Religionsgeschichte Israels - Die Bibel ist - Bildungsnetz

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Religionsgeschichte Israels

                               Die Bibel ist in weiten Teilen Krisenliteratur.
                               Biblische Autoren reagieren auf politische,
                               gesellschaftliche und religiöse Krisen und
                               versuchen diese zu deuten und zu bewältigen.

© Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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Die Zerstörung Jerusalems 587 v.Chr., die das anschließende Exil in                      Jeremia beklagt die Zerstörung Jerusalems, Knesset Menorah in Jerusalem

Babylon zur Folge hatte, ist das zentrale historische Ereignis für die
Entwicklung der alttestamentlichen Religiosität und der Entstehung der
Bibel.
                                • Wichtige    religiöse      Normen         für    die
                                  späteren Religionen des Juden-tums,
                                  Christentums und Islams erhalten in
                                  diesem      historischen        Kontext         ihre
                                  Identität stiftende Bedeutung.

                                • Die biblische Darstellung der Geschichte
                                  Israels ist durch diese Perspektive auf
                                  die Vergangenheit geprägt. In diesen
                                  Texten     geht   es      um       die     religiös
                                  begründete Identität des Judentums.

                                • Wichtige Voraussetzung für die politische
                                  Situation ist die geostrategische Lage als
                                  Landbrücke zwischen den Machtzentren
                                  in Ägypten und Mesopotamien.
                                                          © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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David und Salomo

 Am Anfang der Geschichte Israels steht das vereinigte Königreich
 Israel und Juda aus den 12 Stämmen Israels mit seinen Königen
 Saul, David und Salomo in der Hauptstadt Jerusalem. Dieses
 Königreich entsteht innerhalb eines Machtvakuums, währenddessen
 sich auch weitere Staaten in der Region etablieren. Die Großreiche in
 Syrien und Mesopotamien sowie Ägypten üben kaum Einfluss zu
 dieser Zeit aus.

 • Dass es eine Daviddynastie gegeben hat, ist archäologisch durch        Tell-Dan-Inschrift im Israel Museum, Jerusalem

      die Erwähnung auf einer auf Tell Dan gefundenen Inschrift („Haus
      Davids“) belegt.

 • Staatliche Einrichtungen (Tempel, Paläste, öffentliche Gebäude,
      Festungen) sind bislang archäologisch nicht nachgewiesen.
                                                                         DIETRICH, W.: Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v.Chr. (BE 3),
                                                                           Stuttgart, Berlin, Köln 1997.

                                                                         KNAUF / NIEMANN, Geschichte Israels und Judas im Altertum 112-178.
                                         © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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Jerusalem zur Zeit Davids und Salomos

 Die biblische Beschreibung von Königtum und Hauptstadt entspricht nicht den
 archäologischen Erkenntnissen, wobei natürlich zu beachten ist, dass neue      Der ausschlaggebende Grund für die literarische
 Befunde diese Situation durchaus verändern könnten. Dies kann man anhand
 eines Stadtmodells aus dem Zitadelle Museum in Jerusalem verdeutlichen:        Übersteigerung der davidisch-salomonischen Herrschaft war
 Besiedelt und bebaut war neben dem Tempelberg mit Palast und Heiligtum
 lediglich der Südosthügel unterhalb der späteren Altstadtmauern. Nach          wohl der Verlust von Palast und Tempel im Jahr 587 v.Chr.
 aktuellem Kenntnisstand war Jerusalem mit seinen 4 ha Ausdehnung und ca.
 1000 Einwohner nicht unbedingt das, was man für die Hauptstadt eines
 davidischen Großreichs erwarten würde. Auch die Pracht der Herrschaft                 GERTZ, J.C.: Konstruierte Erinnerung. Alttestamentliche Historiographie im Spiegel von Archäologie und
                                                                        © Dr. Markus Sasse,  RFB 2021
                                                                                         literarhistorischer Kritik am Fallbeispiel des salomonischen Königtums, in: BThZ 21 (1/2004), 3-29.
 Salomos existiert bislang nur in der Textwelt des Alten Testaments.
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Der Salomonische Tempel

Der unter Salomo erbaute Tempel dürfte
über eher bescheidene Dimensionen
verfügt haben. Von seinem jebusitischen
Vorgängerbau, der wohl an derselben
Stelle gestanden hat, übernahm der
Tempel seine solare Ausrichtung.

