUKUNFTSERWARTUNGEN 6 2.1 Selbstverortung, Demokratie- und Lebenszufriedenheit 6 2.2 Wirtschaftliche Situation Deutschlands und Italiens 6 2.3 Verzerrte Wahrnehmungsmuster 7 2.4 Zwischenfazit 8 3. EUROPA: INTEGRATION – VERTRAUEN – HERAUSFORDERUNGEN 9 3.1 Vor- und Nachteile von EU und Euro 9 3.2 Beiträge Deutschlands und Italiens zur EU 11 3.3 Vertrauen ins eigene und in andere Länder 13 3.4 Aktuelle politische Herausforderungen und Zuständigkeiten für deren Lösung 16 3.5 Zwischenfazit 16 4. KULTUR UND KONTAKTE: PERSÖNLICHE BEGEGNUNG, WECHSELSEITIGES INTERESSE UND KENNTNISSE, MENTALITÄTEN UND STEREOTYPE 18 4.1 Bewertung der deutsch-italienischen Beziehungen 18 4.2 Unterschiedliches Interesse am jeweils anderen Land 19 4.3 Typisch deutsch, typisch italienisch – Selbst- und Fremdwahrnehmung 21 4.4 Konkrete Kenntnis zeitgenössischer Persönlichkeiten im Bereich „Kunst, Kultur und Sport“ 23 4.5 Zwischenfazit 25 5. NACHGEHAKT: WAS ERKLÄRT DIE EINSTELLUNGEN IN ITALIEN UND DEUTSCHLAND? 26 6. FAZIT UND AUSBLICK 27 Methodisches Vorgehen 28 Anhang 30 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 31
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 2 Zusammenfassung Deutschland und Italien sind wichtige Partner- und Schlüssel- länder der EU. Sie unterhalten seit Jahrzehnten vielfältige po- litische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Bezie- hungen und sind in vielen Bereichen eng verflochten. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Meinungs- umfrage zu den deutsch-italienischen Beziehungen, für die in jedem Land 1.650 Personen befragt wurden, hat ergeben, dass jenseits eines breiten Grundkonsenses die Wahrneh- mung der Situation der beiden Länder, ihrer Stellung in der EU und ihrer bilateralen Beziehungen in der Summe durchaus unterschiedlich ist. Die Menschen beider Länder wünschen sich eine enge und gute Zusammenarbeit von Deutschland und Italien in einer starken EU. Allerdings ist das deutsch-italienische Verhältnis weder konflikt- noch widerspruchsfrei und durchaus von Ste- reotypisierungen geprägt. Einem Deutschland mit robustem Selbstvertrauen, auch hinsichtlich der eigenen Rolle in Europa, steht ein deutlich skeptischeres und selbstkritischeres Italien mit einem leicht gebrochenen Verhältnis zur EU gegenüber. Die deutsch-italienischen Beziehungen verfügen über recht solide Fundamente. Der Charakter der Beziehungen stellt sich aus deutscher und italienischer Sicht jedoch unterschiedlich dar. So lässt sich aus deutscher Perspektive das Verhältnis zu Italien eher als ein freundschaftliches mit einer allerdings leicht paternalistischen Note bezeichnen. Von italienischer Seite werden die zwischenstaatlichen Beziehungen hingegen nüchterner als ein partnerschaftliches Verhältnis gesehen, allerdings im Bewusstsein (und manchmal auch mit der Fehl- wahrnehmung), mitunter der schwächere bzw. einflusslosere Partner zu sein. Die zentralen Befunde im Einzelnen: – Italiener_innen und Deutsche treffen sich weitgehend in ihrem Urteil über den Istzustand beider Länder: Der Deutschlands wird mehrheitlich als positiv, der Italiens mehrheitlich als eindeutig negativ beurteilt. Es fällt hier auf, dass die italienischen Befragten ein deutlich positive res Bild von Deutschland haben als die Deutschen selbst. – Dagegen gehen die Urteile über die Zukunftsperspek tiven zum Teil auseinander. Für Italien sind sowohl die italienischen als auch die deutschen Befragten eindeutig der Auffassung, dass das Szenario eher negativ ist. Für Deutschland dagegen haben die Italiener_innen weit positivere Erwartungen als die Deutschen selbst.
FRAGILE FREUNDSCHAFT – EINE MEINUNGSUMFRAGE ZU DEN DEUTSCH-ITALIENISCHEN BEZIEHUNGEN 3 – Bei den Befragten beider Länder ist eine kontrafaktische – Es besteht eine Asymmetrie des Interesses am jeweils Generalisierung des Negativbilds Italiens zu konstatieren. anderen Land. Vordergründig ergeben sich deutliche Hinzu kommt bei den italienischen Befragten spiegel- Unterschiede in der Kenntnis des jeweils anderen Landes, bildlich eine starke Überschätzung Deutschlands. schon weil die deutschen Befragten in ihrer übergroßen Mehrheit und meist mehrfach Italien schon bereist haben. – Das Gesamtbild ist mithin sehr asymmetrisch. Während die Befragten beider Länder Italien auf ökonomischem – Dennoch sind die Einschätzungen über das jeweils an- Feld generell als defizitär einschätzen, halten sie – und dere Land und seine Bewohner_innen in gleichem Maße hier die Italiener_innen noch mehr als die Deutschen – von althergebrachten Stereotypen geprägt. Die Deut- Deutschland generell für ein virtuoses Land. schen sehen die Italiener_innen als Volk von genießeri- schen, lockeren, aber auch sehr traditionell und religiös – Bei der Haltung der Italiener_innen und der Deutschen eingestellten Optimist_innen, die Italiener_innen die zur EU und zur Rolle ihrer Länder in der Union ergibt sich Deutschen wiederum als tiefgründige, regelfixierte, un- ein gebrochenes Bild. Bei den italienischen Befragten flexible und ernste Menschen. Allerdings überraschen überwiegen diejenigen, die in der EU und stärker noch in auf italienischer Seite Zuschreibungen für die Deutschen der Euro-Mitgliedschaft eher Nachteile als Vorteile für ihr wie „kreativ“, „genießerisch“ oder „locker“. Land erblicken. Zugleich sehen sie Italien, auch im Ge- gensatz zu Deutschland, als wenig einflussreich in der EU. – Gerade die offenen Antworten bekräftigen jedoch die Asymmetrie des Bildes, das beide Seiten voneinander – Die Befragten beider Länder sehen das jeweils andere haben: Deutschland als Ort der Effizienz, der perfekten Land in der Rolle des Profiteurs der EU. Dennoch sind in Organisation, der starken Wirtschaft, kurz: der Arbeit; beiden Ländern klare Mehrheiten für den Verbleib in der Italien als der Ort des schönen Wetters, des guten Es- EU und der Eurozone, und deutliche Mehrheiten auch bil- sens, der schönen Städte und Landschaften, kurz: des ligen die