Kunststoffe und deren Ver-wertung - einige Aspekte - VDI-Statusreport Juni 2020
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Kunststoffe und deren Ver- wertung – einige Aspekte VDI-Statusreport Juni 2020 Bild: © lovelyday12/shutterstock.com
Geleitwort des VDI-Strategiekreises Kunststofftechnik Die zunehmende Verbreitung von Kunststoffabfällen ungeordneten Verteilung wertvoller Rohstoffe in der und Mikroplastik in der terrestrischen und aquatischen Umwelt resultieren, denn dadurch werden der produ- Umwelt ist zu einer globalen Herausforderung gewor- zierenden Wirtschaft Millionen Tonnen wertvoller Se- den und erfordert umgehendes Handeln der industria- kundärrohstoffe entzogen. Ein Prozess, der nur durch lisierten Welt. Dieser Verantwortung hat sich der eine geänderte Philosophie zum Einsatz von Primär- VDI-Strategiekreis Kunststofftechnik gestellt und vor und Sekundärrohstoffen in einer Kreislaufwirtschaft etwa eineinhalb Jahren das Projekt „Marine Litter“ im gestoppt werden kann. VDI gestartet, das auch den Anstoß für das aktuelle VDI-Fokusthema „Zirkuläre Wertschöpfung“ im Der VDI-Strategiekreis Kunststofftechnik sieht in die- Sinne einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft ge- sem VDI-Statusreport ein hervorragendes Werkzeug geben hat. für die interessierte Fachwelt, aber auch den interes- sierten Laien, um in die sehr komplexe Themenwelt Neben der Auseinandersetzung mit der besorgniserre- einzusteigen und auf entsprechendes Zahlenmaterial genden Umweltbelastung müssen vor allem auch die zu Marine Litter und zur Kreislaufwirtschaft zugreifen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prob- zu können. leme erkannt und angegangen werden, die aus der Düsseldorf, im Juni 2020 VDI-Strategiekreis Kunststofftechnik www.vdi.de
Vorwort Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, obwohl als auf der Kunststoffindustrie in komprimierter Form Themen nicht neu, sind zu globalen Arbeitsgebieten weiterzugeben. Wir sind uns bewusst, dass jede Kom- überragender Bedeutung geworden. Die Flut von Ak- primierung notwendigerweise auch Verkürzen und tivitäten und Veröffentlichungen aus Industrie, Wis- Weglassen bedeutet. Wir hoffen aber, die wesentli- senschaft, Politik und Gesellschaft ist kaum noch zu chen Themen genannt und beschrieben zu haben, um überblicken und wächst täglich an. Dieser Statusre- damit der interessierten Leserschaft einen Überblick port hat das Ziel, unser Wissen und unsere langjähri- und einen schnellen Einstieg in das komplexe The- gen Erfahrungen auf diesen Gebieten mit dem Fokus menfeld zu ermöglichen. Köln, im Oktober 2019 Peter Orth und Manfred Rink www.vdi.de
Autoren Dr. Peter Orth, OPC – Orth Plastics Consulting Dipl.-Ing. Manfred Rink – Senior Consultant In Kooperation mit den Mitgliedern des VDI-Strategiekreises Kunststofftechnik Dipl.-Ing. Wolfram Beyerlein VDI, Direktor a. D. Siemens AG, München Dipl.-Ing Michael Bode VDI, Bode Verwaltungs GmbH, Hamburg Hans-Volker Buchholz, Geschäftsführung Toyoda Gosei Meteor GmbH, Bockenem Dr.-Ing. Erwin Bürkle VDI, Consultant, Benediktbeuern Dr. Eberhard Duffner, Bereichsleiter ARBURG GmbH + Co KG, Lossburg Achim P. Eggert PhD VDI, VDI-Gesellschaft Materials Engineering, Düsseldorf Dipl.-Ing. Siegfried Elbracht VDI, Vorstand a. D. Dynamit Nobel AG, Weißenburg Dr.-Ing. Klaus Esser VDI, Direktor a. D. Kautex Textron GmbH & Co KG, Bonn Dr.-Ing. Werner Feistkorn, CEO Dr. Feistkorn AG, Grünstadt Sandra Füllsack, CEO motan holding gmbh, Konstanz Dipl.-Ing. Kurt Gebert, CEO Allod Werkstoff GmbH & Co. KG, Burgbernheim Prof. Dr.-Ing. Hans-Günther Haldenwanger VDI, Bereichsleiter a. D. AUDI AG, Ingolstadt Dr.-Ing. Peter Heidemeyer VDI, CEO C4PP Consulting for Polymer Processing, Kitzingen Dipl.-Ing. Günter Hofmann VDI, Geschäftsführer Werkzeugbau Siegfried Hofmann GmbH, Lichtenfels Dipl.-Ing. Rainer Holzmann VDI, Vorstand a. D. Kautex Werke GmbH, Bonn Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann VDI, Leiter Institut für Kunststoffverarbeitung, Aachen Dr.-Ing. Willy Bert Hoven-Nievelstein VDI, Group Vice President a. D. BASF AG, Ludwigshafen Prof. Ansgar Jaeger VDI, Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, Würzburg Dr.-Ing. Jürgen Jahn VDI, Bereichsleiter a. D. Miele & Cie KG, Warendorf Dipl.-Ing. Albert Krämer VDI, Bereichsleiter a. D. BASF AG, Ludwigshafen Dipl.-Ing. Walter Kurtz VDI, Geschäftsführer Kurtz Holding GmbH, Hasloch Dipl.-Ing. Ullrich Mast, Geschäftsführer Mast Kunststoffe GmbH & Co. KG, Bad Waldsee Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Walter Michaeli, ehem. Leiter Institut für Kunststoffverarbeitung, Aachen Dr. Peter Orth, OPC Orth Plastics Consulting, Köln Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Predöhl VDI, CEO a. D. Krupp Corpoplast Maschinenbau GmbH, Hamburg Dipl.-Ing. Torsten Ratzmann VDI, Geschäftsführung egeplast international GmbH, Greven Dipl.-Ing. Arno Schneiders VDI, Abteilungsleiter a. D. BASF AG, Ludwigshafen Dipl.-Ing. Frank Schüller VDI, Geschäftsführer Mauser Maschinentechnik GmbH, Brühl Prof. Dr. Rudolf Stauber VDI, Leiter Fraunhofer-Institut für Silicatforschung IWKS, Alzenau Dr.-Ing. Ludwig Vollrath, FISITA Vice President Europe und President EAEC, Stansted, UK Dr. Stephanie Waschbüsch, Dr. Gupta Verlag, Ratingen Prof. Dr.-Ing. Anton Weber VDI, Direktor a. D. BASF AG, Ludwigshafen Dr. rer. nat. Kurt Weirauch VDI, Direktor a. D. Bayer AG, Leverkusen Dr.-Ing. Hans Wobbe VDI, Wobbe-Partner, Hitzacker Dr.-Ing. Gottfried Wübken VDI, Abteilungsleiter a. D. Bayer AG, Leverkusen www.vdi.de
4 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung Inhalt Geleitwort des VDI-Strategiekreises Kunststofftechnik 1 Vorwort 2 Zusammenfassung 6 1 Einleitung zur Kunststoffproduktion 7 1.1 Mengenaspekte 7 1.2 Kunststoffsorten 7 1.3 Rohstoffbasis 8 1.4 Regionale Aspekte 9 1.5 Unternehmen und Kunststofferzeuger 10 1.6 Prognosen 10 1.7 Datenbank „Polyglobe“ 11 2 Märkte und Anwendungen 12 2.1 Märkte in 2017 12 2.2 Beispielhafte Anwendungen 12 3 Kunststoffe und ihre Eigenschaften 13 3.1 Kunststoff - ein nachhaltiger Werkstoff 13 3.2 Physikalische Eigenschaften 13 3.3 Gebrauchseigenschaften und Anwendungen 14 3.4 Lebenszyklen 14 3.5 Wirtschaftlichkeitsaspekte 14 4 Zur Struktur der Kunststoffindustrie 16 4.1 Kunststoffindustrie und Kunststoffwirtschaft 16 4.2 Erzeugung 16 4.3 Maschinenbau 16 4.4 Verarbeitung 16 4.5 Andere 16 4.6 Wertschöpfungsketten 17 4.7 Dienstleister 17 4.8 Wissenschaft 17 4.9 Verbandsorganisationen u. a. 18 5 Zum Kunststoff-Abfallregime 19 5.1 Lebenswegbetrachtung 19 5.2 Deponieren (Land Filling, Marine Litter, Mikroplastics) 19 5.3 Energetische Verwertung (Energy Recovery) 20 www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 5 5.4 CCU – Carbon Capture and Usage 20 5.5 Werkstoffliches Recycling (Mechanical Recycling) 21 5.6 Rohstoffliche Verwertung (Feedstock Recycling) 22 5.7 Gesamtmengenbetrachtung 23 5.8 Produktgestaltung 24 6 Life Cycle Assessment und Kreislaufwirtschaft 25 6.1 Ziel 25 6.2 Methodik 25 6.3 Bedeutung 25 6.4 Herausforderungen 25 7 Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft 26 7.1 Bedeutung 26 7.2 Verwertung 26 7.3 Automatisierung 26 7.4 Synergien 26 7.5 Life Cycle Assessment (LCA) 26 8 Logistik und Kreislaufwirtschaft 27 8.1 Bedeutung der Logistik für die Kreislaufwirtschaft 27 8.2 Beschaffungslogistik 27 8.3 Produktionslogistik 27 8.4 Absatz- oder Distributionslogistik 27 8.5 Rücknahme- oder Entsorgungslogistik 27 8.6 Bedeutung der Logistik für die deutsche Wirtschaft. 27 8.7 Regulatorischer Rahmen 28 Literatur 30 Abkürzungsverzeichnis 31 www.vdi.de