Die Abbildung rechts zeigt eine wissen-
schaftliche Rekonstruktion (im Bibelhaus
Erlebnis Museum Frankfurt) der Architek-
turteile und Einrichtungsgegenstände an-
hand der Erwähnungen in den biblischen
Texten.

                                           KÜCHLER, M.: Reale, literarische und ikonographische Tempel der Juden, Römer und         ZWICKEL, W.: Der salomonische Tempel, Mainz 1999.
                                            Christen in Jerusalem als Monumente behaupteter, verlorener und neu zu
                                            schaffender Identität, in: BÖHM, M. (Hrg.): Kultort und Identität. Prozesse jüdischer
                                            und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike (BThSt 155), Göttingen
                                                      © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
                                            2016, 129-165.
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Israel und Juda

 Nach dem Tod Salomos im Jahr 926 v.Chr. zerbricht die staatliche Einheit
 (1Kön 12). Es entstehen ein mittelgroßer Flächenstaat Israel im Norden
 und ein kleiner Stadtstaat Juda (Jerusalem mit Umland) im Süden.
 • Israel mit seiner Hauptstadt Samaria entwickelt sich zu einer politisch
      erfolgreichen Regionalmacht. JHWH ist zwar der Hauptgott des
      Staates, es werden aber auch andere Gottheiten verehrt bzw.
      geduldet. An den Grenzen des Staates (Bethel und Dan) werden
      JHWH-Heiligtümer errichtet.                                                                                      Nach 1Kön 12,28 lässt König Jerobeam
                                                                                                                       für die Heiligtümer in Bethel und Dan
 • Juda wird zu einem unbedeutenden Kleinstaat. Seine Bedeutung liegt                                                  kleine Stierstatuen als Kultbilder
                                                                                                                       anfertigen. Ein bronzenes Exemplar
                                                                                                                       aus der Eisenzeit wurde auf dem
      nur darin, dass es über das ehemals gemeinsame Staatsheiligtum                                                   Gebiet des damaligen Nordreichs
                                                                                                                       gefunden (sog. „Bull-Site“).
      verfügt. Jerusalem wird erstmals zur Heiligen Stadt – unabhängig von
                                                                                                                       Darauf bezieht sich die berühmte
                                                                                                                       Geschichte vom Goldenen Kalb in Ex
      seiner fehlenden politischen Bedeutung.                                                                          32, womit die Kultpraxis des Nordreichs
                                                                                                                       als illegitim kritisiert wird.
 • Zwei Staaten, die phasenweise sogar Krieg gegeneinander führen,
      verehren denselben Staatsgott, streiten aber über die Legitimität der      KNAUF / NIEMANN, Geschichte Israels und Judas im Altertum 178-257.
                                                                                 SCHOORS, A.: Die Königreiche Israel und Juda im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr.
      Kultstätten.                                                                Die assyrische Krise (BE 5), Stuttgart, Berlin, Köln 1998.
                                                  © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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Karte: Israel: Altes Testament, © Bibelwerk Linz, aus dem Materialpool des Katholischen Bibelwerks)
722 v.Chr.

