"Grenzenlose Liebe" im schweizerischen Migrationsrecht
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Kleine Masterarbeit «Grenzenlose Liebe» im schweizerischen Migrationsrecht Zur Rechtsstellung binationaler Partnerschaften unter Berücksichtigung von Genderaspekten Nora Elisa Wey Verfasst im Rahmen des Seminars «Migrationsrecht» (24292-01) unter Prof. Dr. iur. Peter Uebersax Beginn der Arbeit: 08. September 2020 Abgabedatum: 08. März 2021
2 Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .................................................................................................... 4 II. Ausgangslage............................................................................................. 6 1. Binationalität ............................................................................................. 6 2. Übersicht des schweizerischen Migrationsrechts ..................................... 7 III. Rechtslage binationaler Partnerschaften ................................................ 9 1. Kennenlernphase ..................................................................................... 9 1.1. Einreise ............................................................................................. 9 1.2. Aufenthalt ........................................................................................ 13 2. Entschluss zur gemeinsamen Zukunft.................................................... 14 2.1. In ausserrechtlicher Lebensgemeinschaft ....................................... 15 2.1.1. Internationale Ebene.................................................................... 15 2.1.2. Nationale Ebene .......................................................................... 15 2.2. In rechtlicher Lebensgemeinschaft.................................................. 18 2.2.1. Internationale Ebene.................................................................... 18 2.2.2. Nationale Ebene: Verfassung ...................................................... 19 2.2.3. Nationale Ebene: Bundesgesetzgebung, inkl. Verordnungen ..... 20 3. Leben in der Schweiz ............................................................................. 25 3.1. Ehegattinnennachzug...................................................................... 25 3.2. Originärer Aufenthalt ....................................................................... 30 3.2.1. Niederlassungsbewilligung C....................................................... 30 3.2.2. Einbürgerung der ausländischen Partnerin ................................. 30 4. Auflösung der Ehegemeinschaft............................................................. 31 IV. Genderaspekte binationaler Partnerschaften ....................................... 33 1. Legal Gender Studies ............................................................................. 33 1.1. Geschlechterstereotype und – rollen............................................... 33 1.2. Gleichstellung von Frau und Mann.................................................. 34 2. Indirekte Diskriminierung ........................................................................ 34 2.1. Begriff .............................................................................................. 34 2.2. Staatliche Handlungspflicht ............................................................. 35 V. Genderanalytische Kritik ......................................................................... 37 1. Zur Kennenlernphase ............................................................................. 37
3 2. Zum Entschluss zur gemeinsamen Zukunft ........................................... 38 3. Zum Leben in der Schweiz ..................................................................... 40 4. Zur Auflösung der Ehegemeinschaft ...................................................... 43 VI. Fazit und Ausblick ................................................................................... 45 Anhang ............................................................................................................. 48 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 52 Materialienverzeichnis .................................................................................... 68 Weitere Online-Publikationen ........................................................................ 70 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. 73 (Zur Lesbarkeit wurde das Dokument auf Anfrage umformatiert.)
4 I. Einleitung «Love knows no borders, has no nationalities and doesn’t need a visa.» – Reza Farivar Für die Schweiz bestätigt das Bundesamt für Statistik im Zeitraum von 2011 bis 2019 einen Durchschnitt von 35,8 % gemischt-nationalen Ehen.1 Dieser Anteil sog. mariages mixtes hat sich seit Anfang der 70er Jahre mehr als verdoppelt.2 Doch nicht nur Ehen, sondern auch eingetragene Partnerschaften werden zu ei- nem stabilen Drittel gemischt-national anstelle mononational3 eingegangen.4 Mit diesen Zahlen sind partnerschaftliche Beziehungen zwischen zwei Nationalitäten längst nicht mehr nur Lebensentwürfe Einzelner. Die gleiche Staatsangehörigkeit bildet entsprechend nicht mehr länger eine gewichtige Voraussetzung zum er- wünschten Eheschluss.5 Die stetige Zunahme solcher «gemischten» Familiengründungen zeichnet sich als Folge der starken Veränderungen durch die rasante Globalisierung ab.6 Die Ursachen bestehen namentlich in den Ergebnissen «wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen»,7 wie auch der migrationsrechtlichen Ge- setzgebung.8 RAUSA-DE LUCA erkennt sodann die Wiederspiegelung der Migrati- onsgeschichte mit der zunehmend heterogenen Zusammensetzung der westli- chen Länder: «Le mariage mixte reflète l’histoire de la migration et la composition toujours plus hétérogène de tous les pays occidentaux.»9 Fraglich ist, ob die gesellschaftliche Realität dieser Popularität von gemischt-na- tionalen Partnerschaften auch dazu führt, dass für entsprechende Beziehungen die analogen rechtlichen Rahmenbedingungen gelten wie für mononationale Paare. 1 BFS 2020. 2 So stellten nach WALDIS/OSSIPOW binationale Paare anfangs des 21. Jahrhundert noch bloss einen Viertel aller Eheschliessungen in der Schweiz dar, 390. Zur gar tieferen Zahl von rund einem Fünftel (17.5%) kommt man bei der Betrachtung der Statistik im Jahr 1970, BFS 2020 «Staatsangehörigkeitskategorie Ehepartnerin». Vgl. auch RAUSA-DE LUCA, 14. 3 Aus dem analogen frz. Wort abgeleitet, vgl. auch OUTEMZABET, 252. 4 BFS 2016, wobei nur eine Statistik bzgl. eingetragenen Partnerschaften von Frauen auffindbar ist. 5 So PRODOLLIET, Editorial, 4. 6 FRABINA, Kap. 2.2. M.w.H. GLOWSKY, u.a. 225, BECK/BECK-GERNSHEIM, 107 f., 110. 7 IG Binational, 5 f. 8 RAUSA-DE LUCA, 15. 9 RAUSA-DE LUCA, 17.
5 Dabei führt die Recherche vom Beginn einer Partnerschaft zweier verschiedener Staatsangehörigen bis hin zum Ehegattinnennachzug in die Schweiz sowie all- fälligen Krisen in der Partnerschaft. Im anfangs erläuterten Anteil werden in der Statistik auch Heiraten zwischen zwei ausländischen Personen unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten erfasst. In der vorliegenden Arbeit werden solche Partner- schaften, obschon das Kriterium der zwei Nationalitäten erfüllend, vernachläs- sigt. Dies unter dem Aspekt, dass sich die Recherche der Rechtsstellung binati- onaler Paare auf die in der Schweiz bestehenden mariages mixtes mit einem schweizerischen Brautpaaranteilbeschränkt.10 Ergänzend wird die Einschrän- kung auf kinderlose Partnerinnen gemacht,11 d.h. die Ausführungen auf den Ehe- gattinnennachzug begrenzt. Durch die eingangs zu erläuternde Darstellung des Migrationsrechts wird die Schlechterstellung des 2. Kreises an Ausländerinnen festgehalten. Entsprechend widmet sich die vorliegende Arbeit im Speziellen den verschiedenen Herausfor- derungen und Problematiken, welche Partnerschaften von Schweizerinnen mit Drittstaatsangehörigen nach geltendem Migrationsrecht zu bewältigen haben. Hierbei werden diejenigen ausgeklammert, welche durch ihre Situation dem Asyl- recht als lex specialis unterliegen.12 Sodann wird bzgl. Ausführungen zum Rechtsschutz auf die bestehende Literatur verwiesen.13 Nach der Aufgleisung der Rechtstellung binationaler Paare erfolgt in einem the- oretischen Teil eine grobe Einführung der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Le- gal Gender Studies sowie die weitreichende Definition der indirekten Diskriminie- rung. Im letzten Teil wird dank dieses Zusammenhangs kritisch aufgezeigt, inwiefern sich der Gesetzgeber nach geltendem Recht eine (indirekte) Rolle der partner- schaftlichen Mitbestimmung anmassen könnte. Einhergehend mit dieser Frage wird untersucht, ob die faktische Gleichstellung von Frau und Mann in diesem juristischen Bereich der gemischt-nationalen Partnerschaften gewährleistet ist. 10 Dass (zu recht) als Schweizerinnen auch eingebürgerte Menschen mit entsprechendem Mig- rationshintergrund sowie Doppelbürgerinnen erfasst wurden, ist nicht relevant bzw. als Er- kenntnis für die folgenden Ausführungen unbeachtlich. Dies aus dem Grund, dass sich die Arbeit der rechtlichen Stellung widmet. 11 So ziehen zu Schweizerinnen in 87% der Fälle Partnerinnen ohne Kinder, BASS, 22. 12 Zur Rechtfertigung dieser Einschränkung vgl. Daten der schweiz-ausländischen mariages mix- tes mit den häufigsten Herkunftsländer von anerkannten Flüchtlingen (bspw. Eritrea und Sy- rien), BFS 2020. Bislang zeichnen diese eine (noch) zu geringe Praxisrelevanz. 13 Als Übersicht siehe UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 302, Rn 7.317 ff.
