"GESPALTENE" WERKE BEI PAUL KLEE II - Zenodo
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»GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II MARIE KAKINUMA SUMMARY In the present article, the second part of tampered with Klee's works when they my research on a further twenty consisted of overlaid works or contained "separated" works outside the Klee family works on both sides. For Klee research, estate will be discussed in detail, the result of such interventions made by particularly with regard to provenance, foreign hands is ironically very revealing and the process of separation will be and provides clues for the reconstruction made precisely comprehensible. Like the of the artist's working process not only in artist's son, Felix Klee, art dealers, the individual cases, but in a broader private collectors or museums also perspective. E inleitung Arbeiten auf der Vorderseite, und sie In der letzten Nummer der Zwit- können nicht ohne Weiteres als verwor- scher-Maschine konnte erstmals fen und/oder versteckt eingestuft wer- der Versuch unternommen werden, ei- den.«2 Im ersten Teil meiner Recherchen nen Überblick über das Phänomen der wurden zwanzig »getrennte« Werke, die vierzig »gespaltenen« Werke im Œuvre sich im Familienbesitz Klee befanden/ 1 von Paul Klee zu geben. Es ging darum, befinden, näher analysiert. Mit dieser die zugehörigen technischen Angaben Untersuchung lässt sich festhalten, dass im Catalogue raisonné Paul Klee zu revi- der Sohn des Künstlers, Felix Klee dieren und die leicht verwirrende Termi- (1907–1990), zwischen 1961 und 1967 nologie »gespalten« durch die neutrale den Restaurator Max Ludwig in Basel Formulierung »getrennt« in der Daten- damit beauftragte, die oben genannten bank des Zentrum Paul Klee zu erset- übereinanderliegenden Bilder (Typ 1) zen. Dabei lassen sich die »getrennten« und beidseitig bearbeiteten Bilder (Typ 2) Werke in zwei Typen unterscheiden: Bei voneinander trennen zu lassen. Zwei Typ 1 handelt es sich um direkt überein- Beispiele gehören zu den Ersteren, d. h. anderliegende Bilder, d. h. unter den in nach der Trennung entstandenen vier Klees eigenem handschriftlichen Œu- Werken, acht Beispiele zu den Letzteren, vrekatalog registrierten Werken ver- d. h. nach der Trennung entstandenen steckt sich bisweilen ein zweites Bild. sechzehn Werken. Es gibt also insge- Diese Bilder wurden erst im Rahmen von samt zwanzig »getrennte« Werke im Fa- Restaurierungen gefunden und durch milienbesitz Klee. Für diese konnte auf- eine Trennung frei gelegt. Bei Typ 2 han- gezeigt werden, wie engagiert Felix Klee delt es sich um beidseitig bearbeitete Werke seines Vaters in der Nachkriegs- Bilder bzw. Recto/Verso-Bilder. Verso- zeit einem breiten, internationalen Pu- Bilder waren mehrheitlich von Anfang an blikum im Sinne einer Wiedergutma- sichtbar und »dienten keineswegs nur chung bekannt gemacht hat, und dazu als Rückwand oder Verstärkung für die wollte er möglichst viele Werke in der ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 29
Öffentlichkeit zeigen. Darin bestand ver- Mädchen, von vorne gesehen), um 1909 mutlich der Beweggrund, für den an sich (ABB. 5, ABB. 6); um sieben über Dächern, zerstörerischen Akt der Trennung der 1930, 211 und Ohne Titel (ABB. 7, ABB. 8); doppelten Bildträger. Festzuhalten Stilleben mit der Taube, 1931, 151 und bleibt auch, dass »von den zwanzig ge- Ohne Titel (ABB. 9, ABB. 10); Frauenmas- trennten Werken, die nach Felix Klees ke, 1933, 482 und Ohne Titel (ABB. 11, Tod bis vor kurzem in der Familie geblie- ABB. 12); Sumpflegende, 1919, 163 und ben sind, mit wenigen Ausnahmen keine Ohne Titel (ABB. 13, ABB. 14); Reconstruc- 3 unterschiedlichen Standorte gefunden« tion, 1926, 190 und Ohne Titel (ABB. 15, wurden. ABB. 16); Tänzer (auf gelb), 1930, 204 und Ohne Titel (ABB. 17, ABB. 18); sowie vier- AUSSERHALB DES FAMILIENBESITZES teiliger Palast, 1933, 355 und Ohne Titel KLEE (ABB. 19, ABB. 20). Die 18 zusätzlichen Im vorliegenden Beitrag wird der zweite Einzelwerke von Klee stammen aus dem Teil meiner Recherchen zu weiteren Zeitraum der Weimarer Republik, in dem zwanzig »getrennten« Werken ausser- Klee als Professor am Bauhaus in Wei- halb des Familienbesitzes Klee insbe- mar und Dessau und an der Düsseldorfer sondere im Hinblick auf die Provenien- Akademie lehrte, und sie werden allge- zen im Einzelnen erörtert und der Vor- mein als Meisterwerke des Künstlers ge- gang der Trennung soll präzis nachvoll- schätzt und dementsprechend hoch ta- ziehbar gemacht werden. Daraus wer- xiert. Kunsthändler oder Privatsammler den sich wiederum entsprechende Revi- konnten folglich gleich zwei Werke an- sionen der Provenienzangaben im Cata- statt nur einem verkaufen (Typ 2b, wie logue raisonné Paul Klee ergeben. Wie im weiter unten genauer beschrieben). letzten Beitrag sind auch hier separate Provenienzen zu den getrennten Werken aufgelistet, d. h. die Provenienzen zu den versteckten (Typ 1) bzw. rückseitigen Bil- dern (Typ 2) werden erst für den Zeit- raum nach der Trennung angegeben. Wie Felix Klee unternahmen auch Kunsthändler, Privatsammler oder Mu- seen Eingriffe in Klees Werke, wenn es sich um übereinanderliegende oder beidseitig bearbeitete handelte. Zu- nächst wird ein komplexes Beispiel mit dem Werk Urnenstätte der Familie Och- senfrosch, 1922, 182 und Ohne Titel (ABB. 1, ABB. 2) gezeigt. Die beiden Bilder sind im Catalogue raisonné Paul Klee mit der Angabe »ursprünglich zusammen mit« bezeichnet. Es ist anzunehmen, dass sie getrennt worden sind.4 Zu Typ 1 gehören folgende zwei Werke: Eingezäuntes, 1928, 74 und Ohne Titel (ABB. 3, ABB. 4); zu Typ 2 zählen folgende sechzehn Werke: Ohne Titel (Blumenstö- cke), um 1904 und Ohne Titel (Sitzendes ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 30
Abb. 1 Abb. 2 Paul Klee Um 90 Grad gedreht: Urnenstätte der Familie Ochsenfrosch, 1922, 182 Paul Klee Ölfarbe auf Gewebe auf Karton, 39,1 x 48,6 cm, Museum of Art, Ohne Titel, 1919/1920 Rhode Island School of Design, Providence, Anonymous gift in Ölfarbe auf Karton, 39,1 x 48,6 cm, Museum of Art, memory of William Warren Orswell Rhode Island School of Design, Providence, © Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence Anonymous gift in memory of William Warren Orswell © Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence Abb. 3 Abb. 4 Paul Klee Paul Klee Eingezäuntes, 1928, 74 Ohne Titel, 1926 Ölfarbe auf Papier auf Gips auf Karton; originale Rahmenleisten, Ölfarbe auf Karton, 21,6 x 28,3 cm, Museum Sammlung Rosengart, Luzern 22,4 x 28,4 cm, Museum Sammlung Rosengart, Luzern © Sammlung Rosengart, Luzern © Sammlung Rosengart, Luzern ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 31
