Von der Inkorporierung und Verkörperung des Sozialen zur Somatisierung der Umwelt: Posthumanistische Überlegungen zum biosozialen Subjekt

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Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019
https://doi.org/10.5194/gh-74-223-2019
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         Von der Inkorporierung und Verkörperung des Sozialen
           zur Somatisierung der Umwelt: Posthumanistische
                 Überlegungen zum biosozialen Subjekt
                                                           Anke Strüver
              Institut für Geographie und Raumforschung, Karl-Franzens-Universität Graz, 8010 Graz, Austria
                                 Correspondence: Anke Strüver (anke.struever@uni-graz.at)

                 Received: 19 January 2019 – Revised: 5 May 2019 – Accepted: 27 May 2019 – Published: 25 June 2019

       Kurzfassung. With the recognition of relational thinking, methodologies approaching spaces as containers
       were discarded and reconfigured in social geography. However, there are other “containers” still present in these
       debates – and present as part of the relations in space – such as the “black box” of the human body. In order to
       advance the opening of the Black Box of the Body (Guthman, 2012), the article discusses social geographical
       thinking concerning materiality after the Cultural Turn, which concentrates on a post-dualist and thus a post-
       humanist concept of materiality.
          The ensuing extension of the epistemological critique of dualistic thinking as part of the cultural turn by an
       ontological critique refers to radical-relational conceptions of NatureCultures (Haraway) and Posthumanist Per-
       formativities (Barad), which comprise discursive as well as material power relations. These conceptions neither
       romanticize nature (or even interpret it in a reactionary way) nor inflate culture. Rather, such a perspective allows
       to examine the materiality and intra-activity of social environmental conditions at the micro-level of the embo-
       died subject, considering that matter itself acts performatively and even how such performances are enacted.
          This article concentrates on theoretical crises within social geography in order to discuss the geography of
       social crises using the example of environmental injustice and the somatization of the environment with respect
       to food and health. By extending the “surface”-view on embodied subjects as being socio-culturally encoded
       and discursively normalized, chemical-biological metabolic processes are also addressed. Therefore, the body is
       understood as the place where social crises, structures of inequality and discursive categories materialize.

     „Ways of living and dying matter: ... we must gi-              zusammen zu adressieren (siehe Runkel und Everts, 2017).
     ve the best answers we come to know how to ar-                 Diese beiden Krisenphänomene werden natürlich eher sel-
     ticulate, and take action, without the god trick of            ten zusammen gedacht, zumal Erstere weitaus gesellschafts-
     self-certainty.“ (Haraway, 2008:88)                            relevanter sind als Letztere. Mit dem von mir gesetzten
                                                                    Schwerpunkt, dem verkörperten Subjekt, lassen sich gleich-
1   Einleitung                                                      wohl „klassische“ sozialgeographische Themen gesellschaft-
                                                                    licher Ungleichheiten (Rassismus, Sexismus, Klassenfra-
Dieser Beitrag nimmt die Aufforderung Donna Haraways,               gen), aber auch neuere in Bezug auf Gesundheit, Krankheit,
dem Leben (und Sterben) mit mehr Sorgfalt und Umsicht zu            Obdach- oder Wohnungslosigkeit, Sorgebeziehungen, ent-
begegnen, zum Ausgangspunkt für Ausführungen zur Ma-                lang von Aspekten des Alters, der Sexualisierung und Rassi-
terialität in der Sozialgeographie. Im Zentrum stehen kon-          fizierung oder Ernährungs- und Umwelt(un)gerechtigkeiten
zeptionelle Überlegungen zur Inkorporierung gesellschaftli-         uvm. als ein Ausdruck von multiplen sozialen Krisen aus
cher Umweltverhältnisse auf der Mikroebene des verkörper-           den Krisen der Sozialgeographie heraus (z.B. Körperver-
ten Subjekts. Diese Ausführungen verfolgen das Ziel, Geo-           gessenheit, Androzentrismus, biologische Naturalisierungen
graphien sozialer Krisen und Krisen der Sozialgeographie            und kulturelle Essentialisierungen) neu thematisieren.

Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie.
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   „Ob und wie Materialität erfasst werden soll, ist eine                nis von Posthumanist Performativities (2003, 2007, 2012,
der wichtigsten konzeptionellen Fragen der Sozialgeogra-                 2015). Beide Autorinnen stammen aus dem Kontext der fe-
phie“ (Becker und Otto, 2016:221). Mit diesem Satz lei-                  ministischen Naturwissenschaften bzw. Naturwissenschafts-
ten Antje Otto und Sören Becker ihren lesenswerten Ein-                  und Herrschaftskritik und haben zentrale Grundlagen für
leitungsbeitrag zu aktuellen Herausforderungen der Politi-               den sich zunehmend etablierenden Ansatz des New Mate-
schen Ökologie ein und plädieren für eine „konsequente[re]               rialism geliefert, der sich mit der Materialität gesellschaft-
Verknüpfung von ökologischen Fragestellungen mit gesell-                 licher Natur- und Umweltverhältnisse auseinandersetzt und
schaftlichen Verhältnissen“ (ebd., 222), u.a. durch die Auflö-           dafür stofflich-materielle Prozesse in sozial- und kulturwis-
sung der unterschiedlichen Verständnisse von Natürlichem                 senschaftliche Analysen einbezieht – ohne Materialität zu re-
und Sozialem. Ich werde dieses Plädoyer aufgreifen, so-                  essentialisieren oder diskursiv aufzulösen.
zialgeographisch fortführen1 und ein verändertes ontologi-                  Die Perspektive der Feminist Materialisms betont die Not-
sches Verständnis von Natürlichem skizzieren, das zwangs-                wendigkeit einer kritischer Erweiterung des Cultural Turns
läufig auch das Verständnis von Sozialem durchdringt. Mit                und unterstreicht, dass menschliche Körper und Subjekte
diesem Ziel vor Augen und dem gewählten Fokus auf den                    nicht nur durch gesellschaftliche Interaktionen, Strukturen
menschlichen Körper wird es gleichwohl nicht um eine Ge-                 und Diskurse, individuelle Wahrnehmungen und Praktiken
nealogie der Bedeutung der Körperlichkeit in der Sozial-                 konstituiert werden, sondern auch durch materielle Prozes-
geographie gehen. Ohnehin hat die Körperlichkeit des Sub-                se, durch Intra-Aktionen bzw. „Verschränkungen“ zwischen
jekts in der deutschsprachigen Sozialgeographie trotz vie-               Biologischem und Sozialem (Barad, 2015; siehe auch Ba-
lerlei begrifflicher Referenzen kaum eine zentrale Rolle ge-             rad, 2007 sowie einführend Alaimo and Hekman, 2008; Mar-
spielt (für komprimierte Übersichten, siehe Weichhart, 2018;             quardt und Strüver, 2018). Die Ansätze beider Autorinnen
Werlen, 2008; für Ausnahmen, siehe Wastl-Walter, 2010 so-                eint zudem das Anliegen, Denaturalisierungs- mit Dekultu-
wie Bauriedl et al., 2010 stellvertretend für feministisch-              ralisierungsstrategien zusammen zu bringen, um jenseits von
geographische Diskussionen). Unter Umständen wäre noch                   biologischen Determinismen und kulturalistischen Essentia-
die leib- und sozialphänomenologische Tradition erwähnens-               lismen die Intra-aktivität zwischen Diskursivem und Mate-
wert, die sich auf das leibliche Erleben konzentriert und                riellem als transkörperliche Relationen – als biosoziale Ver-
die zumeist in explizierter Abgrenzung zur Vorstellung ei-               körperung – offen zu legen (Abschnitt 3). Dem vorangestellt
ner „Aktivität von Materialität“ argumentiert2 , die wiederum            ist ein kurzer Abschnitt (2) zur geographischen „Black Box
für die nachfolgende Beschäftigung mit Geographien sozia-                of the Body“ (Guthman, 2012), der auf Grundlage des re-
ler Krisen und Krisen der Sozialgeographie explizit berück-              lationalen Denkens die Wechselwirkungen zwischen Gesell-
sichtigt werden soll. Dementsprechend werden also anstel-                schaft und Raum am Thema Umwelt(un)gerechtigkeit und
le der herkömmlichen, oftmals selbstvergewissernden Form                 damit als Wechselwirkungen zwischen menschlichen Kör-
von Genealogie zwei der einflussreichsten Autorinnen des                 pern und physischer Umwelt expliziert. Der vierte Abschnitt
New Materialism als onto-epistemo-logischer Denkhorizont                 greift dies als Thema der Sozialgeographie am Beispiel Ge-
etwas ausführlicher vorgestellt und mit Blick auf die Ak-                sundheit und Ernährung wieder auf; anschließend (5) wer-
tivität von Materialität diskutiert, nämlich Donna Haraway               den entlang von umweltepigenetischen Aspekten soziale und
und ihre radikal-relationale Konzeption von NatureCultu-                 ökologische Umweltungerechtigkeiten thematisiert. Die Syn-
res (1995, 2000, 2008, 2016) und Karan Barads Verständ-                  these (6) führt die konzeptionellen Abschnitte zusammen
                                                                         und diskutiert, inwiefern sich aus der Krise der Sozialgeo-
   1 Bis auf den hier zitierten Einleitungssatz enthält der Beitrag      graphie progressive Ansätze zum Umgang mit Geographien
zur Politischen Ökologie keine weiteren (disziplinpolitischen oder       sozialer Krisen ableiten lassen.
inhaltlichen) Ausführungen zur Sozialgeographie – sehr wohl aber
spannende Ausführungen zur Materialität. Von daher verstehe ich
ihn auch als Aufforderung, die in dem Aufsatz zur Politischen Öko-
logie angestoßenen Debatten – v.a. zu gesellschaftlichen Naturver-
hältnissen – in diesem Themenheft zur Sozialgeographie fortzu-           2   Zur Inkorporierung und Verkörperung des
führen, u.a. als Auseinandersetzung mit der Inkorporierung gesell-           Sozialen
schaftlicher Umweltverhältnisse.
   2 Kazig und Weichhart (2009:112f.); so wird bspw. aus Sicht der
                                                                         Die für die Sozialgeographie im Zentrum stehenden Wech-
gegenwärtigen Sozialtheorien die Vorstellung einer Aktivität von
                                                                         selbeziehungen zwischen Gesellschaftlichem und Räumli-
Materialität unabhängig von menschlichen Bedeutungszuschrei-
bungen als „absurd“ abgetan (ebd., 114). Insgesamt scheinen in
                                                                         chem lassen sich differenziert nach Skalierungen betrachten
dieser Denktradition durch den Fokus auf das leibliche erfahrende        (global, national etc., aber v.a. lokal und mikrosozial, wie
Subjekt genau die Aspekte verkörperter Subjekte unberücksichtigt         zwischen Körper und räumlicher Umgebung) sowie diffe-
zu bleiben, die sich jenseits des individuellen Erlebens durch sozial-   renziert nach konzeptionellen Ansätzen. Die konzeptionel-
räumliche Strukturen und gesellschaftliche Diskurse materialisieren      len Ansätze wiederum sind in der Regel entlang verschiede-
(Dörfler und Rothfuß, 2018; siehe auch Hasse, 2017).                     ner Epistemologien platziert, sollen hier aber um die onto-

Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019                                                                   www.geogr-helv.net/74/223/2019/
A. Strüver: Posthumanistische Überlegungen zum biosozialen Subjekt                                                                        225

logische Dimension erweitert werden.3 Ausgehend von Els-                ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und niedrigem
peth Probyns Auseinandersetzung mit dem „spatial imperati-              sozioökonomischen Status, bestimmt durch Einkommens-
ve of subjectivity“ (2003), Überlegungen zum Cultural Turn,             und Bildungsniveau, hergestellt wird.4 Dem gegenüber steht
die die Inkorporierung und Verkörperung des Gesellschaft-               zum anderen ein Fokus auf individuelles (Fehl-)Verhalten,
lichen auf der Mikroebene des Subjekts – und des Räum-                  der diskursive Körpernormen und normalisierte Bewegungs-
lichen als Teil des Gesellschaftlichen – prominent gemacht              formen manifestiert und dabei ebenfalls auf die normativ-
haben, rücken mittlerweile neben soziokulturellen Prozessen             politische Gleichsetzung von dick = ungesund rekurriert
wie diskursiven Einschreibungen sozialräumlicher Prozesse               (zum Verhältnis von fat blaming und fat shaming, siehe
(Foucault, 1977), normativen Anrufungen und ihren perfor-               Schorb, 2015) bzw. an die Selbstkontrolle i.S.e. moralischen
mativen Materialisierungen (Butler, 1993, 1998, 2009) ver-              Selbstführungsimperativs appelliert. Als neuerer Zugang jen-
stärkt Aspekte des materiellen bzw. materialisierten Lebens             seits der Polarisierung „Verhältnisse oder Verhalten“ wird
in den Fokus. Das verkörperte, biosoziale Subjekt ist dann              hier der biophysische bzw. biosoziale Ansatz aus dem Kon-
mehr als passives Material, in das sich bspw. rassistische oder         text des New Materialism eingeführt, eine „political ecology
sexistische Anrufungen und Diskurse rassifizierend und ver-             of the body“ (Guthman, 2012), der sich auf die „Natur“ der
geschlechtlichend einschreiben: Der Körper des Subjekts ist             physischen Umwelt und auf die „Natur“ der menschlichen
auch der Ort, an dem sich soziale, räumliche und ökologi-               Körper konzentriert (s.u.).
sche Ungerechtigkeiten stofflich materialisieren. In diesem                Gesellschafts- und Wissenschaftskritische Forschungen
Verständnis verändern sich die Elemente und auch der Ho-                aus dem Bereich der Gesundheits- und Umweltgerechtig-
rizont der Wechselwirkungen zwischen Gesellschaftlichem                 keit dehnen aktuell strukturalistische und poststrukturalisti-
und Räumlichem, da Natur (hier Umwelt im klassischen                    sche Körperkonzeptionen aus, um stofflich-materielle Pro-
Sinne, als materielles Substrat, das mit Lebewesen in einer             zesse und biologische Effekte gesellschaftlicher Ungleich-
Wechselbeziehung steht) und körperliche Materie (hier fo-               heiten wie Rassismus oder Sexismus einzubeziehen (siehe
kussiert auf menschliche Subjekte) wechsel-wirken und u.a.              bspw. Pulido, 2016). Fragen nach Gerechtigkeit lassen sich
ontologische Erweiterungen zu Fragen des Seins, aber darauf             mit unterschiedlichen Ansätzen diskutieren, die u.a. danach
aufbauend auch zu Konzepten von Gerechtigkeit erforderlich              differenziert werden, wie sie Entstehung und Manifestati-
werden lassen: Natur ist dann „an agentic force that interacts          on von Ungerechtigkeit erklären. Iris Marion Young bei-
with and changes the other elements in the mix, including the           spielsweise unterscheidet Formen von struktureller Margi-
human“ (Alaimo and Hekman, 2008:7).                                     nalisierung und kulturellem Imperialismus (Young, 2011) –
   Am Beispiel Umweltgerechtigkeit wird die Materialität                die gleichwohl beide in Ungleichheiten und Ungerechtig-
des Körpers mit einer kombinierten Perspektive aus Post-                keiten münden. Nancy Fraser (2009) geht es hingegen viel
strukturalismus und Posthumanismus für die Bearbeitung                  stärker um die Anerkennung von struktureller Ungleichheit,
von sozialgeographischen Forschungsfragen zu bspw. Ge-                  um durch ökonomische Umverteilung und politische Betei-
sundheit oder Ernährung relevant. Beide Aspekte des All-                ligung Ungerechtigkeit zu bekämpfen – wobei Umvertei-
tagslebens verweisen neben der strukturellen und soziokultu-            lung nicht Gleichheit, Gleichbehandlung oder Gleichvertei-
rellen Verkörperung auf die stofflich-materielle Inkorporie-            lung entspricht, sondern i.S. einer erweiterten Verteilungs-
rung von Umgebung (Raumstrukturen) und Umwelt (mate-                    gerechtigkeit zu verstehen ist. Neben den klassischen Bei-
rielles Substrat, das in Wechselwirkung mit dem Menschen                spielen aus dem globalen Nord-Süd-Kontext eignet sich für
steht) und machen deutlich, dass körperliche Materie kein               sozialgeographische Kontexte die lokale Ebene als Ansatz-
passives „Ding“ ist, das auf performative Materialisierung              punkt, um Ungerechtigkeit zu erfassen und zu bekämpfen.
durch normative Anrufungen oder diskursive Einschreibun-                Dabei geht es weder um die Romantisierung noch Univer-
gen „wartet“.                                                           salisierung des Lokalen, sondern um die Wechselwirkungen
   So wird bspw. schlechte körperliche Gesundheit oftmals               zwischen globalen Krisen (wie ökologischer oder ökonomi-
an Übergewicht festgemacht und dementsprechend wird                     scher Krise) und lokalem Leben. Der Rekurs auf die biolo-
nach den Ursachen für Übergewicht gesucht: Dominante Er-                gische Materialität gesellschaftlicher Körperphänomene ba-
klärungen umfassen zum einen strukturbasierte Gleichset-                siert dabei nicht auf einem Verständnis von biologischen
zungen wie „dick, doof und arm“ (kritisch: Schorb, 2009)                Grundlagen von Rassismus (oder Sexismus). Im Fokus ste-
sowie die an Angebot und Nachfrage orientierten politöko-                  4 Der essende Körper kann in dieser Rahmung gar zum „spati-
nomischen Verhältnisse (Guthman and DuPuis, 2006), wobei
                                                                        al fix“ für kapitalistische Probleme werden: „Fast food becomes a
                                                                        double good fix for capitalism: not only does it involve the super-
    3 Dies schließt auch die Kritik an der Essentialisierung von Ska-   exploitation of the labor force, it also provides an outlet for surplus
lierungen mit ein (siehe die durch Sallie Marston u.a. angestoße-       food. Insofar as this surplus manifests in obesity, the contradiction
ne Debatte, vgl. Marston, 2000; Marston et al., 2005; Jones III et      is (temporarily) resolved in the body. (...) Neoliberalism’s other fix
al., 2007); diese bleibt im Folgenden aber unberücksichtigt; ebenso     is to create purchasable solutions to the problem it generates. One
unberücksichtigt bleiben in diesem Beitrag die Debatten um Non-         solution ... is to commodify dieting as well as eating“ (Guthman and
Representational Theory (vgl. Thrift, 2007).                            DuPuis, 2006:441; siehe auch Guthman, 2012, 2015).

