Handlungsfelder Additive Fertigungsverfahren - April 2016 - Fraunhofer IGB
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Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 1 Inhalt 1 Einleitung 3 2 Was sind additive Fertigungsverfahren? 4 3 Was leisten additive Fertigungsverfahren heute? 6 4 Wer nutzt additive Fertigungsverfahren? 9 4.1 Luft- und Raumfahrtindustrie 9 4.2 Werkzeug- und Formenbau 9 4.3 Elektro- und Elektronikindustrie 10 4.4 Automobilindustrie 10 4.5 Gießereitechnik 11 4.6 Automatisierungstechnik, Maschinen- und Anlagenbau 11 4.7 Montagetechnik 12 4.8 Prothetik 13 4.9 Medizinische Hilfsmittel 13 4.10 Dentaltechnik 13 4.11 Medizinische Ausbildung und Operationsvorbereitung 14 4.12 Spielwarenindustrie und Fertigung von Sammlerstücken 14 4.13 Architektur 14 4.14 Film und Unterhaltung 15 4.15 Kunst 15 4.16 MINT-Unterricht 16 5 Wofür kann ich die additiven Fertigungsverfahren in meinem Betrieb nutzen? 17 5.1 Typische Einsatzgebiete 17 5.2 Wirtschaftliche Aspekte 21 5.3 Systemisches Arbeiten 22 5.4 Neue Geschäftsmodelle 24 6 Handlungsfelder 26 6.1 Technologische Weiterentwicklungen 26 6.2 Arbeitssicherheit 31 6.3 Fortbildung und Schulung 31 6.4 Applikationsforschung 32 6.5 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen 32 6.6 Rechtliche Rahmenbedingungen 32 www.vdi.de
2 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 7 Regenerative Medizin und Tissue Engineering: Bioprinting 43 8 Im Bereich „additive Fertigungsverfahren“ aktive Verbände 45 8.1 Deutsche Gesellschaft für Materialkunde e.V. 45 8.2 Forschungsvereinigung Schweißen und verwandte Verfahren e.V. des DVS 46 8.3 DVS – Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e.V. 46 8.4 Fachverband Pulvermetallurgie e.V. 47 8.5 VDMA 47 9 Aktivitäten des VDI 49 9.1 VDI-Fachausschuss „Additive Manufacturing“ 49 9.2 Überblick VDI-Richtlinien 50 9.3 Der VDI als Netzwerker 50 10 VDI-Richtlinien in der internationalen Standardisierung 51 Autoren 53 Schrifttum 54 ISBN 978-3-931384-82-1 www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 3 1 Einleitung Mit der Gründung des Fachausschusses „Rapid a llzu oft alleine deshalb nicht beantwortet werden, Prototyping“ im Jahr 2003 und der Veröffentlichung weil Informationen fehlen. Hier geben wir erste der Richtlinie VDI 3404 im Jahr 2009 als erste techni- Anhaltspunkte zur Orientierung und verweisen auf sche Regel weltweit zum Thema additive Fertigungs- Quellen, die belastbare Fakten liefern. Hier spielen verfahren haben wir, die ehrenamtlichen Mitarbeiter technische Regeln wie VDI-Richtlinien eine wichtige im VDI-Fachausschuss „Additive Manufacturing“, Rolle. Pionierarbeit geleistet. Die Richtlinien der Reihe VDI 3405 „Additive Fer- Hier in Deutschland haben Universitäten, Forschungs- tigungsverfahren“ beschreiben die verschiedenen einrichtungen und junge Unternehmen das Potenzial Technologien allgemein verständlich, erfassen den der additiven Fertigungsverfahren sehr früh erkannt Stand der Technik und helfen, mit klar definierten und daraus marktfähige Anlagen entwickelt, die von Begriffen zu kommunizieren und Leistungsmerkmale ihren Anwendungen im Prototypenbau den Weg in zu vergleichen. Wir stellen die bereits veröffentlichten die Fertigung von Endprodukten gefunden haben. Es VDI-Richtlinien zu den additiven Fertigungsverfahren ist ein neuer Wirtschaftszweig entstanden, der mit der vor, berichten über Richtlinienprojekte, die wir aktuell gesamten Wertschöpfungskette von der Werkstoff bearbeiten und geben einen Ausblick auf Themen, die herstellung über den Anlagenbau, den additiven Ferti- wir zukünftig behandeln werden. gungsverfahren als Dienstleistung und der Integration von additiv gefertigten Bauteilen in neue Produkte in Wir, die Forscher, Entwickler und Nutzer der addi- viele Branchen ausstrahlt. tiven Fertigungsverfahren, stehen vor der Heraus- forderung, unsere langjährige Erfahrung und unsere Additive Fertigungsverfahren sind bereit, ihren Platz hervorragende Wettbewerbsfähigkeit heute zu nutzen, in den Fertigungshallen neben Mehrachs-Bearbei- um in diesem Wachstumsmarkt international führend tungsmaschinen und Spritzgussanlagen einzuneh- zu bleiben. Durch Verfahrensoptimierungen werden men. In einigen Unternehmen haben sie diesen Platz die additiven Fertigungsverfahren für immer mehr heute schon gefunden. Wir zeigen hier das Potenzial Aufgaben wirtschaftlich – daran arbeiten wir. Wir der additiven Fertigungsverfahren insbesondere für sind überzeugt, dass die additiven Fertigungsverfah- die mittelständische Industrie in Deutschland auf. Bei ren heute schon häufiger in der industriellen Produk- der Herstellung von qualitativ hochwertigen Pro- tion eingesetzt werden können, als dies in Deutsch- dukten in kleinen Stückzahlen helfen die additiven lands Werkshallen praktisch der Fall ist. Fertigungsverfahren, die Produktentwicklungszeiten drastisch zu verkürzen und schneller am Markt zu Wir möchten den Einstieg in die additiven Verfahren sein. erleichtern und das Interesse an der weiteren Ent- wicklung dieser Technologie wecken. Wir hoffen, dass Doch wir wollen nicht verleugnen, dass es bei den diese Publikation dabei eine gute Hilfe ist. additiven Fertigungsverfahren noch viel zu verbes- sern gibt und fassen die wichtigsten „Baustellen“ zusammen. Dabei gehen wir nicht nur auf technische Aspekte zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit ein, sondern auch auf rechtliche. Auch hinsichtlich der Aus- und Fortbildung derjenigen, die additive Ferti- gungsverfahren nutzen könnten, gibt es noch viel zu Prof. Dr.-Ing. Gerd Witt tun. Die Frage „Wofür kann ich die additiven Ferti- Vorsitzender des VDI-Fachausschusses gungsverfahren in meinem Betrieb nutzen?“ kann FA 105 „Additive Manufacturing“ www.vdi.de
4 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 2 Was sind additive Fertigungsverfahren? „Rapid Prototyping“ und „3-D-Druck“ – unter diesen aufgeschmolzene Material beim Wiedererstarren mit Namen sind die additiven (generativen) Fertigungs- den darunter liegenden Strukturen und der direkten verfahren in der Öffentlichkeit bekannt geworden. Nachbarschaft zusammen. Wenn eine Schicht fertig ist, Unter „additiv“ werden alle Herstellverfahren zusam- wird wieder eine dünne Schicht frisches Pulver aufge- mengefasst, bei denen der Werkstoff zur Erzeugung tragen und der Vorgang beginnt von neuem. So wächst eines Bauteils schichtweise hinzugefügt wird. Das das Bauteil aus dem Pulver zusammen (Bild 2). steht im Gegensatz zu den klassischen subtraktiven Fertigungsverfahren wie Fräsen, Bohren und Drehen, bei denen Material abgetragen wird, um das endgülti- ge Bauteil zu erzeugen. Das Schichtbauprinzip ermög- licht es, geometrisch komplexe Strukturen herzu- stellen, die mit konventionellen Fertigungsverfahren nicht oder nur aufwendig realisiert werden können. Rapid Prototyping ist eine Anwendung der additiven Fertigungsverfahren, mit der Modelle und Prototypen hergestellt werden. Diese können