Abb. 5 Abb. 6 Paul Klee Paul Klee Ohne Titel (Blumenstöcke), um 1904 Ohne Titel (Sitzendes Mädchen, von vorne gesehen), um Ölfarbe auf Grundierung auf Leinwand auf Karton, 1909 44,2 x 32,6/33,4 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Ölfarbe auf Leinwand auf Karton, 44 x 34 cm, Zentrum © Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv Paul Klee, Bern © Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv Abb. 7 Abb. 8 Paul Klee Um 90 Grad gedreht: um sieben über Dächern, 1930, 211 Paul Klee Aquarell auf Baumwolle auf Holz; originale Rahmenleisten, Ohne Titel 53 x 51 cm, The Henie-Onstad Art Centre, Høvikodden Ölfarbe auf Holz, 51 x 53 cm, The Henie-Onstad Art Centre, Høvikodden © Henie Onstad collection, Henie Onstad Kunstsenter. Foto: Øystein © Henie Onstad collection, Henie Onstad Kunstsenter. Foto: Øystein Thorvaldsen Thorvaldsen ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 32
Abb. 9 Abb. 10 Paul Klee Paul Klee Stilleben mit der Taube, 1931, 151 Ohne Titel Öl- und Wachsfarbe auf Karton; originale Rahmenleisten, 54,5 x 69,5 cm, Wachsfarbe auf Karton, 54,6 x 69,5 cm, Columbus Museum of Art, Ohio, Columbus Museum of Art, Ohio, Gift of Howard D. and Babette L. Sirak, the Gift of Howard D. and Babette L. Sirak, the Donors to the Campaign for Donors to the Campaign for Enduring Excellence, and the Derby Fund Enduring Excellence, and the Derby Fund © Columbus Museum of Art © Columbus Museum of Art Abb. 11 Abb. 12 Paul Klee Um 90 Grad gedreht: Frauenmaske, 1933, 482 Paul Klee Ölfarbe auf Grundierung auf Leinwand, 56 x 46 cm, Ohne Titel Privatbesitz, USA Ölfarbe auf Leinwand, 46 x 56 cm, Privatbesitz, USA Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 33
Abb. 13 Abb. 14 Paul Klee Paul Klee Sumpflegende, 1919, 163 Ohne Titel Ölfarbe und Feder auf Karton, 47 x 40,8 cm, Städtische Galerie im Ölfarbe auf Leinwand, 47 x 40,5 cm, Standort unbekannt Lenbachhaus und Kunstbau München und Gabriele Münter- und Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv Johannes Eichner-Stiftung, München, Vergleich 2017 mit den Erb*innen der früheren Eigentümerin Sophie Lissitzky-Küppers, mit grosszügiger finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München Abb. 15 Abb. 16 Paul Klee Paul Klee Reconstruction, 1926, 190 Ohne Titel Ölfarbe auf Grundierung auf Nesseltuch auf Karton, 36,3 x 39,3 cm, Aquarell und Gouache auf Holz, 35 x 38 cm, Kode-Art Museums of Bergen, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Stenersen Collection © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf © Kode-Art Museums of Bergen, ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 34
Abb. 17 Abb. 18 Paul Klee Paul Klee Tänzer (auf gelb), 1930, 204 Ohne Titel Aquarell auf Baumwolle auf Holz, 44 x 38 cm, Standort unbekannt Ölfarbe und Feder auf Holz, 43,8 x 38,1 cm, Los Angeles County Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv Museum of Art, gift of the Robert Gore Rifkind Collection and purchased with funds provided by the William Preston Harrison Collection © Museum Associates / LACMA Abb. 19 Abb. 20 Paul Klee Um 90 Grad gedreht: vierteiliger Palast, 1933, 355 Paul Klee Aquarell und Feder auf Grundierung auf Leinwand, Ohne Titel 90,5 x 68 cm, Staatsgalerie Stuttgart, erworben mit Ölfarbe auf Leinwand, 67,5 x 90,5 cm, Kunstmuseum Basel, Schenkung Lotto-Mitteln 1970 der Christoph Merian Stiftung aus dem Legat Frank und Alma Probst © Staatsgalerie Stuttgart 2019 © Christoph Merian Stiftung, Basel ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 35
Abb. 1 Paul Klee Urnenstätte der Familie Ochsenfrosch, 1922, 182 Ölfarbe auf Gewebe auf Karton, 39,1 x 48,6 cm, Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence, Anonymous gift in memory of William Warren Orswell © Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence Abb. 2 Um 90 Grad gedreht: Paul Klee Ohne Titel, 1919/1920 Ölfarbe auf Karton, 39,1 x 48,6 cm, Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence, Anonymous gift in memory of 1. Beispiel (ABB. 1, ABB. 2) November 1966 ist zu entnehmen, dass William Warren Orswell Provenienz zu Urnenstätte der Familie Urnenstätte der Familie Ochsenfrosch, © Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence Ochsenfrosch, 1922, 182 1922, 182, an John Washeba, der als Pa- 1922–1940 Paul Klee, Weimar/Dessau/ pierrestaurator bis 1961 im Fogg Art Mu- Düsseldorf/Bern seum in Cambridge arbeitete und in der 1927–1927 Galerie Alfred Flechtheim, Umgebung von Boston lebte, bereits ein 5 Berlin; in Kommission Jahr zuvor (1965) geschickt worden war, 1927–1933 Galerie Neue Kunst Fides da das Pigment auf Karton begonnen (Rudolf Probst), Dresden; in Kommissi- hatte, Blasen zu bilden. Im Rahmen die- 6 on ser Restaurierungsmassnahmen ent- 1933–1938 Galerie Simon (Daniel-Henry deckte Washeba, dass vor Urnenstätte Kahnweiler), Paris; in Kommission7 der Familie Ochsenfrosch ein anderes Ge- 1938–o. D. Nierendorf Gallery, New mälde auf den Karton gemalt worden 8 York; in Kommission war. Die Pigmente der beiden Gemälde o. D.–1946 Lois Dailey Orswell, Narran- waren durch ein Gewebe getrennt, das gansett, Rhode Island Klee vor Beginn des zweiten Gemäldes Standort Museum of Art, Rhode Island auf die Oberfläche aufgezogen hatte.9 School of Design, Providence, Anony- Laut der Pressemitteilung war das Ablö- mous gift in memory of William Warren sen vom Karton so diffizil, dass nur noch Orswell (seit 1946) zwei Schichten Farbpigmente und das Gewebe übrig blieben. So ergaben sich Provenienz zu Ohne Titel zwei Bilder Urnenstätte der Familie Och- 1919/20–1966 Das Werk war als solches senfrosch auf der einen Seite und auf der vorhanden, aber noch nicht entdeckt. anderen »Selbstporträt als Kanarie-Ma- 1966 vom Unterlagekarton abgelöst gier«.10 In der Pressemitteilung wurde durch John Washeba, in der Umgebung anhand eines motivischen Vergleichs von Boston auch gemutmasst, die stehende Figur Standort Museum of Art, Rhode Island sei derjenigen auf dem Bild Der Kanari- School of Design, Providence, Anony- magier, 1920, 24 (ABB. 21) und dem be- mous gift in memory of William Warren kannten Selbstporträt, Versunkenheit, Orswell 1919, 75 ähnlich; in der Folge hat das Museum das Werk eigenmächtig mit Einer Pressemitteilung über die Entde- dem provisorischen Titel »Selbstporträt ckung des versteckten Bildes vom 13. als Kanari-Magier« versehen und es in ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 36
