GESCHÄFTSBERICHT DES ETH-RATS ÜBER DEN ETH-BEREICH 2018
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Auftakt Auftakt Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 23 32 ETH-Bereich Trägerfinanzierung 1 Ausgaben FACTS & FIGURES Facts & Figures in Mio. CHF in Mio. CHF 2531 3349 2018 Mio. Mio. 15 2017: 2531 Mio. CHF 2017: 3307 Mio. CHF Studie zur Wertschöpfung 2 8 Den ETH-Bereich bilden die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen ETH Zürich und EPFL sowie die vier Forschungs- PSI anstalten Paul Scherrer Institut (PSI), WSL, Empa und Eawag. Investitionen in Wertschöpfung 1 Arbeitsplatz schafft 4 Arbeitsplätze Der vom Bundesrat gewählte ETH-Rat ist das strategische Erfolgreicher Ausbau den ETH-Bereich der in der Schweiz im ETH-Bereich in der Schweiz Führungs- und Aufsichtsorgan des ETH-Bereichs. www.ethrat.ch Forschungsinfrastrukturen Der ETH-Bereich unterhält zahlreiche Forschungs- Bundesrat Guy Parmelin mit den Präsidenten, der Direktorin 1 5,4 und den Direktoren der Institutionen des ETH-Bereichs. infrastrukturen wie das Forschungs- und Innovations- gebäude NEST oder die Neutronenquelle SINQ, die 1 1 4 2 WEF 2019 nationalen CHF und internationalen Forschenden zur Ver- fügung stehen. Letztere wird gerade umgebaut und Die Institutionen des ETH-Bereichs Die Schweiz CHFWelt sein. danach die Quelle mit der besten Optik der 3 ETH Zürich Seite 15 EPFL Seite 19 PSI als globalerSeitePlayer 23 Bereits zum dritten Mal präsentierte sich die ETH Rund 2,5 Mrd. CHF Empa Rund 13,3 Mrd. CHF Rund 21 000 Rund 80 000 Arbeits- Zürich im Rahmen des WEF mit einem eigenen des Bundes Bruttowertschöpfung Mitarbeitende plätze in der Schweiz Pavillon in Davos. Der ETH-Rat und die Institutionen Aktuatoren statt Motoren Eawag des ETH-Bereichs luden zu Veranstaltungen über Personal CTsystems, ein Spin-off der Empa, hat den ersten Studierende und Doktorierende An der ETH Zürich bilden rund 500 Professorinnen und Professoren über 11 100 Studierende und Doktorierende aus 116 Ländern und mehr als 350 Labors Spitzenforschung Das Paul baut und inentwickelt, Scherrer Institut (PSI) betreibtführten der Schweiz ein. Die Netzwerk- grosse, komplexe For-und internationale Prototyp elektromechanischer Polymerwandler Abwasser als Goldgrube anlässe nationale in Arbeitsverhältnisse Stapelbauweise bereits vorgestellt: Dieser setzt Millionen von Menschen haben keinen Zugang zu 22 349 32 531 21 000 Studierende und Doktorierende betreiben Spitzenforschung in Bereichen schungsanlagen, die der nationalen und aus über 120 Ländern aus. Gemeinsam wie erneuerbare Energien, Medizintech- Wissenschaft, internationalen Politik und Wirtschaft zusammen. Forschungsgemeinschaft als Aktuator elektrische Energie in mechanische sanitären Anlagen, die eine «saubere» Lösung forschen sie in Natur- und Ingenieur- nik, Neurotechnologien, Materialwissen- zur Verfügung stehen. › Markus Mallaun In der Schweiz sind / ETH-Rat Arbeit mit «eingebauter» Sensorfunktion um. Dank bieten. Die Eawag forscht deshalb an technischen wissenschaften,ETHArchitektur, Mathema- Zürich: Fields-Medaille 2018 und Informationstechnologie. schaften alle diese Grossforschungsanlagen einzig- der Zusammenarbeit mit dem Schweizer Spezia- Möglichkeiten, Abwässer aufzubereiten und aus tik, systemorientierten Wissenschaften Im Durchschnitt geht mehr als ein Start- artig, einzelne gibt es sogar weltweit nur listen Dätwyler erreicht der Grad der industriellen ihnen Ressourcen rückzugewinnen. Alessio Figalli im Porträt sowie in Management- und Sozial- up pro Monat aus der EPFL hervor, die am PSI. Eigene Forschungsschwerpunkte wissenschaften. Die Erkenntnisse und enge Beziehungen zur Wirtschaft unter- EPFL und Material, Energie und sind Materie Produktion ein neues Niveau. Innovationen Er derhat Forschenden der ihn gewonnen. Denhält. 2018 eröffnete wichtigsten die EPFL das LEARN- Mathematik- Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. ETH Zürich fliessen in die zukunfts- Preis derder trächtigsten Branchen Welt Zentrum, das sich den Bildungswissen- – die Fields-Medaille. Schweizer schaften widmet. UndDieses sie machte fördert Bildungs- Verschwindende Gletscher www.psi.ch Frauenanteil: 34 % Lernende: 462 Frauenanteil: 31 % und Ökosysteme 29 Wirtschaft ein,Alessio von derFigalli, Mathematikprofessor Informatik innovationen,der auchETH um Zürich, den Heraus- über Mikro-und zum Nanotechnologie Vorbild. Auchbisin seiner hin zu medizinischen Hightechgeräten. forderungen der digitalen italienischen Transformation Heimatstadt zu begegnen, wie es auch das Center for Weltklassepatente 3 Spin-offs ETH-Bereich www.ethz.ch Rom, wo sich im Herbst 2018 doppelt Digital so viele Jugend- Trust tut. Ein Forschungsteam der EPFL bereitet eine grosse WSL liche zum Mathematikstudium anmeldeten. www.epfl.ch Expedition zu rund 200 Gletschern auf der ganzen Die Extreme häufen sich 55 Harvard Welt vor, um das mikrobielle Leben in diesen ver- MIT schwindenden Ökosystemen besser zu verstehen. ETH-Bereich Im Interview erläutern die WSL-Experten Andreas University of Oxford Rigling und Manfred Stähli, welche Auswirkungen University of California WSL Seite 26 Empa Seite 29 Eawag Seite 32 trockene Sommer wie der von 2018 auf die Natur Stanford University 21 Tsinghua University in der Schweiz haben. CNRS Fraunhofer 26 Eidg. Forschungsanstalt für Wald, JST, Japan Schnee und Landschaft WSL Chin. Acad. of Sciences Hochschulrankings Die WSL untersucht Veränderungen Die Empa ist das interdisziplinäre Die Eawag ist ein weltweit führendes der terrestrischen Umwelt EPFL: sowie Nutzung Latsis-Preis 2018 Forschungsinstitut des ETH-Bereichs für Wasserforschungsinstitut. Stärke und Der ETH-Bereich verfügt im Vergleich mit einigen THE World THE Europe QS World QS Europe und Schutz von natürlichen Lebensräumen Materialwissenschaften und Techno- Erfolg basieren auf der seit über 80 Jahren der weltweit renommiertesten Forschungsinstitutionen Ranking Ranking Ranking Ranking Gewinnerin und Kulturlandschaften. Sie überwacht logie. Auf der Basis ihrer Forschung ent- gepflegten Verknüpfung von Forschung, Zustand und Entwicklung von Wald, wickelt sie Lösungen für die vorrangigen Lehre und Weiterbildung sowie auf über den dritthöchsten Anteil an Weltklassepatenten. Andrea Ablasser Landschaft, Biodiversität, Naturgefahren Herausforderungen von Industrie und Beratung und Wissenstransfer. Die 19 sowie Schnee und Eis und entwickelt Gesellschaft und trägt so wesentlich dazu Kombination von Natur-, Ingenieur- 11 4 7 3 nachhaltige Lösungen für gesellschaftlich bei, die Innovationskraft und Wettbe- und Sozialwissenschaften erlaubt eine Für ihre relevante Probleme. Zur bahn brechende Forschung WSL gehört werbsfähigkeitzurderangeborenen Schweizer Wirtschaft umfassende Erforschung des Wassers auch das WSL-Institut für Schnee-und 35 9 22 7 Immunität wurde Andrea in einem zunehmend Ablasser, kompetitiven Assistenzprofesso- von naturbelassenen Gewässern bis 1 Lawinenforschung SLF Davos. Umfeld zu stärken. hin zu Abwassermanagementsystemen. Kredite in Anrechnung an den Zahlungsrahmen www.wsl.ch rin an der EPFL, mit dem Nationalen www.empa.chLatsis-Preis 2018 www.eawag.ch 2 BiGGAR Economics, November 2017 ausgezeichnet. 3 BAK Economics AG, 2018 ETH Zürich EPFL 4 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 5
