GUK - FINDEN, BEGLEITEN UND SICHERN KÜNSTLERISCHER ARBEITSPLÄTZE - SPRACHVERSTEHEN - DS-INFOCENTER
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Nr. 82 I Mai 2016 ISSN 1430-0427 GuK – Mit Händen sprechen Rückblick auf 30 Jahre Down-Syndrom Finden, Begleiten und Sichern künstlerischer Arbeitsplätze Sprachverstehen bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom Pflegegrade ab 2017
g EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, es ist ein sonnig-frischer Tag, an dem diese Zeilen entstehen. Bis Sie die Mai-Ausgabe der Leben mit Down-Syndrom in Ihrem Briefkasten finden, dauert es noch fast fünf Wochen. Nun sind die Seiten, wie gewohnt, für Sie gefüllt und wir hoffen – jede und jeder entdeckt darin interessante Ansatzpunkte oder einen Artikel, in dem man die eigenen Erfahrungen wiederfindet. Mir persönlich gehen Gedanken, die Cora Halder in ihrem „Rückblick auf 30 Jahre Down-Syndrom“ zusammengefasst hat, sehr nahe. Diejenigen unter Ihnen, deren er- wachsene Kinder mindestens so alt oder älter sind, werden bei der Lektüre staunend auf die drei Jahrzehnte zurückblicken. Die neuen Generationen haben Gelegenheit, die nachgezeichneten Entwicklungen „auf einen Blick“ zu erfahren. In vielen Beratungsgesprächen hören wir: „Was für ein Glück, dass unser Kind heu- te so viele Möglichkeiten hat. Früher hat es das so nicht gegeben.“ Dass Familien und Menschen mit Down-Syndrom heute im Vergleich zu damals mehr Möglichkeiten der Förderung und Teilhabe zur Verfügung stehen, verdanken wir der Generation von Eltern, die wie Cora Halder gekämpft haben – für bessere Chancen ihrer Kinder in der Gesellschaft. Im Rahmen unserer diesjährigen Fachtagung „Übergänge gestal- ten“ würdigen wir das Lebenswerk von Cora Halder, in gewisser Weise auch stellver- tretend für viele viele Eltern. Mehr darüber und Fachartikel zu Themen aus dieser Tagung erfahren Sie in der nächsten Ausgabe. In dieser Nummer 82 warten auf Sie Neuigkeiten über GuK, über das Thema „Sprache und Sprachverstehen von Kindern und Jugendlichen mit Down- Syndrom“ (Forschungs-Ergebnisse einer Studie der Universität Köln, die sich mit Grammatikverständnis befassen) oder ein ausführlicher Artikel, in dem das „Finden, Begleiten und Sichern künstlerischer Arbeitsplätze“ für Personen mit Trisomie 21 thematisiert wird und impulsgebend für die aktive Suche nach einem geeigneten Job sein kann. Natürlich blicken wir auf den WDST 2016 sowie auf das zehnjährige Jubiläum der DS-Sprechstunde in der Cnopf’schen Kinderklinik Nürnberg und berichten über die Ausgabe unseres Geschwister-Buchs „Einfach Sontje“ in Französisch, das Familien in Belgien oder Frankreich seit März unter dem Titel „Lucie, tout simplement“ lesen. Wie immer enthält das Heft Erfahrungsberichte. Ich stelle mir vor – manche von Ih- nen blättern auf diesen Seiten besonders gerne und beginnen damit überhaupt die Lektüre der aktuellen Zeitschrift. Der Erfahrungsschatz ist unverzichtbar und sehr kostbar. Das Teilen von „Erfolgen“ und die Freude über die kleinsten Entwicklungs- Fortschritte gehen manchmal Hand in Hand mit dem Zweifeln an eigenen Erwartun- gen an sich als Eltern. Sehr mutig verfährt damit Amelie Mahlstedt in ihrem Erfah- rungsbericht. Alle Achtung vor Ihnen allen – Eltern, Großeltern und Geschwistern – und Ihrer täglichen, liebevollen und selbstverständlichen Leistung! Herzlich grüßt Sie gemeinsam mit den Team-Kolleginnen Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016 3
g I N H A LT Die „Kleinen“ und die „Großen“ – ihnen allen ist jede Zeile in dieser Zeitschrift gewidmet! Neues aus dem DS-InfoCenter 6 Zehn Jahre DS-Sprechstunde 7 Von „Einfach Sontje“ zu „Lucie, tout simplement“ 8 Junge Erwachsene und ihre Pressemeldung 9 WDST 2016 – Auszeichnung für eine gute Beratung Selbsthilfe 10 Rückblick auf 30 Jahre Down-Syndrom Sprache 18 Gebärden-unterstützte Kommunikation 24 Mit Händen sprechen In der DS-Sprechstunde fühlen sich die Kinder Wissenschaft wohl 27 Sprachverstehen bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom 33 Sozial-emotionale Kompetenzen von Kleinkindern Die Orthopädin Ruth mit Down-Syndrom aus Elternsicht Kamping hilft und berät in der DS-Sprechstunde Medizin 37 Orthopädische DS-Sprechstunde in Hannover 40 Gelenkerkrankungen beim Down-Syndrom Therapie 44 „Starke Kinds durch Pferdestärken“ – Therapeutisches Reiten TITELBILD: Helen Faustmann, fünf Jahre Foto: Michaela Hilgner 4 Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016
g I N H A LT Inklusion/Schule 49 Wenn die „Chemie“ stimmt 50 Antwort auf „Wenn die ‚Chemie‘ stimmt“ Arbeit/Erwachsene 52 Finden, Begleiten und Sichern künstlerischer Arbeitsplätze 59 Mehr Selbstbewusstsein, weniger Empfindlichkeit Recht 61 Pflegestufen heißen ab 2017 Pflegegrade – Was ändert sich? Erfahrungsbericht 62 „So wie du bist“ 64 Wenke ist ein Teil der Gemeinschaft – von Anfang an 67 Skiwoche in Eschach 72 „Wir sind ein gutes Team, gell Omi?“ Nicht nur Lola hat Publikationen während der Ski 76 Vorstellung neuer Bücher, Broschüren etc. woche viel gelernt! 78 Leserpost Cedric mit seiner Omi 80 Veranstaltungen 81 Vorschau/Impressum Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016 5
down-syndrom infocenter X d e u t s c h e s Neues aus dem DS-InfoCenter ... Zehn Jahre DS-Sprechstunde in der Cnopf‘schen Kinderklinik Nürnberg Wir sind auch sehr froh über das seit zehn Jahren etablierte und engagierte Team: Dr. Gerhard Hammersen, Physiotherapeutin Barbara Lohmann, die Logopä- dinnen Sabine Homer-Schmidt und Carmen Barth. Ihre Fach- kenntnisse und auch ihr herzliches Interes- Z ehn Jahre DS-Sprechstunde ist uns ein freudiger Anlass, zurückzublicken. Wenn wir bedenken, dass vor zehn Jahren se kamen den über 500 kleinen Mädchen und Jungen mit Down-Syndrom zugute, die bislang unsere DS-Sprechstunde ein- noch keine einzige Spezial- Sprechstunde oder zweimal besucht haben. Manche von für kleine Kinder mit Down-Syndrom in ihnen hatten einen langen Anreiseweg, Deutschland existiert hat, haben wir alle ei- weil die Beratung interessierte Familien er- nen Grund zur Freude und zum Dankbar- reichen will, unabhängig von ihrem Wohn- Sein. ort. Natürlich wurden Kinder mit Trisomie Möglich ist all das auch, weil sich Eltern 21 auch früher, etwa seit Ende der 60er-Jah- finanziell an der DS-Sprechstunde beteili- re, medizinisch und sozialtherapeutisch an gen und sie regelmäßig von Spenderinnen den sogenannten Sozialpädiatrischen Zen und Spendern wohlwollend bedacht wird. tren (SPZ) deutschlandweit betreut und ge- Danke an dieser Stelle dafür! fördert. Zum Beispiel in Paderborn setz- Seit der Gründung der DS-Sprechstun- te sich der Kinder- und Jugendmediziner de in der Cnopf ’schen Kinderklinik sind er- Dr. Wolfgang Storm nach der Geburt seines freulicherweise auch in anderen Bundeslän- Sohnes in den 80er-Jahren für die gesund- dern weitere entstanden. Eine Übersicht ist heitliche Vorsorge bei Kindern mit Down- auf unserer Webseite zu finden. Wir stehen Syndrom ein. Den Bedarf einer „Extra-Am- miteinander in regelmäßigem Austausch. bulanz“ für die Kleinen sah tvon Beginn an Ein ganz wichtiges Ergebnis der jährlichen Cora Halder, die langjährige Geschäftsfüh- Treffen mit Ärztinnen und Ärzten sind die rerin des DS-InfoCenters, zumal sie auch