bereits wichtige Merk- male und Eigenschaften wie mechanische Festigkeit oder Farbe des späteren Endprodukts haben (Bild 1). Bild 1. Weiterhin wichtig für eine effiziente Produktentwicklung: die additiven Fertigungs verfahren im Prototypenbau (Quelle: alphacam) Bei den Extrusionsverfahren Fused Layer Manufac- Bild 2. Prinzip der pulverbettbasierten a dditiven turing (FLM)/Fused Deposition Modelling (FDM) Fertigungsverfahren am Beispiel des Laser- wird ein Kunststoffdraht durch eine beheizte Düse Sinterns (Quelle: RTC Universität Duisburg-Essen) aufgeschmolzen und geometrisch definiert abgelegt. Das Bauteil wächst zusammen, indem punktgenau Der Vorteil des Laser-Verfahrens ist, dass es nicht einzelne Materialstränge Schicht für Schicht dort nur mit Kunststoffen funktioniert. Die Verarbeitung dosiert werden, wo weiteres Material für das endgül- von Metallen wird Laser-Strahlschmelzen und die tige Bauteil benötigt wird. Dies ist das mit Abstand von Kunststoffen Laser-Sintern genannt. Die Bauteile, am weitesten verbreitete Verfahren und findet sowohl die so hergestellt werden, weisen so gute mechani- bei Privatanwendern/Heimdruckern als auch für den sche Eigenschaften auf, dass sie als finale Produkte professionellen Einsatz Verwendung. verwendet werden können (Bild 3). Der Prozess wird daher auch „Rapid Manufacturing“ genannt. Bei den pulverbasierten Prozessen wird pulverisiertes Ausgangsmaterial in einer dünnen Schicht auf die Wie schon erwähnt, werden in den Medien oft alle Arbeitsfläche auftragen. Beim anschließenden punkt- additiven Fertigungsverfahren als 3-D-Druck zusam- genauen Aufschmelzen mit einem Laser wächst das mengefasst. Experten verstehen darunter aber oft nur www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 5 ein spezielles Verfahren, bei dem wie bei den pulver- basierten Prozessen loses Partikelmaterial gleichmäßig auf die gesamte Baubreite aufgetragen wird. Wo das Bauteil entstehen soll, wird hier per Druckkopf Binde- mittel aufgetragen, das die jeweils zuletzt aufgetragene Schicht benetzt und mit der darunter liegenden verbin- det. Es können unterschiedliche Werkstoffe, so auch Keramiken, mit diesem Verfahren verarbeitet werden. Industriell relevant ist die Möglichkeit, mit diesem Ver- fahren Sandformen für den Metallguss herzustellen. Eine genaue Beschreibung der verschiedenen Pro- zesse und Verfahren, die unter dem Begriff „Additive Bild 3. Gebogener Schieber (links) aus Stahl Fertigungsverfahren“ zusammengefasst werden, mit innen liegender Küh-lung (rechts, skizziert) findet sich in der Richtlinie VDI 3405. (Quelle: Gregor Jell Werkzeugelemente) www.vdi.de
6 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 3 Was leisten additive Fertigungsverfahren heute? Additive Fertigungsverfahren sind im industriellen Umfeld mit Kunststoffen und Metallen als Werkstoff Stand der Technik. Gussformen oder Formen für andere Abformverfahren werden ebenfalls additiv hergestellt. Keramiken und andere Werkstoffe können additiv verar- beitet werden, doch ist deren Bedeutung für die indus trielle Produktion derzeit noch verhältnismäßig gering. Die auf die Pulverbettverfahren Laser-Strahlschmel- zen und Laser-Sintern spezialisierten Anlagenher- steller aus Deutschland wie EOS, Concept Laser und SLM Solutions [1; 2; 3] sind bei der Verarbeitung Bild 5. Die Herstellung von geometrisch hoch von metallischen Werkstoffen international führend. komplexen Bauteilen mit additiven Fertigungs Additiv gefertigte Bauteile aus Metall sind für indus- verfahren wird auch als Dienstleistung angeboten. trielle Anwendungen besonders gut geeignet. Mit (Quelle: Gregor Jell Werkzeugelemente) metallischen Werkstoffen können additiv Geometrien realisiert werden, die anders nicht herstellbar sind. Laser-Strahlschmelzen und Laser-Sintern sind aber nicht die einzigen Technologien, auf die Unternehmen Die Richtlinie VDI 3405 Blatt 2 beschreibt die Eigen hierzulande setzen. Die Firma voxeljet [4] ist einer schaften von metallischen Bauteilen, die mit dem der Marktführer für den 3-D-Druck im industriellen Strahlschmelzen hergestellt wurden, detailliert. Umfeld. Mit dem ersten kontinuierlich arbeitenden Außerdem beschreibt sie Methoden zur Qualitäts 3 D-Drucker weltweit, den großen Bauräumen (Bild 6) sicherung und gibt im Anhang Materialkenndaten vom und den hohen Baugeschwindigkeiten sieht sich das Werkzeugstahl 1.2709 (Bild 3) an. VDI 3405 Blatt 2.1 Unternehmen in seinem Marktsegment international ergänzt Materialkenndaten von AlSi10Mg (Bild 4). als Technologieführer. Beim Arburg Kunststoff-Freiformen [5] bilden han- delsübliche, kostengünstige Kunststoffgranulate die Grundlage – einer der Vorteile gegenüber anderen Verfahren der additiven Fertigung. Das Granulat wird ähnlich wie beim Spritzgießen zunächst in einem Plastifizierzylinder aufgeschmolzen. Eine starre Austragseinheit mit spezieller Düse trägt kleinste Kunststofftropfen auf den Bauteilträger auf. Der bewegliche Bauteilträger wird so positioniert, dass jeder Tropfen auf die vorher berechnete Stelle ge- setzt wird. Dabei verbinden sich die winzigen Tropfen beim Abkühlen von selbst. So entsteht Schicht für Schicht das gewünschte dreidimensionale Bauteil. Das Verfahren ermöglicht Systemlösungen zum Indi- vidualisieren von Großserienteilen durch Kombination von Spritzgießen, Ident-Technologien und additiver Bild 4. Kühler aus dem Werkstoff AlSi10Mg. Fertigung. Bild 7 zeigt als Technologiebeispiel eine Quelle: citim GmbH Schere, deren Kunststoffgriffe an die Edelstahlklingen gespritzt wurden. Im Anschluss wird ein eindeutiger Das in Bild 5 gezeigte Bauteil ist ein Mischer für Code zur Bauteilidentifikation aufgelasert und ein Flüssigkeiten, der auch zum Homogenisieren und individueller Schriftzug, im Beispiel der Schriftzug Wärmetauschen eingesetzt werden kann. „John“ additiv aufgebracht. www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 7 Bearbeitung auf einer Maschine ermöglicht völlig neue Anwendungs- sowie Geometriemöglichkeiten. Auch große Bauteile lassen sich mit dieser Hybrid lösung kostengünstig herstellen. Der flexible Wechsel zwischen Laser- und Fräsbear- beitung ermöglicht die direkte Finishing-Bearbeitung von Bereichen, die am Fertigteil später nicht mehr erreichbar sind. Bild 8 zeigt eine Anlage vom Typ Lasertec 65 3D beim Laser-Auftragsschweißen. Bild 6. Mit additiven Fertigungsverfahren kön- Bild 8. Beim Laser-Auftragsschweißen wird nen auch große Objekte realisiert werden. Hier im Metallpulver vom Laser aufgeschmolzen. Die Bild eine Design-Säule von Sam Welham & Richard Metalltropfen verbinden sich mit dem darunter Beckett. (Quelle: voxeljet) liegenden Bauteil. (Quelle: DMG MORI) Einen ähnlichen Ansatz verfolgt HERMLE mit seinem MPA-Auftragsverfahren. Hier erfolgt der Materialauf- bau über eine Düse, aus der mit hoher Geschwindig- keit Metallpulver und Trägergas ausströmen. Trifft das Metallpulver auf die Oberfläche, entstehen hohe Temperaturen und Drücke. Dadurch