Abb. 21 gehend zerstörten Eindruck.12 Paul Klee Der Kanari-magier, 1920, 24 Angesichts des aktuellen Zustandes Ölfarbe auf Karton, 50 x 40 cm, Standort (ABB. 22, ABB. 23) lässt sich jedoch fest- unbekannt Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, stellen, dass sich die beiden Bilder auf Archiv demselben Bildträger befinden. Deshalb stellt sich die Frage, wie der Restaurati- onsprozess von John Washeba verlaufen ist. Der Prozess wurde nicht präzise in der Pressemitteilung beschrieben, so- dass er zur Verwirrung führte, auf der sich die bisherigen Werkkommentare durch das Museum stützten. Es dürfte sich hierbei um eine Recto/Verso-Gestal- tung handeln und die Werke wurden nicht voneinander getrennt sondern Urnenstät- te der Familie Ochsenfrosch wurde vom die Zeit um 1919/20 datiert. Anknüpfend Unterlagekarton abgelöst. Conor Moy- an die erwähnte Pressemitteilung er- nihan, Assistenzkurator im Museum of folgten weitere offizielle Werkkommen- Art, Rhode Island School of Design teilt 11 tare durch das Museum. meine Meinung, »Ich glaube, das Werk 1999 hat Lora Urbanelli, Kuratorin am war ursprünglich auf etwas montiert, das Museum of Art, Rhode Island School of das Gemälde auf der Rückseite verbarg. Design, die vom Restaurator vorgenom- Bei der Restaurierung muss diese Mon- menen Eingriffe an Urnenstätte der Fami- tierung entfernt worden sein.«13 lie Ochsenfrosch und Ohne Titel ausdrück- lich bedauert: Die beiden Bilder befänden TYP 1 sich in einem äusserst fragilen Zustand, In einem Fall lässt sich mit Sicherheit sie seien zwischen zwei Glasscheiben feststellen, dass im Rahmen von Restau- eingeklemmt, seien praktisch durchsich- rierungsmassnahmen ein verstecktes tig, wenn man sie gegen das Licht hält, Bild unter einem von Klee registrierten und Ohne Titel hinterlasse einen völlig ge- Werk entdeckt wurde. flickten, überarbeiteten (inpainting), weit- Abb. 22 Aufnahme des aktuellen Zustandes von Paul Klee, Urnenstätte der Familie Ochsenfrosch, 1922, 182 © Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence Abb. 23 Aufnahme des aktuellen Zustandes von Paul Klee, Ohne Titel, 1919/20 © Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 37
Abb. 3 Paul Klee Eingezäuntes, 1928, 74 Ölfarbe auf Papier auf Gips auf Karton; originale Rahmenleisten, 22,4 x 28,4 cm, Museum Sammlung Rosengart, Luzern © Sammlung Rosengart, Luzern Abb. 4 Paul Klee Ohne Titel, 1926 Ölfarbe auf Karton, 21,6 x 28,3 cm, Museum Sammlung Rosengart, Luzern © Sammlung Rosengart, Luzern 2. Beispiel (ABB. 3, ABB. 4) den 1950er oder frühen 60er Jahren be- 14 Provenienz zu Eingezäuntes, 1928, 74 gann sich das mit Oelfarben [sic] bemal- 1928–1940 Paul Klee, Weimar/Dessau/ te Papier etwas zu wellen und die rosa Düsseldorf/Bern bemalte Gipsschicht, in die es eingebet- 1928–1928 Galerie Alfred Flechtheim, tet war, kleine Risse zu bekommen. Wir 15 Berlin; in Kommission brachten es daher dem Restaurator des 1928–1933 Galerie Alex Vömel, Düssel- Basler Kunstmuseums. […] ›Ihr Klee hat dorf; in Kommission16 Junge bekommen.‹!! Als der Restaurator 1934–1935 The Mayor Gallery, London; die Schichten vorsichtig abtrug, um sie 17 in Kommission neu zu fixieren, kam auf einmal ein Kar- 1940–1946 Lily Klee, Bern ton mit praktisch intakter Malerei, den 1946–1948 Klee-Gesellschaft, Bern Klee als Unterlage benutzt hatte, zum 1948–1985 Sammlung Siegfried Rosen- Vorschein, sowie auf der Rückseite des gart, Luzern bemalten Papiers eine kleine Feder- 1985–1992 Sammlung Angela Rosen- Skizze. Der Restaurator ersetzte den be- gart, Luzern malten Karton durch einen neuen – und 1992–2002 Stiftung Rosengart, Luzern wir bekamen also zwei Klees statt einem Standort Museum Sammlung Rosen- zurück!«19 Wie Max Ludwig beim Gemäl- gart, Luzern (seit 2002) de Springer, 1930, 183, ein zusätzliches gewann,20 so hatte der Chef-Restaurator Provenienz zu Ohne Titel im Kunstmuseum Basel »wie eine Heb- 18 1926 –o. D. Das Werk war als solches amme ein neues Leben in die Welt ge- vorhanden, aber noch nicht abgetrennt. bracht«. In diesem organologischen Sinn In den frühen 1960er Jahren getrennt jedenfalls berichtete er Angela Rosen- durch einen Chef-Restaurator im Kunst- gart voll Freude und Überraschung, »Ihr museum Basel Klee hat Junge bekommen.« Es ist auch o. D.–1985 Sammlung Siegfried Rosen- bemerkenswert, dass Klee auf der Rück- gart, Luzern seite von Eingezäuntes, 1928, 74, eine 1985–1992 Sammlung Angela Rosen- Skizze mit Feder ausgeführt hatte, d. h. gart, Luzern dass in diesem Fall gleich drei Werke in 1992–2002 Stiftung Rosengart, Luzern ein Bildobjekt mehrschichtig eingebettet Standort Museum Sammlung Rosen- waren. Damit wird beispielhaft deutlich, gart, Luzern (seit 2002) dass Klees Schaffen von einer experi- mentellen Verwendung verschiedenar- Angela Rosengart hat den Vorgang der tigster Materialien geprägt ist, die vor Restaurierungsarbeit und die Entde- ihm in der bildnerischen Gestaltung ckung des zweiten Werkes folgender- kaum verwendet worden sind. Die dar- massen beschrieben: »Irgendwann in aus gewonnenen Kenntnisse befähigten ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 38
ihn, seine Gemälde und farbigen Blätter handschriftlichen Œuvrekatalog nicht durch eine Kombination verschiedener registriert sind, werden hier ausnahms- Bildgründe und/oder Bildträger (Gaze, weise die Provenienzen zu beiden voll- Gips, Papier, Leinwand, Jute und ande- ständig angegeben. res mehr) und durch das Übereinander- 1904–1921 Hans und Ida Klee-Frick, legen mehrerer Malschichten (Bleistift, Bern Tinte, Tusche, Kreide, Gouache, Aqua- 1921–1940 Hans Klee, Bern rell, Ölfarbe, Kleisterfarbe, Wachsfar- 1940–o. D. Mathilde Klee, Bern ben) komplex aufzubauen. Dabei bezog Frühestens 1947–spätestens 1950 Klee- er die Haltbarkeit des Materials sowie Gesellschaft, Bern den Zerfallsprozess in den künstleri- Frühestens 1947/spätestens 1950–2004 schen Schaffensprozess mit ein. Es ist Paul-Klee-Stiftung im Kunstmuseum wohl möglich, dass Klee im Werk Einge- Bern zäuntes damit gerechnet hat, dass das 1972 getrennt durch Herold Julius Ho- unter dem Karton liegende zweite Werk wald, Bern und die Feder-Skizze auf dessen Rück- Seit 2005 Zentrum Paul Klee, Bern seite irgendwann zum Vorschein kom- men würden. Provenienz zu Ohne Titel (Sitzendes Mäd- chen, von vorne gesehen), um 1909 