medizinischen DS-Leitlinien. In diesem solche Ambulanzen und ihre hervorragen- Jahr werden sie online veröffentlicht (www. de Arbeit aus dem europäischen Ausland awmf.de) und in Leben mit Down-Syndrom kannte. haben wir einen Abdruck einzelner Passa- Und so startete 2000 eine erste Down- gen bereits angekündigt. Bald ist es soweit! Syndrom-Sprechstunde für Kinder von „Zehn Jahre DS-Sprechstunde in der Von oben links nach rechts unten im Bild null bis vier Jahren auf den Tag genau am Cnopf 'schen Kinderklinik“ stimmt uns zu- Dr. Hammersen mit Millie und ihrer Mama, 21. März in der Cnopf ’schen Kinderklinik versichtlich, weil sich die medizinische Ver- Klara mit ihrem Papa und Frau Lohmann, Eva, Nürnberg. Möglich wurde das – und ist es sorgung von Kindern mit Down-Syndrom ihr Papa und Frau Homer-Schmidt, Luca mit weiterhin – dank der Gastfreundschaft der – ebenfalls dank der anderen DS-Ambulan- seinen Eltern und Elzbieta Szczebak Klinikleitung, weil wir die Räume einmal zen und Beratung an SPZs – deutlich ver- im Monat nutzen dürfen und auf das kom- bessert hat und weiterhin profiliert. Dass Die Aufnahmen wurden während der petente, hilfsbereite Krankenschwester- dies auch für Erwachsene gilt, muss uns al- DS-Sprechstunde im Februar 2016 gemacht. Team vor Ort zählen können. len ein ernstes Ziel sein. 6 Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016
Von „Einfach Sontje“ zu „Lucie, tout simplement“ Sontje? Lucie? Beides richtig! „Unsere“ Sontje trägt einen zweiten Vornamen, nämlich Lucia, und das war hilfreich für die Übersetzung des Kinderbuchs „Einfach Sontje“, das wir 2014 heraus gebracht haben. Das Fotobuch für Ge- schwister und alle, die in Bildern und kurzen Texten den Alltag von Sontje und ihrer Familie kennenlernen möch- ten, liegt jetzt in Französisch vor. Wie es dazu kam, darüber berichtet Familie Teutsch aus Brüssel. W ir leben seit fast 15 Jahren in Belgi- en und sind seit elf Jahren Eltern ei- nes Kindes mit Down-Syndrom. Unsere Lena mit dem Buch „Einfach Sontje“ und seiner französischen Übersetzung „Lucie, tout simplement“ Tochter Lena geht mittlerweile in die fünf- te Klasse einer französischsprachigen Re- und die eigentlich ihr ganzes Leben Kind nur schwer auszusprechen ist, durften wir gelschule in Brüssel. Nicht ganz selbstver- bleiben werden. Ein toller Film wie „Am nach Rücksprache mit Sontjes Familie den ständlich, denn Belgien hinkt Deutschland, achten Tag“ mit Pascal Duquenne hat das Namen für die hiesige Version in „Lucie“ was Inklusion betrifft, doch um einige Jahre auch nicht ausreichend ändern können. ändern – Lucia trägt Sontje übrigens tat- hinterher. Sehr viele praktische Erfahrun- Nun schauen wir uns, auch wenn wir sächlich als zweiten Namen. Die franzö- gen gibt es bislang nicht und viele Diskus- schon lange in Belgien leben, regelmäßig sische Version des Buches heißt nun also sionen drehen sich noch darum, OB In- an, was das Deutsche DS-InfoCenter an In- „Lucie, tout simplement“. klusion überhaupt gut ist, bevor man dazu formationen, Anregungen, Materialien an- Die Freude war groß, als das fertige übergeht zu diskutieren, WIE Inklusion gut bietet. Zugegeben: Da werden wir manch- Buch Mitte März in Belgien angekommen gelingen kann. Zum Glück gibt es auch hier mal fast grün vor Neid. war, und dass es nun über „Inclusion asbl“ viele engagierte Eltern, Ärzte, Therapeuten Als beim DS-InfoCenter „Einfach Sont- verkauft wird – das erste Mal übrigens bei und Lehrer, die das anders sehen. Aber es je“ erschien, fanden wir das Buch mit der der jährlichen Tagung der hiesigen Selbst- ist doch noch einiges an Aufklärungsarbeit so ganz alltäglichen Geschichte der dreijäh- hilfevereine und Universitätskliniken mit zu leisten. rigen Sontje, mit den ansprechenden Fotos Down-Syndrom-Sprechstunde. Auf der Suche nach Kinderliteratur zum aus dem Leben der Familie Biermann, so- Einen ganz herzlichen Dank an alle, die Thema – um beispielsweise im Kindergar- fort so überzeugend, dass wir uns fragten: an der Realisierung dieses Projektes mitge- ten oder in der Schule zu sensibilisieren – „Einfach Sontje“ müsste es doch auch auf wirkt haben! sind wir im französischsprachigen Raum Französisch geben können – oder? Annette, Lena und Michael Teutsch nie wirklich fündig geworden. Hier wird Vom DS-InfoCenter kam für dieses Vor- in Kinderbüchern meist ein Bild von Kin- haben rasch grünes Licht. Und „Inclusion Unsere Freude ist auch groß. Wir wün- dern mit Down-Syndrom gemalt, das einer asbl“, der französischsprachige Selbsthilfe- schen „Lucie, tout simplement“ einen Begegnung auf Augenhöhe nicht unbedingt verein in Belgien, war ebenfalls schnell mit großen und stets wachsenden Leserkreis zuträglich ist: Kinder mit Down-Syndrom dabei. Mit vereinten Kräften wurde „Ein- im französischsprachigen Raum! sind da niedliche kleine Wesen, zu denen es fach Sontje“ also ins Französische übersetzt, nett zu sein gilt, weil sie benachteiligt sind, und da „Sontje“ für Französischsprachler Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016 7
d e u t s c h e s down-syndrom infocenter X Junge Erwachsene gestalten unsere Neues aus dem DS-InfoCenter ... X Pressemeldung ! zum WDST 2016 mit ! ! ! E ! ! s ist eine Selbstverständlichkeit und ! d e u t s c h down-synd e s seit Jahren fortgeführte Tradition, ! infocent m ro die Presse mit einem Pressetext zum ! ! er Welt-Down-Syndrom-Tag zu informieren. Ham me rhö he 3 PR ES SE M IT TE 912 07 Lau f Die Inhalte sind davon bestimmt, was sich ! Tel. +49 912 3 IL U N G Fax +49 912 3 982121 als aktuelles Thema anbietet. Die Presse- 982122 e-m ail: ds.i nfo Am 21.3. ist W ww w.d s-in foc cen ter@ t-o nlin e.d e meldung des DS-InfoCenters wird an ver- elt-Down-Synd ent er.d e „Hallo Gesells rom-Tag schiedenen Orten in Deutschland an die chaft – Das is Erwachsene m t uns wichtig!“ Regionalzeitungen weitergegeben oder als ! it Down-Syndro – sagen m an diesem Ta g Anhaltspunkt für die eigenen Meldungen Am 21. März fin genutzt. Und das ist gut so – wir sind froh, ! de leben mit Down t der Welt-Down-Syndrom -Syndrom. Me -Ta ist wird über sie g statt. Bis zu 50 Tausend „Wir wollen, da gesprochen, hie Mens r schreiben sie chen in Deutschland Elterngruppen dadurch unterstützen zu ss andere me selbst über sic Menschen mit Down-Syndrom hr über uns er fahren“, sagt Mi h. können. 2016 in Nürnbe ha ben sich dazu ch ae la. Sie und acht we rg zusammenge in einem Worksho itere junge In diesem Jahr haben wir eine Idee um- junge Frau we funden. „Wir sin p der DS-Akad iter aus. „Wir ha d unterschiedli emie am 5. Mä nicht so gut un ben gewisse Sc ch, aber gleich we rz gesetzt, die uns sehr wichtig ist: Menschen d können nicht hwierigkeiten: rtvoll“, führ t die Wir sind kleine man uns desw egen nicht zuhö so gut ausdrü cken, was wir sagen wollen. r. Wir verstehen einiges mit Down-Syndrom als Expertinnen und auch nicht, ab rt. Das ist traur Es kann passier Michaela ergä er wir nehmen gerne Hilfe an ig und ärgerlic h für uns. Mit en, dass Experten in eigener Sache schrieben an nzt „Wir sind dir .“ Sonja meint den Zahlen ha ekter. Ich trau : „Aber wir sin ben wir es der Pressemeldung zum WDST 2016 mit. trauen. Wir sin mich Dinge au d etwas Besond d offen und die sz us eres.