6 II. Ausgangslage «Grenzenlose Liebe» - bewusst provokativ soll der Übertitel dieser Arbeit nicht das wohl mit Kitsch assoziierte Adjektiv dieser Art der Verbundenheit wiederge- ben, sondern im Gegenteil das Paradox der Wirklichkeit widerspiegeln. Denn «Grenzenlosigkeit» erscheint in Bezug auf die Realität illusorisch.14 Der Identi- tätsfindung dienend, bilden sie seit beträchtlicher Zeit15 ein Hindernis für die po- sitive Betrachtung einer Gleichheit.16 Diesem durch Menschenhand geschaffe- nen Phänomen entzieht sich auch die Schweiz nicht, was in ihrer Gesetzgebung zum Migrationsrecht zum Ausdruck kommt. Und dennoch sind ebensolchen Ge- fühlswelten trotz Gesetzen und damit einhergehender Bürokratie bekanntlich kei- nerlei Grenzen gesetzt. 1. Binationalität Vor einer Veranschaulichung der migrationsrechtlichen Grundlagen der Schweiz, um welche gemischt-nationale Paare nicht herumkommen, gilt es die in der Lite- ratur auftauchenden fremdsprachlichen Begriffe für die vorliegende Arbeit in deutscher Sprache konkret abzugrenzen. Während in der Literatur im Französi- schen mit mariages mixtes, im Englischen mixed marriages17 sowie im Italieni- schen matrimoni misti eine begriffliche Dominanz zu dieser Art von Eheformen festzustellen ist, sind in der deutschsprachigen Wissenschaft diverse Begriffe für Mischehen18 vertreten. Sowohl interethnische Ehen, bi- oder interkulturelle Part- nerschaften19 als auch schweiz-ausländische, transnationale oder gemischte20 Paare gelten als die Verbreitetsten. Je nach konkreter Auffassung der entspre- chenden Autorin, ob ausserrechtliche oder rechtliche Partnerschaft, finden sie ihre Anwendung.21 14 Siehe Analyse von THRÄNHARDT, 14. 15 EKM. 16 Vgl. KLEINSCHMIDT, 3. 17 Siehe ganze Reihe von Definitionen in GILADI-MCKELVIE, 5 f. 18 Begriff als solcher in der Literatur nach Recherche der Autorin inexistent, wie auch gemäss MENZ, 34, aufgrund seiner Verwendung während des Nationalsozialismus im Deutschen nicht mehr von Aktualität. Zu anderem Schluss kam JACOBS, 11, welche neben Mischehen auch Zwischenheiraten nennt. 19 MENZ, 33. 20 JACOBS, 11. 21 Vgl. NAUCK, 695.
7 Im Folgenden wird der Begriff der binationalen Partnerschaften als zutreffend empfunden.22 Vorrangig geht es im Alltag binationaler Partnerschaften nicht um globale Fragen, doch ist dieser «auf verschiedenen Ebenen und Arten davon be- rührt und überformt».23 So bezieht sich die Binationalität auf die Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Staaten und charakterisiert damit eine nationalstaatliche Perspektive.24 Entsprechend werden andere Typen vorliegend nicht berücksich- tigt, obschon sich de facto Paare mit identischer Nationalität stärker bikulturell unterscheiden können als manche binationale Paare.25 2. Übersicht des schweizerischen Migrationsrechts Analog dieser Definition der Binationalität gehört die Hälfte des Paares26 einem anderen Land als der Schweiz an. Als Ausländerin27 wird sie als «Person, die nicht über die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Staates verfügt»28 (in casu: der Schweiz) erfasst und rechtlich durch solchen Nichtbesitz des schweizeri- schen Bürgerrechts von den Inländerinnen ein erstes Mal differenziert. Mit der Öffnung anhand des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA) gegen- über Ausländerinnen aus den Vertragsstaaten29 erfolgte eine grundlegende Un- terscheidung, alias erweitert differenzierende Grenzziehung innert der herkömm- lichen Definition «Ausländerinnen». In Form eines dualen Systems30 wird seit dem 1. Juni 2002 die Rechtslage für FZA-Unterstehende einerseits von derjeni- gen der dem Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) unterliegenden Drittstaats- angehörigen andererseits differenziert.31 22 Analog der Eigenbezeichnung der in der Schweiz existierenden Interessensgemeinschaft (IG) Binational, zumal dieser nicht die ausserrechtlichen Partnerschaftsformen exkludiert. 23 JACOBS, 26. 24 MENZ, 34, JACOBS, 11. 25 Vgl. BURKART, 12, NAUCK, 695. 26 Zur Vervollständigung hiermit der Hinweis, dass im Vorliegenden die nach wie vor gesellschaft- lich quantitativ herrschenden, monogamen Beziehungen den Gegenstand der Untersuchung bilden. 27 Zur Kritik dieser Konnotation vgl. SPESCHA, Zukunft, Vorwort. 28 UEBERSAX, Von Kreisen und Menschen, 559. 29 Per 08. März 2021 der Europäischen Gemeinschaft (EU) entsprechend: die Königreiche Bel- gien, Dänemark, Spanien, Schweden und Niederlande, die Bundesrepublik Deutschland, die Republiken Bulgarien, Tschechien, Estland, Griechenland, Frankreich, Kroatien, Italien, Zy- pern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Österreich, Polen, Portugal, Slowenien, Slowakei, Finnland sowie die Staaten Irland, Rumänien und das Grossherzogtum Luxemburg. 30 SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 107, UEBERSAX, Von Kreisen und Menschen, 566, Einreise und Anwesenheit, 268 ff., CARONI/SCHEIBER/PREISIG/ZOETEWEIJ, 130. 31 UEBERSAX/PETRY/HRUSCHKA/FREI/ERRASS, 29, 53, SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 103 ff., KEMPE, 5, CARONI/SCHEIBER/PREISIG/ZOETEWEIJ, 25, 133.
8 Beinahe 70% der in der Schweiz lebenden Ausländerinnen profitieren von Privi- legierungen der EU-/EFTA32-Staaten.33 Für den Rest der Welt, eine Mehrheit von rund sieben Milliarden Menschen,34 sind keinerlei solcher Vorzüge vorgesehen.35 Die rund 741'00036 ständig in der Schweiz lebenden Ausländerinnen des 2. Krei- ses unterstehen entsprechend restriktiv gehaltenen Zulassungsvoraussetzungen nach dem AIG sowie dessen zugehörigen Verordnungen. Im Folgenden wird der Schwerpunkt durch diese erhöhte Komplexität der meist visumspflichtigen37 sowie mehrheitlich privilegfreien Drittstaatsangehörigen auf binationale Paare mit schweiz-ausländischer Herkunft im 2. Kreis gelegt. 32 Darunter fallen die der EU nicht angehörigen Staaten Norwegen, Liechtenstein sowie Island, welche jedoch über das EFTA-Abkommen analog privilegiert werden. Weiter denkbar ist eine künftige Erfassung des Vereinigten Königreichs. 33 SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 98. Zur nichtdiskriminierenden Zulässigkeit solcher Privile- gierungen vgl. UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 260, inkl. festzustellender stetigen Zu- nahme der Hinterfragung derselben, Von Kreisen und Menschen, 586 ff. 34 UN-Population. 35 Zur Legitimierung durch die Reziprozität bzw. Infragestellung solcher Differenzierungen siehe UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 260, Rn 7.136. 36 BFS 2. Kreis. 37 Visumspflicht teils inexistent für Aufenthalte von bis zu 90 Tagen durch entsprechende Abkom- men, namentlich mit den USA, Brasilien und Peru, vgl. VISA.
