Geriatrie - highlighted - Bayerisches Ärzteblatt
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Geriatrie – highlighted Mit steigender Lebenserwartung gewinnt Fall 1: Ausgeprägte (112 mmol/l), Medikation bei Aufnahme: Metoprolol succi- die Altersmedizin an Bedeutung. Um den nat 47,5 mg 1-0-1, Amiodaron 100 mg 1-0-1; symptomatische Hyponatriämie – Hydrochlorothiazid 12,5 mg 1-0-0, Acetylsali- besonderen Bedürfnissen des alten Men- ein typisch geriatrischer Notfall cylsäure 100 mg 1-0-0; Eplerenon 25 mg 1-0-0, schen mit Multimorbidität und erhöhtem Bisacodyl 10 mg 1-0-0. Risiko von Funktions- und Fähigkeitsstö- Anamnese rung mit der Gefahr bleibender Behin- Ein 87-jähriger Patient wurde vom Notarzt Diagnostik, Therapie und Verlauf derung und Pflegebedürftigkeit gerecht wegen Verschlechterung des Allgemeinzustan- Bei Aufnahme zeigte sich ein schwacher, 87-jäh- zu werden, wurden in Bayern zahlreiche des in die Notaufnahme gebracht. Der Patient riger, wacher, unscharf orientierter Patient mit Akutgeriatrien eröffnet. war mehrfach gestürzt und seit einigen Tagen milden Exsikkosezeichen (gefurchte Zunge, ris- nicht mehr gehfähig. Er sei müde, verlangsamt, sige Lippen, trockene Haut), sonst unauffälligem Zentren für Akutgeriatrie und Frührehabili- verwirrt und desorientiert, außerdem klag- internistischem Untersuchungsbefund ohne Hin- tation übernehmen geriatrische Patienten te er über Rückenschmerzen, Schwindel und weis auf periphere Ödeme. Puls 96/min, Tempe- (älter als 70 Jahre und multimorbid, oder Übelkeit. ratur 36,4 °C, Atemfrequenz 12/min, Sättigung älter als 80 Jahre) direkt aus dem Notfall- bei Raumluft 96 Prozent. EKG: Sinusrhythmus, zentrum, nach Einweisung vom Hausarzt Fremdanamnestisch sei der Patient bis vor drei AV-Block 1. Grades, keine Erregungsrückbil- bis vier Wochen kognitiv voll leistungsfähig, dungsstörungen. oder zur Weiterbehandlung, Diagnostik und selbstständig ohne Hilfsmittel mobil gewesen Frührehabilitation nach Intensivaufenthal- und eigenständig in die Stadt gefahren. Er lebt Laborchemisch fand sich eine ausgeprägte Hypo- ten oder Operationen. Ziel der Behandlung mit seiner Ehefrau im Eigenheim, ohne fremde natriämie (112 mmol/l; Norm 136 bis 145 mmol/l), ist neben einer altersgerechten Therapie der Unterstützung, ohne Pflegegrad. bei grenzwertigem Serum Creatinin (1,3 mg/dl; bestmögliche Erhalt der Selbstständigkeit Normwert: 0,7 bis 1,2 mg/dl) und leicht redu- und die Vermeidung von Pflegebedürftig- An Vorerkrankungen sind eine chronische Nie- zierter GFR (50 ml/min; Norm > 60 ml/min), keit. reninsuffizienz, paroxysmales Vorhofflimmern ein leicht erhöhtes C-reaktives Protein (CRP) (keine Antikoagulation), eine Sigmadivertikulose (20 mg/l; Norm bis 5 mg/l) und eine milde, nor- sowie eine Motilitätsstörung des Ösophagus mochrome, makrozytäre Anämie (Hb 12,8 g/dl; bekannt. Norm 13,5 bis 17,5 g/dl). 520 Bayerisches Ärzteblatt 11/2020
Titelthema Privatdozentin Dr. Brigitte Buchwald-Lancaster Das cranielle Computertomogramm (CT) ergab Bei erniedrigter Osmolalität im Serum (248 mosm/kg; Bei massiv erhöhtem Ferritin (3.409 μg/l; Norm bis auf eine globale Substanzminderung keinen Norm 275 bis 300 mosm/kg), Hypourikämie 22 bis 275 µg/l) und erhöhter LDH (366 U/l; Hinweis auf eine akute cerebrale Affektion. (2,9 mg/dl; Norm 3,5 bis 7,2 mg/dl), Hypo- bis Norm 125 bis 220) erfolgte zum Ausschuss einer Euvolämie, einer mit 325 mosm/kg normalen paraneoplastischen Hyponatriämie ein Tumor- Bei zunehmender Vigilanzminderung erfolgte Urin-Osmolalität (Norm 300 bis 1.400 mosm/ screening. Erfreulicherweise ergaben sich weder eine intensivmedizinische Überwachung. Unter kg) und mit 70,8 mmol/l normalem Natrium im im Thorax-CT, noch in der Abdomensonografie, kontrollierter intravenöser Substitution von Na- Urin (Norm 64 bis 172 mmol/l) lag der Verdacht der Gastroskopie oder der partiellen Kolosko- trium zeigte sich eine sukzessive Verbesserung auf ein Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion pie Hinweise auf eine Neoplasie. Das erhöhte des Allgemeinzustandes mit adäquatem Anstieg (SIADH) nahe. Cortisol, ACTH, TSH basal sowie Ferritin war im Verlauf rückläufig. des Serumnatriums, sodass der Patient nach drei fT3 und fT4 waren normwertig. Tagen mit einem Serumnatrium von 124 mmol/l auf Normalstation in die Akutgeriatrie verlegt werden konnte. Bei Übernahme war der Patient wach, hatte aber eine Amnesie für die letzten Tage vor und während des Krankenhausaufenthaltes. Er war insgesamt sehr schwach (Barthel-Index 15/100), nicht gehfähig (Timed-up-and-go-Test [TUG] nicht durchführbar), niedergestimmt (Geriat- ric-depression-Scale [GDS] 7) und zeigte ko- gnitive Einschränkungen (Mini Mental Status [MMS] 23/30). Die Bereiche des geriatrischen Assessments sind in Tabelle 1 dargestellt. In der logopädischen Schluckdiagnostik fand sich ein auffälliger Wasserschlucktest mit Verdacht auf laryngeale Penetration und ein Verschlucken mit Husten bei Nahrungsaufnahme. Bei ansteigenden Entzündungsparametern (CRP bis 41 mg/l; Norm < 5 mg/l) und röntgenologischem Verdacht auf pneumonisches Infiltrat wurde eine kalkulierte antibiotische Therapie mit Ampicillin/ Sulbactam intravenös begonnen, hierunter wa- Abbildung 1: CT der LWS mit sagittaler und coronarer Rekonstruktion: frische muldenförmige Deckplatten ren die Entzündungsparameter rasch rückläufig. sinterung LWK 3 (Pfeil). Keine Hinterkantenbeteiligung. Bayerisches Ärzteblatt 11/2020 521