6 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung Zusammenfassung Polymere werden heute zu mehr als 95 % aus den fos- report verfolgt das Ziel, dass Wissen und die langjäh- silen Rohstoffen Öl und Gas hergestellt. Der Einsatz rigen Erfahrungen auf diesen Gebieten mit dem Fokus von Kohle als Rohstoff für Polymere hat heute prak- auf der Kunststoffindustrie in komprimierter Form zu tisch keine Relevanz mehr. Ebenso spielen biogene fassen. Rohstoffe bei der gesamten Herstellungsmenge nur eine untergeordnete Rolle. Die zunehmende Verbreitung von Kunststoffabfällen und „Mikroplastik“ in der terrestrischen und aquati- Im Jahr 2017 wurden weltweit etwa 350 Mt Polymere schen Umwelt ist zu einer globalen Herausforderung produziert, in die Märkte gegeben und eingesetzt. Der geworden und erfordert umgehendes Handeln der in- Begriff Polymere steht hier für die Gesamtheit aller dustrialisierten Welt. Neben der Auseinandersetzung synthetischen makromolekularen Substanzen – Kunst- mit der besorgniserregenden Umweltbelastung müs- stoffe, Kautschuke, Lacke, Fasern, Kleber etc., die als sen vor allem auch die volkswirtschaftlichen und ge- Werkstoffe, Dämmstoffe, Oberflächenbeschichtun- sellschaftlichen Probleme erkannt und angegangen gen, Gewebe, Textilien etc. eingesetzt werden. Bei werden, die aus der ungeordneten Verteilung wertvol- dieser Betrachtungsweise stellen Kunststoffe den mit ler Rohstoffe in der Umwelt resultieren, denn dadurch Abstand größten Mengenanteil dar. werden der produzierenden Wirtschaft Millionen Ton- nen wertvoller Sekundärrohstoffe entzogen. Ein Pro- Etwa 70 % der Kunststoffe sind thermoplastisch und zess, der nur durch eine geänderte Philosophie zum können zur weiteren Verarbeitung aufgeschmolzen Einsatz von Primär- und Sekundärrohstoffen in einer werden (Recycling), um anschließend mit verschiede- Kreislaufwirtschaft gestoppt werden kann. nen Verarbeitungsverfahren wie dem Extrudieren, Spritzgießen oder Blasformen zu Produkten weiter- Dieser Verantwortung hat sich der VDI-Strategiekreis verarbeitet zu werden. Etwa 30 % der Kunststoffe Kunststofftechnik gestellt und vor etwa eineinhalb sind duroplastischer, elastomerer oder anderer Natur, Jahren das Projekt „Marine Litter“ im VDI gestartet, bei denen die weitere Formgebung in der Regel mit das auch den Anstoß für das aktuelle VDI-Fokus- einer Vernetzung einher geht, sodass sie sich nicht thema „Zirkuläre Wertschöpfung“ im Sinne einer wieder aufschmelzen und umformen lassen. funktionierenden Kreislaufwirtschaft gegeben hat. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, obwohl als Dieser VDI-Statusreport gibt der interessierten Fach- Themen nicht neu, sind unter anderem wegen der welt, aber auch den interessierten Laien, ein hervorra- Ressourcenknappheit zu globalen Arbeitsgebieten von gendes Werkzeug an die Hand, um in die sehr kom- überragender Bedeutung geworden. Die Flut von Ak- plexe Themenwelt einsteigen und auf entsprechendes tivitäten und Veröffentlichungen aus Industrie, Wis- Zahlenmaterial zu Marine Litter und zur Kreislauf- senschaft, Politik und Gesellschaft ist kaum noch zu wirtschaft zugreifen zu können. überblicken und wächst täglich an. Dieser Status- www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 7 1 Einleitung zur Kunststoffproduktion 1.1 Mengenaspekte verhalten) und für allfällige Abbaumöglichkeiten (chemisches und/oder rohstoffliches Recycling (siehe Im Jahr 2017 wurden weltweit etwa 350 Mt Polymere Abschnitt 5.6). (Gattungsbegriff) produziert [1], in die Märkte gege- ben und eingesetzt (Bild 1). Kunststoffe haben ein durchschnittliches spezifisches Gewicht (Dichte) von etwa 1 g/cm3; eine Tonne hat Der Begriff Polymere steht hier für die Gesamtheit al- also ein Volumen von 1 m3. Zum Vergleich: Stahl hat ler synthetischen makromolekularen Substanzen – eine durchschnittliche Dichte von etwa 8 g/cm3. Eine Kunststoffe, Kautschuke, Lacke, Fasern, Kleber etc., Tonne Stahl hat also ein Volumen von 0,125 m3. die als Werkstoffe, Dämmstoffe, Oberflächenbe- Kunststoffe sind mithin um einen Faktor 8 „sichtba- schichtungen, Gewebe, Textilien etc. eingesetzt wer- rer“ und „präsenter“ als Stahl (Bild 2). den. Im Folgenden sei aber der Einfachheit halber von Kunststoffen gesprochen, da diese den mit Abstand größten Mengenanteil stellen. 1.2 Kunststoffsorten Etwa 70 % der Kunststoffe sind thermoplastischer (Erwähnt werden nur Kunststoffsorten mehr als 1 Mt Natur; hier liegen die Makromoleküle diskret vor, so- Jahresproduktion.) dass sie sich zum Zwecke der Verarbeitung bzw. der Formgebung wieder aufschmelzen, extrudieren oder Größte einzelne Gruppe unter den Kunststoffen sind umformen lassen. Etwa 30 % der Kunststoffe sind die thermoplastischen Polyolefine Polyethylen (HDPE, duroplastischer, elastomerer oder anderer Natur, bei LDPE, LLDPE) und Polypropylen (PP), aktuell etwa diesen geht die Formgebung in der Regel mit einer 45 % bis 50 % der gesamten produzierten Menge. Vernetzung einher, sodass sie sich nicht wieder auf- schmelzen und umformen lassen. Nächstgrößere Gruppe sind die thermoplastischen Kunststoffe Polystyrol (PS) und Polyvinylchlorid Der Chemiker unterscheidet bei den Kunststoffen zu- (PVC) sowie Polyamid (PA) und Polyethylentereph- sätzlich zwischen „Polymeren“ (Beispiel: Polyethy- thalat (PET). len), „Polykondensaten“ (Beispiel: Polyester) und „Polyaddukten“ (Beispiel: Polyurethan), womit die Es folgen die technischen Thermoplaste Acrylnitril- Natur der Bindung beim Aufbau (der chemischen Butadien-Styrol (ABS), Polycarbonat (PC) und Poly- Aufbaureaktion) der Polymeren aus den Monomeren oxymethylen (POM); dann die Gruppe der Polyure- beschrieben wird. Dies ist bedeutsam für die Stabilität thane (PUR) sowie die Duroplaste (Thermosets), von der Kunststoffe in ihren Anwendungen (Korrosions- denen die Styrol- und die Epoxi-Harze genannt seien. Bild 1. World and EU plastics production data (Quelle: „Plastics – The Facts 2018“, PlasticsEurope - Mit freundlicher Genehmigung von PlasticsEurope Deutschland e.V.) www.vdi.de
