"Gegen Unsinn muss ich mich wehren" - Handelsblatt

Die Seite wird erstellt Josefine Pietsch
 
WEITER LESEN
"Gegen Unsinn muss ich mich wehren" - Handelsblatt
Streitgespräch – 3. März 2023

„Gegen Unsinn muss ich mich wehren“
Wirtschaftsweisen-Chefin Monika Schnitzer und Michael Hüther, Direktor
des Instituts der deutschen Wirtschaft, streiten darüber, ob die
Bundesregierung Steuern erhöhen sollte, um Krise und Transformation zu
finanzieren.
Wenn zwei Bundesminister sich förmliche Briefe schreiben, geht es in der Regel um
Grundsätzliches. Im Brief von Robert Habeck an Christian Lindner und dessen
Antwort behandelten die beiden kürzlich die Frage, wie die Ampel ihre vielen
Projekte finanzieren soll. Allein für 2024 übersteigen die Ausgabenwünsche den
Haushaltsplan um 70 Milliarden Euro.

Habeck und Lindner scheinen aber in einer Sackgasse, keiner von beiden will bei
seinen eigenen Projekten streichen. Habeck brachte in seinem Brief aber eine
Alternative ins Spiel: höhere Einnahmen, also auch höhere Steuern. Wäre es das
wert? Zwei führende Ökonomen sind sich da uneinig. Monika Schnitzer, Vorsitzende
des Sachverständigenrats der Wirtschaftsweisen, und Michael Hüther, Direktor des
Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), geraten in der Diskussion um
Einkommensteuer, Wettbewerbsfähigkeit, Schuldenbremse und Erbschaftsteuer hart
aneinander.

Frau Schnitzer, Robert Habeck und Christian Lindner haben sich in der
Haushaltsplanung überworfen. Es gibt zu wenig Geld für zu viele Vorhaben.
Wie lässt sich das lösen?

Schnitzer: Nur auf Schuldenfinanzierung zu setzen wird nicht gehen. Es gibt also
zwei Lösungen. Die Regierenden müssen priorisieren, wofür sie das Geld ausgeben.
Das kann die Lücke im Haushalt etwas verkleinern. Sie wird sich dadurch aber nicht
schließen lassen. Die zweite Möglichkeit sind mehr Einnahmen. Die
"Gegen Unsinn muss ich mich wehren" - Handelsblatt
Steuereinnahmen erhöhen sich aber nicht von allein, weil Deutschland seit vier
Jahren so gut wie gar nicht mehr wächst. Im Gegenteil: Die Energiekrise hat
Deutschland massiv ärmer gemacht. Das muss jemand tragen.

Sie wollen also Steuern erhöhen?

Schnitzer: Wir haben uns im Sachverständigenrat für eine befristete Anhebung des
Spitzensteuersatzes oder die Einführung eines befristeten Energie-Solis
ausgesprochen. Mit der Begründung, dass die jetzt gestarteten Energiepreisbremsen
nicht ausreichend zielgenau sind. Besserverdienende bekommen mehr staatliche Hilfe
als ärmere Menschen, obwohl diese es dringender bräuchten. Ein anderer Vorschlag
war, den Ausgleich der kalten Progression zu verschieben, das hätte einen ähnlichen
Effekt gehabt.

Herr Hüther, was halten Sie von der Idee?

Hüther: Wir sind als Volkswirtschaft ärmer geworden, ja. Daraus aber den Bedarf
Steuererhöhungen abzuleiten ist weder ökonomisch noch politisch überzeugend,
sondern schlicht absurd. Jede Steuer, die Sie anheben, führt auch zu einer höheren
Belastung für Unternehmen. In der Krise Steuern zu erhöhen ist grundsätzlich falsch.
Auch die kalte Progression als politisches Instrument auszunutzen, wenn die Inflation
hoch ist, ist nicht nur falsch, sondern ein Vertrauensbruch.

Schnitzer: Klar betrifft das immer auch Unternehmen - aber eben nur solche, die
Gewinn machen. Und es gab in diesem Jahr einige Unternehmen, die hervorragende
Gewinne gemacht haben.