gemeinsame europäische Schuldenaufnahme Vergnügens. für die Überwindung der Folgen der Coronapandemie. – Italiener_innen vertrauen mehrheitlich Deutschland. Das Vertrauen in Italien dagegen ist unter den Deutschen – aber auch unter den Italiener_innen selbst – weit geringer. – Trotz ihres weniger positiven Blicks auf die EU setzen die Italiener_innen auf allen Politikfeldern außer Verteidi- gung stärker als die Deutschen auf die europäische statt der nationalen Lösungskompetenz. Sie sind skeptischer, haben aber auch höhere Erwartungen an die EU. – In beiden Ländern befürwortet die große Mehrheit der Befragten, dass Deutschland und Italien eng zusammen- arbeiten sollen. Trotz oder wegen der kritischeren Bewer- tung der bilateralen Beziehungen wird von italienischer Seite in noch höherem Maße eine enge Zusammenarbeit gewünscht als von deutscher Seite. – Die Befragten beider Länder unterscheiden sich darin, wie sie die Besonderheiten und Qualitäten des deutsch-italie- nischen Verhältnisses bewerten. Insgesamt fällt die Ein- schätzung der deutschen Befragten deutlich positiver aus.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 4 1 EINLEITUNG Wenige Länder unterhalten seit Jahrzehnten so enge politi- kana oder Umbriens und den Kunststädten wie Rom, Vene- sche, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Bezie- dig, Florenz angezogen. Pro Jahr kommen über 12 Millionen hungen wie Italien und Deutschland, und zwischen wenigen von ihnen für einen Urlaub oder einen Städtetrip nach Italien, Ländern auch lassen sich so zahlreiche historische Parallelen das so auch den kulturellen Habitus vieler Deutscher prägte ziehen wie zwischen ihnen. und prägt, egal ob es um Küche oder Mode geht. Beide waren über Jahrhunderte von kleinstaatlicher Zersplit- So eng die Beziehungen mithin sind, so vorschnell wäre den- terung geprägt und erlangten die Einigung in einem National noch der Schluss, sie seien aufseiten der Bevölkerungen bei- staat erst 1861 (Italien) bzw. 1870/71 (Deutschland), beide der Länder von vertiefter Kenntnis und erst recht von umfas- durchlebten die traumatischen Erfahrungen des Faschismus sendem Verständnis für die jeweils andere Seite geprägt. bzw. des Nationalsozialismus, auf die nach 1945 der republi- Schon im Jahr 2009 publizierte das Institut für Zeitgeschichte kanisch-demokratische Neuanfang folgte (in Deutschland München-Berlin einen Sammelband zu den deutsch-italieni- gilt dies für die Bundesrepublik), beide suchten auch deshalb schen Beziehungen mit dem fragenden Titel „Schleichende ihre Perspektive nicht in nationalstaatlicher Profilierung, son- Entfremdung?“1. Und seither haben die Motive einer solchen dern in der Integration ins westliche Bündnis und vor allem Entfremdung eher zu- als abgenommen. auch in der europäischen Integration: Italien wie Deutschland gehörten 1957 zu den sechs Gründerstaaten der Europäi- In der deutschen Öffentlichkeit waren es seit den 90er Jahren schen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Beide wurden in den zunächst die politischen Umbrüche Italiens, die Unverständ- 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den nis hervorriefen, beginnend mit dem – mit Kopfschütteln „Wirtschaftswunder“-Nationen, die mit den höchsten Wachs- wahrgenommenen – politischen Aufstieg Silvio Berlusconis tumsraten in Europa glänzten. 1994. Und als dessen Stern nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident 2011 sank, sorgten der enorme Erfolg erst Beachtlich sind die ökonomischen Verflechtungen, die in den der Anti-Establishment-Bewegung der Fünf Sterne, dann der letzten Jahrzehnten immer enger geworden sind. Deutsch- rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega unter Matteo land ist für Italien der bei Weitem wichtigste Handelspartner, Salvini erneut für Irritation. auf den 16,3 % der Exporte und gut 12 % der Importe entfal- len, während Italien für Deutschland bei den Exporten, die Zu den in Deutschland gepflegten Sorgen um die politische sich 2019 auf 68 Milliarden Euro summierten, an fünfter Entwicklung gesellten sich die Sorgen um die ökonomische Stelle liegt. Allein die Lombardei mit einem Import-Export- Situation des Landes. Spätestens seit dem Ausbruch der Volumen im Handel mit Deutschland von 44,3 Milliarden Eurokrise 2010/11 ist Italien in deutschen Augen ein Land, Euro (2019) überholt zum Beispiel Japan, das als Handels- das vor allem durch seine hohe Staatsverschuldung und partner Deutschlands auf ein Volumen von 44,2 Milliarden seine niedrige Wirtschaftsdynamik auffällt und deshalb als Euro kommt. potenziell bedrohlicher Krisenfaktor in der Eurozone miss trauisch beäugt wird. Auch gesellschaftlich intensivierten sich die Beziehungen, wenn auch asymmetrisch. Italien war das erste Land, mit Doch auch auf italienischer Seite hat sich das Bild Deutsch- dem Deutschland – im Jahr 1955 – ein Anwerbeabkommen lands in den letzten zehn Jahren deutlich eingetrübt, wiede- für Gastarbeiter (wie sie damals genannt wurden) abschloss. rum im Gefolge vor allem der Eurokrise. „Brüssel und Berlin“ Seitdem ist italienische Immigration in Deutschland zur fes- wurden, gegebenenfalls unter Hinzufügung von Paris, in ten Größe geworden; fast 800.000 italienischstämmige weiten Teilen der italienischen Öffentlichkeit, aber auch bei Menschen (von ihnen über 300.000 in Deutschland gebo- Parteien wie Berlusconis Forza Italia, der Lega und den Fünf ren) leben gegenwärtig in Deutschland. Sternen, zur Chiffre für eine Politik, die den Euro zu retten suchte, indem sie vorneweg dem in Italien mit Sympathie be- Auf der anderen Seite wurde Italien für die Deutschen seit den 50er Jahren zu einem der beliebtesten Urlaubsländer: 1 Gian Enrico Rusconi, Thomas Schlemmer, Hans Woller (Hg.): Schleichende Die Deutschen werden von den Stränden der Adria, Apuliens Entfremdung? Deutschland und Italien nach dem Fall der Mauer, Berlin oder Sardiniens genauso wie von den Landschaften der Tos- 2009.