8 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung Bild 2. World Benchmark Plastics/Steel 2015 (Quelle: Präsentation „The Plastic Industry Berlin Aug 2016“, PlasticsEurope - Mit freundlicher Genehmigung von PlasticsEurope Deutschland e.V.) Bild 3. Discovering the wide family of plastics, published in „Plastics – The Facts 2018“, PlasticsEu- rope - Mit freundlicher Genehmigung von PlasticsEurope Deutschland e.V. Schließlich die Kautschuke (Rubbers – Kürzel: R), Kohle als Rohstoff ist praktisch eingestellt (Bild 4). von denen Naturkautschuk (NR), Butadien- und Sty- Biogene Rohstoffe spielen keine größere Rolle (s. u.) rolbutadienkautschuke (BR bzw. SBR) sowie Chlor- und Nitrilkautschuke (CR bzw. NBR) genannt seien. Öl ist der mit Abstand wichtigste Rohstoff für die Herstellung von Kunststoffen (im Folgenden: Kunst- stofferzeugung). Durch fraktionierte Destillation wer- 1.3 Rohstoffbasis den in Raffinerien daraus das Roh- oder Leichtbenzin Naphtha sowie die Kohlenwasserstoffe Methan, Ethan Polymere werden heute zu > 95 % aus den fossilen und LPG (Gemisch aus im Wesentlichen Propan und Rohstoffen Öl und Gas hergestellt. Der Einsatz von Butan) gewonnen, aus denen wiederum durch Steam Cracking die wichtigsten Monomeren Ethylen, Propy- www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 9 len und die sogenannte C4-Fraktion erzeugt werden; 1.4 Regionale Aspekte Methanol wird direkt aus Methan hergestellt. Wir konzentrieren sich in diesem Beitrag auf die Von zunehmender Bedeutung ist natürlich vorkom- Kunststoffregion Europa, da sie nur hierfür die not- mendes Ethan, das als Shale Gas durch Fracking ge- wendige Expertise besitzen, wenn diese auch wegen wonnen wird und das als Nebenprodukt bei der Ölför- unterschiedlichster Entwicklungen anderswo relativ derung anfällt – und als unerwünschtes Nebenprodukt an Bedeutung verliert (Bild 5). Hier werden derzeit (Strand Gas) in der Vergangenheit oftmals verbrannt noch etwa 20 % der Weltproduktion in existierenden (abgefackelt) wurde. Das Ethan wird in „Crackern“ zu Anlagen erzeugt; ein Neubau von Anlagen findet nur Ethylen großtechnisch dehydriert. noch in untergeordnetem Maße (Ersatzinvestitionen) statt. Produkte eines zukünftigen rohstofflichen Recyclings werden in geeigneter Weise in diese großtechnisch Wichtigste Ölförderregion ist der Mittlere Osten, na- etablierten Prozesse einfließen müssen. mentlich Saudi-Arabien und die Emirate am persisch- arabischen Golf; aufgrund der jüngeren politischen Trotz massiver staatlicher Förderung in manchen Län- Entwicklungen spielen Irak und Iran derzeit nur eine dern werden biogene Rohstoffe derzeit nur zur Her- eher untergeordnete Rolle. Seit etwa 20 Jahren verfol- stellung zweier Produkte größeren Volumens einge- gen die dortigen Regierungen erfolgreich die Politik, setzt: das Latex-Vorprodukt für den oben genannten einen größeren Teil der Wertschöpfung im Lande zu Naturkautschuk stammt aus Gummibaumplantagen in halten, also Kunststoffe vor Ort zu produzieren. Aktu- Südostasien, Polyethylen brasilianischer Herkunft ell dürften dort etwa 10 % der Weltproduktion behei- (Braskem) wird teilweise auf Basis von Zuckerrohr matet sein. hergestellt. China ist mittlerweile zum größten Kunststoffproduk- tionsstandort geworden und steht für aktuell etwa 30 % der Weltproduktion, wofür große Mengen Roh- stoffe importiert werden. Zusätzlich werden enorme Mengen Kunststoffe aus anderen Regionen und Län- dern importiert, um den stetig wachsenden Bedarf der chinesischen kunststoffverarbeitenden Industrie zu de- cken. Weitere etwa 20 % werden in Japan, Indien, Bild 4. Primary Oil and Natural Gas – Demands by sectors (Quelle: VDI e.V., April 2020) www.vdi.de
10 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung Bild 5. Distribution of global plastics production 8Quelle: „Plastics – The Facts 2018“, PlasticsEurope - Mit freundlicher Genehmigung von PlasticsEurope Deutschland e.V.) Malaysia, Singapur, Südkorea, Taiwan und Thailand (Braskem), PTT sowie SCG (Thailand) und Formosa produziert. In Asien stehen heute also etwa 50 % der Plastics (Taiwan). Weltproduktionskapazitäten. Unternehmen wie BASF (Polyamide und PUR) sowie Eine Renaissance erlebt derzeit die Kunststofferzeu- die aus dem Bayer-Konzern hervorgegangene Covestro gung in Nordamerika, aufgrund der massenhaften (Polycarbonate und PUR) sind Spezialisten geworden Verfügbarkeit billigen Shale Gas‘, das für die dortige – allerdings Weltmarktführer mit ihren jeweiligen Kunststoffwirtschaft wie eine Droge wirkt, sodass Produkten. Evonik und Lanxess haben bezogen auf auch in dieser Region (inklusive Südamerika) wieder die Volumina ihrer Kunststoffproduktion eher unter- etwa 20 % der Weltproduktion erzeugt werden. Dar- geordnete Bedeutung. über hinaus wird Shale Gas (Ethan) verflüssigt und exportiert. Dieser Markt befindet sich in ständiger Bewegung, da fortwährend akquiriert, desinvestiert und gegründet Verbleibende Mengen werden in u. a. Brasilien, Russ- wird. Tabellarische Darstellungen wie in Bild 6 sind land und Südafrika produziert [1]. daher immer nur Momentaufnahmen. 1.5 Unternehmen und 1.6 Prognosen Kunststofferzeuger Wir gehen aktuell davon aus, dass das Volumen der Die wichtigsten Polyolefinerzeuger sind mittlerweile weltweiten Kunststofferzeugung im Jahr 2025 bei (wieder) die Kunststoff- oder Chemietöchter der gro- etwa 500 Mt liegen dürfte (Bild 7). ßen Ölkonzerne wie ExxonMobil, ChevronPhilips (auch in JVs mit dem Scheichtum Qatar), OMV Eine lineare Extrapolation des aktuellen Per-capita- (Borealis), Total, Repsol, ENI (Versalis) und Saudi Verbrauchs in den Industrieländern von 150 kg/a auf Aramco (Sabic) sowie petrochemische/chemische die zu erwartende Weltbevölkerung von 10 Mrd. Mischkonzerne wie Dow DuPont, LyondellBasell und Menschen im Jahr 2050 ergibt eine Produktion von Ineos einerseits und Asahi und Sumitomo sowie Mit- etwa 1.500 Mt [2]. subishi und Mitsui, LG und SK andererseits (Bild 6). Die Internationale Energieagentur (IEA – Internatio- Hinzu kommen mit wachsender Bedeutung chinesi- nal Energy Agency) prognostiziert für das Jahr 2030, sche Unternehmen wie Sinopec, Petrochina, dass etwa 35 % des geförderten Öls zur Herstellung ChemChina und Reliance (Indien) sowie Petrobras www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 11 von Petrochemikalien für die Chemie und die Kunst- 1.7 Datenbank „Polyglobe“ stofferzeugung eingesetzt werden, bei sinkenden rela- tiven Anteilen von Straßenverkehr, Luft- und Schiff- Eine umfassende und aktuelle Übersicht und Beurtei- fahrt: Damit korreliert ein steigender Energiever- lung von Anbietern, Wettbewerbern und Marktdaten brauch und wachsende CO2-Emissionen à Konto Che- zum Thema liefert die Online-Kapazitäten-Datenbank mie und Kunststofferzeugung [3]. „Polyglobe“ des KI-Verlags, Bad Homburg (1.900 Rohstoffproduzenten, über 5.000 Anlagen, fast 1.050 Standorte). Bild 6. Plastics Producers with their Total Turnovers (Quelle: Dr. Peter Orth and Manfred Rink, No- vember 2019) Bild 7. Plastic converter demand (Quelle: „Plastics – The Facts 2018“, PlasticsEurope - Mit freundli- cher Genehmigung von PlasticsEurope Deutschland e.V.) www.vdi.de
