GEOÖKONOMIK UND NULLSUMMENSPIEL - KONSEQUENZEN FÜR DIE HANDELSPOLITIK - ECON.STAT LECTURE UNIV. PROF. GABRIEL FELBERMAYR, PHD INNSBRUCK, 4. APRIL 2022
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Geoökonomik und Nullsummenspiel - Konsequenzen für die Handelspolitik econ.stat lecture Univ. Prof. Gabriel Felbermayr, PhD Innsbruck, 4. April 2022
Agenda • Slobalisation und die Gründe dafür • Strategische Rivalität und Nullsummenlogik • Wirtschaftssanktionen als „War by Other Means“ • Schlussfolgerungen für die EU Handelspolitik SEITE 2 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Slobalisation: de iure De jure Globalisierungsindexb) Anzahl neuer handelspol. Maßnahmen 1800 102 1600 protektionistisch 100 1400 liberalisierend 98 1200 96 1000 94 92 800 90 600 88 400 86 200 84 0 2000 2003 2006 2009 2012 2015 2018 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Q: KOF und Global Trade Alert, 2021. Eigene Darstellung und Berechnungen. SEITE 3 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Slobalisation: de facto Index der Gütermarktglobalisierung Anteil (%) ausländischer Inputs im Export 110 30 USA 105 25 China Eurozone 100 20 95 15 90 10 85 5 80 0 2000 2004 2008 2012 2016 2020 2005 2008 2011 2014 2017 2020 Q: OECD, CPB und eigene Berechnungen. SEITE 4 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Gründe für Slobalisation • Neuer Protektionismus erklärt kausal circa 40% der Abschwächung des Handelswachstum seit 2010 (Kinzius et al, 2019) • „Murky Protectionism“ besonders schädlich wegen Unsicherheit und fehlender Transparenz (Evenett, 2013) • „Normalisierung“ Chinas • Gravity: Ohne Absenkung von Handelsbarrieren wächst Handel mit der selben Rate wie BIP • Präferenzen: Einkommenselastizitäten für nicht-handelbare Güter könnten größer als 1 sein SEITE 5 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Warum neue Handelsbarrieren Eine Auswahl von Gründen 1. Globalisierung als Projekt der Eliten / Rückkehr nationalstaatlicher Identifikation (Braml & Felbermayr, 2020) 2. Zunehmende Ungleichheit durch Globalisierung 3. Theorie des Föderalismus: Optimaler Integrationsgrad könnte sich aufgrund exogener Veränderungen reduziert haben. 4. Handelspolitik zur Durchsetzung nicht-handelspolitischer Ziele: Umwelt, Arbeitsstandards, Menschenrechte, u.s.w. 5. Zusammenbruch kooperativer Gleichgewichte: Versuch der opportunistischen Manipulation der Terms-of-Trade 6. Geostrategische Rivalität: Vom Positivsummenspiel der Handelsökonomik zum Nullsummenspiel der Politikwissenschaft SEITE 6 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Hyperglobalisierung: China als Gewinner • 1990-2008: Hyperglobalisierung (Rodrik) BIP, lfd. USD Mrd. − Zollabbau 50 − Schaffung der WTO (1995), Beitritt Chinas Nov. 2001 40 2032 − Unilaterale Reformen 30 − Regulatorische Kooperation USA − ... 20 Fragmentierung der Produktion 10 Große aggregierte Handelsge- winne im „Norden“ und „Süden“ CHN 0 Große Konvergenz (R. Baldwin) 1980 1986 1992 1998 2004 2010 2016 2022 2028 2034 2040 SEITE 7 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Das China Syndrom Industriebeschäftigung, Mio. 18 16 14 12 10 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014 2018 SEITE 8 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Ende des liberalen Zeitalters • Frühe 1990er Jahre: − Ende des Systemwettbewerbs mit Kommunismus − Alle Länder (+/-) demokratische Marktwirtschaften SEITE 9 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Ende