Titelthema Bereiche des geriatrischen Assessments Unter der Annahme einer HCT- (Hydrochlorothia- zid) und Eplerenon-assoziierten Hyponatriämie Selbsthilfefähigkeit – Barthel-Index Interpretation wurde die bestehende Medikation pausiert. Bei nach Mahoney und Barthel unauffälliger Echokardiografie mit intakter links- Beobachtungsinstrument zur Beurteilung 100 selbstständig (maximale Punktzahl) ventrikulärer Pumpfunktion bestand formal keine der basalen Aktivitäten des täglichen Le- Punkte Indikation für eine Herzinsuffizienztherapie. Es bens (ADL): Es beurteilt folgende Bereiche 95 – 80 punktuell hilfebedürftig wurde auf die Gabe von Diuretika verzichtet und (in Punkten) Essen – Baden – Körperpflege Punkte – An- und Auskleiden – Stuhlkontrolle – Urin- die Trinkmenge auf 1,5 Liter pro Tag beschränkt kontrolle – Toilettenbenutzung – Bett- bzw. 75 – 35 hilfebedürftig sowie oral Natrium zugeführt. Damit konnte Stuhltransfer – Mobilität – Treppensteigen. Punkte unter engmaschiger Kontrolle das Serumnatrium 30 – 0 weitgehend pflegeabhängig über zwei Wochen bis auf 130 mmol/l gesteigert Punkte werden. Die Vigilanz, die kognitive Leistungsfä- Mobilität – Timed Up & Go Test (TUG) nach higkeit, Stimmung und Motorik besserten sich Interpretation zusammen mit dem Allgemeinzustand darunter Podsiadlo kontinuierlich. Der Untersucher misst die Zeit, die der Pati- < 10 Sek. normale Gehfähigkeit ent braucht um ohne fremde Hilfe aus einem 10 – 19 leichte Mobilitätseinschränkung, Stuhl üblicher Höhe, mit Armlehnen, aufzu- Die, bei immobilisierenden Rückenschmerzen und Sek. meist ohne Alltagsrelevanz Zustand nach häuslichen Stürzen durchgeführte stehen, drei Meter zu gehen, umzudrehen, zurück zum Stuhl zu gehen und sich wieder 20 – 29 deutliche, alltagsrelevante Mobilitäts- CT von Brust- und Lendenwirbelsäule zeigte, neben hinzusetzen in der üblichen Geschwindigkeit Sek. einschränkung einer alten, vorbekannten BWK 12 Fraktur eine (Hilfsmittel sind erlaubt). > 30 Sek. schwere Mobilitätseinschränkung; diese subakute Deckplattensinterung LWK 3 ohne Hin- Patienten können meist nicht ohne frem- terkantenbeteiligung oder Spinalkanaleinengung de Hilfe ihre Wohnung verlassen (Abbildung 1). Nach dem WHO-Stufenschema Stimmung – Geriatrische Depressionsskala wurde die Schmerztherapie mit Metamizol um Interpretation Tapentadol ergänzt, dadurch kam es zu einer (GDS) nach Yesavage Fragebogen mit 15 Fragen in den Kategorien Bis 5 normal Schmerzlinderung und der Patient konnte aktiv „Stimmung“ – „Denken“ – „Psychomotorik“ Punkte an den Therapien teilnehmen. und „Verhaltensweisen 6 – 10 leichte Depression wahrscheinlich Im Rahmen des multimodalen frührehabilitati- Punkte ven Behandlungskonzeptes erhielt der Patient ab 11 schwere Depression wahrscheinlich regelmäßig Krankengymnastik, physikalische Punkten Maßnahmen, Ergotherapie und Logopädie. Da- Kognition – Mini Mental State Examination durch konnte eine deutliche Verbesserung von Interpretation (MMS) nach Folstein Kraft und Beweglichkeit erreicht werden. Das Screeningverfahren zur Beurteilung der 30 – 24 kein Hinweis für eine kognitive Störung Schlucken war wieder sicher und die Nahrungs- kognitiven Funktionen: Punkte aufnahme eigenständig möglich. Vor Entlassung 1. Teil: zeitliche und räumliche Orientierung, 24 – 18 hohe Wahrscheinlichkeit für eine leichte war der Patient in der Lage, ohne Hilfe aus dem Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Kurzzeit- Punkte kognitive Beeinträchtigung Bett aufzustehen und selbstständig im Zimmer gedächtnis und auf dem Gang sicher am Rollator zu gehen. 2. Teil: Benennen, Lesen, Schreiben sowie < 18 deutliche kognitive Einschränkung wahr- Punkte scheinlich Er konnte in deutlich gebessertem Allgemeinzu- visuell-konstruktive Fähigkeiten stand (Barthel 70, TUG 40 s), nach Hilfsmittelan- Tabelle 1: Typische Tests, die im Rahmen des geriatrischen Assessments zur Beurteilung der funktionellen passung, in sein gewohntes häusliches Umfeld Fähigkeiten und zur Therapieplanung bzw. Verlaufsbeurteilung bei Aufnahme und bei Entlassung erhoben werden. entlassen werden. Die Entlassmedikation bestand aus Metoprolol, Amiodaron, Nitrendipin, ASS 100 (auf Patientenwunsch keine Antikoagulation) sowie Metamizol, Tapentadol und Magnesium. Einteilung der Hyponatriämie 1. Grad Diskussion Mild 130 bis 135 mmol/l Höheres Lebensalter ist ein unabhängiger Risiko- faktor für Hyponatriämie, der häufigsten Elek- Mäßig 125 bis 129 mmol/l trolytstörung. Während in der Allgemeinbevöl- Ausgeprägt < 125 mmol/l kerung die Prävalenz der milden Hyponatriämie 2. Schwere der Symptome bei 1,7 bis 7,7 Prozent liegt, nimmt sie bei den Mild ↓ Konzentration, ↓ Kognition, neuropsychiatrische Defizite > 75-Jährigen auf 11,6 Prozent zu [1]. Für Alten- heimbewohner ist sogar eine Prävalenz von bis Mittel Kopfschmerz, Übelkeit, Delir zu 18 Prozent und für Krankenhauspatienten von Schwer Erbrechen, Somnolenz, zerebraler Krampfanfall, Koma 16 bis 35 Prozent beschrieben [2, 3]. Hyponatri- 3. Akuität ämie ist mit höherer Morbidität, Mortalität und längeren Krankenhausverweildauern assoziiert. Akut < 48 h Chronisch > 48 h Die klinischen Symptome der Hyponatriämie rei- Tabelle 2: Einteilung der Hyponatriämie [5]. chen von leichten Aufmerksamkeitsstörungen bis 522 Bayerisches Ärzteblatt 11/2020