“ und Rolle, was sie Me nschen können pr ec hen, die sich an beruflich mach en und wie vie bei uns so sein, wie sie sind. Es dere nicht Zehn junge Erwachsene meldeten sich zum Wünsche und l Geld sie habe spielt für uns Interessen wie n. Und wir habe keine Workshop der DS-Akademie „Hallo Ge- „Ich möchte ak alle anderen.“ n of zeptier t werden „Ic h hänge gerne t die gleichen ! arbeiten und zu “, fordert Helen mit Freunden sellschaft – Das ist uns wichtig!“ an. Das Er- Club-Spielen ge e. Und Christia ab “, sagt dazu Fe hen kann.“ n meint: „Mir ist nea. An dieser Pres wichtig, dass ich gebnis ihrer konzentrierten und sehr enga- semitteilung ha (29), Caroline (31), Michaela ben mitgewirkt : gierten Arbeit ist auf dieser Seite zu lesen. (24), Benjamin Lukas (18 Jahre alt), Sonja Kurzinformation (31), Helene (1 (26), Enes (20) Nachdenklich wurden wir alle, als eine 9) und Fenea , Christian (23). Das Down-Synd rom ist eine Va der Teilnehmerinnen plötzlich in die Run- Chromosomen riante des me nschlichen Ch Nummer 21 ist besteht (sonst haben Mensch romosomensa tzes, der aus 47 de sagte: „Ich selber habe die Schwierig- dreifach vorhan en 46 Chromos den, deshalb au omen). Das Ch keit in der Gesellschaft und in einem be- Die Trisomie 21 ch die Bezeich romosom mit prägt die Gesu nung Trisomie der Kinder mit DS haben ein eigen ndheit und de n Alltag der Me 21. reits Gespräch das auszusprechen was ich zunehmend ink es Lerntempo nschen in unter Erwachsene mi lusive Schulen . Sie haben Ho , besuchen he ute meist Rege schiedlicher We ise. eigentlich wirklich sagen möchte. Ich kom- t DS arbeiten bbys und feier lkindergärten in de n Er fol ge und me entweder nicht dazu oder gar hinterher Sie können ein n Werkstätten bei Special Olym eigenständige oder immer hä pics. s Leben mit As ufiger auf dem Die Vereinten Nationen habe sistenz führen . ersten Arbeits markt. (...). Wie ist das bei euch, geht das euch ge- n am 10. Novemb offiziell ausger ufen. er 2011 den 21 .3. zum Welt-D nauso?“ Diese Frage könnten wir uns alle own-Syndrom-Ta Kontakt: Elzbie ta Szczebak, 09 g immer wieder aufs Neue stellen: Hören wir Deutsches Do 123 98 21 21 wn-Syndrom Inf oCenter wirklich zu? Ban kve rbin dun g Spa rka sse Erla Ste uer -Nr. 241 nge n | IBA N /11 0/7 130 2 DE 267 6 350 0 | USt -IdN r. DE 000 0 500 0 642 190 0 77 938 5 | BIC BYL AD | Trä ger Deu EM 1ER H tsc hes Dow n-S ynd rom Info Cen ter e.V. 8 Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016
g W E LT- D O W N - S Y N D R O M -TA G 2 0 1 6 Auszeichnung für eine gute Beratung! In unserem Beratungsalltag hören wir von Eltern nach wie vor sehr gemischte Berichte über die Gespräche und die Diagnosevermittlung Dr. Schneider und Anne – sowohl vor wie auch nach der Geburt. Diese Beratungssituation kann sich nachhaltig nur dann ändern, wenn angehende Ärztinnen und Ärz- Hallo liebes DS-Team, te bereits im Studium gute Veranstaltungen belegen. Es müsste ihnen ich würde sehr gerne den leitenden Ober- natürlich ein zeitgemäßes Wissen über die Gesundheit und das Leben arzt Hans-Christoph Schneider der Kinder- station der Kreiskliniken in Reutlingen aus- von Menschen mit Trisomie 21 vermittelt werden. Nur bedingt können zeichnen lassen. Er war und ist immer für wir und andere Eltern-Organisationen darauf Einfluss nehmen. Eine unsere Tochter da. So wertschätzend wie er Möglichkeit sehen wir allerdings darin, die positiven Beispiele hervor- mit ihr und uns allen umgeht, hat er die- zuheben und sie anzuerkennen, damit sich die Wichtigkeit des Anlie- se Auszeichnung unbedingt verdient. Er hat uns nach der Geburt sowie durch die gens in der Berufsgruppe „rumspricht“. Deshalb haben wir anlässlich schwere Zeit ihrer beiden Herzoperatio- des WDST 2016 wieder einen Aufruf gestartet, die Auszeichnungen für nen begleitet. Auch heute betreut er unse- eine gelungene Diagnosevermittlung zu verteilen. Die Rückmeldun- re Tochter Anne kinderkardiologisch! Ein gen von rund 30 Familien lassen hoffen – das Gute setzt sich mit der wahrer Menschenfreund! Zeit durch! Herzlichen Dank an alle, die mitgemacht haben! Ich danke euch schon vorab. Eure Uli Kapala Hallo DS-InfoCenter, Liebe Mitarbeiterinnen Dr. Triebel (Chefarzt der Gynäkologie), vielen Dank für die schöne Urkunde. Wir des DS-InfoCenters, Dr. Willaschek (Oberarzt Kinderklinik), haben sie unserem Dr. Schneider über- am 21.3. haben wir unsere drei Urkun- Daniela und Emma Schmitt, Kinder-Bobath- reicht. Ich habe etwas geschrieben und ein den überreicht und wir möchten Ihnen Physiotherapeut Giulio Pesenti, Bild gemacht, vielleicht können Sie es ver- zurückmelden, dass diese Aktion sehr, Kinderärztin Patricia Arz. wenden. Es war ein wirklich besonderer sehr gelungen war! „Die Klinik hat sich sehr gefreut über die Aus- Tag. Ich habe mich so gefreut, endlich mal Die Menschen waren überrascht, ha- zeichnung“ – schrieb uns Daniela Schmitt ganz „offiziell“ Danke sagen zu können. ben sich sehr gefreut und vor allem: Es nach der Übergabe am 21.3. im Caritas- Und das hat einfach gepasst. Zudem haben war eine Anerkennung ihrer täglichen Krankenhaus Bad Mergentheim. wir dann noch gleich Annes Vorsorgeunter- Arbeit. Uns hat es gut getan, diesen Per- suchung angeschlossen. Und Annes Herz sonen auch einmal etwas zurückgeben situation war das erste Mal seit zwei Jahren zu können. deutlich verbessert. Ich habe das schon gar Bitte noch viele solcher tollen Ideen. nicht mehr für möglich gehalten. Aber ich Herzlichst, verstehe das als kleines Zeichen. Wir sind Ihre Fam. Stölzle seit langer Zeit das erste Mal wieder beru- higter und sehr froh. Ich denke, diese Ur- kunde hat genau den richtigen Menschen erreicht. Die ganze Ambulanz hat sich für ihren Oberarzt gefreut. Und wir hatten sehr viel Spaß beim Fotosmachen, na ja Anne war nicht wirklich begeistert. Viele Grüße aus Hechingen sendet Uli Kapala Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016 9
g SELBSTHILFE Rückblick auf 30 Jahre Down-Syndrom T E X T: CO R A H A L D E R Diesen Vortrag mit einem Rückblick auf 30 Jahre Down-Syndrom hielt die Autorin bei der Deutschen DS-Tagung in Augsburg, Oktober 2015. Dabei referierte sie sowohl aus der persönlichen Perspektive als Mutter wie auch mit dem beruflichen Blick der Fachfrau. Der Vortragsstil wurde in diesem Beitrag be- wusst beibehalten. Einleitung den Freuden, den Ängsten und den Proble- tern-Selbsthilfe und im Besonderen die des men vieler anderer Eltern – 30 Jahre der El- Deutschen DS-InfoCenters, das sicher als Als ich vor einiger Zeit von der Tagungs- tern-Selbsthilfe. ein gutes Beispiel der Eltern-Selbsthilfe ste- organisation gefragt wurde, ob ich ein be- Es bedeutete ebenso 30 Jahre des Unter- hen kann. stimmtes Thema auf Lager hätte für diese wegsseins in Sachen Down-Syndrom: Semi- Für diesen Vortrag habe ich spontan ein- Tagung, fiel mir ein, dass bis dahin mei- nare, Workshops, Vorträge in Schulen, an fach einige Themen herausgesucht, denn in ne Tochter gerade ihren 30. Geburtstag ge- Unis, vor Elterngruppen. Beratungsgesprä- 90 Minuten kann ich unmöglich alles an- feiert haben und ich mich gerade mit dem che mit jungen Eltern mit ihrem Baby, mit sprechen, also lasse ich heute nur einige we- Wechsel in den Ruhestand beschäftigen Paaren, die ein Kind mit Trisomie 21 erwar- nige Aspekte Revue passieren. würde. ten, sowie mit Eltern und Geschwistern er- wachsener Personen mit Down-Syndrom. 