FRAGILE FREUNDSCHAFT – EINE MEINUNGSUMFRAGE ZU DEN DEUTSCH-ITALIENISCHEN BEZIEHUNGEN 5 trachteten Griechenland, aber auch Italien selbst eine als un- weiten Teilen der italienischen Bevölkerung (und Politik) zu erträglich empfundene Austeritätspolitik aufbürdete. Hierzu viel Enttäuschung über Deutschland und Europa. In Italien gesellte sich von 2014 an die italienische Wahrnehmung, in verfestigte sich zusehends das Gefühl, in dieser schweren der Flüchtlingskrise von einem deutsch dominierten Europa Krise erneut alleingelassen worden zu sein. Starke Ent „alleingelassen“ zu werden, eine Wahrnehmung, die erneut fremdungstendenzen und das Wiederaufleben stereotypi- auch im politischen Raum virulent wurde, da vor allem die sierter Wahrnehmungen des jeweils anderen Landes waren Lega sie politisch kapitalisierte. festzustellen. Italien und Deutschland sind mithin zwei Länder, die in ihrer Die Etablierung des EU-Programms „Next Generation EU“, engen Verflechtung aufeinander angewiesen sind, deren Be- das mit einer deutschen 180-Grad-Wende im Blick auf eine ziehungen jedoch auch von Spannungen und Friktionen ge- gemeinschaftliche Schuldenaufnahme der EU verbunden war zeichnet sind. Vor diesem Hintergrund gab die Friedrich- und auf dem EU-Gipfel im Juli 2020 verabschiedet wurde, Ebert-Stiftung Italien schon im Jahr 20162 eine Umfrage unter entspannte die Situation. Mit der deutschen Ratspräsident- italienischen und deutschen Bürger_innen in Auftrag, um schaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 verband Italien dann deren Blick auf das jeweils andere Land ebenso wie auf hohe Erwartungen. Europa zu erfassen. Hierbei wurde deutlich, dass Italien die Rolle Deutschlands in der EU besonders kritisch sieht. Die Vor diesem Hintergrund hat die Friedrich-Ebert-Stiftung Italien K ritik an einer vermeintlich an den nationalen Interessen aus- die vorliegende Untersuchung in Auftrag gegeben, um das gerichteten deutschen Dominanz in der EU gehört ins Stan- deutsch-italienische Verhältnis ausführlich zu beleuchten und dardrepertoire der nationalen Rechten Italiens, das insbeson- insbesondere um auch tiefer liegende Zusammenhänge auf- dere über soziale Medien in die breite Wahrnehmung der zudecken, die über das rein Beschreibende hinausgehen. Die Bevölkerung gesickert ist. Umgekehrt ist das Vertrauen der vorliegende Untersuchung knüpft damit inhaltlich und deutschen Bevölkerung in den EU-Partner Italien ebenfalls methodisch an eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2016 an, vergleichsweise gering. erweitert diese jedoch um einige zentrale Aspekte: Neben Fragen zu subjektiven Einstellungen wurden auch einige Wis- Durch die Covid-19-Pandemie sind weitere krisenhafte Ent- sensfragen gestellt, um subjektiver Einschätzung verifizier wicklungen hinzukommen, die – jenseits der schon beste- bare Antworten gegenüberstellen zu können. Damit ist es henden – neue politische und wirtschaftliche Spannungen möglich, subjektive Einschätzungen in einen korrektiven Rah- innerhalb der EU erzeugten. Dies gilt insbesondere auch für men einzubinden, Wahrnehmungsverzerrungen aufzuzeigen das Verhältnis Deutschlands zu seinem Partnerland Italien. und so ein realistisches Bild des deutsch-italienischen Ver- Als in der Anfangsphase der Pandemie die Bilder von Berga- hältnisses im europäischen Kontext zu befördern. Das Ziel mo um die Welt gingen, wurde Italien als „überfordert“ und der vorliegenden Studie ist, den Istzustand der deutsch- „hilfsbedürftig“ angesehen – die viel zitierten „italienischen italienischen Selbst- und Fremdwahrnehmung zu beschrei- Verhältnisse“, die anderswo zu vermeiden versucht wurden, ben und die daraus resultierenden Möglichkeiten, zu einem galten als Chiffre des Versagens Italiens vor der tödlichen besseren Verständnis des jeweils anderen und damit einem Wucht des unbekannten Virus. Deutschland verpasste es, besseren Verhältnis beider Länder zueinander beizutragen, anfangs eindeutige und klar wahrnehmbare symbolische aufzuzeigen. Zeichen der Solidarität zu setzen, und traf zu Beginn der Kri- se Fehlentscheidungen (wie das Verbot der Ausfuhr von Grundlage der vorliegenden Studie ist eine von Ipsos durch- Schutzmaterialien nach Italien oder die anfängliche Weige- geführte repräsentative Online-Befragung. Für diese Befra- rung, sich auf die Diskussion über „Coronabonds“ oder ähn- gung bildete die Wohnbevölkerung ab 18 Jahren, die zum liche Finanzinstrumente zur Abfederung der immensen wirt- Erhebungszeitpunkt ihren Hauptwohnsitz im jeweiligen Land schaftlichen und sozialen Folgen einzulassen). Dies führte in hatte, die Grundgesamtheit. In Deutschland und Italien wur- den jeweils 1.650 Personen befragt. Die Datensammlung star- tete am 28. Oktober 2020 und war am 24. November 2020 2 Fremde Freunde: Eine Meinungsumfrage zum deutsch-italienischen Verhältnis, Friedrich-Ebert-Stiftung Italien, 2016, online unter: http:// abgeschlossen. Die wichtigsten Befunde dieser Erhebung library.fes.de/pdf-files/bueros/rom/12989.pdf. werden im Folgenden dargestellt und analysiert.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 6 2 GRUNDSTIMMUNG: PERSÖNLICHE SITUATION, WIRTSCHAFT, ZUKUNFTSERWARTUNGEN Die Wirtschaft hat sich in Deutschland und Italien in den dynamik in der EU und der Eurozone auf. Der wirtschaftliche vergangenen Jahren sehr unterschiedlich entwickelt. In Einbruch im Gefolge der Coronapandemie droht diese Ent- Deutschland entwickelte sie sich bis zum Ausbruch der wicklung zu verfestigen. Coronapandemie sehr robust. 2019 betrug das Bruttoin- landsprodukt (BIP) 3,45 Billionen Euro und war damit gegen- über 2006 (2,39 Billionen Euro) um über eine Billion Euro 2.1 SELBSTVERORTUNG, DEMOKRATIE- gestiegen; die Staatsverschuldung lag 2019 bei 59,8 % UND LEBENSZUFRIEDENHEIT des BIP, während sie 2010 noch 80,6 % betragen hatte; die Zahl der Arbeitslosen war 2019 auf 2,27 Millionen gefallen Mit Blick auf die Lebenszufriedenheit finden sich trotz der (= 5,5 %) und hatte damit den Tiefststand seit der Wieder- unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation in beiden Län- vereinigung 1990 erreicht. dern keine Unterschiede. In Deutschland wie Italien geben die Befragten im Schnitt eine „7“ auf einer Zehnerskala an, Italien dagegen ist es im Vergleichszeitraum nicht gelungen, wobei 1 „sehr unzufrieden“ und 10 „sehr zufrieden“ bedeu- wieder ein ähnliches Niveau wie vor der Finanzmarkt- und tet. Die unterschiedlichen ökonomischen Ausgangssituatio- Wirtschaftskrise zu erlangen, das Land ist durch wirtschaft- nen haben auch keinen Einfluss auf die gesellschaftliche liche Stagnation gekennzeichnet. Im Jahr 2019 lag das BIP Selbstverortung. In beiden