Religionsgeschichte Israels - Die Bibel ist - Bildungsnetz
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Religionsgeschichte Israels Die Bibel ist in weiten Teilen Krisenliteratur. Biblische Autoren reagieren auf politische, gesellschaftliche und religiöse Krisen und versuchen diese zu deuten und zu bewältigen. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Die Zerstörung Jerusalems 587 v.Chr., die das anschließende Exil in Jeremia beklagt die Zerstörung Jerusalems, Knesset Menorah in Jerusalem Babylon zur Folge hatte, ist das zentrale historische Ereignis für die Entwicklung der alttestamentlichen Religiosität und der Entstehung der Bibel. • Wichtige religiöse Normen für die späteren Religionen des Juden-tums, Christentums und Islams erhalten in diesem historischen Kontext ihre Identität stiftende Bedeutung. • Die biblische Darstellung der Geschichte Israels ist durch diese Perspektive auf die Vergangenheit geprägt. In diesen Texten geht es um die religiös begründete Identität des Judentums. • Wichtige Voraussetzung für die politische Situation ist die geostrategische Lage als Landbrücke zwischen den Machtzentren in Ägypten und Mesopotamien. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
David und Salomo Am Anfang der Geschichte Israels steht das vereinigte Königreich Israel und Juda aus den 12 Stämmen Israels mit seinen Königen Saul, David und Salomo in der Hauptstadt Jerusalem. Dieses Königreich entsteht innerhalb eines Machtvakuums, währenddessen sich auch weitere Staaten in der Region etablieren. Die Großreiche in Syrien und Mesopotamien sowie Ägypten üben kaum Einfluss zu dieser Zeit aus. • Dass es eine Daviddynastie gegeben hat, ist archäologisch durch Tell-Dan-Inschrift im Israel Museum, Jerusalem die Erwähnung auf einer auf Tell Dan gefundenen Inschrift („Haus Davids“) belegt. • Staatliche Einrichtungen (Tempel, Paläste, öffentliche Gebäude, Festungen) sind bislang archäologisch nicht nachgewiesen. DIETRICH, W.: Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v.Chr. (BE 3), Stuttgart, Berlin, Köln 1997. KNAUF / NIEMANN, Geschichte Israels und Judas im Altertum 112-178. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Jerusalem zur Zeit Davids und Salomos Die biblische Beschreibung von Königtum und Hauptstadt entspricht nicht den archäologischen Erkenntnissen, wobei natürlich zu beachten ist, dass neue Der ausschlaggebende Grund für die literarische Befunde diese Situation durchaus verändern könnten. Dies kann man anhand eines Stadtmodells aus dem Zitadelle Museum in Jerusalem verdeutlichen: Übersteigerung der davidisch-salomonischen Herrschaft war Besiedelt und bebaut war neben dem Tempelberg mit Palast und Heiligtum lediglich der Südosthügel unterhalb der späteren Altstadtmauern. Nach wohl der Verlust von Palast und Tempel im Jahr 587 v.Chr. aktuellem Kenntnisstand war Jerusalem mit seinen 4 ha Ausdehnung und ca. 1000 Einwohner nicht unbedingt das, was man für die Hauptstadt eines davidischen Großreichs erwarten würde. Auch die Pracht der Herrschaft GERTZ, J.C.: Konstruierte Erinnerung. Alttestamentliche Historiographie im Spiegel von Archäologie und © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 literarhistorischer Kritik am Fallbeispiel des salomonischen Königtums, in: BThZ 21 (1/2004), 3-29. Salomos existiert bislang nur in der Textwelt des Alten Testaments.
Der Salomonische Tempel Der unter Salomo erbaute Tempel dürfte über eher bescheidene Dimensionen verfügt haben. Von seinem jebusitischen Vorgängerbau, der wohl an derselben Stelle gestanden hat, übernahm der Tempel seine solare Ausrichtung. Die Abbildung rechts zeigt eine wissen- schaftliche Rekonstruktion (im Bibelhaus Erlebnis Museum Frankfurt) der Architek- turteile und Einrichtungsgegenstände an- hand der Erwähnungen in den biblischen Texten. KÜCHLER, M.: Reale, literarische und ikonographische Tempel der Juden, Römer und ZWICKEL, W.: Der salomonische Tempel, Mainz 1999. Christen in Jerusalem als Monumente behaupteter, verlorener und neu zu schaffender Identität, in: BÖHM, M. (Hrg.): Kultort und Identität. Prozesse jüdischer und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike (BThSt 155), Göttingen © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 2016, 129-165.
