HD Impuls-Vortag Bewertung von Prüfungen und Überdenkungsverfahren

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HD Impuls-Vortag Bewertung von Prüfungen und Überdenkungsverfahren
HD Impuls-Vortag
Bewertung von Prüfungen und Überdenkungsverfahren

Christine Kirsch | Justitiariat I 15.06.2021
HD Impuls-Vortag Bewertung von Prüfungen und Überdenkungsverfahren
Inhalt

1. Grundsatz
2. Prüfungsrechtlicher Bewertungsspielraum
3. Bewertungsgrundsätze
        a.      Allgemein gültige Bewertungsgrundsätze
        b.      Willkürverbot
        c.      Gebot, Gleiches gleich zu bewerten
        d.      Eigenbindung (Ständige Bewertungspraxis und Zusage)

4. Begründungspflicht
5. Überdenkungsverfahren

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
1) Grundsatz

  Gericht darf nur die Einhaltung der Regelungen des
   Prüfungsverfahrens sowie der Grenzen des
   prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraums
   überprüfen
  als Ausgleich der eingeschränkten Kontrolle besitzen
   die Prüfungskandidat*innen bei berufsbezogenen
   Prüfungen aus Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch auf
   Überdenken der Bewertung der Prüfungsleistungen
   (Überdenkungsverfahren)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
1) Prüfungsrechtlicher Bewertungsspielraum

  unterliegt nicht der gerichtlichen Überprüfung
  großer Spielraum
  umfasst:
          Punktevergabe und Notengebung
          die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung und die
           Gewichtung der Aufgaben untereinander (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
           vom 20.01.2015, Az.: 1 A 1009/13)
          die Würdigung der Qualität der Darstellung, Bewertung der Qualität der
           Argumentation inkl. der Bewertung der Vollständigkeit einer Antwort, also
           welche Gesichtspunkte im Rahmen einer bestimmten Prüfungsleistung in
           welchem Umfang zu erwarten sind (Hessisches Finanzgericht, Urteil vom
           18.02.2004, Az.: 13 K 2/04n)
          die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung
          die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (BVerwG, Urteil vom 12.11.1997,
           Az.: 6 C 11.96)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
1) Prüfungsrechtlicher Bewertungsspielraum

   Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die
       Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen,
       anzuwendendes Recht verkennen, von einem
   unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige
       Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von
          sachfremden Erwägungen leiten lassen.
      (OVG NRW, Beschluss vom 04.04.2014, Az.: 14 A
                        968/12)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
Bewertungsgrundsätze

 a) Allgemein gültige Bewertungsgrundsätze

  zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen dürfen
   im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum
   Nichtbestehen führen
  eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten
   folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch
   gewertet werden (BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991,
   Az.:1 BvR 419/81)
  Prüfende dürfen eine Antwort nicht als zwar vertretbar
   ansehen, diese aber bei der Bewertung abwerten, weil
   sie nicht die optimale Lösung darstellt (BVerwG,
   Beschluss vom 21.06.2016, Az.: 6 B 14.16)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
a) Allgemein gültige Bewertungsgrundsätze

  Prüfung muss geeignet sein, die geforderte Kompetenz
   abzuprüfen und Prüflinge, die das Ausbildungsziel
   erreicht haben, von denen zu unterscheiden, die es
   nicht erreicht haben (BVerwG, Beschluss vom
   09.12.2020, Az.: 6 B 35.20)

  sachlich nicht gerechtfertigte Überforderungen oder
   Prüfungsanforderungen, die nicht von dem zulässigen
   Prüfungsstoff gedeckt sind und mit den Anforderungen
   des Berufs nichts mehr zu tun haben, sind unzulässig
   (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.07.2020,
   Az.: 9 S 1667/20)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
a) Allgemein gültige Bewertungsgrundsätze