Vision Geschäftsbericht VISION des ETH-Rats über den ETH-Bereich 2018 Der ETH-Bereich will durch Exzellenz in Forschung und Lehre sowie in Wissens- und Technologie- transfer als Innovationsmotor die Wettbewerbs- fähigkeit der Schweiz nachhaltig stärken und Vorwort 6 zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen. Als Rückblick 8 Leuchtturm will er weltweit Mitverantwortung übernehmen für die Bewältigung drängender Faszination ETH-Bereich 11 gesellschaftlicher Herausforderungen, für die Governance 35 Steigerung der Lebensqualität und für den lang- Strategische Ziele 45 fristigen Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Kennzahlen 81 Finanzen 99 PSI Impressum 106 Villigen ETH Zürich / ETH-Rat ETH Zürich Zürich Basel Empa Empa / Eawag Dübendorf St. Gallen WSL EPFL Birmensdorf Neuenburg ETH-Rat Bern Eawag Kastanienbaum EPFL EPFL / WSL Empa Freiburg WSL Lausanne Thun Davos EPFL / WSL / Empa WSL Sitten Cadenazzo EPFL Genf ETH Zürich Lugano Der ETH-Bereich und seine Institutionen Den ETH-Bereich bilden die beiden Eidgenössischen Hochschulbildung, Forschung und Innovationen Technischen Hochschulen ETH Zürich und EPFL sowie auf höchstem Niveau: Diese erbringt der ETH- Bereich mit über 22 000 Mitarbeitenden, mehr als die vier Eidgenössischen Forschungsanstalten PSI, WSL, Empa und Eawag. Das strategische Führungs- Finanzbericht: 32 000 Studierenden und Doktorierenden sowie und Aufsichtsorgan des ETH-Bereichs ist der ETH-Rat. www.ethrat.ch/finanzbericht2018 einer Professorenschaft von rund 850 Personen. www.ethbereich.ch I www.ethrat.ch 3
Auftakt Auftakt Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 23 32 15 8 PSI Erfolgreicher Ausbau der Forschungsinfrastrukturen Bundesrat Guy Parmelin mit den Präsidenten, der Direktorin Der ETH-Bereich unterhält zahlreiche Forschungs- und den Direktoren der Institutionen des ETH-Bereichs. infrastrukturen wie das Forschungs- und Innovations- gebäude NEST oder die Neutronenquelle SINQ, die WEF 2019 nationalen und internationalen Forschenden zur Ver- fügung stehen. Letztere wird gerade umgebaut und Die Schweiz danach die Quelle mit der besten Optik der Welt sein. als globaler Player Bereits zum dritten Mal präsentierte sich die ETH Empa Zürich im Rahmen des WEF mit einem eigenen Pavillon in Davos. Der ETH-Rat und die Institutionen Aktuatoren statt Motoren Eawag des ETH-Bereichs luden zu Veranstaltungen über CTsystems, ein Spin-off der Empa, hat den ersten Spitzenforschung in der Schweiz ein. Die Netzwerk- Prototyp elektromechanischer Polymerwandler Abwasser als Goldgrube anlässe führten nationale und internationale in Stapelbauweise bereits vorgestellt: Dieser setzt Millionen von Menschen haben keinen Zugang zu Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zusammen. als Aktuator elektrische Energie in mechanische sanitären Anlagen, die eine «saubere» Lösung › Markus Mallaun / ETH-Rat Arbeit mit «eingebauter» Sensorfunktion um. Dank bieten. Die Eawag forscht deshalb an technischen ETH Zürich: Fields-Medaille 2018 der Zusammenarbeit mit dem Schweizer Spezia- Möglichkeiten, Abwässer aufzubereiten und aus listen Dätwyler erreicht der Grad der industriellen ihnen Ressourcen rückzugewinnen. Alessio Figalli im Porträt EPFL Produktion ein neues Niveau. Er hat ihn gewonnen. Den wichtigsten Mathematik- Preis der Welt – die Fields-Medaille. Und sie machte Verschwindende Gletscher und Ökosysteme 29 Alessio Figalli, Mathematikprofessor der ETH Zürich, zum Vorbild. Auch in seiner italienischen Heimatstadt Rom, wo sich im Herbst 2018 doppelt so viele Jugend- Ein Forschungsteam der EPFL bereitet eine grosse WSL liche zum Mathematikstudium anmeldeten. Expedition zu rund 200 Gletschern auf der ganzen Welt vor, um das mikrobielle Leben in diesen ver- Die Extreme häufen sich schwindenden Ökosystemen besser zu verstehen. Im Interview erläutern die WSL-Experten Andreas Rigling und Manfred Stähli, welche Auswirkungen trockene Sommer wie der von 2018 auf die Natur 21 in der Schweiz haben. EPFL: Latsis-Preis 2018 Gewinnerin 26 Andrea Ablasser Für ihre bahnbrechende Forschung zur angeborenen Immunität wurde Andrea Ablasser, Assistenzprofesso- rin an der EPFL, mit dem Nationalen Latsis-Preis 2018 ausgezeichnet. 19 4 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 5
Auftakt Vorwort des Präsidenten VORWORT Sehr geehrte Leserinnen und Leser Die ETH Zürich fliegt auf den Mars, die die Hälfte der Gründerinnen und Gründer EPFL bringt Gelähmte wieder auf die Beine stammt aus dem Ausland. Und zwei Drittel und die Empa untersucht den Brückenein- der Professorinnen und Professoren, die sturz von Genua. Dies ist nur eine kleine unseren Nachwuchs ausbilden, Projekte Auswahl aus Tausenden von Medienbe- mit der Wirtschaft vorantreiben und neue richten des vergangenen Jahres, welche Erkenntnisse in Medizin, Nanotechnologie die Kompetenzen und die Vielfältigkeit oder Energie hervorbringen, haben keinen des ETH-Bereichs aufzeigen. Jahr für Jahr Schweizer Pass. Der Grossteil der Forschung belegen Rankings und Studien die hohe basiert auf internationaler Zusammen- Qualität von Lehre und Forschung sowie arbeit. Diese zu unterbinden, hat negative Wissens- und Technologietransfer der In- Konsequenzen. Durch den vorübergehen- stitutionen des ETH-Bereichs. Eine Analyse den Ausschluss aus Horizon 2020 waren der Qualität von Patenten beispielsweise Schweizer Forschungsinstitutionen an zeigt, dass ein Drittel der untersuchten deutlich weniger EU-Projekten beteiligt, Patente aus dem ETH-Bereich zur Weltklasse erhielten weniger Mittel und konnten gehört. Damit nimmt dieser weltweit den weniger Projekte koordinieren. dritten Rang ein, im nationalen Kontext sogar den Spitzenplatz. Diese Erfolge sind Auch in Zukunft stehen Entscheide zum nur möglich, weil die Rahmenbedingun- Verhältnis der Schweiz zu Europa und über gen in unserem Land ausgezeichnet sind. die Forschungsfreiheit sowie Debatten Politik, Wirtschaft und die Bevölkerung über das Budget an. Politik, Wirtschaft Dr. Fritz Schiesser, Seit 2008 bekleidet Fritz Schiesser das Amt des der Schweiz sorgen gemeinsam dafür, dass und die Schweizer Bevölkerung sind somit Präsident des ETH-Rats Präsidenten des ETH-Rats sowie des Geschäfts- der ETH-Bereich solide finanziert ist, über gefordert, die guten Rahmenbedingungen ausschusses des ETH-Bereichs. Der promovierte Rechtswissenschaftler ist zudem Anwalt und genügend Autonomie verfügt und die immer wieder von Neuem zu verteidigen. Notar im Kanton Glarus. Von 1990 bis 2007 war Schweiz ein offenes Land bleibt. Der ETH-Bereich wird seinerseits weiterhin Schiesser Mitglied des Ständerats und von 2003 alles daran setzen, seine Kompetenzen bis 2004 Ständeratspräsident sowie von 1999 bis 2007 Präsident des Stiftungsrats des Schweize- Spitzenforschung ist, ebenso wie Spitzen- zum grösstmöglichen Nutzen unseres rischen Nationalfonds (SNF). fussball, international. Beide sind sowohl Landes einzusetzen sowie weltweit Mit- auf einheimische als auch auf ausländische verantwortung zu übernehmen für die Talente angewiesen, um zu den Besten zu Bewältigung drängender gesellschaftlicher gehören. Ohne die Studierenden und Mit- Herausforderungen. arbeitenden aus dem Ausland und ohne die Möglichkeit, international zusammen- zuarbeiten, wäre der ETH-Bereich nicht Zürich / Bern, im Februar 2019 dort, wo er heute ist. Der ETH-Bereich ist stolz auf die vielen Spin-offs, die hier jährlich gegründet werden und Innovatio- nen und Arbeitsplätze schaffen. Mehr als 6 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 7