des liberalen Zeitalters • Frühe 1990er Jahre: − Ende des Systemwettbewerbs mit Kommunismus − Alle Länder (+/-) demokratische Marktwirtschaften • 2008: Ende des (Washington) Konsens − Vertrauen in “westliches” Modell erschüttert − Neue geostrategische Rivalitäten, Systemwettbewerb − Blackwill und Harris (2016) „War by other means“ SEITE 10 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Ende des liberalen Zeitalters • Frühe 1990er Jahre: − Ende des Systemwettbewerbs mit Kommunismus − Alle Länder (+/-) demokratische Marktwirtschaften • 2008: Ende des (Washington) Konsens − Vertrauen in “westliches” Modell erschüttert − Neue geostrategische Rivalitäten, Systemwettbewerb − Blackwill und Harris (2016) „War by other means“ Rückkehr von Machtpolitik und Nationalismus in die internationale Politik Krise des kooperativen Multilateralismus SEITE 11 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Vor- und Nachteile der Arbeitsteilung An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) • Freier Wettbewerb und Arbeitsteilung, intra- und international als Quelle von Wohlstand • Kritisiert die Ausbeutung von Handelspartnern mit beggar-thy- neighbour Praktiken (Zölle, Subventionen, ...) Quelle: Wikipedia. SEITE 12 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Vor- und Nachteile der Arbeitsteilung An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) • Freier Wettbewerb und Arbeitsteilung, intra- und international als Quelle von Wohlstand • Kritisiert die Ausbeutung von Handelspartnern mit beggar-thy- neighbour Praktiken (Zölle, Subventionen, ...) • Aber: Arbeitsteilung schafft Abhängigkeiten und erfordert Vertrauen • Smith: „…defence, however, is of much more importance than opulence“ (Book IV, Chapter II, p. 465) Daher ggf. Beschränkung des Außenhandels (Navigation Acts) Quelle: Wikipedia. SEITE 13 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Defence much more important than opulence • GATT Art XXI: Ausnahmen bei Bedrohung der nationalen Sicherheit • Section 232: US Stahl- und Aluminiumzölle (bald Autos ?) • Dominanzlogik = Nullsummenlogik. WTO nicht dafür gemacht. SEITE 14 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Defence much more important than opulence • GATT Art XXI: Ausnahmen bei Bedrohung der nationalen Sicherheit • Section 232: US Stahl- und Aluminiumzölle (bald Autos ?) • Dominanzlogik = Nullsummenlogik. WTO nicht dafür gemacht. SEITE 15 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel ?
Agenda • Slobalisation und die Gründe dafür • Strategische Rivalität und Nullsummenlogik • Wirtschaftssanktionen als „War by Other Means“ • Schlussfolgerungen für die EU Handelspolitik SEITE 16 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Kooperation im Welthandelssystem • Kein Anreiz zu unilateralem Abbau von Importzöllen: Verschlechterung der Terms-of-Trade (t-o-t) • Abweichung von Niedrigzollsituation unilateral vorteilhaft: Verbesserung der t-o-t Gefangendilemma: Opportunistisches Verhalten ist die dominierende Strategie. Quelle: Felbermayr, PWP 2018. SEITE 17 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Kooperation im Welthandelssystem • Kein Anreiz zu unilateralem Abbau von Importzöllen: Verschlechterung der Terms-of-Trade (t-o-t) • Abweichung von Niedrigzollsituation unilateral vorteilhaft: Verbesserung der t-o-t Gefangendilemma: Opportunistisches Verhalten ist die dominierende Strategie. Bsp: Felbermayr et