Venus de Frances - k(eine) Lösung für Bénins Textilbedarf
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Venus de Frances – k(eine) Lösung für Bénins Textilbedarf von Abdel Amine Mohammed, März 2020 Cotonou / Bénin, es ist morgens früh – Anbahnung von Geschäftsverbindungen gegen 7:00 Uhr örtliche Zeit. Der neue zwischen den Händlern und Klient*innen Missèbo-Markt in der Hafenstadt Cotonou bekannt ist. Heutzutage hat sich die Zahl boomt schon mit dem Handel von Second- der Second-Hand-Läden in der Stadt je- Hand-Kleidung und Schuhen, oder wie doch vervielfacht. es hierzulande heißt, „Venus de France“ Offiziell sammeln Organisationen aus der (aus Frankreich kommend – auch wenn westlichen Welt Altkleidung im Namen der die Artikel aus Ländern wie Deutschland Wohltätigkeit – als Spende. Diese werden, stammen). Dieser Markt ist der Großum- sobald sie den afrikanischen Boden errei- schlagplatz der Venus de France in ganz chen, zur Ware. Der Handel mit den Venus Bénin. Auch Waren, die Richtung Burki- de France ist seit Mitte der 90er aus dem na Faso, Niger, Mali und zum Teil nach globalen Textilhandel nicht mehr wegzu- Nigeria verfrachtet werden gehen über denken; daraus ist über die Jahrzehnte al- Cotonou. Einige Händler mit Boutiquen lein in Deutschland ein Millionengeschäft bereiten sich auf den Tag vor, die ohne geworden. Boutique ziehen große Karren voll be- Dieser Handel ist in ganz Afrika verbreitet, laden mit zugeschnürten Plastikpaketen wobei Ghana, Nigeria, die Elfenbeinküs- aus gespendeten Textilien, die ca. 55 bis 60 te, Tansania, Benin, Uganda und Kenia zu Kilogramm wiegen. den größten Märkten der Venus de France Lange Zeit wurden die Venus de France zählen. in Cotonou fast ausschließlich auf dem Missèbo-Markt verkauft, der als Ort der 1
Der Binnenmarkt – Missèbo Protektionismus Für Herrn Tamou, Händler auf dem Mis- Kritik an der Second-Hand-Textil-Geschäft sèbo-Markt, ist der Handel mit den Venus ist für Herrn Tamou kein Grund sein Ge- de France eine lukrative Einnahmequelle. schäftsmodell kritisch zu betrachten oder Damit verdient er seinen Lebensunterhalt dieses sogar für eine andere, bessere seit über 10 Jahren. Über das Geschäft Geschäftsidee aufzugeben. Er kann die und die Provenienz der Kleidung meint er, Konsequenzen von einem kurzfristigen dass das nicht per Zufall läuft; das Ge- Gewinn, langfristiges Leiden (Short-term schäft ist in erster Linie eine Win-Win-Si- gain, long term pain) im Zusammenhang tuation für die direkt Beteiligten. Das gilt mit seinem Geschäft nicht nachvollziehen. sowohl für die Regierung (durch Abnahme Das betrifft auch die Tatsache, dass der von Zollgebühren), als auch für die Händ- Westen seine erfolgreiche Industrialisie- ler (aus dem Westen und die unzähligen rung der Versklavung von Afrikaner*innen kleinen Abnehmer*innen und Marktstand- zu verdanken hat (Eric Williams, 1994). besitzer), so Herr Tamou. Händler aus Dies ist so, weil ihm vielleicht ein [Grund] dem Westen müssen einen Lieferant ha- Wissen über die historischen und gegen- ben, mit dem Geschäftskonditionen fest- wärtigen globalen Zusammenhänge feh- gelegt werden, sonst könne die Idee gleich len. vergessen werden. Grundsätzlich findet In seinem berühmten Buch „Capitalism die Kleidung aus den Staaten, Kanada, EU- and Slavery“ (Kapitalismus und Sklaverei Ländern (insbesondere Italien, Deutsch- – Eric Williams, 1994) argumentierte der land, Holland, Belgien und Frankreich) Historiker und ehemalige Premier Minis- ihren Weg nach Benin. Die Geschäftspart- ter Trinidad und Tobagos, Eric Williams, ner aus dem Westen führen genauso wie dass die Profite aus der Versklavungsin- er und seine Kollegen*innen in Benin ein dustrie viele Zweige der großstädtischen anerkanntes, legales Geschäft. Wirtschaft „befruchtet“ und den Rahmen 2