    Die politische Großwetterlage ändert sich: Das Assyrische Großreich
    expandiert in Richtung Mittelmeer und beherrscht schließlich den
    gesamten Vorderen Orient.
    • Seit 730 v.Chr. hat das Nordreich Israel unter Gebietsverlusten zu
         leiden. 722 v.Chr. endet nach der Zerstörung der Hauptstadt Samaria
         das Nordreich Israel. Der größte Teil der Bevölkerung wird vertrieben
         oder deportiert. Andere Völker werden im ehemaligen Nordreich
         angesiedelt.
    • Das Südreich Juda wird ein assyrischer Vasallenstaat.

                                                                        © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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Nach der Eroberung Samarias und
                                                           dem Untergang des Nordreiches kam
                                                           es zu starken Fluchtbewegungen in
                                                           Richtung Süden.
                                                           Spätestens seit den Erfahrungen von
                                                           722 v.Chr. gehört die Themen Flucht
                                                           und     Vertreibung                 zur         kollektiven
                                                           Identität Israels

                                                           Im berühmten Lachisch-Relief       (heute im British
                                                           Museum in London, hier als Nachbildung im Israel
                                                           Museum in Jerusalem) wird die Abfolge von
                                                           Belagerung, Eroberung und Vertreibung dargestellt.
                                                           Diese Darstellung bezieht sich auf die Eroberung der
                                                           judäischen Stadt Lachisch durch den Assyrekönig
                                                           Sanherib im Jahr 701 v.Chr.

                                                                   KEEL, Jerusalem und der eine Gott 73-76.
                                                                   SCHIPPER, Geschichte Israels in der Antike 48-54.

                            © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Jerusalem nach 722 v.Chr.
Der Untergang des Nordreiches hat erhebliche
Auswirkungen auf die Identität der Bevölkerung des
Südreichs:
                                                                                                                        Jerusalem nach 722 v.Chr.

• Jerusalems       Bevölkerungszahl    erweitert   sich        • In Jerusalem entsteht eine Geschichtsschreibung, die
   erheblich durch den Zuzug der Flüchtlinge im
                                                                    das Geschick des jetzt unter krisenhaften Bedingungen
   Norden und erhält dadurch einen stärkeren
                                                                    wiedervereinten Volkes deutet.
   urbanen Charakter. Der Heilige Stadt gewinnt
   auch      als   politisches   Zentrum   Judas    an         • Der illegitime Gottesdienst und die Verehrung fremder

   Bedeutung.                                                       Gottheiten werden als Ursache für die Krise verstanden.
                                                               • Überlieferungen, die bislang im Nordreich gepflegt
• Der Verlust des Nordreichs führt zur Aufwertung
   des Jerusalemer Tempels als gesamtisraeli-                       wurden (Jakob, Mose und Exodus), werden jetzt mit
   tischem Heiligtum.                                               denen des Südreichs verbunden, und somit wird auch

• Der Name Israel ist nun nicht mehr mit einem                      auf dieser Ebene die Abgrenzung überwunden.
   Staat verbunden, sondern geht auf das gesamte
   Volk über.                                                   TILLY / ZWICKEL, Religionsgeschichte Israels 101-104.

                                                    © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
König Hiskia (725-696 v.Chr.) lässt die Stadt in Richtung Südwesten
                                                                        Mit dem Namen Hiskia verbindet die
erweitern, um Wohnraum für die vielen Flüchtlinge aus dem Nordreich
zu schaffen. Noch heute sichtbar sind Reste einer eisenzeitlichen       Bibel auch eine Kult-Reform. Allein der
Stadtmauer im Jüdischen Viertel der Altstadt. Jerusalem wurde durch     JHWH-Kult    ist   legitim.   Heiligtümer
massive Mauern befestigt. Die Wasserversorgung lässt Hiskia durch       anderer Gottheiten werden aus Juda
ein unterirdisches Tunnelsystem sichern. Der über 500 m lange Hiskia-   entfernt.
Tunnel ist bis heute begehbar.
                                 © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
  Hiskia
Die Gefahr durch das expandierende Assyrische Großreich besteht weiterhin, sowie die Notwendigkeit sich
theologisch damit auseinanderzusetzen. In Jerusalem entstehen während dieser Zeit religiöse Vorstellungen
und Positionen, die erhebliche Auswirkungen auf die Politik der nächsten Jahrhunderte und die Krise nach
dem Scheitern dieser Politik haben werden.