Titelthema Ursachen der Hyponatriämie bei geriatrischen Patienten Plasma- Vermindert Vermindert Vermindert Normal Erhöht osmolalität < 275 mosm/kg < 275 mosm/kg < 275 mosm/kg 275 bis 300 mosm/kg > 300 mosm/kg Volumen Hypovolämie Euvolämie Hypervolämie Klinik Exsikkose, Orthostase Keine Ödeme, Lungenödem, Keine Symptome durch keine Orthostase periphere Ödeme Hyponatriämie Ursachen » Diuretika » SIADH (Urin-Natrium » Niereninsuffizienz » Pseudohyponatriämie » Hyperglykämie »O smotische Diurese > 20 mmol/l) » Nephrotisches Syndrom bei Hyperlipidämie (pro 100 mg/dl (Hyperkalzämie, » Hypothyreose » Herzinsuffizienz » Hyperproteinämie Blutzuckererhöhung Hyperglykämie) » Nebennierenrinden- » Leberzirrhose (z. B. bei Multiplem erfolgt Absinken des » Salzverlustniere insuffizienz » Intravenöse natriumarme Myelom) Serum-Natriums um »E xtrarenal: Diarrhö, » Primäre Polydipsie Flüssigkeitsgabe 1,6 mmol/l) Erbrechen, Schwitzen (selten bei Älteren) (z. B. Glukose 5 Prozent) (Urin-Natrium < 20 mmol/l) » Natriumarme Kost Tabelle 3: Ursachen der Hyponatriämie bei geriatrischen Patienten. Diagnosekriterien des SIADH Ursachen des SIADH beim geriatrischen Patienten Hyponatriämie < 135 mmol/l ZNS-Erkrankungen » zerebrovaskulär (Insult/Blutung) Plasma-Hypoosmolalität < 275 mosm/kg » subdurales Hämatom » Schädel-Hirn-Trauma Urin-Osmolalität > 100 mosm/kg » neurochirurgische Operation Normovolämie Urin-Natrium > 30 mmol/l » entzündlich (Meningitis) (unter normaler NaCl-Zufuhr) » Hirntumor Ausschluss Niereninsuffizienz, Neben- Lungenerkankungen » Tumor niereninsuffizienz und Hypothyreose » Pneumonie » Abszess Tabelle 4: Diagnosekriterien des SIADH [5]. » Tuberkulose Medikamente » Thiazid-Diuretika » Antiepileptika (vor allem Carbamazepin) » Selektive Serotoninrückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) (vor allem Citalopram) » trizyklische Antidepressiva » orale Antidiabetika » Phenothiazine hin zu Koma und Tod durch Atemstillstand oder » nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) Hirnödem mit Einklemmung. Der vorgestellte Ektope ADH-Produktion » kleinzelliges Bronchialkarzinom Patient präsentierte sich mit einer ausgepräg- (paraneoplastisch) » Pankreasneoplasma ten, mittelschweren, chronischen Hyponatriämie » Lymphome (vergleiche Tabelle 2). Die im Rahmen der Stürze Tabelle 5: Ursachen des SIADH beim geriatrischen Patienten. aufgetretene Wirbelfraktur ist als direkte Folge der Hyponatriämie zu sehen ebenso wie die begin- nende Pneumonie am ehesten durch Aspiration bei muskulärer Schwäche und Vigilanzstörung entstanden ist. Für die Diagnostik der Hyponatriämie ist die Be- urteilung des Volumenstatus (Hypo-, Eu- oder der Befunde notfallmäßig mit 0,9 prozentiger insuffizienz oder eine Hypothyreose ergab sich Hypervolämie) sowie die genaue Anamnese der NaCl-Infusion behandelt wurde. Der initiale differenzialdiagnostisch kein Anhalt. Begleiterkrankungen und der Medikamente (ver- Anstieg des Serumnatriums nach Gabe von 0,9 gleiche Tabelle 5) wichtig. Laborchemisch müs- prozentiger NaCl-Lösung spricht für eine (mit-) Das SIADH ist die häufigste Ursache der Hypo- sen Natrium und Osmolalität im Serum und Urin verursachende Hypovolämie. Der niedrige Se- natriämie. Als Erstlinientherapie gilt die gezielte bestimmt werden, Serum-Kreatinin, Harnstoff, rumnatriumwert bei niedriger Serumosmolali- Suche und das Ausschalten des Auslösers – sehr Blutzucker sowie Serum-Kortisol und TSH nüt- tät und gleichzeitig normalen Natriumwerten häufig Medikamente (Tabelle 5). Thiazid-Diure- zen differenzialdiagnostisch (vergleiche Tabelle und normaler Osmolalität im Urin legen jedoch tika sind, wie auch im beschriebenen Fall, die 3 und 4). den Verdacht auf eine Hyponatriämie im Rah- häufigste medikamentöse Ursache eines SIADH. men eines Schwartz-Bartter-Syndroms (SIADH, Die Prävalenz wird auf 79 Prozent aller Frauen Der vorgestellte Patient präsentierte sich kli- Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion) na- mit Hyponatriämie im Alter von 70 bis 74 Jah- nisch mit milden Exsikkosezeichen ohne pe- he (vergleiche Tabelle 4). Für einen entgleis- ren geschätzt [4]. Absetzen oder reduzieren des riphere Ödeme, sodass er wegen der Schwere ten Diabetes, eine Nieren- oder Nebennieren- verursachenden Medikaments können bereits Bayerisches Ärzteblatt 11/2020 523