Ländern geben die Befragten bei 1,79 Billionen Euro und war damit gegenüber 2005 durchschnittlich eine „5“ auf einer Zehnerskala an, wobei 1 (1,48 Billionen Euro) zu laufenden Preisen nur um 300 Milli- „sehr weit unten“ und 10 „ganz oben“ hinsichtlich ihres von arden Euro gestiegen. Inflationsbereinigt allerdings hatte ihnen selbst bewerteten gesellschaftlichen Status bedeutet. Italiens BIP erst 2019 wieder das BIP von 2005 erreicht (und Italienische Befragte schätzen ihre eigene wirtschaftliche Si- lag immer noch unter dem Spitzenjahr 2007). Noch ver tuation allerdings als weniger gut ein als deutsche Befragte. heerender ist das Resultat mit Blick auf das BIP pro Kopf: Während annähernd die Hälfte der deutschen Befragten an- Bloomberg errechnete, dass Italien das einzige Land in der gibt, dass ihre derzeitige wirtschaftliche Situation gut oder Eurozone war, dessen Pro-Kopf-BIP von 1998 bis 2016 um sehr gut sei, stimmen dem nur circa 30 % der italienischen 0,4 % sank, während es in Deutschland im gleichen Zeit- Befragten zu. Die Zufriedenheit mit der Demokratie ist in raum um 26,1 % stieg. Deutschland hingegen leicht höher als in Italien. In Deutsch- land wird sie mit einer „7“, in Italien dagegen mit einer „6“ auf Trotz insgesamt strenger Ausgabendisziplin erlebte Italien einer Zehnerskala bewertet, wobei 0 „äußerst unzufrieden“, gleichzeitig einen hohen Anstieg der Staatsschulden: von 10 hingegen „äußerst zufrieden“ bedeutet. 104 % des BIP im Jahr 2007 auf 135 % im Jahr 2019. Auch die Arbeitsmarktdaten sind weit negativer als in Deutschland: 2019 betrug die Arbeitslosenrate 10 %, die Zahl der Arbeits- 2.2 WIRTSCHAFTLICHE SITUATION losen lag mit 2,6 Millionen über der Deutschlands. Erschre- DEUTSCHLANDS UND ITALIENS ckend hoch war die Arbeitslosenrate (31 %) bei den Jugend- lichen (15 bis 24 Jahre). Generell ist die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation deutlich optimistischer für Deutschland. Es fällt auf, dass die Zwar ist Italien auch heute noch hinter Deutschland der italienischen Befragten Deutschlands wirtschaftliche Situation zweitgrößte Industrieproduzent in der EU, doch es ist unver- noch optimistischer einschätzen als die Deutschen selbst: So kennbar, dass sich ökonomisch (und in der Folge auch sozial) sind fast zwei Drittel der italienischen Befragten (62 %) der die Schere zwischen beiden Ländern in den letzten 15 Jahren Meinung, dass die Situation Deutschlands gut oder sehr gut immer weiter geöffnet hat. Während Deutschland seit 2005 sei, während nur etwas weniger als die Hälfte der deutschen von ungebrochener Dynamik geprägt ist und die globale Fi- Befragten (44 %) dieser Meinung sind. Die Fremd- und Selbst- nanzmarktkrise 2008/09 sich dort nur als Delle erwies, konn- einschätzung von Italiens wirtschaftlicher Situation ist glei- te Italien die Folgen der Doppelkrise, von der es getroffen chermaßen pessimistisch bei Befragten beider Länder (Abb. 1). wurde –, erst die globale Finanzmarktkrise, dann die Eurokri- se 2011/12 – bis heute nicht überwinden und weist als subs- Ein ähnliches Bild wie bei der Einschätzung der gegenwärti- tanziell stagnierendes Land die schlechteste Wachstums gen Situation zeigt sich bei der Bewertung der wirtschaft
FRAGILE FREUNDSCHAFT – EINE MEINUNGSUMFRAGE ZU DEN DEUTSCH-ITALIENISCHEN BEZIEHUNGEN 7 Angaben in Prozent. Abweichungen von 100 % rundungsbedingt. Abbildung 1 Einschätzung der wirtschaftlichen Situation Wie bewerten Sie die gegenwärtige wirtschaftliche Situation Deutschlands bzw. Italiens? Wirtschaftliche Situation in: Sehr gut Gut Weder noch Weniger gut Schlecht Selbsteinschätzung 14 21 50 25 Fremdeinschätzung 1 5 26 46 22 Selbsteinschätzung 5 39 30 20 6 Fremdeinschätzung 7 55 29 7 2 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Abbildung 2 Erwartete wirtschaftliche Entwicklung Wie wird sich Ihrer Meinung nach die wirtschaftliche Situation Deutschlands bzw. Italiens in Zukunft entwickeln? Wirtschaftliche Situation in: Viel besser Besser Weder noch Schlechter Viel schlechter Selbsteinschätzung 14 28 40 18 Fremdeinschätzung 1 15 39 35 11 Selbsteinschätzung 3 30 34 27 7 Fremdeinschätzung 5 41 39 12 2 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. lichen Zukunft der beiden Länder: Italiener_innen erwarten rend nur 46 % der deutschen Befragten Italiens Zukunft so eine bessere wirtschaftliche Zukunft für Deutschland als einschätzen. Deutsche selbst, beim eigenen Land sind sie hingegen pessi- mistischer. So ist fast jede_r zweite italienische Befragte (46 %) der Meinung, dass es Deutschland in Zukunft besser 2.3 VERZERRTE WAHRNEHMUNGSMUSTER oder viel besser gehen werde, während dies nur jede dritte deutsche Zielperson (33 %) erwartet (Abb. 2). Die sehr negative Einschätzung sowohl der aktuellen als auch der zukünftigen wirtschaftlichen Situation Italiens so- Es zeigt sich, dass die italienischen Befragten die Zukunft ih- wohl bei den deutschen wie den italienischen Befragten res eigenen Landes sogar pessimistischer einschätzen als führt allerdings auch zu vergleichbaren Wahrnehmungsver- die deutschen Zielpersonen. 58 % der Italiener_innen erwar- zerrungen in beiden Ländern. Gebeten, eine Reihung der ten eine schlechtere oder gar viel schlechtere Zukunft, wäh- Länder Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 8 Abbildung 3 Einschätzung der energiepolitischen Ziele Die europäischen Länder haben sich konkrete Ziele gesetzt, wie sie ihren Energiebedarf stärker aus erneuerbaren Energiequellen decken wollen. Wo stehen die Länder Ihrer Meinung nach? Einschätzungen zur Energiewende in: Hat das Ziel überschritten Hat das Ziel erreicht Hat das Ziel verfehlt Selbsteinschätzung 4 22 74 Fremdeinschätzung 4 17 80 Korrekte Antwort: Italien hat als einziges Land seine Ziele überschritten! Selbsteinschätzung 6 26 68 Fremdeinschätzung 16 55 29 Korrekte Antwort: Deutschland hat seine Ziele verfehlt! Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Spanien nach dem Umfang der jeweiligen nationalen Indust- 2.4 ZWISCHENFAZIT rieproduktion vorzunehmen, platzieren die Befragten aus beiden Ländern einvernehmlich Deutschland korrekt auf – Italiener_innen und Deutsche treffen sich weitgehend Platz 1, Italien hingegen fälschlicherweise auf Platz 4. De facto in ihrem Urteil über den Istzustand beider Länder: Der- liegt Italien auf Platz 2, vor Frankreich, Großbritannien und jenige Deutschlands wird mehrheitlich als positiv, derje- Spanien. 3 nige Italiens mehrheitlich als eindeutig negativ beurteilt. Es fällt hier auf, dass die italienischen Befragten ein Diese Diskrepanzen zwischen subjektiver Einschätzung und deutlich positiveres Bild von Deutschland haben als die verifizierbaren Fakten zeigen sich auch bei der Frage nach der Deutschen selbst. Erreichung energiepolitischer Ziele. 