9 III. Rechtslage binationaler Partnerschaften «Pour un juriste, les aspects juridiques des couples binationaux constituent un thème à la fois passionnant et malcommode.»38 – Matthieu Canevascini Nachfolgende Ausführungen gelten auch für gleichgeschlechtliche Paare in ein- getragener Partnerschaft.39 Der Aufbau gestaltet sich identisch dem realistischen Verlauf einer partnerschaftlichen Beziehung. Von «Schmetterlingen im Bauch» ... 1. Kennenlernphase Analog der mononationalen Paare lernen sich heutzutage binationale Paare auf unterschiedlichste Art und Weise kennen. Was sie vereint, ist die emotionale Bin- dung zueinander. Obschon die stets zunehmenden technologischen Fortschritte und Affinitäten das menschliche Beziehungsleben mitbestimmen, bleibt es wohl auch in Zukunft das Bedürfnis eines jeden dieser Paare, der anderen Person auf reale Weise begegnen zu dürfen. Diese physische Begegnung mittels Besuchs gestaltet sich in einer Beziehung mit einer Drittstaatsangehörigen regelmässig komplex. 1.1. Einreise Trotz vereinzelt auffindbarer Lehrmeinung, die sich für ein Recht auf Migration einsetzt,40 besteht bis anhin keinerlei Grundrecht auf Einreise in ein fremdes Land.41 Vorbehaltliche Ausnahmen bilden zwischenstaatliche Vereinbarungen.42 Für das Gelingen einer regulären Einreise in die Schweiz43 sind dem Gesetz fol- gend in Art. 5 Abs. 1 lit. a - d AIG diverse Auflagen vorgesehen. Die sich mit dem 38 CANEVASCINI, 77. 39 Analog zu Art. 52 AIG. 40 Vgl. MONA. 41 UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 241, Rn 7.60, wie auch Ausführungen zur Zulassung der schweizerischen Einreiseeinschränkungen im Urteil des BVGer C-1094/2013 vom 17. Juni 2014 E. 4.1. 42 Entsprechend das FZA mittels Einreiserecht zur Mobilitätsgewährleistung, Art. 1 Abs. 1 Anhang I FZA. 43 Vgl. auch UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 231, Rn 7.20, MÜLLER/SCHLEGEL/SCHNEI- DER/ACHERMANN, 161, SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 127.
10 AIG weitgehend deckenden Einreisevoraussetzungen44 nach dem Schengener Grenzkodex, Art. 6 SGK, gelten in den folgenden Ausführungen miteingefasst.45 Neben dem Grundsatz der Pass- und Visumpflicht46 (lit. a) werden die Verfügung über notwendige finanzielle Mittel (lit. b), der Ausschluss einer ausgehenden Ge- fahr namentlich für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (lit. c) sowie das Nicht- vorliegen einer Fernhaltemassnahme oder Landesverweisung47 (lit. d) vorausge- setzt. Abs. 2 verankert sodann die Pflicht einer Gewähr der Wiederausreise. All diese Auflagen gilt es als Drittstaatsangehörige48 zu erfüllen. Vorbehalten ist na- mentlich die Berücksichtigung des Vorliegens eines gültigen Aufenthaltstitels oder eines nationalen Visums eines anderen Schengen-Staats, Art. 8 Abs. 2 lit. a VEV.49 Für die vorliegende Arbeit ist diese Gruppe an privilegierten Drittstaats- angehörigen zu vernachlässigen, unterliegt sie durch ihren originär erworbenen Aufenthaltstitel eines Mitgliedstaates der EU/EFTA50 weniger stark den später festzustellenden Problematikfeldern. Im Regelfall der de lege lata bestehenden Visumspflicht51 dieses 2. Kreises, er- streckt sich das Ermessen der Behörden bereits auf die Erteilung des Visums betreffend Entscheid über die Bewilligung zur Einreise.52 Eine binationale Part- nerschaft kann demnach zur Entstehung ihres physischen Kontakts nicht mit je- der beliebigen Person garantiert werden.53 Dem schweizerischen Teil verbleibt dann der Besuch im Herkunftsland der Partnerin, je nach Staat unter ähnlich rest- riktiven Voraussetzungen. Das Schengen-Recht schreibt sodann nicht zwingend einen Aufenthaltszweck zur Ausstellung des Visums vor.54 Dennoch ist in der Praxis für binationale Paare 44 Zum selben Ergebnis gelangt PRIULI, Kommentar Art. 5 AIG, 83, Rn 1. 45 Dass sich lit. d des Art. 6 SGK noch explizit zum SIS äussert, ist nach dieser Einschätzung durch Auslegung des Art. 5 lit. c AIG abgegolten. 46 Art. 8 VEV. Aktuelle Liste nach Staatsangehörigkeit abrufbar unter: https://www.sem.ad- min.ch/sem/de/ho-me/themen/einreise/merkblatt_einreise.html (besucht am: 25. Februar 21). Analog zum Nichtbestand des Rechts auf Einreise, keinerlei Anspruch auf Erteilung eines Vi- sums, MÜLLER/SCHLEGEL/SCHNEIDER/ACHERMANN, 161. 47 Nach Art. 66a, 66abis StGB, 49a, 49abis MStG. 48 In diesem Zusammenhang wird auf die erwähnten Erleichterungen für Staatsangehörige des FZA verwiesen, vgl. Kap. II, 2. 49 Ausführungen in PRIULI, Kommentar Art. 5 AIG, 84, Rn 2. 50 Vgl. UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 233, Rn 7.29. 51 Siehe auch CARONI/SCHEIBER/PREISIG/ZOETEWEIJ, 145 ff. 52 SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 137, UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 243, Rn 7.67. 53 Siehe als Bsp. den Fall eines schweiz-kubanischen Paares, Urteil des BVGer C-8123/2010 vom 11. Juli 2011. 54 BGE 139 I 37 E. 3.2.1 S. 42.
