Hellenistische Dichtung - Vorlesung im WS 2005/6 von und mit: Prof. Dr. Christian Pietsch
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Zusammenfassung zu ‚Hellenismus als Epochenbegriff‘ z ‚Hellenismus’: Epochenbegriff, der ein primär kulturelles Phänomen bezeichnet, d.h. eine Ausprägung griechischer Kultur, die über spezifische Merkmale verfügt z obere Grenze: 323 v. Chr. (im wesentlichen in der Forschung akzeptiert, im einzelnen leichte Schwankungen möglich, je nach Ein- oder Ausschluß Alexanders d. Gr.) z untere Grenze: 3. Jh. n. Chr. (Ende der spezifisch hellenistischen Sicht von Welt und Wirklichkeit sowie der Standort- und Zielbestimmung des einzelnen; kontroverse Grenzziehung in der Forschung) 4
Epochen der griechischen Geistesgeschichte Jahr Epoche Griechische Literatur Griech. Philosophie 900 v. Chr. Geometrische Homerische Epik 700 Zeit 700 Archaik Hesiod Vorsokratiker (Ionier: Interesse an Weltentstehung, Kosmos, Physik, Eleaten); 480 Frühgriech. Lyrik Pythagoreer 480 Klassik Drama, Redner Vorsokratik, Pythagoreer, Sophistik (Interesse am Menschen, Vermittlung Geschichtsschreibung, gesellschaftlicher Erfolgstechniken) Fachliteratur Sokrates (Interesse am Menschen, Ethik) Platon, Aristoteles (Ideenlehre; Interesse an Ontologie/Metaphysik, 320 Erkenntnistheorie, Ethik, Logik/Sprachphilosophie) 320 v. Chr. Hellenismus Alexandrin. Literatur, Stoa, Epikureismus, Skeptizismus 200 n. Chr. Fachliteratur Literar. Klassizismus Zweite Sophistik 200 Spätantike Platonisch-aristotelische Philosophie, Patristik 5 600
Merkmale des Hellenismus 1. politisch: z Starke Expansion des Griechentums über den gesamten östlichen Mittelmeerraum; Bildung großer Flächenstaaten z Verlagerung der Zentren griechischer Macht weg vom griechischen Mutterland z Monarchische Regierungsformen und Personenkult z Bedeutungsverlust der poleis als politischer Entscheidungsträger z Herrschaft einer kleinen griechischen Schicht über orientalische Bevölkerungsmehrheiten 6
Merkmale des Hellenismus 2. kulturell: z Kulturelle Expansion – Städtegründungen – Bildungszentren (Alexandria, Antiochia, Pergamon) z Hellenisierung von Teilen der indigenen Bevölkerung, v.a. der indigenen Oberschichten; gleichzeitiges Weiterbestehen der ursprünglichen Kulturen, d.h. entweder Übernahme der griechischen oder Beibehaltung der alten Kultur, aber keine Verschmelzung beider z Buchkultur und Forschungszentren (s.o.) führen zu neuen Weisen des Umgangs mit Literatur und Wissenschaft z Aufkommen einer dezidiert materialistisch und sensualistisch orientierten Weltsicht z Betonung des menschlichen Individuums Æ Individualethik, die dem einzelnen unabhängig von Gesellschaft und äußeren Umständen Glücksautonomie verspricht z Personen- und Herrscherkult als Folge der wachsenden Bedeutung des Individuums z Entwertung oder Entpersonalisierung der traditionellen Götter 7
Gängige Forschungsmeinung zu Merkmalen hellenistischer Literatur z Entwertung der traditionellen Religiosität; Vermenschlichung der Götter; Götter dienen entweder nur noch als epischer Traditionsbestand oder zur Darstellung psychischer Vorgänge z Generelle Destruktion der Tradition, z.B. des epischen Heldentums (Jason als Anti-Held); Ironisierung aller Inhalte z Intertextualität; mit den Elementen der traditionellen Dichtung wird ein literarisches, gebildetes Spiel getrieben Æ l’art pour l’art. z Die Bedeutung übergeordneter Zusammenhänge wird reduziert zugunsten artifizieller Einzelstellen z Nur der Gebildete versteht diese Dichtung wirklich; Dichtung für Dichter z Produktionsästhetik statt Rezeptionsästhetik; Verlust des Gesellschaftsbezuges z Dichtung wird sich selbst (z.B. durch Intertextualität) zum Thema; Selbstbezug der Dichtung; poiêsis poiêseôs z generelle Tendenz zur Kleinform z Detailfreude; Realismus 9