Rückblick Lehre, Forschung, Wissens- und Technologietransfer Rückblick Lehre, Forschung, Wissens- und Technologietransfer ETH-Bereich Das Computational EINE INTERNATIONALE Robotics Lab der ETH Zürich hat den ersten Roboter gebaut, der Schlittschuh laufen kann. ERFOLGSGESCHICHTE › Andreas Eggenberger/ ETH Zürich Wissenschaftliche Exzellenz, internationale Ver- netzung und Offenheit hängen eng zusammen. Dank den starken Kooperationen der Institutionen des ETH-Bereichs mit Partnern im In- und Ausland gelingt es ihnen, sich international zu behaupten und als exzellente Lehr- und Forschungsinstitu- tionen die weltweit besten Talente zu rekrutieren. Davon profitiert auch die Schweizer Wirtschaft mit ihrem Bedarf an Fachkräften im MINT-Bereich. Damit auch in Zukunft hervorragende forschungs- und innovationspolitische Rahmenbedingungen garantiert sind, ist der Erhalt stabiler internationaler Beziehungen – gerade auch mit der Europäischen Union – zentral. Es gibt zahlreiche Mittel und Wege, um die Qualität Das hervorragende Abschneiden des ETH-Bereichs Grosse Bedeutung der internationalen Die bibliometrische Analyse zeigt, dass etwa zwei 1/3 2/3 von Hochschulen und Forschungsanstalten zu er- bestätigt sich auch mit Blick auf andere «Bench- Vernetzung in der Forschung Drittel aller Publikationen in internationaler Zu- fassen. Ein wesentliches Element ist dabei stets der markings». Besonders erfreulich sind die Resultate Wenn die Messweise von Qualität und Leistung im sammenarbeit entstanden. Diese Art von Arbeiten Vergleich mit anderen Wissenschaftsinstitutionen der Ende 2018 publizierten Studie «Analysis of the internationalen Vergleich erfolgt, so ist dieses welt- weist den höchsten Impact auf, wurde also besonders Ein Drittel der unter- auf der ganzen Welt. In diesem Wettbewerb über- patent portfolio of the ETH Domain». Beauftragt vom Etwa zwei Drittel der umspannende Element gleichsam ein Wesensmerk- häufig zitiert. Ausnahmslos alle Institutionen des suchten Patente des zeugt der ETH-Bereich auf beeindruckende Art und ETH-Rat, hat die BAK Economics AG das Portfolio von Publikationen aus dem mal des Wissenschaftsbetriebs und von zentraler ETH-Bereichs erreichen in der Analyse des wissen- ETH-Bereichs gehören ETH-Bereich sind das zu den 10 % der welt- Weise. Jahr für Jahr belegen die beiden Hochschulen Patenten im ETH-Bereich untersucht. Um von einer Resultat internationa- Bedeutung für wissenschaftliche Spitzenresultate. schaftlichen Outputs Werte, die zum Teil sehr deut- weit bedeutendsten in Zürich und Lausanne Spitzenplätze in den Ran- rein quantitativen Zählweise wegzukommen, wurde ler Zusammenarbeit. Ersichtlich wird dies beispielhaft anhand der biblio- lich über dem weltweiten Durchschnitt liegen. Patente in ihren Tech- kings, die von verschiedenen Organisationen mit ein «Big Data»-Ansatz angewandt und die Bedeutung Diese Art von Arbeiten metrischen Analyse, die der ETH-Rat im Hinblick nologien. verfügt über den ge- unterschiedlichen Methoden und Schwerpunkten der einzelnen Patente in 17 verschiedenen Techno- wichtigsten Impact. auf die 2019 anstehende Zwischenevaluation des In Zusammenhang mit der ausgeprägten internatio- erstellt werden (s. Abb. 16 und 17, S. 91). So rangiert logien gewichtet und u. a. mit den Werten von zehn ETH-Bereichs in Auftrag gegeben hat. Die vom nalen Kooperationskultur im ETH-Bereich sind auch die ETH Zürich 2018 im THE World Ranking auf dem der weltweit führenden Universitäten und Forschungs- «Centre for Science and Technology Studies (CWTS) die europäischen Forschungsrahmenprogramme zu 11. und die EPFL auf dem 35. Rang. Während das THE institutionen verglichen. Die Analyse zeigt auf, at Leiden University» erstellte Studie analysiert die erwähnen. In den Verbundprojekten von Horizon Kennzahlen u.a. zu Lehre, Forschung oder Zitationen dass ca. ein Drittel der untersuchten Patente des Anzahl Artikel und Reviews, die von Forschenden 2020 arbeiten häufig Universitäten, Fachhochschulen verwendet, legt das QS World Ranking das Haupt- ETH-Bereichs zu den 10 % der weltweit bedeutends- der sechs Institutionen des ETH-Bereichs zwischen und Industriepartner aus verschiedenen Ländern zu- gewicht auf die Reputation der akademischen Institu- ten Patente in ihren Technologien gehören. Nur die 2007 und 2016 verfasst wurden, und quantifiziert sammen. Die Institutionen des ETH-Bereichs können tionen sowie der Absolventinnen und Absolventen beiden privaten amerikanischen Hochschulen Harvard deren Impact durch die Menge an Zitationen bis und nicht nur auf eine überdurchschnittliche Erfolgs- bei ihren Arbeitgebern. Hier erreicht die ETH Zürich und MIT verfügen über bessere Werte. Ein genauer mit 2017. Der Zusammenarbeit der Wissenschaftler- quote der von ihnen mitausgearbeiteten Projekt- 2018 gar den siebten Platz, die EPFL findet sich auf Blick auf die Patentverteilung macht deutlich, dass der innen und Wissenschaftler aus dem ETH-Bereich vorschläge verweisen, sie übernehmen auch oftmals Rang 22. ETH-Bereich im internationalen Vergleich in über einem mit Fachkolleginnen und -kollegen von Forschungs- die Koordination der multinationalen Projekte. Drittel der analysierten Technologien führend ist. institutionen aus aller Welt kommt dabei eine ent- scheidende Bedeutung zu. 8 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 9