www.geogr-helv.net/74/223/2019/                                                                       Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019
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hen vielmehr die biophysiologischen, stofflichen Effekte ge-            auf die Wiederholungen sprachlich-diskursiver Anrufungen
sellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen: „Environmental ju-            reduziert, sondern um intra-aktive Wiederholungen erwei-
stice movements epitomize a trans-corporeal materiality, as             tert. D.h. Butlers Argument der performativen Materialisie-
conception of the body that is neither essentialist, nor gene-          rung von verkörperten Subjekten ausbauend betont Barad die
tically determined, nor firmly bounded, but rather a body in            dynamische Intra-Aktivität zwischen Materiellem und Dis-
which social power and material/geographic agencies intra-              kursivem in verkörperten Subjekten; und sie betont die Intra-
act“ (Alaimo, 2010:63).                                                 aktionen zwischen Bedeutung und Materie, „von Wissen und
                                                                        Sein, Wort und Welt, Kultur und Natur. Phänomene sind
                                                                        materiell-kulturelle Da-Seins“ (Barad, 2015:61; siehe auch
3   Zur Aktivität von Materialität: Transkörperliche
                                                                        Frost, 2016). Diese Intra-aktionen umfassen Agieren jenseits
    Relationen
                                                                        des Sprachlichen und Menschlichen, so dass Barad von post-
                                                                        humanistischer Performativität spricht. Mit ihrem Konzept
Das vermeintliche „Warten“ der körperlichen Materie auf
                                                                        der „Onto-Epistemo-logie“ (2012) lehnt sie einen einseiti-
Bedeutungszuweisungen – durch gesellschaftliche Interak-
                                                                        gen Repräsentationalismus ab, d.h. die Vorstellung, dass die
tionen, diskursive Einschreibungen und deren performative
                                                                        Bedeutungen der Objekte der sozialen Welt ausschließlich
Materialisierungen – hat Haraway bereits in den 1980er Jah-
                                                                        durch menschliches Agieren konstituiert werden, dass also –
ren als ein reduktionistisches Verständnis von verkörperten
                                                                        wie im klassischen dualistischen Denken – nur Subjekte ak-
Subjekten (bzw. von materieller Stofflichkeit im Allgemei-
                                                                        tiv und die Objekte passiv sind.6 Um diesen Dualismus zu
nen) kritisiert, denn der Körper ist mehr „als ein leeres Blatt
                                                                        überkommen, um die unterschiedlichen ontologischen Ver-
für soziale Einschreibungen, einschließlich derjenigen des
                                                                        ständnisse von Natürlichem und Sozialem aufzuspüren und
biologischen Diskurses“ (Haraway, 1995:92).5 Sie bezieht
                                                                        um Materie zu (re-)aktivieren, bedarf es einer posthumanis-
sich damit auf die unauflösbaren Verschränkungen zwischen
                                                                        tischen Auflösung des Natur-Kultur-Dualismus, die Barad
Materialität und Repräsentation (als materiell-semiotische)
                                                                        (2007, 2012) folgendermaßen skizziert: Anstelle eines re-
sowie zwischen Natur und Kultur (als NaturKultur) und
                                                                        lationalen, aber dualistischen Denkens, in dem die Materie
argumentiert gleichzeitig de- und re-ontologisierend. Ih-
                                                                        nur in Relation und Interaktion mit dem Menschen Bedeu-
re radikal-relationale Konzeption widerlegt die klare Ab-
                                                                        tung erhält, spricht sie von transkörperlichen Relationen in
grenzung zwischen Materiell-Stofflichem und Diskursiv-
                                                                        Intra-Aktion. Das Programm des Agentiellen Realismus ba-
Repräsentationalem – und sie widerlegt sowohl einen biolo-
                                                                        siert auf räumlich lokalen und mikrosozialen verkörperten
gischen Determinismus („Natur“) als auch einen rein sozia-
                                                                        Erfahrungen, die in der ontologischen Untrennbarkeit von
len Konstruktivismus („Kultur“). Ihre Konzeption der Natur-
                                                                        Materiellem und Kulturellem gemacht werden – und für die
Kultur erfasst den Körper als einen materiell-semiotischen
                                                                        epistemologische wie ethische Verantwortung übernommen
Prozess, in dem Materiell-Stoffliches und Sprachlich-
                                                                        werden muss (Barad, 2015:43ff.).
Kulturelles untrennbar verschränkt sind bzw. in dieser Ver-
                                                                           Verschiedene feministische Ansätze aus den Natur-,
schränkung miteinander interagieren („response-abilities“,
                                                                        Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften sowie soziale Be-
Haraway, 2016:115): „Eine biologische Zelle ist unser Name
                                                                        wegungen aus dem feministisch-ökologischen Kontext ha-
für Prozesse, die nicht abgrenzbar und unabhängig von unse-
                                                                        ben sich seit langem mit den Verhältnissen von mensch-
ren Interaktionen sind.“ (Haraway, 2000:24f., Übers. A.S.).
                                                                        lichen Körpern zu Natur und Umwelt beschäftigt und die
   Haraways Fokus auf die Aktivität der Materialität und ihr
                                                                        Zusammenhänge zwischen materiell-körperlichen Lebens-
Konzept des Körpers als materiell-semiotischer Prozess wird
                                                                        bedingungen, sozialer Gerechtigkeit und Umwelt entlang
von Barads Verständnis von Materie als Agens weiterentwi-
                                                                        verschiedener Krisen und auf unterschiedlichen Maßstab-
ckelt: Ihr Programm des Agentiellen Realismus – dem Vor-
                                                                        sebenen problematisiert (siehe bspw. Cağlar et al., 2012).
stoß, Konstruktivismus und Realismus nicht als Widerspruch
                                                                        Die feministische Literaturwissenschaftlerin Stacey Alaimo
zu denken (2003, 2007, 2012, 2015) – schlägt einen posthu-
                                                                        hat u.a. Barads Plädoyer für den Fokus auf transkörperli-
manistisch performativen Ansatz natürlich-kultureller Prak-
                                                                        che Relationen aufgegriffen und spricht in diesem thema-
tiken vor, der die dynamische Kraft der Materie ernst nimmt.
                                                                        tischen sowie im posthumanistischen theoretischen Kontext
Materie ist dann nicht länger Ding(-lich), sondern Agens, das
                                                                        von „trans-corporeal subjectivity in which bodies extend in-
sich als Teil intra-aktiver Prozesse materialisiert. Barad radi-
                                                                        to places and places deeply affect bodies“ (Alaimo, 2016:5).
kalisiert Haraway, indem sie „Materie [als] Substanz in ih-
rem intra-aktiven Werden – kein Ding, sondern eine Tätig-
keit, eine Gerinnung von Tätigsein“ (Barad, 2012:40) fasst;                 6 In den meisten poststrukturalistischen Konzepten wurden on-
und sie radikalisiert Butler, indem sie Performativität nicht           tologische Überlegungen zu den Bedingungen des Seins als Teil
                                                                        des anti-essentialistischen Anspruchs explizit ausgeklammert. So
    5 Mit ähnlichem Wortlaut betont auch Barad (2015:61): „Natur        hat bspw. Butler (1993, 1998) im Zuge ihrer Konzeption der perfor-
ist weder ein leeres Blatt für das freie Spiel sozialer Einschreibun-   mativen Materialisierung gefordert, den Körper weniger als Seien-
gen, noch irgendeine vermittelt vorhandene, transparent gegebene        des zu betrachten, denn als Ort der politischen Repräsentation und
,Dingheit‘ [thingness].“                                                Regulation.

Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019                                                                    www.geogr-helv.net/74/223/2019/
A. Strüver: Posthumanistische Überlegungen zum biosozialen Subjekt                                                               227

Und wenn die körperliche Physis des Subjekts mit der Um-                In der klassischen humangeographischen Betrachtung von
welt in einem intraaktiven Verhältnis steht, verändert dies          Gesundheit geht es v.a. um die Suche nach Kausalitäten zwi-
das Verständnis von Sozialem und verkörperter Subjektivität:         schen Gesundheit bzw. Krankheit und einem bestimmten
„As the material self cannot be disentangled from networks           Raumausschnitt. Dahinter steht die Annahme, dass ein Raum
that are simultaneously economic, political, cultural, scien-        und seine Ausstattung auf die Menschen „wirke“ (Wohnver-
tific, and substantial, what was once the ostensible bounded         hältnisse, Grün- und Freiräume, Belastungen durch Lärm,
human subject finds herself in a swirling landscape of uncer-        Umweltverschmutzung etc.); das verkörperte Subjekt spielt
tainty where practices and actions that were once not even re-       darin nur eine untergeordnete Rolle. Dementsprechend kon-
motely ethical or political matters suddenly become the very         zentrieren sich aktuell die meisten Forschungen im Globa-
stuff of the crises at hand. This is especially evident in the ca-   len Norden auf den Einfluss von gesundheitsrelevanten Infra-
se of global climate change: an individual, household, busi-         strukturen sowie von räumlich situierten Umweltstressoren
ness, university, city, state, nation, or continent can calculate    auf die Bevölkerung (vgl. Oßenbrügge und Strüver, 2018).
the carbon footprint left by the stunning range of human acti-          Aktuelle Ansätze zur Gesundheits- und Umweltgerechtig-
vities that emit carbon. I think it is crucial to emphasize, ho-     keit und aus der ökosozialen Epidemiologie (Krieger, 2013;
wever, that transcorporeality, as it emerges in environmental        siehe auch Bolte, 2018) verweisen hingegen auf Perspekti-
health, environmental justice, web-based subcultures, green          ven, die diesem Problem der einseitigen Betrachtung (sozial-
consumerism, literature, photography, activists websites, and        räumliche Strukturen beeinflussen die Gesundheit) sowie der
films, is a recognition not just that everything is interconnec-     ebenfalls einseitigen „Alternative“ (individuelles Verhalten
ted but that humans are the very stuff of the emergent, materi-      beeinflusst die Gesundheit, s.o.) etwas entgegensetzen: Ge-
al world“ (Alaimo, 2010:20). Dabei spielt der von Barad eher         sundheit und Krankheit scheinen jenseits von Verhältnissen
beiläufig verwendete Hinweis auf transkörperliche Relatio-           oder Verhalten auch darauf zurückzugehen, dass die räumli-
nen in den empirischen Erläuterungen durch Alaimo (2016)             che Umgebung iSv Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes
eine zentrale Rolle und wird hier als Rahmung fortgeführt: „I        in Fleisch und Blut übergeht, d.h. dass Schadstoffe in Luft,
propose the term ,trans-corporeality‘, in which human bodies         Wasser und Böden, Pestizidrückstände in Lebensmitteln und
are not only imbricated with one another but also enmeshed           andere Toxine als bioaktive Substanzen im Körper wirken
with nonhuman creatures and landscape“ (ebd., S. 67). Er-            und die Gesundheit beeinflussen. Stressoren aus Umwelt und
weitert werden damit die Wechselwirkungen zwischen Kör-              Lebensmitteln verursachen dabei nicht nur akutes physisches
pern und Raum (iSv Umgebung) um die ökologischen Be-                 oder psychisches Unwohlsein, sondern können die Entwick-
ziehungen zwischen Lebewesen und Umwelt.                             lung ganzer Communities beeinflussen (s.u.). Gerade in den
                                                                     USA gibt es unzählige Beispiele für „strukturellen Umwelt-
                                                                     rassismus“ (Pulido, 2016; Walker, 2009), die deutlich ma-
4   Zur Somatisierung der Umwelt                                     chen, dass insbesondere Black Communities von den Folgen
                                                                     von Umweltungerechtigkeit nicht nur soziokulturell, sondern
Die menschliche Gesundheit – und Ernährung als Teil der              auch biophysisch betroffen sind, da sich Umweltstressoren
Gesundheit – sollen hier als illustrierende Beispiele für trans-     und „schlechte“ Ernährung in der biophysikalischen Stoff-
körperliche Relationen, für die Wechselwirkungen zwischen            lichkeit des Körpers, z.B. als Fettzellen, materialisieren.8
Gesellschaft und Raum sowie zwischen Mensch und Umwelt                  Damit können rein sozial- und kulturwissenschaftli-
als „Somatisierung von Umwelt“ (Guthman, 2014:1166).7 In             che Perspektiven um biologisch-materielle Prozesse – jen-
Erweiterung des biomedizinischen Paradigmas in der Geo-              seits biomedizinisch-naturwissenschaftlicher Annahmen –
graphie, also der Annahme, dass Gesundheit und Krankheit             ergänzt werden. Dies gilt auch für die körperliche Produkti-
rein biologische Phänomene sind, um sozialepidemiologi-              on und die Aktivität von Fettzellen, so dass dominante Erklä-
sche bzw. kultur- und sozialwissenschaftliche Gesundheits-           rungen für Fettleibigkeit (sozialräumliche Verhältnisse oder
konzepte der Geographies of Health (vgl. Brown et al., 2017;
Gatrell and Elliott, 2015), stand v.a. die Absage an biolo-             8 Dazu gehören die so genannte „Cancer Alley“ der Petroche-