• Das biblische Gottesbild erhält zu dieser Zeit zunehmend imperiale Züge: Gott ist der eigentliche Großkönig und nicht
  der Herrscher von Assur. Die Loyalitätsansprüche des assyrischen Großkönigs werden auf JHWH übertragen und
  prägen das Verhältnis des Volkes zu seinem Gott (Bund).

• Entsprechend ist der Tempel als irdischer Wohnort Gottes dessen Machtzentrum. Die Anwesenheit Gottes in seinem
  Heiligtum wird als Macht und Stärke verstanden, die vor der fremden Großmacht schützt (Ps 46; 48). Mit JHWH in
  seinem Tempel ist Jerusalem unbesiegbar. Diese religiös begründete politische Ideologie wird bestärkt durch die
  scheinbar erfolglose Belagerung Jerusalems durch Sanherib im Jahr 701 v.Chr. (2Kön 18,13-19,37).

• Das Recht wird zum Gottesrecht. Wenn JHWH als König verstanden wird, ist es naheliegend, dass auch die
  Hauptaufgabe des Könige, Recht zu sprechen, auf ihn übertragen wird. Die bereits bestehenden Rechtstexte werden
  durch eine entsprechende theologische Rahmung ergänzt.

                                                © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
                                                                                                               Zionstheologie
Josia
Unter König Josia (639-608 v.Chr.) kommt es zu weiteren Reformmaß-
nahmen, die neben ihrer religiösen Bedeutung auch eine erkennbar anti-
assyrische Tendenz aufweisen.
•   Nach 2Kön 22 wird im Tempel wird ein Gesetzbuch gefunden. Dabei handelt es sich
    wahrscheinlich um das Deuteronomium (Dtn) oder einen frühen Form dieses
    Buches. Das Buch wird zur Programmschrift der religiösen Reform des Königs Josia.
•   Es kommt zur Entfernung fremder Tempel in Juda und sämtlicher bildhafter
    Darstellungen im Jerusalemer Tempel.
•   Die Reformmaßnahmen werden als Erneuerung des Bundes verstanden.
•   Der Tod Josias in einer Schlacht gegen den Pharao Necho (608 v.Chr.) führt zum
    Ende der Reform.

Josia nutzt die Gunst der Stunde während einer Schwächeperiode des Assyrerreiches, um
seine Herrschaft mithilfe kultpolitischer Maßnahmen zu stabilisieren und eine gewisse
                                                                                                     Tafeln der Gebote, Knesset Menorah in Jerusalem
Autonomie gegenüber Assur zu erlangen. Er reagiert wohl auch auf Anpassungstendenzen im
                                                                                          KEEL, Jerusalem und der eine Gott 78-83.
eigenen Volk gegenüber der assyrischen Kultur (Astralgottheiten, Idolarisierung).
                                                                                          KNAUF / NIEMANN, Geschichte Israels und
                                                                                           Judas im Altertum 283-287.
Erstmals wird eine Heilige Schrift mit normativem Geltungsanspruch ins Zentrum der
biblischen Religiosität gestellt.
                                                          © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Jeremia

Die Machtpolitik der Könige Judas, die zwischen Erhebung und Unterwerfung
hin und her pendelt, wird von den Propheten scharf kritisiert.
• Der Prophet Jeremia, der seit der Herrschaftszeit von Josia bis zur
  Zerstörung des Tempels wirkt (627-587 v.Chr.), kritisiert die Politik des
  Königs und die Untreue des Volkes.
• In seiner Tempelrede (Jer 7,1-15) wendet er sich gegen die herrschende
  Ideologie, wonach die Anwesenheit JHWHs im Tempel die Sicherheit
  Jerusalems und die Heilssicherheit des Volkes garantieren. Demgegenüber
  macht er die Treue zu Gott durch das gerechte Verhalten untereinander zur
  Voraussetzung der Anwesenheit JHWHs macht.
• Er warnt dadurch vor der Zerstörung des Tempels als Strafe Gottes.
                                                                              Skulptur im Ulmer Münster

                                            © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Eroberung Jerusalems 597 v.Chr.