Rückblick Lehre, Forschung, Wissens- und Technologietransfer Von der weltweiten Anziehungskraft des ETH-Bereichs FASZINATION profitiert nicht nur unmittelbar der Forschungs- standort Schweiz. Ein Jahr nach ihrem Abschluss an der ETH Zürich oder an der EPFL arbeiten ungefähr 60 % der Bildungsausländerinnen und -ausländer ETH-BEREICH in der Schweiz. Diese MINT-Fachkräfte sind nicht nur sehr gesucht, sondern tragen auch massgeblich dazu bei, die Innovationskraft der Schweizer Wirt- schaft hoch zu halten. Ehemalige Mitarbeitende des ETH-Bereichs bleiben sehr aktiv, wenn sie in der Schweizer Industrie forschen. Gemäss der BAK-Studie listen 3800 Firmenpatente mindestens einen For- schenden auf, der vorher für den ETH-Bereich gear- beitet und dort bereits Patente angemeldet hat. Bildungspolitik — Internationale Offenheit sichern Der erste Platz, den die Schweiz im «Global Inno- vation Index» auch dank der in- und ausländischen Absolventinnen und Absolventen aus dem ETH- Bereich seit Jahren belegt, darf nicht darüber hin- wegtäuschen, dass der internationale Wettbewerb um forschungs- und innovationsfreundliche Rah- menbedingungen gross ist. So hat eine im Sommer veröffentlichte Studie der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) aufgezeigt, dass grössere Unternehmen in der Schweiz ihre For- schung und Entwicklung zunehmend in Länder aus- lagern, die vermehrt staatliche Anreize dafür bieten. Auch die vom SBFI in Auftrag gegebene Studie «Forschung und Innovation: Die Schweiz im Vergleich zu anderen Innovationsregionen» (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mai 2018) weist darauf hin, dass andere Weltregionen ihren Rück- stand laufend wettmachen. Die Untersuchung schliesst mit dem Hinweis, dass die Schweiz struk- turelle Nachteile als kleiner Staat nur durch eine entsprechende Offenheit ausgleichen könne. WEF 2019: Weltweite Attraktivität — EPFL-Präsident Martin Fachkräfte für die Schweiz Für den ETH-Rat hat die Erhaltung dieser Offenheit Vetterli im Gespräch mit Moderatorin Die hohe Qualität von Lehre und Forschung im ETH- oberste Priorität. Der Erfolg des ETH-Bereichs basiert Patrizia Laeri, Marianne Bereich ermöglicht es den Institutionen im Wett- wesentlich auf der starken internationalen Zusam- Janik, Country Manager bewerb um die «besten Köpfe» erfolgreich zu sein. menarbeit und dem direkten Wettbewerb mit den Microsoft Schweiz, und Olivier Bousquet, Head Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen weltweit besten Forschungsinstitutionen. Stabile Cybersecurity, the Swiss Way ETH-Bereich 12 Google AI Research oftmals aus dem Ausland, um in der Schweiz in und verlässliche Beziehungen gerade mit der Euro- in Europa (v.l.n.r.) › Andreas Eggenberger / exzellenter Forschungsumgebung zu arbeiten. So päischen Union sind hierfür eine unerlässliche Der Spass am puren Denken ETH Zürich 15 ETH Zürich besteht die Professorenschaft an der ETH Zürich Basis. Der erst kürzlich publizierte Bericht des SBFI Die EPFL-Forscherinnen und an der EPFL zu zwei Dritteln aus Forscherinnen und Forschern aus dem Ausland. Diese internatio- über die Beteiligung der Schweiz an den euro- päischen Forschungsrahmenprogrammen macht Uralte Ökosysteme in rauer Landschaft EPFL 19 Jenifer Miehlbradt (li.) nale Zusammensetzung ist gleichzeitig das Resultat deutlich, dass unser Land infolge des teilweisen und Carine Rognon mit dem Fly-Jacket. der im weltweiten Vergleich hervorragenden Posi- Ausschlusses aus Horizon 2020 nach Annahme der Scharf sehen mit Neutronen PSI 23 Ein sensorisiertes Exo- tionierung der Lehr- und Forschungsinstitutionen Masseneinwanderungsinitiative insgesamt an skelett mit künstlicher Intelligenzsoftware für und wesentliche Grundlage für zukünftige wissen- deutlich weniger Projekten beteiligt war und auch Die Extreme häufen sich WSL 26 die intuitive Steuerung schaftliche Spitzenleistungen. eine Abnahme bei den Projektkoordinationen zu von Drohnen. Die Tech- nologie ist zum Patent verzeichnen hatte. Um den intensiven wissen- schaftlichen Austausch über die Landesgrenzen Aktuatoren statt Motoren Empa 29 angemeldet. hinweg zu sichern, ist sehr zu hoffen, dass die › Markus Mallaun / ETH-Rat Schweiz am nächsten EU-Forschungsrahmenpro- Abwasser als Goldgrube Eawag 32 gramm wieder durchgehend als voll assoziierter Staat teilnehmen kann. 10 11
Faszination ETH-Bereich Cybersecurity Faszination ETH-Bereich Cybersecurity ETH-Bereich «Das jetzige Internet hat so viele deutig die Mittel und damit die Expertise. Trotzdem CYBERSECURITY, Probleme, dass man es von sei die Schweiz genau der richtige Ort, um das Ver- trauen in diese Systeme wiederherzustellen. Grund auf neu konzipieren und bauen muss, wenn man es Bugnion sieht, neben der Ingenieurskunst, nämlich THE SWISS WAY noch eine zweite grosse und ebenso identitäts- und wieder sicherer machen will.» vertrauensstiftende Schweizer Tradition: Zuverlässig- keit. Seit Jahrhunderten sei die Schweiz spezialisiert — Professor Adrian Perrig, Leiter der in Bereichen – seien es Luxusuhren, Banken oder Network Security Group an der ETH Zürich Versicherungen –, die auf Zuverlässigkeit und damit auf Vertrauen zwischen den Menschen beruhen. Ein Merkmal, das man auch im digitalen Raum nutzen könne. Das C4DT, das Forschungsaktivitäten von Das Internet — das sind nicht nur Google, Facebook, «Die Schweiz ist genau der richtige über 30 Gruppen bündelt, versucht auf interdiszipli- Twitter & Co, sondern dahinter steckt auch eine Ort, um das Vertrauen in diese näre Weise, ethische Fragen und politische Umsetz- barkeit beispielsweise in Bezug auf Verschlüsselungs- konkret gebaute Infrastruktur. Könnte man diese Systeme wiederherzustellen.» technologien zu verbinden. Sicherheit wird hier in mit Schweizer Tugenden kombinieren, würde das einem weiteren Sinn verstanden, gewissermassen Vertrauen ins Internet vielleicht wieder wachsen. — Professor Edouard Bugnion, Vizepräsident als Kultur, die es zu pflegen gilt. für Informationssysteme an der EPFL Cybersecurity ist in aller Munde, dennoch gibt Damit ist Myriam Dunn Cavelty voll und ganz einver- es viel Unsicherheit. Das sagen Experten des ETH- standen: «Cybersecurity ist längst nicht mehr nur ein Bereichs zu diesem Thema. technisches Problem.» Die Forscherin am «Center for Security Studies» (CSS) der ETH Zürich ist überzeugt, dass wir keinen sicheren Cyberspace haben werden, wenn es keine gesellschaftlich-politische Überein- kunft gibt, die dieses Territorium schützt. Initiati- ven, das zu ändern, gibt es einige, und sie kommen 2018 initiiert von der Cybersecurity. Oder die Sicherheit im digitalen Raum, Spätestens seit dem US-amerikanischen Whistle- Im Fokus der Müsste die Schweiz also nicht einiges zu bieten zuweilen von überraschender Seite. Dunn Cavelty EPFL, ist das «Center den man oft gar nicht mehr Cyberspace nennt, da blower Edward Snowden ist jedoch jedem Internet- Forschungsaktivitäten haben, um auch die digitale Welt ebenso elegant wie erwähnt die unlängst vom Microsoft-Präsidenten for Digital Trust» (C4DT) des Center for Security eine Partnerschaft er längst zum Alltäglichen gehört. Genau darin liegt benutzer klar, dass Doppelbödigkeiten und Ge- Studies (CSS) stehen robust bauen zu können? Ein digitales Ingenieurs- Brad Smith lancierte Idee einer neuen Genfer zwischen Forschung, auch das Problem: Teilweise haben die Menschen fahren so ziemlich überall im Netz lauern. Und zentrale Fragen der paradigma, angelehnt an Brücken, Tunnel und Ge- Konvention für den digitalen Raum. Diese sei zwar Industrie, öffentlichem immer noch kein Gefühl für diesen Raum entwickelt, immer wieder lassen neue Geschichten aufhorchen: Sicherheitspolitik rund bäudestatik. nicht unbedingt auf grosse Gegenliebe gestossen, Sektor und der Gesell- um die sich wandelnde schaft, um eine vor allem nicht für seine dunklen Ecken und Fall- Unlängst konnte man lesen, dass asiatische Hard- Bedrohungslage, in «weil sich Staaten nicht gern von privaten Firmen gemeinsame Vision gruben. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel warefirmen in die elektronische Infrastruktur, die der sich die National- C4DT: Cybersecurity interdisziplinär Vorgaben machen lassen». Trotzdem glaubt sie, dass für digitales Vertrauen hatte ihn vor einigen Jahren noch «Neuland» ge- wir täglich nutzen, diskrete Hintertüren einbauen. staaten und ihre Ein Ingenieur muss wissen, wie stark sein System die Schweiz und insbesondere Genf eine besondere zu entwickeln und Gesellschaften be- umzusetzen. nannt und wurde für diese Bemerkung im Netz kriti- finden. strapaziert wird. Für die Sicherheit einer Brücke Rolle spielen könnten, wenn es um internationale c4dt.org siert. Doch sie hatte nicht ganz unrecht. Die Gesell- Nichts scheint mehr sicher. Was bleibt ist ein css.ethz.ch bedeutet das, dass sie stabil genug gebaut wird, Bemühungen geht, Angriffe auf die digitale Infra- schaft nimmt dieses «neue Land» – und alles, was es Unbehagen und viele Fragen. Von wem geht die um dem Zahn der Zeit und dem prognostizierten struktur einzudämmen. Versuche, im nationalen «zum Laufen» bringt – für allzu selbstverständlich. Bedrohung eigentlich aus? Welche alltäglichen Verkehrsaufkommen zu trotzen. Und natürlich ext- Kontext digitale Souveränität herzustellen, hält sie digitalen Handlungen und vor allem welche Nach- remen Maximalbelastungen. Doch sollte sie auch hingegen für «Humbug». Das sieht auch Bugnion so: lässigkeiten machen einen verwundbar? Hat man einem Erdbeben widerstehen können? Und wenn «Man muss viel mehr europäisch denken.» Er ver- private Internetsurfer überhaupt im Visier? Würde ja, bis zu welcher Stärke? Die Frage nach der Sicher- misst insbesondere eine europäische Initiative für die Gesellschaft bei einem gezielten Angriff auf die heit ist also immer auch die Frage nach der zu eine andere Digitalkultur, die stark auf Datenschutz digitale Infrastruktur zusammenbrechen? Stecken erwartenden Gefahr. und ein sicheres Internet setzen würde. die Probleme im Aufbau des Netzes? Oder müssen wir uns vor allem vor böswilligen Störaktionen Computernetzwerke müssten nicht Naturgefahren SCION – eine neue Internetarchitektur fürchten? trotzen, sondern gezielten Angriffen von Urhebern, Adrian Perrig denkt global. Der Professor an der ETH deren Motivation «andersartig» sei, so Professor Zürich und Leiter der Network Security Group hat Die digitale Welt hat eine Infrastruktur und «Inge- Edouard Bugnion, Vizepräsident für Informations- vielleicht eines der bahnbrechendsten Projekte im nieure», die diese bauen. Die Schweiz hat mit systeme der EPFL und einer der Initiatoren des ETH-Bereich in Sachen Cybersecurity: Er will das die besten Ingenieure der Welt und vor allem eine unlängst lancierten «Center for Digital Trust» (C4DT). ganze Internet neu bauen. Dem Netzwerkspezialisten Ingenieurskunst, die den Ruf hat, besonders ver- «Der Gegner ist nicht die Natur, sondern es sind war irgendwann klar: «Das jetzige Internet hat so lässlich zu sein. Beide ETH bilden Ingenieure aus. private oder staatliche Angreifer.» Deshalb sei auch viele Probleme, dass man es von Grund auf neu die Frage nach der Sicherheit eines Systems, seiner konzipieren und bauen muss, wenn man es wieder Widerstandsfähigkeit, eine ganz andere als beim sicherer machen will.» In dieses Thema haben Perrig Bauen physischer Strukturen. Und was die Abwehr und seine Gruppe gut zehn Jahre Forschungsarbeit von Cyberangriffen angehe, fehlten der Schweiz im gesteckt. Konkret ging es darum herauszufinden, Symbolbild Vergleich zu anderen Ländern – wie den grossen wie viel Sicherheit man überhaupt erreichen kann. › Shutterstock Playern, aber auch Spezialisten wie Israel – ein- Nicht als theoretisches Ideal, sondern in der alltägli- 12 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 13
Faszination ETH-Bereich Cybersecurity Faszination ETH Zürich Fields-Medaillen-Gewinner 2018: Alessio Figalli chen Computerpraxis. «Absolute Sicherheit für die Wird man also bald, wie beim Stromanbieter, meh- ETH Zürich DER SPASS AM Benutzung von Computern zu erreichen, ist sehr rere Möglichkeiten haben, wie man surfen möchte? schwierig», gibt Perrig zu bedenken. Bei Netzwerken Günstig und unsicher oder auf der Überholspur, mit ist er jedoch nach langjährigen Versuchen sehr einer Netzwerkarchitektur aus dem 21. Jahrhundert? optimistisch. Die neue Internetarchitektur ist nicht Das klingt gar nicht so vermessen, sondern eigent- PUREN DENKEN nur sicherer, sondern auch effizienter. lich nur vernünftig, aus Ingenieurssicht. Ein weiterer wichtiger Beitrag ist die Arbeit in den Der «Feind» in meinem Laptop Forschungsgruppen der Professoren David Basin Was aber, wenn das Problem im eigenen Computer und Peter Müller an der ETH Zürich. Sie arbeiten sitzt? Professor Gabriel Aeppli, Direktionsmitglied an mathematischen Beweisen, dass die Internet- und Leiter des Forschungsbereichs Photonen- protokolle und der Code auch tatsächlich sicher sind. forschung am Paul Scherrer Institut (PSI), kann «Durch die Komplexität des heutigen Internets sich durchaus vorstellen, dass bereits die Hardware ist diese sogenannte formale Verifikation äusserst manipuliert ist. Zwar wurde die Software, die schwierig», sagt Basin und fügt hinzu «aber die die westliche digitale Welt am Laufen hält, wahr- Struktur unserer neuen Netzwerkarchitektur macht scheinlich in Amerika oder in Europa geschrieben, eine Verifikation überhaupt erst möglich». Professor aber die Hardware der Computer wird mehrheitlich Müllers Gruppe arbeitet an der Verifikation des in Asien produziert. Wenn dort gelänge, Bauteile Quellcodes. Er bemerkt: «In den letzten Jahren der Computer schon bei der Herstellung zu korrum- haben wir intensiv daran geforscht, unsere Metho- pieren, dann wäre mit normalen Abwehrstrategien den zu verbessern, um einen Beweis zu ermögli- oder neuen Netzwerkarchitekturen nicht viel zu chen.» Dank einem Durchbruch gelang es, die erreichen. Aeppli glaubt deshalb, dass es bald zum Beweismethoden der Gruppen Basin und Müller Standardverfahren gehören wird, Hardwarelieferun- zu integrieren, damit das gesamte System vom Pro- gen stichprobenmässig genauestens zu durch- tokoll bis zum Code beweisbar sicher ist. leuchten, und zwar bis hinunter auf die Ebene ein- zelner Schaltkreise. Dieses neue Netz trägt den Namen SCION (Scalability, Control, and Isolation on Next-Generation Networks) Das geht bislang nur mit grossem Aufwand, der eine und Perrig verspricht, dass man als Benutzer keinen vernünftige Kontrolle verunmöglicht, was natürlich Unterschied zum «alten» Internet merken wird, und Verdachtsmomenten Tür und Tor öffnet. Genau hier wenn, dann werde das Surfen eher angenehmer. Das könnte eine von Aeppli mitentwickelte neue