Titelthema hilfreich sein. In zweiter Linie wird eine Trinkmen- In der Notaufnahme war die Patientin wieder Im Rahmen der multimodalen geriatrischen Be- genrestriktion und eine Kochsalzzulage (Brühe, schläfrig, der körperliche Untersuchungsbefund handlung mit Physiotherapie, physikalischen Salzgebäck, gesalzene Nüsse) empfohlen. Auch war bis auf einen abdominellen Druckschmerz Maßnahmen und Ergotherapie gelang bei chro- wenn evidenzbasierte Daten zur Reduktion der unauffällig. Am Rücken der Patientin fanden nischem muskuloskelettalem Schmerzsyndrom Trinkmenge auf 0,8 bis 1,5 Liter/Tag fehlen, wird sich noch zwei weitere 75 µg Fentanylpflaster. (vergleiche Abbildung 2) eine befriedigende an- dieses Vorgehen in der Praxis häufig erfolgreich EKG: Schrittmacherrhythmus, durchgehend ven- algetische Neueinstellung mit Metamizol (500 mg angewendet. trikuläre Stimulation, Frequenz 97/min. Im Labor 4 x tgl.) zusammen mit Hydromorphon hydro- zeigten sich bis auf ein CRP von 28 mg/l (Norm chlorid (2 mg retard 1 x tgl.) sowie eine Verbesse- Bei Therapieversagen, wenn hyponatriämie- > 5 mg/l) und ein erhöhtes BNP von 588 ng/l rung der alltagsrelevanten Fähigkeiten, Gangbild, induzierende Medikamente unverzichtbar oder (Norm < 100 ng/l) keine Auffälligkeiten. Die Gehstrecke und allgemeinen Kraft (Barthel-Index Trinkmengenbeschränkungen nicht umsetzbar unmittelbar veranlasste CT-Diagnostik lieferte 45/100). Die Patientin war wieder selbstständig sind, kommen als Drittlinientherapie Vaptane keinen Hinweis auf eine akute cerebrale Patho- am Rollator gehfähig (TUG 20 Sekunden), sodass (Vasopressin-Antagonist – in Deutschland nur logie, thorakal und abdominell ergaben sich, sie in deutlich gebessertem Allgemeinzustand bei SIADH zugelassen) zum Einsatz. Damit kön- abgesehen von degenerativen Wirbelsäulenver- nach Hause entlassen werden konnte. nen Natriumspiegel rasch korrigiert werden. Laut änderungen (Abbildung 2) und einem geringen Leitlinie sollte der Natriumspiegel innerhalb von Pleuraerguss, keine wesentlichen Auffälligkei- Diskussion 24 Stunden um nicht mehr als 6 bis 8 mmol/l ten. Bei negativem COVID-19-Abstrich wurde Fentanyl ist ein synthetisches Opioid zur Therapie angehoben werden (Limit maximal 10 mmol/l) die Patientin zur weiteren Überwachung auf die akuter und chronischer Schmerzen. Die Verschrei- [5], bei zu schnellem Anstieg des Serumnatriums Intensivstation verlegt. bung von Opioiden steigt mit zunehmendem Pati- droht die Gefahr der zentralen pontinen Myeli- entenalter in Häufigkeit, Ausmaß und Dauer [12]. nolyse. Bei Älteren wird sogar nur eine Korrektur Dort war ein weiteres Mal die Gabe von Nalo- Bei hochaltrigen Patienten (> 85 Jahre) wurde des Natriumspiegels um 5 mmol/l in 24 Stunden xon nötig, zur Analgesie erhielt die Patientin zwischen 2005 bis 2017 ein deutlicher Anstieg der empfohlen [7, 8]. Deswegen muss die Einleitung Metamizol. Darunter zeigte sich die Patientin Verordnung sehr starker Opioide, insbesondere einer Vaptantherapie unter stationären Bedin- kreislaufstabil und wurde am nächsten Tag zur Fentanyl, beobachtet. Wie bei der beschriebenen gungen (sechsstündlichen Natriumkontrollen) weiteren Diagnostik und Frührehabilitation in Patientin werden starke Opioide in der Gruppe erfolgen. die Akutgeriatrie verlegt. der Hochaltrigen (> 85 Jahre) vor allem zur Be- handlung muskuloskelettaler Schmerzsyndrome Im Jahr 2006 fand ein Paradigmenwechsel in Die Patientin präsentierte sich dort noch fluk- eingesetzt, für Tumorschmerzen in der jüngeren der Wahrnehmung der Hyponatriämie statt [8]. tuierend vigilant, in sehr schlechtem Ernäh- Subgruppe (65 bis 74 Jahre). In Deutschland sind Es wurde gezeigt, dass bereits leichte, scheinbar rungs- (BMI 16,5) und stark hilfebedürftigem Fentanylpflaster zum stark wirksamen Opioid der asymptomatische Hyponatriämien (< 135 mmol/l) Allgemeinzustand (Barthel-Index 20/100). Die ersten Wahl geworden. messbare Einschränkungen der Kognition und der Kognition war nicht beeinträchtigt (MMS 27/30), Mobilität bewirken können [9]. Schon leichte Hypo- die Stimmung ausgeglichen (GDS 3). Im logopä- Fentanyl besitzt als synthetisches Opioid eine natriämien begünstigen Stürze und Frakturen dischen Schluckscreening zeigten sich keinerlei mehr als 100-fach stärkere Potenz als Morphin, signifikant, und funktionelle Einschränkungen Einschränkungen. Die Patientin lebt allein zu- ist sehr wirksam und wegen der hohen Lipophilie im geriatrischen Assessment sind belegt [10, 11]. hause (ihr Lebensgefährte wohnt in der Nach- bestens für die transdermale Applikation geeig- Nach aktueller Literatur ist, vor allem beim barschaft) mit einer 24-Stunden-Hilfe, es besteht net. Nachteilig ist die sehr geringe therapeutische SIADH, die vollständige Korrektur einer auch nur Pflegegrad 3. Breite. So sind Intoxikationen aufgrund von An- leichten Hyponatriämie anzuraten. wendungsfehlern, wie falscher Dosierung oder Wegen erneut aufgetretener Somnolenz musste unzweckmäßigem Einsatz, häufig und bei hoch- die Patientin noch für eine weitere Nacht auf altrigen Patienten besonders schwerwiegend. Fall 2: Somnolenz bei Überdosierung der Intensivstation überwacht werden, konnte von transdermalem Fentanyl – ein aber bereits am Folgetag in wachem Zustand Fentanylpflaster bilden in den oberen Hautschich- auf die Normalstation verlegt werden. Sie setzte ten ein Wirkstoffdepot, charakteristisch ist der abwendbarer gefährlicher Verlauf einmalig blutige Koagel auf geformtem Stuhl verzögerte Wirkungseintritt (12 bis 24 Stunden), ab. In der mikrobiologischen Stuhluntersu- aber auch die fortgesetzte