TYP 2 A 1909–1921 Hans und Ida Klee-Frick, Unter den beidseitig bearbeiteten Wer- Bern ken befinden sich die folgenden getrenn- 1921–1940 Hans Klee, Bern ten Bilder am gleichen Standort, d. h. die 1940–o. D. Mathilde Klee, Bern Trennung fand erst statt, nachdem die Frühestens 1947–spätestens1950 Klee- Werke in die Sammlung der Museen, der Gesellschaft, Bern Galerien oder der Privatsammler ge- Frühestens 1947/spätestens 1950–2004 langt waren. Paul-Klee-Stiftung im Kunstmuseum, Bern 3. Beispiel (ABB. 5, ABB. 6) 1972 getrennt durch Herold Julius Ho- Provenienz zu Ohne Titel (Blumenstöcke), wald, Bern 21 um 1904 Seit 2005 Zentrum Paul Klee, Bern Da die beiden Werke in Klees eigenem Abb. 5 Paul Klee Ohne Titel (Blumenstöcke), um 1904 Ölfarbe auf Grundierung auf Leinwand auf Karton, 44,2 x 32,6/33,4 cm, Zentrum Paul Klee, Bern © Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv Abb. 6 Paul Klee Ohne Titel (Sitzendes Mädchen, von vorne gesehen), um 1909 Ölfarbe auf Leinwand auf Karton, 44 x 34 cm, Zentrum Paul Klee, Bern © Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 39
Klee malte um 1904 ein Gartenstillleben el-Henry Kahnweiler), Paris26 mit Ölfarbe auf Leinwand und zog das 1957–1963 Sonja Henie and Niels On- Gemälde auf einen Karton auf. Rund fünf stad, New York/Oslo Jahre später malte er eine Mädchendar- 1963–1968 Collection of Sonja Henie stellung ebenfalls mit Ölfarbe auf Lein- and Niels Onstad Foundation, Oslo27 wand, zog aber nun auf der Rückseite Standort Henie Onstad Kunstsenter, des Kartons das zweite Gemälde auf. Høvikodden (seit 1968) Diese Wiederverwendung eines Kartons als Bildträger für zwei Werke wurde Provenienz zu Ohne Titel 1972 im Rahmen einer Restaurierung im 1930–spätestens November 1960 Das Kunstmuseum Bern rückgängig ge- Werk war als solches vorhanden, aber macht: Das Gemälde Ohne Titel (Sitzen- noch nicht abgetrennt. des Mädchen, von vorne gesehen) wurde Vermutlich spätestens November 1960 vom Karton abgelöst und neu auf einen getrennt durch einen Restaurator eigenen Karton aufgezogen. Solche Ein- Spätestens November 1960–1963 Sonja griffe waren seinerzeit bei beidseitig ge- Henie und Niels Onstad, New York/Oslo stalteten Bildern bzw. bei einer beidsei- 1963–1968 Collection of Sonja Henie and tigen Verwendung eines Kartons gera- Niels Onstad Foundation, Oslo dezu in Mode, um die rückseitigen Be- Standort Henie Onstad Kunstsenter, 22 malungen sichtbar zu machen. Høvikodden (seit 1968) Abb. 7 Paul Klee um sieben über Dächern, 1930, 211 Aquarell auf Baumwolle auf Holz; originale Rahmenleisten, 53 x 51 cm, The Henie- Onstad Art Centre, Høvikodden © Henie Onstad collection, Henie Onstad Kunstsenter. Foto: Øystein Thorvaldsen Abb. 8 Um 90 Grad gedreht: Paul Klee Ohne Titel Ölfarbe auf Holz, 51 x 53 cm, The Henie- Onstad Art Centre, Høvikodden © Henie Onstad collection, Henie Onstad Kunstsenter. Foto: Øystein Thorvaldsen 4. Beispiel (ABB. 7, ABB. 8) Im Werkverzeichnis des Buches Klee. La Provenienz zu um sieben über Dächern, vie et l’œuvre von Gualtieri di San Lazzaro 1930, 211 1957 ist die Louise Leiris Galerie, Paris, 1930–1940 Paul Klee, Dessau/Düssel- als Besitzer des Werks um sieben über dorf/Bern Dächern angegeben.28 In der Ausstellung 1930–o. D. Alfred Flechtheim, Berlin; in European Masters of Our Time, die im Ok- 23 Kommission tober/November 1957 im Museum of o. D.–1934 Galerie Simon (Daniel-Henry Fine Arts, Boston, stattfand, war das Kahnweiler), Paris; in Kommission24 Werk zu sehen, und im Katalog wie folgt o. D.–1934 Contempora Art Circle (P. L. angegeben: »Lent by Mr. and Mrs. Niels Wiener / J. B. Neumann), New York; in Onstad, New York«.29 Niels Onstad Kommission25 (1909–1978) war ein norwegischer 1940–1946 Lily Klee, Bern Schiffseigner und Kunstsammler. Im 1946–1947 Klee-Gesellschaft, Bern Jahr 1956 heiratete Niels Onstad Sonja 1947–1957 Galerie Louise Leiris (Dani- Henie (1912–1969), Eiskunstläuferin ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 40
Abb. 9 Paul Klee Stilleben mit der Taube, 1931, 151 Öl- und Wachsfarbe auf Karton; originale Rahmenleisten, 54,5 x 69,5 cm, Columbus Museum of Art, Ohio, Gift of Howard D. and Babette L. Sirak, the Donors to the Campaign for Enduring Excellence, and the Derby Fund © Columbus Museum of Art Abb. 10 Paul Klee Ohne Titel Wachsfarbe auf Karton, 54,6 x 69,5 cm, Columbus Museum of Art, Ohio, Gift of (Olympiasiegerin) und Filmstar. Onstad, zur Zeit von Sonja Henie und Niels On- Howard D. and Babette L. Sirak, the Donors to the Campaign for Enduring Excellence, dessen Mutter Malerin gewesen war, stad belegen,32 aber im Hinblick auf die and the Derby Fund hatte viele Kontakte in der norwegischen oben genannten Ausstellungsgeschich- © Columbus Museum of Art Kunstwelt, unter anderem zu Edvard ten zum Verso-Bild liegt es nahe, dass Munch. Gemeinsam gründeten Onstad das Ehepaar spätestens bis Anfang No- und Henie das Henie-Onstad-Kunstzen- vember 1960 bei einem Restaurator den trum (Henie Onstad Kunstsenter) in Auftrag gegeben haben dürfte, das beid- Høvikodden in Bærum südwestlich von seitig gearbeitete Werk in zwei Hälften Oslo. Aus der Angabe im Katalog 1957 trennen zu lassen. lässt sich schliessen, dass das Ehepaar das Werk im Jahr 1957 von Kahnweiler 5. Beispiel (ABB. 9, ABB. 10) erworben hatte. Provenienz zu Stilleben mit der Taube, 1931, 151 Das Verso-Bild Ohne Titel war erstmals 1931–1940 Paul Klee, Dessau/Düssel- zusammen mit dem Recto-Bild um sie- dorf/Bern ben über Dächern in der Wanderausstel- 1940–1946 Lily Klee, Bern lung Sonja Henies Niels Onstads samlin- 1946–1964 Rolf Bürgi, Belp33 gen zu sehen, die vom November 1960 1964–1965 Galerie Beyeler, Basel34 bis April 1961 in Oslo, Göteborg und 1965–1991 Howard D. und Babette L. Si- Stockholm stattfand.30 Das Verso-Bild ist rak, Columbus35 im Katalog sogar mit dem Titel »Im An- Standort Columbus Museum of Art (seit fang war das Wort« versehen, der nicht 1991)36 von Klee selbst stammt, sondern eigen- mächtig von einer dritten Person hinzu- Provenienz zu Ohne Titel gefügt wurde. Das archaisch wirkende 1931–spätestens November 1966 Das Schriftbild auf der Verso-Seite dürfte an Werk war als solches vorhanden, aber Uranfänge des Wortes erinnern, und in noch nicht abgetrennt. diesem Zusammenhang wurde es in der Spätestens November 1966 getrennt Einleitung des Ausstellungskatalogs 1966–1991 Howard D. und Babette L. Si- Schrift und Bild (die Ausstellung fand rak, Columbus 1963 im Amsterdam und Baden-Baden Standort Columbus Museum of Art (seit statt) bedeutungsträchtig der bekann- 1991) testen Kalligrafie ○ □ (die Sym- bole des Universums) von Sengai gegen- Der Karteikarte zu Stilleben mit der Tau- übergestellt, und zwar wiederum unter be, 1931, 151, in der Galerie Beyeler ist dem Titel »Im Anfang war das Wort«.31 eine Notiz beigelegt, auf der Folgendes Es liegen keine Quellen dafür vor, die die vermerkt ist: »Auf der Rückseite: Kom- Trennung der Vorder- von der Rückseite position, Skizze, Tempera«. Zum Verso- ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 41