11 der Zweck des Tourismus bzw. des Besuchs von Freunden primär ausschlagge- bend zur Erteilung dieser Auflage.55 Dass sich das ursprüngliche Einreisemotiv verändern kann, was gerade bei binationalen Paaren durch einen Entschluss zur gemeinsamen Zukunft regelmässig vorkommt, ist durch Art. 17 Abs. 1 AIG vom Gesetzgeber erkannt worden. Entsprechend hat eine Änderung keinerlei Folgen auf die Rechtmässigkeit der Einreise.56 Als Voraussetzung bzgl. der hinreichenden finanziellen Mittel wird der ausländi- schen Partnerin nach Art. 3 Abs. 2 VEV i.V.m. Art. 15 VEV für den Aufenthalt im gesamten Schengen-Raum57 ein Nachweis abverlangt.58 Die dabei entgegen dem SGK verankerte finanzielle Gewährleistung auch für Unfall und Krankheit trifft als unnötige Erschwerung auf Kritik.59 Ob sich diese Hürde im Speziellen auch auf die Interessenabwägung im Hinblick auf eine binationale Partnerschaft rechtfertigt, ist fraglich. Art. 3 Abs. 3 VEV sieht Möglichkeiten vor, dass eine fis- kalische Sicherheit der anderen Art mittels Verpflichtungserklärung erbracht wer- den kann. Üblich sind in diesem Rahmen Garantieerklärungen des schweizeri- schen Teils als Gastgeberin, namentlich mittels Belegen von Auszügen des ei- genen Vermögens, für allfällig verursachte Kosten aufzukommen.60 Ziffernmäs- sig ist nach den Ergänzungen des SEM61 zur Garantie mit 30'000 SFr. für die Partnerin zu rechnen.62 Dabei wurde vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2014 festgehalten, dass dieser Vermögensgrundsatz nicht liquide zu sein hat bzw. den Umständen der Dauer des Aufenthalts anzupassen ist.63 Die Garantin hat dabei keinerlei höhere Anforderungen zu erfüllen, als durch die Einreisende selbst zu tragen wären.64 Bei (noch) verheirateten Personen ist weiter die 55 Vgl. PRIULI, Kommentar Art. 5 AIG, 84, Rn 3. 56 Siehe BGE 139 I 37 E. 3.2.1 S. 42 f. unter dem Vorbehalt der Unrechtmässigkeit bei der miss- bräuchlichen Erlangung des Visums mittels betrügerischer Art, BGE 139 I 37 E. 3.3.2 S. 43 f. 57 Art. 15 Abs. 1 VEV, wobei vor dem 15.8.2018 einzig der Aufenthalt in der Schweiz massgebend war. 58 Siehe auch SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 132. 59 PRIULI, Kommentar Art. 5 AIG, 85, Rn 4. 60 Vgl. SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 132. 61 Visahandbuch I mit SEM-Ergänzungen, Stand am 30. März 2019, Teil 2, SEM-Ergänzung 21, Ziff. 2.4. Als Download verfügbar unter: https://www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/rechts- grundlagen/weisungen/visa/bfm/vhb1-version-bfm-d.pdf (besucht am: 28. Februar 2021). 62 In diesem Zusammenhang sei nach der eigenen Erfahrung der Ratschlag geäussert, ungeach- tet der erwähnten finanziellen Absicherung/Wiederausreisegarantie nach SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 136 ff., zur Beschleunigung des Verfahrens ein Einladungsschreiben als Gast- geberin bzw. Partnerin aufzusetzen. Ausführungen zur Erstellung und Form desselben im Vi- sahandbuch I, Teil 2, SEM-Ergänzung 21, Ziff. 1, a.a.O. 63 Vgl. Urteil des BVGer C-5260/2014 vom 04. April 2014 E. 5.5. 64 Urteil des BVGer C-7174/2013 vom 28. August 2014 E. 7.5.
12 Zustimmung der Ehegattin zur Eingehung dieser unwiderruflichen65 Erklärung er- forderlich.66 Dass diese von der Partnerin abhängige Zustimmung in lebensnaher Auslegung heikel sein kann sowie die fiskalische Garantiestemmung67 bei Wei- tem nicht für alle Schweizerinnen möglich ist, werden als Problematiken später aufgegriffen. In der Praxis wird unter dem vorausgesetzten Nachweis der nichtbestehenden Gefahr für die Schweiz68 regelmässig Abs. 2, eine Sicherung der Wiederausreise, verstanden.69 Nach PRIULI gestaltet sich dieses Kriterium der «sich-wieder-aus- der-Schweiz-begebend»-Garantie als grösste Hürde zur Erlangung des Visums70 überaus willküranfällig.71 Er deckt auf, dass solch negative Begründungen zur entsprechenden Visaverweigerung in der Vergangenheit am häufigsten herange- zogen wurden.72 Diesen Fakt bestätigen auch die diversen für eine Wiederaus- reise negativbegründenden Indizien aus der Rechtsprechung.73 Namentlich spie- len dabei neben der wirtschaftlichen und politischen Situation im Heimatland74 die im Herkunftsland nicht bestehenden familiären Beziehungen, wie der Status ledig oder geschieden, eine entscheidende, indizierende Rolle. Letztere dienen gar dem genügenden Zweifel des Antritts der dem Besuch anschliessenden Aus- reise.75 Ein weiteres Indiz stellt die grundsätzliche Annahme des Migrationswun- sches bei der jüngeren Bevölkerung dar.76 Das Bundesverwaltungsgericht äus- serte sich bislang auch in direktem Zusammenhang mit binationalen Paaren mehrfach restriktiv.77 Die künftigen Auswirkungen solcher Hinweise auf 65 Art. 15 Abs. 2 VEV. 66 SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 132. 67 Immerhin ist solche Garantieerklärung auf den ganzen Schengen-Raum zeitlich limitiert, vgl. Visahandbuch I, Teil 2, SEM-Ergänzung 21, Ziff. 2.4, siehe Fn 70. 68 Vgl. die erwähnten lit. c und d des Art. 5 Abs. 1 AIG. 69 PRIULI, Kommentar Art. 5 AIG, 86, Rn 7, SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 134, Urteil des BVGer C-1094/2013 vom 17. Juni 2014 E. 4.4. 70 SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 136. 71 Vgl. die als Sicherung einer Wiederausreise nicht erfüllenden Indizien in der Auflistung SPE- SCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 136 f. 72 PRIULI, Kommentar Art. 5 AIG, 86 f., 90. 73 SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 137, inkl. der Veranschaulichung der beträchtlich kleineren Anzahl an positiven Hinweisen, wie dies die Einladung als Initiative des Gastgebers für den Besuch indiziere. 74 MÜLLER/SCHLEGEL/SCHNEIDER/ACHERMANN, 161. 75 Urteile des BVGer C-1094/2013 vom 17. Juni 2014 E. 5.4, C-6309/2013 vom 13. Mai 2014 E. 5.4. 76 So Urteil des BVGer C-1094/2013 vom 17. Juni 2014 E. 5.3.2. 77 So bspw. im Fall eines homosexuellen, schweiz-peruanischen Paares im Urteil des BVGer C- 5856/2013 vom 02. April 2014 E. 7.2.
13 binationale Partnerschaften sind unklar. Wünschenswert wäre eine Einzelfallbe- trachtung, womit voreilige Schlussziehungen verhindert werden. Zur Ergänzung erwähnt, bildet(e) das Corona-Virus neben all den anderen Aus- wirkungen auch für binationale Partnerschaften78 in jüngster Zeit diverse Prob- leme.79 In Anbetracht des Schwerpunkts und Umfangs dieser Arbeit wird diese juristische Ausnahme-Epoche80 weitergehend ausgeklammert. 1.2. Aufenthalt Während Ausländerinnen aus den EU/EFTA-Staaten ihre schweizerischen Part- nerinnen grundsätzlich uneingeschränkt häufig besuchen können,81 wird auch ein andauernder Aufenthalt regelmässig mit selbständiger Bewilligung stattfin- den.82 Anders gestaltet sich die Rechtslage bei Drittstaatsangehörigen, deren Aufenthalt83 nach erfolgter Einreise für den Besuch auf das Maximum von drei Monaten (90 d) innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten (180 d) beschränkt ist.84 In dieser Art ist ihre Anwesenheit weder anmeldungspflichtig85 noch bewilli- gungsgebunden.86 Ein mehrfaches Einreisen innerhalb von sechs Monaten bleibt möglich, solange die maximale Dauer der Anwesenheit von drei Monaten nicht ausgeschöpft ist.87 Staatsangehörige aus Drittstaaten haben demnach aufent- haltsrechtlich bei entsprechender Visum-Gewährung die Möglichkeit max. sechs Monate innert einem Jahr mit mind. einmonatigem Unterbruch88 bei ihrer 78 Siehe diesbezüglich den offenen Brief der Interessensgemeinschaft (IG) Binational an die Bun- desrätinnen Sommaruga und Keller-Sutter. Als PDF-Version abrufbar unter: https://ig-binatio- nal.ch/wp-content/uploads/2020/05/Offener-Brief-IG-Binational-Corona-Grenzschlies- sung.pdf (besucht am: 04. November 20). 79 Vgl. BR Mitteilung vom 16.03.2020, NZZ Binational-Corona wie auch die entschärfende Reak- tion bzgl. drittstaatsangehörigen Lebenspartnerinnen, BR Mitteilung vom 30.07.2020. 80 Bei Interesse sei an dieser Stelle auf die Erscheinung der sicherlich bereichernden Inputs die- ser Thematik in terra cognita 37 mit Erscheinungsdatum nach Abgabe der vorliegenden Arbeit verwiesen. 81 Vgl. Einreiserecht Art. 3 FZA sowie Art. 24 Anhang I FZA, welcher gar die Erteilung eines mind. fünf Jahre langen Aufenthalts bewilligt, sofern nach Abs. 1 ausreichend finanzielle Mittel (a i.V.m. Abs. 2) und entsprechender Krankenversicherungsschutz (b) vorliegen. 82 BASS, 32, sowie bspw. der sechsmonatige Aufenthalt zwecks Stellensuche nach Art. 2 Abs. 1 Anhang I FZA. 83 Zur dogmatischen Vervollständigung: In Fällen der befristeten Anwesenheit unter einem Jahr handelt es sich um sog. Kurzaufenthalte, UEBERSAX, 283, Rn 7.228. 84 Zur Bestimmung der Anzahl Tage des Aufenthalts findet sich in Art. 6 Abs. 2 SGK eine rech- nerische, zwischen kurz- und langfristigem Aufenthalt differenzierende, Festlegung. Siehe auch SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 142 mit Hinweis auf den sog. short-stay-calculator. 85 Vgl. UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 244, Rn 7.74. 86 Art. 10 Abs. 1 AIG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 VZAE. 87 Vgl. UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 249, Rn 7.92. 88 SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 142.