al. Im Melitz-Modell, JIE, 2013 • Nash-Gleichgewicht mit Zöllen von 25-40% • Auch kleine Volkswirtschaften setzen optimale Zölle > 0 Ganz ähnlich: Wettbewerb um Firmen (Ossa, 2011) Quelle: Felbermayr, PWP 2018. SEITE 18 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Der Erfolg von GATT und WTO Bagwell & Staiger (2002, 2022) • Kern des Problems sind t-o-t Externalitäten • GATT/WTO dient als Forum für wiederholte Spiele • Verhandlungen basieren auf dem Austausch von Marktzugang • Nach den Grundsätzen der Meistbegünstigung und des National Treatment • Und Regeln für (tit-for-tat) Sanktionen • Effektive Internalisierung von t-o-t Externalitäten • Die Zielfunktionen der Regierungen sind = wobei die Gleichgewichtsergebnisse des Landes sind (z.B. realer Konsum), Wohlfahrt Quelle: Felbermayr, PWP 2018. SEITE 19 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Die Rolle von Vertrauen in “rule of law” Bagwell/Staiger (2002, 2022): keine externen Effekte in Payoff-Funktion • Aber funktioniert die Theorie noch, wenn = , ≠ ? Z.B., = , mit beiden partiellen Ableitungen positiv? Quelle: Felbermayr, PWP 2018. SEITE 20 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Die Rolle von Vertrauen in “rule of law” Bagwell/Staiger (2002, 2022): keine externen Effekte in Payoff-Funktion • Aber funktioniert die Theorie noch, wenn = , ≠ ? Z.B., = , mit beiden partiellen Ableitungen positiv? • Pathologischer Fall (Trump-Präferenzen)? Nein. Verhaltensökonomie, Politikwissenschaft (Powell, 1991) • Lazear/Rosen-Turnier anstelle eines Positivsummenspiels • Welches Gewicht hat die relative Position in der Zielfunktion? Hängt von Vertrauen ab, dass die Handelspartner bestimmte basale Normen einhalten (rule-of-law) Quelle: Felbermayr, PWP 2018. SEITE 21 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Kooperation im Welthandelssystem 1− • Zielfunktion eines Landes : = / / mit ( BIP, Bevölkerung, indiziert ein rivalisierendes Land. ∈ 0,1 misst Systemwettbewerb (Vertrauen) • Bagwell-Staiger erfordert = 1. Positiv-Summen-Spiel. 1948-2008: GATT/WTO System hat funktioniert ( = 1 ): • 1948-1990: weil unter Mitgliedern kein Systemwettbewerb bestand • 1990-2008: „End-of-History“ Narrative / US Hegemonie SEITE 22 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Kooperation im Welthandelssystem 1− • Zielfunktion eines Landes : = / / mit ( BIP, Bevölkerung, indiziert ein rivalisierendes Land. ∈ 0,1 misst Systemwettbewerb (Vertrauen) • Bagwell-Staiger erfordert = 1. Positiv-Summen-Spiel. 1948-2008: GATT/WTO System hat funktioniert ( = 1 ): • 1948-1990: weil unter Mitgliedern kein Systemwettbewerb bestand • 1990-2008: „End-of-History“ Narrative / US Hegemonie Seit 2008: Neuer Systemwettbewerb zwischen „West“ und „Ost“, d.h. < 1: Null-Summen-Spiel Wenn < 1, bricht die Theorie zusammen – zusätzliche Externalität / Sicherheitsbedenken SEITE 23 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
EU-US Handelskrieg: Simulationsergebnisse Effekte auf das Reale BIP im Mrd. USD in USA und China Status Quo Eskalation nur USA beide nur USA beide 3.5 -2.6 -2.2 -5.7 -9.3 -9.5 USA China -30.4 -33.7 Quelle: Felbermayr & Steininger. Status Quo: im März 2019 verhängte Zölle mit ihrer Höhe. Eskalation: Verzollung des Gesamthandels mit 25%. SEITE 24 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Trade wars: “good, and easy to win”? • Falsch, wenn das Ziel die Maximierung des Prokopfkonsums ist. • Richtig, wenn es darum geht, einen