Abb. 11 Paul Klee Frauenmaske, 1933, 482 Ölfarbe auf Grundierung auf Leinwand, 56 x 46 cm, Privatbesitz, USA Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv Abb. 12 Um 90 Grad gedreht: Paul Klee Ohne Titel Ölfarbe auf Leinwand, 46 x 56 cm, Privatbesitz, USA Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv Bild liegt keine Karteikarte vor, nur ein position« abgebildet, mit dem Hinweis Schwarzweiss-Foto, auf dessen Rück- »Formerly on back of ›Stillleben mit der seite vermerkt ist: »Rückseite von Klee Taube‹, board now split.« Alles spricht ›Stilleben mit Taube‹«.37 hier dafür, dass das Gemälde getrennt Von Juni bis August 1965 wurde in der wurde, als es sich im Eigentum von Ho- Ausstellung Klee. Spätwerke in der Gale- ward D. und Babette L. Sirak befand und rie Beyeler, Basel, das Recto-Bild Stille- das Ehepaar das Verhältnis von Recto- ben mit der Taube, 1931, 151 gezeigt und und Verso-Bild bzw. die Zusammengehö- im Katalog auf die Beschriftung »Auf der rigkeit der beiden erst in der repräsenta- Rückseite: Komposition, Skizze, Tempe- tiven Ausstellung, in der ihre Sammlung 38 ra« hingewiesen , genau wie auf der Kar- einem breiten Publikum bekannt ge- teikarte vermerkt. Relativ rasch nach macht werden sollte, klarstellen wollte. dem Schluss der Ausstellung fand die Ga- lerie Beyeler einen Käufer für das Gemäl- 6. Beispiel (ABB. 11, ABB. 12) de Stilleben mit der Taube. Es wurde am Provenienz zu Frauenmaske 15. November 1965 von Howard D. (1922– 1933–1940 Paul Klee, Düsseldorf/Bern 2015) und Babette Lazarus Sirak 1940–1946 Lily Klee, Bern (1922–2004) in Columbus gekauft. 1933–1934 Alex Vömel, Dresden; in Das Verso-Bild war erstmals im No- Kommisssion41 vember 1966 in der Ausstellung Klee, 1934–1935 The Mayor Gallery, London; Kandinsky, Jawlensky. Works From the in Kommission42 Bauhaus Period der School of Art Gallery, 1935–o. D. Galerie Simon (Daniel-Henry The Ohio State University, Columbus, zu Kahnweiler), Paris; in Kommission43 sehen und im Katalog »Composition« be- 1940–o. D. New Art Circle (J. B. Neu- titelt und bezüglich der Herkunft hiess es: mann), New York; in Kommission44 »Lent by anonymously«,39 d. h. Howard D. 1940–o. D. Nierendorf Gallery, New und Babette L. Sirak wollten zu diesem York; in Kommission45 Zeitpunkt als Besitzer des abgetrennten Spätestens 1951–1968 Frederick C. Werks nicht namentlich erwähnt werden. Schang, South Norwalk/New York46 Das Verso-Bild mit dem Recto-Bild zu- 1968–1970 Saidenberg Gallery Inc., New sammen wurde 1968 in der Ausstellung York The Sirak Collection im J. B. Speed Art Standort Privatbesitz, USA (seit 1970) 40 Museum, Louisville, gezeigt. Im Katalog war das Verso-Bild mit dem Titel »Com- ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 42
Abb. 13 Paul Klee Sumpflegende, 1919, 163 Ölfarbe und Feder auf Karton, 47 x 40,8 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München und Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München, Vergleich 2017 mit den Erb*innen der früheren Eigentümerin Sophie Lissitzky- Küppers, mit grosszügiger finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München Abb. 14 Paul Klee Ohne Titel Ölfarbe auf Leinwand, 47 x 40,5 cm, Standort unbekannt Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Provenienz zu Ohne Titel TYP 2 B Archiv 1933–1968/1970 Das Werk war als sol- Im Gegensatz zu den getrennten Wer- ches vorhanden, aber noch nicht abge- ken, die im Familienbesitz Klee geblie- trennt. ben sind47 oder sich heute am gleichen 1968–1970 getrennt bei der Saidenberg Standort befinden (Beispiel 1–6), befin- Gallery Inc., New York den sich die folgenden Werke (Beispiel Standort Privatbesitz, USA (seit 1970) 7–10) an unterschiedlichen Standorten. Klee hat in seinem handschriftlichen 7. Beispiel (ABB. 13, ABB. 14) Œuvrekatalog die technische Angabe zu Provenienz zu Sumpflegende, 1919, 163 Frauenmaske wie folgt vermerkt: »Ölfar- 1919–1920 Paul Klee, München ben (Messerarbeit) / Leinwand auf Keil- 1920–1922 Paul Erich Küppers, Hanno- rahmen«. Daraus ergibt sich kein Hin- ver48 weis darauf, dass es eine rückseitige Be- 1922–1937 Sophie Lissitzky-Küppers, malung gab. Diese wurde erst nachträg- Hannover49 lich entdeckt und von der Leinwand ab- 1926–1937 Landesmuseum Hannover; gelöst. Dieses Verso-Bild wurde, soweit Leihgabe von Sophie Lissitzky-Küppers, bekannt, nie in Ausstellungen gezeigt. Hannover Im Bildarchiv des Zentrum Paul Klee fin- 1937–1941 Deutsches Reich/Reichsmi- det sich ein altes, farbiges Ektachrom nisterium für Volksaufklärung und Pro- vom Verso-Bild, das in New York herge- paganda, Berlin50 stellt wurde, und das die Saidenberg 1941–o. D. Hildebrand Gurlitt, Düssel- Gallery später für die Bearbeitung des dorf/Hamburg51 Catalogue raisonné Paul Klee an die Paul- o. D.–1962 Hans Peters52 Klee-Stiftung lieferte. Es liegt daher 7.12.1962 Kunsthaus Lempertz, Köln, nahe, dass die Trennung von Vorder- und Lot 382a Rückseite durch die Saidenberg Gallery 1962–1963 Galerie Beyeler, Basel53 zwischen 1968 und 1970 vorgenommen 1963–1973 Josef Steegmann, Köln/Va- wurde. Es lässt sich jedoch nicht mehr duz54 feststellen, ob die Galerie beim Privatbe- 1973–1982 Galerie Rosengart, Luzern sitzer den doppelten Bildpreis verlangt Standort Städtische Galerie im Len- hat. bachhaus und Kunstbau München (seit 1982), Vergleich 2017 mit den Erb*innen der früheren Eigentümerin Sophie ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 43