4 Italienische Befragte schätzen die italienische Leistung bei der Schaffung erneuer- – Dagegen gehen die Urteile über die Zukunftsperspekti- barer Energiequellen genauso pessimistisch – und damit fak- ven zum Teil auseinander. Hinsichtlich Italien sind sowohl tisch falsch – ein wie deutsche Befragte. Jeweils etwa drei die italienischen als auch die deutschen Befragten ein- von vier Zielpersonen glauben, dass Italien diese Ziele ver- deutig der Auffassung, dass auch für die Zukunft das fehlt habe. Damit täuscht sich die große Mehrheit in beiden Szenario eher negativ ist. Für Deutschland dagegen ha- Ländern, denn in Wahrheit ist Italien das einzige der fünf aus- ben die Italiener_innen weit positivere Erwartungen als zuwählenden Länder, das die Ziele sogar übertroffen hat. die Deutschen selbst. Drei von vier italienischen Befragten (74 %) glauben, dass Deutschland die Ziele mindestens erreicht oder gar über- – Bei den Befragten beider Länder ist eine kontrafakti- schritten habe, während deutsche Befragte ihrem eigenen sche Generalisierung des Negativbilds Italiens zu kons- Land gegenüber deutlich skeptischer und auch den Fakten tatieren. Dies zeigt sich sowohl bei der deckungsglei- näher sind: Zwei von drei Personen (68 %) sind der Meinung, chen völligen Unterschätzung der Rolle Italiens als dass ihr Land die Ziele verfehlt habe (Abbildung 3). Industrieproduzent, aber auch bei der sowohl in Italien als auch in Deutschland vorzufindenden Unterschät- zung Italiens bei der Erreichung energiepolitischer Zie- 3 https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title= le. Hinzu kommt hier bei den italienischen Befragten Industrial_production_statistics#Industrial_production_by_country, spiegelbildlich eine starke Überschätzung Deutsch- Zugriff am 25.09.2020. lands. 4 https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web &cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwi0jO-ampHsAhXQC- wKHRU9C24QFjAAegQIAhAB&url=https%3A%2F%2Fwww.gse.it – Das Gesamtbild ist mithin völlig asymmetrisch. Während %2Fdocumenti_site%2FDocumenti%2520GSE%2FRapporti%2520 die Befragten beider Länder Italien auf ökonomischem statistici%2FFonti%2520Rinnovabili%2520in%2520Italia%2520 Feld generell als defizitär einschätzen, halten sie – und e%2520in%2520Europa%2520verso%2520gli%2520obiettivi%2520 al%25202020%2520e%2520al%25202030.pdf&usg=AOvVaw3 hier die Italiener_innen noch mehr als die Deutschen – Lv8BD0dXkQJOVICq22aIr, Zugriff am 09.12.2020. Deutschland generell für ein virtuoses Land.
FRAGILE FREUNDSCHAFT – EINE MEINUNGSUMFRAGE ZU DEN DEUTSCH-ITALIENISCHEN BEZIEHUNGEN 9 3 EUROPA: INTEGRATION – VERTRAUEN – HERAUSFORDERUNGEN Italien und Deutschland gehören zu den Gründungsstaaten 2013 die Flüchtlingskrise, in deren Verlauf Hunderttausende der heutigen Europäischen Union und waren starke Motoren aus Tunesien und Libyen aufgebrochene Menschen an Italiens der europäischen Integration. Die jeweilige wirtschaftliche Küsten ankamen. In deren Gefolge verfestigte sich in der Öffent- Situation und die politische Verfasstheit haben starken Ein- lichkeit das Bild eines Landes, das „von Europa alleingelassen“ fluss auf die aktuelle Wahrnehmung der EU in Deutschland wurde – ein Bild, das von allen politischen Lagern geteilt wurde. und Italien. Insbesondere in Italien kann man nach einer ur- sprünglich ausgesprochen proeuropäischen Einstellung der In der Summe sehen die italienischen Befragten die EU deut- Bevölkerung in den letzten 15 Jahren eine wesentlich kriti- lich kritischer als die deutschen, interessanterweise erwarten schere Haltung zu Europa konstatieren, die sich auch in den Erstere von der EU allerdings auch deutlich mehr als Letztere. Ergebnissen dieser Umfrage niederschlägt. Beide Bevölkerungen verbindet die Einschätzung, dass es jeweils das andere Land sei, das mehr von der EU profitiere Es ist bezeichnend, dass die Einführung des Euro 1999 von der als das eigene. Trotz aller Skepsis wird aber auch in Italien Mehrheit der Italiener_innen begrüßt wurde, während die die Mitgliedschaft in EU und Währungsunion von dem weit Deutschen sich mehrheitlich skeptisch zeigten. Heute findet sich überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht infrage gestellt. ein völlig anderes Bild. Nach der Doppelkrise der Jahre 2008 bis 2012 und dem mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Einbruch werden in Italiens Öffentlichkeit vor allem die EU und der Euro 3.1 VOR- UND NACHTEILE VON für die Austeritätspolitik verantwortlich gemacht, die die Bürger_ EU UND EURO innen traf. Vorneweg populistische und Anti-Establishment- Kräfte wie die Lega und die Fünf Sterne argumentierten mit Bei den wahrgenommenen Vor- und Nachteilen der EU- und großem elektoralem Erfolg in dieser Richtung. Hinzu kam seit der Euro-Mitgliedschaft für das eigene sowie jeweils andere Abbildung 4 Vor- und Nachteile der EU-Mitgliedschaft Wenn Sie an die Mitgliedschaft von Italien bzw. Deutschland in der EU denken: Überwiegen da aus Ihrer Sicht die Vorteile oder überwiegen die Nachteile? Vor- und Nachteile der Vorteile über- Vorteile Halten sich Nachteile Nachteile über- EU-Mitgliedschaft in: wiegen sehr überwiegen die Waage überwiegen wiegen sehr Selbsteinschätzung 9 20 32 28 11 Fremdeinschätzung 15 36 36 10 3 Selbsteinschätzung 12 28 40 15 6 Fremdeinschätzung 30 38 25 4 2 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 10 Abbildung 5 Vor- und Nachteile der Euro-Mitgliedschaft Was meinen Sie: Hatte die wirtschaftliche Entwicklung in Italien bzw. Deutschland insgesamt gesehen durch den Euro Vorteile oder Nachteile? Vor- und Nachteile Vorteile über- Vorteile Halten sich Nachteile Nachteile über- des Euro in: wiegen sehr überwiegen die Waage überwiegen wiegen sehr Selbsteinschätzung 8 16 30 29 17 Fremdeinschätzung 9 35 39 13 4 Selbsteinschätzung 10 28 40 15 7 Fremdeinschätzung 25 36 29 7 3 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Abbildung 6 Verbleib des eigenen Landes in der EU Wenn es morgen ein Referendum zur Mitgliedschaft Deutschlands/Italiens in der EU geben würde, wie würden Sie sich entscheiden? Mein Land sollte in der EU bleiben Mein Land sollte aus der EU austreten 68 32 76 24 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Abbildung 7 Verbleib des eigenen Landes in der Währungsunion Wenn es morgen ein Referendum zur Mitgliedschaft Deutschlands / Italiens im Euro („Währungsunion“) geben würde, wie würden Sie sich entscheiden? Mein Land sollte den Euro behalten Mein Land sollte aus dem Euro ausscheiden 63 37 71 29 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung.