Rönt- erreicht das SCION-Team unter anderem dadurch, gentechnologie Abhilfe schaffen, die ganze Chips dass die Pfade der Datenpakete gezielt beeinflusst innerhalb von Minuten durchleuchten könnte, ohne werden und für eine Übertragung mehrere unter- sie zu zerstören. Die am PSI ausgetüftelte 3D-Methode schiedliche Pfade genutzt werden können, zum hat in Technologiekreisen für einiges Aufsehen Beispiel einen mit kurzer Verzögerungszeit für das gesorgt, denn sie erlaubt es erstmals, die Verläufe Audio- und einen mit mehr Bandbreite für das der innen liegenden, nur Nanometer grossen Bau- Videosignal. Dafür müsse nicht komplett alles neu teile im Detail und ohne jede Verzerrung sichtbar zu gebaut werden. «Man kann es sich so vorstellen, machen. Das Gelieferte lässt sich dann mit dem als ob man auf derselben Strasse auswählen kann, Bestellten abgleichen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ob man mit einem Fahrrad oder einem Elektroauto wird in Zukunft besser sein. unterwegs sein will.» Noch ist das eine Vision für die Zukunft, die allerdings nicht mehr allzu fern ist; Eine zentrale Frage stellt sich auf der psychologi- man sei in intensiven Verhandlungen mit Internet- schen Ebene: Wem kann man denn überhaupt noch anbietern. vertrauen? Die Geschichte um die korrumpierte Hardware hat nicht für mehr Vertrauen gesorgt, auch weil die betroffenen Firmen alles dementiert und die Reporter auf Unterlassung verklagt haben. Dennoch überrascht diese Reaktion nicht weiter, wenn man sich vor Augen führt, wie geschäfts- schädigend ein solcher Vertrauensverlust wäre. «Auf der Softwareebene ist es schon Das sieht auch Dunn Cavelty so: «Vertrauen ist nun einmal zentral, auch für die Wirtschaft.» sehr komplex, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass bereits die Hardware manipuliert ist.» — Professor Gabriel Aeppli, Direktionsmitglied und Leiter des Forschungsbereichs Photonenforschung am PSI 14 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 15
Faszination ETH Zürich Fields-Medaillen-Gewinner 2018: Alessio Figalli Faszination ETH Zürich «Mathematik ist überall. Arbeit übernehmen würde? Figalli zieht die Stirn Darstellung des ETH-Elektronik Eine Disziplin, um die Welt in Falten. Die Aussicht, dass künstliche Intelligenz womöglich bald logische Schlüsse zu ziehen und zu InSight-Landers: Die ETH-Elektronik liegt fliegt zum Mars gut geschützt im zu modellieren.» verknüpfen lerne, findet er «beängstigend». Prinzi- Inneren des Landers. › Courtesy NASA / JPL-Caltech piell spreche nicht viel dagegen, dass maschinelle Anfang Mai 2018 startete in Kalifornien — Alessio Figalli, Systeme diese Fähigkeit erlangen könnten – dass eine Rakete mit dem InSight-Lander der Professor für Mathematik sie aber auch entsprechend kreativ würden, kann NASA in Richtung Mars. An Bord befand (oder will) er sich doch nicht vorstellen. Und er sich eine an der ETH Zürich entwickelte verweist auf Schach, da sei doch aller Spass auf der Steuerungs- und Datenerfassungselekt- Strecke geblieben, seit die besten Rechner jeden ronik, die im Seismometer des Landers menschlichen Spieler locker besiegen. zum Einsatz kommt. Damit wollen Wissenschaftler seismische Aktivitäten Alessio Figalli hat 2018 den wichtigsten Mathe- Die Mathematik habe er der Logik und Ordnung und Meteoriteneinschläge auf dem Mars matik-Preis der Welt gewonnen: die Fields- wegen gewählt, weil sie «sauber» sei und es dabei erfassen, um den inneren Aufbau des Medaille. Diese hat ihn ins Rampenlicht gerückt nicht um eine Glaubenssache gehe. Bei der Wahl roten Planeten zu untersuchen. Erdwis- — und ihn zum Vorbild gemacht, insbesondere seines Forschungsfelds aber ging es um genau senschaftler der ETH Zürich erhalten ab für den Nachwuchs: In seiner italienischen Heimat diesen «Spass», den komplexe mathematische Pro- Frühjahr 2019 routinemässig seismische schnellten die Immatrikulationen für Mathematik bleme böten. Die Fields-Medaille wurde ihm ver- Daten vom Mars zur Auswertung und in die Höhe. liehen, weil er hat zeigen können, wie Fragen zum Interpretation. Die Forschenden erhoffen optimalen Transport von Ressourcen mit der Geo- sich von der InSight-Mission auch neue Und dann kommt Alessio Figalli zu seinem Büro im metrie des Raumes verknüpft sind. Die Resultate Erkenntnisse über den Ursprung und die Hauptgebäude der ETH Zürich geeilt und entschuldigt werden in den Wirtschaftswissenschaften, der Entwicklung anderer Planeten unseres Figalli beschäftigt sich sich auf italienisch-herzliche Weise für die zwei- Wahrscheinlichkeitsrechnung oder der Strömungs- Sonnensystems. mit der Monge-Ampère- minütige Verspätung. Das Hemd frisch gebügelt, auf mechanik angewandt. Also hilft er doch bei der Gleichung. Er nutzt diese nun, um zum Beispiel dem Schreibtisch ein paar Stapel Papiere, die er unaufhaltsamen Effizienzsteigerung, beim Immer- den Weg von einzelnen rasch zurechtrückt. Die Herbstsonne strahlt herein, mehr, Immer-schneller? Nein, so mag er das nicht Wassertropfen in einer er zieht die Jalousie und bedauert die Unordnung, sehen, durch Effizienz könne man ja auch Zeit Wolke zu beschreiben — und somit die mathe- die kaum der Rede wert ist – und man macht gleich für anderes gewinnen. Grundsätzlich sei es aber Forschung Ausgezeichnetes matischen Modelle für die Wettervorhersage einen Haken bei «mag die Dinge gern aufgeräumt». Sonst aber tut einem Figalli nicht den Gefallen, schön zu wissen, dass das was man gefunden hat, auch von Nutzen ist: «Je näher an der Anwendung, auf Banknote Lebenswerk zu verbessern. sich exzentrisch zu zeigen. Ein umgänglicher junger desto besser.» Aber von der Anwendung leiten Mann, dem man auch seine Bankgeschäfte anver- lassen würde er sich bei seiner Arbeit nicht. Die Ende August 2018 präsentierte die Schweizerische Seit 2006 würdigt das Europäische Patentamt mit trauen würde. Weiter weg vom Klischee des Mathe- Mathematik stünde letztlich für sich. Figalli erwähnt Nationalbank (SNB) die neue 200er-Banknote. dem Europäischen Erfinderpreis Leistungen von matikers kann man eigentlich nicht sein. Und tat- die Fourier-Transformation, ohne die das Funktio- Darauf sind eine Teilchenkollision sowie die Ge- Menschen, die mit ihren Ideen und ihrer Kreativität sächlich geht dieses Klischee Figalli gehörig auf die nieren heutiger Elektronik undenkbar wäre – auch schichte des Universums abgebildet. Als Berater die Entwicklung von neuartigen Produkten mass- Nerven. «Warum glaubt man, dass Mathematiker Fourier ahnte das vorher nicht. fungierte Günther Dissertori, Professor am Institut geblich vorangetrieben haben. Zu den Ausgezeich- immer ein wenig weltfremd oder schrullig sein für Teilchenphysik und Astrophysik der ETH Zürich. neten gehörte 2018 auch Ursula Keller, ETH-Profes- müssen?» Die meisten passen nicht in dieses Bild. Eine Grundschwierigkeit zwischen mathematischer Das Projekt dauerte einige Jahre und war streng sorin für Kurzzeitlaserphysik. Sie wurde von der Jury Er selber hat sich zunächst