Lissitzky- Küppers, mit grosszügiger fi- so genannten »Quadratbilder« gehört, nanzieller Unterstützung der Kulturstif- die Klee in einer entschieden geometri- tung der Länder und der Ernst von Sie- schen Formensprache ausführte. mens Kunststiftung Im Archiv der Galerie Beyeler wurde für Provenienz zu Ohne Titel die abgetrennte Rückseite eine eigene 1919–1963 Das Werk war als solches Karteikarte angelegt, wobei das Verso- vorhanden, aber noch nicht abgetrennt. Bild mit Inv.-Nr. 3538 verzeichnet und Januar 1963 getrennt durch Max Ludwig mit dem Titel Ohne Titel (Architektur in für die Galerie Beyeler Dämmerung) versehen wurde. Auf der 1963–1963 Galerie Beyeler Karteikarte wird Folgendes vermerkt: 1963–o. D. Galerie Tarica, Genf/Paris »mit Nachlassbestg. von Felix Klee« und Standort unbekannt »Bestätigung v. Grohmann«. Auf der Karteikarte wird als Ankaufsdatum der Das Ölgemälde Sumpflegende, 1919, 163 »23. Jan. 1963«, allerdings ohne Angabe befand sich von 1926 bis 1937 als Leih- eines Vorbesitzers und als Verkaufsda- gabe von Sophie Lissitzky-Küppers tum der »17. Dez. 1963« an die Galerie (1891–1978), Hannover, im Landesmuse- Tarica angegeben.56 Aus allen diesen In- um Hannover. Es wurde bekanntlich von dizien lässt sich schliessen, dass das den Nationalsozialisten 1937 beschlag- Gemälde in Auftrag von Ernst Beyeler nahmt und in der Wanderausstellung durch einen Restaurator am 23. Januar Entartete Kunst mit weiteren sechzehn 1963 getrennt wurde, d. h. weniger als Werken des Künstlers an den Pranger zwei Monate nachdem das Ölgemälde gestellt, begleitet von diffamierenden am 7. Dezember 1962 in der Auktion im Kommentaren, welche die Bilder unter Kunsthaus Lempertz in Köln erworben anderem als »Psychopathenkunst« ver- worden war. Dabei hat Max Ludwig die unglimpften. Aufgrund dieses histori- Trennung durchgeführt,57 der seit De- schen Hintergrunds und dem in der Öf- zember 1961 im Auftrag von Felix Klee fentlichkeit erregten Aufsehen stellt das solche Trennungen von Vorder- und Ölgemälde ein exemplarisches Beispiel Rückseiten vornahm.58 Die Galerie Beye- dafür dar, wie hochkomplex die Proveni- ler hat sicherlich von den Erfahrungen, enzklärung und der Restitutionsprozess die Max Ludwig sich durch die Aufträge verlaufen sind. 2017 konnte dieser im von Felix Klee aneignen konnte, profitie- gegenseitigen Einvernehmen abge- ren können. schlossen werden. Dazu liegt eine sehr aufschlussreiche und detaillierte Publi- Ernst Beyeler hat für März/April 1963 kation vor, die Sarah Bock vorbildlich er- erstmals eine umfangreiche Klee-Retro- arbeitet hat.55 Allerdings sind die Prove- spektive mit 75 Werken konzipiert.59 In nienz der abgetrennten Rückseite des diesem Kontext versuchte er möglichst Ölgemäldes und der Vorgang der Tren- viele Klee-Werke zu präsentieren bzw. nung bis heute unberücksichtigt geblie- zu verkaufen. Im Rahmen dieser Vorbe- ben. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte reitungsarbeiten dürfte die Trennung sein, dass der Standort des Verso-Bildes durchgeführt worden sein. Beyeler hat heute immer noch unbekannt ist. Nach aus diesem Grund nicht nur Sumpflegen- der Trennung fand das Bild nur dreimal de sondern auch vierteiliger Palast, 1933, den Weg in die Öffentlichkeit. Inzwischen 355 (vgl. 10. Beispiel) kurz vor dem Be- ist es in Vergessenheit geraten, obwohl ginn der Ausstellung trennen lassen, so- es zu einem der frühesten Beispiele der dass die Recto- und auch die Verso-Bil- ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 44
der beider Werke in der Ausstellung zu schauenden (also auch geistigen) Kon- sehen waren. Dazu hatte Ernst Beyeler zentration. In einer Zeit, welche den soge- Felix Klee und Will Grohmann in den Vor- nannten Verlust der Mitte wohl nicht zu- gang einbezogen. Felix Klee hat der Ga- fällig hinnehmen mußte, wird es wichtig lerie Beyeler tatsächlich eine Expertise sein, das, was ›Mitte‹ bilden kann, aus zu dem Verso-Bild ausgestellt, die auf wirklicher Gespanntheit zu erfahren.«62 den 2. März 1963 datiert ist. In »Erklä- Die Bildbeschreibung u. a. zur Farbge- rung« ordnete Felix Klee das Verso-Bild bung ist rückblickend umso aufschluss- in das Œuvre des Vaters ein, datierte das reicher, da im Archiv des Zentrum Paul Entstehungsjahr des Werks auf 1919 und Klee, nur eine schlechte farbige Kopie machte einen Titelvorschlag wie folgt: des Verso-Bildes63 erhalten ist. Klee mal- »Das Bild ist aus der Reihe der Architek- te die Farbenfelder auf die schwarze turbilder entstanden. Ich könnte mir also Grundierung (im Werkkommentar als folgenden Titel denken: Architektur in »Schiefertafel« bezeichnet) und liess 60 Dämmerung.« Wie aus seiner »Erklä- durch die Kontrastierung die Farben rung« hervorgeht, hat Felix keinen Zwei- leuchtender klingen. Soweit heute be- fel an der Bildqualität und dem Vollen- kannt, gibt es nur vier beidseitig bearbei- dungsgrad geäussert. Mit diesem Titel- tete Bilder, bei denen sich auf der Rücksei- vorschlag und der Nachlassbestätigung te Quadratbilder oder Raumarchitekturen von Felix Klee wurde das Verso-Bild als und auf der Vorderseite kosmische und echtes Klee-Werk im Ausstellungskata- ruinenhafte Landschaften oder Motive log unter Kat.-Nr. 12 verzeichnet und wie mit organischem Wachstum befinden.64 unten kommentiert. In den technischen Zu dieser kleinen, aber bedeutsamen Angaben findet sich aber kein Hinweis Gruppe gehören das Ölgemälde Sumpfle- darauf, dass es sich eigentlich um die gende und dessen Verso-Bild Ohne Titel. abgetrennte Rückseite des Gemäldes Dieses Vorgehen der Recto/Verso-Gestal- 61 Sumpflegende handelt. tung dürfte die künstlerische Entwick- Der Werkkommentar stützt sich offen- lung von Klee und seine Überlegungen in sichtlich auf den von Felix Klee eigen- den Jahren 1919–1922 exemplarisch auf- mächtig bestimmten Titel »Architektur zeigen, als Klee nach dem Ersten Welt- in Dämmerung«. krieg wieder vermehrt Ölgemälde anfer- »Es wird nicht verwundern, wenn der tigte. In diesem Zeitraum hat er den Maler der Übergänge auch Bilder in Däm- Übergang vom Expressionismus zum merfarben malte, deren grüne, blaue und Konstruktivismus vollgezogen,65 d. h. er rote [sic] Farbenklänge vielleicht im De- setzte sich zeitgleich mit gegensätzlichen ckenlicht am schönsten ›läuten‹. Doch ist Formsprachen und Themen auseinander, diese ›Architektur‹ je nur ›so-genannt‹. zum einen in kosmischen und ruinenhaf- Sie will gar nicht erbaut sein. Gleich den ten Darstellungen wie im Recto-Bild, zum Karrees unserer einstigen Schiefertafeln anderen in geometrischen und konstruk- sind ihre Quader den rechten Positionen tiven Darstellungen wie im Verso-Bild. auf der Spur. Das winzig verlockende rote Diese bemerkenswerte Recto/Verso-Ge- Quadrätchen funkelt auf der Diagonalen staltung beinhaltet die Gestaltung von Fi- von links oben nach rechts unten. Alle guration und Abstraktion in einem Objekt. Schichten beziehen sich darauf. Manche Umso bedauerlicher ist es, dass dieses waagrecht, andre senkrecht fallend. Obe- besondere Verso-Bild »verschwunden« re Steine geraten ›in Neigung‹, untere ist! zielen darauf. Viele bauen Stufen. Eine Nachdem das Verso-Bild an die Gale- neu gewählt [sic] Stelle sammelt sich zur rie Tarica verkauft worden ist, war es nur ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 45