12 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 2 Märkte und Anwendungen 2.1 Märkte in 2017 Folien (PE, PP, PVC) Bei der Betrachtung der Märkte konzentrieren wir uns Platten (PVC, PMMA, PC) hier auf Europa und insbesondere auf Deutschland (Bild 7). Für die anderen Regionen stehen uns aktuell die notwendigen Daten nur eingeschränkt zur Verfü- Automobil gung. Wichtige Märkte/Anwendungsbereiche für Kunststoffe seien hier tabellarisch dargestellt [1]. Stoßfänger (PP) Innenraumteile (PP, ABS, PC/ABS, PUR) Tabelle 1. Wichtige Märkte/Anwendungsberei- Beleuchtung (PC, PMMA) che für Kunststoffe Angaben in % Deutsch- Eu- Thai- Motorraum (PA, PP) land ropa land Elektrik (PVC, PP, PA) (z. B.) Verpackung 31 40 48 Elektro und Elektronik Bau 25 20 14 Kabel (PVC, PP, TPE) Automobil 11 10 8 Gehäuse (PP, ABS, PC/ABS) Elektro und 6 6 15 Elektronik Befestigungselemente (PE, PP, PA, PBT) Living Environment 7 4 ? Leiterplatten (EP, UP, PI) Landwirtschaft 4 4 ? Andere 15 15 15 Living Environment Teppiche (PP, PA) 2.2 Beispielhafte Anwendungen Schäume (PUR, PE, NR) Verpackung Möbel (PP, PC, ABS, PUR) extrudierte Folien (LDPE, LLDPE, PP) Farben und Lacke (Acrylate, PUR) blasgeformte Hohlkörper, Flaschen etc. (HDPE, Küchenkleinteile (PE, PP, Melamin) PET) Textilien (PE, PP, PET, PA, PAN) tiefgezogene Blister, Becher, Schalen etc. (PP, PET) Schuhe (PUR) Schäume und Flocken (expandiertes PS, PE etc.) Sportgeräte (CFK u. v. a. m.) Bau Landwirtschaft Schläuche, Rohre, Fittings (PE, PP, PVC) Folien (PE) Schäume (EPS, XPS, PUR, PE) Behälter (HDPE) Netze (PP, PA) Platten (PVC, PMMA, PC) www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 13 3 Kunststoffe und ihre Eigenschaften 3.1 Kunststoff - ein nachhaltiger widerstandsfähig gegen Bruch oder Rissausbrei- Werkstoff tung. Korrosion und Beständigkeit Kunststoff wird bisweilen als „Werkstoff des 21. Jahr- hunderts“ bezeichnet [1]. Dieser Slogan hebt ab auf Viele Kunststoffe – insbesondere die Polyolefine die schier unendliche Variabilität und Funktionalität PE, PP, PVC und die Kautschuke – sind langzeit- dieser kohlenstoffbasierten Werkstoffklasse. Kunst- und witterungsbeständig, korrodieren also nicht; stoffe sind in unzähligen ihrer Anwendungen aus so- es findet praktisch kein chemischer Abbau statt. zialen, ökonomischen und ökologischen Gründen un- verzichtbar und unersetzlich geworden, ein nachhalti- Dieser augenscheinliche Vorteil verkehrt sich bei ger Werkstoff mithin (Bild 8). Insofern ist die aktuelle Kunststoffabfällen, die ungeordnet in die Umwelt Polemik gegen Kunststoffe als „Einwegplastik“ – so gelangen, in sein Gegenteil, da sie dort nicht ab- verständlich sie in mancher Beziehung sein mag – gebaut werden können. nicht nur billig, sondern auch gefährlich. Farbe 3.2 Physikalische Eigenschaften Insbesondere thermoplastische Kunststoffe wer- den zur Farbeinstellung mit entsprechenden Pig- Dichte menten, deren Palette ständig erweitert wird, mit- tels Compoundierung eingefärbt. Praktisch jede Wie bereits erwähnt, haben Kunststoffe eine nur denkbare Farbe ist so machbar. geringe Dichte: Polyolefine < 1 g/cm3, verstärkte Kunststoffe (GFK, CFK) > 1 g/cm3. Mit der Transparenz Kombination von geringer Dichte und hoher Fes- tigkeit ist Kunststoff damit der Leichtbauwerk- Amorphe Thermoplaste wie PC oder PMMA sind stoff schlechthin. transparent, also lichtdurchlässig, sodass sie sich für eine Vielzahl optischer Anwendungen sowie Form und Gestalt für „Verglasungen“ eignen. Mit Verfahren wie dem Spritzgießen, dem Tief- elektromagnetische Eigenschaften ziehen, dem Reaction Injection Moulding (RIM) u. a. lassen sich Kunststoffe mit relativ geringem Die meisten Kunststoffe sind Isolatoren, besitzen Aufwand bei vergleichsweise niedriger Tempera- also eine nur geringe elektrische Leitfähigkeit, tur in Form bringen, wobei in einem Arbeitsgang lassen sich aber durch Integration leitfähigen Ma- komplexe Gestaltung erfolgt. Mit der noch relativ terials bedingt zu elektrischen Leitern modifizie- jungen „Additiven Fertigung“ (3-D-Druck) wird ren. dies Spektrum unter Verzicht auf ein Werkzeug noch erweitert. Oberfläche Elastizität und Zähigkeit Die im Spritzgießverfahren hergestellten Bauteile bilden exakt die Oberfläche des Werkzeugs ab – Kunststoffe sind in der Regel elastisch, machen von hochglänzend bis zu fast jeder gewünschten also eine von außen hervorgerufene Formände- Struktur. rung aus eigener Kraft rückgängig, und zäh, also Bild 8. Plastic Products Are Integral to Modern Societies (Quelle: „Plastics – The Facts 2018“, PlasticsEurope - Mit freundlicher Genehmigung von PlasticsEurope Deutschland e.V.) www.vdi.de
14 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 3.3 Gebrauchseigenschaften und höherer E-Module werden viele Kunststoffe auch Anwendungen als Strukturwerkstoffe eingesetzt. Mit Kurzglasfa- sern verstärkte Thermoplaste lassen sich spritzgie- Schutz ßen, mit Glasfasergeflechten getränkte Harze wer- den im SMC- oder BMC-Verfahren in Form ge- Mengenmäßig wichtigster Anwendungsbereich bracht und ausgehärtet. Kohlenstofffasern können von Kunststoffen ist die Verpackung und damit u. a. in thermoplastische Matrizes eingebettet wer- der Schutz von Gütern aller Art, insbesondere den und gelangen als Halbzeuge in den Markt. Sol- von Lebensmitteln. Relevante Eigenschaften hier- che Materialien erreichen E-Module, die die der für sind die Freiheit der Formgebung, die geringe Metalle übertreffen, und besitzen sehr günstige Dichte, die einfache Oberflächenmodifizierung, Festigkeits-/Gewichtsverhältnisse. Sie sind aller- die (partielle) Undurchlässigkeit für Licht, Gase dings vergleichsweise hochpreisig und werden da- (Sauerstoff insbesondere), Keime etc. In einer her eher als Leichtbauwerkstoffe im Flugzeugbau WWF-Studie [4] von 2015 wird ausgeführt, dass eingesetzt. die Verluste an Lebensmittel entlang der Wert- schöpfungskette, einschließlich der Verbraucher, Nicht alle der beschriebenen Eigenschaften können in weltweit zwischen 30 % bis 40 % liegen. Diese einem einzigen Werkstoff realisiert werden und nicht Verluste können nur durch verbesserte Verpa- alle werden für eine bestimmte Anwendung benötigt. ckungen, Transporte und Lagerungen in und mit Um diese und andere Anforderungen zu erfüllen Kunststoffen deutlich reduziert