1. Down-Syndrom-Terminologie Gespräche mit Erziehern/-innen, Lehrern/- Wie sagt man’s richtig? -innen, Ärzten/-innen, mit Pflegepersonal, Betreuern, Begleitern, Freunden, Arbeitge- 1985 war der Begriff Down-Syndrom eher bern, die alle in irgendeiner Weise mit ei- unbekannt. Mongoloid und Ableitungen da- nem Menschen mit Down-Syndrom zu tun von wie Mongo oder Mongölchen waren die hatten, dies vorhatten oder dies tun sollten! üblichen Begriffe, damit konnte jeder etwas Und 30 Jahre lang Weiterbildung auf anfangen, besonders nach der Fernsehserie Kongressen im In- und Ausland, durch den aus dem Jahr 1974 Unser Walter. Austausch mit Fachleuten aus der ganzen Das Wort war negativ besetzt, es tauch- Welt, aus Fachzeitschriften und durch zahl- ten in den Köpfen der Menschen in der Re- reiche Kontakte mit Familien und Men- gel Bilder bedauerlicher Geschöpfe auf, schen mit Down-Syndrom selbst. die nicht oder kaum sprechen, geschwei- Da könnte es doch Interessantes zu er- ge denn lesen oder schreiben konnten, de- zählen geben. Ja, ein Rückblick auf 30 Jahre ren Entwicklung mit vier Jahren stagnierte Down-Syndrom, sagte ich Herrn Schmitz, und die lebenslang unselbstständig blieben. das könnte mein Thema sein. Aber je nä- Man spürte Mitleid, aber mehr noch Ableh- her der Termin rückte, desto weniger gefiel nung, die Menschen wandten sich ab. mir die Idee, auf 30 Jahre zurückzublicken. Versuche unsererseits, Leute zu über- Es kamen Zweifel hoch: Würde sich über- zeugen, den Begriff mongoloid nicht mehr haupt jemand zu diesem Vortrag anmel- zu benutzen, wurden anfangs abgetan mit den? Waren nicht alle anderen Themen viel Bemerkungen wie „So ein Quatsch, das ist wichtiger? Sollte man nicht lieber nach vor- doch egal, was man sagt und ich meine es ja ne blicken und sich beispielsweise Gedan- gar nicht böse“. Die Presse, wenn sie über- ken darüber machen, wie es in 30 Jahren haupt über Down-Syndrom schrieb, blieb für unsere Menschen mit Down-Syndrom genauso bei diesen M-Wörtern. aussieht? Und was bis dahin alles zu tun So lautete beispielsweise der Titel ei- Dann würden genau 30 Jahre Down- ist? Aber es gab keinen Weg mehr zurück, nes Artikels in den Nürnberger Nachrich- Syndrom hinter mir liegen. Nicht nur als und deshalb bin ich heute hier. Tatsächlich ten 1990 „Mongoloide sind kein Strand- Mutter, die sich tagtäglich an Down-Syn- sind viele Zuhörer/-innen gekommen und gut!“. Aber auch 2013 sprach der Chefarzt drom-Besonderheiten erfreut, sich darüber möchten anscheinend doch mit mir zusam- einer Hautklinik noch vom „Mongo mit der gewundert oder auch geärgert hat und so men zurückblicken. Das freut mich – und Schuppenflechte …“. manches Mal schier daran verzweifelt war. zum Schluss kann ich dann trotzdem noch Dabei hatte bereits 1964 die Mongo- Sondern eben auch fast 30 Jahre Down- einen Blick in die Zukunft wagen. lei im Weltgesundheitsrat den Antrag ge- Syndrom aus der beruflichen Perspektive, Eng verbunden mit meiner persönli- stellt, man möge die Bezeichnung ihrer in der ich Tag für Tag teilhaben konnte an chen Geschichte ist natürlich die der El- Rasse nicht für eine Behinderung benutzen. 10 Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016
g SELBSTHILFE Diesem Antrag hatten alle Länder zuge- drom-Tag 2015 beschäftigte sich mit dieser stimmt und ihn unterschrieben. Thematik. Nicht selten war damals noch Schlim- Wie spreche ich über Down-Syndrom? meres zu hören. So gab es, etwa bei einem ist ein Thema, das noch nicht zu Ende dis- Familienspaziergang oder auf der Straße, kutiert ist. Genau wie eine Reihe anderer Geraune in der Art: „… dass es heute so Begriffe, die uns schwer im Magen liegen: etwas noch gibt, im Krieg hat man die we- Was ist mit dem Wort „behindert“ oder gar nigstens vernichtet.“ „geistig behindert“, und wer ist nun mehr Eigentlich waren wir da schon tapfer oder weniger normal oder gar abnormal? und auch stolz mit unseren Babys unter- Was meinten wir mit Integration und was wegs, wir versteckten sie nicht mehr, wie meinen wir heute mit Inklusion, was genau noch die Generation vor uns sie versteck- ist ein I-Kind? Und dann noch das beliebte te, obwohl auch ich Familien kannte, die „Leiden“ am Syndrom – auch schon seit 30 sich mit ihrem Kind nicht auf die Stra- Jahren Anlass zur Diskussion. ße trauten oder den Kinderwagen immer Wenn ich schon dabei bin … was ist ei- wegdrehten, damit niemand hineinschau- gentlich mit dem Wort Krankheit? Die en konnte. Down-Erkrankten? Wie oft haben wir dar- Aber mit derart bösartigen Äußerun- auf hingewiesen: „Nein, mein Kind ist nicht gen waren wir trotzdem ziemlich über- krank, es hat nur Down-Syndrom! Selbst- fordert. Statt uns schlagfertig zu wehren, verständlich kann es auch krank werden, blieben uns in solchen Situationen die eine Lungenentzündung, eine Erkältung Worte im Halse stecken und kamen eher oder Krebs haben, aber allein das Down- Tränen. Wir mussten noch viel lernen. Syndrom bedeutet nicht, dass es krank ist!“ Dabei geholfen hat uns die Postkarte Allerdings: In wissenschaftlichen Krei- Tumur und Stephan, die wir immer dabei sen wird genau dem schon länger wider- Wie sprechen wir über Menschen mit Down- Syndrom? Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! hatten und dann, wenn uns wieder einer sprochen und es heißt: Down-Syndrom sei mit dem Wort Mongölchen oder mongo- nichts anderes als eine Stoffwechselerkran- loid ärgerte, höflich als Denkzettel über- kung! Wenn dem tatsächlich so wäre, könn- reichten. te man dann beispielsweise in den Hirnstoff- Die Diskussion um die richtige, die wechsel eingreifen und mit Medikamenten beste Bezeichnung dieser „Behinderung“ eine Heilung herbeiführen oder doch min- hat seitdem nicht aufgehört. Sprechen wir destens eine Verbesserung erreichen? Die lieber umständlich und kompliziert: Men- Trisomie medikamentös zu behandeln ist schen, die unter den Bedingungen einer heute ein großes Thema, aber genau das gab Trisomie 21 leben? Oder direkt, schlicht es auch schon früher. Gehen wir doch ein- und einfach: Down-Mensch, Down-Kind mal ein Stück zurück in die Zeit. oder gar – durchaus liebevoll und auch intern gern benutzt – über Downies? Und 2. Down-Syndrom-Behandlung. was ist mit dem Down-Patienten oder der Von der Zelltherapie bis Basmisanil Down-Schülerin? Alles No-Go’s. Die sim- ple Antwort ist, Menschen mit Down- Bereits in den 60er-Jahren versuchte man, Syndrom einfach bei ihrem Namen zu die „Mongolismus-Krankheit“ zu behan- nennen. deln, mit Hormontherapie, mit Glutamin Auf einem Plakat des englischen DS- säure oder durch eine sogenannte Zell- Vereins hieß es schon 1985: „You say Nachreifungsbehandlung, bei der regelmä- mongol, we say Down‘s Syndrome, but ßig hohe Dosen an Vitaminen zugeführt his mates call him David.“ Eine Antwort, wurden. die auch heute noch gilt und die man be- Eines der ersten Bücher, die ich nach der Einfach David, Stephan oder Lina! kommt, wenn man junge Menschen mit Geburt meines Kindes geschenkt bekam, Menschen mit Down-Syndrom Down-Syndrom selbst fragt. Ich heiße war „Das Mongolismus-Syndrom“ von Prof. beim Namen nennen Tobias. Sag einfach meinen Namen! Auch Franz Schmid. Seine Methode war die Zell- die Posteraktion zum Welt-Down-Syn- therapie. Dabei ging es um Injektionen mit Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016 11