für Englands industrielle Revolution ge- wicklung der Textilindustrie in Afrika: die- schaffen haben (siehe auch Stuart Hall, se ist in Ghana beispielsweise von 1975 bis 1992). 2000 um 80% zurückgegangen; in Sambia Fest steht, dass die Afrikanischen Län- fiel die Zahl der Arbeitnehmer*innen von der, die besonders viel Bedarf an nach- 25.000 in den 1980er Jahren auf unter holender Industrialisierung haben, es sich 10.000 im Jahr 2002 und in Nigeria sank bisher nicht leisten konnten, ihre jungen die Zahl der Beschäftigten von 200.000 auf Industrien (solange es sie gibt) vor dem eine unbedeutende Zahl. offenen Wettbewerb zu schützen. Doch Ruanda – der kleine Binnenstaat in Ost- keine Industrie war jemals in der Lage, afrika – hatte tatsächlich den Mut auf- im offenen Wettbewerb auf in- oder aus- gebracht und sich in ein Gerangel mit den ländischen Märkten zu überleben bevor USA verwickelt; das afrikanische Land hat sie nicht die Chance hatte, in einem ge- 2018 den Import von Altkleidern verboten. schützten Umfeld zu reifen. Zölle und Die USA reagierten mit der Aussetzung andere Schutzmaßnahmen waren immer Ruandas von den Vorteilen des AGOA-Han- darauf ausgerichtet, die Produktivitäts- delsprogramms, dass den berechtigten unterschiede auszugleichen. Die meis- Ländern südlich der Sahara zollfreien Zu- ten Länder verhängten ein vollständiges gang zu den Vereinigten Staaten gewährt, Importverbot, wenn es um ihre eigene als Gegenleistung für die Beseitigung von wirtschaftliche Entwicklung ging. Protek- Hindernissen u.a. für den Handel und In- tionismus ist hier das Schlagwort. Obwohl vestitionen der USA in ihren Ländern. die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) In solchen Situationen werden die afrika- nichts mehr in punkto Industrialisierung nischen Länder erinnert, wie wirkmächtig zu fürchten haben, hat Präsident Donald die Gegenwart der kolonialen Vergangen- J. Trump während seines Wahlkampfs in heit ist. 2016 der amerikanischen Bevölkerung ein Versprechen unter viele anderen gemacht: mit Protektionismus Amerika wieder groß machen – Make America Great Again!, und Benin, der größte Bauwollproduzent damit die Wahlen „gewonnen“. und der Kolonialpakt Das kleine westafrikanische Land Benin gilt mit rund 700 000 Tonnen als erster Altkleidergeschäft: Verbot und Kon- Bauwollproduzent in Westafrika in den sequenzen Jahren 2018-19. Somit entthront Bénin Langfristig hat der Handel mit den Venus den ehemaligen Meistproduzierenden Mali de France den Effekt, dass Länder nie (660 000 T.), gefolgt von der Elfenbeinküste wirklich eine eigene Textilindustrie auf- (460 000 T.) und Burkina Faso (440 000 T. bauen oder schützen können, solange als Ergebnis der harten Dürre in diesen diese Gebrauchtwaren importieren. Jahren). In einer aus dem Jahr 2006 von der Fried- Die naheliegende Frage ist, warum die rich Ebert Stiftung finanzierten Studie Länder nicht selbst die geerntete Baum- veröffentlichten die beiden Autoren Her- wolle direkt vor Ort verarbeiten bzw. nicht bert Jauch und Rudolf Traub-Merz einige anstreben, eine eigene, regionale Industrie interessante Zahlen in Bezug auf die Ent- aufzubauen. Um die Problematik besser 3