werden. wurde eine enorme Vielfalt verschiedener Kunststoff- typen entwickelt – eine Entwicklung, die ungebrochen Transport und Distribution ist. Was zunächst ein großer Vorteil ist, erweist sich Säcke und Flaschen, Container und Boxen aus bei der Verwertung als Nachteil: wir sollten nicht von Kunststoff ermöglichen leichte, sichere und ro- Kunststoff- Recycling sprechen, sondern vom Recyc- buste Portionierung, Lagerung und Transport von ling von Kunststoffen. Gütern aller Art und Menge im gewerblichen und privaten Bereich. Sie sind die Grundlage einer ef- fizienten und wirtschaftlichen Distribution von 3.4 Lebenszyklen Waren – von der Herstellung bis zum Endver- braucher. Hierzu gehören auch die in Anbetracht Abhängig von Markt und Anwendung haben Kunst- der weiterwachsenden Urbanisierung bedeutsa- stoffe sehr unterschiedliche Lebenszyklen (Bild 9), men Kühlketten. die nicht nur vom Kunststoff selbst, sondern von der Haltbarkeit oder der Gebrauchsdauer des jeweiligen Gehäuse Einsatzprodukts determiniert werden: Artikel und Geräte erhalten Schutz und Form durch Kunststoffgehäuse. Farbe, Oberfläche und medizinische Artikel – oft Einwegmaterial Design sind gleichermaßen Markenbotschafter wie Gestaltungselement unserer Lebensumgebung. Verpackungen – wenige Tage (Lebensmittel) bis mehrere Jahre (Transportbehälter) Dämmung und Komfort technische Anwendungen (Fahrzeuge, Elektroge- Weiche und harte Schäume aus PE und PS, PUR räte) – mehrere Jahre bis mehrere Jahrzehnte oder Kautschuken finden sich in zahllosen Bau- anwendungen, wo sie z. B. der Wärme- und Käl- Bauanwendungen (Gebäude, Straßen, Gas- und tedämmung, der Hohlraumversiegelung oder der Wassernetze) – Jahrzehnte bis Jahrhunderte Formgebung dienen, ebenso finden sie sich aus Komfortgründen in Möbelpolstern, Matratzen 3.5 Wirtschaftlichkeitsaspekte oder Autositzen wieder. Stabilität Die überwiegende Menge der Kunststoffe kommt zu Preisen um 2 Euro/kg auf den Markt. Hinzu kommt: Chemikalien- und Witterungsbeständigkeit prädes- Sie lassen sich vergleichsweise einfach und bei niedri- tinieren insbesondere PVC und die Polyolefine für gen Temperaturen in Form bringen. Kunststoffverar- den Einsatz als Löse- oder Betriebsmittelbehälter beitungsmaschinen bestechen daher mit relativ niedri- (Benzintanks), als Bojen, Taue oder Netze in mari- gen Investitionskosten und niedrigem Energiever- timer Umgebung oder als Abdeckbahnen und -pla- brauch. Dies hat die Entstehung einer stark mittelstän- nen von Gebäuden oder Nutzfahrzeugen. disch strukturierten Kunststoffwirtschaft gefördert, Strukturwerkstoffe die heute in nahezu allen Ländern der Welt beheima- tet ist und Millionen Menschen Arbeitsplätze bietet – Insbesondere nach Verstärkung mit Glas- oder sowohl in der sprichwörtlichen Garage als auch wie Kohlenstofffasern zur gezielten Einstellung im Großbetrieb. www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 15 Bild 9. Value Chains and Product Life Cycles (Quelle: Dr. Peter Orth, April 2020) www.vdi.de
16 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 4 Zur Struktur der Kunststoffindustrie 4.1 Kunststoffindustrie und Autoklaven, Blasformmaschinen etc. sind weitere Formgebungsaggregate. Die Liste der Peripheriege- Kunststoffwirtschaft räte und der entsprechenden Hersteller ist schier un- endlich Die deutschsprachigen Länder in Mitteleuropa Als Kunststoffindustrie im engeren Sinne bezeichnet (DACH) sind das technologische Zentrum des Kunst- man seit etwa 20 Jahren die Gesamtheit der drei sehr stoffmaschinenbaus und größter Exporteur, größter unterschiedlichen Branchen Kunststofferzeugung Hersteller ist aber mittlerweile China. Die Branche ist (Teil der chemischen Industrie), Kunststoffmaschi- eher mittelständisch strukturiert; einige wenige Unter- nenbau (Teil des Maschinenbaus) und Kunststoffver- nehmen (meist Spritzgießmaschinenbauer) haben Jah- arbeitung. Die Kunststoffindustrie in Europa/Deutsch- resumsätze in der Größenordnung von 1 Mrd. Euro. land hat mehr als 1,5 Mio./400.000 Beschäftigte, Das typische Maschinenbauunternehmen befindet sich mehr als 60.000/3.300 Unternehmen (zumeist KMU – im Familienbesitz und ist in Europa oder sogar welt- s. u.) und generiert einen Umsatz von mehr als weit unterwegs. 350/90 Mrd. Euro (Zahlen für 2017) [1]. Die Kunststoffwirtschaft (kein feststehender Begriff) umfasst zusätzlich Distributeure, Compoundeure und 4.4 Verarbeitung Hilfsmittelhersteller; Logistik, Messegesellschaften, Verlage u. v. a. Dienstleister; schließlich auch die ein- Das Herzstück der Kunststoffindustrie ist sicherlich schlägige Wissenschaft. die Kunststoffverarbeitung (Bild 10). Hier wird der als Rohstoff angelieferte Kunststoff auf den genann- ten Maschinen in die Form gebracht, in der er dem 4.2 Erzeugung Verbraucher begegnet. Ergänzt um Distributeure, Compoundeure, Hilfsmittelhersteller, Logistik, Mes- Wie oben ausgeführt, sind die Unternehmen der segesellschaften, Verlage, Dienstleister und Wissen- kunststofferzeugenden Industrie in der Regel Teile schaft ergibt dies die Kunststoffwirtschaft (siehe Ab- entweder der chemischen oder der petrochemischen schnitt 4.1). Die aus kleinen und mittelständischen Industrie (siehe auch Bild 6). Sie sind heute zumeist Unternehmen bestehende Branche zählt nach unserer global aufgestellt. Die Produktion ist standortsensibel Schätzung in Deutschland wohl 10.000 Unternehmen, (Brown Sites), kapitalintensiv (World Scale Units von macht einen Jahresumsatz von etwa 65 Mrd. Euro und typischerweise 500 kt Jahresproduktion im Falle der beschäftigt etwa 400.000 Mitarbeiter. Die kleinen Polyolefine oder der Isocyanate) und daher logistisch Spezialisten setzen 1 Mio. bis 2 Mio. Euro um, die extrem anspruchsvoll. Die Konsolidierung dieses In- großen Packmittelhersteller (Folien) bringen es auf dustriezweigs ist weit fortgeschritten, aber nicht abge- 1 Mrd. Euro und mehr. Von wenigen Ausnahmen ab- schlossen. Die Spannweite der Jahresumsätze in der gesehen, handelt es sich auch in dieser Branche um Kunststofferzeugung reichen von 1 Mrd. bis etwa familiengeführte Unternehmen, die meist nur national, 25 Mrd. Euro. In der Regel handelt es sich um börsen- bisweilen europäisch tätig sind. Manche der größeren notierte Publikumsgesellschaften. Unternehmen gehören zu internationalen Gruppen, sind international tätig und börsennotiert. 