  Verletzung der Chancengleichheit
        Beispiele:
          Prüfungsaufgabe vorher bekannt (BFH, Urteil vom 20.07.1999,
           Az.: VII R 111/98)
          einseitige Begünstigungen oder Hinweise der Prüfenden über
           Prüfungsinhalt an einzelne Prüflinge
          Prüfende verkennen, dass durch die zugelassenen Hilfsmittel
           die Prüfungsaufgabe zu einer „Abschreibleistung“ oder
           „Gedächtnisleistung“ reduziert wird (Bayerischer VGH,
           Beschluss vom 04.02.2008, Az.: 7 CE 07.3468)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
a) Allgemein gültige Bewertungsgrundsätze

  für sich genommen kein Verstoß, aber ggf. Hinweis auf
   Verstoß
          allgemein schlechtes Prüfungsergebnis (Prüfungsaufgabe ggf.
           falsch, irreführend oder ungeeignet)
          große Diskrepanz zwischen Erst- und Zweitkorrektor*in
          Randbemerkungen oder Anmerkungen in der mündlichen
           Prüfung, lassen auf Unsachlichkeit schließen (Prüfer*in hat die
           Prüfungsleistungen mit innerer Distanz und frei von Emotionen
           zur Kenntnis zu nehmen, BVerwG, Beschluss vom 08.03.2012,
           Az.: 6 B 36.11)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
a) Allgemein gültige Bewertungsgrundsätze

  Prüfungsleistungen sind allein nach einem absoluten
   Maßstab für jede*n einzelne*n Prüfungskandidat*in
   ohne Rücksicht auf die Leistungen der Mitprüflinge zu
   bewerten. Insbesondere darf eine Prüfungsleistung
   nicht deshalb schlechter bewertet werden, weil andere
   Prüflinge bei der Bewältigung der betreffenden Aufgabe
   bessere Leistungen erbracht haben. (OVG NRW, Urteil
   vom 20.11.2012, Az.: 14 A 755/11)

  Aber: Vergleich von Prüfungsarbeiten untereinander, um
   eine vernünftige und gerechte Relation zur
   Feinjustierung zu erzielen, zulässig (BVerwG,
   Beschluss vom 26.02.1979, Az.: 7 B 15.79)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
b) Willkürverbot

  = Bewertung ist aus keinem sachlichen Grund
   gerechtfertigt
  Beispiele:
          Verstoß gegen Denkgesetze (VG Stuttgart, Urteil vom
           12.08.2009, Az.: 12 K 2406/08)
          Voreingenommenheit der Prüfenden (BVerwG, Beschluss vom
           08.03.2012, Az.: 6 B 36.11)
          Überbewertung sprachlicher oder formaler Mängel, die nicht
           Teil der zu prüfenden Kompetenz sind (Hessischer VGH, Urteil
           vom 22.10.2015, Az.: 9 A 1929/13)
          Schrift des Prüflings bei noch lesbarer Arbeit (BVerwG,
           Beschluss vom 19.08.1975, Az.: VII B 24/75)
          Lockerer Kleidungsstil bei der mündlichen Prüfung (VG Berlin,
           Urteil vom 19.02.2020, Az.: 12 K 529.18)
Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
c) Gebot, Gleiches gleich zu bewerten

  gleicher Bewertungsmaßstab muss für alle Prüflinge
   gelten
  unterschiedliche Bewertung zulässig, bei gleichen
   Aufgaben, aber unterschiedlichen
   Kompetenzanforderungen
  Unterschiede, z. B. bei dem Schwierigkeitsgrad der
   Fragen, nicht mehr zulässig, wenn insgesamt nicht
   mehr von einer Vergleichbarkeit der Prüfungsleistungen
   die Rede sein kann (VG Göttingen, Urteil vom
   01.09.2005, Az.: 4 A 175/03)
  keine Gleichheit im Unrecht (VG Lüneburg, Urteil vom
   14.04.2016, Az.: 6 A 449/14)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
d) Eigenbindung (Ständige Bewertungspraxis)

  ohne sachlichen Grund darf nicht von einer ständigen,
   gewohnheitsrechtlichen bindenden Bewertungspraxis
   abgewichen werden (BVerwG, Urteil vom 03.12.1981,
   Az.: 7 C 30.80, 7 C 31.80)
  interne Bewertungsschema oder Musterlösungen sind
   aber nicht bindend
  kein Anspruch auf Beibehaltung einer rechtswidrigen
   Bewertungspraxis (z. B. in der PO nicht vorgesehene
   Härtefallregelung vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom
   10.03.2020, Az.: 6 K 7870/18)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
d) Eigenbindung (Zusage)

  Bewertungsmaßstab auf Aufgabenblatt nicht verbindlich
  Der Bewertungsmaßstab ist auch nicht als Zusage zu
   verstehen, die genannten Bewertungsregeln
   einzuhalten.
  Aber: keine Irreführung der Prüflinge und Verleitung zur
   falschen Zeiteinteilung (OVG Nordrhein-Westfalen,
   Urteil vom 25.08.2011, Az.: 14 A 2189/09)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
4) Begründungspflicht

  ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.
  Begründung muss nicht die Einzelheiten, aber die für
   das Ergebnis ausschlaggebenden Punkte enthalten,
   nach welchem Sachverhalt sowie welche allgemeinen
   oder besonderen Bewertungsmaßstäbe der Prüfer
   zugrunde gelegt hat und auf welcher wissenschaftlich-
   fachlichen Annahme des Prüfers die Benotung beruht
   (BVerwG, Urteil vom 09.12.1992, Az.: 6 C 3.92).
  nicht erfüllt, wenn Punkte für Teilaufgaben und
   Punkteabzug nicht nachvollziehbar sind (VG Köln, Urteil
   vom 25.01.2018, Az.: 6 K 6842/15)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
4) Begründungspflicht

  grds. schriftlich (BVerwG, Urteil vom 09.12.1992, Az.: 6
   C 3.92)
  Fehler können aber auch noch in der mündlichen
   Verhandlung geheilt werden (BayVGH, Beschluss vom
   14.09.2000, Az.: 7 B 99.3753)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
5) Überdenkungsverfahren

  zusätzlich zu Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz
  gesondert oder im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
  Prüfling muss substantiierte Einwände erheben
  Fürsorgepflicht der Prüfungsbehörde gebietet, auf
   Notwendigkeit einer spezifizierten Begründung
   hinzuweisen (Bayerischer VGH, Beschluss vom
   05.10.2009, Az.: 7 ZB 09.160)
  Prüfungsbehörde ist verpflichtet, diese Einwände den
   beteiligten Prüfer*innen zuzuleiten
  Prüfer*in muss sich mit sämtlichen Einwänden des
   Prüflings auseinandersetzen und Bewertung ggf.
   korrigieren (BVerwG, Urteil vom 30.06.1994, Az.: 6 C 4.93)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
5) Überdenkungsverfahren

  erneute eigenständige und unabhängige Urteilsbildung
   aller beteiligten Prüfenden
  keine Neubewertung, sondern beschränkte
   Nachbewertung
  Prüfer*in darf dabei Bewertungssystem nicht ändern,
   muss aber entscheiden, ob an diesen Wertungen
   festgehalten wird, und dies begründen
  Ändert der/die Prüfer*in eine Einzelwertung, weil den
   Einwendungen Rechnung getragen wird, muss sie/er
   weiter entscheiden, ob dies Auswirkungen für die
   Benotung hat. (BVerwG, Beschluss vom 19.05.2016,
   Az.: 6 B 1/16)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
Exkurs: Verschlechterungsverbot

  Verschlechterung nicht grundsätzlich ausgeschlossen,
   aber (BVerwG, Urteil vom 14.07.1999, Az.: 6 C 20/98):
          keine Änderung des Bewertungsmaßstabs
          kein Nachschieben von Gründen
          Prüfer*in darf aber eine früher als falsch bewertete, nunmehr
           jedoch als vertretbar anzusehende Lösung erstmals auf ihre
           sachgerechte Durchführung untersuchen
          bei der Erstbewertung unerkannte Fehler müssen nicht weiter
           übersehen werden
          Eine zugunsten des Prüflings notwendige Korrektur einer
           früheren nachteiligen Bewertung darf nicht durch neue
           nachteilige Einzelbewertungen zunichte gemacht werden, die
           ersichtlich nur erfolgen, um unter allen Umständen eine
           Verbesserung der Note auszuschließen.
          Interessensabwägung ist ggf. durchzuführen!
Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
Exkurs: Korrekturassistenz

  Prüfer*in muss Prüfungsleistung selbst, unmittelbar und
   vollständig zur Kenntnis nehmen und aus eigener Sicht
   selbständig beurteilten
  Korrektur und Bewertung darf nicht delegiert werden
  Vorkorrektur durch Korrekturassistenten aber zulässig
   (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.12.2013,
   Az.: 14 B 1378/13)
  Vorbewertung eines Korrekturhelfers muss dann im
   einzelnen nachvollzogen, für zutreffend erachtet und als
   eigene übernommen werden (OVG Nordrhein-
   Westfalen, Beschluss vom 07.05.2014, Az.: 14 A
   2731/12)

Christine Kirsch | Bewertung und Überdenkungsverfahren | Justitiariat I 15.06.2021
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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   Nachfragen willkommen an:

   Christine Kirsch c.kirsch@verw.uni-koeln.de, Tel. 3969

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