Israel und Juda Nach dem Tod Salomos im Jahr 926 v.Chr. zerbricht die staatliche Einheit (1Kön 12). Es entstehen ein mittelgroßer Flächenstaat Israel im Norden und ein kleiner Stadtstaat Juda (Jerusalem mit Umland) im Süden. • Israel mit seiner Hauptstadt Samaria entwickelt sich zu einer politisch erfolgreichen Regionalmacht. JHWH ist zwar der Hauptgott des Staates, es werden aber auch andere Gottheiten verehrt bzw. geduldet. An den Grenzen des Staates (Bethel und Dan) werden JHWH-Heiligtümer errichtet. Nach 1Kön 12,28 lässt König Jerobeam für die Heiligtümer in Bethel und Dan • Juda wird zu einem unbedeutenden Kleinstaat. Seine Bedeutung liegt kleine Stierstatuen als Kultbilder anfertigen. Ein bronzenes Exemplar aus der Eisenzeit wurde auf dem nur darin, dass es über das ehemals gemeinsame Staatsheiligtum Gebiet des damaligen Nordreichs gefunden (sog. „Bull-Site“). verfügt. Jerusalem wird erstmals zur Heiligen Stadt – unabhängig von Darauf bezieht sich die berühmte Geschichte vom Goldenen Kalb in Ex seiner fehlenden politischen Bedeutung. 32, womit die Kultpraxis des Nordreichs als illegitim kritisiert wird. • Zwei Staaten, die phasenweise sogar Krieg gegeneinander führen, verehren denselben Staatsgott, streiten aber über die Legitimität der KNAUF / NIEMANN, Geschichte Israels und Judas im Altertum 178-257. SCHOORS, A.: Die Königreiche Israel und Juda im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. Kultstätten. Die assyrische Krise (BE 5), Stuttgart, Berlin, Köln 1998. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Karte: Israel: Altes Testament, © Bibelwerk Linz, aus dem Materialpool des Katholischen Bibelwerks) 722 v.Chr. Die politische Großwetterlage ändert sich: Das Assyrische Großreich expandiert in Richtung Mittelmeer und beherrscht schließlich den gesamten Vorderen Orient. • Seit 730 v.Chr. hat das Nordreich Israel unter Gebietsverlusten zu leiden. 722 v.Chr. endet nach der Zerstörung der Hauptstadt Samaria das Nordreich Israel. Der größte Teil der Bevölkerung wird vertrieben oder deportiert. Andere Völker werden im ehemaligen Nordreich angesiedelt. • Das Südreich Juda wird ein assyrischer Vasallenstaat. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Nach der Eroberung Samarias und dem Untergang des Nordreiches kam es zu starken Fluchtbewegungen in Richtung Süden. Spätestens seit den Erfahrungen von 722 v.Chr. gehört die Themen Flucht und Vertreibung zur kollektiven Identität Israels Im berühmten Lachisch-Relief (heute im British Museum in London, hier als Nachbildung im Israel Museum in Jerusalem) wird die Abfolge von Belagerung, Eroberung und Vertreibung dargestellt. Diese Darstellung bezieht sich auf die Eroberung der judäischen Stadt Lachisch durch den Assyrekönig Sanherib im Jahr 701 v.Chr. KEEL, Jerusalem und der eine Gott 73-76. SCHIPPER, Geschichte Israels in der Antike 48-54. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 Jerusalem nach 722 v.Chr.