verbindet sich das Metallpulver mit der Oberfläche. Anschließend wird auch hier über Zerspanung überflüssiges Mate- rial wieder abgetragen. Der Hersteller gibt an, dass folgende Materialien mit diesem Verfahren verar- Bild 7. Veredlung von Serienprodukten durch beitet werden können [7]: 1.2344 Warmarbeitsstahl Individualisierung mittels additiver Fertigung. (H13), 1.2367 Warmarbeitsstahl, 1.4404 Rostfreier (Quelle: Arburg) Stahl (316L), Reinkupfer, Bronze, Titan und Alumini- um. DMG MORI kombiniert das additive Laseraufbauver- fahren in eine vollwertige 5-Achs-Fräsmaschine [6]. Auch Luxexcel aus den Niederlanden hat die Grenzen Diese Hybridlösung kombiniert die Flexibilität des dessen, was additiv herstell- und verarbeitbar ist, Laser-Auftragschweißens (siehe DVS 3215) mit der neu definiert. Das Unternehmen stellt Linsen und Präzision der spanenden Bearbeitung und ermöglicht andere komplexe optische Elemente direkt additiv her somit die additive Herstellung kompletter Bauteile (Bild 9). Das besondere hierbei ist, dass der verarbei- mit höchster Präzision in Fertigteilqualität. Bei dem tete Kunststoff für die Anwendung transparent und Verfahren wird ein Auftragsprozess mittels Metall- homogen genug ist. Die optisch aktiven Oberflächen pulverdüse verwendet, der eine Komplettbearbeitung werden direkt perfekt glatt gefertigt, sodass kein ohne Prozesskammer ermöglicht und bis zu 10- Nachpolieren erforderlich ist. Der Hersteller bietet die mal schneller ist als das Generieren im Pulverbett. Fertigung von individuellen Optiken über seinen Web- Darüber hinaus ist die Herstellung überhängender shop [8] an. Bauteile mit neuen optischen Funktionen Konturen ohne Stützstruktur möglich. Die Kombina- stehen so innerhalb von Tagen zur Verfügung und tion des Laser-Auftragschweißens mit der spanenden können die Entwicklung neuer Produkte beflügeln. www.vdi.de
8 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 Die Extrusionsverfahren FDM/FLM werden, was den professionellen Einsatz angeht, von Unternehmen wie Stratasys [9] aus den USA dominiert. Die unzähligen Unternehmen aus aller Welt, die derzeit 3-D-Drucker für den Heimanwender anbieten, runden das Angebot nach unten ab. Einen Überblick über die verschiedenen additiven Fertigungsverfahren, deren Funktionsweise und die typischen Einsatzgebiete gibt die Richtlinie VDI 3405. Bild 9. Additiv gefertigte Optikelemente. Quelle: Luxexcel www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 9 4 Wer nutzt additive Fertigungsverfahren? In einer Studie hat das Direct Manufacturing Re- 4.2 Werkzeug- und Formenbau search Center (DMRC) an der Universität Paderborn [10] untersucht, welche Wirtschaftszweige von den Im Werkzeug- und Formenbau werden typischerweise additiven Fertigungsverfahren profitieren können. In Einzelstücke oder Kleinserien gefertigt. Dadurch, dass den folgenden Abschnitten stellen wir viele davon mit additiv gefertigte Bauteile schneller zur Verfügung Praxisbeispielen vor. stehen als konventionell gefertigte, stehen auch die damit hergestellten Produkte eher zur Verfügung und können mit einem Zeitvorsprung auf den Markt 4.1 Luft- und Raumfahrtindustrie gebracht werden. Indem die Möglichkeit genutzt wird, Geometrien zu fertigen, die bisher praktisch nicht Bei Fluggeräten bewirken Gewichtseinsparungen herstellbar waren, kann außerdem die Performance über den verringerten Treibstoffverbrauch erhebliche der Werkzeuge verbessert werden. Einsparungen bei den Betriebskosten. Da die Kunden typischerweise die Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership) betrachten, sind sie bereit, höhere Anschaf- fungskosten zu akzeptieren, wenn diese nachweislich die Betriebskosten senken. Konstruktiv auf Leichtbau op- timierte und additiv hergestellte Bauteile wie der in Bild 10 gezeigte Halter sind hinsichtlich der Konstruktions- und Herstellkosten sicherlich nicht günstiger als ihre konventionell konstruierten und gefertigten Vorgänger- lösungen. Jedoch werden damit Treibstoffeinsparungen ermöglicht. Diese realisieren nicht nur Kostenvorteile, sondern senken so auch den Ressourcenverbrauch. Bild 10. Bionisch optimierter Halter für das Crew Bild 11 gibt einen Überblick, wo in modernen Flugzeu- Rest Compartment im Airbus A350 XWB. gen bereits additiv gefertigte Bauteile eingesetzt werden. (Quelle: VDI e.V.) Bild 11. Einsatz additiv gefertigter Flugzeugbauteile. (Quelle: Stratasys) www.vdi.de
10 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 Bild 3 zeigt einen gebogenen Schieber, der in einer von EDAG und dem LZN Laser Zentrum Nord (Ham- Spritzgussmaschine eingesetzt wird. Durch die beson- burg) entwickeltes Gehäuse ist beispielsweise über dere Bauform wird die Zykluszeit bei gleichzeitiger 50 % leichter als die gegossene Referenz (Bild 13). Steigerung der Produktqualität gesenkt. Auch mit Ansatz war dabei, nicht das komplette Gehäuse mit dem in Bild 12 gezeigten Kern mit Spiralkühlung wird Laser-Strahlschmelzen herzustellen, sondern nur eine verkürzte Zykluszeit ermöglicht. die konzept- und wirkungsgradrelevanten Funkti- onselemente, bei denen die additive Fertigung ihre Vorteile voll ausspielen kann. Herzstück des hybrid gefertigten Gehäuses ist eine monolithische, additiv gefertigte Aluminium-Kühlstruktur. Mit ihren speziell auf den Wärmedurchgang der Elektronik angepassten Kühlkanälen und filigranen Kühlrippen erzielt das Aluminiumbauteil höchste Kühlleistungen auf kleins- ten Raum bei minimalem Gewicht. Bild 12. Zeichnung eines Kerns mit innen liegen- der Kühlung (oben) und Foto der additiv gefer- tigten Bauteile vor und nach der Politur (unten) (Quelle: Gregor Jell Werkzeugelemente) 4.3 Elektro- und Elektronikindustrie Auch in der Elektro- und Elektronikindustrie ist eine Bild 13. Demonstrator eines On-Board-Ladegeräts unzureichende Kühlung oft der entscheidende Grund, für Elektrofahrzeuge mit einem hybrid gefertigten warum kompaktere Bauformen oder leistungsfähigere Leistungselektronikgehäuse und additiv gefertigter Geräte nicht realisiert werden können. Mithilfe der Kühlstruktur (Quelle: EDAG) additiven Fertigungsverfahren können maßgeschnei- derte Kühlsysteme realisiert werden, die die Wärme aufnehmen, wo sie entsteht. 