Hüther: Unternehmen und hohe Einkommen werden ja bislang nicht nur ein bisschen
hier und da besteuert. Wir haben mit 24,5 Prozent die höchste volkswirtschaftliche
Steuerquote seit der Wiedervereinigung. Und unser Steuersystem ist doch längst so
ausgestaltet, dass die reicheren Haushalte und Unternehmen die Hauptlast tragen.
Man muss die Betroffenen nicht doch noch zu einem weiteren Wohlstandsverlust
treiben, indem Sie den Standort Deutschland noch unattraktiver machen.

2
Schnitzer: Ich glaube nicht, dass bis 2024 befristete Steuererhöhungen gleich den
ganzen Standort in den Ruin führen würden. Studien zeigen: Eine permanente
Steuererhöhung um einen Euro reduziert die Investitionen um 25 Cent. Unser
Vorschlag sind temporäre Erhöhungen. Ein eventueller negativer Effekt ist also
überschaubar.

Hüther: Es ist doch eine Mär, dass man Steuererhöhungen politisch verlässlich
befristen könnte.

Schnitzer: Die allermeisten Steuern sind wieder abgeschafft worden. Es gibt wirklich
nur eine Steuer, bei der das nicht der Fall ist: die Schaumweinsteuer. Wir gleichen
regelmäßig die kalte Progression aus. Das ist alle zwei Jahre eine Steuersenkung.

Hüther: Und der Soli?

Schnitzer: Der Soli? Der wurde doch zur Hälfte schon wieder abgeschafft.
Außerdem: Wer geglaubt hat, die Einheit sei in ein paar Jahren erledigt, war
blauäugig. Auch der Bundesfinanzhof sieht aktuell noch einen erhöhten Finanzbedarf
aus der Wiedervereinigung. Und wenn man es nicht schafft, ein Gesetz zu machen,
das ein klares Enddatum enthält, dann hat die Regierung ihren Job verfehlt.

Hüther: Frau Schnitzer, es ist doch ein reiner Hoffnungswert zu glauben, dass eine
breite Besteuerung so leicht zurückgenommen wird. Sie kommen aus der Nummer
nicht mehr raus, alles andere zu glauben, halte ich für politische Naivität.

Zurück zum Kern: Warum sollten nicht zielgenaue Energiepreisbremsen mit
Steuern ausgeglichen werden, Frau Schnitzer?

Schnitzer: Leute wie Herr Hüther und ich, wir brauchen diese Energiehilfen nicht.
Doch wir bekommen sie trotzdem und noch mehr als andere, weil wir größere Häuser
oder Wohnungen als Menschen mit geringerem Einkommen haben. So wird mehr
Geld ausgegeben als nötig, auf Kosten unserer Kinder, die die Schulden später
abbezahlen müssen, was weiter die Inflation antreibt.

3
Hüther: Das passt doch nicht zusammen, was Sie sagen. Sie tun gerade so, als
könnten Sie mit dem Millimetermaß Zielgenauigkeit herstellen. Das ist unrealistisch.
Ob die Energiepreisbremsen überhaupt eine Rolle spielen werden, ist angesichts der
sinkenden Marktpreise für Gas und Strom zudem nicht klar. Sie wollen also
steuerpolitisch in Vorleistung gehen.

Schnitzer: Dass gerade konservative Ökonomen wie Sie, die sonst immer so auf das
Geld achten, jetzt so wenig auf Sparsamkeit setzen, finde ich wirklich erstaunlich.

Hüther: Das halte ich für absurd. Vor allem, weil es im Gegenzug kein konkretes
Konzept für Ihren Vorschlag gibt. Im Jahresgutachten des Sachverständigenrats sind
dazu nicht mehr als ein paar allgemeine Sätze zu finden und keinerlei Analyse, wie
ziel- oder eben auch ungenau die Preisbremsen wirklich sind und was genau welche
Steuererhöhungen ändern würden. Das ist erschütternd, was daraus an politischer
Welle inszeniert wurde.