Der Untergang des Nordreiches hat erhebliche Auswirkungen auf die Identität der Bevölkerung des Südreichs: Jerusalem nach 722 v.Chr. • Jerusalems Bevölkerungszahl erweitert sich • In Jerusalem entsteht eine Geschichtsschreibung, die erheblich durch den Zuzug der Flüchtlinge im das Geschick des jetzt unter krisenhaften Bedingungen Norden und erhält dadurch einen stärkeren wiedervereinten Volkes deutet. urbanen Charakter. Der Heilige Stadt gewinnt auch als politisches Zentrum Judas an • Der illegitime Gottesdienst und die Verehrung fremder Bedeutung. Gottheiten werden als Ursache für die Krise verstanden. • Überlieferungen, die bislang im Nordreich gepflegt • Der Verlust des Nordreichs führt zur Aufwertung des Jerusalemer Tempels als gesamtisraeli- wurden (Jakob, Mose und Exodus), werden jetzt mit tischem Heiligtum. denen des Südreichs verbunden, und somit wird auch • Der Name Israel ist nun nicht mehr mit einem auf dieser Ebene die Abgrenzung überwunden. Staat verbunden, sondern geht auf das gesamte Volk über. TILLY / ZWICKEL, Religionsgeschichte Israels 101-104. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
König Hiskia (725-696 v.Chr.) lässt die Stadt in Richtung Südwesten Mit dem Namen Hiskia verbindet die erweitern, um Wohnraum für die vielen Flüchtlinge aus dem Nordreich zu schaffen. Noch heute sichtbar sind Reste einer eisenzeitlichen Bibel auch eine Kult-Reform. Allein der Stadtmauer im Jüdischen Viertel der Altstadt. Jerusalem wurde durch JHWH-Kult ist legitim. Heiligtümer massive Mauern befestigt. Die Wasserversorgung lässt Hiskia durch anderer Gottheiten werden aus Juda ein unterirdisches Tunnelsystem sichern. Der über 500 m lange Hiskia- entfernt. Tunnel ist bis heute begehbar. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 Hiskia
Die Gefahr durch das expandierende Assyrische Großreich besteht weiterhin, sowie die Notwendigkeit sich theologisch damit auseinanderzusetzen. In Jerusalem entstehen während dieser Zeit religiöse Vorstellungen und Positionen, die erhebliche Auswirkungen auf die Politik der nächsten Jahrhunderte und die Krise nach dem Scheitern dieser Politik haben werden. • Das biblische Gottesbild erhält zu dieser Zeit zunehmend imperiale Züge: Gott ist der eigentliche Großkönig und nicht der Herrscher von Assur. Die Loyalitätsansprüche des assyrischen Großkönigs werden auf JHWH übertragen und prägen das Verhältnis des Volkes zu seinem Gott (Bund). • Entsprechend ist der Tempel als irdischer Wohnort Gottes dessen Machtzentrum. Die Anwesenheit Gottes in seinem Heiligtum wird als Macht und Stärke verstanden, die vor der fremden Großmacht schützt (Ps 46; 48). Mit JHWH in seinem Tempel ist Jerusalem unbesiegbar. Diese religiös begründete politische Ideologie wird bestärkt durch die scheinbar erfolglose Belagerung Jerusalems durch Sanherib im Jahr 701 v.Chr. (2Kön 18,13-19,37). • Das Recht wird zum Gottesrecht. Wenn JHWH als König verstanden wird, ist es naheliegend, dass auch die Hauptaufgabe des Könige, Recht zu sprechen, auf ihn übertragen wird. Die bereits bestehenden Rechtstexte werden durch eine entsprechende theologische Rahmung ergänzt. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 Zionstheologie