geostrategischen Herausforderer auf Distanz zu halten. Strategischer Einsatz von Unsicherheit als Machtmittel Quelle: Twitter. SEITE 25 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Si vis pacem, para bellum Stabilität durch Sanktionsdrohung • In wiederholten Spielen kann die Drohung von Sanktionen das kooperative Gleichgewicht herbeiführen: Entzug von Marktzugang • Glaubwürdige Sanktionen verbleiben „off-equilibrium“; keine Umsetzung. Aber Glaubwürdigkeit ist nicht immer gegeben − Problem mit der Anreizkompatibilität (Umsetzung der Drohung ist teuer) − Z.B., weil „Typ“ der Handelspolitiker nicht bekannt ist SEITE 26 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Si vis pacem, para bellum Stabilität durch Sanktionsdrohung • In wiederholten Spielen kann die Drohung von Sanktionen das kooperative Gleichgewicht herbeiführen: Entzug von Marktzugang • Glaubwürdige Sanktionen verbleiben „off-equilibrium“; keine Umsetzung. Aber Glaubwürdigkeit ist nicht immer gegeben − Problem mit der Anreizkompatibilität (Umsetzung der Drohung ist teuer) − Z.B., weil „Typ“ der Handelspolitiker nicht bekannt ist • Investitionen in Glaubwürdigkeit: − Delegation der Entscheidung über Vergeltungsmaßnahmen an unabhängige technokratische Institution − Regelbasierte (automatische) Anordnung von Vergeltungsmaßnahmen − Interne Kompensation der Verlierer (Felbermayr / Herrmann) • Stärke der Sanktion: Größe/Tiefe des eigenen Marktes SEITE 27 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Agenda • Slobalisation und die Gründe dafür • Strategische Rivalität und Nullsummenlogik • Wirtschaftssanktionen als „War by Other Means“ • Schlussfolgerungen für die EU Handelspolitik SEITE 28 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Anzahl der Sanktionsepisoden nimmt zu Anzahl der Sanktionsregime in Kraft nach offiziellem Ziel 300 250 200 150 100 50 0 1950 1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Politikwechsel Destabilisierung eines Regimes Bewendung eines territorialen Konfliktes Abwendung eines Krieges Terrorismusbekämpfung Beendigung eines Krieges Beachtung von Menschenrechten Demokratisierung Q: Kirilakha, Felbermayr et al., 2021. Daten der https://www.globalsanctionsdatabase.com/ SEITE 29 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Relative Attraktivität der Sanktionstypen verändert sich 500 70% 1950 1982 2019 60% 400 50% 300 40% 30% 200 20% 100 10% 0 0% Sanctions Restrictions Trade Sanctions Arms Embargoes Military Sanctions 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Financial Travel Other Sanctions Travel Restrictions Financial Sanctions Military Sanctions Arms Embargoes Trade Sanctions Q: Kirilakha, Felbermayr et al., 2021. Daten der https://www.globalsanctionsdatabase.com/ SEITE 30 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Erfolgsquoten steigen – was heißt das? 100% Failed Was heißt „Erfolg“? GSDB verwendet 90% offizielle Aussagen 80% Höhere Erfolgsquoten wenn 70% − Bessere Sanktions-"Technologie" 60% Partial Success − Absender „größer“ als Zielland Negotiated 50% Settlement − Sanktionen sind umfassend 40% − Wenig Substitute (bei Waren oder 30% Handelspartnern) 20% Total Success − Länder pflegen traditionell freundschaftliche Beziehungen 10% 0% − Sanktionen sind in ein breiteres Maßnahmenbündel eingebettet 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 2016 2019 Q: Kirilakha, Felbermayr et al., 2021. Daten der https://www.globalsanctionsdatabase.com/ SEITE 31 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