Schnitzer: Wir haben kein Konzept mit quantifizierten Abschätzungen vorgelegt, was
aber auch daran liegt, dass die Gaspreisbremse erst drei Tage vor Übergabe unseres
Jahresgutachtens fertig war. Aber anscheinend haben wir, wenn ich Ihnen so zuhöre,
einen wunden Punkt getroffen, sonst müssten Sie sich als Direktor eines
arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituts nicht so dagegen wehren.

Hüther: Gegen ökonomischen Unsinn muss ich mich wehren. Ihre Argumente
überzeugen mich nicht. Die Empfänger müssen die Hilfen aus den
Energiepreisbremsen versteuern, schon das schafft mehr Gerechtigkeit.

Schnitzer: Aber es bleibt bei den Besserverdienenden netto immer noch etwas übrig,
obwohl sie es nicht brauchen, wir haben ja keinen Steuersatz von 100 Prozent.

Hüther: Was Sie hier vortragen, entspricht sicher einer in Teilen der Gesellschaft
verbreiteten Haltung. Bloß ist es ein rein politischer Vortrag mit Werturteilen.

4
Schnitzer: Dass Sie alles, bei dem der Begriff Steuern in Kombination mit Erhöhung
zusammenkommt, kategorisch ablehnen, ist doch die Reinform eines politischen
Werturteils. Wir haben ökonomische Argumente vorgetragen.

Hüther: Nö, haben Sie nicht.

Schnitzer: Doch.

Hüther: Nein. Sie müssen Ihren eigenen Text mal lesen. Da steht nichts zur konkreten
Ausgestaltung für spezifische Gründe drin.

Schnitzer: Wir haben geschrieben: Ein Gesamtpaket von Entlastung für alle und
Belastung für Besserverdienende ermöglicht bessere Zielgenauigkeit, reduziert somit
die notwendige Schuldenfinanzierung und verringert den inflationstreibenden
Fiskalimpuls. Ich habe noch kein Argument von Ihnen gehört, dass diese
Argumentation widerlegt.

Die eigentliche Frage neben den Energiehilfen ist doch: Wer trägt neben den
Kosten der Krise die Kosten der Transformation der Wirtschaft?

Hüther: Richtig. Wir haben eine Unterfinanzierung in vielen Bereichen, vor allem in
der Infrastruktur. Über den normalem Steuerhaushalt ist das nicht zu bewältigen.
Aber da geht es nicht nur um die Frage, ob Arm oder Reich das finanzieren, sondern
vor allem, welche Generation das tut. Es ist nicht gerecht, wenn eine Generation
beides leisten muss: Die Vergangenheit aufräumen und die Transformation stemmen.
Anstatt mit steuerpolitischen Debatten die Verantwortung hin und her zu schieben,
brauchen wir eine klare Antwort: Investitionen in die Zukunft, und ja, das bedeutet,
die nötige Transformation fokussiert über Kredite zu finanzieren.

Führt das die Schuldenbremse nicht ad absurdum?

Hüther: Es ist richtig, dass Finanzminister Lindner an der Schuldenbremse vorbei
kreditfinanzierte Geldtöpfe schafft. Dafür braucht es aber systematische Kriterien,
jetzt ist es Wildwuchs.

5
Schnitzer: Das sehe ich anders. Unsere Generation, Herr Hüther, hat in den
vergangenen 30 Jahren sehr gut gelebt und wenig Steuern etwa für die
Verteidigungsausgaben zahlen müssen. Diese versäumten Ausgaben über Schulden
allein der nächsten Generation aufzubürden, die mehr als gefordert sein wird, unsere
Renten zu finanzieren, erscheint mir nicht richtig.

Eine andere Idee aus Richtung der FDP lautete zuletzt, an der Mehrwertsteuer
zu schrauben, um Entlastungen bei der Einkommensteuer zu finanzieren.

Schnitzer: Davon halte ich nichts, schon gar nicht mit Blick auf die ohnehin immer
teurer werdenden Lebensmittel. Das würde die einkommensschwächeren Schichten
hart treffen.