14 Partnerin in der Schweiz zu verweilen. Um den Alltag als Paar für eine längere, ununterbrochene Zeit zu erproben,89 ergibt sich als solche Möglichkeit trotz an- genommen bestehendem finanziellen Stemmen durch Ersparnisse, entgegen den FZA-Privilegierten, keinerlei Erleichterung für einen originären Aufenthalt ausländischer Partnerinnen. Art. 30 Abs. 1 AIG verankert die Möglichkeit von Abweichungen der Zulassungs- voraussetzungen. Obschon die Subsumtion bei lit. b für den Aufenthalt zur Vor- bereitung der Ehe eine zentrale Rolle spielt,90 wurde bislang keine erweiterte Auslegung auf die Phase vor dem Entschluss der Ehe vorgenommen. Diese Auf- fassung widerspiegelt sich in der Rechtsprechung. Bislang sind binationale Paare, die während eines Besuchsaufenthalts in der Schweiz ihre Partnerschaft erproben wollen, auf keinerlei Gehör zur privilegierenden Anpassung dieser Vo- raussetzungen gestossen.91 Gemäss SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI wurde in einem einzigen Fall der Besuchszweck der Prüfung der Beziehung als nachvoll- ziehbarer Beweggrund anerkannt.92 Nach PRIULI sollte solch befristeter Bezie- hungspflege im Lichte des Anspruchs aus der grundrechtlich verankerten Ach- tung des Privat- und Familienlebens ein deutlich dominierenderes Gewicht in der Interessenabwägung zukommen.93 Diese Ansicht ist zu stützen, wobei Grund- rechten durch ihre zugleich internationale Ratifizierung ein hoher Wert94 zu- kommt. ...über die «Liebe des Lebens»... 2. Entschluss zur gemeinsamen Zukunft Die geographische Distanz zwischen dem Liebespaar in Zusammenhang mit der restriktiven Zulassung ausländischer Staatsangehöriger des 2. Kreises bringt mit 89 Vorbehalten namentlich allfälliger Zulassung bei ausländischen Partnerinnen im Rentenalter, Art. 28 AIG sowie solchen, welche zwecks Aus- und Weiterbildung, Art. 27 AIG in die Schweiz kommen. In der Praxis dürften diese Varianten als binationales Paar in Betrachtung der Um- stände jedoch finanziell selten möglich sein und stellen auf Dauer auch keine sichere Lösung dar. 90 Vgl. Kap. III, 2.2.3. 91 Siehe PRIULI, 88, SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 140. 92 Dies im Urteil des BVGer F-2380/2015 vom 05. Oktober 2016 E. 8.4 f., SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 140. 93 PRIULI, Kommentar Art. 5 AIG, 89, Rn 10. 94 Siehe folgendes Kap. III, 2.
15 sich, dass sich frühzeitig95 Gedanken zu einer realistischen, gemeinsamen Zu- kunft gemacht werden. 2.1. In ausserrechtlicher Lebensgemeinschaft Fraglich ist, wie diesem Wunsch des Zusammenlebens in der Schweiz eines bi- nationalen Paars nachzukommen ist. 2.1.1. Internationale Ebene Auf internationaler Ebene hält die Anleitung der Rechtsprechung des EGMR di- vers fest, dass Art. 8 Ziff. 1 EMRK nicht «[…] solely to marriage based relation- ships […]» zu verstehen ist, sondern durchaus auch andere faktische Familien- banden miteinfasst («[…] may encompass other de facto «family ties» […]).96 Diese weite Auslegung des Familienbegriffs gemäss Art. 8 EMRK gilt auch für den bestehenden Art. 13 BV. So sind Konkubinatsverhältnisse regelmässig in der sozialen Realität einer herkömmlichen Kernfamilie entsprechend.97 Dieselbe Auffassung impliziert der Ausfluss der negativen Ehefreiheit.98 Entspre- chend sollte nach DIGGELMANN sachgerecht die aufenthaltsrechtliche Gleichbe- handlung des manifesten Bindungswillens der Partnerinnen in faktischen Le- bensgemeinschaften demjenigen von Eheleuten sichergestellt sein.99 Weiter besteht in Art. 17 UNO-Pakt II ein mit der EMRK vergleichbarer, nicht wei- ter reichender Schutz des Privat- und Familienlebens. Dessen Bedeutung ist ent- sprechend gering einzustufen.100 2.1.2. Nationale Ebene Das Bundesgericht hielt fest, dass zur Anerkennung eines grundsätzlich ge- schützten Familien- bzw. (eventualiter) Privatlebens, Art. 13 Abs. 1 BV, eine «nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung bzw. Lebensgemeinschaft erfor- derlich»101 ist. Als Anspruch auf Anwesenheit kommt dieser Grundlage bislang 95 Obschon die Umstände auch gegenteilig eine Verzögerung bewirken können, COLLET, 386. 96 EMRK-Guide, 67, Ziff. 285. 97 DIGGELMANN, BSK Art. 13 BV, Rn 18, vgl. auch bzgl. gleichgeschlechtlichen Paaren die Beru- fung auf Art. 8 EMRK, ACHERMANN/CARONI, 211, Rn 640. 98 Vgl. SCHWANDER/SPESCHA, 733, Rn 15.14, sowie anschliessendes Kap. III, 2.2.2. 99 Vgl. auch DIGGELMANN, BSK Art. 13 BV, Rn 17 mit Gleichbehandlungsgedanke gegenüber Ehepaaren in dauerhaften Konkubinaten, Urteil des BGer 2C_1035/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 5.1. 100 UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 259, Rn 7.129. 101 Siehe BGE 126 II 425 E. 4c bb S. 433.
