Frankreich im Frühjahr 2019 - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Frankreich im Frühjahr 2019 - Konrad-Adenauer-Stiftung
April 2019

Länderbüro Frankreich

Frankreich im Frühjahr 2019

Zwischen Gelbwesten, großer nationaler Debatte und Europawahlkampf
Dr. Nino Galetti, Nele Katharina Wissmann

Zwei Jahre nach der Wahl von Emmanuel Macron zum neunten Staatspräsidenten der Fünften Republik
sind die ersten grauen Wolken, die bereits nach dem ersten Regierungsjahr aufgezogen waren, einem
verregneten Frühling gewichen. Nachdem Macron in den ersten Monaten seiner Regierungszeit viele
notwendige Reformen anstoßen konnte, und dabei mit der Arbeitsmarkt-, Steuer-, und Bahnreform in
Frankreich „heilige Kühe schlachtete“, sanken zwar seine Zustimmungswerte bei der französischen
Bevölkerung kontinuierlich, führten jedoch zu keiner nennenswerten Blockade des Landes durch
Generalstreiks und Massendemonstrationen. Ein Wendepunkt wurde im November 2018 erreicht, als
die Ankündigung einer Anhebung der Benzinsteuer die „Gelbwesten“ auf die Kreisverkehre der
französischen Provinz trieb und die Pariser Champs- Élysées zum vermeintlichen Schauplatz einer
zweiten „Französischen Revolution“ werden ließ.