GSDB: Handelseffekte umfassender Sanktionen Ökonometrische Ex-Post- Evaluation: Erfahrungen aus existierenden Sanktionsepisoden der Vergangenheit Simulation der gesamt- wirtschaftlichen Effekte mit einem Handelsmodell (indirekte Effekte durch Handelsumlenkung und -59% -93% BIP-Anpassung) Q: Dai, Felbermayr et al., 2021, Timing the Impact of Sanctions on Trade. https://doi.org/10.4337/9781839102721.00031 SEITE 32 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Beispiel: Russland BIP pro Kopf in KKP, 2017 USD Anteil am Welt-BIP (USD, in %) 30000 3.5% 3.0% 25000 2.5% 20000 2.0% 15000 1.5% 10000 1.0% 5000 0.5% 0 0.0% Q: Weltbank, eigene Darstellung. Schattierte Fläche: Ära Putin. SEITE 33 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Ex post Evaluation der Krim-Sanktionen gegen Russland Effekte auf das reale BIP (in %) durch Sanktionen im Zuge der Krim-Annexion Q: Chowdhry, Felbermayr et al., 2020, The Economic Costs of War By Other Means, www.ifw-kiel.de/publications/kiel-policy-brief/2020/ the-economic-costs-of-war-by-other-means-15301/ SEITE 34 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Ex post Evaluation der Krim-Sanktionen gegen Russland Effekte auf das reale BIP (in %) durch Sanktionen im Zuge der Krim-Annexion 1.0 0.5 0.0 -0.10 -0.5 -0.23 -1.0 -1.5 -2.0 Österreich Estland Polen Slovenien Schweiz Rumänien Türkei Finnland Belgien Kroatien Italien Slowakei Bulgarien Tschechien Zypern Luxemburg Dänemark Deutschland Norwegen Frankreich Neuseeland Australien Südkorea Irland Japan Portugal Litauen Ungarn Schweden Malta Lettland USA Kanada Niederlande Griechenland Spanien Albanien UK Q: Chowdhry, Felbermayr et al., 2020, The Economic Costs of War By Other Means, www.ifw-kiel.de/publications/kiel-policy-brief/2020/ the-economic-costs-of-war-by-other-means-15301/ SEITE 35 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Ex-Ante: Langfristige Effekte eines Decoupling mit Russland Reales Prokopfeinkommen, in % des Basiswertes LVA -2.02 EST -1.98 SVK -1.68 CZE -1.16 CYP -1.15 BGR -1.11 GRC -0.95 FIN -0.88 +0.55 HUN -0.86 -9.71 SVN -0.83 POL -0.78 BEL -0.51 HRV -9.71 -0.49 DEU -0.4 -0.40 LUX -0.33 IRL -0.32 ITA -0.31 -0.16 -0.28 ROM -0.28 AUT -0.28 SWE -0.26 PRT -0.25 -0.31 ESP -0.22 FRA -0.16 CHE -0.12 NLD -0.12 GBR -0.09 DNK -0.04 NOR 0.55 Q: Felbermayr et al., 2022. Annahme Handel zwischen EU, US, UK, JPN, CAN, KOR und RUS wird komplett eingestellt. Langfristige Effekte auf reales BIP pro Kopf. SEITE 36
Ex-Ante: Langfristige Effekte eines Decoupling mit Russland 58.8 1.9 0 -0.1 -9.1 -5.7 -9.7 -0.2 -45.2 -96.4 -97.7 -140 Russland Russland Russland Russland Russland US+EU US+EU US+EU US+EU US+EU Bilaterale Exporte zu Importe von Gesamt- Reales Exporte Drittstaaten Drittstaaten exporte BIP/Kopf Q: Felbermayr et al., 2022. Annahme Handel zwischen EU, US, UK, JPN, CAN, KOR und RUS wird komplett eingestellt. SEITE 37 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Ex-Ante: Langfristige Effekte eines Decoupling mit Russland Q: Felbermayr et al., 2022. Annahme Handel zwischen EU, US, UK, JPN, CAN, KOR und RUS wird komplett eingestellt. SEITE 38 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Lf Effekte eines Finanzmarkt Decoupling mit Russland Langfristige Effekte auf das reale BIP pro Kopf (in %) 2.0 0.2 0.2 0.0 0.0 0.0 0.0 0.0 0.0 -0.1 -0.1 -2.0 -0.2 -0.2 -0.2 -4.0 -0.3 -0.4 -6.0 -0.6 -8.0 -0.8 -8.4 -10.0 -1.0 RUS KGZ TJK BLR XSU KOR ARM GEO AZE KAZ UKR Q: Kiel Institut. Szenario: Russland kann nicht mehr auf importierte Finanzdienstleistungen zugreifen. Langfristige Effekte auf das reale BIP pro Kopf. SEITE 39 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Lf Effekte eines Finanzmarkt Decoupling mit Russland Langfristige Effekte auf das reale BIP pro Kopf (in %) ESP 0.00 LUX -0.10 SWE 0.01 EST -0.10 AUT 0.01 HRV -0.06 NOR 0.01 LTU -0.06 DNK GRC -0.06 0.02 SLV -0.05 ITA 0.04 BEL -0.05 DEU 0.04 LVA -0.04 BGR 0.05 POL -0.04 HUN 0.05 SVN -0.03 CZE 0.08 FIN -0.02 CYP 0.16 NLD -0.01 SVK 0.17 FRA -0.01 IRL 0.21 ROU 0.00 Q: Kiel Institut. Szenario: Russland kann nicht mehr auf importierte Finanzdienstleistungen zugreifen. Langfristige Effekte auf das reale BIP pro Kopf. SEITE 40 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Agenda • Slobalisation und die Gründe dafür • Strategische Rivalität und Nullsummenlogik • Wirtschaftssanktionen als „War by Other Means“ • Schlussfolgerungen für die EU Handelspolitik SEITE 41 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Neues Paradigma der EU-Handelspolitik • 2021 Trade Policy Review: „Open strategic autonomy“ with the help of „sustainable and assertive trade policy“; Nachvollzug von Entwicklungen anderswo (US, CHN, RUS, IND, ...) • Durchsetzungsfähig (assertive)? Drängen auf Reziprozität − Z.B. Internationales Beschaffungsinstrument (International Procurement Instrument) − Z.B. Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen (Anti-Coercion Instrument) • Tragen mehr und mehr automatische Sanktionsinstrumente zur Durchsetzung eines kooperativen Gleichgewichts bei? • Zurück zu Schelling (1950er Jahre) SEITE 42 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Neues Paradigma der EU-Handelspolitik • Vermehrung von (unabhängigen? handelspolitischen und nicht handelspolitischen) Zielen, geringe Anzahl von (unabhängigen?) Instrumenten (die meisten im Bereich der Handelspolitik) • Wiederaufleben von Tinbergen (1952): Bedarf neuer Instrumenten − CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) − Lieferkettengesetz • WTO-Kompatibilität ist bei all diesen Entwicklungen ein Problem • Bedrohung durch protektionistischen Missbrauch SEITE 43 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Zum Grenzausgleich • Lange Tradition im GATT/WTO, einen Grenzausgleich für indirekte Steuern zuzulassen, verankert in Artikel II GATT (Inländerbehandlung) − Wie MWSt? Einbeziehung von Einfuhren, Befreiung von Ausfuhren − Basiert auf dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung − Effizient angesichts der politischen Heterogenität, praktikabel − Handelsschutzmaßnahmen wie Ausgleichszölle bei Regelverstößen − Zurückweisung an der Grenze aufgrund von SPS/TBT-Bestimmungen • Welche anderen Politikunterschiede dürfen ausgeglichen werden? − Unterschiede bei den CO2-Preisen? CBAM − Unterschiede in der Sozial-, Umwelt-, ... Regulierung, die die relativen Kosten beeinflussen? − Unterschiede bei den Löhnen? SEITE 44 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Zum Grenzausgleich • Diskussionen über Agrar- und Lebensmittelsektor (Tierschutz), Arbeitsnormen (ILO-Kernnormen), andere Umweltfragen (biologische Vielfalt, Ozeane, ...) • Ökonomie: Grenzausgleich ist legitim, wenn es globale externe Effekte gibt − Aber welche externen Effekte sind zulässig? − Amartya Sen (1970) "The impossibility of a Paretian Liberal": Warnung − Bereinigung der