                                                       Die politische Großwetterlage ändert sich erneut: Nach der
                                                       Zerstörung der assyrischen Hauptstädte Assur (614 v.Chr.) und
                                                       Ninive (612 v.Chr.) treten die Neubabylonier das Erbe des
                                                       Assyrischen Reiches an. In der Schlacht von Karkemisch (605

Nach    biblischer   Darstellung   werden    die       v.Chr.) wird der ägyptische Pharao Necho, der seit 608 über

Angehörigen der Jerusalemer Oberschicht                die Region herrscht, geschlagen. Juda wird zu einem neubaby-

zusammen      mit    der     Königsfamilie   als       lonischen Vasallenstaat. Die Aufkündigung des Vasallen-

Gefangene nach Babylon verschleppt und als             verhältnis durch den judäischen König Jojakim führt zur Bela-

geschlossene Gruppe dort angesiedelt (im               gerung und schließlich zur Eroberung Jerusalems im Jahre

Unterschied zu 722 v.Chr.). Zurück bleibt die          597 v.Chr. durch den babylonischen König Nebukadnezar II.

einfache Bevölkerung. Fremde Völker werden             Es kommt zur Deportation des erst seit drei Monaten
nicht in Juda angesiedelt.                             regierenden Königs Jojachin und der Jerusalemer Oberschicht.
Der Prophet Ezechiel deutet die Eroberung              Darunter befindet sich der Prophet Ezechiel.
und Verschleppung als Strafe Gottes.
                                               © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
587 v.Chr.

         Nach zehn Jahren kündigt der judäische König Zedekia erneut das Vasallenverhältnis auf – unter
         völliger Fehleinschätzung der politischen Lage und unter massivem Protest der Propheten
         Jeremia.
         587 v.Chr. wird Jerusalem durch die Truppen von Nebukadnezar II. erobert und nahezu vollständig
         zerstört. Die Zerstörung betrifft auch den Jerusalemer Tempel.

Mit der Zerstörung Jerusalems beginnt die Zeit des Babylonischen Exils. Das Exil gilt als wichtigste Zäsur in
der Geschichte Israels mit erheblichen Auswirkungen auf die biblische Religiosität und die Entstehung der Texte
des Alten Testaments.

• Direkte Folgen sind das Ende von Königtum (Palast) und Kult (Tempel und Priester)

• Die Religion ist nicht mehr an den Staat gebunden. Die Praxis der Religion verlagert sich vom Tempel in die Familie.

• Die Geschichte des Gottesvolkes ereignet sich nicht mehr nur in Juda, sondern auch außerhalb des Landes.

                                                   © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Ezechiel

In der Aufnahme der prophetischen Kritik Jeremias (Jer 7,1-15) deutet
Ezechiel das Exil als Strafe Gottes für das falsche Verhalten seines
Volkes.

•   Mangelnde Mitmenschlichkeit und machtpolitischer Mißbrauch der Religion
    sind die Gründe für die Bestrafung. Für Ezechiel hat sich Gott eines
    heidnischen Herrschers bedient, um sein Volk zu bestrafen – zuerst durch die
    erste Verschleppung 597 v.Chr., dann durch die Zerstörung des Tempels 587
    v.Chr.

•   Mit der letzten Maßnahme ist die Bestrafung abgeschlossen, somit besteht
    Hoffnung auf Rückkehr. Ezechiel verwirft das verbreitete Konzept der
    Sippenhaft. Nur diejenigen, die tatsächlich verantwortlich sind, betrifft die
    Strafe, nicht deren Nachkommen. Dies begrenzt die Dauer des Exils.