für ein humanistisches Grundlagenforschung und naturwissenschaftlicher vertraulich. Dissertori beriet das Grafikteam der in der Kategorie Lebenswerk für ihre Entwicklungen Gymnasium entschieden, inklusive Griechisch und Anwendung sieht er in der Kommunikation mit den SNB dabei, wie eine Teilchenkollision und ein im Bereich ultraschnelle Laser gewürdigt. Die von Latein, bevor es ihn via Mathematik-Olympiade an Forschenden, seien es Physikerinnen oder Biologen: Teilchendetektor sowie die wichtigsten Momente Keller entwickelten Laser finden heute in der Indus- die legendäre Scuola Normale Superiore in Pisa «Wir verstehen uns einfach nicht.» Da helfen Media- in der Geschichte des Universums dargestellt trie breite Anwendung. Gleichzeitig ermöglichten gezogen hat. toren, die mit beiden Gebieten vertraut sind – aber werden können. Dass auf einer Banknote Grund- sie auch wichtige Durchbrüche in der Grundlagen- die Zugänge werden immer grundsätzlich verschie- lagenforschung prominent gezeigt wird, verdeut- forschung. So konnte Keller beispielsweise mit ihrer Ein schönes Klischee bedient das Büro dann aber den bleiben: «Es gibt immer noch keine solide Theo- licht deren Stellenwert in der Schweiz. laserbetriebenen Atto-Uhr quantenphysikalische doch: die pittoreske Wandtafel, vollgekritzelt mit rie für das Phänomen, das Flugzeuge fliegen lässt, Phänomene mit hoher Präzision nachweisen. Formeln und Diagrammen. Ja, manchmal stelle er das ist mathematisch ein sehr schwieriges Feld.» sich gerne dahin zum Arbeiten, das könne etwas Und bringt den Unterschied zwischen Mathematik Die Fields-Medaille Befreiendes haben, wenn man mit dem Schwamm und Physik schön auf den Punkt: Das Fehlen eines Notenhaufen 200er- hat ihn ins Rampen- alles wegwischen und seine Gedanken neu ordnen felsenfesten Beweises hält den Ingenieur natürlich Noten: Die Rückseite licht gerückt – und zeigt unter anderem ihn zu einem Vorbild könne. Am besten arbeite er aber einfach mit Stift nicht davon ab, solche fliegenden Kisten zu bauen. eine Teilchenkollision. gemacht. In Rom, und Papier, sagt Figalli – und wenn immer möglich Und auch uns nicht, in sie einzusteigen. › Schweizerische seiner Heimatstadt, Nationalbank 2017 bleibe der Computer abgestellt. Er frage sich mit- meldeten sich im Herbst 2018 doppelt unter, ob der Rhythmus der heutigen Gesellschaft Ursula Keller erhält so viele Jugendliche gesund sei und ob wir nicht besser ein paar Gänge den Europäischen für das Mathematik- Erfinderpreis in der herunterschalten sollten. Die Mathematik funktio- studium an. Kategorie Lebenswerk. niere nun einmal eher langsam. Jeder einzelne › European Patent Office Gedankengang müsse genauestens geprüft und bewiesen werden. Das brauche seine Zeit. Und wenn der Computer im Hintergrund ein wenig von dieser 16 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 17
Faszination ETH Zürich Faszination EPFL Verschwindende Gletscher, Biofilme und mikrobielles Leben Goldener Löwe Die Gewinner des Goldenen Löwen – EPFL URALTE für Schweizer Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew Pavillon van der Ploeg und Ani Vihervaara (v.l.n.r.) — in der übergrossen ÖKOSYSTEME Küche des Schweizer Vier junge ETH-Architekten gestalteten auf Pavillons. Einladung der Kulturstiftung Pro Helvetia › Christian Beutler / KEYSTONE den Schweizer Pavillon an der 16. Ausgabe der Architekturbiennale in Venedig. Das IN RAUER Projekt überzeugte: «Svizzera 240: House Tour» gewann den Goldenen Löwen. Es ist das erste Mal, dass diese höchste Aus- zeichnung in der Kategorie Nationale Beiträge an die Schweiz geht. Das Team, LANDSCHAFT bestehend aus Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara, konzipierte einen Rundgang durch unmöblierte Räume, die an eine klassische Wohnung erinnern, aber gleich- zeitig mit übergrossen Küchen und ver- zogenen Türen irritieren. Ziel ist es, bei den Besuchenden die Wahrnehmung für die architektonische Hülle, die uns Tag für Tag umgibt, zu schärfen. School for Botnar finanziert Continuing Education Forschung für Kinder Der technische Wandel hat grosse Auswirkungen auf Am 19. September 2018 haben die Universität Basel die nachgefragten Kompetenzen in Wirtschaft und und die ETH Zürich das Botnar Research Centre for Gesellschaft. Die Halbwertszeit von Wissen verringert Child Health (BRCCH) in Basel gegründet. In diesem sich und Weiterbildung wird zu einer Lebensauf- bringen sie hervorragende Wissenschaft und klini- gabe. Vor diesem Hintergrund hat die ETH Zürich die sche Forschung aus verschiedenen Fachgebieten «School for Continuing Education» gegründet und zusammen, um neue Methoden und digitale Inno- die bestehenden Weiterbildungsprogramme in vier vationen für den weltweiten Einsatz in der Pädiatrie Bereiche gruppiert: «Environment, Infrastructure zu entwickeln. Im Zentrum stehen dabei Länder mit & Architecture», «Technology, Management & Inno- beschränkten Ressourcen. Die entwickelten Lösungen vation», «Public Policy & Governance» und «Health, sollen aber überall einsetzbar sein. Dieser Ansatz Life & Natural Science». Insgesamt umfasst das ermöglicht nachhaltige Forschung und Entwicklung Angebot 17 MAS (Master of Advanced Studies), mit einem direkten Nutzen für die Gesundheit von 9 DAS (Diploma of Advanced Studies) und 20 CAS Kindern und Jugendlichen. Das BRCCH wird von der (Certificates of Advanced Studies), rund 20 weitere Basler Fondation Botnar durch einen Beitrag von Programme sind geplant. 100 Millionen Franken über zehn Jahre finanziert. Peter Lenz, Stiftungs- ratspräsident der Fon- dation Botnar, Andrea Schenker-Wicki, Rektorin der Universität Basel, und damaliger ETH Zürich Präsident Lino Guzzella (v.l.n.r.). › Peter Hauck Sich an den Besten messen: Mit ihrem be- kanntesten Alumnus wirbt die ETH Zürich für ihr Weiterbildungs- angebot. › ETH Zürich 18 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 19
Faszination EPFL Verschwindende Gletscher, Biofilme und mikrobielles Leben Faszination EPFL «Diese Forschung hat globale Vielleicht war es überhaupt der Beginn des Lebens, Eine exzitonische Die Elektronik Bedeutung und passt hervorragend so wie wir es kennen: komplexere Lebensformen mit Organen, die eine Aufgabenteilung kennen. Mikro- Schaltung. › LANES / EPFL der Zukunft zum neuen Zentrum für den organismen wurden irgendwann «sesshaft». Sie Wandel der alpinen und polaren begannen, ein schleimiges Substrat zu bilden, in das sich in der Folge auch andere Arten einnisteten: Das Exziton könnte die Elektronik re- volutionieren. Ein EPFL-Forscherteam Umwelt an der EPFL Wallis.» Höheres Leben begann wohl als Mikroben-WG. Bald wurden aus den Gemeinschaften Megacities, mit hat einen Transistor entwickelt – einer der wichtigsten Bestandteile elektroni- — Martin Vetterli, Präsident der EPFL tausenden von Taxa, die zum Beispiel im Stoffwech- scher Schaltungen –, der auf Exzitonen sel und in der Abwehr von Feinden ein Auskommen statt Elektronen basiert. Und vor allem fanden. Battin nennt es