g SELBSTHILFE tierischen Frisch- und Trockenzellen, die Über die Jahre wurden so verschiedene Viele Fragen jedoch bleiben zunächst die körperlichen und geistigen Fähigkei- Vitamine, Mineralien, Öle et cetera, ange- unbeantwortet. Was ist mit eventuellen Ne- ten der Kinder verbessern sollten. Den Pa- priesen, die alle eine positive Wirkung auf benwirkungen, auch langfristig gesehen? tienten wurde intramuskulär eine Substanz die Entwicklung des Kindes haben sollten. Muss man Basmisanil lebenslang nehmen? gespritzt, die aus Zellen und dem Gewe- Es mag wohl etwas dran sein, und manche Ändert man nicht das Wesen des Kindes? be ungeborener und neugeborer Lämmer Kinder mögen tatsächlich von einer rich- Ist das ethisch vertretbar? stammte. Nicht nur sollten die Tierzellen im tig dosierten und kontrollierten Nahrungs- Bei aller Skepsis sollten wir offen für die- Gehirn wirksam werden, sie konnten auch ergänzung profitieren. Aber das eine Mittel se Entwicklungen sein. Falls unsere Kinder das Wachstum beschleunigen und die Phy- schlechthin, das für alle Kinder genau passt, eines Tages selbst diese Mittel als hilfreich siognomie, also äußere Merkmale der Be- gibt es nicht. Keine Studie auf der Welt ansehen und sich dabei wohlfühlen, dürfen handelten, mildern. konnte dazu bisher einen Beweis liefern. wir sie und werden wir sie ihnen nicht vor- Die Wirkung dieser Zelltherapie wurde Viele dieser Präparate werden auch im In- enthalten. belegt mit vielen Fotos – vor der Behand- ternet als erfolgversprechend angeboten und In einem ausführlichen Artikel in der lung und danach (ähnlich wie in Frauen- es ist nicht verwunderlich, dass in Ländern ZEIT, „Eine Pille für Oskar“, beschrieb die zeitschriften, vor und nach dem Friseur- wie dem Kosovo, Bosnien, Polen oder Russ- Mutter eines Kleinkindes mit Down-Syn- besuch oder der Kleidungsberatung). Die land Eltern solche Nahrungsergänzungs- drom diese neue Forschung und die Studi- Frischzellentherapie wurde dann allerdings mittel bestellen. Sie erfahren nämlich sonst en zu Basmisanil und kommt dabei zu dem verboten, sie erschien zu riskant (unter an- keine oder kaum Unterstützung bei der För- Schluss: Man sollte versuchen, die Folgen derem wegen BSE und Tollwut). Heute ist derung ihrer Kinder, es gibt weder Frühför- der Trisomie 21 zu lindern, seinem Kind zu sie aber wieder zugelassen, zum Beispiel im derung noch Therapeuten und auch keine helfen, besser klarzukommen in einer Welt, Rahmen von Anti-Aging-Therapien. informierten Ärzte. Es ist also verständlich, die täglich komplizierter wird – auch mit Eltern, die damals zu Prof. Schmid nach dass man dann auf andere Mittel ausweicht. einem Medikament! Aschaffenburg reisten, erzählten aber nicht Grüntee-Extrakt ist zurzeit ebenfalls Verstehen sollen wir aber auch, dass es nur von der Zelltherapie. Er sei auch der im Gespräch. Wissenschaftler in Barcelo- mit einer kleinen grünen Pille nicht ge- einzige Arzt gewesen, der ihnen Mut ge- na haben den darin enthaltenen Wirkstoff tan ist, denn das Down-Syndrom wird da- macht habe, das Kind auch pädagogisch ECGC in Studien mit trisomen Mäusen ge- mit nicht geheilt. Physiotherapie, Logopä- zu fördern und Physiotherapie zu machen. testet und festgestellt, dass die Mäuse leis- die und pädagogische Förderung bleiben Denn in diesen Kindern stecke viel mehr, tungsstärker wurden. Es wird angenom- wichtig und unverzichtbar. Inklusion und als allgemein angenommen werde. Das war men, dass die antioxidante Wirkung auch eine gute medizinische Versorgung werden eine sehr fortschrittliche Denkweise! die kognitive Entwicklung von Kindern mit nach wie vor Priorität haben. In den 90er-Jahren des vergangenen Down-Syndrom begünstigen kann. Studien Jahrhunderts luden wir Prof. Schmid ein- dazu laufen, eindeutige Beweise liegen noch 3. Medizinische Aspekte mal zu einem Vortrag ein und ich erinnere nicht vor. Von „Herz-OP bei DS lohnt sich nicht!“ mich, dass er uns junge Eltern nicht über- Und doch wird es in der nahen Zukunft bis „Endlich offizielle DS-Leitlinien!“ zeugen konnte. Einen Beweis dafür, dass einen Wirkstoff geben, der tatsächlich hel- die Zelltherapie tatsächlich Verbesserun- fen kann. Jedenfalls, wenn man der Phar- Im medizinischen Bereich hat sich viel getan gen bringt, konnte er nie liefern. ma-Industrie Glauben schenkt. Seit vielen und eigentlich nur Positives. Durch weltwei- te Forschung wissen wir heute gut Bescheid über die gesundheitlichen Probleme von Kindern und Jugendlichen mit Down-Syn- Basmisanil – eine spannende Sache, drom. Es gibt spezielle DS-Sprechstunden die wir im Auge behalten sollten. für sie, wir haben endlich eigene Perzen- tile, die nach Studien in Deutschland zu- sammengestellt wurden, und müssen keine mehr aus dem Ausland zum Vergleich neh- Auch die Welle mit Nahrungsergän- Jahren arbeitet die Firma Roche an einem men. Alle Babys werden sofort auf Herz-, zungsprodukten machte vor dem Down- Wirkstoff, der genau das bewirken soll, was Darm-, Hör- und Sehprobleme untersucht, Syndrom nicht halt und ist immer noch ein bis jetzt mit allen anderen Mitteln nicht ge- eine Behandlung mit Chemotherapie bei an Thema, obwohl es auch hier keine handfes- lungen ist. Nämlich, in bestimmte Hirn- Leukämie erkrankten Kindern verläuft heu- ten Beweise für den Erfolg einer solchen funktionen so einzugreifen, dass Kinder te in der Regel erfolgreich. Herzoperatio- Therapie gibt. mit Down-Syndrom besser lernen können, nen können schon bei ganz jungen Babys Angefangen hat es mit sogenannten HAP dass ihr Lernvermögen sowie ihre Gedächt- durchgeführt werden und sie werden auch Caps (High Achievement Capsules). Sie nis- und Konzentrationsleistungen gestei- durchgeführt. Man muss dazu nicht mehr enthielten Vitamine, Glutamine, Zink, Kup- gert werden. ins Ausland reisen. Denn in den 70er- und fer, Magnesium und Selen und wurden von Auch hier hat man das Produkt an Mäu- 80er-Jahren war es durchaus nicht selbst- Dr. Jack Warner (Kalifornien, USA) auf den sen bereits ausprobiert. Mit Erfolg! Schon verständlich, dass Kinder mit einem ange- Markt gebracht. Auch er hat nie durch eine ist die klinische Studie in Phase II. Der borenen Herzfehler und Trisomie operiert Studie beweisen können, dass das Produkt Wirkstoff, nun auch mit einem Namen ver- wurden, sie schafften es häufig nicht einmal tatsächlich etwas bewirkt. Aber auch aus sehen, Basmisanil, wird zurzeit weltweit an auf eine Warteliste, denn solche OPs „lohn- Deutschland reisten verschiedene Eltern mit Probanden im Alter zwischen zwölf und 30 ten sich nicht für diese Kinder!“. Ich kenne ihrem Kind in die USA, um Dr. Warner zu Jahren getestet. Erste Auswertungen sollen einige Familien, die ins Ausland – zum Bei- konsultieren. in diesem Jahr (2016) vorliegen. spiel nach Monaco – reisten, um ihr Kind 12 Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016