•   JHWH ist durch die Zerstörung des Tempels nicht besiegt worden. Er seinen
                                                                                      Skulptur im Ulmer Münster
    iridischen Wohnort vorher verlassen und ist mit seinem Volk ins Exil gegangen.

                                                       © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Zerstörung und Kontinuität

Die Situation in Jerusalem ist geprägt durch Zerstörung aber auch durch Kontinuität. Das Bild links zeigt die Ruinen
eines zerstörten Hause in der Davidstadt. Rechts sieht man ein Grab der Anlage in Ketef Hinnom. Dieser Friedhof
der Jerusalemer Oberschicht wird während der gesamten Exilszeit kontinuierlich weiterbenutzt.

                                                © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Der direkte Kontakt mit der mesopotamischen Hochkultur in Babylon hat Auswirkungen auf das religiöse
                                                                                                                                                             Babylon
Selbstverständnis der Exilsgemeinschaft und die Art, wie sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt.

• Es entsteht eine Universalgeschichte des Gottes-
   volkes, die mit der Erschaffung der Welt beginnt und            Praktiziert wird Integration durch Abgrenzung.

   ihren Höhepunkt mit der Gabe der Tora auf dem                   •   Da Gottesdienst im fremden Land nicht möglich ist, verlagert

   Sinai findet.                                                       sich die religiöse Praxis in den Bereich der Familie. Es
                                                                       entstehen in diesem Zusammenhang sowohl der Sabbat als
• Schöpfungserzählung (Gen 1,1-2,4a) und Fluterzäh-
                                                                       wöchentlicher Ruhetag sowie der jüdische Festkalender.
   lung nehmen babylonische Vorlagen auf und verar-
   beiten sie im Sinne der eigenen Theologie.                      •   Aspekte der privaten Frömmigkeit werden besonders betont,
                                                                       die     sich      von        der       Lebenspraxis           der         babylonischen
• Die Mose-Exodus-Überlieferung kann als Hoffnungs-
                                                                       Mehrheitsgesellschaft                    unterscheiden          und      dadurch         eine
   geschichte auf die Exilssituation hin gelesen werden:
                                                                       integrierende             Funktion              haben:      Speisegebote,             Feste,
   Gott befreit sein Volk aus der Gefangenschaft.
                                                                       Beschneidung. Es entstehen die religiösen Normen des
• Deutlich erkennbar sind priesterliche Interessen                     späteren Judentums
   (Zeitmessung, Kultvorschriften, Sabbat, Feste, Be-
   schneidung)
                                                    © Dr. Markus Sasse, RFB 2021                                                http://www.noasarai.com/BLMJ/babylon/
                                                                                   Ischtar-Tor, Pergamon Museum in Berlin
Ps 137

Es gibt auch eine andere Perspektive auf die vergangenen
Ereignisse: Die Beter von Ps 137, offensichtlich Musiker am
Jerusalemer Tempel, die ihre berufliche Tätigkeit eingebüßt
haben, sehen das Exil nicht als Strafe, sondern fordern von
Gott Rache für die erlittene militärische Niederlage.
                     © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
                                                              Wandbild aus der Hurva Synagoge in Jerusalem
Auch in Jerusalem verarbeitete man den Verlust von Staat und Tempel.
• Das     Deuteronomium      wurde    zum     Maßstab         einer       beurteilenden
  Geschichtsschreibung. Im Zentrum stehen der Alleinverehrungsanspruch
  JHWHs, die Zentralisation des Kultes in Jerusalem, das Bilderverbot und die
  Kritik der Könige am Maßstab der Tora.
• Eingearbeitet wird auch die Kritik der Propheten (v.a. Jeremia)
• Mit dem Deuteronomium (als rückblickende Rede des Mose) beginnt eine
  geschichtliche Darstellung (sog. deuteronomistisches Geschichtswerk), die
  mit dem Beginn des Exils endet (Dtn-2Kön).                                                          Grabanlagen in Ketef Hinnom, Jerusalem