Doryphoros des Polyklet um 440 v. Chr; Marmor; Höhe: 1,98 m 11
Sog. ‚Barberinischer Faun‘ um 220 v. Chr.; Marmor; Höhe 215 cm 12
Laokoongruppe Mitte des 1. Jh. v. Chr. 13
Epochen der griechischen Philosophie Jahr Epoche Griechische Griech. Philosophie Literatur 900-700 Geometri- Homerische Epik v. Chr. sche Zeit 700-480 Archaik Hesiod Vorsokratiker (Ionier: Interesse an Weltentstehung, Frühgriech. Lyrik Kosmos, Physik, Eleaten); Pythagoreer 480-320 Klassik Drama, Redner Vorsokratik, Pythagoreer, Sophistik (Interesse am Geschichtsschrei- Menschen, Vermittlung gesellschaftlicher bung, Fachliteratur Erfolgstechniken) Sokrates (Interesse am Menschen, Ethik) Platon, Aristoteles (Ideenlehre; Interesse an Ontologie/Metaphysik, Erkenntnistheorie, Ethik, Logik/Sprachphilosophie) 320 v. - Hellenismus Alexandrin. Lit., Stoa, Epikureismus, akad. Skeptizismus, Kynismus, 200 n. . Fachliteratur Pyrrhonianismus Chr. Literar. Klassizismus Zweite Sophistik 200 Spätantike Platonisch-aristotelische Philosophie, Patristik 14 600
Platon: Höhlengleichnis (Resp. 514a1ff) z S.: Bei diesem Gleichnis muß man, mein lieber Glaukon, … den sich mittels des Sehvermögens zeigenden Bereich mit der Behausung des Gefängnisses gleichsetzen, das Licht des Feuers darin muß man der Kraft der Sonne gleichsetzen. Und wenn du den Aufstieg und die Schau der Dinge oben zum intellegiblen Ort hin als Aufstieg der Seele annimmst, dann wirst du meine Erwartung nicht verfehlen. (Resp. 517a8ff) 15
SVF I 60 = Cic. Acad. I 41 „ … wenn das sinnlich Wahrgenommene so erfaßt war, daß es von der ratio nicht erschüttert werden konnte (ut convelli ratione non posset), bezeichnete er (Zenon) es als Wissen (scientia) …“. 16
Stoische Sicht der Wirklichkeitsstruktur tina sômata Æ asômata Æ einai, hyparchein hyphistasthai hypo- poia pôs pros ti Ort (topos) kei- echonta pôs Leeres (kenon) mena echonta Zeit (chronos) Aussage (lekton) 17
Merkmale hellenistischer Dichtung 1. Hellenistische Literatur als Ausdruck ihrer Zeit. Grundtendenzen entsprechen zeitgenössischer Kunst und Philosophie. 2. Individuelle, wahrnehmbare Körperlichkeit als Zentrum hellenistischer Wirklichkeitsauffassung, daher auch Referenzpunkt für Kunst und Literatur. 3. Darstellung konkreter Individuen 4. Einbindung in spezifische Situation 5. Erweiterung des Darstellungsspektrums: alles, was wahrnehmbar ist, wird zum Gegenstand der Darstellung, v. a. Affektdarstellung 6. Verbale Visualisierung 7. Detailfreude Æ Realismus im Sinne hellenistischer Wirklichkeitsauffassung 18
Ps.-Longinus, de sublimitate 15,1 19
Eros und Psyche 2./1. Jh. v. Chr., Kapitolinisches Museum 20
Alte Frau auf dem Markt 2. Jh. v. Chr.; Marmor, H. 126 cm; New York, Metropolitan Museum 21
Sterbender Gallier Marmorkopie einer Bronzeskulptur in Pergamon, um 200 v. Chr. 22
Gallier tötet Frau Pergamon, Mitte 3. Jh. 23
Schild des Achilleus (nach O. Henke, 1897) 24
Homer, Il. 18,483-508 25
Homer, Il. 18,483-508 26
Theokrit, Id. I 29-63 27
Theokrit, Id. I 29-63 (Fortsetzung) 28
Autoren der hellenistischen Dichtung I Autor Lebenszeit Wirkungsstätte Lit. Gattung Werke erhalten Philitas von Kos Um 340 – nach Kos, Alexandria Elegien Demeter 300 (zeitweise) Epigramme Hermes Kleinepik (myth.) Menander von Athen 342/1 – 293/2 Athen Komödien + bzw. 291/0 Philemon 4./3. Jh. Athen Komödien Diphilos Frühes 3. Jh. Athen Komödien Hermesianax von Frühes 3. Jh. Elegien Leontion Kolophon Hero(n)das Frühes 3. Jh. (u.U.) Alexandria Mimen + Kallimachos von Kurz vor 300 – Alexandria Kleinepik (myth.) Hekalê (+) Kyrene nach 245 Elegien Aitia (+) Hymnen + Jamben (+) 29 Epigramme Lyrik (+) (+)