FRAGILE FREUNDSCHAFT – EINE MEINUNGSUMFRAGE ZU DEN DEUTSCH-ITALIENISCHEN BEZIEHUNGEN 11 Land ergibt sich ein homogenes Bild: Sowohl was die EU- als und 63 % für die Beibehaltung des Euro (Abb. 6 und Abb. 7). auch was die Euro-Mitgliedschaft betrifft, sind rund sechs Die Unzufriedenheit führt also nicht automatisch zu gleicher- von zehn italienischen Zielpersonen überzeugt, dass für maßen stark ausgeprägten Austrittswünschen. Deutschland die Vorteile (sehr) überwiegen (68 % bzw. 61 %; Abb. 4 und Abb. 5). Für ihr eigenes Land sind fast die Hälfte der italienischen Befragten der Überzeugung, dass bei der 3.2 BEITRÄGE DEUTSCHLANDS UND EU- bzw. der Euro-Mitgliedschaft die Nachteile (sehr) über- ITALIENS ZUR EU wiegen (39 % bzw. 46 %; Abb. 4 und Abb. 5). Von den deut- schen Befragten glaubt etwa jede_r Dritte, dass die Vorteile Sehr unterschiedlich fallen die Einschätzungen in Deutsch- der EU- und der Euro-Mitgliedschaft für das eigene Land land und Italien aus, wenn nach dem grundsätzlichen sowie (sehr) überwiegen (40 % bzw. 38 %; Abb. 4 und Abb. 5). In- dem finanziellen Beitrag der beiden Länder zur EU gefragt teressanterweise sind auch in der Wahrnehmung der Deut- wird. So bewerten Deutsche und Italiener_innen sehr ver- schen die Vorteile für Italien größer als für das eigene Land. schieden den Beitrag des eigenen und jeweils anderen Lan- Befragte beider Länder sehen ihr eigenes Land eher im des zum Wohlergehen der EU. Die deutschen Befragten of- Nachteil und sind der Ansicht, dass eher das andere Land fenbaren bei der Beurteilung, wie sehr ihr eigenes Land zum von der EU-Mitgliedschaft profitiere als das eigene. Wohlergehen der EU beiträgt, ein stark ausgeprägtes Selbst- wertgefühl – drei von vier stimmen der Aussage (gar) nicht Trotz der in beiden Ländern vorhandenen Einstellung, dass zu, dass die EU ohne Deutschland besser aufgestellt wäre. das jeweils andere Land von der Währungsunion sowie der Die italienischen Befragten äußern sich wesentlich selbst EU als Institution mehr profitiere, sind deutliche Mehrheiten kritischer, hier ist nur eine von zwei Zielpersonen dieser An- in beiden Ländern für einen Verbleib sowohl in der EU wie sicht für Italien. Die Befragten beider Länder sind sich über auch in der Währungsunion. Und obgleich in Italien 39 % der den Beitrag des jeweils anderen Landes zum Wohlergehen Befragten der Ansicht sind, dass die Nachteile der EU-Mit- der EU einig, jeweils circa eine von drei befragten Personen gliedschaft überwiegen bzw. sehr überwiegen, und 46 % stimmt der Aussage für das andere Land (gar) nicht zu den Euro als nachteilig für die wirtschaftliche Entwicklung (Abb. 8 und Abb. 9). Jeweils eine_r von fünf Befragten in Italiens ansehen, würden sich dennoch 68 % bei einem Re Italien und eine von vier befragten Personen in Deutschland ferendum für den Verbleib Italiens in der EU aussprechen halten das jeweils andere Land für „Ballast“ in der EU. Abbildung 8 Einschätzung zu Deutschlands EU-Mitgliedschaft Wie sehr stimmen Sie der folgenden Aussage zu: Die EU wäre besser aufgestellt ohne Deutschland? Stimme sehr zu Stimme zu Weder noch Stimme nicht zu Stimme gar nicht zu 6 15 43 24 12 4 5 16 25 49 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Abbildung 9 Einschätzung zu Italiens EU-Mitgliedschaft Wie sehr stimmen Sie der folgenden Aussage zu: Die EU wäre besser aufgestellt ohne Italien? Stimme sehr zu Stimme zu Weder noch Stimme nicht zu Stimme gar nicht zu 3 10 42 32 14 7 17 39 24 14 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 12 Abbildung 10 Einschätzung zu operativen Haushaltssalden („Nettozahler vs. Nettoempfänger“) Alle EU-Mitgliedsstaaten zahlen Beiträge in das EU-Budget und erhalten aus diesem Budget wiederum Gelder. Bitte schätzen Sie ein, wo Ihres Wissens die folgenden Staaten stehen. Beiträge von … Zahlt viel mehr, Zahlt mehr, als Ein- und Auszahlungen Bekommt mehr, Bekommt viel mehr, zum EU-Budget: als es bekommt es bekommt halten sich die Waage als es einzahlt als es einzahlt Selbsteinschätzung 11 30 38 15 5 Fremdeinschätzung 1 4 24 51 20 Selbsteinschätzung 29 41 24 5 2 Fremdeinschätzung 3 17 40 25 14 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Abbildung 11 Einfluss auf die Entscheidungen der EU Bitte geben Sie anhand der folgenden Skala an, wie groß Ihrer Meinung nach der Einfluss von Italien und Deutschland auf die Entscheidungen der Europäischen Union ist. Italiens Einfluss Sehr großer Einfluss Großer Einfluss Wenig Einfluss Sehr wenig Einfluss auf die EU: Selbsteinschätzung 2 20 54 23 Fremdeinschätzung 4 35 53 9 Deutschlands Einfluss auf die EU: Selbsteinschätzung 40 48 9 4 Fremdeinschätzung 61 30 6 2 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Gefragt nach dem konkreten finanziellen Beitrag der beiden deutsche Fehleinschätzung Italiens – nur 5 % der deutschen Staaten zur EU kommt es zu (wechselseitigen) Fehleinschät- Befragten sehen Italien richtigerweise als Nettozahler, 5 zungen. Erneut manifestiert sich dabei auch das schon be- kannte Wahrnehmungsmuster „Das andere Land profitiert mehr von der EU als das eigene Land“. So glauben fälschli- 5 Aus offiziellen Statistiken ergibt sich folgende Rangfolge der Länder cherweise fast drei von vier deutschen Befragten (71 %), dass mit negativen operativen Haushaltssalden: 1. Platz Deutschland (–14 Milliarden Euro), 2. Platz Großbritannien (–7 Milliarden Euro), Italien viel oder sehr viel mehr Gelder aus dem EU-Haushalt 3. Platz Frankreich (–7 Milliarden Euro), 4. Platz Italien (–4 Milliarden erhält, als es einzahlt. 5 Ungefähr zwei von drei deutschen Euro). Ein negativer Wert bedeutet, dass ein Land finanziell mehr zum Befragten (70 %) glauben den Fakten entsprechend, dass EU-Haushalt beiträgt, als es an Mitteln aus diesem erhält, ein positiver Wert, dass mehr Geld von der EU empfangen als an sie gezahlt wird; Deutschland viel oder sehr viel mehr Gelder in den EU-Haus- http://ec.europa.eu/budget/library/figures/internet-tables-all_test.xls, halt einzahlt, als es erhält. Besonders dramatisch ist die Zugriff am 10.12.2020.