Josia Unter König Josia (639-608 v.Chr.) kommt es zu weiteren Reformmaß- nahmen, die neben ihrer religiösen Bedeutung auch eine erkennbar anti- assyrische Tendenz aufweisen. • Nach 2Kön 22 wird im Tempel wird ein Gesetzbuch gefunden. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um das Deuteronomium (Dtn) oder einen frühen Form dieses Buches. Das Buch wird zur Programmschrift der religiösen Reform des Königs Josia. • Es kommt zur Entfernung fremder Tempel in Juda und sämtlicher bildhafter Darstellungen im Jerusalemer Tempel. • Die Reformmaßnahmen werden als Erneuerung des Bundes verstanden. • Der Tod Josias in einer Schlacht gegen den Pharao Necho (608 v.Chr.) führt zum Ende der Reform. Josia nutzt die Gunst der Stunde während einer Schwächeperiode des Assyrerreiches, um seine Herrschaft mithilfe kultpolitischer Maßnahmen zu stabilisieren und eine gewisse Tafeln der Gebote, Knesset Menorah in Jerusalem Autonomie gegenüber Assur zu erlangen. Er reagiert wohl auch auf Anpassungstendenzen im KEEL, Jerusalem und der eine Gott 78-83. eigenen Volk gegenüber der assyrischen Kultur (Astralgottheiten, Idolarisierung). KNAUF / NIEMANN, Geschichte Israels und Judas im Altertum 283-287. Erstmals wird eine Heilige Schrift mit normativem Geltungsanspruch ins Zentrum der biblischen Religiosität gestellt. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Jeremia Die Machtpolitik der Könige Judas, die zwischen Erhebung und Unterwerfung hin und her pendelt, wird von den Propheten scharf kritisiert. • Der Prophet Jeremia, der seit der Herrschaftszeit von Josia bis zur Zerstörung des Tempels wirkt (627-587 v.Chr.), kritisiert die Politik des Königs und die Untreue des Volkes. • In seiner Tempelrede (Jer 7,1-15) wendet er sich gegen die herrschende Ideologie, wonach die Anwesenheit JHWHs im Tempel die Sicherheit Jerusalems und die Heilssicherheit des Volkes garantieren. Demgegenüber macht er die Treue zu Gott durch das gerechte Verhalten untereinander zur Voraussetzung der Anwesenheit JHWHs macht. • Er warnt dadurch vor der Zerstörung des Tempels als Strafe Gottes. Skulptur im Ulmer Münster © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Eroberung Jerusalems 597 v.Chr. Die politische Großwetterlage ändert sich erneut: Nach der Zerstörung der assyrischen Hauptstädte Assur (614 v.Chr.) und Ninive (612 v.Chr.) treten die Neubabylonier das Erbe des Assyrischen Reiches an. In der Schlacht von Karkemisch (605 Nach biblischer Darstellung werden die v.Chr.) wird der ägyptische Pharao Necho, der seit 608 über Angehörigen der Jerusalemer Oberschicht die Region herrscht, geschlagen. Juda wird zu einem neubaby- zusammen mit der Königsfamilie als lonischen Vasallenstaat. Die Aufkündigung des Vasallen- Gefangene nach Babylon verschleppt und als verhältnis durch den judäischen König Jojakim führt zur Bela- geschlossene Gruppe dort angesiedelt (im gerung und schließlich zur Eroberung Jerusalems im Jahre Unterschied zu 722 v.Chr.). Zurück bleibt die 597 v.Chr. durch den babylonischen König Nebukadnezar II. einfache Bevölkerung. Fremde Völker werden Es kommt zur Deportation des erst seit drei Monaten nicht in Juda angesiedelt. regierenden Königs Jojachin und der Jerusalemer Oberschicht. Der Prophet Ezechiel deutet die Eroberung Darunter befindet sich der Prophet Ezechiel. und Verschleppung als Strafe Gottes. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
587 v.Chr. Nach zehn Jahren kündigt der judäische König Zedekia erneut das Vasallenverhältnis auf – unter völliger Fehleinschätzung der politischen Lage und unter massivem Protest der Propheten Jeremia. 587 v.Chr. wird Jerusalem durch die Truppen von Nebukadnezar II. erobert und nahezu vollständig zerstört. Die Zerstörung betrifft auch den Jerusalemer Tempel. Mit der Zerstörung Jerusalems beginnt die Zeit des Babylonischen Exils. Das Exil gilt als wichtigste Zäsur in der Geschichte Israels mit erheblichen Auswirkungen auf die biblische Religiosität und die Entstehung der Texte des Alten Testaments. • Direkte Folgen sind das Ende von Königtum (Palast) und Kult (Tempel und Priester) • Die Religion ist nicht mehr an den Staat gebunden. Die Praxis der Religion verlagert sich vom Tempel in die Familie. • Die Geschichte des Gottesvolkes ereignet sich nicht mehr nur in Juda, sondern auch außerhalb des Landes. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Ezechiel In der Aufnahme der prophetischen Kritik Jeremias (Jer 7,1-15) deutet Ezechiel das Exil als Strafe Gottes für das falsche Verhalten seines Volkes. • Mangelnde Mitmenschlichkeit und machtpolitischer Mißbrauch der Religion sind die Gründe für die Bestrafung. Für Ezechiel hat sich Gott eines heidnischen Herrschers bedient, um sein Volk zu bestrafen – zuerst durch die erste Verschleppung 597 v.Chr., dann durch die Zerstörung des Tempels 587 v.Chr. • Mit der letzten Maßnahme ist die Bestrafung abgeschlossen, somit besteht Hoffnung auf Rückkehr. Ezechiel verwirft das verbreitete Konzept der Sippenhaft. Nur diejenigen, die tatsächlich verantwortlich sind, betrifft die Strafe, nicht deren Nachkommen. Dies begrenzt die Dauer des Exils. • JHWH ist durch die Zerstörung des Tempels nicht besiegt worden. Er seinen Skulptur im Ulmer Münster iridischen Wohnort vorher verlassen und ist mit seinem Volk ins Exil gegangen. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Zerstörung und Kontinuität Die Situation in Jerusalem ist geprägt durch Zerstörung aber auch durch Kontinuität. Das Bild links zeigt die Ruinen eines zerstörten Hause in der Davidstadt. Rechts sieht man ein Grab der Anlage in Ketef Hinnom. Dieser Friedhof der Jerusalemer Oberschicht wird während der gesamten Exilszeit kontinuierlich weiterbenutzt. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Der direkte Kontakt mit der mesopotamischen Hochkultur in Babylon hat Auswirkungen auf das religiöse Babylon Selbstverständnis der Exilsgemeinschaft und die Art, wie sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt. • Es entsteht eine Universalgeschichte des Gottes- volkes, die mit der Erschaffung der Welt beginnt und Praktiziert wird Integration durch Abgrenzung. ihren Höhepunkt mit der Gabe der Tora auf dem • Da Gottesdienst im fremden Land nicht möglich ist, verlagert Sinai findet. sich die religiöse Praxis in den Bereich der Familie. Es entstehen in diesem Zusammenhang sowohl der Sabbat als • Schöpfungserzählung (Gen 1,1-2,4a) und Fluterzäh- wöchentlicher Ruhetag sowie der jüdische Festkalender. lung nehmen babylonische Vorlagen auf und verar- beiten sie im Sinne der eigenen Theologie. • Aspekte der privaten Frömmigkeit werden besonders betont, die sich von der Lebenspraxis der babylonischen • Die Mose-Exodus-Überlieferung kann als Hoffnungs- Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und dadurch eine geschichte auf die Exilssituation hin gelesen werden: integrierende Funktion haben: Speisegebote, Feste, Gott befreit sein Volk aus der Gefangenschaft. Beschneidung. Es entstehen die religiösen Normen des • Deutlich erkennbar sind priesterliche Interessen späteren Judentums (Zeitmessung, Kultvorschriften, Sabbat, Feste, Be- schneidung) © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 http://www.noasarai.com/BLMJ/babylon/ Ischtar-Tor, Pergamon Museum in Berlin
Ps 137 Es gibt auch eine andere Perspektive auf die vergangenen Ereignisse: Die Beter von Ps 137, offensichtlich Musiker am Jerusalemer Tempel, die ihre berufliche Tätigkeit eingebüßt haben, sehen das Exil nicht als Strafe, sondern fordern von Gott Rache für die erlittene militärische Niederlage. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 Wandbild aus der Hurva Synagoge in Jerusalem
Auch in Jerusalem verarbeitete man den Verlust von Staat und Tempel. • Das Deuteronomium wurde zum Maßstab einer beurteilenden Geschichtsschreibung. Im Zentrum stehen der Alleinverehrungsanspruch JHWHs, die Zentralisation des Kultes in Jerusalem, das Bilderverbot und die Kritik der Könige am Maßstab der Tora. • Eingearbeitet wird auch die Kritik der Propheten (v.a. Jeremia) • Mit dem Deuteronomium (als rückblickende Rede des Mose) beginnt eine geschichtliche Darstellung (sog. deuteronomistisches Geschichtswerk), die mit dem Beginn des Exils endet (Dtn-2Kön). Grabanlagen in Ketef Hinnom, Jerusalem © Dr. Markus Sasse, RFB 2021 Deuteronomistisches Geschichtswerk