16 Ausnahmecharakter zu.102 Dies obwohl deren Ableitung aus dem Schutz der Achtung des Privatlebens seit längerer Zeit in Betracht gezogen wird.103 Nach Analyse der bundesgerichtlichen Rechtsprechung durch DIGGELMANN be- stehen im Wesentlichen zwei Voraussetzungen. Die Auflage des seit Langem eheähnlichen Lebens der partnerschaftlichen Beziehung104 ergänzt die Forde- rung eines tatsächlichen Eingriffs ins Familienleben durch die Fernhaltemass- nahme.105 Nach der Praxis des Bundesgerichts wird dieser duale Katalog abge- schwächt, indem auch die öffentlichen Interessen einer restriktiven Einwande- rungspolitik mitzuberücksichtigen seien.106 Ein Anspruch auf die Bewilligung eines Aufenthalts von binationalen Konkubi- natspartnerinnen entsteht auch unter Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG,107 wobei dieser hohen Anforderungen unterliegt.108 Ohne Kinder hat das Paar kumulativ eine ge- festigte, auf Dauer ausgelegte Partnerschaft vorzuweisen. Sodann ist die Inten- sität der Partnerschaft mit zusätzlichen Faktoren zu belegen, namentlich mittels Konkubinatsvertrag, Unzumutbarkeit der Beziehung im Ausland sowie Unmög- lichkeit, diese im Rahmen der bewilligungsfreien Aufenthalte zu pflegen.109 Der migrationspolitischen Angst des Rechtsmissbrauchs wird in der Lehre mit anderen juristischen Regelungen entgegengekommen. Gemäss SCHWAN- DER/SPESCHA liegt die konstruktive Lösung künftig in der Voraussetzung des Zu- sammenlebens analog der Ehe. Der mit dieser Auflage einhergehende Preis der privatsphärischen Offenlegung dient dem Indiz für die Wahrhaftigkeit einer Part- nerschaft.110 Grundrechtlich scheint diese Opferung beachtlich, betrachtet man deren Schutzgewährung namentlich mit Geheimhaltungsprivileg vor dem Staat. Weiter sei eine Aufenthaltsbewilligung in diesem Sinne an Partnerinnen von Schweizerinnen zu erteilen, analog Art. 42 Abs. 1 AIG mit jeweiliger Verlängerung sowie entsprechendem Anspruch auf Niederlassungsbewilligung (C) Abs. 3,111 102 DIGGELMANN, BSK Art. 13 BV, Rn 12, wie auch die auserwählte Erwähnung in SPESCHA, Fa- mPra 2015, 149 f. zeigt. 103 UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 258, Rn 7.127. 104 SPESCHA, FamPra 2015, 149. 105 Siehe DIGGELMANN, BSK Art. 13 BV, Rn 20. 106 Siehe bspw. BGE 137 I 247 E. 4.1.2 S. 249. 107 Vgl. Ausführungen zu dieser Gesetzesbestimmung in Kap. III, 2.2.3. 108 SPESCHA, Kommentar Art. 30 AIG, 153, Rn 9. 109 Weisungen AIG, 90, Kap. 5.6.3. 110 SCHWANDER/SPESCHA, 734, Rn 15.16. 111 Vgl. a.a.O.
17 sofern der Nachweis einer faktischen Lebensgemeinschaft vollbracht wird bzw. die Führung einer entsprechenden Partnerschaft in der Schweiz aufgrund der Vorgeschichte glaubhaft ist. Diverse Autoren sprechen sich sodann gegen eine aufenthaltsverweigernde Rechtfertigung aus, welche begründet die Beziehung sei auch im Ausland lebbar.112 Mit dem Anspruch auf Anwesenheit113 besteht naturgegeben auch ein Anspruch auf Einreise.114 Dies hätte die Entschärfung der angesprochenen Härtefälle bei der Visumsverweigerung zur Folge. Zwar hat sich die Ausländerin mit Visum zwecks Tourismus im Regelfall für die Änderung zu einem Aufenthalt zwecks Partnerschaft nach Art. 17 Abs. 1 AIG wieder ins Ausland zu begeben, doch wäre bei der entsprechenden Darlegung der Partnerschaft (analog der Ehe) die An- wendung von Abs. 2 des nämlichen Artikels möglich.115 Dies aufgrund des Zwecks von Art. 17 Abs. 2 AIG, namentlich um prozessuale Leerläufe zu vermei- den.116 Als Öffnung hätte dies zur Folge, dass ein Aufenthaltsverbleib durch die offensichtliche Erfüllung dieser neuen Art der Zulassungsvoraussetzung117 mög- lich würde. Die Betrachtung der Tendenz des EGMR, private Interessen i.S.v. Art. 8 Ziff. 2 EMRK stärker zu gewichten,118 zeigt, dass Menschenrechte nicht leere Verspre- chen sein müssen,119 sondern in grenzüberschreitenden Beziehungen zuneh- mend zu Lasten einwanderungspolitischer Souveränitätsansprüche wirksam werden können. Diese Sicht könnte durch die bundesgerichtliche Rechtspre- chung mit den schützenswerten Interessen von Ehegattinnen in der Schweiz künftig gleichgesetzt und übernommen werden. 112 SCHWANDER/SPESCHA, 738, Rn 15.23. 113 Zum Verbleiberecht eines Argentiniers nach Auflösung des Konkubinats aufgrund Art. 8 EMRK, vgl. Urteil des BGer 2C_105/2017 vom 08. Mai 2018, sowie Ausführungen in SPESCHA, FamPra 2019, 134 ff. 114 UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, 242, Rn 7.66. 115 Als Umweg ohnehin in Frage zu stellen nach NGUYEN, Kommentar zu Art. 17 LEtr (AIG), 125, Ziff. 21. 116 Vgl. SPESCHA, FamPra 2013, 974. 117 Analog dem Anspruch aus Art. 42 Abs. 1 AIG. 118 Vgl. Feststellung nach DIGGELMANN, BSK Art. 13 BV, Rn 17 f., wie auch SCHWANDER/SPESCHA, 738, Rn 15.23. 119 Vgl. SPESCHA, Hoffen und Bangen, 87.
18 2.2. In rechtlicher Lebensgemeinschaft Erwiesenermassen ist die Politik der Zulassung in der Schweiz tendenziell rest- riktiv ausgefallen. Infolgedessen stellt das Eingehen der rechtlich verankerten Ehe die meist effiziente und sicherste Möglichkeit dar,120 eine ausländerrechtlich tangierte Lebensgemeinschaft aufzubauen. In den verbleibenden juristischen Ausführungen liegt der Fokus entsprechend auf dieser Variante der binationalen Partnerschaft mit Drittstaatsangehörigen. 2.2.1. Internationale Ebene Auf internationaler Ebene in Art. 12 EMRK sowie Art. 23 (Abs. 2)121 UNO-Pakt II verankert, ist das Recht auf Ehe ein höchstpersönliches,122 justiziables123 Indivi- dualrecht.124 Die Auslegung des Ehebegriffs erfolgt weit. Dementsprechend kann ein rein religiös heiratendes (binationales) Paar nach der Rechtsprechung des EGMR trotz unterbleibender Anerkennung des Staates in den Schutzbereich des Familienlebens im Sinne von Artikel 8 Ziff. 1 EMRK125 fallen.126 Als Recht von «Frauen und Männern» bezeichnet, untersteht diesem Grundsatz jedes Individuum.127 Die Unterstellung gilt ungeachtet der Herkunft und Aufent- haltsbewilligung einer Person.128 Analog steht deren ausfliessender Anspruch zur Schliessung der Ehe und der damit eingehenden Gründung einer (zweiköpfi- gen)129 Familie allen Menschen zu.130 Nach der Rechtsprechung des EGMR wird diese Grundrechtsausübung (noch) alleinig auf verschieden-geschlechtliche Partnerschaften ausgelegt131 und beschränkt. Daraus resultierend dürfen hinge- gen, ohne dass sie in gesetzlich vorgesehenen Schranken verhältnismässig und 120 Siehe auch COLLET, 387, inkl. Ausweitung auf Europa. 121 Als solches dem non-self-executing entspringenden Art. 16 Ziff. 1 der UN-Menschenrechtser- klärung von 1945 entstammend. 122 AEBI-MÜLLER/HAUSHEER/GEISER, 7, Rn 01.17. 123 Zu diesem Schluss der unmittelbaren Anwendbarkeit vgl. auch MONTISANO, 3, Rn 6. 124 KIENER/KÄLIN/WYTTENBACH, 190, Rn 3. 125 Vgl. Kap. III, 2.1.1. 126 EMRK-Guide, 67, Ziff. 286. 127 Siehe binäre Geschlechtstheorie, Kap. IV, 1.1. 128 Vgl. KÄLIN/KÜNZLI , 490, Rn 12.86. 129 Vgl. dazu die Praxis der Ausstellung des sog. Familienausweises beim Eheschluss (früher alias Familienbüchlein), wobei dessen Erwähnung in der ZStV zu unterbleiben scheint. 130 Siehe ergänzend zum unbestimmten Begriff der Familie, AEBI-MÜLLER/HAUSHEER/GEISER, 1 f. 131 So u.a. Urteil des EGMR Schalk and Kopf v. Austria vom 24. Juni 2010, Ziff. 49 ff. wie auch Hämäläinen v. Finland vom 16. Juli 2014, Ziff. 96, wobei im Ersteren vom EGMR die Äusse- rung stammt, dass «Art. 12 nicht unbedingt auf die Eheschliessung zwischen Personen unter- schiedlichen Geschlechts beschränkt ist».