gische Determinismen im Vordergrund, die allerdings mit              mie entlang des Mississippi in Louisiana (Zimring, 2016; siehe
der Vernachlässigung der stofflichen Materialität des Körpers        Hochschild, 2016 für eine Studie zum Umgang der weißen Bevöl-
einherging. D.h. nach den epistemologischen Turns (v.a. im           kerung mit diesem Phänomen), die zahlreichen Mülldeponien im
Zuge des Cultural Turn) bedarf es jetzt eines posthumanisti-         Südosten der USA (Bullard, 2000), aber auch allgemeiner die über-
                                                                     durchschnittliche hohe Rate an lebensbedrohlichen Krankheiten un-
schen ontologischen Turns, der transkörperliche Relationen
                                                                     ter Schwarzen Arbeiter*innen bzw. in Black Communities (Alaimo,
integriert.                                                          2010; Gravlee, 2009; Pulido, 2016; Taylor, 2014). Anhand der Aus-
                                                                     wirkungen des Hurricane Katrina in New Orleans erläutert zudem
    7 Erweitert wird damit auch die These von der „Somatisierung     Tuana (2008) die „Porosität“ zwischen menschlichen Körpern und
des Sozialen“ (Bourdieu, 1992), die die Inkorporierung und Ver-      Umwelt(-giften), die neben den Folgen von sozioökonomischer und
körperung sozialer Identitäts- und Strukturkategorien sowie hege-    soziokultureller Ungerechtigkeit zu schweren Erkrankungen insbe-
monialer Klassifikationssysteme umschreibt.                          sondere der Schwarzen Bevölkerung geführt hat.

www.geogr-helv.net/74/223/2019/                                                                  Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019
228                                                  A. Strüver: Posthumanistische Überlegungen zum biosozialen Subjekt

individuelles Verhalten) zu erweitern sind: Fettleibigkeit und   hältnissen hervorgeht (vgl. Hirth, 2018; siehe auch Guthman,
Übergewicht können dann nicht länger nur sozialstrukturel-       2015). Ursprünglich verweist Metabolismus als griechisches
le, kulturelle und räumliche Ursachen haben, sondern auch        Wort für „Umwandlung“ gleichwohl auf körperliche Stoff-
Effekte von Umweltstressoren sein, die sich in transkörper-      wechselprozesse – auf Prozesse, die durch die Aktivität von
lichen Intra-aktionen, im materiell-kulturellen Da-Sein fest-    Materialität (Essen) und die Materialität von Aktivität (es-
setzen (Guthman, 2013; Kuzawa and Sweet, 2009; Mans-             sen) den Körper leben (oder sterben) lassen. Essen und essen
field, 2012). Essen – als Produkt und als Praktik –, körper-     und die daran gebundenen Stoffwechselprozesse dynamisie-
liche Bewegungen und Körpergewicht erweisen sich damit           ren damit das Verständnis von materieller Stofflichkeit und
als Teil sozialer und räumlicher Ungleichheiten und Rela-        verweisen auf die Frage, wie menschliche Materie (Körper)
tionen, aber auch als Intra-aktionen zwischen Biologischem       und stoffliche Materie (Essen) mit kurz-, mittel- und auch
und Sozialem. Fettleibigkeit ist dann nicht nur auf makro-       langfristigen Auswirkungen intraagieren. So schreibt bspw.
soziale Strukturen, räumliche Verhältnisse und/oder mikro-       Bennett (2007) Essen eine agentische Fähigkeit zu, die zwar
soziales Verhalten (Bewegung, Ernährung) zurückzuführen,         untrennbar von menschlichem Agieren ist, aber keinesfalls
sondern kann auch durch epigenetische Veränderungen be-          auf essen als menschliche Tätigkeit reduziert werden kann
dingt sein. Damit angesprochen wird die Inkorporierung als       (siehe auch Mol, 2008; Landecker, 2011).9 Mit Bezug auf
Somatisierung von biophysischen Umweltverhältnissen als          den eingangs kurz angesprochenen Aspekt der Verteilungs-
transkörperliche Relationen, einschließlich ihrer biochemi-      gerechtigkeit (Fraser, 2009) muss es daher in der Erörterung
schen, wie auch diskursiven und sozialstrukturellen Stresso-     von Umwelt(un)gerechtigkeit darum gehen, neben ökonomi-
ren. Zu letzteren gehören z.B. rassistische, sexistische oder    schen und soziokulturellen auch ökologische Ungleichheiten
fat blaming Anrufungen sowie an solche Stigmatisierungen         als Ungerechtigkeiten anzuerkennen und soziale Ungerech-
gebundene strukturelle Ungleichheiten und deren Inkorpo-         tigkeit als im verkörperten Subjekt biologisch materialisierte
rierung. Die Somatisierung von biophysischer Umwelt ver-         zu thematisieren.
langt gleichwohl die Auflösung der ontologischen, episte-
mologischen und stofflichen Grenzen zwischen Mensch und
                                                                 5   Zur Erweiterung der Materialität von Aktivität:
Umwelt, zwischen Sozialem und Natürlichem – und es er-
                                                                     Umweltepigenetik
fordert bzw. ermöglicht eine posthumanistische Erweiterung
der Begriffe „Wechselwirkung“ und „Stoffwechsel“.
                                                                 Am Beispiel der These der „Obesogenic Environments“ (vgl.
   Anhand von Essen – als Produkt wie als Praktik und den
                                                                 Townshend and Lake, 2017) lässt sich der Stoffwechsel zwi-
damit verbundenen Stoffwechselprozessen – lässt sich die
                                                                 schen sozialräumlichen Verhältnissen und verkörperten Sub-
stofflich-materielle Inkorporierung und Somatisierung von
                                                                 jekten als Bestandteil der dominanten kapitalistischen Lo-
Raumstrukturen, von Umwelt- und Ungerechtigkeitsverhält-
                                                                 gik sowie als Beispiel für ungesunde und ungerechte städ-
nissen beispielhalft illustrieren: Dies schließt die menschli-
                                                                 tische Lebensformen veranschaulichen. Der Fokus auf Ge-
che Aktivität des Essens (auch als Materialität von Aktivität)
                                                                 rechtigkeit erweitert die Perspektive jenseits von Verhältnis-
und die Aktivität des Essens (einschließlich der Aktivität von
                                                                 sen oder Verhalten darauf, dass neben der sozialräumlichen
Materialität) mit ein, da die körperliche Materie nicht pas-
                                                                 Umgebung auch die biophysische Umwelt somatisiert wird,
siver Rezipient von Diskursen über Ernährungsformen und
                                                                 da Schadstoffe aus Böden, Luft, Lebensmitteln und Was-
Körpernormen ist. Guthman (2014:1155) bringt das folgen-
                                                                 ser als bioaktive Substanzen im Körper wirken. D.h. derar-
dermaßen auf den Punkt: „Food enters into bodies and has
                                                                 tige Umweltstressoren können ernsthafte Krankheiten verur-
bodily manifestations – as energy, disease, conditions, mor-
                                                                 sachen; sie können aber auch die phänotypische Entwicklung
phology. This must be true no matter how influential social
                                                                 von Familien langfristig beeinflussen. Guthman (2013) de-
and cultural factors are in affecting how and what we eat and
                                                                 konstruiert die These der „dickmachenden Stadtteile“ dahin-
what we look like.“
                                                                 gehend, als dass sie Übergewicht nicht nur auf das Fehlen
   In den hier vorgestellten posthumanistischen Überlegun-
                                                                 einer körperliche Aktivitäten begünstigende städtische Infra-
gen basieren Essen und essen auf Intra-Aktivitäten und stel-
                                                                 struktur (v.a. Rad- und Fußwege) sowie eine schlechte Le-
len eine ultimative NaturKultur dar, als Lebens-Mittel (hu-
                                                                 bensmittelnahversorgung (mit frischen und unverarbeiteten
man) und Lebens-Mittel (nicht-human). Essen und essen sind
                                                                 Waren) reduziert. Zusätzlich zur Kritik an der fehlenden Be-
beide Bestandteile der Einverleibung gesellschaftlicher Na-
                                                                 rücksichtigung der Gründe für die fehlende Wege- und Ver-
turverhältnisse in den Verständnissen der politischen Ökono-
                                                                 sorgungsinfrastruktur (mangelnde öffentliche Investitionsbe-
mie und politischen Ökologie, aber auch der Somatisierung
                                                                 reitschaft, keine Investitionsanreize für Unternehmen) sowie
biostofflicher Umweltverhältnisse im Sinne des New Ma-
terialism, d.h. einschließlich biophysischer und möglicher           9 An anderer Stelle wird in diesem Zusammenhang von einem
epigenetischer Folgen. Seit Marx wird der Metabolismus-          Visceral Turn gesprochen, der sich insbesondere der Aktivität phy-
Begriff für die Stoffwechselprozesse zwischen Mensch und         sischer Materialität im essenden Körper widmet (Hayes-Conroy and
Natur verwendet, z.B. für Essen als Produkt, das als Ware        Hayes Conroy, 2015), für empirische Ansätze dazu, siehe bspw.
aus sozioökonomischen und ökologischen Ausbeutungsver-           Sexton et al., 2017; Evans und Miele, 2012; Bruckner, 2018).

Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019                                                             www.geogr-helv.net/74/223/2019/
A. Strüver: Posthumanistische Überlegungen zum biosozialen Subjekt                                                          229

der Gründe für die Wahl eines Quartiers (günstige Miet-          2017; Müller, 2017) lassen sich so die Beziehungen zwi-
und Immobilienpreise), stellt sie auch die oftmals überdurch-    schen genetischen Veranlagungen, körperlicher Gesundheit
schnittlich hohen Umweltbelastungen in solchen Quartieren        und Umwelteinflüssen dynamisieren, da epigenetische Me-
auf den Prüfstand: Diese halten zwar die Immobilienprei-         chanismen die Genexpressionen (nicht aber die Gene selbst)
se niedrig, können aber akut wie epigenetisch zur Verände-       beeinflussen können.
rung von Fettzellen und z.B. zur Entstehung und Vererbung           In dieses Verständnis spielt eine dynamische, denaturali-
von Übergewicht führen. Und es ist v.a. der letztgenannte        sierte biologische Ontologie mit hinein: „What happens in-
Aspekt, der trotz der Unterschiede der nordamerikanischen        side bodies, even at the molecular level, is entirely depen-
und europäischen Diskurse die These der Obesogenic Envi-         dent on what happens outside of them – including the past.
ronments aktuell jenseits regionaler Spezifika relevant macht.   So, by focusing on the ways environments interact with ge-
Neben der grundsätzlichen Hinterfragung der Gleichsetzung        netics to shape bodily outcomes, epigenetics is inherently
von Übergewicht mit Krankheit sowie der fat blaming- und         spatiotemporal and socionatural. Supporting much contem-
fat shaming-Diskurse und ihren Inkorporierungen wird ge-         porary social theory epigenetics blurs dualistic distinctions“
fordert, den biosozialen Einflüssen von Umwelt(-stressoren)      (Mansfield and Guthman, 2015:4). In Bezug auf soziale und
mehr Beachtung in der Forschung zur lokalen Umweltge-            ökologische Umweltgerechtigkeit bietet die Umweltepigene-
rechtigkeit entlang der Alltagsaspekte Ernährung und Ge-         tik Möglichkeiten offen zu legen, wie sich Umwelteinflüsse
sundheit zu schenken (Guthman, 2013; Evans and Colls,            im biologischen Körper materialisieren und so biologische
2014; Schorb, 2015).                                             Differenzen, z.B. zwischen Menschen verschiedener Haut-
   Dieses Öffnen der Black Box of the Body erlaubt, die Ak-      farben produzieren; „how race becomes biology“ (Gravlee,
tivität von körperlicher Materie wie (Fett-)Zellen und Gewe-     2009:47; Hervorh., A.S.). Damit kann biologisch determi-
be zu analysieren und dadurch die dominanten Erklärungen         niertem und legitimiertem Rassismus (und auch Sexismus10 )
für – und Präventionsmaßnahmen gegen – Fettleibigkeit zu         die Grundlage entzogen werden – ohne rein strukturalistisch
multiplizieren. Die raumbasierten Ursachen für Fettleibig-       und/oder kulturalistisch zu argumentieren. „In the emerging
keit liegen dann nicht länger nur in soziokulturellen Struktu-   science of environmental exposure, in fields such as epigene-
ren – sie können auch Effekte von Umweltstressoren sein, die     tics, all environments are understood as chemicals. Ecologi-
sich in der biophysikalischen Stofflichkeit des Körpers ma-      cal, biological political, economic, cultural, social and other
terialisieren. Körperfett und -gewicht können somit als ak-      dynamics all become biological as chemicals that come from
tiver Teil gesellschaftlicher und räumlicher Ungleichheiten      outside the body (that we ingest in food and water, breathe
berücksichtigt werden, als transkörperliche Relationen zwi-      in the air, that cross directly through our skin and placentas),
schen Biologisch-Natürlichem und Sozial-Kulturellem. D.h.        or as chemicals that are made inside the body in reaction to
die Ursachen für die Exposition von Umweltstressoren ge-         external events“ (Romero et al., 2017:167).
hen auf sozioökonomische und -kulturelle Ungerechtigkei-            Wenn xenobiotische Umweltgifte im menschlichen Kör-
ten in der segregierten Stadt zurück, doch die Folgen sind       per intra-agieren und ihn sowie seine Nachkommen phä-
sowohl soziale als auch biophysische, da sich urbane sozi-       notypisch verändern, stellen Föten die „Zeugen“ vergange-
alräumliche Ungerechtigkeiten stofflich im Körper materia-       ner Umwelteinflüsse und –ungerechtigkeiten dar (Mansfield,
lisieren: „Embodiment is a matter not of being specifically      2012, 2017). Dieser Aspekt der Epigenetik beinhaltet gleich-
situated in the world, but rather of being of the world in its   wohl auch das Problem einer erneuten Responsibilisierung,
dynamic specificity“ (Barad, 2007:377, Hervorh. i.O.). Bio-      der individualisierten Verhaltensverantwortung für die eige-
logische Aspekte determinieren damit nicht die verkörper-        ne Gesundheit und die der nachkommenden Generationen,
te Subjektivität, doch die Epigenetik zeigt, dass verkörperte    da es als moralische Pflicht erscheint, ein gesundes Leben zu
Subjekte nicht nur Effekt gesellschaftlicher Verhältnisse und    führen. Auch wenn das epigenetische Fundament auf einer
individualisierten Verhaltens sind. „Bodies do not simply ta-    anderen disziplintheoretischen Logik basiert als Foucaults
ke their places in the world. They are not simply situated       Biopolitik (2006), so wird gerade durch die Ähnlichkeit des
in, or located in, particular environments. Rather, ,environ-    Selbstoptimierungsarguments in beiden Ansätzen deutlich,
ments‘ and ,bodies‘ are intra-actively co-constituted“ (ebd.,    dass die Epigenetik als Gesellschaftskritik nur funktioniert,
S. 170).                                                         wenn sie sozialtheoretisch rückgebunden wird.11
   Um die Black Box des Körpers als auch die der Umwelt zu
öffnen, um deren radikale Relationalität zu adressieren so-
wie eine relational-posthumanistische und intra-aktive Onto-        10 Zur biologischen Materialisierung von sozialem Geschlecht,
logie zu praktizieren (i.S.v. Haraway und Barad, s.o.), eignen   siehe Fausto-Sterling (2012).
sich u.a. umweltepigenetische Forschungen. Eingebettet in           11 Denn die Epigenetik als Eugenik liefert durch die Abkehr
den Kontext des Feminist New Materialism (z.B. Alaimo and        vom biologischen Determinismus prinzipiell auch Möglichkeiten
Hekman, 2008; Alaimo, 2010, 2016; Braidotti, 2014; Frost,        für Formen der Optimierung des Selbst und der Nachfahren, v.a.
2016; Guthman, 2014; Guthman and Mansfield, 2013; Löw            durch den Anspruch, die Exposition gegenüber positiven wie nega-
et al., 2017; Mansfield and Guthman, 2015; Mansfield, 2012,      tiven Umweltstressoren zu steuern (siehe bspw. Meloni, 2016).