4.4 Automobilindustrie Die Leistungselektronik beispielsweise moderner Elektro- und Hybridfahrzeuge zeichnet sich durch Die additive Fertigung findet im Automobilbau im ihre hohe Integrationsdichte auf kleinstem Bauraum Bereich des Prototyping seit vielen Jahren eine weite aus. Durch die hohen lokal anfallenden und abzu- Verbreitung und gewinnt darüber hinaus zusehends führenden Verlustleistungen in Form von Abwärme auch im Bereich der Kleinserienfertigung, insbe- wird die Kühlung der Elektronik heute in der Regel sondere bei Konzeptfahrzeugen und im Motorsport, aktiv über ein in das Gehäuse integriertes Kühlsystem immer größere Bedeutung. Je nach Bauteilgröße und ausgeführt. Heutige in Serie produzierte Leistungs- -anforderungen werden beispielsweise die additiven elektronikgehäuse in Aluminium-Druckguss stoßen Fertigungsverfahren selective Laser Melting (SLM), allerdings bei der Funktionsintegration und dem Laser Metal Deposition (LMD), Selektives Lasersintern erzielbaren Leichtbaugrad aufgrund der fertigungs- (SLS), Stereolithografie (SLA) und Fused Deposition technischen Restriktionen, z. B. Mindestwandstärken Modelling (FDM) eingesetzt, durch die eine Bereitstel- oder Entformungsschrägen, schnell an ihre Grenzen. lung der Bauteile innerhalb weniger Tage gewährleis- Eine Alternative sind die additiven Fertigungsverfah- tet werden kann. ren. Diese sind allerdings wegen der vergleichsweise langsamen Aufbauraten für eine Großserienprodukti- Die Richtlinie VDI 3405 gibt einen Überblick über on von voluminösen metallischen Bauteilen noch zu die unterschiedlichen additiven Fertigungsverfahren. kostenintensiv. Vor diesem Hintergrund wurden hybrid gefertigte Verfahrenstechnische Vorteile, die hierbei genutzt Gehäuse für On-Board-Ladegeräte entwickelt. Ein werden, sind die hohe geometrischen Freiheit, die www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 11 eine nahezu restriktionslose Optimierung des Bauteils 10- bis 100-Fache von konventionell abgeformten hinsichtlich beispielsweise Gewicht und Strömungs- Gießkästen, geschossenen Kernen oder gespritzten führung zulässt. Ein Beispiel zeigt Bild 14. Wachsmodellen. Durchgesetzt hat sich schon länger, bei Einzelteilen oder Kleinserien zu vergleichen, ob der Werkzeugbau oder der 3-D-Druck für ein Projekt günstiger sind. Enge Toleranzen, dünne Wandstärken und extrem komplexe Geometrien, die eine Vielzahl von Einzelkernen erfordern würden, führen zu Gieß- werkzeugkosten im mittleren sechsstelligen Bereich, sodass für Jahresstückzahlen bis etwa 10.000 der 3-D- Druck zumindest von Teilen der Gießwerkzeuge eine wirtschaftliche Alternative geworden ist. Wenn Konstrukteure additiv denken und die Frei- heitsgrade des 3-D-Drucks nutzen, um ihr Erzeugnis mit einem Zusatznuten für ihre Kunden zu optimie- Bild 14. Additiv gefertigtes Wasserpumpenrad ren, fällt die Entscheidung zugunsten der additiven zum Einsatz in Hochleistungsfahrzeugen (Quelle: Fertigungsverfahren häufiger. BMW Group Presseclub [11]) Ein gutes Beispiel für ein solches Gussteil sind Inte Das Wasserpumpenrad wird in der Rennserie DTM in gralkrümmer. Bei ihnen ist der Abgaskrümmer und den BMW M4-, sowie in BMW Z4-GT3-Kundenfahr- der antriebsseitige Teil des Turboladers in einem zeugen eingesetzt und wurde bereits mehr als 500- Bauteil integriert. Derartige Bauteile halten extremen mal aus dem Leichtmetall Aluminium gefertigt. Seit Druck- und Temperaturschwankungen stand und der Einführung im Jahr 2010 gab es bei den verbauten machen Dichtungen zwischen Abgaskrümmer und Wasserpumpenräder bis zum heutigen Tage keinen Turbolader überflüssig. Mit hochlegierten Stählen sind Ausfall – und das unter höchsten Lastbedingungen: Betriebstemperaturen deutlich über 1.000 °C möglich. Im Renneinsatz laufen die Hochleistungsmotoren bis Damit kann die Effizienz und Leistung von Motoren zu 70 % der Betriebszeit unter Volllast! gesteigert werden. Die Vorteile der additiven Fertigungsverfahren konn- Diese Vorteile können auch bei gegossenen Turbinen ten bei der Weiterentwicklung der für Serienfahrzeu- schaufeln genutzt werden. Die Kontur der additiv ge zweiteilig geclipsten Kunststoffvariante durch die gefertigten Form kann dem strömungsmechanisch investitions- und werkzeuglose Fertigung wirtschaft- erforderlichen folgen, sodass der Wirkungsgrad der lich umgesetzt werden. Dabei entstand ein strömungs- Turbine optimiert wird. technisch optimales Bauteil, in dem alle konstruktiven Feinheiten realisiert werden konnten. Anspruchsvolle Kerne wie Wassermäntel für einen modernen Verbrennungsmotor werden konventionell gefertigt teilweise aus zahlreichen Einzelteilen zusam- 4.5 Gießereitechnik mengesetzt. Das erfordert ein Montagespiel, erhöht die Gesamttoleranzen und stellt ein Qualitätsrisiko Ein Bereich, in dem sich additive Fertigungsverfahren dar. Daher werden Wandstärken höher festgelegt, als bereits einen festen Platz erarbeitet haben, sind Sand- eigentlich erforderlich. Die größere Masse wirkt sich kerne und -formen für den Sandguss und verlorene auf die Fahrdynamik und den Treibstoffverbrauch Modelle für den Feinguss. ungünstig aus. Mithilfe additiv an einem Stück gefer- tigter Gussformen können diese Sicherheitszuschlä- Bei konventioneller Fertigung müssen die Konst- ge bei Dimensionen bis zu 1,8 m × 1,0 m × 0,6 m ruktionen den Anforderungen des Abformprozesses entfallen. genügen. So müssen Ausformschrägen angebracht werden. Die Kerne müssen sich in einem Kernkasten herstellen und vor allem aus ihm entformen lassen. In der Praxis führt das zu unerwünschten Einschrän- 4.6 Automatisierungstechnik, kungen. Maschinen- und Anlagenbau Der 3-D-Druck von Sandformen ist keine billige Die Beweggründe, additive Fertigungsverfahren in Technologie. So hergestellte Teile kosten oft das der Automatisierungstechnik sowie dem Maschinen- www.vdi.de
12 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 und Anlagenbau einzusetzen, sind ähnlich wie beim Wenn Vakuumsauger zur Handhabung von Bautei- Werkzeug- und Formenbau. Auch hier beschleunigen len eingesetzt werden, können die entsprechenden kurze „Wartezeiten“ zwischen Fertigstellung der Greifer mithilfe der additiven Fertigungsverfahren Konstruktion und dem Vorliegen des realen Bauteils wesentlich einfacher realisiert werden: Das Greifer- die Projektlaufzeiten. Bild 15 zeigt einen Greifer, der gerüst wird einfach aus einem Stück und innen hohl ausgehend von einer Standardkonstruktion anwen- gefertigt. So kann das Vakuum ohne zusätzliche dungsspezifisch modifiziert und dann in einem Leitungen direkt durch das Gerüst geführt werden. Fertigungsschritt span- und werkzeuglos kurzfristig Die Anschlüsse für die Sauger und die Vakuumversor- gefertigt wird. Bei diesem Greifer werden die Poten- gung können direkt mit integriert werden. Bei Bedarf ziale, die die additiven Fertigungsverfahren bieten, können die Saugerpositionen und -winkel optimal genutzt: Seine Bestandteile entstehen bei der Ferti- passend zum jeweiligen Bauteil konstruiert werden. gung nicht als Einzelteile, die später zusammengefügt werden müssen. Stattdessen werden sie in richtiger Anordnung zueinander quasi als ein Bauteil „fertig 4.7 Montagetechnik montiert“ additiv gefertigt. Dadurch entfallen Logistik- kosten durch die Verwaltung und Bevorratung vieler Wenn die Handhabung von Bauteilen nicht vollautoma- Einzelteile sowie Montagekosten. tisch stattfinden soll, und die Geschicklichkeit und Fle- xibilität von Menschen bei der Montage genutzt wird, Die Richtlinie VDI 3405 Blatt 3 gibt Konstruktions- können die additiven Fertigungsverfahren helfen, die empfehlungen für die Bauteilfertigung mit Laser- Mitarbeiter optimal zu unterstützen. Bild 16 zeigt oben Sintern und Laser-Strahlschmelzen