zu verstehen, hilft ein Blick in der Kolo- November 2018 sagt Friedel Hütz-Adams nialvergangenheit diese Länder. vom Südwind-Institut eindeutig, dass die Frankreich als ehemaliger Kolonialherr Gebrauchtkleider erstmal in die afrikani- hat am Ende der Kolonisierung auf die schen Länder gehen, die zahlungsfähig Länder einen Kolonialpakt verhängt, der sind, das habe ja mit Bedürftigkeit nichts diese Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit zu tun“. So seien die Altkleiderimporte des immer noch zwingt ihre „Kolonialschuld“ Kongo sehr gering, obwohl es dort Millio- an Frankreich abzuzahlen. Mit dem Pakt nen Binnenflüchtlinge gebe. „Die können sichert sich Frankreich Zugang zu den nicht zahlen, also gehen da auch nur re- Ressourcen der ehemaligen Kolonien; lativ wenige und eher qualitativ schlechte einen Markt für seine Produkte, Zugang zu Altkleider hin.“ billigen Rohstoffen sowie politischen und Folglich müssen die afrikanischen Länder militärischen Einfluss. die Chance ergreifen bzw. es wagen eine eigene Textilindustrie aufzubauen, auch wenn dieses Experiment kein Spaziergang „Gutgemeint ist nicht immer gut ge- sein wird. macht“ Was die westliche Welt angeht, ist ein Um- Herr Tamous Geschäft bedient in diesem denken in den globalen Strukturen ebenso Sinne den Glauben von Befürwortern des notwendig wie ein Umdenken auf indivi- Altkleidungsgeschäfts ungeachtet der dueller Ebene. Die allseits beliebte Kultur langfristigen Folgen für die wirtschaft- des „Ausmistens“ wird im Hinblick auf die liche Entwicklung der Länder. In einem globalen Zusammenhänge fragwürdig: Artikel der Deutschen Welle (DW) vom Da ist zum einen die Massenproduktion 4
der Fast Fashion Industrie, die durch un- Williams, E. 1994. Capitalism and Slavery, University of North Carolina Press. gerechte Lohnpolitik die Menschen und Hall, S. 1996. Modernity: An Introduction to Modern so- ihre lebensnotwendigen Ressourcen wie ciety, Blackwell Publishers Ltd, Oxford, UK. sauberes Wasser und saubere Luft in https://agoa.info Ländern wie China, Indonesien, Indien, http://library.fes.de/pdf-files/iez/03796/02article.pdf etc. unnötig belasten. Die niedrigen bzw. https://www.dw.com/de/der-altkleider-wahnsinn-mit- spenden-schlechtes-tun/a-46450796 ausgelagerten Kosten ermöglichen den http://revealinghistories.org.uk/africa-the-arrival-of- überflüssigen Shoppingwahn des west- europeans-and-the-transatlantic-slave-trade/articles/ fuelling-the-industrial-revolution.html lichen Lebensstils. Es braucht eine andere https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/alt- Werteausrichtung in der regionalen und kleider-sammlung-was-passiert-mit-den-spenden- globalen Textilproduktion. In Zeiten einer a-908808.html weltweiten ökologischen Krise müsste http://www.rfi.fr/fr/emission/20190517-le-benin-nouve- au-champion-coton-africain dies möglich sein; 60 Prozent der Kleidung https://blogs.mediapart.fr/jecmaus/blog/270119/afrique- werden aus erdölbasierten Kunstfasern un-pacte-colonial-qui-pese-lourdement-sur-la-desti- nee-de-plusieurs-pays gefertigt, deren Produktion dreimal mehr klimaschädliches Treibhausgas emittiere als Baumwolle, so der DW-Artikel weiter. Mikrofasern aus Polyester verschmut- zen Gewässer und seien vor allem wegen ihrer Auswirkungen auf Meereslebewesen brisant, beklagt Greenpeace. Außerdem würde Polyester oft mit Naturmaterialien gemischt, wodurch die Stoffe kaum recyc- lingfähig seien. Das Verbot des globalen Geschäfts mit Altkleidern würde nicht nur im Sinne einer globalen Gerechtigkeit ärmere Ländern unterstützen, ihre eigenen Industrien zu etablieren. Es könnte auch Impulse für einen nachhaltigeren Umgang mit Res- sourcen sowohl im Westen als auch in den afrikanischen Ländern setzen. Quellen: 5
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