g SELBSTHILFE dort operieren zu lassen. Diese Zeiten sind schen mit gesundheitlichen Problemen, da- Vieles hat sich also gut entwickelt, wenn es zum Glück vorbei, wir haben in Deutsch- bei wird besonders häufig Hilfe bei psychi- um die medizinische Betreuung der Klei- land einige ausgezeichnete Herzzentren, schen Problemen gesucht. nen geht, aber wie sieht es beim Erstge- Babys werden dort, wenn das nötig ist, be- Das Hilfreichste für uns, das es momen- spräch aus? Auch das ein Thema, das noch reits in den ersten Monaten operiert. tan auf diesem Gebiet gibt, sind die beiden immer im Fokus steht! Eltern sind heute in der Regel gut über Bücher von Brian Chicoine und Dennis In den 70er- und frühen 80er-Jahren gab das Down-Syndrom informiert, dazu ha- McGuire. Wenigstens können Eltern sich es in den Krankenhäusern, was das Down- ben auch die Informationen des DS-Info- hier informieren und diese Informationen Syndrom betrifft, keine oder nur eine sehr Centers beigetragen. Sie können mit der Ärzten weiterleiten, die nicht über ein sol- mangelhafte Aufklärung. Häufig noch wur- Broschüre Medizinische Aspekte und mit ches Detailwissen verfügen. de geraten, das Kind in ein Heim zu geben dem Checkheft Ärzte auf notwendige Un- Und damit Menschen mit Down-Syn- und noch mal zu versuchen, schwanger zu tersuchungen oder Down-Syndrom-spezi- drom auch selbst lernen, bewusster mit werden! Hie und da versuchte ein Arzt auf- fische Probleme hinweisen. dem Thema Gesundheit umzugehen, wur- munternde Worte zu finden und Mut zu Aber auch (Kinder-)Ärzte können heut- de für sie das Gesundheitsbuch entwickelt, machen, erklärte neuen Eltern zum Bei- zutage zum Glück auf ausführliche Fachli- mit Informationen in einfacher Sprache spiel: „Solche Kinder können immerhin ler- teratur zurückgreifen. Und von diesem Jahr und einem Dokumentationsteil, in dem nen, mit Messer und Gabel zu essen“ oder (2016) an können sie die offiziellen Leitli- sich wichtige medizinische Fakten und Da- „Die meisten von ihnen können bis zum nien für Down-Syndrom als Informations- ten festhalten lassen. Alter von sechs Jahren laufen.“ Für Eltern quelle nutzen. Das hört sich alles positiv an und das ist es auch. Trotzdem sind wir nicht zufrieden, denn ein ganz großes Thema ist die Gesundheit Der Aufbau mehrerer DS-Ambulanzen für der erwachsenen Menschen, nicht nur die Erwachsene sowie die Schulung von Fachärzten, körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit. Diese werfen immer mehr Psychologen und Psychotherapeuten müssen in Fragen auf und die Suche nach Fachleuten, die hier weiterhelfen können, mit Wissen den nächsten Jahren Priorität haben. über die syndromspezifischen gesundheit- lichen Besonderheiten, mit genügend Ge- duld, Zeit und Einfühlungsvermögen für Klar hat sich die Lebenserwartung enorm klang das eher entmutigend und beängsti- diese Patientengruppe … diese Suche läuft verlängert und werden Menschen mit Triso- gend. Häufig zählten Ärzte nur auf, welche häufig ins Leere, denn solche Spezialisten mie heute 60, 70, vereinzelt auch schon 80 Krankheiten mit dem Syndrom verbunden sind extrem selten! Jahre. Aber dieses lange Leben sollten sie waren, was Eltern noch mehr verzweifeln Eine gute gesundheitliche Versorgung auch bei möglichst guter Gesundheit genie- ließ. Eine positive Perspektive wurde kaum für Erwachsene mit Down-Syndrom – da- ßen dürfen, genau so, wie wir uns das auch vermittelt. von sind wir in Deutschland noch weit, sehr für uns selbst wünschen. Es kamen auch ungebetene Besucher ans weit entfernt! Es wäre ja schon ein Anfang, Bett. Das war alles gut gemeint, aber viele wenn wir, wie in den Niederlanden, eine 4. Diagnosevermittlung Eltern wollten eben nicht den Herrn Pfarrer spezielle DS-Ambulanz hätten für Erwach- Von „Allmächt, einem Mongo hab ich am Bett haben, der mit einem beten woll- sene mit Trisomie 21. In unserem kleinen noch nie auf die Welt geholfen!“ bis zu te und Gott danken. Wofür eigentlich, mag Nachbarland gibt es schon in fünf Städten Auszeichnungen für Geburtskliniken für manch einer gedacht haben. Oder die net- solche Anlaufstellen für erwachsene Men- gute Beratung. te, mitfühlende, mitleidende Dame des Be- hindertenverbandes, die einem ein Päck- chen Taschentücher gab, damit man die vielen Tränen, die bestimmt fließen wür- den, wegwischen konnte. Man wollte ganz und gar nichts mit einem Behindertenver- band zu tun haben! Und die Sozialarbeite- rin am Bett, was will die hier? Sind wir jetzt ein Sozialfall oder was? Viele Eltern wollten einfach in Ruhe ge- lassen werden mit ihrem Schmerz und ih- rer Verzweiflung. Wenn, dann wollten sie am liebsten mit anderen Eltern reden und spüren, dass sie nicht die Einzigen waren, dass es andere Familien gab, die das Gleiche durchgemacht hatten und die das Leben trotzdem zu meistern schienen. Zu erleben, dass diese Familien sogar stolz auf ihr Kind waren, vermittelte eine andere Perspektive. Heute ist man in den Kliniken etwas vor- sichtiger und fragt bei den Eltern nach, ob Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016 13
g SELBSTHILFE sein würde … richtig sprechen beispiels- weise. Die Hoffnung, dass das Kind Le- sen und Schreiben oder gar Rechnen ler- nen würde, sollten wir aufgeben. Genau wie auch ein Musikinstrument spielen zu kön- nen oder das Skifahren unerreichbare Zie- le seien. Man solle sich als Eltern besser auf nichts einstellen, nichts erwarten, dann könne man auch nicht enttäuscht werden! Es war ein großes Glück, dass wir be- reits die andere Seite von Down-Syndrom kennengelernt hatten, und so glaubten wir von diesen Warnungen kein Wort und er- warteten im Gegenteil gerade viel von unse- rer Tochter (ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren). Das Ärzte-Team am Klinikum Bamberg wurde mit einer Urkunde für sein besonderes Denn vielmehr hatten wir die Worte von Engagement für Kinder mit Down-Syndrom ausgezeichnet Moira Pieterse im Ohr, der australischen Psychologin, die das Förderprogramm sie mit jemandem sprechen möchten. Wenn einfühlsame Aufklärung sehr viel bei. Small Steps entwickelt hatte. Sie sagte im- es gut funktioniert, haben Kliniken heute Bei der Gründung unseres DS-Vereins mer wieder: „If you expect more, you get die Kontaktdaten von Eltern oder von einer und vieler anderer Selbsthilfegruppen in more!“ Und genau mit diesem Förderpro- Selbsthilfegruppe parat und können so wei- Deutschland damals in den 80er-Jahren gramm Small Steps arbeiteten wir seit Ge- terhelfen. Im Idealfall liegen dort sogar die war eine bessere Aufklärung nach der Ge- burt und konnten dabei genau nachvoll- schönen Fotobücher von Conny Wenk oder burt unser Hauptanliegen. Interessanter- ziehen, was alles gelernt werden sollte und es wird einem die Erstinfo-Mappe des Info- weise ist das auch heute noch genau der auch erlernt werden konnte. Da ich von die- Centers zur Verfügung gestellt. Auslöser, weshalb Eltern sich zusammen- sem Programm so begeistert war – ich bin Immer noch berichtet uns etwa die Hälf- finden und gemeinsam versuchen möch- es immer noch –, erwarb das DS-InfoCen- te aller Eltern, wie unzureichend und un- ten, diese Situation zu verbessern. ter die Übersetzungsrechte und konnte die- vollständig dieses Erstaufklärungsgespräch ses umfangreiche Förderwerk 2001 unter verlief, und immer noch werden zum Teil 5. Förderung, Bildung, Weiterbildung dem Titel Kleine Schritte in deutscher Spra- haarsträubende Dinge über Down-Syn- „If you expect more, you get more!