19 willkürfrei gewährleistet werden, keinerlei Einschränkungen der Eheschliessung zwischen verschiedenen Ethnien stattfinden.132 Für binationale Paare gewährt diese international verankerte Auffassung namentlich das Recht, die Partnerin ungeachtet ihres Herkunftslandes nach den allgemeinen Voraussetzungen im schweizerischen Recht133 heiraten zu dürfen. Ergänzend erfordert sodann Art. 23 UNO-Pakt II ab dem heiratsfähigen Alter die Ehe eingehen zu können. Die Schweiz definiert diesen Zeitpunkt mit der Vollen- dung des 18. Lebensjahres, Art. 94 Abs. 1 ZGB.134 Dass dennoch auch auf inter- nationaler Grundlage implizite Schranken wie bspw. eine gewisse Urteilsfähigkeit als Voraussetzung135 bestehen, gilt in der Lehre als unbestritten.136 2.2.2. Nationale Ebene: Verfassung Der Kerngehalt der Ehefreiheit scheint als solcher noch nicht gefestigt.137 Als Grundrecht national in Art. 14 BV verankert, sieht der positive Gehalt der Freiheit zur Ehe deren Eingang mit einer selbst gewählten Partnerin des anderen Ge- schlechts138 vor,139 sowie den Schutz der Abschaffung der Ehe als Institut durch den Staat.140 Subsumiert bedeutet dies in Anbetracht der Ausgangslage dieser Arbeit, dass jede weibliche, schweizerische Staatsangehörige mit jeglichem aus einem Drittstaat stammenden Mann zum Eheschluss berechtigt ist. Analoges gilt für denselben Willen eines Schweizers, der seine, dem 2. Kreis angehörende, weibliche Partnerin heiraten möchte. Eherechtliche Hindernisse nach ZGB blei- ben stets vorbehalten. Dahingegen befasst sich die negative Freiheit dieses Menschenrechts141 mit der Möglichkeit, von einer ehelichen Bindung abzusehen, wie auch der historisch er- wachsenen Statuierung des Verbots einer Zwangsheirat.142 Letztere ist 132 So bspw. Urteil des EGMR Frasik v. Poland vom 05. Januar 2010, Ziff. 90. 133 Art. 94 ff. ZGB. 134 Zur rechtsvergleichenden Darstellung des Heiratsalters, vgl. BÜCHLER/GORA, FamPra 2011, 98 f. 135 Welche nicht allzu hohe Anforderungen mit sich bringen darf, vgl. BGE 109 II 273 E. 3 S. 277. 136 Siehe KÄLIN/KÜNZLI, 491, Rn 12.89. 137 Vgl. MONTISANO, 8, Rn 15. 138 Nach BGE 119 II 264 E. 4b S. 267, abermals bestätigt in BGE 126 II 425 E. 4bb S. 432. 139 So wurde die Schweiz u.a. in den 90er Jahren durch den EGMR gerügt, ein vorläufiges Verbot des Eheschlusses für einen mehrmalig Geschiedenen zu verhängen, Urteil des EGMR F. v. Switzerland vom 18. Dezember 1987, Ziff. 33 - 40. 140 MÜLLER/SCHEFER, 229. 141 BGE 137 I 351 E. 3.5 S. 356 ff. mit Verweisen. 142 UEBERSAX, BSK Art. 14 BV, Rn 12.
20 namentlich in Art. 16 Ziff. 1 lit. b CEDAW wiederum international verankert.143 Dass es sich durch die migrationsrechtlichen Umstände zur Erfüllung des er- wünschten Zusammenlebens im Vorliegenden faktisch um einen Zwang zur Ehe handelt, wird in der Literatur erkannt und kritisiert.144 Für binationale Partnerschaften mit entsprechend oft primär zweckmässigem Be- dürfnis des verfrühten Eheschlusses,145 ist es dem schweizerischen Rechtsstaat durch diese rechtlichen, nationalen und international-ratifizierten Grundlagen mehrfach verwehrt, allfällige Verbote solcher mixed Ehen einzuführen.146 2.2.3. Nationale Ebene: Bundesgesetzgebung, inkl. Verordnungen Den obigen Ausführungen der Freiheit entgegensprechend ist 2008 mit Art. 97a Abs. 1 ZGB147 eine erste kritisierte148 migrationspolitische Hürde in Kraft getre- ten.149 Als neues Ehehindernis150 tritt die Zivilstandsbeamtin trotz dem Vorliegen der nachfolgend beschriebenen Voraussetzungen auf das Gesuch des Ehe- schlusses151 nicht ein. Dies vor dem Hintergrund, dass eine solche Gesuchstel- lung offensichtlich dem Zweck einer sog. Scheinehe (frz. mariage fictif),152 als ausländerrechtliches Umgehungsgeschäft,153 entspricht.154 Das Bundesgericht konkretisiert die «keinesfalls leichtfertig anzunehmende» Scheinehe155 in diver- sen Urteilen.156 Es sei eine Scheinehe erst anzunehmen, wenn der Eheschluss 143 Siehe auch KIENER/KÄLIN/WYTTENBACH, 193, Rn 13 ff., MÜLLER/SCHEFER, 225. 144 UEBERSAX, BSK Art. 14 BV, Rn 35, MONTISANO, 17, Rn 35, PRIULI, 88, SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, 140, GEISER, 104. 145 So sieht bspw. GEISER a.a.O. einen möglichen Druck zur Ehe aufgrund von administrativen Zwängen. 146 Vgl. auch staatliche Schutz- und Leistungspflicht, UEBERSAX, BSK Art. 14 BV, Rn 20, 24, SPE- SCHA, Kommentar Art. 97a ZGB, 1003, Rn 5. 147 Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (Stand am 1. Januar 2021), SR 210: «Die Zivil- standsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte tritt auf das Gesuch nicht ein, wenn die Braut oder der Bräutigam offensichtlich keine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Bestimmun- gen über Zulassung und Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern umgehen will». 148 Siehe FANKHAUSER/WÜSCHER, FamPra 2008, 770 unter Aufnahme der Kritik derjenigen Rechtsanwenderinnen. 149 Zur Entstehung der Rechtsfigur Scheinehe, KEMPE, 40 ff. 150 So FANKHAUSER/WÜSCHER, FamPra 2008, 752. 151 Inhalt und Zweck des Vorbereitungsgesuchs vgl. Art. 99 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB. 152 CANEVASCINI, 78. 153 Als Verweigerungsgrundlage selbst kurz vor dem Trauungsakt noch möglich, vgl. SPESCHA, Kommentar Art. 97a ZGB, 1004, Rn 11. 154 Vgl. KEMPE, 112 f., SPESCHA, Kommentar Art. 97a ZGB, 1000, Rn 1, AEBI-MÜLLER/HAUS- HEER/GEISER, 58, Rn 05.12. 155 Soweit ersichtlich erfolgte die erste Befassung bzgl. der Anwendung von Art. 97a ZGB im Urteil des BGer 5A_30/2014 vom 15. April 2014, vgl. SPESCHA, FamPra 2015, 138. 156 Siehe Indizien-Auflistung im Urteil des BGer 2C_574/2019 vom 09. Dezember 2019 E. 6.1.