4.5 Andere 4.3 Maschinenbau (Chemie-)Handelshäuser und Logistiker spielen eine Spezialmaschinen sind notwendig zur Verarbeitung wichtige Rolle in der Distribution und Vermarktung und Formgebung der meist als Granulat oder Flüssig- von Kunststoffen. Die großen Kunststofferzeuger keiten vorliegenden Kunststoffe. Wichtigste Gattun- konzentrieren sich in der Regel auf die Compoundie- gen sind Extruder zum Aufschmelzen und Compoun- rung und Konfektionierung einiger weniger Typen ih- dieren sowie zur Extrusion von Halbzeugen (Folien rer Produkte, die sie in möglichst großen Gebinden und Platten, Schläuche, Rohre, Profile), Tiefziehma- (Containern, Silofahrzeugen) zu ihren großen Kunden schinen zur Herstellung von offenen Hohlkörpern transportieren lassen. Kleinere Gebinde für kleinere (Becher, Schalen, Töpfe, Blister …), Spritzgießma- Kunden vertreiben sie in der Regel über ihre Distribu- schinen zur Herstellung von Formteilen mit Durch- tionspartner, die oftmals auch als Compoundeure klei- messern vom mm- in den m-Bereich. Werkzeuge, nerer Typen und Spezialitäten tätig sind. Pressen, Kalander, Ablege- und Wickelgeräte, www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 17 Bild 10. The linear Automotive Value Chain (simplified) (Quelle: Dr. Peter Orth and Manfred Rink, No- vember 2019) Die weiteren Inhaltsstoffe (neben dem reinen Kunst- nach wie vor der Treffpunkt der Branche schlechthin, stoff) der Compounds liefern Spezialisten, die sehr oft traditionell beheimatet in Deutschland, dem technolo- ausschließlich das kunststoffbezogene Geschäft be- gischen Zentrum der Kunststoffindustrie. Der Veran- treiben: Verstärkungsfasern (Glas- und Kohlenstofffa- stalter, die Messe Düsseldorf, hat ein Portfolio von sern …), Füllstoffe (CaCO3, Talk, Silikagel, Ruß …), insgesamt neun Kunststoffmessen weltweit, sie dürfte Pigmente, Stabilisatoren, Flammschutzmittel, Verar- damit Weltmarktführer in diesem Bereich sein. beitungshilfsmittel u. v. a. m. Systemhäuser unterstüt- zen das Geschäft der PUR-Rohstoffhersteller bei der Die Internationale Messe Chinaplas findet jährlich im Formulierung, der Distribution, der Kundenberatung Wechsel in Shanghai und Guangzhou statt, mit fol- etc. genden Zahlen für Shanghai 2018: Ausstellungsflä- che: 320.000 m2, Aussteller: mehr als 3.400, Fachbe- sucher: mehr als 150.000. Die Chinaplas repräsentiert 4.6 Wertschöpfungsketten den größten und dynamischsten Markt der Kunststoff- industrie. Typisch für die Kunststoffindustrie ist die Organisa- Eher regionale Bedeutung haben die NPE in Orlando/ tion in linearen Wertschöpfungsketten (Bild 10) – so FL (Nordamerika) und die Fakuma in Friedrichsha- für die Automobilindustrie, Packmittelherstellung, fen (Europa). Erwähnt sei auch die JEC (Journées Elektroindustrie, medizintechnische Industrie etc. Sol- Européenne des Composites) in Paris, die weltgrößte che Ketten werden von beiden Enden her organisiert, Messe für Verbundwerkstoffe. leben von direkten, oft langjährigen Kontakten und der vertraglichen Verpflichtung nahezu aller ihrer Diese Messen erfüllen wichtige Funktionen als Markt- Mitglieder untereinander, der Kooperation mit erfah- plätze und Informationsbörsen, sie sind Treffpunkte renen Logistikern, die oftmals selber IT-Unternehmen und Kommunikationszentren und natürlich und vor al- sind oder diese einbinden. Solche Ketten sind nur noch lem zeigen sie Innovation im Wettbewerb, ermögli- selten national oder regional organisiert, in vielen Fäl- chen also den direkten Vergleich für den Kunden und len handelt es sich heute um globale Organisations- sind oft Trendsetter. strukturen, deren Komplexität insbesondere KMU vor große Herausforderungen stellt. Erste zirkuläre Wert- schöpfungsketten sind erfolgreich etabliert (PET-Fla- 4.8 Wissenschaft schen) oder befinden sich im Aufbau, so in einigen Bereichen der Bauindustrie, vorangetrieben von der In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es PVC-Industrie, bei Bodenbelägen oder manchen Po- eine große und vielfältige Wissenschaftslandschaft, lyolefin-Anwendungen, sind aber nicht die Regel. die sich mit praktisch allen oben genannten Aspekten des Werkstoffs Kunststoff befasst. 4.7 Dienstleister Hochschulen An dieser Stelle seien die großen Kunststoffmessen erwähnt, insbesondere die globale Leitmesse K, die Die Polymerwissenschaften mit den Schwerpunkten Chinaplas und die National Plastics Exhibition (NPE) Makromolekulare Chemie und Kunststofftechnik sind in den USA. an mehr als 50 Hochschulen in Deutschland und Ös- Die Internationale Kunststoffmesse K findet im Drei- terreich mit ca. 150 Professoren in Forschung und jahresrhythmus in Düsseldorf statt – zuletzt 2019. Lehre vertreten. An vielen dieser Hochschulen gibt es Etwa 3.500 Unternehmen (überwiegend Maschinen- eigenständige Studiengänge in den genannten Diszip- bau und Rohstoffhersteller) stellen auf 175.000 m2 linen (und darüber hinaus), deren Absolventen in der Hallenfläche aus und erwarten etwa 220.000 Besucher Landschaft der einschlägigen Wirtschaftsunterneh- (mehr als die Hannovermesse). Die Leitmesse K ist men, Behörden und Wissenschaft Arbeit findet. Der www.vdi.de
18 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung Anteil von Studierenden aus dem europäischen und Fachverband Kunststoff- und Gummimaschinen internationalen Ausland wächst stetig; gehen diese im VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und dann in ihre Heimatländer zurück, werden sie Teil ei- Anlagenbauer e.V.), Federführer des entsprechen- nes bisweilen globalen Netzwerks. den europäischen Verbands Euromap (European Plastics and Rubber Machinery) Außeruniversitäre Forschung GKV – Gesamtverband der Kunststoffverarbei- tenden Industrie e.V., BDI-Mitglied und Dach- Eng mit den Hochschulen in Deutschland verknüpft verband einer Reihe von Fachverbänden, nament- (die meisten Instituts- oder Abteilungsleiter haben lich Industrievereinigung Kunststoffpackmittel heute auch Hochschullehrstühle) sind die in den vier e.V. – IK, Tecpart (Technische Teile), Arbeitsge- großen Wissenschaftlichen Gesellschaften (Max meinschaft Verstärkte Kunststoffe e.V. – AVK, Planck, Fraunhofer, Leibniz, Helmholtz) organisierten Pro K (Halbzeuge und Konsumprodukte), Fach- Institute und Arbeitsgruppen (ca. 40). Entsprechend verband Schaumkunststoffe e.V. – FSK (Schaum- dem Charakter der jeweiligen Gesellschaft sind diese kunststoffe und Polyurethane) in der Grundlagenforschung oder der angewandten Unabhängig vom GKV gibt es weitere Verbände Forschung engagiert. In den allermeisten Fällen sind der kunststoffverarbeitenden Industrie, so den sie über Projekte oder Gremienmitgliedschaften mit KRV (Kunststoffrohrverband e.V.). der Kunststoffindustrie verbunden. regionale Verbände u. a. in NRW (kunststoffland Ausdrücklich erwähnt sei der Fraunhofer-Exzellenz- NRW), Sachsen, Franken, Niedersachsen, Sach- cluster „Circular Economy Plastics“ [12]. sen-Anhalt Natürlich kann hier keine abschließende Betrachtung Organisationen der Verwertung und Entsorgung erfolgen. Zusammenfassend sei seitens der Verfasser ‒ BDE – Bundesverband der Deutschen Entsor- jedoch bemerkt, dass das in Deutschland bzw. in Mit- gungswirtschaft (große Unternehmen inklu- teleuropa