und hilft damit, ein Beispiel aus der Fahrzeugmontage bei BMW. „additiv“ zu denken und bei den Konstruktionen die neuen Möglichkeiten zu nutzen, um Mehrwert zu schaffen. Bild 16. Einsatz der additiven Fertigung in der Automobilindustrie zur optimalen Unterstützung der Mitarbeiter in der Fahrzeugmontage (oben) und Detailaufnahme der Daumenunterstützung (unten) (Quelle: BMW Group Presseclub [11]) Im Rahmen eines Pilotprojekts im Jahr 2014 wurde für die Produktionsmitarbeiter in der Fahrzeugmontage ein ergonomisches Hilfswerkzeug entworfen. Konkret handelt es sich dabei um eine individuell anpassba- Bild 15. Additiv gefertigter adaptiver Greifer re flexible Daumenunterstützung, durch welche die (Quelle: Festo) übermäßige Belastung der Daumengelenke verhindert www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 13 wird. Bild 16 zeigt die Montagehilfe im Einsatz (oben) Additiv werden derzeit Knie-, Hüft- und Bandschei- und in Detailaufnahme (unten). Die individuelle Anpas- benprothesen, aber auch Prothesen zum Ausgleich sung des Hilfsmittels ist hierbei durch einen 3-D-Scan größerer Knochendefekte wie etwa im Schädelbereich der Hand des jeweiligen Produktionsmitarbeiters und nach schweren Unfällen oder Krankheiten hergestellt. die nachfolgende Fertigung im SLS-Verfahren (siehe VDI 3405 Blatt 1) möglich. Der hierbei verwendete Werkstoff ist ein eigens dafür entwickeltes thermo- 4.9 Medizinische Hilfsmittel plastisches Polyurethan. Ein Vorteil des neuen, nun marktreifen Werkstoffs ist die Möglichkeit, über die Medizinische Hilfsmittel, die extern am Körper Prozessparameter des Fertigungsprozesses mechani- genutzt werden, wie Prothesen, Orthesen, Hörhilfen, sche Eigenschaften gezielt einzustellen, quasi maßzu- Schienen und orthopädische Fußeinlagen, werden schneidern. Erste Praxistests der Montagehilfe sind schon häufig maßgeschneidert mittels additiver positiv verlaufen, sodass nun eine flächendeckende Fertigung hergestellt. Hierbei werden handelsübliche Verwendung im Produktionsalltag geprüft wird. Geräte und für diese herstellerseitig verfügbare Ma- terialien eingesetzt. Wesentliche Gesichtspunkte sind hierbei mechanische Eigenschaften im Hinblick auf 4.8 Prothetik den beabsichtigten Einsatzzweck, aber auch Fragen wie die Körperverträglichkeit (z. B. Hautverträg- Mit additiven Fertigungsverfahren lassen sich auf lichkeit). Eine zunehmend wichtige Frage bildet die Grundlage von patientenspezifischen 3-D-CT- oder Entwicklung von Materialien mit höherer Flexibilität 3-D-MRT-Daten individuell angepasste Prothesen rea- und Elastizität. Derartige Materialien stehen bisher lisieren. Das alleine ist schon ein wesentlicher Beitrag kaum zur Verfügung, da diese Eigenschaften bei der zum Behandlungserfolg. Additive Fertigungsverfahren additiven Fertigung bisher keine signifikante Rolle können hier jedoch einen Zusatznutzen generieren: gespielt haben. An der Schnittstelle zwischen Prothese und Knochen kann die Oberfläche der Prothese offenporig gestal- 4.10 Dentaltechnik tet werden. Das ermöglicht es dem Gewebe, mit der Prothese zu verwachsen. Es entsteht eine dauerhafte In der Dentalprothetik werden additive Fertigungsver- und den Patienten möglichst wenig beeinträchtigende fahren schon seit einigen Jahren in nennenswertem Verbindung zwischen dem Knochen und der Prothese. Umfang für Brücken, Kronen, Schienen, Schablo- Bild 17 zeigt ein Beispiel. nen, Abdrucklöffel usw. eingesetzt. Als Materialien kommen vorwiegend Polymere, Keramiken bzw. Hybridmaterialien, teilweise auch Gold meist auf Individuell an den Patienten angepasste Produkte fördern in der Medizin den Behandlungserfolg. Bild 17. Für einen Patienten individuell additiv gefertigter Beckenteilersatz aus einer biokom- patiblen Titanlegierung mit offenporiger Struk- Bild 18. Mithilfe additiver Fertigungsverfahren tur an der Knochen-Implantat-Schnittstelle hergestellte passgenaue Brackets zur Kiefer- (Quelle: implantcast) korrektur (Quelle: 3M Orthodontic Products) www.vdi.de
14 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 Laser-Strahlschmelz [12] oder DLP (Digital Light digitale 2-D-Kameras gleichzeitig ein Bild der Person Processing)-Maschinen zum Einsatz. Heutzutage nutzt auf, die sich in die Mitte der Anlage stellt. Aus diesen hierbei schon eine nennenswerte Anzahl von Zahn- Bildern wird dann ein 3-D-CAD-Modell berechnet, das ärzten diese Technologie, wobei meist die Fertigung Ausgangspunkt für die additive Fertigung des farbi- von spezialisierten Dienstleistern oder sogar von gen Modells ist. Bild 20 zeigt so hergestellte Figuren. den Maschinenherstellern selbst übernommen wird. Zunehmend kommen in diesem Bereich auch kleinere und preisgünstigere Geräte auf den Markt, die erwar- ten lassen, dass zukünftig derartige Geräte unmit- telbar in Zahnarztpraxen eingesetzt werden können, sofern hierfür entsprechend geschultes Personal zur Verfügung steht. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, Gold zu verwenden, ohne dieses direkt additiv zu verarbeiten: Für die in Bild 18 gezeigten Brackets wurden Wachs- gussformen 3-D gedruckt [13]. 4.11 Medizinische Ausbildung und Bild 19: 3-D-Kameras der Firma botspot für 3-D-Modelle von Menschen. (Quelle: VDI e.V.) Operationsvorbereitung Die Fertigung von Anschauungsobjekten als typische Form des Rapid Prototyping stellte schon in den An- fängen die erste Form der Nutzung additiver Herstell- verfahren in der Medizin(-technik) dar. Modelle z. B. von Organen können leicht mit Standardgeräten und Standardmaterialien – in der Regel Gips oder Kunst- stoffe – hergestellt werden. Im Zuge der deutlichen Technologie- und Qualitätsfortschritte in den letzten Jahren hat die Bedeutung von 3-D-Objekten zur Unter- stützung der medizinischen Ausbildung etwa durch anatomische Modelle oder der Vorbereitung von Operationen sowie der Unterstützung der Diagnostik anhand von Modellen auf der Basis realer Patienten- Bild 20. Von der Firma botspot additiv daten zugenommen. An maßgerechten 3-D-Herzmo- gefertigte Figuren der Mitglieder der deutschen dellen beispielsweise können die Technik des Herzka- Judo-Nationalmannschaft. (Quelle: VDI e.V.) theters eingeübt oder krankhafte Veränderungen in einer realen 3-D-Sicht besser als in CT-, MRT- oder oft Wenn man bedenkt, dass die Figuren und Szenen von auch 3-D-Daten am Computer erkannt werden, die de aktuellen Computerspielen und animierten Spielfil- facto doch zweidimensional wahrgenommen werden. men ohnehin in einer 3-dimensionalen Repräsenta- Operationen etwa in der Orthopädie können zunächst tion vorliegen, kann man sich gut vorstellen, dass an realen 3-D-Modellen geprobt werden, die aus Daten beliebige Posen der digitalen Helden additiv gefertigt des jeweils betroffenen Patienten gefertigt werden; werden könnten. Die technischen Voraussetzungen 3-D-gefertigte Schablonen können ebenfalls in vielen für individuelle Sammlerstücke oder von den Kunden Fällen den Operationsverlauf unterstützen. mitgestaltete