Wirksamkeit nach Eine 96-jährige Frau wurde zuhause von ihrem chung wurde ein Shiga-1-Toxin produzieren- Entfernen des Pflasters, denn das kutane Depot Lebensgefährten somnolent aufgefunden. Beim der enterohämorrhagischer Escherichia coli setzt den Wirkstoff weiter frei. Die Plasmakon- Eintreffen des Notarztes war die Patientin tief (EHEC) asserviert und die Patientin isoliert. zentration des Fentanyls nimmt langsam, mit komatös, hatte lichtstarre enge Pupillen und eine Die Infektionsquelle war nicht eruierbar. Eini- einer Halbwertszeit von 12 bis 24 Stunden, ab. Atemfrequenz von 8/min (Sauerstoffsättigung ge Tage später entwickelte die Patientin einen Deswegen müssen Patienten nach Überdosierung, initial 84 Prozent). Seit einer mit Gammanagel Harnwegsinfekt bzw. eine beginnende Urosepsis auch wenn die Pflaster entfernt sind, lange genug versorgten Hüftfraktur vor sechs Monaten, er- mit laborchemisch stark erhöhten Infekt- und (in unserem Fall drei Tage) überwacht werden. halte sie Fentanylpflaster (37,5 µg alle drei Tage), Nierenretentionswerten sowie erhöhtem Procal- am Abend vorher sei ein 75 µg Pflaster am Rücken citonin. Bei signifikantem Nachweis von EHEC Des Weiteren ist dringend zu beachten, dass neu geklebt worden. Außerdem nehme sie Meta- im Urin wurde sie testgerecht mit Piperacillin/ Fentanylpflaster nach abgelaufener Anwen- mizol, Mirtazapin und Vitamine. Seit zwei Tagen Tazobactam behandelt. Hierunter besserte sich dung noch über eine erhebliche Menge (bis zu bestünden unklare abdominelle Schmerzen und der Allgemeinzustand und die veränderten 84 Prozent) [13] an Wirkstoff verfügen. Im be- erhöhte Temperaturen, die mit Metamizol-Tropfen Laborparameter waren regredient. Auch im schriebenen Fall waren nach Gebrauch nicht behandelt wurden. Nach Gabe von Naloxon durch Stuhl wurden keine Keime mehr nachgewiesen, entfernte Fentanylpflaster neben der zu hohen den Notarzt zeigte sich die Patientin wacher und sodass die Isolationsmaßnahmen aufgehoben Dosis für die Intoxikation mit Somnolenz und wurde in die Klinik gebracht. werden konnten. Atemdepression verantwortlich. Die hohe Rest- 524 Bayerisches Ärzteblatt 11/2020
Titelthema bei Patienten mit Schluckstörungen, Passagehin- in die Klinik geschickt. Die Schmerzen würden dernissen oder Resorptionsstörungen im Gastro- in beide Beine ausstrahlen, sich im Liegen bes- intestinaltrakt oder bei therapieresistentem Er- sern und bei Bewegung oder im Sitzen zuneh- brechen indiziert [16]. Im Gegensatz dazu zeigen men. Außerdem bestünde seit vier Tagen eine Studien, dass nur bei einem Viertel der Patienten Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit Erkrankungen (zum Beispiel Schluckstörungen) Dysurie, Inappetenz und postprandialer Übelkeit. vorliegen, die eine transdermale Schmerzmittel- Fieber, Schüttelfrost, abdominelle Schmerzen gabe erforderlich machen. Bei 72,5 Prozent der oder Diarrhöen wurden verneint. Die Patientin Patienten gab es keinen Hinweis auf mögliche lebte bisher selbstständig zuhause mit einmal Probleme bei einer oralen Einnahme [17], ebenso täglich Pflegedienst zur Medikamenteneinnah- wie bei der beschriebenen Patientin. me (Pflegegrad 2). Bei der transdermalen Applikation von Fentanyl In der klinischen Untersuchung zeigte sich ei- ist zu beachten, dass erhöhte Hauttemperaturen, ne wache, vollständig orientierte Patientin in wie zum Beispiel bei Fieber, aber auch bei Wärme- reduziertem Allgemein- und kachektischem anwendungen (heiße Bäder, Sauna, Heizdecken, Ernährungszustand (BMI: 14,8), Blutdruck Sonnenexposition) zu einer beschleunigten und 130/60 mmHg, Puls 74/min, Temperatur 36,5 °C, verstärkten Fentanylresorption und zu tödlichen Atemfrequenz 16/min, Sättigung bei Raumluft Überdosierungen führen können. Patienten und 98 Prozent, Herz und Lunge unauffällig, Abdo- ihre Angehörigen müssen darüber aufgeklärt und men: weich, Druckschmerz links und mittlerer Patienten mit Fieber entsprechend engmaschig Unterbauch, spärliche Darmgeräusche, rekta- überwacht werden. le Untersuchung unauffällig. Klopfschmerz im rechten Nierenlager und im Bereich der unteren Da Fentanyl hauptsächlich über das Zyto- Lendenwirbelsäule. Beinödeme beidseits, Pulse chrom-P450-(CYP) 3A4 metabolisiert wird, kann tastbar, kein fokalneurologisches Defizit. Gang die gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Inhi- und Stand schwächebedingt nicht beurteilbar bitoren zu einem gefährlichen Anstieg der Fen- (TUG nicht durchführbar). Stark eingeschränk- tanylplasmakonzentration führen. Beispiele für te Selbsthilfefähigkeit (Barthel-Index 25/100), CYP3A4-Inhibitoren sind: Amiodaron, Diltiazem, kein Hinweis auf Depression (GDS 4/15), leichte Verapamil, Cimetidin, Clarithromycin, Erythromy- kognitive Beeinträchtigung (MMS 22/30), kein Abbildung 2: Aufnahmetag CT-Polytrauma – Dege cin, Fluconazol, Itraconazol, Ketoconazol, Vorico- kognitives Defizit vorbekannt. nerative Veränderungen BWK 10-SWK 1 mit älteren nazol, Nefazodon, Ritonavir. Auch Grapefruitsaft Grund- und Deckplatteneinbrüchen, erosive Osteo chondrose mit Vakuumphänomen lumbosakral. kann zu einer Inhibition von CYP3A4 führen, vor Laborchemisch zeigte sich eine