Präferenzen erforderlich - "physische Externalitäten" ok, "moralische" nicht? Eine Form von "regula aurea" einführen? • Völkerrecht: Auf der Grundlage globaler ("multilateraler") Verträge (z. B. UN- Menschenrechte) - aber von den reichen Ländern durchgesetzt? − Widerspruch zu WTO-Prinzipien − Anpassung aufgrund von Produktmerkmalen, nicht von Produktionsprozessen − Unterschiedliche und besondere Behandlung für "Entwicklungsländer" SEITE 45 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Welche “binnenwirtschaftliche” Reformen? Populismusresilienz steigern • Sozialsystem muss seine Glaubwürdigkeit als Versicherungsinstrument wieder erlangen: Versicherung erlaubt mehr ins Risiko zu gehen • Handelspolitik muss konsistent mit anderen Politikzielen gemacht werden: außen- und sicherheitspolitisch, umweltpolitisch, ... Wirtschaftsmodell überprüfen • Hohe handelspolitische Unsicherheit wird nicht weggehen, wenn Zölle wieder fallen • Länder mit große Handelsbilanzüberschüssen sind verletzlich Entscheidende Rolle der EU SEITE 46
Ist die WTO noch zu retten? In der gegenwärtigen Form und in der gegenwärtigen geostrategischen Lage: Nein • WTO hat 164 höchst heterogene Mitglieder – jedes mit Vetomacht • WTO schafft es seit Gründung nicht, ihre Regeln à jour zu halten – weil „one-size- fits-all“ nicht mehr adäquat ist • Unpassendes Regelwerk führt zwingend zu „jurisdictional overreach“: USA (und andere) blockieren die WTO Berufungsinstanz. Damit ist WTO auf GATT (vor 1995) zurückgeworfen • EU sollte sich mit anderen „like-minded“ Ländern auf plurilaterale Abkommen verständigen, in oder außerhalb der WTO, und mit Streitbeilegungsmechanismus SEITE 47 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Wie ökonomische Souveränität der EU sichern • EU muss ihren Sonderweg beenden: Internationale Wirtschaftspolitik und Sicherheits-& Machtpolitik zusammen denken und zusammenführen (J. Pisani- Ferry, Kamin et al. 2021) • Glaubwürdige Sanktionsinstrumente entwickeln, z.B. − um Zwangsmaßnahmen (weaponized interdepedence) zu begegnen (Anti- Coercion Instrument) − Reziprozität zu erzwingen (International Procurement Instrument) • Sanktionen = Einschränkung des Zugangs zum EU Binnenmarkt. Daher ist Binnenmarkt der wichtigste Asset der EU: Ausbau unter Beachtung der Subsidiarität (Infrastruktur, digitale Dienstleistungen, Schengen reparieren, ...) • Euro neu denken: nicht nur ein geldpolitisches, auch ein handelspolitisches und vor allem machtpolitisches Instrument SEITE 48 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! SEITE 49
Handel kann Ungleichheit verschärfen Theoretische Forschung seit mehr als 200 Jahren • Ricardo – Viner (1815, 1937): Neoklassische Ambiguität • Stolper – Samuelson (1941): Existenz absoluter Verlierer • Basierend auf Melitz (2003): Matthäus-Effekt Einige offene Fragen David Ricardo • Ökonometrische Identifikation absoluter Verlierer • Horse race: Handel vs. Technologie vs. Institutionen Empirie: Handel erklärt weniger als 20% der Ungleich- heitsdynamik • DEU: Felbermayr et al. (JEEA, 2018) • Survey: Elhanan Helpman (HUP Book, 2018) Wolfgang Stolper SEITE 50 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Compensation Failure Globalisierungsprozess bringt fast zwingend Ver- änderung in Bruttoeinkommensverteilung hervor − Verschiebung relativer Positionen (Status) − Trotz aggregierter Gewinne, absolute Verlierer möglich -> Liberalisierung nicht Pareto-optimal Jeffry Frieden, Harvard