eine «Soziomikrobiologie». konnten sie seine Leistung bei Raum- temperatur unter Beweis stellen, was Warum interessiert sich ein Naturwissenschaftler Die Biofilme hier oben sind die Basis von Bach- bislang nicht möglich war, und damit für Gletscher? Weil es da oben erstaunlich viel ökosystemen und gewissermassen der Anfang der das Hauptproblem derartiger Apparate Leben gibt. Und dieses Leben erstaunlich schlecht Nahrungskette. «Es sind die Mikroorganismen, die lösen. Der Erfolg ist insbesondere auf erforscht ist. Dabei kann es womöglich viel er- wesentliche biochemische Prozesse in Bächen und die Wahl von zwei 2D-Materialien als zählen über Zeiten, als die ganze Erde vereist und Flüssen orchestrieren, und sie sind am wenigsten Halbleiter zurückzuführen. Diese Ent- vergletschert war. Ein Team der EPFL bereitet eine erforscht.» Vor allem hier oben, wo das Wasser deckung könnte zu wirtschaftlicheren, grosse Expedition zu rund 200 Gletschern auf herkommt. «Wir wissen inzwischen mehr über mik- schnelleren und kompakteren Vorrich- der ganzen Welt vor, um diese Forschungslücke robielles Leben in den Meerestiefen als über jenes tungen führen und ebnet den Weg zu zu schliessen. in den Bächen, die das Dach unserer Erde drainie- einer Vielzahl neuer Möglichkeiten im ren», sagt Battin. Bereich Exzitonen, der sich neben der «Wir sind es zukünfti- Es ist kalt hier oben auf gut 2300 Metern, zum Glück Photonik und der Spintronik als höchst gen Generationen scheint die Sonne. Mitte November am Corbassière- Das will er ändern. Deshalb hat er Michael Styllas vielversprechend erweist. schuldig, das mikro- bielle Leben in diesen Gletscher, es liegt bereits erster Schnee von diesem engagiert, der normalerweise Expeditionen ins verschwindenden Jahr. Während sich das Team am Bach gleich unter- Hochgebirge führt und nun mit einer Schaufel Sedi- Ökosystemen besser halb des Gletschertors einrichtet und die mitge- mente aus dem Bach holt. In den nächsten Jahren zu verstehen.» — Professor Tom Battin, brachten Experimente aus den Koffern auspackt, sind wird ein Team um Styllas die ganze Welt bereisen Eröffnung eines Gewinnerin des Forschungsdirektor des NOMIS-Projekts Tom Battin und Hannes Peter ganz aus dem Häus- chen, sie nehmen Steine aus dem Bach und zeigen und gegen 200 Gletscherbäche in diversen geogra- fischen Umgebungen untersuchen. Zentrums für Bildungs- Latsis-Preises 2018: (im Bild) sie herum. Was soll es da zu sehen geben, in diesem wissenschaften Andrea Ablasser unwirtlichen, schon sehr winterlichen Hochgebirge? Battin glaubt, dass man hier oben in Schnee und Sehr viel, das merkt auch der Laie rasch: Einige der Eis Überreste von uralten Ökosystemen findet. Wo- Im Bereich der Bildung hat die EPFL ein einzig- Die Immunologin und EPFL-Professorin Andrea Steine sind von einer grünlichen Schleimschicht möglich haben sich diese kaum verändert. Battin artiges Ökosystem aus Dienstleistungen, Forschungs- Ablasser untersucht, wie sich Zellen gegen Angriffe überzogen, an manchen Stellen im Bach wuchert es und Peter hoffen, ein Core-Mikrobiom zu finden, labors und Unternehmertum entwickelt. Das Zent- von Viren und Bakterien zur Wehr setzen. Für ihre wie Gandalfs Bart. Die Wassertemperatur? 0,01 Grad. der kleinste gemeinsame Nenner des Biofilm- rum LEARN, das von Francesco Mondada, Professor bahnbrechende Forschung zur angeborenen Immu- Sonstiges Leben rundherum? Nicht viel auszumachen: Lebens. «Wir möchten wissen, welches genetische am Robotic Systems Laboratory und Erfinder des nität wurde sie mit dem Nationalen Latsis-Preis einige Flechten auf den Steinen, an geschützten Repertoire diese Lebensgemeinschaften brauchen. Roboters Thymio, geleitet wird, vereint alle Akteure 2018 ausgezeichnet. Im Gegensatz zur erworbenen Stellen an den Hängen ein paar zähe Pflanzen. Viele So können wir verstehen, wie sie unter diesen im Bereich der Bildungsforschung und der Entwick- Immunität, die gezielt, aber langsam Antikörper Nährstoffe wird der Bach kaum aus dem Gletscher- Bedingungen überleben können.» Und das ist umso lung neuer Tools für die Ausbildung. «Um mit den gegen bestimmte Krankheitserreger produziert, bett spülen. Aber für diese Mikroorganismen reicht wichtiger, als sich diese Bedingungen im Moment grossen Fortschritten der digitalen Technologien reagiert die angeborene Immunität sofort und löst es allemal. Hannes Peter ist Experte für Ökosysteme rasant verändern. Wie kommt es zu stabilen Lebens- Schritt zu halten, müssen wir sowohl den Lerninhalt eine Abwehrreaktion aus. Ablasser erforscht, wie in Fliessgewässern, und er weiss: Es ist die beste Zeit gemeinschaften in einer Umwelt, die höchst als auch die Lernmethoden anpassen», erklärt Pierre diese angeborene Immunantwort gesteuert wird, für Biofilme. Nicht zu viel Strömung, dafür viel Licht, instabil ist, gerade jetzt? Es wird ein Blick in die Vandergheynst, Vizepräsident für Bildung an der und ist dabei auf einen vielversprechenden thera- besser könnten die Bedingungen nicht sein. Vergangenheit sein, und gleichzeitig einer in EPFL. Das Zentrum will die Innovation im pädagogi- peutischen Ansatz gestossen, um Autoimmuner- die Zukunft: Wie passen sich diese Biofilme an schen Bereich fördern und auf die Herausforderun- krankungen besser zu verstehen. Biofilme? Das hat nichts mit Tierfilmen zu tun, es den Klimawandel an? gen der digitalen Transformation reagieren. handelt sich dabei um Lebensgemeinschaften von Das Projekt wird von Mikroorganismen. Am ehesten kennt man das aus Auf dem Corbassière-Gletscher geht es darum, die Mit dem Roboter der NOMIS Stiftung der Medizin, wo Biofilme oft problematisch sind, Handgriffe zu trainieren und das Material zu testen. Thymio können Kinder finanziert und ist das das Programmieren erste Forschungspro- weil sie sich als sehr resistent erweisen. Schätzungen Wer installiert sich wo am Bach, wie koordiniert ausprobieren und gramm für das Alpine zufolge, gehen gegen 80 Prozent der chronischen man die Experimente? Alles läuft nach einem ge- die Grundlagen der and Polar Environment Infektionen auf Biofilme zurück. Resistent zeigen nauen Protokoll ab und muss zuverlässig funktio- Robotik entdecken. Research Center (Alpole) › EPFL des EPFL Valais Wallis sie sich auch hier oben, am Gletscher, wo sie eine nieren, ob nun die Sonne scheint oder ob es trüb Campus in Sion. perfekte Nische gefunden haben. «Biofilme gibt und windig ist. Manche Experimente werden gleich es seit 3,5 Milliarden Jahren, sie stellen eine sehr am Bach gemacht, komplexere Analysen folgen ursprüngliche und auch erfolgreiche Form des später im Labor. Vor allem das exakte Sequenzieren Lebens auf der Erde dar», erklärt Tom Battin, Pro- erfolgt dort, denn die Forscher interessieren sich fessor an der EPFL und Leiter des «Stream Biofilm für die Metagenomik und Metatranskriptomik der and Ecosystem Research Laboratory». Mikroben in den Biofilmen. 20 ETH-BEREICH Geschäftsbericht 2018 21
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