21 alleinig erfolgte, um die ausländerrechtlichen Bestimmungen zu umgehen.157 Na- mentlich sei dies gegeben, sofern zumindest die eine Ehegattin nie eine dauer- hafte Lebensgemeinschaft begründen wollte. Dabei ist stets auf den Willen zur Zeit des Eheschlusses abzustellen.158 Hingegen liege im Falle, dass eine Le- bensgemeinschaft wirklich gewollt ist, selbst dann kein ausländerrechtlicher Um- gehungstatbestand vor, wenn dieser Eheschliessung ein ausländerrechtliches Motiv zugrunde liegt.159 Dieser Auffassung des Bundesgerichts nach erscheint ein binationales, emotio- nal verbundenes Paar keinerlei Restriktionen befürchten zu müssen. Da dieser Wille jedoch nicht von aussen erkennbar ist und sich daher im Regelfall dem di- rekten Beweis entzieht,160 haben sich in der Rechtsprechung vielfältige Indizien etabliert.161 Dem binationalen Paar ist infolgedessen bereits vor Einreichung des Gesuchs zur Ehevorbereitung geraten, allfällige Hinweise zu solch rechtsgespro- chenen Indizien zu umgehen162 und bestenfalls163 zu beseitigen.164 Andernfalls ist bei Anzeichen bzw. begründeten Hinweisen mit teils weitgreifenden Untersu- chungen zu rechnen, Art. 97a Abs. 2 AIG analog, unter allfälliger Hinzuziehung der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht.165 Als neutraler Grundcharakter der liberalen Ehefreiheit widerspricht es, die Gültig- keit der Heirat von einem bestimmten Motiv abhängig zu machen.166 Nach allge- meiner Lebenserfahrung wird nicht nur aus Liebe geheiratet, sondern aus den diversesten Gründen,167 namentlich finanzieller, standesgemässer, religiöser, moralischer oder sexueller Art. Historisch hält CANEVASCINI fest: «les mariages 157 Urteil des BGer 2C_177/2017 vom 20. Juni 2017 E. 2.1, vgl. dazu auch Ausführungen SPE- SCHA, FamPra 2018, 149, Urteil des BGer 2C_1055/2015 vom 16. Juni 2016 E. 2.2 wie auch Urteil des BGer 2C_75/2013 vom 28. August 2013 E. 3.1. 158 Siehe Ausführungen zu BGE 121 II 1 seitens BRYNER, 1396, N 27.32. 159 SPESCHA, Kommentar Art. 97a ZGB, 1000, Rn 2. Entgegen dieser Zurückhaltung Urteil des BGer 2C_1008/2015 vom 20. Juni 2016 E. 4.5. 160 Urteil des BGer 5A_30/2014 vom 15. April 2014 E. 3.4. 161 Zusammenfassung der Indizien für eine Scheinehe nach Rechtsprechung des BGer in KEMPE, 92 ff., vgl. auch fallspezifische Auflistung im Urteil des BGer 2C_328/2017 vom 24. August 2017 E. 2.2. 162 Bspw. mittels Aufklärung der Familiengeschichte der anderen Ehegattin im Falle der noch mangelnden Kenntnis. 163 Bspw. mittels Nachweis noch zu besuchender Sprachkurse zum ersten Erlernen der gegen- seitigen Sprache. 164 Vgl. die Erwähnung im Urteil des BGer 2C_1008/2015 vom 20. Juni 2016 E. 3.3 bzgl. der Darlegung des Ehewillens in der Beziehung zum Trotz der allgemeinen Hinweise. 165 Art. 90 AIG. 166 UEBERSAX, BSK Art. 14 BV, Rn 27. 167 Siehe COLLET, 389, SPESCHA, Kommentar Art. 97a ZGB, 1002, Rn 4.
22 d’intérêt ont toujours existé».168 Demnach sieht das Recht keine lauteren oder unlauteren Heiratsmotive vor, solange die entsprechende Gemeinschaft tatsäch- lich gelebt und gewollt ist.169 Korrekte Rechtsfolgen wären nach UEBERSAX bei einer offensichtlich und zweifelsfrei nachgewiesenen Scheinehe sodann nicht die Ungültigkeit der Ehe als solche sondern deren privilegierte Stellung im Migrati- onsrecht.170 Letztendlich führt in diesem Zusammenhang die nachrangig seit dem 1.1.2011 in Kraft getretene Voraussetzung des Art. 98 Abs. 4 ZGB171 zu weiterer Kritik172 in der Lehre.173 Als sog. Lex Brunner174 setzt der Wortlaut voraus, dass die heirats- willige, ausländische Person vor dem Zivilstandsamt ihren rechtmässigen Auf- enthalt nachzuweisen hat. Dies erfüllt die Ausländerin, vgl. Kap. III, 1.1., wenn sie gemäss Art. 5 AIG i.V.m. Art. 6 SGK gerechtfertigt eingereist ist. Ebenfalls ist die kantonal auszustellende Bewilligung mitsamt Aufenthaltszweck, Art. 10 Abs. 2 AIG, vorzuweisen.175 Bei einem Verstoss gegen diese Vorschrift, dito bei kei- nerlei gültigen Aufenthaltspapieren, untersteht das mit dem Vorbereitungsverfah- ren anvertraute Zivilstandsamt der Pflicht,176 diejenigen Personendaten dem Mig- rationsamt weiterzuleiten. Personen ohne rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz können gemäss dieser Regelung nicht am Vorbereitungsverfahren teil- nehmen und demzufolge nicht heiraten.177 Dieser Fokus auf die Strategien der Migrationspolitik im Rahmen des Vorbereitungsverfahrens einer Heirat gilt es in Frage zu stellen.178 Ebenfalls stellt sich aus nämlicher Bestimmung die Tatsache, 168 CANEVASCINI, 80. 169 HUGI YAR, 33. 170 UEBERSAX, BSK Art. 14 BV, Rn 27. M.w.H. CANEVASCINI, 80, welcher die Beurteilung einer solchen künftig nach der Heirat als zielführend sieht. 171 Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (Stand am 1. Januar 2021), SR 210: «Verlobte, die nicht Schweizerbürgerinnen oder Schweizerbürger sind, müssen während des Vorbereitungs- verfahrens ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen». 172 Wohl gegenteiliger Meinung der EGMR, welcher zumindest bzgl. England solche Vorausset- zung bisher als vertretbar eingestuft hat, Urteil des EGMR O‘ Donoghue and Others v. The United Kingdom vom 14. Dezember 2010, Ziff. 83 und 87. 173 Vgl. Ausführungen GASSNER/JENNY/MAJID, 216, MATTHEY, 77, wie auch die Äusserung in der anfänglichen Rechtsprechung, BGE 138 I 41 E. 2.3. 174 Namensgebung durch den die Teilrevision lancierenden SVP-Nationalrat Toni Brunner, vgl. GASSNER/JENNY/MAJID, 216. 175 Unter Vorbehalt der in Kap. III, 1.2. erläuterten Ausnahme in Form vom befristeten Besuch, bei welchem die AusländerIn von einer solchen Anwesenheitsbewilligung gesetzlich dispen- siert wird, Art. 10 Abs. 1 AIG. 176 Art. 67 Abs. 5 ZStV. 177 Art. 97 Abs. 1 ZGB verankert das zeitlich vorgehende Vorbereitungsverfahren als Grundsatz. 178 NEVES, 781 ff.
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