Kaldor-Hicks Kompensation theoretisch möglich, praktisch extrem schwierig − Informationsbedarfe (counterfactuals) enorm − Glaubwürdigkeitsproblem − Kann Anpassungsanreize zunichte machen (-> aggregierte Gewinne erodieren) − … SEITE 51 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Hyperglobalisierung und globale Mittelklasse • Eine entstehende „globale“ Mittel- klasse • Mittelklasse der alten Industriestaaten im Stress • Boomzeiten für die globale „Elite“ SEITE 52 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Der optimale Grad der Integration Grenznutzen/ Optimum: Grenznutzen = Grenzkosten der Integration Grenzkosten Vorteile Grenznutzen • Teilnahme an internationaler Arbeitsteilung • Abbau von Handelsbarrieren • Harmonisierung von Regulierung Nachteile Grenzkosten der Integration • Einheitliche Politik bei heterogenen Präferenzen • Souveränitätsverlust Zölle Invest. NTBs Arb. WU Integrationsgrad 53 Quelle: Braml und Felbermayr, 2018. SEITE 53 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Der optimale Grad der Integration Grenznutzen/ Optimum: Grenznutzen = Grenzkosten der Integration Grenzkosten Vorteile Grenznutzen • Teilnahme an internationaler Arbeitsteilung • Abbau von Handelsbarrieren • Harmonisierung von A Nettovorteil ver- Regulierung tiefter Integration Nachteile Grenzkosten der Integration • Einheitliche Politik bei heterogenen Präferenzen B • Souveränitätsverlust C Integrationsgrad Optimaler Integrationsgrad Quelle: Braml und Felbermayr, 2018. 54 SEITE 54 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Veränderung der optimalen regionalen Integration Grenznutzen/ Beispiel UK Grenzkosten Verschiebung der Grenz- Grenznutzen nutzenkurve nach Unten durch • höhere multilaterale Offenheit • Einführung des € Verschiebung der Grenz- kostenkurve nach Oben • Masseneinwanderung Grenzkosten der Integration • Osterweiterung B Optimaler Grad der Integration gefallen? Optimaler Integrationsgrad Integrationsgrad Quelle: Braml und Felbermayr, 2018. 55 SEITE 55 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Tinbergen: Ziele und Instrumente Anteil der EU-FTAs mit unkonventionellen Zielen • Sollen unabhängige Ziele erreicht 100 werden, braucht es dazu ≥ unabhängige Instrumente 80 • Wenn > entstehen zwangsläufig 60 Zielkonflikte und mindestens ein Ziel 40 wird nicht erreicht 20 • Neue Ziele überfrachten die Handelspolitik; führen zu neuen 0 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Handelsbarrieren Bürgerliche und politische Rechte Nimmt die Anzahl der Ziele zu, Umweltschutz braucht es neue Instrumente Wirtschaftliche und soziale Rechte Sicherheit Q: Lechner (2020). SEITE 56 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Handel auch nach “Greening” sinnvoll Simulierte Realeinkommenseffekte in % BIP, Annahme 29 $/t CO2-Kosten Handelsgewinne CO2-Kosten des Internat. Handels Nutzen der int. Handelsteilung ist um etwa 2 Größenordnungen größer als Umweltkosten. Quelle: Shapiro, 2016. SEITE 57 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
China seit dem WTO-Beitritt 2001 De facto Importoffenheita) De jure Globalisierungsindexb) 190 100 170 95 150 90 130 85 110 80 90 70 75 50 70 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 Quelle: a) CPB, Mengenindex der Güterimporte relativ zu globaler Industrieproduktion (2007=100), b) KOF. eigene Berechnungen und Darstellung. SEITE 58 Felbermayr – Geoökonomik und Nullsummenspiel
Sie können auch lesen