www.geogr-helv.net/74/223/2019/                                                             Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019
230                                                     A. Strüver: Posthumanistische Überlegungen zum biosozialen Subjekt

   Die Umweltepigenetik verweist auf eine biologische               6   Synthese und Ausblick: Biosoziale
Inkorporierung der materiell-stofflichen Umwelt, näm-                   Verkörperungen und intra-aktive
lich neben der Verkörperung von diskursiven und sozia-                  Mensch-Umwelt-Beziehungen
len Faktoren auch auf die Somatisierung biophysischer
und xenobiotischer Stressoren. Erforderlich wird dafür                   „Further, syntactically and materially, worldly em-
die Auflösung des ontologischen Dualismus von Kultur                     bodiment is always a verb, or at least a gerund. Al-
und Natur und eine posthumanistische Neudefinition von                   ways in formation, embodiment is ongoing, dyna-
Mensch-Umwelt-Beziehungen als transkörperliche Relatio-                  mic, situated, and historical. No matter what the
nen: „Trans-corporeality is a new materialist and post-                  chemical score for the dance – carbon, silicon, or
human sense of the human as perpetually interconnected                   something else – the partners in infoldings of the
with the flows of substances and the agencies of envi-                   flesh are heterogeneous. That is, the infolding of
ronments“ (Alaimo, 2016:112). Dies beinhaltet einen Fo-                  others to one another is what makes up the knots
kus auf die Intra-aktionen zwischen soziokulturellen und                 we call beings“ (Haraway, 2008:249f.). 13
stofflichen-materiellen Dimensionen, so dass sozialräumli-
che und raumzeitliche Erfahrungen nicht nur repräsentatio-             „Die aktuelle globale Wirtschaftskrise ist nicht nur eine
nell, sondern auch materiell in Fleisch und Blut übergehen          Krise der Wirtschaft und des Staates, sondern auch eine der
(Fausto-Sterling, 2012; Tolia-Kelly, 2013).                         Gesellschaft und ihrer verkörperten Subjekte“ (Dzudzek und
   Eine Perspektive auf die menschliche Gesundheit als bio-         Strüver, 2013:145). Wie lässt sich diese Feststellung, eben-
sozial, als – auch stoffliches – Verhältnis zwischen Natur          falls ein Einleitungssatz zu einem Themenheft der Geogra-
und Kultur, umfasst ein Verständnis von Natur jenseits bio-         phica Helvetica, in Verbindung bringen mit, erstens, der öko-
logischer Determinismen – aber auch jenseits kultureller Es-        logischen Krise, zweitens, der eingangs zitierten Aufforde-
sentialismen sowie gesellschaftlicher Verhältnisse und in-          rung zur Beschäftigung mit Materialität als „eine der wich-
dividuellem Verhalten; die Gesundheit menschlicher Kör-             tigsten konzeptionellen Fragen der Sozialgeographie“ (Be-
per ist dann gleichzeitig biophysisch und sozial (Mansfield,        cker und Otto, 2016:221), drittens, den europaweit beobacht-
2008:1015; siehe auch Alaimo 2010, 2016; Braidotti, 2014;           baren Problemen wie gesellschaftliche Des-Integration und
Haraway, 2008, 2016), also biosozial.12 In dieser radikal-          Rechtsruck, zunehmende sozialräumliche Ungerechtigkeiten
relationalen, posthumanistischen Forschung wiederum wird            etc. als Ausdruck von Geographien sozialer Krisen (Runkel
die klassisch-konstruktivistische sozial- und kulturwissen-         und Everts, 2017), und viertens, Haraways Aufforderung to
schaftliche Frage „wie wird eine biologische Differenz zwi-         „take action, without the god trick of self-certainty“ (Hara-
schen verkörperten Subjekten sozial wirkmächtig?“ erwei-            way, 2008:88)?
tert um eine „biosozial-materielle“ Frage, d.h. „wie wird              Eine der – nicht großen, aber lang anhaltenden (und sich
eine soziale Differenz körperlich-biologisch wirkmächtig?“          voraussichtlich fortsetzenden) – Krisen der deutschsprachi-
Diese Erweiterung bzw. Reformulierung berücksichtigt, dass          gen Sozialgeographie liegt in der fehlenden Kommunikation
die Gründe für Exposition von Umweltstressoren oft auf so-          und Rezeption der verschiedenen Ansätze (und der teilwei-
zioökonomische und -kulturelle Ungerechtigkeiten zurück-            se daran gebundenen Perspektiven bzw. Themen) untereinan-
gehen, doch die Folgen auch biophysiologische sind. Eine            der. An erster Stelle steht viel zu häufig die „self-certainty“,
New Materialism-Perspektive auf biosoziale und biopoliti-           nicht die „action“ – und in diesem Fall ist es keine Folge des
sche Prozesse bietet sich somit auch an, um Foucaults in            gewachsenen Drucks durch die Neoliberalisierung der Hoch-
strukturalistischen wie poststrukturalistischen Kontexten do-       schulen, sondern die Fortsetzung des Denkens in Denkschu-
minante Überlegungen zum Biologischen als Teil des Politi-          len (hier gleichermaßen angelegt an Fleck wie an Kuhn).14
schen weiterzuführen (Foucault, 1999): denn während Fou-               Einige der – großen und bereits langanhaltenden (und sich
cault sich dafür interessierte, wie biologische Differenzen         voraussichtlich fortsetzenden) – Geographien sozialer Kri-
als Rassismus (und Sexismus) sozial „praktiziert“ werden,           sen erfordern aber dringend „action“ und machen deutlich,
und darlegt, wie sie sich als biopolitische Rationalitäten und      dass die hier angestellten Überlegungen zur Materialität in
gesellschaftliche Regulierungsmechanismen manifestieren –           der Sozialgeographie keinesfalls auf die räumliche und/oder
eine Rationalität, die zwischen verschiedenen Hautfarben            soziale Mikroebene beschränkt sind oder in neuen Formen
und Geschlechtern differenziert – rücken nun die biophysi-          von Selbstresponsibilisierungen münden dürfen: Die im Zu-
schen Ungleichheiten als Effekte sozialer Ungleichheiten in         sammenhang mit den globalen Umweltkrisen stehenden so-
den Fokus und erlauben gesellschaftliche Ungerechtigkeiten            13 Auch Frost (2016) betont in ihrer Theorie des (Post-)Humanen
neu zu problematisieren.                                            den hohen Stellenwert der Dynamisierung, z.B. die Biokultivierung
                                                                    des menschlichen Körpers (siehe Schmitz und Degele, 2010 zur Dy-
                                                                    namisierung von Embodiment zu Embodying).
  12 Frost (2016) argumentiert sehr ähnlich, bezeichnet den Men-      14 Kritisch-reflexiv sei hier also auch auf meine Denkschulen und
schen gleichwohl als biokulturelles Wesen, als Prozessprodukt aus   das sehr bewusst zusammengestellte Literaturverzeichnis hingewie-
kultureller Umgebung und ökologischer Umwelt.                       sen.

Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019                                                                 www.geogr-helv.net/74/223/2019/
A. Strüver: Posthumanistische Überlegungen zum biosozialen Subjekt                                                                 231

zialen, ökologischen und ökonomischen Ungleichheiten, sei-          Literatur
en sie national, regional oder korpo-real, sind Ungerechtig-
keiten – die in teils alltäglichen, teils außergewöhnlichen
Überlebenskämpfen münden, „ways of living and dying mat-
                                                                    Alaimo, S.: Bodily Natures: Science, Environment, and the Material
ter!“ (Haraway, 2008:88) – und „matter“ umfasst hier einmal
                                                                      Self, Indiana University Press, Bloomington, 2010.
mehr die semiotische und die materielle Ebene. Die Auflö-           Alaimo, S.: Exposed: Environmental Politics and Pleasures in
sung der unterschiedlichen ontologischen Zugriffe auf Se-             Posthuman Times, University of Minnesota Press, Minneapolis,
miotisches und Materielles, Kultur und Natur, Gesellschaft            2016.
und Umwelt bietet für die Krise der Sozialgeographie und            Alaimo, S. and Hekman, S. (Eds.): Material Feminisms, Indiana
für Geographien sozialer Krisen neue Perspektiven, um klas-           University Press, Bloomington, 2008.
sische wie neuere Formen sozialer und biologischer Un-              Barad, K.: Posthumanist Performativity: Toward an Understan-
gleichheiten und Ungerechtigkeiten jenseits von Kulturali-            ding of How Matter Comes to Matter, Signs, 28, 801–831, htt-
sierung oder Naturalisierung als transkörperliche Relationen          ps://doi.org/10.1086/345321, 2003.
und intra-aktive Mensch-Umwelt-Beziehungen zu adressie-             Barad, K.: Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and
ren. Der Fokus auf den menschlichen Körper ist dabei wich-            the Entanglement of Matter and Meaning, Duke University Press,
                                                                      Durham, 2007.
tig, da sich soziale, räumliche und ökologische Ungerech-
                                                                    Barad, K.: Agentieller Realismus, Suhrkamp, Berlin, 2012.
tigkeiten dort stofflich materialisieren. D.h. der Fokus bie-       Barad, K.: Verschränkungen, Merve, Berlin, 2015.
tet in einem radikal-relationalen, posthumanistischen Den-          Bauriedl, S., Schier, M. und Strüver, A. (Eds.): Geschlechterver-
krahmen konkrete Ansatzpunkte, um die klassische sozial-              hältnisse, Raumstrukturen, Ortsbeziehungen: Erkundungen von
und kulturwissenschaftliche Frage „wie wird eine biologi-             Vielfalt und Differenz im Spatial Turn, Westfälisches Dampf-
sche Differenz zwischen menschlichen Körpern sozial be-               boot, Münster, 2010.
deutsam?“, um die in Zeiten multipler Krisen zunehmend              Becker, S. and Otto, A.: Editorial: Natur, Gesellschaft, Materiali-
elementar werdende biosoziale Frage „wie wird eine soziale            tät: aktuelle Herausforderungen der Politischen Ökologie, Geo-
Differenz körperlich-biologisch wirkmächtig?“ zu erweitern.           gr. Helv., 71, 221–227, https://doi.org/10.5194/gh-71-221-2016,
   Im Zusammenbringen von Diskurs, Struktur und                       2016.
materiell-stofflichen Wirkmächtigkeiten wird der Körper des         Bennett, J.: Edible Matter, New Left Review, 45, 133–145, 2007.
                                                                    Bolte, G.: Epidemiologische Methoden und Erkenntnisse als eine
Subjekts weiterhin als sozioökonomisch markiert, kulturell
                                                                      Grundlage für Stadtplanung und gesundheitsfördernde Stadtent-
kodiert und diskursiv normiert thematisiert, doch basiert
                                                                      wicklung, in: Planung für Gesundheitsfördernde Städte, Heraus-
sein Da-Sein auch auf biochemischen und -physischen                   gebr: Baumgart, S., Köckler, H., Ritzinger, A. und Rüdiger, A.,
Stoffwechselprozessen. Wenn das epistemologische und                  Forschungsberichte der Akademie für Raumforschung und Lan-
ontologische Verständnis vom verkörperten Subjekt als                 desplanung (ARL), 118–134, 2018.
Effekt gesellschaftlicher Inkorporierungs- und diskursiver          Bourdieu, P.: Rede und Antwort, Suhrkamp, Frankfurt am Main,
Verkörperungsprozesse um die stofflich-materielle Somati-             1992.
sierung der räumlichen Umwelt erweitert wird, dann steht            Brown, T.: Andrews, G., Cummins, S., Greenhough, B., Lewis,
weiterhin die Inkorporierung des Gesellschaftlichen – und             D., and Power, A.: Health Geographies: A Critical Introduction,
des Räumlichen iSv Umgebung und Umwelt als Teil des                   Wiley-Blackwell, Oxford, 2017.
Gesellschaftlichen – im Mittelpunkt, allerdings jenseits der        Bruckner, H.: Beyond happy meat: Body mapping (dis)connections
                                                                      to animals in alternative food networks, Area, 50, 322–330, htt-
Oberflächen des Repräsentationellen. Sozialgeographisch ist
                                                                      ps://doi.org/10.1111/area.12381, 2018.
und bleibt der Körper der Ort, an dem sich soziale Strukturen
                                                                    Bullard, R. D.: Dumping in Dixie: Race, Class, and Environmental
und Diskurse materialisieren – aber auch der Ort, in dem              Quality, Westview Press, New York, 2000.
Umweltphänomene (re-)agieren und sich somatisieren.                 Butler, J.: Bodies that Matter: On the Discursive Limits of “sex”,
                                                                      Routledge, London, 1993.
                                                                    Butler, J.: Hass spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin Ver-
Datenverfügbarkeit. Für diesen Artikel wurden keine Datensätze        lag, Berlin, 1998.
genutzt.                                                            Butler, J.: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des
                                                                      Menschlichen, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2009.
                                                                    Braidotti, R.: Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen, Cam-
Interessenkonflikt. Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkon-     pus, Frankfurt am Main, 2014.
flikt besteht.                                                      Cağlar, G., Varela, M. C. und Schwenken, H. (Eds.): Geschlecht –
                                                                      Macht – Klima: Feministische Perspektiven auf Klima, gesell-
                                                                      schaftliche Naturverhältnisse und Gerechtigkeit, Barbara Bud-
Begutachtung. This paper was edited by Benedikt Korf and re-          rich, Opladen, 2012.
viewed by two anonymous referees.                                   Dörfler, T. and Rothfuß, E.: Lebenswelt, Leiblichkeit und Reso-
                                                                      nanz: Eine raumphänomenologisch-rekonstruktive Perspektive
                                                                      auf Geographien der Alltäglichkeit, Geogr. Helv., 73, 95–107,
                                                                      https://doi.org/10.5194/gh-73-95-2018, 2018.

www.geogr-helv.net/74/223/2019/                                                                  Geogr. Helv., 74, 223–233, 2019
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