Auch wenn die Bewegung der Gelbwesten               national), die – einer „Partnertherapie“
inzwischen längst ihren Zenit überschritten hat,    vergleichbar – die Bürger wieder für Politik
spiegelt sie auf eklatante Weise den Bruch vieler   begeistern und Politiker wieder zur Basis
Franzosen mit der Politik wider. Die politische     zurückführen sollte, wird nur dann ihre Früchte
Vertrauenskrise bleibt trotz rückgängiger Teil-     tragen, wenn sie einerseits für die Bürger
nehmerzahlen bei den Demonstrationen und            spürbare Änderungen mit sich bringt,
sinkenden Zustimmungswerten in der                  andererseits das Land nicht erneut in die
Bevölkerung ein Pulverfass, das die französische    Reformstarre zurückführt. Bereits in der zweiten
Regierung ernst nehmen muss. Die zweimonatige       Aprilwoche hatte Premierminister Édouard
„Große Nationale Debatte“ (Grand débat              Philippe angekündigt, dass die Regierung ins-
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besondere die Steuerlast der Bürger verringern      Für 2019 standen bisher ambitionierte Reformen
und die politische Teilhabe vergrößern wolle. Die   auf dem Plan: Kürzungen im öffentlichen Dienst,
am Abend des 15. April vorgesehene Rede von         Einsparungen bei der Arbeitslosenversicherung,
Präsident Macron, bei der er konkrete Maß-          Änderungen bei den Renten, Einschnitte bei der
nahmen verkünden wollte, wurde aufgrund der         Krankenversicherung. Doch viele Vorhaben
Brandkatastrophe in der Pariser Kathedrale          wurden aufgrund der Proteste der Gelbwesten
Notre Dame kurzfristig abgesagt.                    bis auf weiteres verschoben. Das aktuelle soziale
                                                    Klima scheint für ihre Umsetzung ungeeignet,
Die Gelbwesten-Bewegung                             zumal sich die französischen Gewerkschaften, die
Mehr als ein Sturm im Wasserglas?                   bei der Gelbwestenbewegung keine Rolle gespielt
                                                    haben, derzeit warmlaufen.
Am 14. April 2019 fand die 22. Demonstration der
Gelbwesten-Bewegung statt. Seit November            Die französische Regierung kann vor den
legen die Samstagsdemonstrationen Teile der         aktuellen Spaltungen innerhalb der französischen
Hauptstadt Frankreichs, aber auch Toulouse,         Gesellschaft nicht die Augen verschließen. Die
Bordeaux und Clermont-Ferrand lahm. Die Dauer       Bewegung der Gelbwesten hat ein „Mal-être“, ein
und Beständigkeit der Protestbewegung ist dabei     Unwohlsein innerhalb der französischen
als historisch zu bezeichnen.                       Gesellschaft aufgedeckt. Stadt und Land stehen
                                                    in einem Spannungsverhältnis, das Sprengkraft in
Während bei der ersten Demonstration am 17.         sich birgt. Dabei hat sich dieses Stadt-Land-
November 2018 laut Angaben des französischen        Gefälle über Jahrzehnte aufgebaut. Die
Innenministeriums knapp 300.000                     Gelbwestenbewegung hat sie nun offen auf den
Demonstranten mobilisiert werden konnten,           Tisch gelegt.
nehmen die Zahlen seither stetig ab und haben
sich inzwischen bei rund 30.000 Teilnehmern ein-    Dabei hat das von Macron formulierte Ziel einer
gependelt. Die Bewegung hat sich radikalisiert      „Start-Up-Nation“ die Spannungen noch befeuert:
und ist gewaltsamer geworden. Seit November         Macron haftet das Bild des „Präsidenten der
2018 sind 11 Personen im Rahmen der Proteste        Reichen“ an. Auch wenn bisher nicht erkennbar
getötet worden, über 2000 wurden verletzt. Rund     ist, ob sich die Bewegung „La République en
8700 Personen wurden in Polizeigewahrsam            Marche“ längerfristig im französischen Parteien-
genommen. Nach Angaben der Versicherungen           system etablieren wird, ist festzustellen, dass ihr
entstand bisher ein Sachschaden in Höhe von         Führungspersonal einen wichtigen Faktor unter-
200 Millionen Euro.                                 schätzt hat: LREM hat es bisher nicht geschafft,
                                                    sich auf der lokalen Ebene zu verankern und eine
Auch wenn die Mehrheit der französischen            Brücke zwischen der französischen Provinz und
Bevölkerung die Forderungen der Gelbwesten          der Hauptstadt zu schlagen. Solide lokale
nicht mehr unterstützt – die Zustimmungswerte       Strukturen, Bürgermeister und Stadträte vor Ort,
fielen von 68% im Dezember 2018 auf inzwischen      hätten einerseits in einer Mittlerfunktion die
weit unter 50% – ist die Gelbwestenbewegung ein     Regierung vor dem Ausmaß des „Mal-être“
entscheidender Vektor für den Erfolg der            warnen und andererseits schlichtend auf die
Amtszeit von Emmanuel Macron geworden.              Bewegung einwirken können. Auch die rund 300
                                                    Abgeordneten, die für LREM in die Assemblée
Denn die Gelbwesten haben Macrons Reformzug         nationale gewählt wurden, fallen vielfach als
ausgebremst: 14 umfassende Reformpakete in          Mittler aus, da sie bislang häufig kaum in ihren
verschiedenen Bereichen hat Staatspräsident         Wahlkreisen präsent waren.
Emmanuel Macron in seinem ersten Regierungs-
jahr auf den Weg gebracht. Er ließ sich dabei
nicht durch Streikbewegungen, etwa bei der
französischen Bahn SNCF, ausbremsen. Die
Reformen waren dabei so eng getaktet, dass für
den sozialen Aufstand kaum Zeit blieb.
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Bilanz der „Großen Nationalen                         Die Ergebnisse der „Großen Nationalen Debatte“
Debatte“                                              könnten die Regierung auch in die Ecke treiben:
Ein Papiertiger?                                      Statt der ursprünglich geplanten Sparmaß-
                                                      nahmen und Staatssanierung könnte es zu
Als direkte Reaktion auf die Gelbwesten-              Steuergeschenken und einer Anhebung von
Bewegung initiierte Präsident Emmanuel Macron         Sozialleistungen kommen. Ein Vertreter des