vorhandene wissenschaftliche Potenzial sive einiger Dualer Systeme) weltweit (noch) einzigartig ist. Es trägt ganz wesent- lich zur technologischen Spitzenstellung der Kunst- ‒ bvse – Bundesverband Sekundärrohstoffe und stoffindustrie in Europa bei. Entsorgung e.V. (KMU) ‒ BKV (Beteiligungs- und Kunststoffverwer- 4.9 Verbandsorganisationen u. a. tungsgesellschaft mbH), RIGK (Gesellschaft zur Rückführung industrieller und gewerbli- Die deutsche Kunststoffwirtschaft ist in zahlreichen cher Kunststoffabfälle mbH) – Organisationen Verbänden und ähnlichen Organisationen (meist Ver- der Kunststoffindustrie eine) organisiert. Schwerpunktmäßig sind dies: ‒ Duale Systeme PlasticsEurope Deutschland – Verband der Kunststofferzeuger, Teil eines in Brüssel ansässi- ‒ Register: ZSVR – Zentrale Stelle Verpa- gen paneuropäischen Verbands, dem globalen ckungsregister Charakter dieses Industrieteils entsprechend, in Deutschland Fachverband im VCI (Verband der ‒ EAR – Stiftung Elektro-Altgeräte Register Chemischen Industrie e.V.) www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 19 5 Zum Kunststoff-Abfallregime 5.1 Lebenswegbetrachtung im Gebrauch oder gelangen direkt in Umwelt, werden also unkontrolliert –„wild“ – deponiert. Obige Ausführungen zeigen das Beispiel einer erfolg- Da die Nutzungsphase je nach Anwendung unter- reichen und dynamischen Grundstoffbranche, die im schiedlich lang ist, siehe auch Bild 9 (z. B. Dämmung Wesentlichen linear organisiert ist (lineare Wert- an Gebäuden: 20 bis 40 Jahre, Verpackung: ein Tag schöpfungsketten) und in deren Geschäftsmodellen bis sechs Monate), gibt es keinen direkten oder einfa- das Lebensende ihrer Produkte, abgesehen von weni- chen Zusammenhang der Jahreszahlen von Produk- gen Ländern und Regionen, nur eine untergeordnete tion, Nutzung und Abfall. Auch bei einer regionalen Rolle spielt. Aus einem billigen, massenhaft verfügba- Zuordnung ist zu beachten, dass Produktion, Nutzung, ren Rohstoff – prototypisch: Ethan/Ethylen – entsteht Verwertung, Verbrennung oder Deponierung nicht eine Vielzahl komplexer Produkte meist als Material- immer in der gleichen Region stattfinden. kombination durch In Deutschland gelangten 2017 11,8 Mt Kunststoffe in Formulierung – Compounds, Blends oder Ver- den Markt, 6,2 Mt (53 %) Kunststoffabfälle wurden bünde, erfasst und verwertet, lediglich 40 kt (0,3 %) wurden Konstruktion und Montage, deponiert [5], 5,6 Mt blieben mithin in Gebrauch oder gelangen direkt in die Umwelt. Gebrauch – Verschmutzung, Kontamination und Marine Litter: Drastisch sichtbar wird die ungeord- Sammlung und Aufbereitung – gelber Sack, nete Entledigung in einigen Regionen der Welt an der Shredderleichtfraktion stetig wachsenden Verschmutzung der Meere mit Plas- tikmüll, dem Marine Litter. 2017 wurden ca. 80 % des mit maximaler Dissipation – für jeden Zweck, an je- in die Weltmeere eingetragenen Kunststoffs durch zehn dem Ort, den Bedürfnissen der Kunden entsprechend. Flüsse in Asien und in Afrika eingespült [14]. Thermodynamisch ausgedrückt ist dies eine systema- Mikroplastics: Unter Mikroplastics werden Kunst- tische Entropieerhöhung. Es entstehen Produkte, die stoffteilchen kleiner 5 mm verstanden, die zum gro- an ihrem Gebrauchs-/Lebensende zu Abfall werden, ßen Teil durch die Fragmentierung größerer Kunst- als eher wertlos betrachtet werden und derer sich der stoffbauteile, Abnutzung von Funktionskleidung, dem Nutzer eigentlich nur entledigen will. Dieser Weg er- Reifenabrieb sowie aus Kosmetika oder der natürli- weist sich zunehmend als problematisch, denn im li- chen Zersetzung von Kunststoffen in der Umwelt her- nearen Modell hat der Abfall weder eine Funktion rühren. Die Schätzungen über die Mengen weichen noch einen Wert und es gibt oftmals weder Zuständig- stark voneinander ab. Das FhG-UMSICHT schätzt keiten noch Verantwortlichkeiten der Wirtschaftsteil- [6], dass allein in Deutschland etwa 330 kt pro Jahr, nehmer. Anders ausgedrückt: Das lineare Modell hat zum Teil über die Abwässer, unkontrolliert in die ein Abfallproblem. Umwelt gelangen. Mikroplastics werden mittlerweile an den unterschiedlichsten Orten der Welt nachgewie- sen: im antarktischen Eis wie in der Nahrungskette. 5.2 Deponieren (Land Filling, Marine Litter, Mikroplastics) Ziele Aber natürlich muss man sich des Abfalls entledigen, im einfachsten Fall, indem man ihn in die Umwelt 1 Für die industrialisierten Regionen der Welt (Bei- entlässt. spiel EU) muss es kurzfristiges Ziel sein, wildes Deponieren von Kunststoffabfällen vollständig zu In der EU gelangten 2016 ca. 60 Mt Kunststoffe in unterbinden und mittelfristig Deponien nur noch den Markt, ca. 27 Mt wurden als Kunststoffabfälle er- zur Beseitigung unvermeidlicher Verwertungsab- fasst, kommen also kontrolliert zurück, was einem fälle zu nutzen. Wir schätzen den Bedarf hierfür Anteil von 45 % entspricht. Hiervon wurden ca. 25 % auf 1 % (Größenordnung) der in den Markt gehen- deponiert, mit deutlichem Gefälle von Mittel- und den Mengen ab. Der Aufbau entsprechender, leis- Nordeuropa (Deponierate nahe 0) nach Osten, Süden tungsfähiger Abfallwirtschaftssysteme ist zu for- und Westen, wo noch bis zu 75 % deponiert werden cieren. [1; 2]. Etwa 33 Mt wurden nicht erfasst, bleiben – ab- hängig vom Lebenszyklus der jeweiligen Produkte – www.vdi.de
20 VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 2 Für die weniger industrialisierten Regionen muss Rauchgasreinigung ausgestattet sind. Die MVA sind es mittelfristiges Ziel sein, zunächst einmal die integraler Bestandteil der in den meisten EU-Ländern Kunststoffabfälle zu erfassen und wildes Deponie- installierten Abfallwirtschaftssysteme. Welchen Weg ren zu unterbinden. Mittel- und langfristig sind die Politik zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele auch hier Abfallwirtschaftssysteme aufzubauen, hier gehen wird, ist derzeit offen. Offen ist also auch die es gestatten, mit Siedlungsabfällen aller Art die zukünftige Validität dieses Verwertungswegs für angemessen zu verfahren, mithin also auch Kunst- Kunststoffabfälle. stoffabfälle einer Verwertung zuzuführen. Die verbleibenden 1,5 Mt wurden als Ersatzbrenn- stoffe in der Stahl- und der Zementindustrie genutzt, 5.3 Energetische Verwertung (Energy wo sie fossile Rohstoffe substituieren. Bei der Stahler- zeugung wird mit Kunststoffabfällen Koks im Hoch- Recovery) ofen substituiert, in den Drehrohröfen der Zementin- dustrie sind es fossile Rohstoffe ganz allgemein. Aufgrund ihrer molekularen Struktur sind Kunststoffe Beide Prozesse sind derzeit wegen ihrer CO2-Emissio- hochkalorische Materialien, die sich für eine energeti- nen Teil der Klimaschutzdiskussion; die Stahlindust- sche Verwertung (Verbrennung unter Energieaus- rie arbeitet am Ersatz des Reduktionsmittels