“ che veröffentlichen. drom erzählt, wird falsches Wissen weiter- Damals war noch häufig die Rede von gegeben und werden die Eltern noch weiter Das Erste, was ich über Fähigkeiten von einem sogenannten Lernplafond: Bis zu ei- verunsichert, als sie es in dieser unerwarte- Menschen mit Down-Syndrom hörte, kam nem Alter von vier Jahren würden sich die ten Situation ohnehin schon sind. von der Ärztin, die uns mit der Diagno- Kinder entwickeln, danach sei Schluss und man müsse mit einem Stillstand oder gar mit einem Rückgang in ihrer Entwicklung rechnen. Das stellte sich glücklicherweise Eine gute Erstaufklärung bleibt ein Thema, bald als völlig falsch heraus. Nachdem be- auch für die nächste Generation von Eltern. reits überall in Deutschland Frühförderung angeboten wurde und die Kleinen sich gut weiterentwickelten, mit den Kindern flei- ßig geübt und gezielt gespielt wurde und sie Zum Glück gibt es aber auch sehr positi- se am Tag nach der Geburt unserer Toch- bewusst zur Selbstständigkeit erzogen wur- ve Rückmeldungen über Beratungsgesprä- ter konfrontierte und uns aufklären sollte. den, merkte man bald, dass das mit dem che nach der Geburt, Ärzte, die sich an die Sie erzählte ganz stolz von ihrem Neffen, ei- Lernplafond nicht stimmen konnte. Und Empfehlungen für ein solches Erstgespräch nem jungen Mann mit Down-Syndrom, der auch nach den ersten Jahren ging es mit halten. Sie reden nicht um den heißen Brei wunderbar weben konnte, am Webstuhl ei- dem Lernen weiter. Mit zehn Jahren lern- herum, sind direkt, sachlich, aber empa- gene Muster entwarf und durch Auftragsar- ten sie immer noch Neues dazu. Und auch thisch. Sie wissen, wie das Leben mit einem beiten sein eigenes Geld verdiente! mit 15 und mit 20 Jahren noch. Vor kurzem Kind mit Down-Syndrom heute aussehen Obwohl sie sicherlich auch einige gene- stellten Studien aus Israel fest, dass rund kann, und klären Eltern einfühlsam auf. tische und medizinische Aspekte erwähnte, ums 30. Lebensjahr noch mal ein enormer In einer Aktion zum Welt-DS-Tag 2015 drehte sich das Gespräch hauptsächlich da- Lernschub möglich ist! Das bewiesen junge konnten Familien Ärzte/-innen, Hebam- rum, welche Möglichkeiten die Kinder heu- Erwachsene, die dort an der Universität von men oder Teams aus Geburtskliniken für te haben und was sie alles erreichten, von Tel Aviv studierten. besonders gute Beratungsarbeit vorschla- Lesen über Radfahren bis eben hin zum Genau das konnten wir bei der eigenen gen, die dann vom InfoCenter mit einer Weben. Es war eine positive Perspektive, Tochter auch feststellen. Kurz vor ihrem Urkunde ausgezeichnet wurden. Die Akti- die wir dort vermittelt bekamen. 30. Geburtstag schloss sie eine Ausbildung on war ein großer Erfolg. Einen guten Start Zurück in Deutschland, sah das jedoch zur Betreuungsassistentin für Menschen ins Leben wünschen wir allen Kindern mit ganz anders aus. Da hörten wir hauptsäch- mit Demenz erfolgreich ab. Der Kursbe- Trisomie 21 und dazu trägt eine gute und lich, was alles nicht ginge, was nie möglich such hatte ihr enorm viel Spaß bereitet und 14 Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016
g SELBSTHILFE ihr Selbstbewusstsein gestärkt. Mit viel In- fang dort war für uns sehr positiv. Die Re- teresse und Ehrgeiz hat sie sich den Lern- aktionen der Menschen waren ermutigend, stoff angeeignet. Von wegen, man solle es gab viel Unterstützung bei der Förderung möglichst nichts erwarten! Von wegen, das sowie eine gute medizinische Vorsorge. Wir Lernen stagniere! ahnten damals noch nicht, dass es ein Glück Heutzutage schaffen immer mehr junge war, dass Andrea dort geboren wurde, denn Menschen eine Berufsausbildung. Natür- die Situation in Deutschland war zu der lich müssen die Rahmenbedingungen stim- Zeit noch nicht so weit fortgeschritten. men, muss das richtige Material vorhan- Aber eines war nicht gut dort: Es gab kei- den sein, muss der Kurs eventuell angepasst ne Sonderschule! Als ich mich schon bald werden, und natürlich braucht es engagier- erkundigte, wo diese Kinder zur Schule ge- tes Lehrpersonal und, wo notwendig, zu- hen, war die Antwort – als ob es etwas ganz sätzliche Assistenz. Aber dann können viele Selbstverständliches sei und ich eine dum- Menschen mit Down-Syndrom erfolgreich me Frage gestellt hätte: „In die Sprengel- weiterlernen, ein Leben lang. schule natürlich, wo denn sonst?“ Die ganz Gerade auch diejenigen, die sich von normale Regelschule? Bräuchten diese Kin- Anfang an mit dem Lernen schwer tun und der nicht eine spezielle Förderung, ein ge- sich nur sehr langsam entwickeln, profitie- schütztes Umfeld? Mein Gegenüber staun- ren von einem individuellen Lernangebot te: „Die spezielle Förderung bekommen sie und erreichen Ziele, die man früher für un- hier in der Regelschule, das Umfeld könn- erreichbar hielt. te nicht besser sein, sie lernen gemeinsam Lebenslanges Lernen muss auf die To-do-Liste. Weiterbildung für Erwachsene ist das mit den anderen, nicht behinderten Kin- Thema, das man im Auge behalten muss. dern. Übrigens allein schon durch Nach- Denn schulisches Wissen muss weiter ge- ahmung lernen sie dort automatisch eine nutzt und ausgebaut werden. Kurse inner- ganze Menge. Wieso sollten sie besonders halb der normalen Erwachsenenbildung geschützt werden? Es gibt in Neuseeland sind wichtig, in Abendschulen oder in nur zwei spezielle Schulen, eine für blinde Volkshochschulen beispielsweise. Eine DS- und eine für gehörlose Kinder. Aber Kinder Akademie, wie sie in Nürnberg angeboten mit Down-Syndrom, nein, die können na- wird, ist eine weitere Möglichkeit. türlich in eine Regelschule gehen!“ Die Diskussion um die Möglichkeiten, Ich war baff! Das ging doch ganz und gar an einer Uni zu studieren, so wie wir es nicht. Ich kannte das Sonderschulsystem vor allem aus den USA und Kanada, aber in den Niederlanden, in der Schweiz und auch aus Island, Spanien, Irland oder Is- in Deutschland, und das war doch richtig: rael schon kennen, soll weitergeführt wer- spezielle Schulen, meistens schön am Stadt- den. Erste vorsichtige Bemühungen in die- rand gelegen, speziell ausgebildete Lehrer/ ser Richtung gibt es in Hamburg. -innen, kleine Klassen, viel Material, finan- ziell gut ausgestattet und die Kinder eben 6. Dauerbrenner: schön unter sich. Integration und Inklusion Eine Regelschule! Das war unmöglich, fanden wir. In Neuseeland konnten wir Das Thema Integration begleitete mich von mit einem Kind mit Down-Syndrom nicht Anfang an, doch zunächst ganz anders als Sie bleiben. Weil wir also die Integration nicht vielleicht vermuten. Bevor meine Kinder ge- wollten, kehrten wir zurück nach Deutsch- boren wurden, arbeitete ich als Sonderpäda- land. Aus heutiger Sicht ganz und gar un- gogin. Erst in der Schweiz, dann in Deutsch- verständlich! Denn kaum waren wir hier, land mit gehörlosen Kindern, die zusätzlich gerieten wir mitten in die heftige Diskus- noch eine Lernbeeinträchtigung hatten. Ins- sion um Integration, und allmählich däm- gesamt zwölf Jahre lang. Ich kannte mich aus merte uns: Da war was dran, das könnte in dieser „Sonderschulwelt“, empfand sie als so stimmen, gemeinsam mit anderen Kin- richtig und gut. Wie sonst auch sollte Schu- dern leben und lernen! Von dem Moment le für Kinder mit Beeinträchtigungen funk- an kämpften wir für die Integration un- tionieren? Integration war für mich damals seres Kindes: in den Kindergarten, in die Arbeiten am Computer, noch ein unbekannter Begriff. Schule, in die Berufsausbildung, aber auch Keyboard spielen oder studieren … Meine Tochter mit Down-Syndrom kam in die musikalische Früherziehung, in den die Grenzen nach oben sind offen! dann in Neuseeland zur Welt, und der An- Schwimm- und Tanzunterricht, in einen Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016 15