Spielzeuge sind vorhanden. Es liegt an der Bereitschaft der Industrie, diese anzubieten und der Kunden, die Kosten zu akzeptieren und die Ange- 4.12 Spielwarenindustrie und Fertigung bote zu nutzen. von Sammlerstücken 360°-3-D-Modelle von Menschen können mithilfe 4.13 Architektur von Fotos, die von allen Richtungen gemacht wurden, rekonstruiert werden. Bild 19 zeigt eine Anlage der Die Präsentation ihrer Entwürfe und Modelle ist für Firma botspot. Hier nehmen viele handelsübliche Architekturbüros von entscheidender Bedeutung. www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 15 Immer mehr Architekten setzen dabei auf additiv Die Bedeutung der Schmuckindustrie als Wirtschafts- gefertigte Architekturmodelle. zweig ist mit geschätzten 30.000 Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigen und 180.000 Beschäftig- Die detailreichen und maßstabsgetreuen Kunststoff- ten in den größten 200 Betrieben unumstritten. modelle stehen für höchste Professionalität in der Darstellung und vermitteln den Bauherren ein realis- tisches Bild von Bauwerken oder Gebäudekomplexen (Bild 21). Bild 21. Additiv gefertigtes Architekturmodell (Design: Architekt W. Schmidt, Quelle: voxeljet) 4.14 Film und Unterhaltung Das anspruchsvolle Filmpublikum verlangt nach realistischer Darstellung von Filmkulissen und Actionszenen. Führende Filmstudios und Modellbau- er in aller Welt nutzen dabei die Möglichkeiten der Bild 22. Additiv gefertigtes Karosseriemodell additiven Fertigungsverfahren. eines Aston Martin (oben) und fertig aufberei- tetes Modell (unten) für eine Filmproduktion. Mit hochauflösenden Anlagen lassen sich konkrete (Quelle: Propshop Modelmakers) Objekte wie der Dienstwagen von James Bond oder komplette Scheinwelten schnell und kostengünstig, Die Kunden in Europa und in anderen hoch entwi- maßstabsgetreu und fotorealistisch mit maximaler ckelten Wirtschaftsräumen haben sich – quer über Detailtreue erstellen. Das in Bild 22 gezeigte Beispiel alle Wirtschaftszweige – an ständige Neuerungen wurde in einem gemeinsamen Projekt von Propshop und innovative Produkte gewöhnt. Die europäische Modelmakers Ltd und voxeljet erstellt. Schmuckindustrie steht mit ihren qualitativ hochwer- tigen Produkten mit anderen Branchen im Wettbe- werb um die Gunst der Kunden. Man kann davon aus- 4.15 Kunst gehen, dass im Segment des hochwertigen Schmucks der Wunsch nach personalisierten Einzelstücken Künstlern und Designern eröffnen die additiven mit individueller Gestaltung vor diesem Hintergrund Fertigungsverfahren bis dato ungeahnte Möglich- zunehmen wird. Die Wertschätzung des innovativen keiten [12]. Mit der innovativen Technologie lassen Designs gewinnt gegenüber dem Wert der verarbeite- sich Kunstwerke, Skulpturen und Designobjekte aus ten Rohstoffe zunehmend an Bedeutung. Mit additiven unterschiedlichen Werkstoffen direkt nach CAD- Fertigungsverfahren können neue Designs und indi- Daten herstellen. Visionen und Ideen werden damit viduelle Produkte mit geringem Aufwand realisiert in einem Schritt zur Realität – einfach, schnell und werden. Angesichts der aktuell hohen Edelmetallprei- unkompliziert (Bild 23). Spezielle Fertigungsanlagen se sind die Möglichkeiten zum Leichtbau, insbesonde- für wertvolle Rohstoffe wie Gold helfen, die Ideen re zur Fertigung von Hohlräumen, bei großvolumigen praktisch zu realisieren. Schmuckstücken von besonderem Nutzen. www.vdi.de
16 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 ersten Idee bis zum Endprodukt zu unterstützen. Weiterhin fördern solche Projekte Kompetenzen und Fähigkeiten wie das räumliche Vorstellungsvermögen, die Kreativität, aber auch Problemlösekompetenzen und Kooperationsfähigkeiten [14]. Zu Beginn der Projektarbeit in einer Schülergruppe muss – wenn das herzustellende Objekt noch nicht fest- steht – über dieses in der Gruppe verhandelt werden. Haben sich die Schüler auf eine Idee geeinigt, muss diese skizziert werden. Dies fördert Fähigkeiten des technischen Zeichnens, aber auch kreative sowie gege- benenfalls künstlerische Kompetenzen. Die Skizze wird dann mit einer 3-D-Software modelliert und somit in ein digitales Modell umgewandelt. Schnelle Erfolge bei der Nutzung der CAD-Programme fördern bei Schülerinnen und Schülern das Technikinteresse, zumal mathema- tische, naturwissenschaftliche, technische, aber auch kreative Fähigkeiten gleichzeitig gefördert werden. Praxisprojekte haben hier gezeigt, dass auch bei Mädchen ein deutliches Interesse an Technik und den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissen- schaft, Technik) entwickelt werden kann. Von besonderer Bedeutung sind jedoch die Lern erfahrungen, die Schüler in diesen Projekten sammeln: Bild 23. Die Designer und Künstler haben die Die Lernerfahrung startet mit der eigenen additiven Fertigungsverfahren schon für sich Imagination. Die Möglichkeit eine kreative Idee in entdeckt (Design: Tesni Odonnell Winch, Quelle: die Realität umsetzen zu können, ist in höchstem School of Jewellery, Birmingham City University. Maße motivierend. Die Lernerfahrungen sind realitätsnah, da sie wie bei beruflichen Projekten in ihrer Entwicklung 4.16 MINT-Unterricht nicht vorhersehbar sind: Sie erfordern kontinuier- liches Reflektieren, Überprüfen, Evaluieren und Im Abschnitt „Fortbildung und Schulung“ gehen wir Adaptieren der Lern- und Arbeitsschritte an verän- unter der Überschrift „Handlungsfelder“ noch aus- derte Bedingungen. führlich darauf ein, dass Konstrukteure, die bislang für andere Fertigungsverfahren konstruiert haben, Die Schüler werden durch das hohe Maß an umdenken müssen, wenn sie die Potenziale der addi- eigener Beteiligung motiviert, müssen aber auch tiven Fertigungsverfahren ausschöpfen wollen. mit Frustration und Misserfolg umgehen und sich immer wieder motivieren, um ihr Ziel zu erreichen. Hierbei sammeln sie auch Erfahrungen im Umgang In diesem Abschnitt geht es darum, darzustellen, mit der Dynamik von Gruppen. welche Vorteile die additiven Fertigungsverfah- Die tatsächliche Bauteilherstellung ermöglicht ren im Schulunterricht haben können. In diesem weiterhin auch interdisziplinäres Arbeiten und das Kontext werden typischerweise Anlagen eingesetzt, Übertragen von Wissen in unterschiedlichste Kon- die mit den Strangablegeverfahren FDM/FLM texte. Diese Erfahrungen sind nicht nur abstrakt (siehe VDI 3405) arbeiten. (z. B. in der Modellierung), sondern anschließend auch praktisch und plastisch erfahrbar. Additive Verfahren in Lehr-Lern-Kontexten bieten vielfältige Möglichkeiten des Wissenstransfers, des Damit erfüllt die Nutzung der additiven Verfahren in Erfahrens von Prozessketten und der Entwicklung von der Schulausbildung viele Randbedingungen, die das Fach- und Querschnittskompetenzen. Gruppenarbeit gute und nachhaltige Lernen fördern, ganz abgesehen mit der Zielsetzung der additiven Objektherstellung von dem Erfolgserlebnis, „am Ende des Tages“ etwas ermöglicht es, Lernprozesse der Schüler von der selbst