Deuterojesaja Eine erneute Veränderung im Machtgefüge des Zweistromlandes bewirkt Hoffnung auf ein Ende des Exils und auf eine baldige Rückkehr. 538 v.Chr. erobert der Perserkönig Kyros II. Babylon. Damit beginnt das Persische Weltreich, das erst mit dem Sieg Alexanders des Großen über Dareios III. und dessen Tod (330 v.Chr.) sein Ende Nachbildung des sog. Kyros-Zylinders im Jerusalem Museum fand. Der Prophet Deuterojesaja (ein unbekannter Prophet in Babylon, dessen Texte Eingang in das Jesajabuch Kapitel 40-55 fanden), sieht im Auftreten Kyros II. ein Zeichen der Hoffnung für eine baldige Rückkehr nach Jerusalem (Jes 40,1f).. • JHWH ist der einzige Gott (Jes 44,6) • Erstmalig wird hier ein exklusiver Monotheismus formuliert und mit der Schöpfungsvorstellung (Jes 42,5-7) verbunden, um das Eingreifen Gottes in die Geschichte zur Rettung seines Volkes zu begründen. (Jes 54,5-8) • Kyros ist JHWHs Gesalbter (Messias; vgl. Jes 45,1) © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Ertrag Die Rede von Gott als Schöpfer der Welt ist als Antwort auf die krisenhaften Entwicklungen in der Geschichte Israels entstanden. JHWH verändert sich vom Volks- bzw. Stadtgott zum Universalgott. • Gott hat sein Volk bestraft (Jer, Ez), indem er sich eines fremden Herrschers bedient (DtJes). • Wenn Gott auf diese Art in die Geschichte eingreifen kann, dann kann er nicht selbst ein Teil der Geschichte sein (Geschichtsmächtigkeit, Universalgott). • Wenn Gott geschichtsmächtig sein soll, dann ist es naheliegend, ihn als Ursache der Geschichte – also als Schöpfer – zu verstehen (DtJes). • Wenn Gott auf diese Weise der Welt als Ursache gegenübersteht, dann kann es keine weiteren konkurrierenden Gottheiten (Monotheismus) neben ihm geben (DtJes). Die Schöpfungsvorstellung ist keine wissenschaftliche Theorie über die Entstehung der Welt, sondern ein Aspekt der Gotteslehre. © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
DIETRICH, W. (Hrg.): Die Welt der Hebräischen Bibel. Umfeld – Inhalte – Grundthemen Stuttgart 2017. KEEL, O.: Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus [2Bde] (OLB IV,2) Göttingen 2007. KEEL, O.: Jerusalem und der eine Gott. Eine Religionsgeschichte, Göttingen 22014. KNAUF, E.A. / NIEMANN, H.M.: Geschichte Israels und Judas im Altertum, Berlin, Boston 2021. KRATZ, R.G.: Historisches und biblisches Israel. Drei Überblicke zum Alten Testament, Tübingen 2013. OSWALD, W. / TILLY, M.: Geschichte Israels, Darmstadt 2016. SASSE, M.: Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels. Historische Ereignisse, Archäologie, Sozialgeschichte, Religions- und Geistesgeschichte, Neukirchen-Vluyn 2004 / 22009. SASSE, M.: Stellte die Zerstörung Jerusalems für das antike Judentum eine tiefgreifende Krise dar?, in: ZNT 45 (2020), 79-88. SCHIPPER, B.U.: Geschichte Israels in der Antike, München 2018 SCHMID, K. / SCHRÖTER, J.: Die Entstehung der Bibel. Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften, München 2019. TILLY, M. / ZWICKEL W.: Religionsgeschichte Israels. Von der Vorzeit bis zu den Anfängen des Christentums, Darmstadt 2011. VIEWEGER, D.: Archäologie der biblischen Welt, Gütersloh 2012. VIEWEGER, D.: Geschichte der biblischen Welt. Die südliche Levante vom Beginn der Besiedelung bis zur römischen Zeit (3 Bde), Gütersloh 2019. Religionsgeschichte Israels © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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