g SELBSTHILFE Kinderchor, in einen Computerkurs, beim unserer Wunschliste. Da tut sich ja auch land zurückkehrt, mit der kleinen Toch- Bauchtanzen und, ganz aktuell, wieder für etwas, aber es kostet enorm viel Überzeu- ter im Gepäck, gab ich eine Annonce auf in die Integration auf dem ersten Arbeits- gungskraft, Durchhaltevermögen und Fan- der Zeitschrift Eltern und suchte Familien markt. tasie, reguläre Arbeitsplätze für Menschen in Nürnberg oder Umgebung, die ebenfalls NIE war etwas selbstverständlich, und mit Down-Syndrom zu schaffen und sie ein Kleinkind mit Down-Syndrom hatten, nie war etwas leicht, immer brauchte es Ge- langfristig zu erhalten. Ein Kampf gegen zu einem Austausch. Daraufhin erhielt ich spräche, Gutachten, Bettelbriefe oder gar Windmühlen, so kommt es einem biswei- immerhin 67 Briefe (meist handgeschrie- Drohungen, die Presse zu verständigen len vor. Doch auch dieser Kampf ist es wert, ben) von Eltern aus ganz Deutschland. Mit oder sich einen Anwalt zu nehmen. 30 Jahre gekämpft zu werden. Immer mehr Jugend- einigen von ihnen bin ich heute noch be- lang ein Bangen und Betteln um etwas, das liche lernen ihre ganze Schulzeit über in Re- freundet. Kontaktaufnahme funktionierte selbstverständlich sein sollte, ist zermür- gelschulen und möchten anschließend auch anders, meistens lernte man andere Fami- bend. So wie es uns erging, erlebten und er- in der „normalen“ Welt einen Arbeitsplatz lien über eine Frühförderstelle kennen. Das leben das viele Familien. Ich kann alle El- haben. Internet war damals noch unbekannt, So- tern verstehen, die sagen, wir haben genug, ziale Medien waren noch kein Begriff, und wir schaffen das nicht mehr. Dabei hätten 7. Down-Syndrom im Internet überhaupt besaß kaum jemand privat schon wir es so einfach haben können, wären wir einen Computer. nur in Neuseeland geblieben! Googelt man Down-Syndrom, bekommt Jetzt sind unsere Kinder, Jugendlichen Erst ganz allmählich und sehr langsam man 501000 Eintragungen innerhalb ei- und Erwachsenen mit Down-Syndrom kommen wir, was die Integration betrifft, ner Sekunde, bei der englischen Variante selbst schon fleißig im Internet unterwegs. voran. Nur in den meisten Kindergärten Down-syndrome sind es sogar 42000000 Er- Aktuell werden im Rahmen von verschie- und Kinderkrippen funktioniert es heut- gebnisse. Das ist hilfreich, denn da finden denen EU-Projekten Apps speziell für Men- zutage relativ gut. Damals, 1989, starteten wir alles, was wir wissen wollen. Eine Fülle schen mit Trisomie 21 entwickelt (beispiels- wir eine unserer ersten Aktionen: Mitglie- von Informationen, direkt nach Hause auf weise im Poseidon- und im OMO-Projekt). der unserer Selbsthilfegruppe besuchten den Computer geliefert. Heute sitzen schon die ganz Kleinen vor ih- Kindergärten, um Erzieherinnen über 1985 mussten wir noch mühsam in ir- rem eigenen iPad, sie tippen oder wischen Down-Syndrom zu informieren, ihnen die gendwelchen Lexika nachschlagen und fan- begeistert auf Smartphones und sind davon Aufnahme eines Kindes mit Down-Syn- den dabei entweder gar nichts oder längst genauso fasziniert wie unsere Kinder da- drom „schmackhaft“ zu machen. Das hatte überholte Fakten und schlimme Fotos. mals vom Kassettenrekorder mit der immer durchaus Erfolg. Die allermeisten Kleinkin- Doch die millionenfachen Informatio- gleichen Musikkassette. der besuchen inzwischen Regeleinrichtun- nen aus dem Internet über Down-Syndrom gen. Interessanterweise hat sich die Situa- sind ebenfalls mit Vorsicht zu genießen! Da 8. Ein neues Image von Menschen mit Down-Syndrom in den Medien und als „Self advocats“ Bestreben um Inklusion wird Das Bild von Menschen mit Down-Syn- übergeordnetes Ziel bleiben. drom in der Öffentlichkeit hat sich gewan- delt, und zwar eindeutig zum Positiven. Vom eher unselbstständigen und Mitleid tion nun umgekehrt. Das DS-InfoCenter wird viel Unsinn geschrieben, unsachliches erweckenden Menschen wie damals in der erhält regelmäßig Anfragen von Kitas, ob oder falsches Wissen weitergegeben und TV-Serie Unser Walter bis zu selbstbewuss- es nicht ein Kind mit Trisomie 21 in der auch häufig Negatives verbreitet. Die un- ten, selbstbestimmenden, wortgewandten Nähe gäbe, das wir vermitteln könnten. Der terschiedlichen Meinungen zu bestimmten Erwachsenen wie Karen Gaffney aus den Kindergarten möchte gern wieder eines Fragestellungen verwirren eher, als dass sie USA oder dem Spanier Pablo Pineda. aufnehmen! Eine erfreuliche Entwicklung. einem weiterhelfen. Den Durchbruch brachte eine amerika- In der Schule haben wir diesen Zustand Außerdem gibt es viele, manchmal zu nische Fernsehserie, die einen ganz ande- noch lange nicht erreicht. Auch nicht sechs positive Geschichten, beinahe schon eu- ren, neuen Blick auf Down-Syndrom ver- Jahre, nachdem Deutschland die UN-Kon- phorisch und man würde meinen, ein Kind mittelte. Manch einer von Ihnen mag sich vention über die Rechte von Menschen mit mit Trisomie 21 zu bekommen, sei das Bes- vielleicht an den Schauspieler Chris Burke Behinderungen ratifiziert hat. Inzwischen te, was Eltern passieren kann. Auch nicht erinnern, einen jungen Mann mit Trisomie reden zwar alle von Inklusion – ein selbst- unbedingt das, was man selbst hören will, 21, der als Corky die Hauptrolle in der be- verständliches Miteinander von Anfang an, vor allem nicht dann, wenn man mit sei- liebten US-Filmserie Life goes on spielte und in allen Lebensbereichen –, aber wir wis- nem Kind mal wieder in einer problemati- uns alle begeisterte. So etwas war möglich? sen auch alle, wie langsam wir hierbei vo- schen Phase steckt. Das war Anfang der 90er-Jahre, inzwi- rankommen. Die Kontaktaufnahme zu anderen Müt- schen ist das heute fast schon Normalität. Wir schätzen, dass erst etwa zehn bis 15 tern und Vätern läuft heute ganz fix über Menschen mit Down-Syndrom spielen mit Prozent der Kinder bis zu zehn Jahren Re- die Sozialen Medien: Chatlisten, Blogs, Fa- in Fernsehserien, es werden Dokumentar- gelschulen besuchen. Noch weniger gehen cebook oder Twitter – überall sind vor al- filme über sie gedreht oder sie beteiligen in weiterführende Schulen, und die Debatte lem die Mütter aktiv unterwegs. Schnell ist sich an Podiumsdiskussionen über Inklusi- um einen Studienplatz an einer Uni hat erst man Teil einer DS-Community, wenn man on. Im niederländischen Fernsehen lief vor ganz zaghaft begonnen. das möchte, und hat viele, viele Freunde. zwei Jahren sogar eine richtige Soap: Down- Auch das Thema Integration auf dem Ganz anders lief das damals in unse- istie, in der nur Menschen mit Down-Syn- ersten Arbeitsmarkt steht schon länger auf rem Fall. Aus Neuseeland nach Deutsch- drom mitspielten. 16 Le b e n m i t D o w n - S y n d ro m N r. 8 2 I Mai 2016
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