die „Große Nationale Debatte“ („grand débat           bürgerlich-konservativen Lagers kommentierte
national“). Die Beteiligung ist beeindruckend:        dazu lakonisch, dass Macron nur zwei Möglich-
Über 10.000 Debatten wurden von Januar bis            keiten übrig blieben: Mit unbeliebten Spar-
März 2019 auf lokaler Ebene organisiert, an           maßnahmen zum Gerhard Schröder Frankeichs
denen rund 500.000 Bürger teilnahmen; die             zu werden oder wie François Hollande reformlos
Vorschläge füllen 630.000 Seiten, online wurden       eine Amtszeit zu verschenken.
fast zwei Millionen Beiträge eingereicht.
                                                      Europawahlkampf
Mit der „Großen nationalen Debatte“ hat               Erneutes Duell zwischen pro-europäischen und
Emmanuel Macron erneut gezeigt, dass er bereit        rechtspopulistischen Kräften?
ist, verkrustete Strukturen aufzubrechen und
neue Wege der demokratischen Teilhabe zu              Die Ergebnisse der „Großen nationalen Debatte“
testen. Damit wird er seinem Wahlkampf-               sollen nach dem Willen des Präsidenten direkt in
versprechen von 2017 gerecht. Jedoch nahmen           den Europawahlkampf von der Regierungspartei
nur wenige Vertreter der Gelbwestenbewegung           einfließen. Aktuelle Umfragen sagen ein erneutes
an dem Debattenformat teil. Die Teilnehmer            „Duell“ zwischen Pro-Europäern und Rechts-
entstammten überwiegend dem konstruktiven             populisten voraus: Mit 22,5% liegt Emmanuel
Teil der Bürgerschaft, die ihre Ideen in die          Macrons Bewegung „La République en Marche“
politischen Entscheidungsprozesse einspeisen          (LREM) knapp vor Marine Le Pens Partei
wollten und hier eine Möglichkeit dazu fanden.        „Rassemblement National“ (RN, ehemals Front
                                                      National), die gegenwärtig auf 20,5% kommen
Macron selbst konnte in kommunikativer Hinsicht       würden. Es folgen die bürgerlich-konservative
punkten: Mehrfach diskutierte er mit hoch-            Partei „Les Républicains“ mit 14%, die links-
gekrempelten Ärmeln bis zu sieben Stunden lang        populistische Partei „La France insoumise“ mit 9%
mit Bürgern oder Bürgermeistern. Er bewies            und die Allianz der Grünen mit 7,5%. Die
damit, dass er ein „Macher“ ist und die „Große        Sozialisten treten einerseits mit der Bewegung
Nationale Debatte“ mehr als eine Maskerade war.       ihres früheren Präsidentschaftskandidaten
Selbst den politischen Gegnern verlangte              „Génération.s“, andererseits mit der Listen-
Macrons Stehvermögen Respekt ab.                      verbindung „PS-Place Publique“ an und werden
                                                      mit 5,5% bzw. 3,5% bewertet. Sollten die
Gleichzeitig ging Macron ein Risiko ein: Er hat den   Gelbwesten mit einer Liste bei den Europawahlen
Ausgang der „Großen Nationalen Debatte“               antreten, könnten sie bis zu 2,5 Prozentpunkte
schicksalshaft mit den Erfolg seiner gesamten         holen. Die Anmeldefrist zur Teilnahme an den
Amtszeit verknüpft. Damit die Debatte nicht als       Europawahlen läuft in Frankreich am 3. Mai aus.
„Papiertiger“ endet, muss die Regierung nun
schnell Leuchtturm-Maßnahmen umsetzen, die            Der europafreundliche Kurs der Bewegung LREM
möglichst viele Franzosen erreichen.                  trägt Früchte. Die von Emmanuel Macron
                                                      verkündete „Schlacht von Progressisten gegen
Ob sich die Gelbwesten mit diesen Maßnahmen           Nationalisten“ scheint in den Köpfen der Wähler
zufrieden geben werden, bleibt fraglich. Trotz        angekommen zu sein. Nicht zuletzt mit seinem
vieler Zugeständnisse seitens der Regierung           bewusst proeuropäischen Wahlkampf um das
bleibt ein radikalisierter Teil von rund 30.000       Präsidentenamt, seiner Sorbonne-Rede vom
Demonstranten weiterhin auf der Straße.               September 2017 sowie dem in allen EU-Staaten
                                                      veröffentlichten Beitrag zum „Neubeginn
                                                      Europas“ (März 2019) hat Macron sein Profil als
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„letzter Europäer“ geschärft. Auch angesichts der    Hinsicht geradezu gefährlich: Volksparteien
Tatsache, dass die linken und rechten Ränder des     können aufgrund ihrer historisch gewachsenen
französischen Parteienspektrums das Feindbild        Strukturen politische Konflikte und Debatten
„Europäische Union“ vor sich hertreiben, und         intern filtern und sind somit Garant einer nach
angesichts der betont europakritischen Linie des     außen sachlich geführten Debatte; Bewegungen
Vorsitzenden der bürgerlich-konservativen            können diese Funktion nur partiell erfüllen.
„Républicains“, Laurent Wauquiez, entsteht der
Eindruck, dass nur die Regierungspartei LREM für     Zur wirklichen Feuerprobe für die Bewegung „La
eine starke Europäische Union einsteht.              République en Marche“ werden vielmehr die
                                                     Kommunalwahlen 2020 werden. Die Bewegung
Es ist wenig erstaunlich, dass sich Beobachter       hat es in den letzten zwei Jahren nicht geschafft,
wiederholt die Frage gestellt haben, ob Macron       die „Marcheurs“ der ersten Stunde an sich zu
mit seinem europapolitischen Schwarz-Weiß-           binden und verlässliche Strukturen auf
Denken nicht selbst als Populist zu bezeichnen ist   kommunaler Ebene aufzubauen. Somit werden
und dem rechtspopulistischen Lager den Weg           die Kommunalwahlen zeigen, ob „La République
ebnet. Auch unabhängig von dieser Frage, ist das     en Marche“ sich im französischen Parteiensystem
Verdrängen der französischen Volksparteien           fest verankern kann oder auf den verregneten
kritisch zu sehen; die Beschränkung der              Frühling eine Trockenzeit folgt.
politischen Debatte auf Gut und Böse ist in dieser

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