Kohlen- kopplung) eignen. Um diesen Verwertungsweg zu ge- stoff durch Wasserstoff, welchen Weg die Zement- hen, bedarf es zweier Voraussetzungen, die heute al- industrie gehen kann, deren Basisprozess das thermi- lerdings nur in den industrialisierten Regionen gege- sche Austreiben des im Kalkstein (CaCO3) gebunde- ben sind: nen CO2 ist, ist noch offen. Jedenfalls werden wohl Verfügbarkeit hierfür ausgelegter Kraftwerke beide Prozesse mittelfristig als Senke für Kunststoff- bzw. Verbrennungsanlagen (mit Rauchgasreini- abfälle ausscheiden. gung), in denen damit Verbrennungsmaterialien Wir schätzen, dass ca. 10 % aller Kunststoffabfälle aus fossilen Rohstoffen substituiert werden kön- aus unterschiedlichen Gründen auch zukünftig ener- nen getisch verwertet werden müssen, sollen sie nicht de- ein funktionierendes Abfallwirtschaftssystem, das poniert werden. Medizinische Einwegprodukte müs- die Sammlung und kontinuierliche Bereitstellung sen aus Sicherheitsgründen kontrolliert verbrannt wer- definierter Mengen für diese Anlagen ermöglicht den, ebenso kontaminierte Pflanzenschutzmittelbehäl- ter und auch die Vielzahl von Sortierresten, die auf Nachteil der Verbrennung ist die Entstehung von keinen sinnvollen Verwertungsweg gebracht werden Kohlenstoffdioxid als wichtigstem Verbrennungspro- können. Und irgendwann erreicht das Makromolekül dukt, das dabei in die Atmosphäre entlassen wird. Die sein Lebensende. Nach mehrfachem Wiederauf- Atmosphäre wird hierbei als gasförmige Deponie ge- schmelzen auf einer Schnecke eines Extruders ist es nutzt. Im Hinblick auf den Klimaschutz ist dies nicht soweit abgebaut, dass es rohstofflich oder energetisch nur unerwünscht, sondern zukünftig sicher auch unat- verwertet werden sollte, um im Kreislauf zu bleiben. traktiv, da durch Kunststoffe verursachte CO2-Emissi- Auf Basis heutiger Mengen (EU: 60 Mio. t, Deutsch- onen von Verbrennungsanlagen entweder bepreist land: 12 Mio. t; Fließgleichgewicht vorausgesetzt) oder besteuert werden dürften. Sollte es gelingen, das müssten also thermische Verwertungskapazitäten von CO2 aus den Rauchgasen abzufangen und stofflich zu etwa 6 Mt (EU) bzw. etwa 1,5 Mt (Deutschland) für nutzen, könnte dieser Verwertungsweg gegebenen- Kunststoffabfälle zugänglich bleiben. Die entspre- falls weiter genutzt werden, da er dann klimaneutral chenden CCU-Kapazitäten (s. u.) liegen bei etwa wäre (CCU, s. u.). 19 Mt (EU) bzw. etwa 5 Mt (Deutschland) [1]. In der EU wurden 2016 von den oben genannten 27 Mt etwa 11,2 Mt (42 %) energetisch verwertet, 5.4 CCU – Carbon Capture and Usage was CO2-Emissionen von etwa 35 Mt entspricht (be- rechnet auf Basis von Polyethylen). CO2 (Kohlenstoffdioxid) ist das höchste Oxidations- produkt von Kohlenstoff, wichtigstes Produkt eines In Deutschland wurden 2017 etwa 3,6 Mt, mithin jeden Verbrennungsprozesses, ein reaktionsträges, 58 % der oben genannten 6,2 Mt erfasster Kunststoff- chemisch stabiles Molekül, das mit einem Anteil von abfälle, energetisch verwertet [1]. etwa 400 ppm an der Erdatmosphäre als Spurengas gilt, jedoch einen erheblichen Treibhauseffekt hat. Die Hiervon gingen 2,1 Mt in die meist kommunalen Reduktion anthropogener CO2-Emissionen ist eine der Siedlungsabfallverbrennungsanlagen (Müllverbren- wesentlichen aktuellen Herausforderungen für die nungsanlagen – MVA), die in Deutschland nach der Erdbevölkerung. Das Pariser Klimaschutzabkommen 17. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) von 2015 hat Ziele hierfür festgelegt, zu deren zugelassen sind, also u. a. mit der notwendigen www.vdi.de
VDI-Statusreport – Kunststoffe und deren Verwertung 21 Einhaltung sich die allermeisten Signatarstaaten ver- wird dabei ein Sekundärrohstoff (Rezyklat – Recycled pflichtet haben. Material) einem Primärrohstoff (Neuware – Virgin Material) auf einem Extruder beigemischt, substituiert Wer zukünftig CO2 generiert, wird es nicht einfach in diesen also. Resultat ist eine rezyklathaltige Neuware, die Atmosphäre entlassen können, sondern wird hier- eine R-Type, wie sie viele Kunststofferzeuger mittler- für bezahlen müssen, es sei denn, es wird abgefangen weile im Sortiment haben, die spezifiziert ist und sich und genutzt. Die Braunkohle verfeuernden Energieer- wie gewohnt verarbeiten lässt. zeuger haben dies mit der Installation von Rauchgas- entschwefelungsanlagen (REA) in ihren Kraftwerken Beide Verfahrensschritte erfolgen auf der Schnecke exemplarisch für das Auffangen und die Verwertung eines Extruders, wo die unterschiedlichen Materialien von SO2 vorexerziert (Bild 11); daraus ist eine veri- elektrisch aufgeheizt und homogenisiert werden. Es table Industrie entstanden, die Teile des Baugewerbes ist dies ein wiederholter mechanischer und thermi- revolutionierte (Trockenbau mit Gipskartonplatten). scher Energieeintrag (mechanisch-thermische Belas- Das abgefangene CO2 ist zu reduzieren (zu Methan, tung), der zu vielen Kettenabbrüchen (physikalischer Methanol, Formaldehyd oder Ameisensäure) und Abbau/Degradation) in den Makromolekülen des Ma- kann dann in der Chemie und Kunststofferzeugung terials führt. Tendenziell verschlechtern sich dadurch wieder genutzt werden. Im Ergebnis kann der Kohlen- die Werkstoffeigenschaften. Dem kann aus heutiger stoff wieder in den Kreislauf eingespeist werden. Da- Sicht mit verschiedenen Maßnahmen begegnet werden: mit kann die Verbrennung letztlich zu einer stoffli- chen Nutzung führen. möglichst schonende Extrusion (Schneckengeo- metrie, Temperaturführung etc.) Entsprechende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sind im Gange (Kopernikus, Power-to- Gas etc.), sie Einsatz von Inhibitoren – Chemikalien zur Mini- sind in einem ganzheitlichen Konzept der Kunststoff- mierung des Kettenabbruchs abfallverwertung zu berücksichtigen, da anders die energetische Verwertung nicht stofflich verwertbarer parallele Kettenaufbaureaktionen – vorzugsweise Abfälle keine Perspektive hat. bei Polykondensaten wie PA, PET Rezepturoptimierung – Verdünnungsstrategie 5.5 Werkstoffliches Recycling Voraussetzung für die Substitution von Neuware und (Mechanical Recycling) die Aufnahme in ein Liefersortiment ist die konstante Verfügbarkeit aufbereiteter, sauberer und sortenreiner Das werkstoffliche Recycling (Bild 14) ist aktuell der Kunststoffabfälle. Diese sind kontinuierlich zu sam- Königsweg für die Kreislaufführung thermoplasti- meln, zu sortieren, zu reinigen bzw. zu dekontaminie- scher Kunststoffe, da sie wieder aufgeschmolzen und ren, zu mahlen, zu agglomerieren oder zu compoun- neu in Form gebracht werden können. Im Idealfall dieren, zu prüfen, schließlich zu spezifizieren. Bild 11. Learning from the Past (Quelle: Dr. Peter Orth and Manfred Rink, November 2019) www.vdi.de
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