                                                © Dr. Markus Sasse, RFB 2021              Deuteronomistisches Geschichtswerk
Deuterojesaja
                                                                      Eine        erneute   Veränderung   im   Machtgefüge        des
                                                                      Zweistromlandes bewirkt Hoffnung auf ein Ende des Exils
                                                                      und auf eine baldige Rückkehr. 538 v.Chr. erobert der
                                                                      Perserkönig Kyros II. Babylon. Damit beginnt das Persische
                                                                      Weltreich, das erst mit dem Sieg Alexanders des Großen
                                                                      über Dareios III. und dessen Tod (330 v.Chr.) sein Ende
Nachbildung des sog. Kyros-Zylinders im Jerusalem Museum
                                                                      fand.

                Der Prophet Deuterojesaja (ein unbekannter Prophet in Babylon, dessen Texte Eingang in das
                Jesajabuch Kapitel 40-55 fanden), sieht im Auftreten Kyros II. ein Zeichen der Hoffnung für eine
                baldige Rückkehr nach Jerusalem (Jes 40,1f)..
                •     JHWH ist der einzige Gott (Jes 44,6)
                •     Erstmalig wird hier ein exklusiver Monotheismus formuliert und mit der Schöpfungsvorstellung (Jes 42,5-7)
                      verbunden, um das Eingreifen Gottes in die Geschichte zur Rettung seines Volkes zu begründen. (Jes
                      54,5-8)
                •     Kyros ist JHWHs Gesalbter (Messias; vgl. Jes 45,1)
                                                           © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Ertrag

Die Rede von Gott als Schöpfer der Welt ist als Antwort auf die krisenhaften Entwicklungen in der Geschichte
Israels entstanden. JHWH verändert sich vom Volks- bzw. Stadtgott zum Universalgott.

• Gott hat sein Volk bestraft (Jer, Ez), indem er sich eines fremden Herrschers bedient (DtJes).

• Wenn Gott auf diese Art in die Geschichte eingreifen kann, dann kann er nicht selbst ein Teil der Geschichte sein
    (Geschichtsmächtigkeit, Universalgott).

• Wenn Gott geschichtsmächtig sein soll, dann ist es naheliegend, ihn als Ursache der Geschichte – also als Schöpfer – zu
    verstehen (DtJes).

• Wenn Gott auf diese Weise der Welt als Ursache gegenübersteht, dann kann es keine weiteren konkurrierenden Gottheiten
    (Monotheismus) neben ihm geben (DtJes).

Die Schöpfungsvorstellung ist keine wissenschaftliche Theorie über die Entstehung der Welt, sondern ein
Aspekt der Gotteslehre.

                                                      © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
DIETRICH, W. (Hrg.): Die Welt der Hebräischen Bibel. Umfeld – Inhalte – Grundthemen Stuttgart 2017.
                               KEEL, O.: Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus [2Bde] (OLB IV,2)
                                Göttingen 2007.
                               KEEL, O.: Jerusalem und der eine Gott. Eine Religionsgeschichte, Göttingen 22014.
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                               SASSE, M.: Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels. Historische Ereignisse, Archäologie,
                                Sozialgeschichte, Religions- und Geistesgeschichte, Neukirchen-Vluyn 2004 / 22009.
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                               TILLY, M. / ZWICKEL W.: Religionsgeschichte Israels. Von der Vorzeit bis zu den Anfängen des
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                               VIEWEGER, D.: Geschichte der biblischen Welt. Die südliche Levante vom Beginn der Besiedelung bis zur
                                 römischen Zeit (3 Bde), Gütersloh 2019.

   Religionsgeschichte
   Israels

© Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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