FRAGILE FREUNDSCHAFT – EINE MEINUNGSUMFRAGE ZU DEN DEUTSCH-ITALIENISCHEN BEZIEHUNGEN 13 aber auch in Italien selbst herrscht ein beachtliches Unwissen 3.3 VERTRAUEN INS EIGENE UND über die faktische Realität, und nur 41 % der befragten Perso- IN ANDERE LÄNDER nen in Italien ordnen das eigene Land richtig ein. Aus deut- scher Sicht mag es hingegen überraschen, dass nur 20 % der Das Vertrauen der Befragten ins jeweils eigene Land ist sehr Italiener_innen Deutschland als Nettozahler sehen, hingegen unterschiedlich ausgeprägt: Während acht von zehn Deut- 39 % als Nettoempfänger – die Unkenntnis der ökonomi- schen (sehr) großes Vertrauen in ihr Land haben, sind dies schen Leistungskraft des jeweils anderen Landes verbindet auf italienischer Seite weniger als vier von zehn Zielpersonen. die beiden Länder (Abb. 10). Hier kontrastiert ein ausgeprägtes deutsches Selbstvertrauen mit einem italienischen Sich-Infrage-Stellen: So haben die ita- In vielfacher Hinsicht aufschlussreich sind die Antworten auf lienischen Befragten deutlich mehr Vertrauen in Deutschland die Frage nach dem Einfluss der beiden Länder auf die Ent- als in ihr eigenes Land, denn jede zweite italienische Ziel scheidungen der EU. Die überwiegende Mehrheit der Befrag- person vertraut Deutschland (sehr) (Abb. 12). Dieses Muster ten beider Länder (jeweils circa 90 %) glaubt, dass Deutsch- setzt sich bei anderen Ländern fort. So bringt Italien auch land großen oder sehr großen Einfluss auf die Entscheidungen Frankreich, Spanien, Schweden, Großbritannien und den USA der EU habe. Der Einfluss Italiens wird hingegen als eher mehr oder fast so viel Vertrauen entgegen wie sich selbst, gering veranschlagt: Vier Fünftel der italienischen Befragten während hingegen Deutschland nur Schweden so viel traut glauben, dass Italien nur (sehr) wenig Einfluss auf EU-Entschei- wie sich selbst. dungen habe. Damit sehen sie die Rolle ihres Landes, der im- merhin zweitgrößten Industrienation der EU, noch skeptischer Schweden ist auch aus italienischer Sicht das Land, dem unter als die deutschen Befragten, von denen 39 % Italien einen den abgefragten Ländern das größte Vertrauen entgegenge- (sehr) großen Einfluss auf die Entscheidungen der EU zuspre- bracht wird (56 %), knapp gefolgt von Deutschland (52 %). chen (Abb. 11). Es zeigt sich ein ähnliches Bild wie beim wahr- Den beiden Ländern Frankreich und Spanien gilt seitens Itali- genommenen Mehrwert des anderen Landes für die EU: ens mit je 37 % interessanterweise deutlich weniger Vertrauen Italiener_innen halten Deutschland für einflussreicher als die als Deutschland. Deutschland hingegen vertraut Spanien Deutschen selbst und die deutschen Befragten halten im Ge- (39 %) mehr als Italien (29 %). Das größte Vertrauen der Deut- genzug Italien für einflussreicher als die Italiener_innen selbst, schen genießt Schweden (80 % der Befragten äußern ein sehr wenn auch auf einem sehr viel niedrigeren Niveau als großes bzw. großes Vertrauen in Schweden), den zweiten Platz Deutschland. Vor dem Hintergrund, dass fast 80 % der Italie- hat aus deutscher Sicht Frankreich mit 64 %. Beim Ausmaß des ner_innen der Ansicht sind, nur (sehr) wenig Einfluss auf die Vertrauens in Spanien und Polen stimmen Deutschland und Entscheidungen der EU zu haben, verwundert es nicht, dass in Italien weitgehend überein, wobei Polen von beiden Ländern Italien ein antieuropäisches bzw. genauer ein Anti-Brüssel- weit überwiegend wenig oder gar kein Vertrauen entge Narrativ der Fremdbestimmung gegen italienische Interessen gengebracht wird (81 % der Italiener_innen und 88 % der in weiten Teilen der Bevölkerung große Resonanz erfährt. Deutschen sprechen Polen wenig oder gar kein Vertrauen zu). Abbildung 12 Vertrauen in Italien und Deutschland Wenn Sie an die EU-Länder Italien und Deutschland denken: Haben Sie da sehr großes, großes, wenig oder gar kein Vertrauen in das jeweilige Land? Vertrauen Sehr großes Vertrauen Großes Vertrauen Wenig Vertrauen Gar kein Vertrauen in Italien: Selbsteinschätzung 6 30 47 18 Fremdeinschätzung 3 26 52 19 Vertrauen in Deutschland: Selbsteinschätzung 29 50 14 6 Fremdeinschätzung 11 41 31 16 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 14 Abbildung 13 Vertrauen in andere Länder Wenn Sie an andere Länder denken: Haben Sie da sehr großes, großes, wenig oder gar kein Vertrauen in das jeweilige Land? Vertrauen Sehr großes Vertrauen Großes Vertrauen Wenig Vertrauen Gar kein Vertrauen in Frankreich: 4 33 48 15 10 54 29 8 Vertrauen in Polen: 3 17 46 35 2 10 42 46 Vertrauen in Spanien: 3 34 52 10 4 35 50 11 Vertrauen in Schweden: 14 42 30 14 23 57 17 3 Vertrauen in Großbritannien: 7 33 46 14 3 20 53 23 Vertrauen in die USA: 6 31 43 21 3 11 42 44 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung.