Abb. 15 Paul Klee Reconstruction, 1926, 190 Ölfarbe auf Grundierung auf Nesseltuch auf Karton, 36,3 x 39,3 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Abb. 16 Paul Klee Ohne Titel Aquarell und Gouache auf Holz, 35 x 38 cm, Kode-Art Museums of Bergen, Stenersen Collection © Kode-Art Museums of Bergen, zweimal in der Öffentlichkeit zu sehen, vorhanden, aber noch nicht abgetrennt. 1963 in der Galerie Tarica, Paris,66 und 1958–1958 G. David Thompson, Pitts- 1973/74 in der Gissi Galleria dʼArte, Tu- burgh 67 rin , wie bereits oben erwähnt, ist der an- 1958 getrennt schliessende Standort bis heute unbe- 1958–1958 Galerie Berggruen & Cie, Pa- kannt. ris76 1958–1973 Rolf E. Stenersen, Oslo/Ber- 8. Beispiel (ABB. 15, ABB. 16) gen77 Provenienz zu Reconstruction, 1926, 190 Standort Kode-Art Museums of Bergen, 1926–1940 Paul Klee, Dessau/Düssel- Stenersen Collection (seit 1973) dorf/Bern 1928–1928 Galerie Neue Kunst Fides Wenn man die Provenienzen der beiden (Rudolf Probst), Dresden; in Kommissi- Bilder vergleicht, lässt sich vermuten, on68 dass der Kunstsammler George David Februar 1928–Juni 1929 Galerie Alfred Thompson (1899–1965) spätestens vor 69 Flechtheim, Berlin; in Kommission dem Verkauf über die Galerie Berggruen Juni 1929–mindestens 1948 Alfred und & Cie an Rolf E. Stenersen, Oslo/Bergen Margarete Tietz, Köln/Tel Aviv/New (1899–1978) – Stenersen war multitalen- 70 York tierter Norweger: Leichtathlet, Ge- Frühstens 1946–mindestens 1948 schäftsmann, Kunstsammler, Autor, Es- Thannhauser Gallery, Justin K. Thann- sayist, Romancier, Dramatiker und Bio- hauser, München/Luzern/Paris/New graf – einen Restaurator beauftragt hat, 71 York/Bern; vermutlich in Kommission das beidseitig vollkommen fertig ausge- Frühstens 1948–o. D. Elsa von Mendels- führte Gemälde trennen zu lassen. Das 72 sohn Bartholdy, Berlin vorderseitige Bild wurde von der Sperr- Vermutlich 1950–o. D. Buchholz Gallery holzplatte und dem Keilrahmen abgelöst (Curt Valentin), New York; Eigentum und neu auf eine Hartfaserplatte mon- 73 oder in Kommision tiert. Die originalen Rahmenleisten sind 1958–1960 G. David Thompson, Pitts- nicht mehr erhalten, aber das Verso-Bild burgh74 ist seit der Trennung auf dem originalen 75 1960–1960 Galerie Beyeler, Basel Keilrahmen verblieben, auf dem es oben 1960–1961 Land Nordrhein-Westfalen in der Mitte »1926 T null Reconstruction Standort Kunstsammlung Nordrhein- Klee« von Klee eigenhändig bezeichnet Westfalen, Düsseldorf (seit 1961) wurde. Diese Bezeichnung gehört zum Provenienz zu Ohne Titel Recto-, nicht zum Verso-Bild. Der Besit- 1926–1958 Das Werk war als solches zer des Verso-Bildes, Rolf E. Stenersen ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 46
und der heutige Standort Standort Kode- che des Gemäldes. Auf der Vorderseite Art Museums of Bergen haben diese ir- sind anorganische Prozesse der Zerstö- reführende Bezeichnung übernommen, rung und der Gestaltung der Struktur bei was bis vor kurzem zu einem grossen Tageslicht zu sehen, während auf der Missverständnis sowohl bezüglich der Rückseite organische Wachstumsprozes- Provenienz als auch der Ausstellungsge- se bei Dunkelheit dargestellt sind. Das 78 schichte geführt hat. Gemälde auf der Vorderseite ist somit das Das Recto-Bild Reconstruction ist 1960 inhaltliche Gegenstück zum Gemälde auf über die Galerie Beyeler in die Kunst- der Rückseite, und in diesem Sinne treten sammlung Nordrhein-Westfalen, Düssel- sie auf einer erweiterten Ebene in einen dorf, und das Verso-Bild Ohne Titel ist Dialog.85 1958 über die Galerie Berggruen & Cie, Paris, in die Sammlung Rolf E. Stenersen, 9. Beispiel (ABB. 17, ABB. 18) Oslo/Bergen, gelangt. Folglich hat Provenienz zu Tänzer (auf gelb), 1930, Thompson mit den Verkäufen einen dop- 20486 pelten Verdienst erzielen können. Das 1930–o.D. Paul Klee, Dessau/Düssel- Verso-Bild wurde im Herbst 1958 erst- dorf/Bern mals in einer Ausstellung Paul Klee. I Rolf 1930–1934 Galerie Alfred Flechtheim, Stenersens samling im Konstsalongen Berlin; in Kommission87 Samlaren, Stockholm, als »Reconstructi- 1934 Galerie Simon (Daniel-Henry on« gezeigt und seitdem wurde es immer Kahnweiler), Paris; in Kommission88 wieder unter diesem falschen Titel aus- 1934–193589 Contempora Art Circle (P. gestellt: Im Herbst 1958 in Stockholm so- L. Wiener / J. B. Neumann), New York; 79 80 wie in Göteborg, 1962 in Amsterdam in Kommission 81 82 sowie in Oslo , 1964 in Stockholm und 193590–mindestens 193691 New Art 83 1971 in Høvikodden . Sogar im Samm- Circle (J. B. Neumann), New York; in lungskatalog des Bergen Art Museum Kommission 84 2008, in dem Osamu Okuda die Recto/ frühestens 1936–mindestens 193892 Ga- Verso-Gestaltung und die Missverständ- lerie Simon (Daniel-Henry Kahnweiler), nisse um den Titel darlegt hat, wurde der Paris; in Kommission Titel »Untitled (Reconstruction)« im Kata- eventuell: frühestens 1938–höchstens log beibehalten. 1939 Nierendorf Gallery, New York In der Recto/Verso-Gestaltung findet frühestens 1938/mindestens sich erneut das antithetisch konzipierte 193993–194294 New Art Circle (J. B. Neu- Bildprogramm wie beim Ölgemälde mann), New York; möglicherweise in Sumpflegende und dessen Verso-Bild Kommission Ohne Titel wieder. o. D.–o. D. Victor Collection, Pleasant- Das Ölgemälde Rekonstruktion stellt ville, New York95 ruinenartige, archaische Tempelanlagen o. D.–o. D. Abraham und Margit W. Cha- dar, wobei die Rückseite des Gemäldes nin, New York96 die Darstellung eines Gartens zeigt. Hier o. D.–o. D. Staempfli Gallery, New York97 stehen die Vorder- und Rückseite in ei- 1960–1970 Morton D. May, Saint Louis nem inhaltlichen Verhältnis zueinander: 1974–1974 Marlborough Gallery, New Der Garten ist von üppigem Gestrüpp York überwuchert, dessen Wuchs die künstlich 1974 Privatbesitz auferlegte Ordnung des Menschen kon- terkariert. Der Pflanzenwuchs ist leben- Provenienz zu Ohne Titel dig und beherrscht fast die gesamte Flä- 192998–1960 Das Werk war als solches ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 47