Autoren der hellenistischen Dichtung II Theokrit von 3. Jh. Kos, Alexandria Idyllen + Syrakus Epigramme + Apollonios von 3. Jh. Alexandria Epik (myth.) Argonautika + Rhodos Epik (aitiol.) Choliamben Epigramme Euphorion von 276/5 - ? Athen, Antiochia Kleinepen Thrax (+) Chalkis Arai Sotades von 3. Jh. Mimen Maroneia Philikos von Kerkyra 3. Jh. Alexandria Hymnen Demeterhymnus (+) Autoren der Anth. Blüte im 3. Jh. Teilweise Epigramme + Pal. 4-7, 9-12 Alexandria Aratos von Soloi 3. Jh. Athen, Pella Lehrgedicht Phainomena + Numenios von 3. Jh. Lehrgedicht Theriaka Herakleia Halieutika Deipnon 30
Autoren der hellenistischen Dichtung III Alexandros Aitolos 3. Jh. Alexandria Tragödien Kleinepen Elegien Lykophron aus Um 320 - ? Alexandria Tragödien (~) Alexandra + Chalkis Satyrspiele Homer von Byzanz Frühes 3. Jh. Alexandria Tragödien Philikos von Kerkyra Mitte 3. Jh. Alexandria Tragödien Sositheos aus der Frühes 3. Jh. Alexandria Tragödien Troas Satyrspiele Ezechiel 3./2. Jh. Vermutlich Tragödie Exagôgê Alexandria Moschos von 2. Jh. Idyllen Eurôpê + Syrakus 31
Autoren der hellenistischen Dichtung IV Bion von Smyrna 1. Jh. Idyllen Adônis + (wahrschein lich) Nikandros von 3./2. Jh. Lehrgedicht Theriaka + Kolophon Alexipharmaka + Heteroiumena Phanokles 3. Jh. (?) Elegie Erôtes ê kaloi (+) Nikainetos von 2. Jh. Lehrgedicht Gynaikôn katalogos + Samos Parthenios von 1. Jh. Rom, Neapel Elegien Metamorphosen Nikaia 32
Gattungen der hellenistischen Dichtung I Gattung Autor Wirkungsstätte Myth. Epos Apollonios von Rhodos Alexandria Myth. Kleinepos Philitas von Kos Alexandria (teilw.) Kallimachos von Kyrene Alexandria Euphorion von Chalkis Lehrgedicht Aratos von Soloi Athen, Pella Eratosthenes Alexandria Numenios von Herakleia Nikandros von Kolophon Elegie Philitas von Kos Alexandria Hermesianax von Kolophon Alexandria Kallimachos Alexandria Alexandros Aitolos Rom, Neapel Phanokles Parthenios von Nikaia Epigramm Philitas Kos, Alexandria Kallimachos Alexandria Theokrit Kos, Alexandria Anth. Palat. teilw. Alexandria 33
Gattungen der hellenistischen Dichtung II Komödie Menander Athen Philemon Athen Diphilos Athen Tragödie Alexandros Aitolos Alexandria Lykophron aus Chalkis Alexandria Homer von Byzanz Alexandria Philikos von Kerkyra Alexandria Sositheos aus der Troas Alexandria Mimos Sotades von Maroneia Hero(n)das Idyllen Theokrit von Syrakus Kos, Alexandria Moschos von Syrakus Bion von Smyrna Hymnus Kallimachos von Kyrene Alexandria Philikos von Kerkyra Alexandria 34
Kritische Phasen der Überlieferung antiker Literatur 1. Alexandrinische Philologie (300-145/1. Jh. v. Chr.) Æ Sicherung der antiken Literatur durch textkritische Bearbeitung und Kommentierung 2. Papyrus-Rolle zu Pergament-Codex (ab 3. Jh. n. Chr.) 3. Textüberlieferung in Byzanz - ‚Dunkle Jahrhunderte‘ (7.-9. Jh. n. Chr.) - Eroberung von Byzanz durch Kreuzritter (1204) - Eroberung von Byzanz durch Türken (1453) 35
Stemma der handschriftlichen Überlieferung von Apollonios Rhodios, Argonautika (nach H. Fränkel) 36
Poseidippos-Papyrus, 2. Jh. v. Chr. 37
Apollonios Rhodios, Arg. III 361 ff moderne textkritische Bearbeitung 38
Kallimachos, Epigramm 30 39
Aristoteles, Poet. 1459 a18-b2 (1) 40
Aristoteles, Poet. 1459 a18-b2 (2) 41
Kallimachos, Epigramm 7 42
Kallimachos, Epigramm 29 43
Pindar, Ol. VI 22-25 44
Pindar, Nem. VI 53f 45
Kallimachos, Apollon-Hymnus 100-113 46
Kallimachos, Aitien, Prolog 1-30 (1) 47
Kallimachos, Aitien, Prolog 1-30 (2) 48
Kallimachos, Aitien, Prolog 1-30 (3) 49
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