Infektkon- übermäßigem Genuss sollte gewarnt werden. stellation mit deutlich erhöhten humoralen Entzün- dungsparametern CRP 157,3 mg/l (Norm < 5 mg/l); Generell muss die Dosisfindung vor allem bei Procalcitonin 9,55 µg/l (Norm < 0,5 µg/l), Leu- älteren Patienten mit eingeschränkter Nieren- kozytose 11,2/nl (Norm 3,5-9,8/nl), Hb 10,6 g/dl; und Leberfunktion unter Beachtung der Labor- (Norm 12,0-16,0 g/dl). wirkstoffmenge in den Pflastern ist ein Grund parameter und des Körpergewichtes (BMI, der für Unglücksfälle, deswegen warnte 2014 ein beschriebenen Patientin sehr niedrig) erfolgen Als Fokus ergab sich eine Urosepsis bei nitrit- „Rote-Hand-Brief“ vor einer „versehentlichen und in Abhängigkeit von der Stärke der Schmer- negativem Harnwegsinfekt mit E. coli (Multi- Übertragung des Fentanylpflasters auf die Haut zen im Verlauf immer wieder angepasst werden. resistente gramnegative Bakterien [MRGN] 3) einer anderen (opioidnaiven) Person (zum Bei- Studien zeigen, dass vor allem bei älteren Patien- sowie Nachweis dieses Keims in mehreren Blut- spiel während der gemeinsamen Nutzung eines ten die Dosierungen der Schmerzmedikamente kulturen. Die Flankenschmerzen wurden initial Bettes oder bei engem Körperkontakt)“. Die hohe nach akuten Ereignissen im Verlauf nicht über- im Rahmen einer Pyelonephritis gewertet. Sono- Restwirkstoffmenge bedingt leider auch die nicht wacht und entsprechend reduziert werden [18]. grafisch bestand kein Anhalt für einen Nieren- seltene missbräuchliche Anwendung. So spielte So war bei der beschriebenen Patientin bereits Harnstau, Abszessbildung oder signifikante Fentanyl 2013 bei 52 Prozent aller in München mit 2 mg Hydromorphon oral, einem Sechstel Restharnbildung. Eine antibiotische Therapie untersuchten Drogentoten durch Opioide eine der verordneten und einem Zwölftel der ver- mit Piperacillin/Tazobactam in nierenadaptierter Rolle [14]. abreichten Fentanyldosis, eine ausreichende Dosis bei akut auf chronischem Nierenversagen Schmerzkontrolle zu erzielen. (Serumkreatinin 2,1 mg/dl, Norm 0,6-1,1 mg/dl; Wegen der hohen Rate an schweren Nebenwir- GFR 22 ml/min, Norm > 60 ml/min) wur- kungen und Todesfällen in Zusammenhang mit de begonnen. Nach Erhalt des Antibio- transdermalem Fentanyl gibt es zahlreiche War- Fall 3: Patientin mit Harnwegsin- gramms er folgte aufgrund der Resis- nungen der U.S. Food and Drug Administration fekt, Urosepsis und Spondylodiszitis tenzlage die testgerechte Umstellung auf (FDA) und auch der Arzneimittelkommission der – der alltägliche Fall mit kompli- Meropenem i.v. Hierunter kam es zu einer Re- deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) [15], die Indikation gredienz der Infektparameter (CRP 78,1 mg/l, für fentanylhaltige Pflaster streng zu stellen. Sie ziertem Verlauf Norm < 5 mg/l; Procalcitonin 1,5 µg/l, Norm sollten nur bei opioidtoleranten Patienten mit < 0,5 µg/l) und Besserung des Allgemeinzu- bekanntem, stabilem Opioidbedarf eingesetzt Eine 81-jährige Patientin wurde vom Hausarzt standes. Unter bilanzierter i.v.-Flüssigkeitszu- werden, wenn ein orales Opioid nicht eingenom- wegen akuter, vor vier Tagen aufgetretener fuhr besserten sich die Nierenwerte im Verlauf men werden kann. Transdermale Opioide sind nur Rücken- und rechtsseitiger Flankenschmerzen (Serumkreatinin 1,0 mg/dl, GFR 50 ml/min). Bayerisches Ärzteblatt 11/2020 525
Titelthema BWK 12 / LWK 1 Abszess Abbildung 3: Bei Aufnahme konventionelles Röntgen Abbildung 4: CT der LWS nativ mit sagittaler Rekon Abbildung 5: MRT Abdomen T1w nach Kontrastmittel seitlich: unauffälliger thorakolumbabler Übergang, struktion: Unauffälliger thorakolumbaler Übergang, (KM) koronar: Spondylodiszitis mit paravertebralem insbesondere kein Hinweis auf Fraktur BWK 12 degenerative Veränderungen der LWS. Abszess rechts mehr als links. (Pfeil)/LWK 1. Konventionell radiologisch bestand kein Anhalt den angrenzenden Grund- und Deckplatten, dem menden Ödems und Entzündungsreaktionen in für eine Fraktur im LWS-Bereich (Abbildung 3). Zwischenwirbelraum und perivertebral wurde den Wirbelkörpern BWK 12 und LWK 1 sowie im Ergänzend erfolgte eine Computertomografie (CT) bestätigt (Abbildung 7). Bandscheibenfach mit nun zunehmenden und des thorakolumbalen Übergangs, welche neben beginnend destruierenden Abschlussplatten- ausgeprägten skoliotischen und degenerativen Unter Antibiose mit Meropenem gingen die In- veränderungen. Veränderungen ebenfalls keinen Anhalt für eine fektparameter zurück und es kam klinisch zu akute Pathologie erbrachte (Abbildung 4). einer deutlichen Besserung. Mit intensiver Phy- Bei beginnender Destruktion der Grund- und siotherapie, physikalischen Maßnahmen und Deckplatten bestand nun die Notwendigkeit Bei weiterbestehenden Schmerzen und erhöh- Ergotherapie erlangte die Patientin wieder die einer stabilisierenden Operation. Die Patientin ten, erneut steigenden Entzündungsparametern Gehfähigkeit am Rollator. Die Schmerzen im Lum- stimmte zu und wurde in der Unfallchirurgie wurde ein MRT des Abdomens durchgeführt. Hier balbereich blieben jedoch trotz Medikamenten komplikationslos von TH 11 bis LWK 2 mit einem zeigte sich eine Spondylodiszitis BWK 12/LWK 1 (Metamizol, Tilidin) bestehen. Fixateur interne versorgt und das Bandschei- mit partiell liquifiziertem Bandscheibenfach sowie benfach entsprechend entlastet (Abbildung 8). tubulärem Senkungsabszess im Bereich des rechten Bei im weiteren stagnierendem CRP (50 bis Im Abstrich aus dem Bandscheibenfach TH 12/ Musculus psoas von 5 x 1,2 cm (Abbildung 5). Im 60 mg/l) imponierte im MRT-Verlauf nach vier LWK 1 war kein Keimwachstum nachweisbar. ergänzenden MRT der LWS zeigte sich zudem ein Wochen (Abbildung 6 b) eine progrediente Spon- Die pathologische Aufarbeitung ergab keinen intraspinaler rechtsbetonter epiduraler Abszess dylodiszitis BWK 12/LWK 1 mit progredienter Hinweis auf Malignität. mit geringer Spinalkanalstenose (Abbildung 6 a). perivertebraler Weichteilaffektion und an Aus- dehnung unveränderten Abszessen im rechten Die Patientin erholte sich postoperativ gut, die Sowohl Unfall- als auch Neurochirurgen emp- Musculus psoas und intraspinal Höhe BWK 12/ Schmerzen waren binnen weniger Tage deut- fahlen erst ein konservatives Vorgehen. Zur Si- LWK 1 (Abbildung 6 b). lich geringer und die Funktion besserte sich cherung des Erregers erfolgte eine CT-gesteuerte kontinuierlich. Nach sechswöchiger postopera- Punktion des Psoas-Abszesses. In dem gewon- Nachdem die Patientin einer operativen Sanierung tiver Antibiose wurde die Patientin in deutlich nenen Material zeigte sich ein 3MRGN E. coli ablehnend gegenüberstand, erfolgte in Rück- gebessertem Allgemeinzustand (Barthel-Index wie in Urin und Blutkulturen. Die testgerechte sprache mit den Mikrobiologen eine Erweiterung 85/100, TUG 21 s, MMS 25/30) wieder mobil antibiotische Therapie wurde beibehalten. der bestehenden Antibiose mit Meropenem um nachhause entlassen. Cotrimoxazol, das neben Meropenem im Anti- Zum Ausschluss einer Endokarditis führten wir biogramm als einziges Antibiotikum sensibel für Diskussion eine transthorakale Echokardiographie und eine den Keim getestet worden war. Die Spondylodiszitis, eine Knochenentzündung transösophageale Echokardiografie durch, zudem der Wirbelkörper (vertebrale Osteomyelitis) und bei suspektem Befund an der Mitralklappe noch Hierunter war der CRP-Wert gut rückläufig der angrenzenden Bandscheibe, ist eine seltene ein PET-CT. Darin ergab sich kein Hinweis auf (13,7 mg/l; Norm < 5 mg/l) und die Blutkulturen (Inzidenz 1 bis 7/100.000), im Alter zunehmende eine Endokarditis, der Befund der Spondylodis- steril. Die Patientin klagte jedoch weiterhin über Erkrankung mit einer Gesamtmortalität bis zu zitis auf Höhe BWK 12/LWK 1 mit entzündlicher deutliche lumbale Schmerzen. Korrelierend fand 20 Prozent [19, 20]. Bei steigender Fallzahl sind Infiltration im rechten Musculus psoas und ent- sich in der erneuten MRT-Kontrolle (Abbildung Patienten > 65 Jahre bis zu 3,5 Mal häufiger sprechend großflächiger Tracermehrbelegung in 6 c) eine Verschlechterung in Form eines zuneh- betroffen [21]. Die Spondylodiszitis ist, wie im 526 Bayerisches Ärzteblatt 11/2020
Titelthema a b c Abbildung 6: MRT T1w nach KM sagittal im Verlauf. Abbildung 6 a: Zur Diagnosestellung: Wirbelkörperödem BWK 12/LWK 1, Kontrastmittelaufnahme epidural bei Abszedierung; Abbildung 6 b: Nach vier Wochen Antibiose: Zunehmendes Wirbelkörperödem mit Kontrastmittelaufnahme der Bandscheibe; Abbildung 6 c: Nach sechs Wochen Antibiose (zwei Wochen 2-fach): Zunehmendes Wirbel körperödem und jetzt auch unregelmäßig berandete Grund- und Deckplatten. Abbildung 7: PET-CT in koronarer Rekonstruktion. Abbildung 8: Kontrollröntgen in zwei Ebenen: Regelrechter postoperativer Befund bei Zustand nach Fixateur Deutlich vermehrter Uptake des Tracers thorakolumbal, interne BWK 11 auf LWK 2. begleitend paravertebrale Entzündungsmanschette. beschriebenen Fall, meist Folge einer hämatoge- Niereninsuffizienz, Alkohol- und Drogenabusus, Leitsymptom sind Rückenschmerzen (86 Pro- nen Streuung (endogen), kann aber auch durch vorangegangene systemische Infektionen so- zent), die typischerweise konstant auch in Ruhe direkte Inokulation bei Wirbelkörperoperationen wie invasive Eingriffe an der Wirbelsäule als vorhanden sind. Zweithäufigstes Symptom ist (exogen) oder durch Weiterleitung eines infek- Risikofaktoren. Fieber (35 bis 60 Prozent) [22], wobei zu beach- tiösen Fokus (per continuitatem) entstehen. ten ist, dass Patienten wegen der gleichzeitigen Neben dem Alter gelten Diabetes melli- Die klinische Symptomatik der Spondylodiszitis Einnahme von Analgetika oft afebril sind (wie tus, Tumorerkrankungen, Immunsuppression, beginnt unspezifisch, subakut bis schleichend, auch die beschriebene Patientin). In einem Drit- Bayerisches Ärzteblatt 11/2020 527