FRAGILE FREUNDSCHAFT – EINE MEINUNGSUMFRAGE ZU DEN DEUTSCH-ITALIENISCHEN BEZIEHUNGEN 15 Vertrauen Sehr großes Vertrauen Großes Vertrauen Wenig Vertrauen Gar kein Vertrauen in China: 5 21 41 33 2 9 36 53 Vertrauen in Russland: 6 22 43 29 2 9 35 54 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Abbildung 14 Vorbildcharakter der beiden Länder Wie sehr stimmen Sie folgender Aussage zu: Andere Länder können von Italien / Deutschland lernen? Vorbildfunktion von: Stimme sehr zu Stimme zu Weder noch Stimme nicht zu Stimme gar nicht zu Selbsteinschätzung 6 30 41 13 9 Fremdeinschätzung 3 18 49 22 8 Selbsteinschätzung 14 43 33 6 4 Fremdeinschätzung 13 38 35 8 5 Quelle: Ipsos/eigene Darstellung. Während Italien in die USA und Großbritannien ein fast gleich Die nächste Frage beschäftigt sich mit dem Vorbildcharakter, hohes Vertrauen hat (37 % bzw. 40 %), ist das Vertrauen der den die Befragten beiden Ländern zusprechen. Jeweils eine Deutschen in Großbritannien mit 23 % deutlich geringer. Das von zwei befragten Personen in Deutschland und Italien ist Vertrauen der Deutschen in die USA, Russland und China be- der Überzeugung, dass man von Deutschland lernen kann. wegt sich jeweils auf einem vergleichbaren sehr niedrigen Fremd- und Selbsteinschätzung Deutschlands sind weitge- Niveau von knapp über 10 %. In Italien hat hingegen circa ein hend deckungsgleich. Vom Vorbildcharakter Italiens sind die Viertel der Bevölkerung Vertrauen in China und Russland. Umfrageteilnehmer_innen beider Länder dagegen weniger Deutschland scheint insgesamt eine misstrauischere Nation überzeugt, nur gut jede_r fünfte Deutsche ist der Ansicht, als Italien zu sein. Jeweils ungefähr jede_r zweite befragte dass andere Länder von Italien lernen könnten. Selbst unter Deutsche gibt mit Blick auf Polen, USA, Russland und China an, den italienischen Befragten glaubt nur knapp jede_r Dritte an „gar kein Vertrauen“ zu haben, hingegen ist es bei den italieni- einen Vorbildcharakter Italiens, Deutschland hingegen wird schen Befragten im Schnitt nur jede_r Dritte (im Falle von Polen, ein solcher von über der Hälfte der Italiener_innen zugespro- China und Russland) bzw. jede_r Fünfte (USA) (Abb. 13). chen (Abb. 14).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – POLITIK FÜR EUROPA 16 3.4 AKTUELLE POLITISCHE HERAUSFOR lehnt die gemeinsame Finanzierung ab. In der deutschen öf- DERUNGEN UND ZUSTÄNDIGKEITEN FÜR fentlichen Meinung stellt dies ein Novum dar: Anders als die DEREN LÖSUNG Italiener_innen hatten die Deutschen bisher mehrheitlich im- mer eine gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU („Euro- Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen bonds“) abgelehnt. Verfasstheit und der divergierenden Beurteilung der Leis- tungsfähigkeit des jeweils eigenen Staates wundert es nicht, dass es zwischen Deutschland und Italien zu abweichenden 3.5 ZWISCHENFAZIT Bewertungen kommt, was die größten aktuellen Herausfor- derungen sind und auf welcher Ebene (national oder europä- Bei der Haltung der Italiener_innen und der Deutschen zur EU isch) diese am ehesten angegangen werden sollen. Die Be- und zur Rolle ihrer Länder in der Union ergibt sich ein gebro- fragten wurden gebeten, zu insgesamt zwölf Politikfeldern auf chenes Bild: einer Skala von 1 „keine Herausforderung“ bis 5 „sehr große Herausforderung“ anzugeben, als wie groß sie diese Heraus- – Bei den italienischen Befragten überwiegen diejenigen, forderungen gegenwärtig für ihr eigenes Land einschätzen, die in der EU und stärker noch in der Euro-Mitgliedschaft und anschließend zu äußern, ob diese Herausforderung eher eher Nachteile als Vorteile für ihr Land erblicken. Zu- von der EU oder vom Einzelland bewältigt werden soll. gleich sehen sie Italien als wenig einflussreich in der EU. Es fällt auf, dass italienische Befragte die abgefragten Themen – Die Befragten beider Länder sehen das jeweils andere generell als größere Herausforderung einschätzen als die Land in der Rolle des Nutznießers, generell bei den Vor- deutschen Zielpersonen, denn es finden sich bei fast allen und Nachteilen, im Besonderen aber auch bei der Frage, Themen in Tabelle 1 höhere Werte bei italienischen Befragten wer Nettozahler oder -empfänger ist: Nur 5 % der Deut- als bei deutschen. Besonders deutlich ist, wie drängend die schen und nur 20 % der Italiener_innen wissen, dass der Probleme der Arbeitslosigkeit sowie die wirtschaftliche Situa- jeweils andere Staat zu den Nettozahlern in der EU ge- tion in Italien sind. Der zweite zentrale Befund ist, dass die hört. Offensichtlich herrscht die Sicht vor, dass „der an- Italiener_innen im direkten Vergleich deutlich eher die Zustän- dere“ den Ertrag hat, während man selbst die Kosten digkeit bei der EU sehen als deutsche Befragte. Besonders trägt. große Unterschiede zwischen den Ländern (in den Spalten „Differenz DE-IT“ in Tab. 1, gemessen über das Effektstärke- – Dennoch sind in beiden Ländern klare Mehrheiten für maß „Cohen’s d“) finden sich bei den folgenden Themen: Ar- den Verbleib in der EU und der Eurozone, und klare beitslosigkeit, Infrastruktur, Gesundheit und Wirtschaft sind Mehrheiten auch billigen die gemeinsame europäische für einen deutlich höheren Anteil italienischer Befragter eine Schuldenaufnahme für die Überwindung der Folgen der große oder sehr große Herausforderung als für deutsche Be- Coronapandemie. fragte. Ähnliche Befunde ergeben sich für die Themen Krimi- nalität, soziale Absicherung und Verteidigung, hier sind die – Obwohl die Italiener_innen Deutschland als ein Land Unterscheide jedoch geringer. sehen, das stark von der Union profitiert und das in ihr großen Einfluss hat, vertrauen sie doch mehrheitlich Insbesondere bei den Themen Klimawandel, Migration und Deutschland. Das Vertrauen in Italien dagegen ist unter Terrorismus sehen die Befragten beider Länder die Verant- den Deutschen – aber auch unter den Italiener_innen wortlichkeit mit großer Mehrheit bei der EU. Italienische Be- selbst – weit geringer ausgeprägt. fragte setzen mehr auf europäische Lösungen trotz größerer Europaskepsis, die Befunde legen die Interpretation nahe, – Trotz ihres weniger positiven Blicks auf die EU setzen die dass Italiener_innen der EU mehr zutrauen als ihren eigenen Italiener_innen auf allen Politikfeldern außer Verteidi- politischen Akteuren. Sie scheinen größere Hoffnung auf die gung stärker als die Deutschen auf die europäische EU zu haben und erwarten von ihr mehr Kompetenz als die statt der nationalen Lösungskompetenz. Sie sind skepti- Deutschen. In Bezug auf die aktuelle Covid-19-Krise und de- scher, haben aber auch höhere Erwartungen an die EU. ren Bekämpfung sind sich die Befragten beider Länder einig, dass hier auf EU-Ebene gehandelt werden muss, wohingegen das Gesundheitssystem in beiden Ländern deutlich eher als Ländersache wahrgenommen wird. Große Übereinstimmung herrscht bei der Frage, wie die Fol- gen der Coronapandemie bewältigt werden sollen. Die große Mehrheit der Befragten in beiden Ländern hält die gemein same Finanzierung eines „Recovery Fund“, mit dem den von Covid-19 besonders hart getroffenen Ländern geholfen wer- den soll, für gut oder sehr gut. Es finden sich keine relevanten Unterschiede zwischen deutschen und italienischen Befrag- ten (Abb. 15). Eine offene Gegnerschaft (Antwortkategorien „schlecht“ oder „sehr schlecht“ in Abb. 15) ist in beiden Ländern sehr schwach ausgeprägt. Nur eine_r von sieben Deutschen
Sie können auch lesen