Hüther: Ein einheitlicher Satz von 16 Prozent Mehrwertsteuer als Ersatz hätte in der
Tat große verteilungspolitische Auswirkungen. Wir bräuchten viel mehr eine
grundlegende Steuerreform, die das System als Ganzes in den Blick nimmt.

Der Bund könnte zumindest bei den vielen Ausnahmen aufräumen, für die der
verminderte Mehrwertsteuersatz gilt.

Schnitzer: Ja, ohne Zweifel, an diese Ausnahmen sollten wir ran. Dass ein Latte
macchiato zum Mitnehmen mit sieben Prozent, ein schwarzer Kaffee mit 19 Prozent
besteuert wird, ergibt keinen Sinn. Die Ausnahmeregelungen sind oft willkürlich und
öffnen dem Lobbyismus Tür und Tor.

Hüther: Das sehe ich ähnlich, große Einnahmespielräume wird das allerdings nicht
schaffen.

Die ließen sich dafür über die Einführung einer Vermögensteuer generieren, die
die SPD-Vorsitzende Saskia Esken jetzt wieder fordert.

6
Hüther: Bitte nicht schon wieder diese Diskussion. Der Aufwand steht in keinem
Verhältnis zum Ertrag. Wenn wir über die Besteuerung der Substanz sprechen
wollen, dann über die Erbschaftsteuer bei Privatvermögen. Eine Debatte darüber, ob
leistungsloses Einkommen sinnvoll ist oder nicht, kann man durchaus führen. Aber
Vermögensteuer? Um Gottes willen nein, das würde ja nicht einmal Frau Schnitzer
vorschlagen.

Schnitzer: Da liegen Sie ausnahmsweise mal richtig, Herr Hüther. Und ja, an die
Erbschaftsteuer müssen wir ran - allerdings vor allem an die Frage, wie die
Vererbung von Unternehmen besteuert werden sollte.

Frau Schnitzer, Herr Hüther, vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellten Jens Münchrath und Julian Olk.

„Herr Hüther, dass Sie alles, bei dem der Begriff Steuern in Kombination mit
Erhöhung zusammenkommt, kategorisch ablehnen, ist doch die Reinform eines
politischen Werturteils.“

Monika Schnitzer, Chefin der Wirtschaftsweisen

Michael Hüther

Der Ökonom: Der 60-Jährige ist gebürtiger Düsseldorfer. Nach einem Studium der
Wirtschaftswissenschaften und der Geschichte in Gießen und Norwich wurde er 1990
mit einer Arbeit zu Steuer-Transfersystemen promoviert. Anschließend arbeitete er
im Wissenschaftlichen Stab des Sachverständigenrats und war ab 2001 Chefvolkswirt
der Dekabank. Neben seiner Tätigkeit als IW-Direktor ist Hüther Honorarprofessor
an der privaten Universität EBS in Oestrich-Winkel.

7
Der IW-Direktor: Im Jahr 2004 übernahm Hüther die Leitung des arbeitgebernahen
Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit Sitz in Köln. Das IW vertritt überwiegend
wirtschaftsliberale Positionen und sieht sich selbst als "Anwalt der Sozialen
Marktwirtschaft".

Monika Schnitzer

Die Ökonomin: Die 61-Jährige studierte Volkswirtschaftslehre in Köln und wechselte
nach ihrer Promotion an die Universität Bonn, wo sie habilitiert wurde. 1995
wechselte sie nach München und hat seitdem den Lehrstuhl für Komparative
Wirtschaftsforschung inne. Schnitzer gilt seither als ausgewiesene Expertin auf den
Feldern Wettbewerb und Innovationsökonomik.

Die Wirtschaftsweise: Im Jahr 2020 wurde Schnitzer zusammen mit Veronika Grimm
in den Sachverständigenrat berufen. Seit 2022 ist sie die erste Frau an der Spitze des
wichtigsten ökonomischen Beratungsgremiums. Ende 2022 schlugen die Experten
unter anderem vor, für die Finanzierung der Krisenkosten zeitlich begrenzt die
Steuern für Besserverdiener zu erhöhen.

8
Sie können auch lesen