Geschaffenes in den Händen zu halten. www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 17 5 Wofür kann ich die additiven Fertigungs- verfahren in meinem Betrieb nutzen? Wer an dieser Stelle einen Link zu einer Website Kosten- und Ressourceneinsparung bei der erwartet, auf der man ein paar Kennzahlen eintippt Herstellung und anschließend sieht, wie viel Geld und natürliche Kosten- und Ressourceneinsparung beim Betrieb Ressourcen durch additive Fertigungsverfahren im der Produkte Unternehmen oder in einem konkreten Projekt einge- spart werden können, den müssen wir enttäuschen. Verringerung der Lagerhaltung und Verbesserung Wir kennen keinen, der einen solchen Wirtschaftlich- des Ersatzteilmanagements keitsrechner für additive Fertigungsverfahren anbie- Verbesserung der Produkte hinsichtlich Haltbarkeit, tet. Und wenn es ein solches Angebot gäbe, würden Wartbarkeit und Funktionalität wir es kritisch betrachten. Denn es gibt viele, schwer Beschleunigung der Produktentwicklung oder der quantifizierbare Einflussgrößen: Projektabwicklung Wie gut ist das eigene Unternehmen mit seinen Wie andere Fertigungsverfahren auch, hat jedes Partnern bei den konventionellen Fertigungsver- einzelne additive Fertigungsverfahren und die damit fahren aufgestellt? hergestellten Bauteile und Komponenten spezifische Gibt es schon im eigenen Unternehmen oder bei Stärken und Schwächen. Entsprechend ist für jeden Partnern Erfahrung bei der Nutzung der additiven Anwendungsfall zu prüfen, welche Ziele mit einem Fertigungsverfahren? konkreten additiven Fertigungsverfahren erreicht Gibt es in der Nähe Dienstleister mit additiven werden können, welche Anforderungen an die Bautei- Fertigungseinrichtungen, mit denen man gemein- le gestellt werden und welche Nachteile sich dadurch sam Projekte durchführen kann? womöglich ergeben. Soll die Fertigung eines bestehenden Produkts umgestellt, oder ein neues entwickelt werden? 5.1 Typische Einsatzgebiete Grundsätzlich muss zwischen dem Einsatz von ad- ditiven Fertigungsverfahren im eigenen Betrieb und Die herausragenden Merkmale der additiven Fer- der Verwendung von additiv gefertigten Bauteilen tigungsverfahren sind, dass zur Herstellung von unterschieden werden: „Make or Buy“. individuellen Produkten keine speziellen Werkzeuge benötigt werden, geometrische Restriktionen (Bei- Bei den Bauteilen ist noch zwischen dem Einsatz spiel: Hinterschnitte) konventioneller Fertigungsver- zur Fertigung von Komponenten bzw. Bauteilen als fahren entfallen, durch Teilezusammenfassung eine Bestandteil eigener Produkte und der Herstellung Montagekomplexität reduziert und Funktionen wie von Fertigungsmitteln zu differenzieren. Leichtbaustrukturen bereits im additiven Fertigungs- prozess in die Produkte integriert werden können. Die in Abschnitt 4 „Wer nutzt additive Fertigungs- Die Eigenschaften additiv gefertigter Bauteile unter- verfahren“ gezeigten Beispiele zeigen entsprechend, scheiden sich teilweise sehr von denen konventionell auch wenn sie aus ganz unterschiedlichen Branchen gefertigter Bauteile. Die Vorteile solcher Bauteile, wie stammen, Gemeinsamkeiten beim Anforderungs- und Leichtbauweise, gesteuerte Materialeigenschaften Nutzungsprofil auf: und gestalterische Freiheiten, sind auch gleichzeitig deren Nachteile: Die Eigenschaften sind in der Regel Fertigung von Einzelstücken, Kleinserien, weitgehend unbekannt. Pilotserien oder Ersatzteilen Verkürzung der Entwicklungszeiten Dabei ist zu berücksichtigen, was die Erwartungen an die additiven Fertigungsverfahren und additiv Realisierung von gefertigte Bauteile sind. Additive Fertigungsverfahren –– Leichtbaukonzepten können beispielsweise helfen, die folgenden Ziele zu –– komplexen Geometrien erreichen: –– individuell angepassten Produkten www.vdi.de
18 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 Die in Bild 24 gezeigte künstliche Libelle, die den Fertigung von Ersatzteilen für Insektenflug technisch nachbildet, erfüllt die typi- ältere Serienprodukte schen Randbedingungen, unter denen die additiven Fertigungsverfahren sinnvoll sind: komplizierte, bioni- Die Kombination der Fertigung nach Bedarf und der sche Geometrien, die Leichtbau ermöglichen und in Fertigung vor Ort erlaubt es, die Lagerhaltung von geringen Stückzahlen gefertigt werden. Ersatzteilen massiv zu reduzieren. Diese sind additiv herstellbar, wenn sie gebraucht werden. Das ist vor allem für die Unternehmen attraktiv, die für ihre Pro- dukte eine lange Ersatzteilverfügbarkeit garantieren. Außerdem realisiert sich damit ein Traum aller Ser- vicetechniker, die weltweit Industrieanlagen reparie- ren. Die Sorge, nicht die richtigen Ersatzteile dabei zu haben, entfällt mit additiv herstellbaren Bauteilen. Die Kunden profitieren von kürzeren Stillstandzeiten. Der Ersatzbremshebel fürs Fahrrad aus dem hei- mischen 3-D-Drucker sollte aus guten Gründen ein Wunschtraum der Tüftler bleiben. Dahingegen zeigt Bild 24. Die additiven Fertigungsverfahren Bild 25 einen mit dem Laser-Strahlschmelzen herge- sind für den bionisch optimierten Leichtbau stellten und voll belastbaren Bremshebel sowie eine besonders geeignet (Quelle: Festo) Fußraste aus Metall. 5.1.1 Kleine Stückzahlen und/oder kundenspezifisch angepasste Produkte Werkzeuge – wie beispielsweise für den Spritzguss – werden zur Massenfertigung genutzt; sie selber sind jedoch Einzelstücke. Fertigung nach Bedarf Wenn der Erfolg einer Entwicklung nicht sicher vorher- Bild 25. Bremshebel und Fußraste als laser- sagbar ist, ist eine additive Pilotfertigung eine wirtschaft- strahlgeschmolzene Ersatzteile (Quelle: RTC lich sinnvolle Alternative. Anfangsinvestitionen werden Universität Duisburg-Essen) dadurch minimiert und das Produkt kann schnellstmög- lich auf den Markt gebracht werden. Wenn das Produkt erfolgreich ist, wird auf massentaugliche Fertigungsver- Was spricht also dagegen, dass zukünftig der Autover- fahren mit niedrigeren Stückkosten umgestellt. „Pro tragshändler vor Ort die Ersatzteile seltener Modelle duction on Demand“ bei Kleinserien verringert Lagerkos- mit zertifizierten Anlagen direkt fertigt? Das wird vor ten und verhindert obendrein, dass Überproduktionen allem realistisch, wenn Konstrukteure die additiven Ressourcen verbrauchen und entsorgt werden müssen. Fertigungsverfahren zur Herstellung von Ersatzteilen direkt bei der Produktfreigabe als zweite zulässige Fertigungsoption berücksichtigen. Fertigung vor Ort Bei der Fertigung vor Ort denken manche direkt an Fertigung von Werkzeugen und eine Mondbasis, die additiv aus Mondstaub hergestellt Hilfsmitteln wird [15]. Doch bleiben wir auf der Erde: Die Idee, dass Produkte an allen Standorten einer Firma welt- Dabei muss man nicht immer an die additive Ferti- weit produziert werden und auf kurzen und schnellen gung des Bauteils selber denken. Manchmal reicht es Wegen zum Abnehmer kommen, hat auch für indust- auch, die Werkzeuge zu dessen Herstellung additiv zu rielle Anwender hier und heute Relevanz. fertigen. Bild 26 zeigt ein Beispiel. www.vdi.de
Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 19 5.1.3 Leichtbau Mit additiven Fertigungsverfahren lassen sich filigra- ne Strukturen, wie sie im Leichtbau erforderlich sind, besonders effektiv realisieren (Bild 27). Bild 26. Mittels FDM hergestelltes Kunst stoffwerkzeug zur Herstellung eines einzelnen Ersatzteils für die Luftfahrtindustrie (Quelle: Stratasys/Boeing) Bild 27. Mit additiver Fertigung können Leicht- baustrukturen realisiert werden, die anders nicht herstellbar sind (Quelle: RTC Universität Reparatur hochwertiger Bauteile Duisburg-Essen/Ralf Schneider) Wenn großvolumige Bauteile aus wertvollen Rohstof- Durch Topologieoptimierung (Bild 10) werden Bauteile fen im Betrieb nur partiell verschleißen, kann es sinn- materialeffizient und somit ressourcenschonend ausge- voll sein, nur die verschlissenen Bereiche abzufräsen legt. Das Bauteil wird für den jeweiligen Belastungszu- stand berechnet und besteht nur dort aus Material, wo und anschießend auf das bestehenden Bauteil additiv es für den Belastungszustand notwendig ist. wieder aufzubauen [16]. Dieses Konzept kann auch bei großen „Bauteilen“ eingesetzt werden, wenn additiv nur das gefertigt 5.1.2 Verkürzung der Iterationszyklen wird, was anders kaum herstellbar ist. Bild 28 zeigt bei der Produktentwicklung ein Beispiel. Mit additiven Fertigungsverfahren wird die Zeit zwischen der Fertigstellung einer Konstruktionszeich- nung, dem Produktionsbeginn und der Verfügbarkeit erster Produkte minimiert. Ein Beispiel: In der Kunststoffverarbeitung ist es nicht ungewöhnlich, dass nach Fertigstellung der Konst- ruktionszeichnung drei Monate oder mehr vergehen, bis eine Spritzgussform bei einem entsprechenden Dienstleister angefragt, angeboten, beauftragt, konventionell gefertigt wird und einsatzbereit ist. Erst dann können erste Produkte praktisch getestet Bild 28. Konzeptfahrzeug mit bionischer werden. Mit additiven Fertigungsverfahren liegen die Tragstruktur (Quelle: EDAG) Bauteile schon nach wenigen Stunden vor, wenn die entsprechenden Fertigungsmaschinen im eigenen Die Konzeptstudie eines Kompaktsportwagens hat Haus sind. Selbst wenn die Bauteile extern von einem eine bionisch gestaltete und additiv hergestellte Fahr- Dienstleister gefertigt werden, reduziert sich die Zeit zeugstruktur, die mit einer Außenhaut aus wetterbe- zwischen der Fertigstellung der Zeichnung und dem ständigem Textil überzogen wurde. Die Kombination Vorliegen erster Produkte auf wenige Tage. von additiv gefertigter Skelettstruktur und Stoff ermöglichte die Integration eines neuartigen Beleuch- tungskonzepts, das erstmals das ganze Fahrzeug mit Iterationszyklen der Produktentwicklung lassen sich einbezieht. Das LED-Hinterleuchtungssystem macht von Monaten auf Stunden oder Tage verkürzen. nicht nur die Struktur des Concept Cars EDAG Light www.vdi.de
20 Handlungsfelder – Additive Fertigungsverfahren 2016 Cocoon sichtbar; vielmehr macht es das Fahrzeug zur Es ist noch nicht allzu lange her, da standen nur der Leinwand. Radius der sphärischen Linse und die Glassorte als Freiheitsgrade beim Optikdesign zur Verfügung. Mit Der aus dem Concept Car abgeleitete Technologiede- hochpräzisen Fräsmaschinen können heute spezielle as- monstrationsobjekts eines zukünftigen Spaceframe phärische Linsen direkt oder Formen für deren Fertigung Vorderwagenkonzepts zeigte die Möglichkeit, die per Spritzguss hergestellt werden [17]. Mit der Möglich- hohe Flexibilität skalierbarer Fertigungsprozesse keit, diese Geometrien additiv zu fertigen, (Bild 9) wird (Verkettung der laseradditiven Fertigung mit dem diese Option auch für kleine Stückzahlen interessant. Profilieren sowie Biegen und Endenbearbeitung mit Laser) in einer variantenintensiven und bionischen Karosserie umzusetzen. Zugrunde liegt hierbei ein 5.1.5 Individualisierung von Produkten Laststufenkonzept mit jeweils punktgenau in der CAE ausgelegten Karosserievarianten und maßgeschnei- In vielen Branchen ist ein Trend zu immer größerer Mo- dert gefertigten Knoten. dellvielfalt und individuelleren Produkten zu beobachten. Die Knoten können dank additiver Fertigung hochfle- Betrachten wir die Automobilbranche. Während ein xibel und multifunktional gestaltet werden, um z. B. Hersteller in den 1970er-Jahren jeweils eine Karosse- unterschiedliche Fahrzeugvarianten ohne zusätzli- rievariante für die Kompakt-, Mittel- und Oberklasse che Werkzeug-, Betriebsmittel und Anlaufkosten in anbot, gibt es heute in jeder Fahrzeugklasse diverse einer hochflexiblen Produktionszelle „on demand“ Varianten. Selbst bei einem Fahrzeugmodell gibt es mit produzieren zu können. Als Verbindungselemente 2-Türer-, 4-Türer-, Kombi-, Stufenheck- und Van-Varian- dienen Profile aus Stahl- oder Aluminium. Auch diese ten eine Vielzahl von Differenzierungsmöglichkeiten. können durch unterschiedliche Wandstärken und Geometrien individuell den vorgegebenen Laststufen Ein anderes Beispiel ist die Computerbranche. Auch angepasst werden. Bild 29 zeigt einen dieser Knoten hier gibt es für jeden Anwendungsfall spezialisierte im Detail. Geräte, und die Grenzen zwischen den Geräteklassen verschwimmen. Vom Handy über das Smartphone, dem Tablet, dem Notebook zum PC, vom Computer- monitor bis zum Smart-TV gibt es die unterschied- lichsten Zwischenstufen und Sonderbauformen für spezielle Anwendungsfälle. Mit der Individualisierung geht einher, dass die Anzahl der identisch produzierten Produkte sinkt. Mit der klassischen Fließbandfertigung, bei der identische Produkte zu Tausenden das Werk verlassen, sind individualisierte Produkte nicht möglich. In der Industrie gibt es viele Konzepte, durch flexi- ble und modularisierte Fertigung individualisierte Produkte mit einem hohen Automatisierungsgrad zu Bild 29. Der Space-Frame in Bild 28 wurde fertigen. Die industrielle Fertigung ab Stückzahl 1 ist durch Kombination der additiven Fertigungs ein wichtiger Aspekt des Zukunftsprojekts Indus verfahren mit konventionellen realisiert trie 4.0 [18]. Die additiven Fertigungsverfahren sind (Quelle: EDAG) sicherlich nicht die einzige Möglichkeit, individua- lisierte Produkte zu ermöglichen, doch ergänzen sie bestehende Möglichkeiten als eine wichtige Option. 5.1.4 Komplexe Geometrien Die Individualisierung der Produkte ist einer der Bionisch oder FEM-optimierte Geometrien weisen Gründe dafür, warum Industrie 4.0 ins Leben oft komplexe Geometrien mit z. B. variablen Durch- gerufen wurde. Die additiven Fertigungsverfahren messern von Verstrebungen und unregelmäßigen helfen, die Individualisierung flexibler zu gestalten. Abständen dazwischen auf (Bild 10). Dadurch, dass keine Werkzeuge gefertigt und keine Fräsmaschinen programmiert werden müssen, lassen sich diese addi- Auch die Anzahl der in dieser Publikation gezeigten tiv ohne Mehraufwand fertigen. Bildbeispiele für individualisierte Produkte (Bild 7, www.vdi.de
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