Abb. 17 Paul Klee Tänzer (auf gelb), 1930, 204 Aquarell auf Baumwolle auf Holz, 44 x 38 cm, Standort unbekannt Bildnachweis: Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv Abb. 18 Paul Klee Ohne Titel Ölfarbe und Feder auf Holz, 43,8 x 38,1 cm, Los Angeles County Museum of Art, gift of the Robert Gore Rifkind Collection and purchased with funds provided by the William Preston Harrison Collection © Museum Associates / LACMA vorhanden, aber noch nicht abgetrennt. und dann das Recto-Bild aufgelistet. Dies 99 Spätestens 1960 getrennt könnte darauf zurückzuführen sein, dass 1960–1970 Morton D. May, Saint Louis erstens das Verso-Bild ein Jahr früher 1974–1974 Marlborough Gallery, New als das Recto-Bild datiert worden ist, York und zweitens das biomorphe und bunt- Mitte der 1970er Jahre bis 1978 Robert farbige Verso-Bild , welches stilistisch Gore Rifkind Collection, Beverly Hills dem Werk Im Lande Edelstein, 1929, 318 Standort Los Angeles County Museum of verwandt ist (vgl. ABB. 24), »expressio- Art, Gift of Robert Gore Rifkind Collection nistisch« wirkt, während das »exakt geo- and purchased with funds provided by metrische« Recto-Bild der Formenspra- the William Preston Harrison Collection che Klees in der Dessauer Bauhauszeit (seit 1978) entspricht. Insofern ist das Verso-Bild im Kontext der zunehmenden Wertschät- Das Recto-Bild Tänzer (auf gelb) und das zung des deutschen Expressionismus in Verso-Bild Ohne Titel waren immer zu- den USA gewürdigt worden. sammen in mehreren Ausstellungen Die Trennung der Vorder- und der 100 zwischen 1960–1970 zu sehen, solan- Rückseite dürfte in Anbetracht der skiz- ge sich die beiden im Besitz von Morton zierten Ausstellungsgeschichte spätes- D. May (1914–1983), Saint Louis, befan- tens 1960 erfolgt sein. Morton D. May wird den. Er war der Direktor der May Depart- wohl einen Restaurator damit beauftragt ment Stores Company, ein berühmter haben, das beidseitig bearbeitete Werk in Kunstsammler u. a. mit Werken von Max zwei Stücke zu trennen. 1974 ist das Rec- Abb. 24 Paul Klee Beckmann sowie ein Philanthrop, und er to-Bild in den Besitz der Marlborough im Lande Edelstein, 1929, 318 hatte eine grosse Vorliebe für Werke Fine Art Ltd, London, übergegangen. Im Aquarell und Feder auf Grundierung auf Papier auf Karton, 27,4 x 22,5 cm, deutscher Expressionisten. In den Herbst des gleichen Jahres war es in der Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, 1950er Jahren, als die Preise für Gemäl- Ausstellung der Marlborough Fine Art Legat Richard Doetsch-Benziger © Kunstmuseum Basel de des deutschen Expressionismus zu Ltd, London, zu sehen.101 Danach verliert steigen begannen, hat er durch den Er- sich die Spur der Besitzer und heute ist werb von Bildern und mit seiner Unter- der Standort unbekannt. In Gegensatz stützung von Künstlern zur Aufwertung zum »Verluststück« ist das Verso-Bild der Werke des deutschen Expressionis- von Morton D. May, Saint Louis, über Ro- mus beigetragen. bert Gore Rifkind, Beverly Hills, und Im Werkverzeichnis aller Kataloge schlussendlich in die öffentliche Samm- wurden konsequent zuerst das Verso-Bild lung des Los Angeles County Museum of ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 48
Art gelangt. Mitte der 1970er Jahre wird Komposition.104 Ich halte dieses unvoll- es der Kunstsammler und Philanthrop endet gebliebene Bild für eine originale 102 Robert Gore Rifkind angekauft haben , Arbeit meines Vaters Paul Klee«.105 dessen Stiftung heute die Forschungsein- Das Museum war offensichtlich recht richtung »The Robert Gore Rifkind Center stolz auf den Neuerwerb und berichtete for German Expressionist Studies«103 1979 im Bulletin des Los Angeles County massgeblich unterstützt. Museum of Art: »As the first Klee pain- Im Archiv des Zentrum Paul Klee liegt ting in the collection [Robert Gore Rif- eine Kopie des Dokuments von Felix Klee kind collection], this untitled oil comple- vor, in dem Folgendes steht: »Das Bild ments the Museumʼs strong holdings in wurde am 27.9.77 durch Reed mir in the area of German Expressionism and Bern vorgeführt.« Im Fotoalbum 67 von European abstraction.«106 Felix Klee, finden sich auf den Seiten 16 und 17 Fotografien, die das Verso-Bild an 10. Beispiel (ABB. 19, ABB. 20) einer Wand, vermutlich im Kunstmuse- Provenienz zu vierteiliger Palast, 1933, um Bern, zeigen. Eine ähnliche Notiz von 355 Felix Klee, »vorgeführt von Reed im 1933–1940 Paul Klee, Düsseldorf/Bern KUMU Bern am 27.9.77« steht auf der 1933–1938 Galerie Simon (Daniel-Henry Seite 17 im Fotoalbum. Es dürfte sich bei Kahnweiler), Paris; in Kommission107 der Person »Reed« um Orrel P. Reed 1938–frühestens 1945 Nierendorf Galle- (1921–?) handeln. Er war Künstler, Wis- ry, New York; in Kommission108 senschaftler und auch Kunsthändler und o. D.–1960 G. David Thompson, Pitts- spezialisierte sich auf Drucke und Zeich- burgh nungen alter Meister. Seit 1960 ist er als 1960–1964 Galerie Beyeler, Basel Gutachter tätig und bewertete den ge- 1964–vermutlich 1967 Lady Nika Hulton, samten Nachlass von Frank Lloyd Wright London sowie die Kunstsammlungen von Ed- vermutlich 1967–1970 Galerie Beyeler, ward G. Robinson, Vincent Price und Ar- Basel mand Hammer. Reed hat auch für zahl- Standort Staatsgalerie Stuttgart (seit reiche bedeutende öffentliche Samm- 1970) lungen Schätzungen vorgenommen. Als anerkannter Wissenschaftler und Bera- Provenienz zu Ohne Titel ter ist er Autor von German Expressionist 1933–1963 Das Werk war als solches Art: The Robert Gore Rifkind Collection vorhanden, aber noch nicht abgetrennt. (1977) und Rifkind bezeichnete Reed als Januar 1963 getrennt durch Max Lud- den »Architekten« seiner Sammlung. wig, Basel, für die Galerie Beyeler, Ba- Deshalb lässt sich vermuten, dass das sel Verso-Bild kurz vor der Schenkung an 1968–2011 Frank Probst, Arlesheim das Los Angeles County Museum of Art 2011–2017 Alma Probst-Lauber, Arles- einmal von Kalifornien nach Bern ins heim Kunstmuseum Bern gebracht wurde und 2017–2019 Christoph Merian Stiftung, von Orrel P. Reed Felix Klee vor Augen Basel geführt worden ist, um eine Echtheitsbe- Standort Kunstmuseum Basel (seit stätigung einzuholen. »Als Entstehungs- 2019) datum taxierte ich das Werk auf das Jahr 1929. Auf der Rückseite des Tafelbildes Eva Reifert hat 2020 einen Beitrag »Paul ›Der Springer‹ 1930 / 183 (C 3) findet sich Klee, ohne Titel, 1933« im Sammlungs- ein ähnliches Beispiel einer verworfenen katalog Sieben Bilder für Basel – Dubuf- ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 11 / 2022 KAKINUMA / »GESPALTENE« WERKE BEI PAUL KLEE II 49
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