Titelthema tel der Fälle bestehen zusätzlich neurologische Symptome wie Sensibilitätsstörungen, Paresen Das Wichtigste in Kürze und Blasen-Mastdarmstörungen. Diese treten jedoch meist erst im Rahmen von Komplikatio- Der erste Fall verdeutlicht, dass bei jeder Verschlechterung des Allgemeinzustandes an eine nen wie Epiduralabszessen auf. Bei hämatogener Hyponatriämie als Risikofaktor für Schwindel, Schwäche, Depression, schlechtere Kognition, Streuung dominieren, wie im beschriebenen Fall, verminderte Vigilanz und Stürze zu denken ist. Hyponatriämie-begünstigende Medikamente häufig die Symptome des primären Infektions- sollten bei älteren Patienten nur restriktiv, unter engmaschiger Kontrolle des Serumnatrium- herdes, hier des Harnwegsinfektes. spiegels, angewendet werden. Bei unklaren Rückenschmerzen steht die konven- Fall 1 bis 3 zeigen, dass Opioide in der Schmerztherapie geriatrischer Patienten eine wichti- tionelle Röntgenaufnahme an erster Stelle, wobei ge Rolle spielen. Um Nebenwirkungen zu vermeiden, sollte, wenn immer möglich, eine orale diese in der Frühphase der Spondylodiszitis nicht Gabe angestrebt, die Dosis individuell titriert und kontrolliert der Schmerzintensität ange- aussagekräftig ist (Abbildung 3). Ein unauffälliger passt werden. Fall 2 unterstreicht, dass transdermale Opioide ausschließlich bei Patienten mit nativradiologischer Befund schließt eine Spon- Schluckstörungen oder gastrointestinalen Hindernissen eingesetzt werden sollen. Patienten, dylodiszitis nicht aus. Die CT ist der Kernspin- Angehörige und Pflegende sind über mögliche Nebenwirkungen, Gebrauchsfehler und Gegen- tomografie bei der Spondylodiszitis, insbesonde- maßnahmen ausreichend aufzuklären. re in der Frühphase der Erkrankung (vergleiche Abbildung 4), unterlegen. Die kontrastmittel- Der dritte Fall verdeutlicht, dass bei Patienten mit starken Rückenschmerzen und CRP-Erhö- verstärkte Magnetresonanztomografie (MRT) hung, vor allem nach durchgemachter systemischer Infektion wie einem Harnwegsinfekt, an gilt als Bildgebung der Wahl bei Spondylodiszi- das Vorliegen einer Spondylodiszitis gedacht werden soll. Die frühzeitige Diagnosestellung tis. Entzündliche Veränderungen finden sich im mittels kontrastverstärktem MRT (bei Kontraindikationen alternativ PET-CT) und Therapie- Diskus, den angrenzenden Grund- und Deckplat- einleitung sind wichtig, um neurologische Komplikationen und damit bleibende Schäden zu ten, sowie im paravertebralen Weichteilgewebe vermeiden. (vergleiche Abbildung 5 bis 6). Im Verlauf kann mittels MRT die ossäre Destruktion der End- und Deckplatten sowie der Wirbelkörper detektiert werden (Abbildung 6 c). Prozent durch Staphylococcus (S.) aureus ver- Ausfälle, die operative Therapie indiziert. Post- Gleichwertig zum MRT wird die Fluor-18-Fluo- ursacht, gefolgt von gramnegativen Erregern operativ waren Schmerzen und Funktion signi- rodesoyglucose Positronenemissionstomografie wie E. coli [27]. fikant gebessert. (18F-FDG-PET-CT) gesehen, wobei die PET bei der Unterscheidung zwischen degenerativen und Bei der vorgestellten Patientin gelang in mehre- Das Literaturverzeichnis kann im Internet entzündlichen Veränderungen Vorteile aufweist. ren Blutkulturen und in dem durch CT-gesteuerte unter www.bayerisches-aerzteblatt.de Physiologisch reichert sich die entsprechend Feinnadelpunktion gewonnenen Material eindeu- (Aktuelles Heft) abgerufen werden. markierte Glukose nicht im Knochenmark und an tig der Nachweis eines multiresistenten (3MRGN) den knöchernen Strukturen der Wirbelsäule an, E. coli, der gegen Carbapeneme sensibel war Die Autorin erklärt, dass sie keine finanziel sodass sich entzündliche Prozesse mit erhöhter (3MRGN). Carbapeneme entsprechen nicht den len oder persönlichen Beziehungen zu Drit Glukoseaktivität im PET-CT als „hot spots“ (Abbil- Empfehlungen zur Behandlung der Spondylodiszi- ten hat, deren Interessen vom Manuskript dung 7) darstellen. Im vorgestellten Fall konnten tis [28], waren aber die einzige Antibiogrammge- positiv oder negativ betroffen sein könnten. mittels PET-CT weitere Entzündungsherde (zum rechte Therapiemöglichkeit. Bezüglich der Dauer Beispiel Endokarditis) als mögliche Quellen der der antibiotischen Therapie gibt es für die Spon- Spondylodiszitis ausgeschlossen werden. dylodiszitis keine einheitlichen Empfehlungen, mindestens vier bis sechs Wochen bis zu zwölf Autorin Laborchemisch sind bei Spondylodiszitis typi- Wochen werden beschrieben. Die konservative scherweise (90 bis 98 Prozent) das C-reaktive Therapie umfasst, neben der gezielten Antibiose, Privatdozentin Dr. Brigitte Protein (CRP) und die Blutsenkungsgeschwin- eine Schmerztherapie und Entlastung des betrof- Buchwald-Lancaster digkeit (BSR) erhöht [23, 24], eine Leukozytose fenen Wirbelsäulenabschnitts; lang andauernde ist nicht obligat. Zusätzlich sollten mindestens Bettruhe ist obsolet [29]. Chefärztin, Zentrum für Akutgeriatrie und zwei Blutkulturenpaare (aerob/anaerob) gewon- Frührehabilitation, Akademische Lehrein- nen werden. Dabei lässt sich bei antibiotisch Im beschriebenen Fall war wegen Wirbelkör- richtung der LMU München für Geriatrie, nicht vorbehandelten Patienten in 70 Prozent perdestruktionen unter Einbeziehung der Deck- München Klinik gGmbH, Klinikum der Fälle [25, 26] ein Erreger nachweisen. Die platten und damit drohender Instabilität, trotz Neuperlach, Oskar-Maria-Graf-Ring 51, Spondylodiszitis liegt meist als monobakterielle erfolgreicher Infektsanierung (Punktat des OP- 81737 München Infektion vor und wird in Europa zu mehr als 50 Materials steril), und dem Fehlen neurologischer 528 Bayerisches Ärzteblatt 11/2020
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